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    LittleWalter Top 25 Rezensent

    Aktiv seit: 03. September 2010
    "Hilfreich"-Bewertungen: 1112
    472 Rezensionen
    Things We Have In Common Efterklang
    Things We Have In Common (CD)
    23.11.2024
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Menschen sind unterschiedlich. Musik verbindet. Efterklang bringen Menschen und Musik durch hinreißend originelle Klänge zusammen.

    Das dänische Projekt Efterklang, das im Jahr 2000 gegründet wurde und dessen Name so viel wie Nach- oder Widerhall bedeutet, besteht im Kern aus den Jugendfreunden Mads Brauer (Computer), Casper Clausen (Gesang) und Rasmus Stolberg (Gitarre). Es gesellen sich bei den Veröffentlichungen zeitweise Gäste hinzu, die dabei helfen, den aus verschiedenen Stilen und Strömungen bestehenden Sound zu einer neuen Einheit zu verbinden und abzurunden. Dazu gehört auch der Pianist und Komponist Rune Mølgaard, der bei sieben der neun Songs auf "Things We Have In Common" Co-Autor war und dessen Werdegang das Konzept und die Aussage des neuen Albums maßgeblich beeinflusste.

    Rune Mølgaard verabschiedete sich von dem Gefüge Efterklang im Jahr 2007, weil er sich verliebt hatte. Seine Angebetete gehörte der Glaubensgemeinschaft der Mormonen an. Nachdem Rune zwei Jahren in diesem Umfeld gelebt hatte, trat er mit voller Überzeugung dieser Religion bei. Er fühlte sich zunächst in der Gemeinschaft geborgen, erlebte daneben aber auch Regeln, die einen unbedingten Gehorsam gegenüber den Autoritäten der Sekte einforderten. Solche Einschränkungen standen seiner weltoffenen Gesinnung entgegen. Die daraus entstandenen Konflikte zermürbten ihn und führten zum körperlichen Zusammenbruch. 2022 trat er dann aus der Mormonenkirche wieder aus.

    Nach dieser Erfahrung stellte sich bei den Efterklang-Musikern die Frage ein, wie wichtig denn eine prägende gesellschaftliche oder religiöse Zugehörigkeit sei und welche Dinge uns eigentlich alle miteinander verbinden. Es geht also sozusagen um den kleinsten gemeinsamen Nenner der menschlichen Existenz. Casper Clausen fühlt sich eher einer "nomadische" Zugehörigkeit verbunden. Für Brauer & Stolberg steht hingegen die Familie an erster Stelle. Rune Mølgaard musste sich nach dem Verlust der Religionsgemeinschaft neu orientieren. Was nicht schwer war, denn für alle vier zuvor genannten Personen ist die Partnerschaft untereinander, die sich auch durch eine kreative Herausforderung auszeichnet, wie eine zweite Familie. Und diese starke Verbindung ist sogar in der Lage, sich Kompositionen von sinnlicher Schönheit auszudenken und mit Experimenten von beißender Schärfe zu versehen, die trotz der offensichtlichen Widersprüche immer noch überzeugend und attraktiv klingen. Für "Things We Have In Common", dem siebenten Studio-Album der Dänen, wird dieses Prinzip unverändert angewendet, was wiederum zu einer genüsslichen Spannungssteigerung beiträgt.

    Eine hohe Frequenz von Beats pro Minute, wie sie bei der elektronischen Dance-Music angesagt ist und langsame, Trommel-artige Töne, die an ethnische Folklore erinnern, gehen beim Eröffnungs-Stück "Balancing Stones" Hand in Hand. Genauso wie dröhnende, muskulöse Bässe und sphärische Schwingungen. Diese Unterschiede in der Kreation sind Programm und werden verträglich miteinander kombiniert. Sie sind mit einer Stimme gesegnet, die sich wie ein gefallener Engel anhört: sowohl von Liebe erfüllt, als auch leidend. "Ich fühle mich gespalten. Auf mich allein gestellt", verkündet der Sänger. Und dann gibt er noch den Tipp: "Gehen sie durch die Augen der Stille", was einem Hinweis gleich kommt, der aus der Notsituation führen soll. Jede Darstellung, jeder Ausdruck und jeder Beitrag bei "Balancing Stones" ergibt für sich genommen einen Sinn und führt durch Akzeptanz der konkurrierenden Details zu einem anschaulichen Gesamtbild.

    Mit den Zeilen "Heb mich hoch, gib uns Flügel. Du siehst aus wie Baumwolle im Wind" beginnt "Plant". Mit "Arme strecken sich aus. Wir gehören nicht dazu" endet der Text. Vertrauen und Enttäuschung rahmen diese Hollywood-reife, atmosphärisch am psychischen Abgrund stehende Ballade ein. Aber mit Mut und Durchhaltewillen lässt sich so manche Krise überwinden. Eine Metapher dafür ist die Pflanze, die sich jeden Tag wieder in die Sonne dreht, egal, was um sie herum passiert. Aus der Dramatik heraus baut sich ein Schub auf, der den Song aus der Melancholie befreien soll. Der Duett-Gesang zwischen Casper Clausen und der aus Guatemala stammenden Sängerin und Cellistin Mabe Fratti ist dabei ein weiterer herausragender emotionaler Lichtblick.

    Bei "Getting Reminders" geht es um Visionen. "Es ist, als würden die Bäume sterben" heißt ein Statement, das ans Eingemachte geht, wie man so schön sagt. Denn ohne Bäume gibt es auch keine Menschen mehr. Eine existentielle Bedrohung steht unter diesen Umständen unmittelbar bevor. Der Track übt sich verzweifelt und erfolglos in Zweckoptimismus. Manche Beigaben (wie das Klatschen) bemühen sich um gute Laune. Aber der betrübte Gesang und die traurige Trompete, die von Zach Condon von der Band Beirut gespielt wird, lassen keine ausgelassene Fröhlichkeit zu. Der Titel ist Teil der Dokumentation "Efterklang: The Makadonium Band", der eine Reise der Gruppe nach Nordmazedonien zugrunde liegt.

    Es ist schon ungewöhnlich, wenn Avantgarde-Jazz-, Sinfonie- und Hard-Rock-Elemente in einen Pop-Song integriert werden, ohne dass dabei ein undefinierbares, gewagtes, nicht gelungenes Konstrukt herauskommt. Aber bei "Ambulance" funktioniert diese Zusammensetzung: Das Lied behält trotz der vermeintlich nicht zueinander passenden Zutaten klare Konturen, bleibt durchschaubar und vermittelt schließlich eine positive Zugewandtheit.

    Die Piano-Ballade "Leave It All Behind" wird von suggestiven Minimal-Art-Strukturen angetrieben und durch die teilweise von einem Computer veränderte Stimme individualisiert. Dadurch entsteht so etwas wie ein künstlicher Ambient-Space-Pop, wenn man das so nennen mag.

    Für "Animated Heart" wurde als Attraktion der süddänische Mädchenchor Sønderjysk Pigekor, mit dem Efterklang schon seit 12 Jahren zusammenarbeitet, erneut gewonnen. Der Track beginnt damit, dass der Chor das Lied in einen unschuldig wirkenden Gospel-Folk-Kokon einspinnt, der von einem soliden Rock-Rhythmus begleitet wird. Er endet dann in einem alles verzehrenden, verzerrten Ton-Inferno.

    Für "Shelf Break" wird zunächst wieder ein manipulierter Gesang eingesetzt, der dominant herausgestellt wird. Bis das Schlagzeug ein impulsives Eigenleben führt. Im Anschluss daran übernehmen die natürlichen Töne von Casper Clausen das Geschehen und das Piano ist plötzlich rasend vor Erregung. Die angespannte Stimmung legt sich danach wieder und der Song wird zu einer ruhigen, ausgeglichenen Angelegenheit. In einem neuerlichen Anflug von Hektik, der mit balinesischer Gamelan-Musik in Verbindung gebracht werden kann, endet der Track aufgeregt-folkloristisch.

    "Alles dreht sich um die Liebe", weiß "Sentiment" zu berichten. Casper Clausen betätigt sich als verführerischer Crooner und lässt in dieser Funktion alle Herzen dahinschmelzen. Diese überzeugende intime Intensität ist heutzutage wahrscheinlich am ehesten mit der betörenden Wirkung der Stimme von Matt Berninger (von The National) zu vergleichen.

    Der altmodisch wirkende Adult-Pop-Song "To A New Day" geht zum Schluss ganz in Optimismus auf. "Was, wenn wir versuchen, sanft zu sein" ist eine Idee, die den hymnischen Track zu einer entschlossenen Forderung dafür macht, etwas Gutes für sich und andere zu tun. Versöhnlicher kann ein Album kaum enden.

    Der "Rückkehrer" Rune Mølgaard beschreibt den Wert der Efterklang-Musik wie folgt: "Wenn wir gemeinsam Musik schreiben und spielen, wird Authentizität als zentraler Wert geschätzt, während wir gleichzeitig Raum für andere schaffen." Das hört sich nach der perfekten Kommunikationsform zwischen den agierenden Menschen an und sollte bestenfalls dazu führen, dass dieses harmonische Miteinander beim Lauschen der Töne Sinn-bildend auf die Hörerschaft abfärbt. Ob das klappt, ist eine Frage von Kodierung und Dekodierung: Wer sich voll und ganz auf die Klänge einlässt, kann diese Erfahrung teilen. An der Qualität der erzeugten Töne wird es nicht scheitern. Efterklang sind jedenfalls eine Klasse für sich, wenn es darum geht, schöngeistige und gleichzeitig anspruchsvolle Pop-Musik zum Leben zu erwecken.
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    Five Dice, All Threes Bright Eyes
    Five Dice, All Threes (CD)
    23.11.2024
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Die Würfel sind gefallen: Bright Eyes sind nach vier Jahren Veröffentlichungspause überraschend mit "Five Dice, All Threes" zurück.

    Auf Conor Oberst als glaubwürdigen, klugen Songwriter können sich viele Musikfreunde einigen. Ab Mitte der 1990er-Jahre hat sich der Musiker aus Omaha (Nebraska) zusammen mit seinen Freunden Mike Mogis (Saiten) und Nate Walcott (Tasten) einen ausgezeichneten Ruf erspielt, weswegen die Formation zu den kreativsten und ausdrucksstärksten Gruppen der Folk-Rock-Szene der USA zählt. Ihre Ideen setzen sie unkonventionell, stilübergreifend und manchmal mosaikartig zusammengesetzt um und reichern sie durch popkulturelle TV-. Kino- und Wort-Beiträge, Sound-Effekte oder Field-Recordings an. Conor Oberst singt dazu mit zerbrechlich-trauriger Stimme, die nicht durch einen beachtlichen Oktavenumfang, sondern durch zu Herzen gehende Emotionalität auffällt.

    "Five Dice, All Three" ist das erste Bright-Eyes-Werk seit "Down In The Weeds, Where The World Once Was" aus 2020. Zuvor gab es bereits seit "The People`s Key" aus 2011 neun Jahre lang eine Veröffentlichungspause. "Five Dice, All Three" ist ein Begriff aus dem Bereich der Würfelspiele, welches sich auf die geringe Wahrscheinlichkeit bezieht, mit fünf Würfeln bei nur einem Wurf nur Dreien zu haben.

    Das Intro "Five Dice" legt eine Würfel-Spiel-Szene mit allerlei Sound-Schnipseln zusammen, sodass sozusagen ein akustisches Zerrbild des American-Way-Of-Life entsteht.

    "Bells And Whistles" ist nicht nur die erste Single-Auskopplung aus dem Album, sondern auch eine spritzige, muntere Pop-Hymne mit einigen schräg-kryptischen Text-Passagen ("Es ist jetzt schwer, es sich vorzustellen. Das Geld war komplett gefälscht. Dianas Gesicht wurde an den Mob verstreut. Teure Witze und billige Nervenkitzel kosten viel"). Das fröhliche Pfeifen, eine teils vor Zorn bebende Stimme und ein kurzes, zerrendes E-Gitarren-Solo sind lebhafte Zutaten, die dem Lied zusätzlich einen unverwechselbaren Wiedererkennungswert verschaffen.

    "El Capitan" heißt übersetzt "Anführer" und ist eine Felsformation im Yosemite-Nationalpark in Kalifornien, die aufgrund der steilen Felswände zum Eldorado für Kletterer geworden ist. Der galoppierende Rhythmus des Songs steht im Kontrast zur Ernsthaftigkeit, mit dem die Geschichte vorgetragen wird. Sehnsüchtige Mariachi-Trompeten verleihen dem Lied zum Abschluss dann noch eine Extraportion Fernweh. Textlich spielt der Felsen eine untergeordnete Rolle, er fungiert in dieser tragischen Liebesgeschichte lediglich als Beispiel dafür, dass man gefährliches Klettern für verrückt halten kann.

    "Bas Jan Ader" war ein niederländischer Video- und Konzept-Künstler, der als 33-Jähriger im Jahr 1975 in einem kleinen Segelboot eine künstlerisch motivierte Atlantik-Überquerung mit dem Titel „Auf der Suche nach dem Wunderbaren (Lieder für den Nordatlantik)“ antrat, bei der er verschollen blieb. Zehn Monaten nach dem Verschwinden wurde dann sein leeres Boot an die Küste von Irland angespült. Conor Oberst legt dem Niederländer die Worte "Es braucht starke Nerven, um auf dem Planeten Erde zu leben. Es war die beste aller Zeiten, es war die schlimmste aller Zeiten" in den Mund. Der Rückblick auf den eigenwilligen Künstler wird in einen elegant-cool swingenden Country-Folk-Song mit Rhythm & Blues-Basis gekleidet.

    Mit zittriger Stimme unterlegt Conor Oberst "Tiny Suicides", ein Lied, das - wie der Titel schon vermuten lässt - als eine todtraurige Ballade arrangiert wurde, die stilistisch im Americana-Umfeld angesiedelt ist. Zum Abschluss gibt es noch eine verstörende Audio-Einspielung zu hören, bei der Frauen bitterlich weinen. Trotz des Titels ist das Stück in seiner Aussage gar nicht total negativ: "Eines Tages sterben wir alle. Warum diesen kleinen Selbstmorden nachgeben?" Das will eigentlich heißen: "Passe auf dich auf, übertreibe es nicht mit Dingen, die nachweislich schädlich für dich sind, damit du länger lebst."

    Für "All Threes" gibt es gesangliche Verstärkung von Chan Marshall alias Cat Power, die sich ein starkes, verschlungenes Duett mit Conor Oberst liefert. Die starke Musikerin umgarnt Conor bei diesem attraktiv-komplexen Folk-Jazz mit knisternder Erotik in der Stimme und lässt keinen Zweifel daran, wer hier die längere Leine in der Hand hält. Traum- oder Albtraum-Lyrik? Drogen oder Dada-Poesie? Der Text gibt einige Rätsel auf. Die Musik betört und bewegt.

    Überfallartig, mit hastig-aufbrausender Punk-Attitüde, stürmt der Pub-Rock "Rainbow Overpass" heran. Der heftige Schwung und die brodelnde Energie sind auch Alex Orange Drink von der New Yorker Punk-Band The So So Glos zu verdanken, der Co-Autor ist und in diesem Trennungs-Szenario eine Strophe singen darf.

    "Hate" beinhaltet die Auflistung von verabscheuungswürdigen Personen, Institutionen und Dingen eines durchaus frustrierten, aber nicht aggressiven Menschen, denn die Kernaussage lautet: "Weißt du nicht, dass immer die bösen Jungs gewinnen?". Der Song transportiert im Prinzip eine textlich ausgedrückte desillusionierte Weltsicht und bedient sich dabei eines schleifenden, stumpfen Rhythmus, wartet aber auch mit einem kreischenden, psychedelischen E-Gitarren-Aufschrei auf.

    "Real Feel 105°" beginnt als wortreicher, klassischer Folk-Song, begleitet von einer akustischen Gitarre. Er wird im Verlauf durch immer mehr Instrumente angereichert, bis es schließlich zur orchestralen, üppig schwelgenden Country-Pop-Broadway-Nummer kommt, die zur Hymne mutiert. Als Tüpfelchen auf dem I wird sie wird mit ein paar erschütternd hingebungsvollen Liebeserklärungen garniert ("Früher habe ich auf Almosen gewartet und auf der Straße gefleht, aber du bist alles, worum ich jetzt flehe.")

    Den sentimentalen Piano- und Synthesizer-Tönen von "Spun Out" wird durch eine kräftige elektrische Gitarre und mit sperrigen Hip-Hop-Sounds die Süße so weit verdünnt, dass das Lied schließlich kurz den Flow verliert, aber letztlich doch noch als clever aufgebauter Song mit assoziativen Wortschöpfungen durchgeht. Und war das da etwa David Bowie, der am Ende gesprochen hat?

    "Trains Still Run On Time" bekommt einen energischen Roots-Rock verpasst, der durch Einfallsreichtum, Leidenschaft und verschrobene Eingängigkeit zu überzeugen weiß. Und wenn die Züge immer noch pünktlich fahren, dann kann ja alles nicht so schlimm sein - das ist die satirisch gemeinte Annahme in diesem Song. Wenn man die Regel und Ableitung mit den pünktlichen Zügen auf Deutschland überträgt, dann kann einem angst und bange um unsere Republik werden.

    Tief unter die Haut, zu Herzen und an die Seele geht die Art-Rock-Ballade "The Time I Have Left", für deren Umsetzung Matt Berninger von The National als Gesangs-Vorzeige-Gast geladen wurde. Seine einprägsame, entspannte und dabei durchdringende Bariton-Stimme trägt maßgeblich und vorzüglich zum Gelingen dieses "Endzeit"-Liedes bei ("Ja, ich würde dich gerne nach der Zeit fragen, die mir noch bleibt").

    "Tin Soldier Boy" wildert musikalisch sowohl im West-Coast-Folk-Rock von Neil Young und im New-Orleans-Jazz als auch im vom Cabaret- oder Vaudeville-Sound, der The Kinks, der sie zu solchen Meisterwerken wie "The Kinks Are the Village Green Preservation Society" inspiriert hat. Bodenständigkeit, Spontanität und Ausgelassenheit sind Standbeine, auf denen der Track, der das Durchhalten in vielen Lebenslagen propagiert, fußt.
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    The Head As Form'd In The Crier's Choir Sarah Davachi
    The Head As Form'd In The Crier's Choir (CD)
    23.11.2024
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Sarah Davachi hat mit "The Head As Form'd In The Crier's Choir" einmal mehr ein schöngeistiges, psychoakustisches Klang-Konzept umgesetzt.

    Die Welt besteht aus Schwingungen, die auf uns einwirken. Positiv wie negativ. Die 37-jährige, in Kanada geborene Sarah Davachi beschäftigt sich in ihrer Kunst unter anderem damit, was Töne in uns auslösen können. "The Head As Form'd In The Crier's Choir" orientiert sich an dem antiken, griechischen Orpheus-Mythos und folgt bestimmten Regeln: Die sieben Kompositionen bestehen oft aus langgezogenen Tönen, die sanft, manchmal kaum merklich pulsieren. Es ist, als würden sie atmen, also lebendig sein. Diese alternativ ausgelegte Ambient-, Drone- oder Minimal-Art-Musik folgt keinem Rhythmus, weist keine Melodien auf, besitzt keine Refrains. Sie ist nicht aggressiv oder anbiedernd und setzt sich ausschließlich aus unterschiedlich gestimmten Vibrationen zusammen.

    "Prologo", "The Crier`s Choir" und "Night Horns" sind Solo-Stücke, eingespielt an Pfeifen-Orgeln in Helsinki (Finnland), Oberlin (USA) und Toulouse (Frankreich). Wer jemals eine mächtige Orgel gehört hat (in einer Kirche oder Kathedrale oder auf CD zum Beispiel bei "Hymns/Spheres", das von Keith Jarrett 1976 eingespielt wurde), weiß, wie durchdringend und Respekt einflößend solche Klänge sind. Für ihre Orgel-Tracks entwickelte Sarah Davachi ruhige Abläufe, die sich nur geringfügig und langsam verändern. Die Akkorde sind überwiegend dem Moll-Bereich zugeordnet, hören sich andächtig an, sind meditativ aufgebaut und werden ohne Zeitdruck dargeboten. Manchmal überlagern sich diese Entwürfe auch.

    Für "Possente Spirto" setzte Sarah elektronische Instrumente, wie Mellotron (mit Blech- und Holzbläser-Samples) oder Synthesizer sowie Bandschleifen-Manipulationen ein. Sie wird dabei von Andrew McIntosh an der Bratsche und Mattie Barbier an der Posaune begleitet. Im Verbund erzeugen die Musiker ein Wummern, Brummen, Schwirren und Summen, das sich für den Ungeübten, mit minimalistischen Ausdrucksweisen nicht Vertrauten eventuell wie Hörtest-Geräusche anhört, aber in einer ausgeruhten Stimmung Hirn-Areale stimuliert, die die Aufmerksamkeit und das Urteilsvermögen anregen.

    Das "Trio For A Ground" besteht eigentlich aus einem Quartett, nämlich aus Sarah Davachi (Pfeifen-Orgel in Bologna (Italien)), Eyvind Kang (Bratsche), Pierre-Yves Martel (Bratsche) und Lisa McGee (Gesang). Vier Menschen - drei unterschiedliche Schwingungs-Erzeuger: Davachi steuert erdende Dauer-Töne bei, die Bratschen passen sich diesem monoton-suggestiven Treiben an und mithilfe von Lisa McGee wurde ein ganzer Chor simuliert, der an sphärische, gregorianische Gesänge erinnert, wie sie gerne in Mittelalter-Filmen wie "Der Name der Rose" zur Erzeugung von sakralen Momenten verwendet werden. Entsprechend ehrwürdig-religiös klingt dann auch diese Komposition.

    Für "Res Sub Rosa" konnte das Berliner Bläser-Quintett Harmonic Space Orchestra, bestehend aus Rebecca Lane (Bass-Flöte), Sam Dunscombe & Michiko Ogawa (Bass-Klarinetten) sowie M.O. Abbott & Weston Olencki (Posaunen) gewonnen werden, die dem Stück eine natürlich warme Interpretation zukommen lassen. Ihre Ton-Demonstrationen erinnern an Warn-Hörner, zumindest an um Aufmerksamkeit bittende Klänge, die sich nicht alarmierend, aber auffallend, vorherrschend und bestimmend verhalten.

    "Constants" bestreitet Sarah Davachi alleine an elektronischen Instrumenten. Ein paar Frequenzen sind höher gelagert als bei den Orgel-Stücken, ohne dabei aber schrill zu sein. Es gibt sowohl beinahe gleichbleibende als auch sich in diesem grundsätzlich eher statisch orientierten Kontext auffälliger verändernde Töne. Das allgemeine Dröhnen schwillt im Verlauf an, was durch die bisherige Sensibilisierung eine Provokation andeutet. Vor der Eskalation nimmt die Intensität jedoch wieder ab.

    "The Head As Form'd In The Crier's Choir" ist keine Pop-Musik im engeren Sinne, hat aber einige Verwandte in diesem Bereich, wie Terry Riley, Brian Eno oder Peter Michael Hamel (von der Gruppe Between), die alle neue Ausdrucksformen gesucht und dafür die Rock & Roll-Roots verlassen haben, um eine andersartige klangliche Revolution einzuleiten.
    Die fast 92 Minuten Spielzeit suggerieren den Zuhörern, dass die Zeit zum Stillstand gekommen sei. Es gibt "keine Themen, nur Aktivität von Ton und Stille". Das ist eine Definition, die der Komponist John Cage für sein Orgel-Stück "ORGAN²/ASLSP" gefunden hat, das über 639 Jahre hinweg in der Burchardi-Kirche in Halberstadt aufgeführt wird. In ähnlicher Form gilt diese Aussage als Anhaltspunkt auch für die letzten Werke von Sarah Davachi ("Antiphonals" von 2021 und "Two Sisters" aus 2022), zu denen "The Head As Form'd In The Crier's Choir" eine logische Ergänzung darstellt.

    Die Wahrnehmung dieser Klang-Kombinationen kann durchaus bewusstseinserweiternd sein. Der Geist begibt sich dann auf eine Reise, die von den Tönen inspiriert, womöglich bestimmt und geleitet wird. Obwohl dunkle Strukturen vorherrschen, fühlt man sich nicht bedroht, sondern fürsorglich in abenteuerlich-unbekannte Gefilde begleitet. Dabei wird man fachkundig an die Hand genommen, um sich mit der unbekannten Situation zurechtzufinden und zu identifizieren. Vertrauen ist sowieso das Schlüsselwort für den Umgang mit diesen Kompositionen. Man sollte sich also in die Noten fallen lassen, sich vorurteilsfrei auf das Experiment einlassen. Dann hinterlassen die Klanginstallationen unter Umständen eine berauschend-befreiende Wirkung. Besonders intensiv kann das köstliche Hör-Vergnügen natürlich mit einem hochauflösenden Kopfhörer erlebt werden.

    Sarah Davachi ist eine Ton-Schöpferin und Sound-Designerin, die es versteht, Klanginstallationen zu erzeugen, die auf das Wesentliche abgespeckt sind. Sie füllen den Raum so weit auf, dass sie einen wohlig empfundenen Schwindel auslösen können, der die Aufnahmefähigkeit des Gehirns jedoch nicht einschränkt. Ganz im Gegenteil, durch die Reduktion auf wenige Schwingungen tritt eine konzentrierte Selbstentspannung ein, ähnlich wie beim autogenen Training. Deshalb kann die Musik auch ein heilsamer Trip mit Erkenntnisgewinn sein. Probieren geht über Studieren...
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    23.09.2024
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Die einzige Konstante im Leben ist die Veränderung.

    Die Tindersticks sind nicht mit wenigen Worten zu beschreiben oder zu begreifen. Sie sind Sound-Künstler, um nicht zu sagen bildende Künstler. Denn ihre Musik ist als Gesamtkunstwerk aus Tönen, Texten, Emotionen und deren Zusammenspiel zu sehen. Kontraste und gleichbleibende Wiedererkennungswerte spielen bei der Konstruktion der Kompositionen genauso eine wichtige Rolle wie Experimente und harmonische Komponenten. Manie und Depression sind die Eckpunkte, zwischen denen sich die intensiv übertragenen Gefühlsäußerungen abspielen.

    Das Aushängeschild der Gebilde ist dabei stets der erschütternd sensible Gesang von Stuart A. Staples, der die Gruppe unverwechselbar macht. Seine sonor-nasale, ausdauernd leidende Stimme besitzt eine unermüdliche Neigung dazu, aus einer konstruktiven Melancholie heraus Kraft zu schöpfen. Dabei bringt Staples auf köstliche Weise triefend-herzzerreißend schöne Töne hervor, die jeden Sensiblen zu Tränen rühren können.

    Innerhalb ihres eigenwilligen Raum-Zeit-Kontinuums strebt die Band mit „Soft Tissue“ einmal mehr und dieses Mal sehr deutlich nach Ausweitung des Klanghorizontes. Ihre Auffassung von sinnlich-lasziver Leidenschaft, cremigem Soul und bewusstseinserweiterndem Art-Pop verschafft den Songs einen speziellen Glanz sowie majestätische Würde und lässt manche Lieder von innen heraus strahlen und pulsieren, sodass Licht und Schöpfungskraft letztlich über die Dunkelheit triumphieren können. Die acht neuen Stücke fangen eine Stimmung ein, die zwar reich an schwermütigen Klängen ist, aber dennoch Zuspruch, Lebensfreude und sogar eine gewisse Leichtigkeit ausdrücken.

    Aufrüttelnde Bläser-Fanfaren und ein stabiler Rhythmus-Teppich künden "New World" großspurig an, fallen aber nach kurzer Zeit in sich zusammen. Das E-Piano dehnt dann hübsch und sauber die Zeit, während sich die gesamte Formation neu formiert. Ein cool-hypnotischer Groove bestimmt den weiteren Verlauf und Stuart Staples betätigt sich als Stimm-Magier, um seine Zuhörer und Zuhörerinnen sanft zu einem überraschenden Gefühlsausbruch zu begleiten, auf den niemand richtig vorbereitet wird. Plötzlich verstärkt nämlich die forsche, prächtige Stimme von Gina Foster kurz den Gesang und hebt den Song aus einem ätherischen Verweilen heraus und hinein in eine zupackende Richtungsänderung. Diese kontrastreiche Vorgehensweise wiederholt sich, wodurch der Track auf suggestive Weise einen nachhaltigen Ohrwurm-Charakter erhält. Die Moral des Liedes scheint zu sein, dass sich ständig alles im Wandel befindet, aber die veränderte Welt nicht immer leicht zu verstehen und zu akzeptieren ist. Besonders, wenn durch eine Neuordnung Moral und Ethik auf dem Kopf zu stehen scheinen. Aber dennoch wird der Sänger nicht von seinen Überzeugungen abweichen ("Ich werde nicht zulassen, dass meine Liebe zu meiner Schwäche wird" / "I won't let my love become my weakness.")

    Leidenschaft und Sehnsucht bestimmen die Gefühlswelt von "Don't Walk, Run", das stilistisch von schwülem Stax-Funk und schwülstigem Philly-Soul geprägt wird. Diese Funk-Soul-Herrlichkeit wurde in ein stoisches Klacken eingebettet, über das Stuart sein Flehen und Leiden schmachtend-traurig ausbreitet. Das ganze sinnlich-ergriffene Konstrukt, welches Trennungsschmerz in Töne fasst, entbehrt dabei nicht einer von Geheimnissen umwitterten Dramatik, sodass sich Anspannung und zarte Romantik die Waage halten.

    "Nancy" ist ein Gemisch aus einem oszillierenden, elektronischen Fake-Bossa-Nova und einer idyllischen Jazz-Ballade, aus dem man durch kurze eruptive Ausbrüche aufgeschreckt wird. Nancys Schweigen wiegt beim Erzähler schwerer als die Vorstellung der Auswirkungen eines Streitgesprächs. Die Essenz des Textes ist laut Aussage der Band, dass jemand eine Beziehung vermasselt hat und nun um Verzeihung bitten will.

    Für "Falling, The Light" wird Ruhe und Frieden in Noten gegossen. Der Track verströmt eine innige Verbindung zwischen den Tönen und den Worten, ist letztlich mehr eine Andacht als ein Song.
    "Always A Stranger" vermittelt unterschwellig den Schwung und den Tatendrang einiger Rockabilly-Aufnahmen aus den 1950er-Jahren, wie es zum Beispiel bei Elvis Presleys "Mystery Train" erlebt werden kann. Wobei die Tindersticks diese Energie kanalisieren und für ihre Zwecke so transformieren, dass der Groove geschmeidig bleibt und nicht überschäumt. Das Stück ist inhaltlich von ungestillten Erwartungen und einer starken Verunsicherung durchdrungen: "Meine Liebe steht in Flammen und ich fühle mich immer noch wie ein Fremder" / "My love is in flames and I'm always a stranger."

    Atmen bedeutet Leben. Atmen bedeutet auch Vertrauen, Vertrauen, dass die Luft, die uns erhalten soll, nicht schädlich für uns ist. Was nicht selbstverständlich ist, denn laut der Weltgesundheitsorganisation sterben nämlich jährlich weltweit etwa sieben Millionen Menschen an den Folgen von Feinstaub und anderen Schadstoffen in der Luft. Tendenz: steigend. Für "The Secret Of Breathing" wurde dem wummernden Bass eine Hauptrolle zugeordnet, was der Ballade von vornherein Schwere und Tragik einhaucht. Verweht-verirrte Streichinstrumente verbreiten einschüchternden Nebel und Stuart A. Staples entfernt mit seinem herbst-grauen Gesang fast alle Farben aus den Tönen.

    Ohne jegliche Zwänge noch einmal zumindest gedanklich von vorne anfangen zu können und dabei am Guten festhalten zu können. Diese Möglichkeit steckt theoretisch in jedem von uns und das triumphale Gefühl des Neubeginns muss berauschend schön sein. "Turned My Back" verfolgt ein solches Muster und zieht zur klanglichen Illustration einen Gospel-Sound heran, der als Jazz-Chanson getarnt ist. Gina Fosters beseelt-voluminöser Gesang, wallende Streicher, verdichtende Bläser, ein hypnotisierender Beat und die schmachtende Stimme von Stuart sind dominante Zutaten zu diesem komplexen, in sich verflochtenen Song.

    "Soon To Be April" ist eine unspektakulär erscheinende Träumerei für diejenigen, die sich zum Beginn des Herbstes schon auf den nächsten Frühling freuen. Das Lied kommt ohne Steigerung und ohne laute oder schnelle Bestandteile aus. Es erfüllt quasi die Funktion eines Wiegenliedes: Es beruhigt und wägt die aufmerksam Zuhörenden in Sicherheit.

    In der individuellen Wahrnehmung ist vermutlich oft das jeweils aktuelle Album der Tindersticks auch das bisher beste. Das würdigt die Vorgänger in keiner Weise ab, zeigt aber eindrucksvoll, dass es die Musiker verstehen, mit jeder Platte erneut zu begeistern und das Spektrum der Klänge so zu erweitern oder anzupassen, dass es trotz vieler Wiedererkennungsmerkmale immer auch überraschende Facetten zu entdecken gibt.

    Stuart A. Staples steuert die Songs gesanglich - wenn nötig - in dunkle Gefilde, wo Melancholie und Leiden zu Hause sind. Das geschieht zutiefst demütig, sodass dieser Vorgang in der Regel für die Zuhörerinnen und Zuhörer sogar aufbauend wirkt. Denn geteiltes Leid ist schließlich halbes Leid. Die relativ üppig vorhandenen mild leuchtenden Momente auf "Soft Tissue" leuchten in diesem Umfeld umso prächtiger.

    Es ist anzunehmen, dass mit dem "weichen Gewebe", auf das sich der Titel bezieht, der menschliche Körper gemeint ist. Auf diese Idee kann man jedenfalls kommen, wenn man auf das Cover des Albums schaut. Es wurde von Stuart Staples Tochter Sidonie entworfen und symbolisiert innige Verbundenheit und wohlige Geborgenheit.

    Das Quintett aus Nottingham, derzeit bestehend aus Stuart A. Staples (Gesang), David Boulter (Keyboards), Neil Fraser (Gitarren), Earl Harvin (Schlagzeug) und Dan McCinna (Bass), ist seit 32 Jahren im Geschäft. Die Formation inszeniert ihre Musik häufig als in sich gekehrte, komplexe, intime, kammermusikalische Soundtracks für Menschen, denen Charts-Pop zu trivial und klassische Musik zu elitär ist. Bei allem vorhandenen Weltschmerz erlangen die Tindersticks auf Album-Länge nicht selten trotzdem eine bezaubernde, introvertierte Coolness. Die Klänge sind in der Lage, aus Traurigkeit Zuversicht zu zaubern und Trost zu spenden, also wahrlich zauberhafte Erlebnisse zu ermöglichen.

    Viele Menschen scheuen Veränderungen im Leben. Aber Anpassungen finden dennoch ständig statt, ob wir wollen oder nicht. Auch im Kleinen. Manchmal unmerklich, weil in kleinen Schüben. So auch bei den Tindersticks. Der Wandel ist ein fester Bestandteil ihrer Musik, macht sie immer wieder attraktiv und ist ein Motor für die andauernde Faszination. Tradition, Verlässlichkeit und Innovation sind drei Eckpunkte des Schaffens der Tindersticks und lassen auch "Soft Tissue" nach den letzten großartigen Non-Soundtrack-Alben "No Treasure But Hope" aus 2019 und "Distractions" von 2021 wieder zu einem durchweg außergewöhnlich interessanten Werk werden, das den spezifischen Sound der Band sowohl ausbaut als auch triumphal weiterführt. Prädikat: Hervorragend!
    Meine Produktempfehlungen
    • Curtains (180g) (Extended Edition) (+ 9 Bonustracks) Tindersticks
      Curtains (180g) (Extended Edition) (+ 9 Bonustracks) (LP)
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    Moon Mirror Nada Surf
    Moon Mirror (CD)
    23.09.2024
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Nada Surf bereiten Power-Pop-Fans mit "Moon Mirror" 44 glückselige Minuten.

    Und das gilt nicht nur für die in Adrenalin getränkten Stücke, sondern auch für die Balladen. Nada Surf versetzen die Hörerschaft in einen euphorischen Rauschzustand, der durch hingebungsvolle Empathie noch zusätzlich bereichert und aufgewertet wird.

    Aber der Reihe nach: Die New Yorker Musiker Matthew Caws und Daniel Lorca kennen sich schon seit Kindheitstagen, spielten zusammen in Schülerbands und gründeten 1993 Nada Surf. Der Name ist ein spanischer Begriff für den Weg heraus aus einer Depression. Nach einigem Veröffentlichungs-Wirrwarr erschien der erste Longplayer "High/Low" im Jahr 1996 und warf gleich die Hit-Single "Popular" ab. 1998 folgte das zweite Album "The Proximity Effect" und mit "Let Go" aus 2002 etablierte sich die Band endgültig als hochkarätige Indie-Pop-Formation mit Hang zum Pop-Punk und einem Sinn für ausgefeilte Kompositionen.

    Bis 2020 folgten sieben weitere Werke, darunter die Cover-Versionen-Platte "If I Had A Hifi" aus 2010 und "Peaceful Ghosts" von 2016, wo ausgewählte Stücke zusammen mit dem Babelsberger Filmorchester neu interpretiert wurden. Nach 4 Jahren Veröffentlichungs-Pause kommt nun am 13. September 2024 der vierzehnte Longplayer "Moon Mirror" auf den Markt. Die Aufnahmen wurden in der Besetzung Matthew Caws (Gesang, Gitarre), Daniel Lorca (Bass), Ira Elliot (Schlagzeug) und Louie Lino (Keyboards, Gesang, Gitarre) in den Rockfield-Studios in Wales unter der Leitung des Produzenten Ian Laughton, der unter anderem bereits für Supergrass und Ash arbeitete, eingespielt.

    Mit "Second Skin" legt die Band stürmisch los und Matthew Caws lässt wissen, dass er seine Schutzhülle, die er gegen zwischenmenschliche Enttäuschungen aufgebaut hat, ablegen möchte ("Ich trug einen Porzellanmantel. Du kanntest mich nicht vollständig." und "Ich bin es leid, in dieser zweiten Haut zu leben. Ich will alles hereinlassen.") Mit ihrem aufwühlenden, vorauseilenden, erfrischenden Schwung aktiviert die Musik Körper und Geist und reißt mithilfe der mächtigen Klänge alle zwischenmenschlichen Hemmnisse ein.

    Und wer jetzt glaubt, die Gruppe habe ihr Energiepotenzial schon ausgeschöpft, sieht sich getäuscht: Mit "In Front Of Me Now" geht es weiter druckvoll-elegant zur Sache und die Musiker legen hinsichtlich des Temperamentes sogar noch eine Schippe drauf. Der schwirrend-hinreißende Folk-Rock der Byrds und der ungestüm-vehemente College-Rock der 1990er-Jahre bilden die Basis für diesen Track. Im Team ist diese Mischung aufgrund ihrer beflügelnden Wirkung nahezu unschlagbar. Der Song ist in seiner ganzen Beschaffenheit, also inhaltlich und musikalisch in gewissem Maße ein Bekenntnis zum bewussten, achtsamen Leben.

    Jetzt wird es Zeit für eine Verschnaufpause. Es folgen zwei ausdrucksstarke Balladen, die sich allerdings in ihrer Konzeption grundsätzlich voneinander unterscheiden. "Moon Mirror" steigert die Dynamik nur langsam, bleibt dabei verhalten und strebt nicht nach einem fulminanten Finale. Der emotionale Reiz ergibt sich vielmehr aus dem verständnisvoll-harmonischen Gesang und der weich fließenden Melodie. Der Text zeugt von einer gewissen Orientierungslosigkeit in dieser von Reizen überfluteten Zeit. Es stellen sich die Fragen: Auf wessen Aussage kann ich noch vertrauen und wo finde ich Anhaltspunkte für meinen weiteren Lebensweg? Vielleicht kann in diesem Fall uraltes schamanisches Wissen für Orientierung sorgen: Der Mond gilt in diesem Zusammenhang als Reflektor von unbewussten, verborgenen Wünschen. Er wird beim Song "Moon Mirror" jedenfalls gezielt poetisch als Hilfs-Institution und als Energielieferant angesprochen ("Mondspiegel, zeige mir ein Leben, das ich lebe, verbinde mich mit etwas, das gerade erst beginnt.")

    Bei "Losing" lodern die Gitarren feurig im Hintergrund, setzen den Song aber nicht übermütig in Flammen. Sanfte Geigentöne aus dem Synthesizer übernehmen zwischendurch das Ruder und steuern das Lied in sentimentale Gefilde, wobei wieder die Stimme maßgeblich die Regie übernimmt und eine Charme-Offensive startet. Matthew Caws dehnt manche Worte so stark, dass sie sich wie warme Decken über die Noten spannen. Der Track lässt förmlich auf suggestive Weise bildhafte, berührend-hingebungsvolle Momente entstehen. Würde der Song stattdessen schneller gespielt werden, gäbe er eine rasant-gefühlvolle Power-Pop-Hymne ab. Der Text macht klar, dass man bei einer zerbrochenen Liebe viel mehr als nur einen Partner verliert. Dazu gehört auch die unwiederbringliche Zeit, die vielleicht als verschwendet empfunden wird. Womöglich verliert man sogar Selbstvertrauen, was zukünftige Schritte im Leben hemmt. Der Verfasser des Songs, Louie Lino, sieht den Text "als Aufzählung all der Dinge, die das Älterwerden einem raubt."

    Mit "Intel And Dreams" kommt dann wieder mehr Druck auf den Kessel. Anfangs tendiert der Track eher zum Punk als zum Pop. Später dreht sich diese Wahrnehmung. Die Poesie beschreibt und preist zunächst "die Leichtigkeit des Alleinseins". Es stellt sich aber heraus, dass es sich bei dieser Aussage nur um Schönfärberei der Einsamkeit gehandelt hat: "Selbst die besten Tage fühlen sich halb vergeudet an."
    "The One You Want" spielt mit der Überlegung, ob eine Beziehung dadurch zu retten ist, wenn man sich an die Erwartungen des Partners vollständig anpasst. Dies führt in der Regel irgendwann zu Konflikten ("Ich will dich nicht verlieren, aber ich will auch nicht gewinnen. Können wir neu anfangen und es noch einmal versuchen?"), die sich unter bestimmten Bedingungen auflösen oder ins Zerwürfnis führen können. Das Lied vermittelt dieses Wechselbad der Gefühle durch langsame und schnelle Passagen, durch romantischen und strengen Gesang, durch schwebende, synthetische Streicher und ein unnachgiebig galoppierendes Schlagzeug.

    "New Propeller" soll Mut machen. Mut, um seinen Standpunkt zu verteidigen und sich nicht einschüchtern zu lassen. Nicht von Personen, Institutionen oder Religionen. Laut Matthew Caws ist das Lied "eine Reflexion über Veränderungen." Dazu braucht es keinen Krawall, keine Wutausbrüche gegen die vermeintlichen Energie-Fresser und keine Hasstiraden. Der Zauber der Ruhe, eine erhabene Schönheit und Weisheit in Ausdruck des Gesanges leisten hier sanfte, aber unmissverständliche Überzeugungsarbeit.

    "Open Seas" ist der wohl einfühlsamste und raffinierteste Song auf "Moon Mirror". Er basiert auf einem rauen, aber kompromissbereiten Punk-Riff und verfügt über eine zuckersüße, knifflig-vielschichtige Melodie. Es werden alle Register gezogen, um die Hörerschaft um den Finger zu wickeln und ihre Begeisterung mit irgendeiner unerwarteten Wendung zu wecken - was wahrscheinlich alleine aufgrund von süßen, dynamisch aufgebauten Verlockungen gelingen wird. Ohne Zweifel: Ein grandioser Song! Die Lyrik bleibt weitgehend undurchsichtig ("Es gibt keine Aufzeichnungen, keine Spuren, es gibt nichts, was irgendjemand auf deinem Gesicht sehen kann, es gibt keine Methode, es gibt kein Verbrechen, von dort nach hier zu kommen war nie eine gerade Linie"), regt aber die Fantasie an.

    "X Is You" holt den Boogie-Groove zurück ins Geschehen. Auf jeden Fall solche Schwingungen, die Herz und Beine in Bewegung setzen. Der Track vermittelt den Eindruck, als sei er als Empfehlung, das bisherige Leben zu überdenken und eingefahrene, hinderliche Abläufe abzulegen, gedacht ("Schüttle den Ärger aus deinen Augen. Schüttle die Kälte aus deinem Innern").

    Es folgt ein weiteres Lied, welches durch kompakte Leidenschaft Zuversicht verbreitet: Bei "Give Me The Sun" heißt es: "Oh ich weiß, dass es Frieden gab, ich weiß, dass es Spaß gab. Ich nehme meine privaten Träume und ich lege sie in die Sonne." Matthew Caws erweist sich als seriöser Entertainer, während die E-Gitarren schroff-hitzige Dauersalven absondern und der Rhythmus-Bereich Standhaftigkeit in jeder Lage praktiziert.

    Für "Floater" neutralisieren sich Energie und Empathie gegenseitig, sodass ein kompakter, aber dennoch empfindsamer Folk-Rock entsteht. Der Gesang klingt geläutert und in sich ruhend. Der Text bleibt kryptisch-assoziativ und erschließt sich wohl erst dann vollständig, wenn ihre Verfasser dazu befragt werden können ("Lass ein Seil in den Wunschbrunnen fallen, müde, wahrscheinlich verängstigt, Vergebung ist genau dort.")

    Mit "Moon Mirror" melden sich Nada Surf eindrucksvoll mit elf qualitativ hochwertigen Liedern nach "Never Not Together" aus 2020 zurück, die noch lange im Gedächtnis nachhallen werden. Das Werk ist quasi eine "Best Of"-Zusammenstellung mit ausschließlich neuen Stücken. Die Musiker füllen souverän und einladend-attraktiv ein Spektrum aus, das von lieblichen Beatles-Harmonien bis hin zu harten Punk-Riffs reicht. Alle Tugenden der Gruppe treten bei den neuen Kompositionen in hoher Qualität hervor und sorgen von Anfang bis Ende für großen Spaß und vollständige Zufriedenheit.
    Meine Produktempfehlungen
    • Lucky (Limited Edition) Lucky (Limited Edition) (LP)
    • High/Low (180g) Nada Surf
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    • The Proximity Effect Nada Surf
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    • Never Not Together Nada Surf
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    • The Stars Are Indifferent To Astronomy (Limited Edition) The Stars Are Indifferent To Astronomy (Limited Edition) (CD)
    • Peaceful Ghosts: Live With Babelsberg Film Orchestra Peaceful Ghosts: Live With Babelsberg Film Orchestra (CD)
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    Easy Tiger Kitty Liv
    Easy Tiger (CD)
    23.09.2024
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    3 von 5

    Kitty von Kitty, Daisy & Lewis ist erwachsen geworden.

    Es gibt drei Geschwister, die vom analogen Retro-Sound der 1950er- und 1960er-Jahre besessen sind und schon als Teenager von 2008 bis 2017 gemeinsam erfolgreich Alben aufnahmen. Zunächst begnügten sich Kitty, Daisy & Lewis Durham mit originellen Cover-Versionen aus dem Rockabilly-, Rhythm & Blues- und Pop-Universum, später schufen sie auch eigene Kreationen mit Retro-Charisma, die tanzbar, aber nicht zu glatt produziert wurden.

    Nun sind die Teenager von einst erwachsen geworden und genauso hört sich "Easy Tiger", das Solo-Debüt von Kitty Liv, an. Der Ausspruch "Easy Tiger" ist gebräuchlich dafür, wenn wir möchten, dass sich jemand beruhigt, nicht überreagiert oder etwas nicht überstürzen soll. In diesem Sinne sind die von Kitty interpretierten Stücke als gepflegtes Entertainment, ohne Aggressionen oder musikalische Experimente, anzusehen. Die erfahrene Musikerin bedient ein weites Spektrum an persönlichen Vorlieben und setzt ihre wohlklingende, kräftig-frische Stimme als kenntnisreiche Botschafterin von Vintage-Klängen ein. Sie orientiert sich dabei an bewährten Mustern, die aus der Plattensammlung ihrer Eltern und aus eigenen Erfahrungen entspringen. Kitty Liv betätigt sich aus diesen Eindrücken heraus als Retro-Pop-Allrounderin und präsentiert zehn selbst verfasste Liebes(leid)lieder, von denen einige inhaltlich von Tragik gekennzeichnet sind. Musikalisch und produktionstechnisch wird sie dabei tatkräftig von ihrem Bruder Lewis unterstützt.

    Der laszive Überbau von "Sweet Dreams" legt sich auch auf die Stimme von Kitty, ohne dass sie in billigen Sex-Kitsch verfällt. Sinnlichkeit und Verführungskunst sind es, die die Emotionen hier zum Glühen bringen. Der Track groovt aufreizend-fordernd, ohne ungezügelt überzukochen. Es bleibt dennoch genügend Raum für schlüpfrige Fantasien übrig. Pop und Funk suchen nach einem Spielplatz, auf dem sich Eleganz, Verlangen und purer Spaß vereinen und unbeschwert auslassen können.

    Was sich als fröhlich-frecher, geradezu alberner Pop-Song herausstellt, versteckt textlich einen ernsten Hintergrund. Bei "Neck On The Line" heißt es nämlich: "Du sagst, du willst mit mir zusammen sein. Aber dann ziehst du dich zurück und führst mich in die Irre. Wenn du nicht willst, dass ich dich hasse, dann schlage ich vor, dass du aufwachst und aufhörst, meine Zeit zu verschwenden."

    "Und ich brauche keine Droge. Nur einen Kuss und eine Umarmung". So bescheiden, reduziert auf die wichtigen Dinge im Leben zeigt sich Kitty Liv in "Comin’ Up". Der Song rochiert mit stilistischen Kabinettstückchen: Ein verlockender Gummiband-Bass; Gitarren, die Folk-, Country- und Jazz-Aromen einfließen lassen; ein Schlagzeug, das flexibel als Klebemittel zwischen den Einfällen fungiert und eine Stimme, die bei aller Vielfalt locker und gelöst bleibt - das sind die reizvollen Zutaten zu einem beschwingten Pop-Song, dessen Bestandteile aus der Pop-Geschichte schmackhaft zusammengetragen wurden, ohne dass das Ergebnis umständlich oder verworren wirkt.

    Das ist tragisch: "Ich will dich nur, um mich vor der Einsamkeit zu retten", gesteht die Protagonistin am Anfang von "Nothing On My Mind (But You Babe)". Dann gibt sie zu, dass sie abhängig von seiner Liebe geworden ist. Diese Problematik wird in einen flotten Philadelphia-Soul gekleidet, der keinen Zweifel an dem vorgetäuschten starken Willen aufkommen lassen soll. Ein toller, hochenergetischer Song!

    Manchmal scheitern Beziehungen daran, dass sich die Partner unterschiedlich (schnell) entwickeln. Bei "The River That Flows" scheint solch ein Fall vorzuliegen: "Und ich kann nicht mehr so sein wie früher. Und es hat keinen Sinn, sich zu beschweren, wenn die Welt sich ständig verändert." Dieses Lied bezieht sich auf Country-Folk- und Country-Swing-Wurzeln und kommt sowohl nachdenklich als auch beflügelt daher.

    Der Funk von "The Sun And The Rain" hinterlässt einen unverbindlichen Eindruck. Er ist weder federnd-galant (wie bei Little Feat), noch dreckig-bissig (wie der von Betty Davis), sondern beherrscht-zurückhaltend. Deshalb bekommt er das Attribut "Weder Fisch noch Fleisch". Das passt zu dem unkritischen Text, der sich lediglich mit einer Schilderung über die Sehnsucht nach dem Angebeteten und der Angst vorm Verlust beschäftigt.
    Meine Produktempfehlungen
    • Smoking In Heaven (Limited Edition) (Pink Smoke Vinyl) Smoking In Heaven (Limited Edition) (Pink Smoke Vinyl) (LP)
    • Kitty, Daisy & Lewis (Limited Edition) (Half White / Half Black Vinyl) Kitty, Daisy & Lewis (Limited Edition) (Half White / Half Black Vinyl) (LP)
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    • Superscope Kitty, Daisy & Lewis
      Superscope (CD)
    • Singles Collection Kitty.Daisy & Lewis
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    Discipline (40th Anniversary Edition) King Crimson
    Discipline (40th Anniversary Edition) (CD)
    12.09.2024
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    King Crimsons Reinkarnation von 1981 fällt mit "Discipline" sowohl zeitgemäß als auch retrospektiv aus.

    Robert Fripp hatte seine vom Ende der 1960er-Jahre bis Mitte der 1970er-Jahre erfolgreich agierende Künstlervereinigung King Crimson 1981 namentlich und Tonträger-technisch auferstehen lassen. Charakteristisch für die Gruppe war immer, dass man von LP zu LP neue Wege beschritt und dadurch auch oft die beteiligten Musiker wechselten - das galt auch für das Reunion-Album "Discipline".

    Bei "Discipline", dem achten Album der Formation, bestand die Band aus der einzigen Konstante und dem Mastermind Robert Fripp (Gitarre), dem ex-David Bowie-, ex-Frank Zappa- und ex-Talking Heads-Sideman Adrian Belew (Gesang und Gitarre). Bill Bruford aus der letzten King Crimson-Besetzung am Schlagzeug und Tony Levin am Bass, der unter anderem für Jazz-Flötist Herbie Mann und Peter Gabriel tätig war, komplettierten die Besetzung.

    Die Kompositionen schöpften 1981 aus bewährten Tugenden und aktuellen Einflüssen, die zu einem unverwüstlich stabilen Klangbild verschmolzen wurden. Das Werk knüpft zum Beispiel grundsätzlich an die kraftvollen Ausbrüche und gelegentlich an die sensiblen Momente von "Red" - der letzten King Crimson Studio-Platte von 1974 - an und zeigt sich auf den sieben, vorwiegend furios-hitzigen Tracks rhythmisch wilder, herausfordernder und komplexer denn je. Wobei Adrian Belew mit seinem seltsam-exzentrischem, überdreht-besessenem Gesang und seinem schrillen Gitarrenspiel besonders frenetisch-auffällig hervorsticht.

    In Anlehnung an ursprüngliche afrikanische Folklore und improvisiertem Rock entstand "The Sheltering Sky". Der Track bildet somit eine Brücke, die eine historische Musikauffassung mit dem systematischen, mehrschichtigen Aufbau von King Crimson-Stücken und den elektronischen "Frippertronics"-Loops von "No Pussyfooting" von Fripp & Eno aus 1972 verbindet. Die erzeugte Stimmung wurde vom Roman "Sheltering Sky" (deutsch: "Himmel über der Wüste"), den der zur Beat-Generation zählende Autor Paul Bowles 1949 schrieb, inspiriert. In dem Buch, das 1990 von Bernardo Bertolucci verfilmt wurde, geht es im Kern um ein reiches Paar mit Eheproblemen auf der Selbstsuche in der nordafrikanischen Wüste.

    Der nervös-monoton getaktete Titel-Song ist wiederum ein stilistisches Überbleibsel der schrillen, tanzbaren "League Of Gentlemen"-LP, die Robert Fripp im Februar 1981 herausbrachte. Der Titel wurde nicht grundlos gewählt, denn jeder Musiker sollte bei diesem Stück, das etliche Taktwechsel durchläuft, eine gleichberechtigte Rolle einnehmen, sich also nicht in den Vordergrund spielen. Fripp hatte diese Vorgehensweise von der indonesischen Gamelan-Musik gelernt.

    "Matte Kudasei" (was "bitte warten" auf Japanisch heißt) ist dagegen eine flirrend-sphärische, ergriffen-pathetische Ballade, die sich an "North Star" vom Robert Fripp-Album "Exposure" aus 1979 orientiert und die Sehnsucht nach der Heimkehr eines geliebten Menschen zum Thema hat.

    Einige Tracks stehen unter dem Einfluss des schwirrend-schreienden E-Bow-Gitarrenstils von Adrian Belew, wobei besonders das schwindelerregend kreiselnde, hart rockende "Elephant Talk" mit einem einnehmenden Hochdruck-Energie-Level zu überzeugen weiß. Belew schmeißt mit seinem panisch-klaustrophobischen Gesang etliche Begriffe fürs "Reden" in die Runde und endet bei jedem Vers mit der Bemerkung "Es ist nur Gerede". Man kann den Song also auch als ein Plädoyer zum Handeln, statt zum endlosen Diskutieren verstehen.

    Das schweißtreibend groovende "Thela Hun Ginjeet" war stark von den Talking Heads zu Zeiten von "Fear Of Music" (1979) und "Remain In Light" (1980) mit dem dort vorherrschenden, brodelnden Afro-Funk inspiriert. Inhaltlich stellt "Thela Hun Ginjeet", das ein Anagramm des Originaltitels "Heat In The Jungle" darstellt, eine Verarbeitung des Mordes an John Lennon dar.

    "Frame By Frame" gebärdet sich zunächst als hyperschnell ablaufender, irrwitzig ungestümer Jazz-Rock-Track. Er bekommt allerdings kurz vorm Bersten balladeske Einschübe zugewiesen und dieser Wechsel zwischen Höchstgeschwindigkeit und Ruhephase erfolgt danach erneut. In dem Text scheint es um Überforderung zu gehen ("Tod durch Ertrinken (von innen). In deiner eigenen, in deiner eigenen Analyse)."

    "Indiscipline" braucht eine Weile, um von einer Free-Jazz-ähnlichen Selbstfindungsphase zu einer konzentriert-straffen, fortschrittlich-experimentellen Art-Rock-Einstellung zu finden. Aber dann überrollt der Track einen mit seiner brachialen Gewalt, die einige Heavy-Metal-Bands wie unschuldige Chorknaben dastehen lassen. Die Poesie wurde von einem Brief, den Adrian Belews damalige Frau an ihn schrieb, beeinflusst. Darin ging es darum, was ihr beim Malen so alles durch den Kopf gegangen war.

    Auf manche Personen wirkt "Discipline" kalt, von instrumentaler Perfektion geprägt und erscheint dadurch eventuell emotional unnahbar. Zugegeben: "Discipline" ist ein von virtuosen Musikern eingespieltes, handwerklich überragend gestaltetes und dadurch unglaublich sauber klingendes Album geworden. Aber es ist auch lebendig-ungestüm und fängt den Zeitgeist des in den frühen 1980er-Jahren angesagten, hektisch-nervösen New-Wave-Sounds ein. Dabei bezieht es sich auf die Avantgarde dieser Bewegung. Dadurch verschmilzt es auf kaum nachahmungsfähige Weise die Komplexität des Art-Rocks mit der unbekümmerten, Stil-unabhängigen Ausgelassenheit des Post-Punks.

    Der Zahn der Zeit konnte der Musik wenig anhaben. Wenn man bereit ist, sich auf Sounds, die zwischen Jazz-Rock, Minimal-Art und New Wave angesiedelt sind, einzulassen, dann erstaunt die Platte immer noch und immer wieder aufgrund ihres Einfallsreichtums, der handwerklichen Präzision und der gezielten Klang-Provokationen. Das Werk stellte damals den Anfang und den Höhepunkt einer 1980er-Trilogie dar, zu der noch die gleichartigen Platten "Beat" (1982) und "Three Of A Perfect Pair" (1984) gehören.

    Adrian Belew schwärmte später immer noch von den Einspielungen für "Discipline": "Ich denke, es war damals wahrscheinlich die beste Band der Welt! Es war einfach die perfekte Besetzung und die perfekte Kombination aus allem: hart, leicht, lustig und düster. Ich finde einfach, dass diese Band etwas absolut Wunderbares hatte". Die Aufnahmen von "Discipline" wurden mehrfach in unterschiedlichen Ausprägungen wiederveröffentlicht. So auch zum vierzigsten Jubiläum im Jahr 2021 als von Steven Wilson technisch überarbeitete Doppel-CD mit Bonus-Tracks. Dazu gehören alternative Mixe und Aufnahmen aus der "Old Grey Whistle Test"-Show vom BBC.
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    • April 12, 2003 At Matsumoto Bunka Kaikan (SHM-CD) (Digisleeve) (The King Crimson Collectors Club) April 12, 2003 At Matsumoto Bunka Kaikan (SHM-CD) (Digisleeve) (The King Crimson Collectors Club) (CD)
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      Red (50th Anniversary Edition) (2024 Steven Wilson Remix) (CD)
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      Beat (40th Anniversary Edition) (200g) (LP)
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      USA (50th Anniversary) (200g) (Limited Edition) (Blue Sparkle Vinyl) (LP)
    • The Complete 1969 Recordings King Crimson
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    Mediations Of Love Susanna
    Mediations Of Love (CD)
    12.09.2024
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Susannas Überlegungen zur Aufrechterhaltung von Liebe wurden von Selbstreflexionen und Assoziationen geprägt.

    Ist jegliche Art von Musik Gebrauchsmusik? Es gibt Verbrauchs-fördernde Töne, die das Konsumverhalten beeinflussen sollen. Es gibt aus psychologischen Gesichtspunkten erschaffene, beruhigende Klänge, um den Menschen beispielsweise die Angst beim Fahrstuhl fahren zu nehmen. Es gibt Telefonwarteschlangenberieselung, die die Leute in der Leitung halten soll (das funktioniert eigentlich nie, weil das Gedudel permanent nervt). Es gibt extrem einfach strukturierte Lieder, die für gute Laune bei Personen sorgen sollen, die sich eigentlich gar nicht ernsthaft für Musik interessieren. Diese dienen dann oft zur Ablenkung von zumeist stupiden Tätigkeiten, wie Auto fahren oder Hausarbeit. Und es gibt Kompositionen, die bei der Beschäftigung mit ihnen die Seele fliegen lässt. Sie sorgen dafür, dass Emotionen Purzelbäume schlagen und der Verstand in Schwingungen gerät. Was bestenfalls zu bewusstseinserweiternden Zuständen führen kann.

    Und dann gibt es Susanna Karolina Wallumrød aus Norwegen, die unter ihrem ersten Vornamen, als Susanna And The Magical Orchestra, als Susanna & The Brotherhood Of Our Lady oder als Susanna & David Wallumrød und in einigen anderen Ausprägungen seit dem Jahr 2000 zweifellos zur letztgenannten Gruppe gehört. Denn sie füllt ihre Nische mit bester, anspruchsvoll-attraktiver Unterhaltung aus. Susannas kluge, künstlerisch wertvolle Arbeiten beschäftigen sich zum Beispiel mit der Poesie von Baudelaire und setzen Maßstäbe, weil sie Brücken zwischen der sogenannten E-(rnsten) und U-(nterhaltungs)-Musik bauen. Gleichzeitig wird klar, dass es sich bei der Kategorisierung nach U- und E-Musik sowieso um überflüssige Definitionen handelt, weil jede Form von anregender Musik auch Unterhaltungsmusik ist. Denn auch sie hat für ihre Hörerschicht definitiv einen hohen Unterhaltungswert, den man sich aber ohne Vorkenntnisse im Zweifel durch Lerneffekte aneignen muss.

    Susanna geht für "Meditations On Love" neue Wege. Schon 2018 begann sie mit dem Schreiben der Lieder für die aktuelle Veröffentlichung, bei der sie nicht wie bisher ins Studio ging, um dort ohne Umschweife ihre Vorstellungen umzusetzen. Sie konsultierte stattdessen Juhani Silvola, einen finnisch-norwegischen Produzenten und Musiker, der dabei half, einen erkenntnisreichen Kreativitätsprozess in Gang zu setzen. Dieser zauberte eine eigentümlich-sonderbare Stimmung hervor, weil exaktes Songwriting und experimenteller Einfallsreichtum gewinnbringend zusammengebracht wurden. Der Tontechniker, Musiker und Produzent Marcus Bror Forsgren, der Mixer Bård Ingebrigtsens und ausgewählte Gastmusiker hauchten dann diesen Ideen im Studio Paradiso in Oslo ein interessantes Leben ein.

    "In vielerlei Hinsicht war der Aufnahmeprozess von "Meditations On Love" ähnlich wie der Schreibprozess, bei dem es viel zu schnitzen gab, und viel zu versuchen, Dinge herauszufinden, die am Ende etwas anderes waren als das, was ich zuerst dachte", berichtet Susanna. Bei den Songs geht es grundsätzlich um die Schwierigkeiten, eine Liebe aufrechtzuerhalten. Das Front-Cover des Albums wurde von Ingrid Torvund gestaltet und zeigt Fantasie-Gestalten oder vagabundierende Seelen, die sich schwebend in einem zentrifugalen Sog-Zustand zu befinden scheinen. Das könnte ein Ausdruck des Taumelns und der Hilflosigkeit sein, dem man manchmal in Liebesdingen schutzlos ausgeliefert ist.

    Mit "Everyone Knows" bekam das Werk dann eine Eröffnungsnummer zugeordnet, die schlagartig die veränderte Ausrichtung von Susannas Arbeitsvorgehen dokumentiert, illustriert und visualisiert: Blasinstrumente summen herum wie aufgescheuchte Bienen, gediegene Percussion-Werkzeuge und der voluminöse Bass bemühen sich um Konturen und Susannas Stimme fängt die entstandene lebhaft-freigeistige Stimmung mit einer nordischen Selbstbeherrschung ein. Das Ausströmen der eventuell als wunderlich empfundenen Töne erhält dadurch eine beherzt zupackende Charakter-Eigenschaft. Das Zusammenspiel von neugierigen, mutig agierenden Instrumentalisten und einer Sängerin, die menschliche Regungen unverstellt-empathisch abbilden kann, führt unweigerlich zu einer prickelnd-intensiven Darstellung origineller Kompositions-Kunst. Der Text reflektiert die zugrunde liegende Situation, wenn das Umfeld davon weiß, dass der Partner jemand anderen hat und du keine Ahnung hast, wie damit umzugehen ist.

    Bei "Big Dreams" lässt Susanna ihre Keyboards eine Besorgnis erregende, monoton-stumpfe Atmosphäre aufbauen. Dabei wiederholt sie die Zeile "I Have Big Dreams For You" häufig und mit wechselnder Betonung unterschiedlicher Worte. In dieses hypnotisch gestaltete Szenario fährt ein außer Rand und Band geratenes Saxophon kurz dazwischen. Ansonsten herrscht eine manipulative, meditative Ausrichtung des Stückes. Veränderung, Sehnsucht, Hoffnung und Angst, das sind die großen Gefühle, die viele Träume begleiten und die hier in einen Zusammenhang gebracht werden.

    Für "Leave Behind" wird das Gefühl "Kummer" in Worte gefasst: "Wird es Hoffnung geben. Wird es Liebe geben. Wird es Vertrauen geben. Ein Platz zum Ausruhen." Die Musik erzeugt dazu eine bleierne Schwere, die von glänzend-hellen Tönen durchbrochen wird, denn die Zuversicht stirbt bekanntlich zuletzt.

    "I Took Care of Myself" zeigt den Weg heraus aus der Krise auf: "Ich habe mich um mich selbst gekümmert. Ich stand auf und ging." Entsprechend euphorisch gelingen die Ton-gebenden Begleitungen zur aussichtsvollen Poesie: Eine spiralförmige Synthesizer-Dauerschleife versucht sich gegen neue Einflüsse zu wehren, aber alles drumherum klappert, klingelt und trommelt glückselig, sodass die verinnerlichten, sich gegen Veränderungen wehrenden Mechanismen keine Chance bekommen, sich durchzusetzen. Besorgniserregend ist allerdings, dass jede Strophe mit der Zeile "Es ist Zeit zu gehen" endet.

    Im Prinzip ist "Black Heart" eine lupenreine Ballade, nur geht es hier nicht offensichtlich um eine Liebesbeziehung. Das Stück führt gedanklich heraus aus der Dunkelheit und hinein ins Licht. Die musikalische Untermalung tendiert dabei allerdings eher zu bedrohlichen Tönen, was sich über die gesamte Laufzeit von fünf Minuten auch nicht auflöst.

    Der Begriff des (Überlebens-)Kampfes findet in den Texten von Susanna mehrfach Verwendung. Im "Elephant Song" geht es vorwiegend um die Überwindung von körperlichen Beeinträchtigungen durch (vermutlich) psychischen Stress. Dazu zählen zum Beispiel eine eingeschränkte Atmung oder Sprache oder ein gestörter Schlaf. Susanna hat eine Lyrik ersonnen, die diesen Schwierigkeiten vergleichbare, nachvollziehbare Qualen zur Seite stellt. Die Behinderung der Sprachfähigkeit wird beispielsweise als "Meine Worte bluten in Klang und Gefühl" beschrieben. Saxophon und Piano "reden" dabei ausdrucks-technisch aneinander vorbei. Susannas Sprechgesang scheint darüber hinaus in einer anderen Ebene unterwegs zu sein, sodass Stimme und Instrumente nicht direkt zueinander finden. Das wird erst harmonischer, als Streicher und Trommeln die gegenläufigen Strukturen ausgleichen.

    Es gibt Menschen, die behaupten, das ganze Leben sei ein Kampf. Diesen Gedanken nimmt "Battles" auf und definiert: "Es gibt all diese Schlachten. Kämpfe der Macht und Schlachten der Liebe. Schlachten der Freundschaft und Schlachten der Gelübde". Bei allen diesen "Kämpfen" sollte man zwischen internen und externen Diskrepanzen unterscheiden. Also denjenigen Auseinandersetzungen, die man mit Institutionen oder der Gesellschaft austrägt (wie zum Beispiel Machtkämpfe) und den internen Unstimmigkeiten mit verbundenen Personen, wenn es um Freundschaft und Liebe geht. Die letztgenannte Form sollte man besser in die Kategorie "Bemühung" statt "Kampf" einsortieren. Denn nur, wenn man sich nicht mehr um eine Freundschaft oder Liebe bemüht, ist sie wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt. Deshalb wird der Motivation zur Rettung von wichtigen Beziehungen auch ein Glaubenssatz mitgegeben: "Was ist deine Quelle der Hingabe oder Wahrheit". Die Klänge wogen melancholisch hin und her und geben keine Hilfestellung zur Entscheidung ab, sind aber Grundlage der Überlegung, was einem im Leben wirklich wichtig sein sollte.

    Sind es rückwärts laufende Aufnahmen oder warme Holz-Bläser, die "A Swallow" einleiten? Diese Töne werden zur Verstärkung ihrer Wirkung von orientalisch klingendem Synthesizer-Rauschen begleitet. Wenn dann Susannas traurig-stockende Stimme einsetzt, stehen ihr ein eigenwillig klimperndes Piano und sich zurückhaltende, kratzige, gegen den Strich gebürstete Streicher als Begleitung zur Verfügung. Das Wechselspiel zwischen instrumentalem Klang-Teppich und gesanglicher Tristesse-Bekundung wird im Anschluss weiter fortgesetzt. Wobei sich sphärisch-meditative und melancholisch-aufreizende Schwingungen gegenseitig zu Gunsten einer intim-mystischen Atmosphäre annähern. Daneben finden mehrdeutige Text-Passagen ihre Entsprechung: Der ausgiebig benutzte Ausruf "Hey-ho" wurde in der Vergangenheit sowohl in der englischen Sprache als Ausdruck der Freude und Begeisterung herangezogen, als auch bei Seeleuten zur Motivationssteigerung bei der Arbeit am Schiff verwendet. Weder ein Ausdruck für pure Freude noch eine leistungssteigernde Wirkung kommt jedoch in Reinkultur im Rahmen der Poesie von "A Swallow" infrage. Zwar wird die Schönheit von Naturphänomenen erwähnt, im Mittelpunkt steht aber die Problematik der Vergänglichkeit, die auch den Inhalt des nächsten Liedes prägt.

    Provozierend-sperrige und zerrend-disharmonische Saiten-Instrumente sowie aus der Reihe tanzende, den ungezügelt herumstreunenden Takt unterstützende Elemente buhlen bei "Where Has The Love Gone" nach Aufmerksamkeit. Susanna setzt diesem tolerant-forschen Treiben ihren harmonischen und hymnisch übersteigerten Gesang selbstbewusst entgegen. Auf die Frage, wo die Liebe geblieben ist, sucht die Norwegerin nach Antworten in der Natur ("Ich schaue hinauf zu den Bäumen um etwas Erleichterung zu finden. Das Grün gibt Ruhe.") und stellt schließlich als Trostpflaster fest: "Eingehüllt in eine samtene Nacht fühlt sich das Herz ungebunden."

    "I Was Never Here" ruft vielerlei Assoziationen an die wunderbaren, originellen Kreationen von David Sylvian und seiner Formation Japan hervor: Ein fremdartig-seltsames Tempelglöckchen-Ambiente, als Gegengewicht dazu ein unbequemer Blech- oder Holzblas-Einsatz und Sternschnuppen-artiges Auftauchen von vorbeihuschenden Synthesizer-Effekten sprechen eine eindeutige Sprache. Das Leugnen von Erlebnissen im Text ist hier eine Option für den Selbstschutz, um mit den schädlichen Auswirkungen von unangenehmen Erfahrungen fertig werden zu können.

    Auch Susannas Musik ist in letzter Konsequenz natürlich Gebrauchsmusik. Die Lieder von "Meditations On Love" können für unterschiedliche Gelegenheiten Verwendung finden: Zur Vertonung von Filmen oder sich in unbekannte Welten entführen zu lassen. Dann auch, um sich von der wechselnden Dynamik faszinieren oder von einer zauberhaften Stimme berauschen zu lassen. Das funktioniert sogar im Sommer, wenn man sich darauf einlässt. Und das, obwohl die langsamen, stimmungsvollen Lieder auf den ersten Blick eher in die kalte, dunkle Jahreszeit zu gehören scheinen.

    Die Kompositionen "funktionieren" eigentlich überall und jederzeit, weil sie von erhabener Schönheit, kristallener Klarheit, luftiger Transparenz, erstaunlicher Exotik, vielversprechender Sinnlichkeit und origineller Faszination sind. Bei den Songs fusioniert häufig eine melodische, träumerisch-verspielte mit einer experimentell-exotischen Komponente.

    Susanna und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter haben mit "Meditations On Love" Klänge erschaffen, die die Schattenseiten und die schöpferische Kraft der Liebe miteinander versöhnen. Sie manifestieren auf diese Weise eine eindringliche und eine mitreißende Leistung und erschaffen bemerkenswerte, überzeugende, nachdrücklich begeisternde Kunst.
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    Natural Natural (CD)
    04.08.2024
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    DER Soundtrack für einen endlosen Sommer.

    Musik wie eine sanfte, warme Brise. Wie das Abbild der perfekten Entspannung und des wohligsten Momentes, den man sich vorstellen kann. Musik wie Milch und Honig. All das verkörpert "Natural", das fünfte Album des Brasilianers Celso Fonseca. Hier findet eine zarte Verführung der Sinne statt, die wie ein heilsamer Traum aus Noten gestaltet ist, wodurch eine total harmonische Verbindung mit dem Universum entsteht. Bossa Nova, Samba und Cocktail-Jazz dienen als Schmiermittel für diesen akustischen Seelenbalsam, der Herz und Hirn betört.

    Der 1956 in Rio de Janeiro geborene Musiker, der die Talente Komponist, Produzent, Gitarrist und Sänger in einer Person vereinigt, beschloss mit 19 Jahren Profimusiker zu werden. 1986 erschien landesweit Fonsecas erstes Album "Minha Cara" (= Mein Herz). Er bezieht sich stilistisch von jeher auf die Großmeister des Bossa Nova. Baden Powell war sein Vorbild, Antônio Carlos Jobim verehrt er und mit Gilberto Gil, Milton Nascimento und Bebel Gilberto arbeitete er zusammen. Darüber hinaus pflegt Celso eine eigentümliche, leise, leichte und kunstvolle Arrangement-Handschrift.

    Für "Natural", sein erstes international veröffentlichtes Album, singt Celso Fonseca mit einschmeichelnder Stimme in Portugiesisch und Englisch und versteht es meisterlich, die Songs transparent und gleichzeitig volltönend klingen zu lassen.

    "Bom Sinal" (= Gutes Zeichen) ist ein Vorzeigestück, wenn es um die Demonstration von eingefleischter Gelassenheit, unterschwelliger Sinnlichkeit und luftig-raffinierte Komponier Kunst geht. Die nach natürlichen Materialien klingenden Percussion-Instrumente streben nach einer Darstellung der Verwurzelung von Mensch und Umwelt. Bass und Piano legen eine Spur zum Jazz, der sich hier in den Dienst des luxuriösen Easy-Listening stellt. "Mit dir ist die Freude hier, um zu bleiben", singt Celso und diese Zufriedenheit überträgt sich auf jede Note.

    "Sem Resposta" (= Keine Antwort) ist eine nur mit dynamischer Akustik-Gitarre und Bass ausgestattete Nummer, die das ganze Entertainment-Potenzial von Celso offenbart. Trotz der puristischen Begleitung glänzt er als souveräner, die Aufmerksamkeit auf sich ziehender, fesselnder Entertainer, der das schmerzliche Thema "Trennung" trauernd, aber einigermaßen gefasst vermittelt.

    "A Origem da Felicidade" (= Der Ursprung des Glücks) benutzt anfangs elektronische Effekte zur Steigerung der Aufmerksamkeit, bleibt aber stets der sowohl melancholischen als auch lebhaften Bossa Nova verbunden. Celso kommt hier zu der Erkenntnis, dass Freude der Ursprung des Glücks sei.
    "The Night We Called It a Day" ist ein Jazz-Standard aus dem Jahr 1941, bei dem sich Jazz-Chanson und Samba innig unter hinlänglich bekannten, romantischen Bedingungen küssen. Dazu passt, dass Frank Sinatra ihn auf seinem ersten Album aufnahm. Aber die Romantik bekommt deutliche Risse, wenn man sich dem Text nähert, denn es gibt kein Happy-End: "Der Mond ging unter, die Sterne waren verschwunden. Aber die Sonne ging nicht mit der Dämmerung auf. Es gab nichts mehr zu sagen."

    Trotz des Namens ist hier gar nichts krumm oder schief: "Meu Samba Torto" bedeutet nämlich "Meine krumme Samba". Ganz im Gegenteil: Der Titel läuft angemessen kräftig swingend und in beinahe flotter Geschwindigkeit durch und dient als Stimmungsaufheller.

    Die Dunkelheit legt ihre schützende Hand über alle verlorenen Seelen, die in der Nacht Geborgenheit und Schutz suchen. Das "Febre" (= Fieber) ihrer Wünsche und Sehnsüchte kann sie aber nicht lindern. Eine einsame Trompete steht stellvertretend für alle Melancholiker und Celso nimmt sie zärtlich-verständnisvoll gesanglich in den Arm. Dieses Fieber ist ein Fieber der Sehnsucht.

    Das Instrumental-Stück "Consolação"(= Trost) schafft eine Verbindung zwischen Samba und Folk-Jazz, wie ihn die britischen Pentangle (Jacquie McShee (Gesang), Bert Jansch (Gesang, Gitarre), John Renbourn (Gesang, Gitarre), Danny Thompson (Bass) und Terry Cox (Schlagzeug)) Ende der 1960er/Anfang der 1970er gespielt haben. Struktur trifft auf Improvisation, Freidenken auf Tradition. Das klingt, als würde Drogen verhangener Hippie-Folk freundlich mit konservativem Mountain-Folk fusionieren.

    Für den schwungvollen Samba "She's A Carioca" (Carioca = Einwohner von Rio de Janeiro) stimmt Celso Fonseca ein Duett mit der brasilianischen Sängerin Cibelle an, bei dem diese mindestens gleichberechtigt ihre verführerische Stimme einbringt, was die Luft lustvoll knistern lässt.

    "Teu Sorriso" (= Dein Lächeln) zollt der ursprünglichen Folklore Brasiliens Tribut, denn der Song beginnt mit einem Berimbau-Solo. Da ist die sogenannte "Maultrommel des Bauches", ein Saiteninstrument, das einen Flaschen-Kürbis als Resonanzkörper hat und schnarrend-blubbernde Töne von sich gibt. Diese Ballade verbindet unorthodox das traditionelle und moderne Brasilien miteinander. "Mache mein Herz glücklich. Bring das Licht deines Lächelns zurück zu mir", singt Celso flehentlich.

    Nomen est Omen: "Slow Motion Bossa Nova" hält, was der Name verspricht und ist eine Verneigung vor den wegweisenden Musikern, die die Bossa Nova in den 1950er Jahren ersonnen und in den 1960er Jahren bekannt gemacht haben. In dieser Hommage erklärt Fonseca, dass die Wirkung von Bossa Nova und Samba bei ihm zum Seelenfrieden geführt hat.

    Die herausragende brasilianische Sängerin Dalva de Oliveira (1917 bis 1972) war über Jahrzehnte ein Star in ihrem Heimatland. Ihr Leben verlief skandalträchtig und tragisch. Von der bürgerlichen Fraktion verachtet, aber von Außenseitern geliebt, wurde sie zum Idol für Bevölkerungsgruppen, die oft im Abseits stehen. Das lebensfrohe "Minha Dalva de Oliveira" erinnert an diese standhafte Künstlerin und setzt ihr ein Denkmal.

    Der zweite Instrumentaltitel "Butéco 2" lässt das E-Piano gegen die akustische Gitarre und die Percussion im Wettstreit um das dominanteste Instrument antreten. Das ist mehr Jazz als Samba, bewegt sich aber locker im tonalen, rhythmisch aktiven Bereich.

    Dieses schwerelos-weich klingende, kompositorische, melodische und gesangliche Wunderwerk scheint aufgrund seiner erhabenen Eleganz und meditativer Ausgeglichenheit nicht von dieser Welt zu sein, so betörend, zum Niederknien schön tönt es aus den Lautsprechern und verzaubert jeden Augenblick, dem man sich der Musik widmet, in einem unbeschwerten Sommertag. Unglaublich wohltuend und inspirierend! Die wunderbare Musik von Celso Fonseca ist hierzulande immer noch ein gut gehütetes Geheimnis. Wird Zeit, dass es endlich gelüftet wird!
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    21.07.2024
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    XTC: Nie waren sie wertvoller als heute.

    Ein Griff in die Schatzkammer brillanter Pop-Musik: Mit "English Settlement" bescheren uns die britischen Oberintellektuellen um Andy Partridge und Colin Moulding ein Ausnahmewerk an Präzision und Einfallsreichtum. Ein Füllhorn erlesener Melodien ergießt sich über die Hörerinnen und Hörer. XTC beherrschen ihr Metier, bei dem sie Pop und Kunst in eine schwindelig werden lassende Kompositionsvielfalt einbeziehen, perfekt: Die Songs wurden originell und effektvoll arrangiert. Tempowechsel werden dabei dezent vorgenommen, sodass nie der ästhetisch kribbelnde Art-Pop-Rahmen gesprengt wird.

    Das Spektrum der Ausdrucksweise reicht von folkloristisch-leichtfüßigen Liedern ("Yacht Dance") bis zu beschwingt-tanzbarem Material ("Senses Working Overtime"), Ohrwürmer mit Anspruch sind es alle. Es folgt Hit auf Hit.

    Gewohnt intelligent sind auch die Texte. So zum Beispiel bei "Melt The Guns" mit der prägnanten Textzeile "Programmes of violence as entertainment brings the disease in your room." / "Gewaltprogramme als Unterhaltung bringen die (psychische) Krankheit ins Haus".

    "English Settlement" ist ein Meisterwerk - keine Frage. Vielleicht waren XTC sogar die Beatles der 1980er-Jahre. Jedenfalls sind sie nie wertvoller als heute gewesen, weil ihre profunde, melodisch vertrackte Abenteuerlust in den immer seichter werdenden Pop-Charts schmerzlich vermisst wird.
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    Prayers On Fire The Birthday Party
    Prayers On Fire (CD)
    21.07.2024
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Brutalität und Poesie, Hölle und Erlösung: Der Sound von The Birthday Party ist schmerzend intensiv.

    Die australischen The Birthday Party sind 1980 aus The Boys Next Door hervorgegangen und bestanden weiterhin aus Nick Cave (Gesang), Phill Calvert (Schlagzeug), Mick Harvey (Gitarre, Orgel), Rowland S. Howard (Gitarre) und Tracy Pew (Bass). In ihrer Musik verbinden sich zwei Kulturen: Die geheimnisvolle, nach Voodoo-ähnlichen Gesichtspunkten ausgelegte Lebensweise der Urbevölkerung und die hektische, aggressive Welt der Millionenstädte scheinen hier aufeinanderzuprallen.

    Auf dem Debütalbum der Band werden raue, wilde Instrumental-Parts von der ausschweifenden, Gift und Galle kotzenden Vokalartistik von Nick Cave durchzogen ("Zoo Music Girl", "Cry") und es taucht Rock-Avantgarde in der Tradition von Captain Beefheart auf ("Ho Ho").
    Mit "Capers" gibt es ein Stück, das sich an den knurrig-schroffen Kompositionen von Tom Waits orientiert und abarbeitet. "Figures Of Fun" lässt an den unangepasst-eigenwilligen Stil von Pere Ubu denken und wird dementsprechend in Schräglage vorgetragen.

    "Yard" erzeugt eine dämonisch-rabiate Weltuntergangsstimmung und "Just You And Me" ist an die bissigen, ausdrucksstarken Theater-Kompositionen von Bertolt Brecht & Kurt Weill aus den 1920er-Jahren angelehnt worden.

    Jede Beschreibung der Lieder ist falsch und richtig zugleich. The Birthday Party legt sich nicht fest. Ihr Sound kann nicht katalogisiert werden. Das macht sie interessant, einzigartig - und schwierig. Es bereitet zunächst Mühe, ja, strengt körperlich an, ihnen zu folgen und die Platte in einem Rutsch konzentriert durchzuhören. Aber der Aufwand wird entlohnt: "Prayers On Fire" wirkt wie ein reinigendes Gewitter. Nach dieser emotionalen Achterbahnfahrt sieht die Welt gleich ganz anders aus.
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    Fool's Parade Color Green
    Fool's Parade (CD)
    21.07.2024
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Wenn die Narren die Welt beherrschen, dann müssen die Künstler das Ruder in die Hand nehmen. Color Green erschaffen mit "Fool`s Parade" herausragende Qualität unter dem Gütesiegel "Americana".

    Das Quartett Color Green aus Los Angeles in Kalifornien hat ein Luxusproblem: Die Band verfügt über vier gleichwertige Stimmen, die sich den Lead- und Background-Gesang hinsichtlich der gewünschten emotionalen Ausrichtung bestmöglich aufteilen. Für Abwechslung ist also schon alleine deshalb gesorgt.

    Für "Fool`s Parade", dem zweiten Album nach "Color Green" aus 2022, haben sich Corey Madden (Gitarre, Gesang), Noah Kohll (Gitarre, Gesang), Kyla Perlmutter (Bass, Gesang) und Corey Rose (Schlagzeug, Gesang) zur Verfeinerung ihres Sounds folgende Gäste eingeladen: Jonny Kosmo (Klavier), Jon „Catfish“ Delorme (von The Nude Party) (Pedal Steel), Sarah Safaie (Saxofon), Tomas Dolas (von Osees) (Keyboards) und Bill Evans (Banjo), weshalb ihnen bei der Verwirklichung der Einfälle zusätzlich eine große Bandbreite an akustischen Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung stand. Auch dieser Tatbestand verspricht (und hält) eine breite Klangvielfalt.

    Konsequent, druckvoll und kompakt preschen Color Green mit dem Eröffnungs-Stück "Coronado" vor und ziehen sofort alle Register, die für eine überzeugende Wahrnehmung nötig sind. Die sich energisch kreuzenden und ergänzenden Doppel-Gitarren-Akkorde deuten auf Kenntnisse im Garagen- und Southern-Rock hin. Television und The Allman Brothers Band geben Hinweise hinsichtlich der Inspiration. "Coronado" ist ein Song wie ein Befreiungsschlag. Energetisch aufgeladen und inhaltlich verschlungen hat er sogar noch ein gelungenes Wortspiel parat, dass die Erleichterung über das Wegfallen jeglicher Einschränkungen einschließt: "Jetzt verlasse ich Coronado. Ja, ich verlasse Coronado." Die Melodie besitzt die beseelte Freundlichkeit des Country-Rocks und durch gezielte Dynamik- und Tempowechsel verbreitet der Track einen lässig-intelligenten Charme. Eine perfekte Einstimmung!
    "Four Leaf Clover" greift den Schwung von "Coronado" auf und präsentiert sich überschwänglich-selbstbewusst, mit einem unbefangenem, flüssigem, umtriebigem Instrumenteneinsatz als psychedelisierter Folk-Rock. Die Musiker beschwören als biblisches Gleichnis den Garten Eden, der für das gelobte Land im Sinne eines Zufluchtsorts steht: "Im Zentrum von Reichtum, Liebe und Ruhm gibt es einen Garten, dort ist ein Garten, da wächst alles umsonst".

    Das Titelstück "Fool’s Parade" dringt noch weiter in die eigentümlich-verspielte Wunderwelt des Hippie-Sounds vor und lässt die Noten rauschhaft-entrückt tanzen, rotieren und schweben. Eine schöne, bildreiche Poesie begleitet das Lied bei seinem entrückten Trip: "Wer kann die Augen eines Schattens malen? Wer kann die Farben des Regens malen?" oder "Wer kann das Lächeln der Traurigkeit malen? Wer kann die Sterne in unserem Kopf malen?", heißt es da.

    "When The Clouds Roll In" ist ein Musterbeispiel dafür, wie geschickt Color Green scheinbar unpassende Stile und Strömungen dezent-geschmeidig miteinander verbinden können: Es geht zunächst mit lockerem Boogie-Piano-Groove-Pop los. Gelegentlich werden dann immer wieder Southern-, Jam- und Country-Rock-Bestandteile als Ergänzung oder Füllstoff eingebunden, sodass das Stück frische Beweglichkeit und harmonische Wendigkeit beweisen kann. Herannahende Wolken, stärker werdende Winde, sich in Gedanken verlieren und die Abhängigkeit von Naturgewalten spüren - all diese Eindrücke trugen zum Entstehen dieses Liedes bei.

    Zupackender, entschlossen vorwärts treibender Power-Pop zeichnet anschließend "God In A$" aus, ein Track, in dem wieder christliche Symbolik anzutreffen ist. Auf halbem Weg holt die Komposition etwas Atem, um dann druckvoll, mit zweiter Luft, in die Zielgrade einzulaufen.
    Als leiser, langsamer, elektrischer Folk mit einem esoterisch angehauchtem Ambient-Country-Flair entpuppt sich "5:08". Der Song entfaltet dabei eine sanft-melancholische Stimmung mit Sog-Effekt. "Es geht darum, Menschen zu verlieren, die einem sehr nahe stehen, und mit ihnen kommunizieren zu wollen, aber nicht wirklich zu wissen, wie", berichtet Corey Madden. Der emotionale Tiefschlag aufgrund des Todes eines Elternteils zweier Musiker hat schließlich zum Anstoß für dieses traurige Gebilde geführt, bei dessen Einspielung alle Gruppenmitglieder geweint haben.

    "Kick The Bucket" spielt sich zunächst in einem sphärischen, Drogen-vernebeltem Modus ab, gewinnt aber mit zunehmender Spieldauer an Volumen, Vitalität und Aggressivität. Das steigert sich bis zum orgiastischen Abschluss, aus dem die verzweifelte Suche nach Erkenntnisgewinn erneut erwächst.

    Mit "Ball And Key" haben Color Green noch eine zu Herzen gehende, unsentimental mitfühlende Art-Folk-Ballade mit tiefsinnig-kryptischer Lyrik im Köcher, welche nahtlos in "Hazel Eyes" übergeht. Dieser Track steht in der Tradition des Jingle-Jangle-Pop der Byrds und dem College-Rock von R.E.M., bietet also Adult-Pop auf höchstem Niveau. Und es ist wahr, was sie singen: Man kann wirklich den Verstand verlieren, wenn man tief in haselnussbraune Augen blickt.

    Grün ist die Hoffnung. Die Farbe Grün spiegelt das Gedeihen und die Kraft der Natur wider. Grün tut einfach der Seele gut. Warum sich die vier Musiker aber wirklich Color Green genannt haben, bleibt bislang ihr Geheimnis. Was aber kein Geheimnis bleiben sollte, ist, dass sie sich für "Fool`s Parade" einen attraktiv klingenden Americana-Sound ausgedacht haben, der gleichzeitig harmoniesüchtig, herausfordernd, traditionsbewusst und zukunftsweisend ist.

    "Alle Songs wurden gemeinsam als Band geschrieben. Wir waren zu viert in einem Raum und alle unsere Stimmen sind zu hören." Aus dieser Vorgehensweise heraus resultiert ein Sound, der vollmundig, packend, sensibel und klug strukturiert ist. Vorbilder werfen ihren Hut in den Ring, bleiben aber weitestgehend als Zündfunken, nicht als Nachbildung in Erinnerung. Wenn alles gut läuft, werden wir auch in Zukunft noch viel Vergnügen mit Color Green haben.
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    06.07.2024
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Meditation und Hypnose: Die Musiker von Fink ziehen alle Register, um ihrem Publikum einen intensiven Hörgenuss zu verschaffen.

    Das Trio Fink um den unkonventionell und interdisziplinär handelnden Fin Greenall macht es einem mit "Beauty In Your Wake" nicht leicht, weil sich die wahre Schönheit, die hinter den Noten steckt, nur nach und nach unter den richtigen Hör-Bedingungen erschließt. Nebenbei und unkonzentriert lauschen hilft nicht weiter, man muss schon die Muße haben, in die Sounds eintauchen zu können und zu wollen, sonst wird das nix mit einer innigen Beziehung zwischen Ton-Empfänger und Klang-Produzent.

    Als Freunde von minimalistisch-suggestiven Strukturen wissen Fin Greenall (Kompositionen, Gesang, Saiteninstrumente, Keyboards), Guy Whittaker (Bass) (= der Sohn des Schlager-Sängers Roger Whittaker) und Tim Thornton (Percussion, Gitarren), dass je nach Ausgestaltung der Songs - von karg bis üppig - unterschiedlich starke emotionale Bindungen zwischen Hörerschaft und Künstler aufgebaut werden. Die Sound-Exkursionen beinhalten häufig meditative Elemente, welche manchmal sogar mit einem psychedelisch-sphärischen Minimal-Art-Groove ausgestattet sind oder sich als gedankenverloren herumstreunende, epische Balladen herausstellen. Wobei bei jeder Ausprägung akustische und elektronische Töne gleichwertig zum Einsatz kommen können.

    Spätestens seit der akustischen Version von "Bloom Innocent" aus 2019 haben Fink großes Interesse am beinahe nackten, von jeglichem Überfluss befreiten, skelettierten, intimen Sound, der auf die wesentlichen Schwingungen reduziert ist. Die dadurch hervorgerufenen bedächtigen Zustände suggerieren, dass man vermeintlich einen Blick ins Unendliche oder ins Nichts erhascht.

    "Wenn du allein auf dieser Welt wärst, wie würdest du dich nennen? Wenn du die Götter anschreien würdest, wie würdest du sie anreden?". Mit diesen Worten beginnt "What Would You Call Yourself", das Eröffnungs-Stück von "Beauty In Your Wake". Diese Bemerkungen entstehen aus einem Blickwinkel, der Realität und Fantasie miteinander verbindet. Kreativität und Lebenserfahrung gehen durch die Fragestellung zwangsläufig eine platonische Beziehung miteinander ein, um sich am Absurden zu berauschen und den Intellekt zu schärfen. Das Lied "handelt von der Macht der Sprache und auch von der Sinnlosigkeit von Namen, Marken und Gimmicks". Die instrumentale Ausgestaltung zu diesen Überlegungen ist schnörkellos, wirkt hypnotisch und wird erstaunlicherweise nur mithilfe von akustischen Instrumenten hervorgerufen. Ganz in der Tradition von "Music For 18 Musicians" des genialen Minimal-Art-Komponisten Steve Reich, der nicht nur durch dieses Stück für eine künstlerische Revolution in Bezug auf den Zusammenhang zwischen Originalität, Spielfreude, Präzision und Virtuosität gesorgt hat. Fink nutzen den Vorteil, dass sie der Gleichförmigkeit den humanistisch-warmherzigen Gesang von Fin Greenall entgegensetzen können, um jede eventuell individuell wahrgenommene Sterilität im Keim implodieren zu lassen. Der Song nimmt im Verlauf an Intensität und Dichte zu, sodass sich allmählich ein vollmundiger Klang ergibt, der sich auf natürliche Weise weiterentwickelt. Ähnlich wie bei einem Schmetterling, der sich vom unscheinbaren Ei zum anmutig-filigran fliegenden Insekt verwandelt.

    Ganz anders verläuft die Begegnung mit "The Only Thing That Matters", denn der Song erzeugt von vornherein eine milde Besonnenheit mit trotzigen Zwischentönen, warmen Harmonien und melodisch einschmeichelnden Wendungen. Seine Poesie dreht sich einmal mehr um die Schönheit des Erwachens, sowie um das Entfalten der Persönlichkeit und das Entstehen des Lebens. Die akustische Gitarre bereitet mit raffiniert-einfühlsamen Finger-Picking-Kunststücken den Boden für die anmutige Ausbreitung der attraktiv schwelgenden Stimme, die alsbald stabilisierende Schützenhilfe von Bass und Schlagzeug erhält. Dadurch gewinnt der Song an Würze, Kraft und Gewicht.

    "Be Forever Like A Curse" bietet pure Dramatik. Während Fin seine Gefühle im Griff hat und den wehmütigen Gesang kaum emotional anpasst, bauen die Instrumente eine bewegliche Minimal-Art-Struktur auf, die sich stetig hinsichtlich der Lautstärke und Spannung zuspitzt.

    "It's Like You Ain't Mine No More" ist genau genommen dem traditionellen Folk-Song verpflichtet, baut jedoch im Gegensatz zu vielen seiner Artgenossen einen lässigen Groove auf, der ihn in die Nähe von Soul und Funk befördert.

    Mit "Follow You Down" bleibt der manipulative Art-Folk-Gedanke erhalten, es tauchen aber auch neue, erfrischende Tonfarben auf: Der Track kann Wurzeln im Jazz vorweisen, die sich in verspielt-kuriosen Abläufen manifestieren. Die stoische Basis wird dadurch jedoch nicht aufgelöst.

    "I Don't See You As The Others Do" bekommt bei Voraussetzungen, die eine Verwandtschaft zum Vorgänger aufweisen, ein kurzes, stimulierendes E-Gitarren-Solo verordnet, welches das ausgeglichene Stück gegen Ende zum Aufschäumen bringt.

    Wie bekommt man so runde, weiche Klavier-Akkorde hin, wie sie für "One Last Gift" in Dauerschleife beigesteuert werden? Womöglich hat der Produzent Sam Okell, der "Beauty In Your Wake" in einer Kirche in Cornwall aufgenommen hat, dabei seine Erfahrung spielen lassen. Denn er stellte schon als Toningenieur bei einigen Beatles-Remasters und bei Soundtracks wie "The Hobbit" sein Fingerspitzengefühl unter Beweis. Die hier dargebotenen Klänge spinnen die Hörerschaft in einen Kokon aus Tönen ein, der sich wie Seide um die Ohren schlingt und damit die Wirklichkeit in einen behaglichen Nebel taucht. Das macht die Musik in diesen Momenten durch ihre positive Ausstrahlung zum wichtigsten Ereignis im Leben. Denn nach dem Sound-Trip fühlt man sich ein Stückchen entspannter, ruhiger und zufriedener. Widerstand ist bei diesem natürlichen Psycho-Pharmakon ohnehin zwecklos und unnötig.

    Sich respektvoll aus einer heiklen Situation oder einer Beziehung zu verabschieden, verlangt Anstand und Rückgrat. Sollte man beides vermissen lassen, wird man es schwer haben, die Folgen des Handelns schmerzlos aus der Welt zu schaffen. Diese Überlegung ist ein Fragment dessen, was mit "Don't Forget To Leave Well" ausgedrückt wird. Fink fügen sich mit dem Song in eine traditionell wirkende Folk-Spielweise ein, die von Roots-Pop-Merkmalen durchzogen ist: Zärtlicher Harmonie-Gesang, flüssige Töne auf der akustischen Gitarre und eine urwüchsig-autonome Lead-Stimme verbreiten akustische Wertbeständigkeit ohne schräge Auswüchse. Daran kann auch die rebellische E-Gitarre gegen Ende des Stückes nichts mehr ändern.

    Gibt es ein Schicksal oder ist alles vorbestimmt? In "So We Find Ourselves" wird dazu geäußert: "Wohin wir gehen, steht nicht in den Sternen geschrieben. Es steht in unserer wechselvollen Vergangenheit geschrieben". Die Trommeln schlagen einen unruhigen Herzschlagtakt und das Piano weint Noten in Moll. Der leicht gequälte Lead-Gesang wird von volltönend-geistlichen Gospel-Harmonie-Stimmen lieblich abgefedert und gütig aufgefangen. Die Stimmung tendiert somit in Richtung einer mystischen, in sich gekehrten Vortragsweise.

    Mit "When I Turn This Corner" findet "Beauty In Your Wake" einen liebevoll-rührenden Abschluss. "Du bist die schönste Note, die ich spielen werde. Du bist das schönste Lied, das ich singen werde. Und ich werde versuchen, meine Versprechen zu halten", beschwört Fin Greenall demütig-flehend und gleichzeitig eindringlich eine (neue?) Liebe. Die Musiker schöpfen dabei aus dem Repertoire des Chanson-Noir und bringen die Melancholie zum Leuchten.

    Der 1972 in Cornwall geborene, in Bristol aufgewachsene und derzeit in Berlin lebende Finian "Fin" Paul Greenall hat ein bewegtes musikalisches Leben hinter sich: in der 1980er-Jahren tauchte er tief in die Szene von Bristol ein, erlebte das Rare-Groove-Revival sowie Outdoor-Rave-Parties. Tricky und Massive Attack prägten und inspirierten ihn, DJ zu werden. In den 1990er-Jahren weckte elektronische Musik sein Interesse und die nachfolgenden Jahre machten ihn mit Folk und Blues vertraut. Aus diesen Erfahrungen heraus entstand sein eigentümlicher Folk-Tronic-Mix, den er im Jahr 2000 auf seinem ersten Album "Fresh Produce" erstmalig als Fink vorstellte. In der unübersichtlichen Diskografie inklusive einiger Promo- oder Kleinstauflagen ist "Beauty In Your Wake" mindestens das siebzehnte offizielle Werk als Fink, das zwar erfahren-abgeklärt, aber nicht routiniert-berechenbar klingt.

    Fin Greenall hat einen wachen Geist und ist hinsichtlich der Pop-Musik-Geschichte umfassend bewandert. Er ist ein Magier und Schamane, für den Musik Ausdruck der Seele und Kommunikation auf einer höheren geistigen Ebene bedeutet. Ganz nach dem Motto: "Sensibilisierung durch Wiederholungen" laden die Musiker ihre Songs positiv auf.

    Fink praktizieren dieses Mal quasi noch einmal die lyrisch-musikalische Umsetzung und Aufarbeitung dessen, was sich hinter ihrem Album-Titel "Bloom Innocent" als Konzept verbirgt: Das vorsichtige, beinahe unmerkliche Loslösen von klanglichen Aromastoffen, die zu einer Langzeitwirkung mit ständig neu erblühenden Sound-Aromen führt. Fin Greenall zählt John Martyn zu seinen Vorbildern. So wie dieser Folk-Erneuerer strebt auch Greenall ein Song-Erlebnis an, bei dem sich vertraute Töne und mutige Experimente ergänzen, um eine Verbundenheit mit musikalischen Ahnen und die Neugier auf Neues zu befriedigen. Das ist mit "Beauty In Your Wake" unter hauptsächlicher Einbeziehung akustischer Instrumente auf behutsame Weise wunderbar ästhetisch gelungen.
    Meine Produktempfehlungen
    • The LowSwing Sessions (Limited Numbered Deluxe Edition) (45 RPM) Fink
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    01.07.2024
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Vermächtnis und Originalität: Tigran Tatevosyan beherrscht die Traditionen und sucht eigene Wege.

    Tigran Tatevosyan ist ein Wunderkind an den Tasten. Der Armenier begann schon mit sechs Jahren eine acht Jahre dauernde Klavierausbildung, die ihm die klassische Musik näherbrachte. Sein Sinn stand ihm aber auch nach Improvisationen, weshalb er nach seinem Bachelor-Abschluss beschloss, sich dem Jazz zuzuwenden. 2017 schrieb er sich am Rachmaninow-Konservatorium in Rostow, Russland, ein, um einen Master-Abschluss in Jazz-Klavier anzustreben.

    Zu den musikalischen Vorbildern wuchsen in dieser Zeit Oscar Peterson, Herbie Hancock, Chick Corea, Lyle Mays und Keith Jarrett heran, er blieb aber auch Debussy und Rachmaninoff verbunden. 2020 zog Tigran nach Hamburg, wo er am Dr. Langner-Jazz-Master-Programm teilnahm.

    Der Mann mit den flinken Fingern lässt die Töne lebhaft sprudeln oder zieht sich mit tragischen Schwingungen in dunkle Räume zurück. Tatkräftige und sensible Unterstützung gibt es bei diesen Vorhaben ab und zu von seinen Kollegen Ziv Ravitz (Schlagzeug) und Giorgi Kiknadze am Bass.

    Mit "Celebration" feiert Tigran Tatevosyan spritzig-impulsiv das Leben, die Liebe und die Kunst, lässt aber auch nachdenkliche Zwischentöne zu. Das Schlagzeugsolo in der Mitte des Stückes sucht nach Orientierung und bremst sich dafür selbst bis zum Stillstand aus, bevor das Piano den Weg zurück zum Spaß einleitet und es ein ergötzliches "Happy-End" gibt.

    Das ungestüm swingende "Brilliant Corners" von Thelonious Monk aus 1956 wurde von Tigran Tatevosyan in eine begeistert vorgetragene Cover-Version überführt, die sich extravagant zur Schau stellt, aber die Grenzen des gewohnten, improvisierenden Jazz-Rahmens dennoch nicht sprengt.

    Der kurze Piano-Solo-Einspieler "Mer Tan Itev" ist an ein traditionelles armenisches Volkslied angelehnt und enthält romantische Figuren, deren Wesen im Ungewissen bleiben, da die Komposition aufhört, bevor die Geschichte zu Ende erzählt ist.

    "Forgotten City" lässt sich auf keine eindeutige stilistische Zuordnung ein. Frédéric Chopin und Bill Evans hätten wahrscheinlich ihre Freude an dieser andachtsvoll-besinnlichen Komposition gehabt, bei der jeder Musiker so viel Mitgefühl wie möglich in die erzeugten Noten legt.

    "The Sorcery: Manifestation" ist ein weiteres knappes Piano-Solo-Zwischenspiel, das wie eine spontane Laune wirkt, jedoch aufgrund der Kürze von nicht einmal eineinhalb Minuten keine Akzente setzen kann. Dabei sind es genau solche unkonventionellen Ideen, die verkrusteten Piano-Trio-Jazz generell aus seinen eingefleischten Abläufen heraus holen können.

    "Memories Of A Dream" ist solch eine typische, erwartbare Jazz-Komposition, die zwischen Melancholie und Euphorie angesiedelt ist und jedem beteiligten Musiker mehr oder weniger intensiv die Möglichkeit zur Entfaltung und Profilierung bietet. Perfekt dargeboten, bleibt das Stück aber in seiner Form und seinem Ablauf berechenbar.

    "The Wind’s Dance" legt ein hohes Tempo vor, das an die quirligen Stücke von Chick Corea's "My Spanish Heart" aus 1976 anknüpft, auch wenn sich hier die südländische Leidenschaft nicht unbedingt als integrierter Folklore-Bestandteil nachweisen lässt.

    Mit "The Sorcery: Ritual" folgt eine weitere komprimierte Klavier-Darbietung, die sich als dramatischer Einschub nahtlos in die handverlesene Kollektion einfügt.

    Die nächsten zwei Tracks haben eine Verbindung miteinander: "Part 1: A Child’s Mind" bildet einen atmosphärisch dichten Auftakt und "Part 2: Blessing" hüpft vor Vergnügen, bevor sich das Gebilde intellektuell windet und dreht.

    Mit "The Sorcery: Reflection" begibt sich Tigran Tatevosyan noch einmal auf Solo-Pfade und deckt ein für ihn heimisches Gebiet ab, in dem er als einfühlsamer Balladen-Interpret mit Improvisationstalent auftritt und auftrumpft.

    "Mer Tan Itev" ist Tigran Tatevosyans Debüt-Album. Der armenische Titel bedeutet "Hinter unserem Haus". Das Werk wurde bereits 2022 in Osnabrück aufgenommen und erscheint am 28. Juni 2024. Der Künstler ist angetreten, innerhalb der Jazz-Trio-Musik einen persönlichen Klang zu erschaffen, was ihm auch in Ansätzen gelungen ist.

    Immer dann, wenn sich der Pianist von bekannten Strukturen entfernt, wie unter anderem bei "Celebration" oder "The Sorcery: Manifestation", erreicht er einen Punkt, wo sich seine Virtuosität verselbständigt und das Gelernte mit dem Intuitiven ein ungezwungenes Fest feiert. Dann entsteht charakteristisch ausgeprägte Kunst. Darauf aufbauend könnte es für Tigran Tatevosyan in Zukunft spannende Herausforderungen geben, wenn er das Abenteuer in unbekannten Gefilden sucht. Eventuell wären Tim Buckley, Radiohead, Benjamin Clementine oder Henry Cow als Eckpfeiler für eine Richtungsbestimmung im Sinne einer Zukunftskonzeption geeignet, um revolutionäre Erweckungs-Erfahrungen zu unterstützen und zu realisieren.

    Tigran Tatevosyan ist ein meisterlicher Pianist, der erst am Anfang einer womöglich bewusstseinserweiternden Entwicklung steht. Mit den geeigneten Inspirationen kann er ein ganz großer Individualist werden!
    Meine Produktempfehlungen
    • My Spanish Heart (SHM-CD) My Spanish Heart (SHM-CD) (CD)
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    Big Swimmer King Hannah
    Big Swimmer (CD)
    31.05.2024
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    King Hannah gestalten mit "Big Swimmer" ein kontrastreiches Yin- und Yang-Abenteuer.

    Das erste Mal begegneten sich die Künstler Craig Whittle und Hannah Merrick 2015. Damals besuchte Craig eine Konzertveranstaltung mit mehreren Bands und Solo-Acts, aus denen nur Hannah mit ihren emotional aufgeladenen Folk-Songs herausragte. Craig wurde sofort von der lässig-lasziven Stimme in den Bann gezogen, zu einer Zusammenarbeit kam es damals aber nicht. Wie der Zufall es wollte, begannen beide zwei Jahre später in derselben Bar in Liverpool zu arbeiten. Vor der Schicht musizierten sie gemeinsam, wobei schnell klar war, dass Hannah für den Lead-Gesang und Craig für die Gitarren und Arrangements zuständig war. Eckpfeiler der musikalischen Inspirationen waren dabei Mazzy Star und Portishead. Die Einflussgrößen nahmen aber schnell zu und als Sound kristallisierte sich ein Gebilde aus psychedelischem Folk und harschem Garagen-Rock heraus, an dem seither ständig gefeilt wurde.

    Die Geburt von King Hannah war vollbracht, die erste Veröffentlichung, die Single "Crème Brûlée" ließ aber noch zwei Jahre auf sich warten. Dann ging es jedoch Schlag auf Schlag: Das Berliner Label "City Slang" wurde auf das Duo aufmerksam, nahm es im Folgejahr unter Vertrag und brachte unter anderem im Oktober 2020 die EP "Tell Me Your Mind And I'll Tell You Mine" und im Februar 2022 das Album "I'm Not Being Sorry, I Was Just Being Me" heraus.

    "Big Swimmer" erscheint am 31. Mai 2024 und ist der zweite Longplayer der Band, die noch um ein verlässliches Rhythmus-Team (Jake Lipiec am Schlagzeug und Connor O`Shea, der Bass und Keyboards spielt) ergänzt wird. Die Songs wurden während einer USA-Tournee geschrieben, was nicht nur einen psychologischen Einfluss auf die Gestaltung hatte, sondern auch musikalische Anregungen hervorrief, die sich wesentlich auf die Umsetzung auswirkten. Dazu gehörten einige Singer-Songwriter aus dem Folk-Bereich, aber auch Idole wie The Velvet Underground.

    Der in die kontrastreiche Klangwelt einführende Song "Big Swimmer" hält schon einiges der Bandbreite von King Hannah bereit: Nach einem verhaltenen Beginn steigert sich das Lied über einen coolen Folk-Rock-Übergang zu einem zerrend-schleifenden Rocker, um dann wieder in einen ruhigeren Verlauf zurückzufinden. Hannah Merrick behält ihren betörenden Gesang in jeder Phase bei, lässt sich nicht vom stetigen Dynamikaufbau der Instrumentalisten beeindrucken und demonstriert damit Charakter, Überblick und eine selbstsichere Eigenart. Die Poesie kann als Einstufung der Risikobereitschaft, die jeder bereit ist einzugehen, verstanden werden: "Wenn der Fluss fließt und die Mündung zu ihrem Ende gekommen ist, schwimmst du weiter oder springst du raus und nimmst dein Handtuch?", heißt es da.

    Zu erotisch aufgeladenem Sprechgesang zündet "New York, Let's Do Nothing" ein giftig züngelndes, röhrendes Feuerwerk an schmutzigem, gitarrenlastigem, herrlich unbeherrschtem Underground-Rock, wie man ihn unter anderem von Eleventh Dream Day oder Eric Ambel kennt.

    Die Noten von "The Mattress" scheinen die Gefahr zu erkunden, die sich hinter dunklen Straßenecken verbergen kann und suhlen sich in der seltsamen Anziehungskraft von schäbigen Etablissements. Hannahs Gesang wirkt geheimnisvoll, was durch das Langziehen einiger Wörter noch verstärkt wird. Die E-Gitarre stichelt hinterlistig oder schäumt vor Wut. Jedenfalls setzt sie sich auffällig und frech in Szene, während Bass und Schlagzeug willig und kameradschaftlich alle Gefühlsausbrüche effektvoll und stimmig unterstützen.

    "Milk Boy (I Love You)" fängt abwartend-angespannt, mit einem erzählerischen Grundton an, bevor die Grunge-Hölle kurz ihre Noten-zerberstende Pforten öffnet und die perverse Brutalität des Textes akustisch nachvollzieht. Diese abwartend-passiven und zupackend-ruppigen Zustände lösen sich ständig ab oder verschmelzen miteinander.

    Der flüchtige, sich beinahe selbst auflösende Psychedelic-Folk von Mazzy Star hat seine Spuren bei "Suddenly, Your Hand" hinterlassen. Das Lied ist anfangs so schwerelos, langsam und zart, dass es nur dezent und schüchtern aus den Lautsprechern dringt. Später sorgen schwergängige, schillernde, elektrische Funken sprühende Gitarrentöne für ein verstörend-zerstörerisches Verhalten.

    "Somewhere Near El Paso" nimmt sich über 8 Minuten lang Zeit, um die Eindrücke in Noten zu gießen, die sich während der USA-Tournee, die auch in die Gegend von El Paso führte, eingebrannt haben. Dazu gehören sphärisch schwingende Ambient-Klänge, die von weiten Landschaften und versunkenen Gedanken berichten, genauso wie minimalistisch kreisende und monoton scheppernde E-Gitarren-Akkorde, sowie hart rockende Ensemble-Leistungen. Hannah hält sich stark zurück und interpretiert nur bis zur Hälfte des Stücks ihre Verse, sodass hauptsächlich über die Schwingungen der Instrumente die El-Paso-Erlebnisse vermittelt werden.

    "Lily Pad" setzt auf die Erfahrungen der scharf-brachialen Gitarren-Salven von "Somewhere Near El Paso" auf, die das Stück zum Schluss dominierten und präsentiert sich als trotziger und übermütiger Track, dessen Tempoabstufungen von schleppend bis aufgeregt reichen und Gefühle wie Gleichgültigkeit und Wut darlegen.

    Zweifellos hat die Protagonistin in "Davey Says" vor irgendetwas Angst. Wir erfahren nicht, was es ist, aber Davey sagt: "Du hast noch einen weiten Weg vor dir. Aber du wirst es hier rausschaffen". Entsprechend optimistisch, mit Power-Pop-Fieber versehen, läuft dieser kraftvoll krachende Song ab. Das hat Hit-Potenzial!

    Die TV-Serie "The X-Files" (auf Deutsch "Akte X") ist Kult und der Leitspruch der Ermittler, der "Die Wahrheit ist irgendwo da draußen" heißt, ist in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen. Die Kollegin des überzeugten Alien-Gläubigen Fox Moulder, die selbstbewusste, aber zunächst skeptische Dana "Scully" war in ihrer von gemischten Gefühlen hin- und hergerissenen Art eine Inspiration für das Musiker-Duo King Hannah. Klanglich stellt das Stück nur ein kurzes instrumentales Intermezzo dar, bei dem die E-Gitarre die auf- und abschwellenden Töne von mächtigen Glocken zu imitieren scheint.

    "This Wasn't Intentional" hört sich zunächst wie ein Walzer an, der eingefroren wird und sich kurz vor dem Stillstand befindet. Bei dieser Übung in Langsamkeit beteiligt sich die 1981 in New Jersey geborene Singer-Songwriterin Sharon Van Etten (wie schon im Eröffnungs-Track) als liebevoll-behutsame Gesangs-Begleitung und Craig lässt seine Gitarre dazu hymnisch-versonnen in Anlehnung an Neil Youngs "Cortez The Killer" erklingen.

    "John Prine On The Radio" setzt dem 2020 verstorbenen Country-Folk-Singer-Songwriter John Prine ein Denkmal. Dieser ist unter anderem mit dem Song "Angel From Montgomery" unsterblich geworden. "John Prine On The Radio" ist eine herzerwärmende Ballade, die ohne E-Gitarren-Schübe auskommt. Hannah und Craig singen einmütig-ausgeglichen im Duett und nichts unterbricht die von ihnen erzeugte friedlich-beschauliche Stimmung, was dieses Lied dadurch von allen anderen auf "Big Swimmer" unterscheidet.

    Denn King Hannah nutzen ansonsten die Oppositionen von laut und leise, lieblich und schroff, sensibel und brutal, um bei ihren Kompositionen entgegengesetzte Kräfte wirken zu lassen, die sich nicht bekämpfen, sondern ergänzen. Diese akustische Yin und Yang-Philosophie führt beinahe zwangsläufig zu prickelnd-anregenden Ergebnissen, wie sie auch bei ähnlich agierenden Formationen wie Neil Young & Crazy Horse oder The Jesus & Mary Chain entstanden sind. Eigentlich hinlänglich bekannte Muster aus Rock, Pop und Folk hübschen King Hannah mit dieser Methode einfallsreich auf, weswegen sie dann attraktiv, neu, spannend und frisch klingen.

    Craig spielt sowohl eine aussagekräftige Lead- als auch eine robuste Rhythmusgitarre. Immer so, wie es gerade emotional zu den Stücken passt. Manchmal trägt er sogar - über beide Lautsprecher-Kanäle verteilt - feurig-berauschende Duelle mit sich selbst aus. Zum Aufbau des individuellen Klangbildes gehört es auch, dass sich weder Schlagzeug noch Bass in den Vordergrund schieben. Sie bilden das stabile Fundament, auf dem sich Hannah und Craig kreativ austoben können. Als zusätzliches Tüpfelchen auf dem "I" empfiehlt sich Hannah Merrick mit ihrer überaus anziehenden Stimme als sinnliche Verführerin in allen Lebenslagen. Da treffen die intellektuelle Lieblichkeit von Laura Marling und die melodisch verwinkelte Besonderheit im Gesangsstil von Bill Callahan vortrefflich aufeinander.

    Die stets für jede Komposition gemeinsam eingebrachten Ideen - ob nun entliehen oder selbst entworfen - führen zu einem Klangbild, das Raum für Gedankenspiele und Assoziationen eröffnet. Dadurch macht es durchgängig Spaß, King Hannah bei ihren kontrastreichen Ausflügen zu begleiten. Und wir können genüsslich bei der Elektrisierung der Sinne auf Spurensuche nach ihren Vorbildern und Einflussgrößen gehen. Schön, dass es immer wieder solch stimulierende Musik gibt!
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    • Big Swimmer King Hannah
      Big Swimmer (LP)
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      Big Swimmer (CD)
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    • I'm Not Sorry, I Was Just Being Me King Hannah
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      Tell Me Your Mind And I'll Tell You Mine (EP) (LP)
    Currency Of Man Currency Of Man (CD)
    31.05.2024
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Melody Gardot entwirft mit "Currency Of Man" fesselnd und differenziert untermalte Aussagen über brisante soziale Belange.

    Wer Melody Gardot bisher nur als Interpretin gepflegter Jazz-Chansons wahrgenommen hat, der wird sehr überrascht sein, wenn er ihr viertes Studio-Album "Currency Of Man" hört. Dieses unter anderem vom dunklen Delta-Blues- und verräuchertem Spelunken-Jazz getränkte, hinterlistig und geheimnisvoll mit Erwartungen spielende, dunkel-mystisch taktierende, melodiös und instrumental breit aufgestellte Werk präsentiert eine Künstlerin mit Abenteuerlust, eine Stil-Ausbrecherin, die Spaß daran hat, Neuland zu erkunden und sich dabei nur dem guten Geschmack und einem spannenden Klang verpflichtet fühlt. Daneben geht es ihr darum, eindringlich darauf hinzuweisen, dass die Würde jedes Menschen unantastbar ist: "Nachdem ich einige Zeit in Los Angeles verbracht hatte, drehten sich die Songs um die Menschen, die ich dort traf: Menschen, die ein Leben am Rande der Gesellschaft führen".

    Die Musikerin mit dem französisch klingenden Namen wurde am 2. Februar 1985 in New Jersey geboren. Melody verbrachte eine lange Zeit ein harmonisch-liebevolles Leben. Bis zu jenem schicksalhaften Tag im November 2003, als sie auf dem Fahrrad von einem Auto angefahren wurde und schwere Kopf-, Nerven und Knochen-Verletzungen erlitt. Danach war alles anders. Selbstverständliches funktionierte nicht mehr, Träume und Wünsche wurden pulverisiert. Das Leben wurde durch die Beeinträchtigungen beschwerlich und es stellte sich zwangsläufig auch für sie damals schon die Frage nach dem Wert eines Menschen. Und ebenso logisch ergab sich, dass er nicht von Äußerlichkeiten, sondern von geistig-moralischen Werten abhängt. Eine Erkenntnis, die den beschwerlichen Kampf zurück in die sogenannte Normalität erträglicher machte.

    Melody Gardot weiß also ganz genau, wie sich körperlicher und seelischer Schmerz anfühlt und was er für die Persönlichkeit und das gesellschaftliche Umfeld bedeutet. Häufig hat sie das Leiden bei ihrer Musik hinter Schönheit verborgen gehalten, aber bei "Currency Of Man" hat die Süße auch einen bitteren Nachgeschmack und die Gesellschafts-Kritik bekommt eine deutliche und schroffe Sprache.

    Die Songs dieses Albums sind besonders ambitioniert, denn es gibt neben Beziehungs-Beobachtungen noch einen konzeptionellen Überbau, der nur bei der "Deluxe Edition", die fünf Extra-Tracks enthält, in Gänze dargestellt wird. Melody Gardot macht vornehmlich auf den Wert der Gestrandeten und Geknechteten aufmerksam, widmet sich politischen Konflikten und denkt über das Elend der Menschen nach, die Brutalität, Abhängigkeiten oder Armut ausgesetzt sind.

    Den Auftakt bestreitet "Don't Misunderstand", das sich für eine realistische Betrachtung der eigenen Person einsetzt ("Wir sind, was wir sind"). Melody bewegt sich zunächst lautmalerisch-sphärisch auf einem undifferenzierten, verwirrenden Geräusch-Schleier und improvisierenden Instrumentenbewegungen. Dann ändern der einsetzende Groove, der verwehte Streicher-Teppich und der sinnlich-sehnsüchtige, behutsame Gesang komplett die Perspektive. Aus dem verwaschenen Gebilde wird ein zupackender, schwül-düsterer Song, voll von unterdrückter und lodernder Leidenschaft, die sich auf eine hypnotische, akustische Folk-Blues-Schleife einlässt. Die Mythen des Mississippi-Deltas demonstrieren in einem undeutlichen, dunkel-waberndem Blues-Feeling ihre ungebrochene Strahlkraft und manifestieren sich in gefühlsbetontem Art-Pop.

    "Don't Talk" greift die rätselhafte Stimmung von "Don't Misunderstand" durch wallende Streichinstrumente auf, die sich so sanft wie Schleier aus Samt auf die Gehörgänge legen. Zusätzlich mischen sich ethnische Rhythmus-Strukturen mit uraltem, spiritistischem Americana-Wurzelwerk. Dann wird noch ein nostalgisches Western-Flair vermittelt und ein paar lustige elektronische Spielereien halten Einzug. Der Takt verhält sich lässig-unaufdringlich und der Gesang ist klar und bestimmt, möchte aber nicht aufbegehren. Flirrend-schwirrende Synthesizer-Klänge sorgen zur Halbzeit für exotische Eindrücke, die den Song kurz aus der tiefsinnigen Stimmung herausholen. Musikalische Welten kollidieren und geben dunkle Energie ab. Aus dem Text lässt sich die Aussage, dass "Geld alleine nicht glücklich macht" ableiten.

    "It Gonna Come" beschreibt die Situation von unterprivilegierten Menschen und schließt pro Strophe jeweils mit der Hoffnung ab, dass die Mächtigen, die für die Schere zwischen Arm und Reich verantwortlich sind, ihren Job verlieren mögen. So kämpferisch und nachdrücklich, wie diese Botschaft formuliert ist, so kraftvoll und unnachgiebig wirkt auch die Musik: Der Groove ist mächtig, der Bass pumpt, als hätte er breite Schultern, die Bläser sind fett und posieren angriffslustig, die Streicher scheinen aus dem Nichts zu kommen, verhalten sich listig und erzeugen eine mutmachende Atmosphäre (man erinnere sich an "Shaft" von Isaac Hayes). Melody singt ihre Anklagen ohne spürbaren Hass, dafür mit selbstbewusster intellektueller Überlegenheit.

    "Bad News" beginnt mit Tönen, die zu Kristallen geworden zu sein scheinen, denn sie imitieren auf unschuldig-reine Weise Harfen und E-Piano-Klänge. Danach folgt ein sumpfiger Blues-Groove, der zusammen mit ausladenden Bläser-Fanfaren und schmerzhaft-winselnden Solo-Saxofon-Einlagen eine nächtliche Jazz-Bar-Atmosphäre schafft, die Raum für jede Art von schlechten Nachrichten schafft. Der Song begibt sich dabei in eine gekonnte Schräglage, wobei Sounds entstehen, die an die stilistisch unabhängigen Kunst-Pop-Erzeugnisse von Tom Waits auf "Swordfishtrombones" erinnern. Gardot hält sich mit ihrer Auffassung von einem bedrückendem Chanson gesanglich zurück und überlässt ihren Partnern an den Instrumenten im Wesentlichen die Gestaltung einer Film-Noir-Atmosphäre. Filigrane, dunkel-zarte Töne voller Wärme und schreiend-kreischende Ausbrüche, die Gänsehaut erzeugend von Qual und Verzweiflung künden, gehen Hand in Hand in den Abgrund. Man wird sich bewusst, dass es irgendwann auf jeden Fall "einen letzten Vorhang" geben wird.

    "She Don't Know" lässt sich auf einen knackigen Funk-Groove ein, der sowohl giftig ist, als auch sexuell lockende Momente aufweist. In der Art eines sich selbst motivierenden Antriebs - also einem Perpetuum Mobile der Energiebereitstellung - erlangt der Track einen stetigen und ständigen Vorwärtsdrang, der ihn über alle dynamischen Abstufungen hinweg leidenschaftlich und robust erscheinen lässt.

    "Palmas da Rua" ist das erste "Artist`s-Cut-Bonus-Stück", welches die Field-Recordings von "She Don't Know" für etwa eine Minute reproduziert, ergänzt und durch Hände-Klatschen aufmischt.

    "Same To You" greift erneut auf eine Funk-Grundlage zurück, bei der die Taktfrequenz von "She Don't Know" erhöht und sich dabei auf schweißtreibende, animalisch-brünftige James Brown-Klangmuster bezieht.

    Mit dem Extra-Track "No Man's Prize" bewegt sich Gardot wieder auf dem Boden geheimnisvoller Sounds, die auf Thriller-Hintergründe schließen lassen - das Böse und Abgründige lauert an jeder Ecke, sodass sich die dunkle Seite der menschlichen Existenz in jeder Note dieser langsamen, trostlosen Ballade erahnen lässt. Ein Paradestück für Melody, bei dem sie ihr Talent für bedeutsame Zwischentöne gesanglich voll zum Erblühen bringen und gänzlich ausleben kann.

    Der zusätzlich zum Standardwerk eingeführte "March For Mingus" ist ein weiteres instrumentales Zwischenspiel, bei dem das Piano im Hintergrund kurz angeschlagene Stakkato-Töne absondert, das Saxofon die zunehmend aggressive Führung übernimmt und die Bass/Schlagzeug-Begleitung für einen stabilen Rahmen sorgt.

    "Preacherman" ist eines der prachtvollsten Kern-Stücke des Albums. Es transportiert nicht nur spirituelle Gospel-Anklänge, sondern auch einen lässigen Southern-Rock-Charme, satte Soul-Vibes und herzerfrischende, freche Jazz-Attacken. In über sechs Minuten feiert der Track ein berauschendes Fest der schmerzhaften Ekstase, die aus Trauer entsteht. Daneben gibt es ein meditatives Gedenken an Menschen, die von uns gegangen sind und die wir nie vergessen werden. Beide Ausnahmezustände tragen zu einer gedanklichen Auferstehung bei. Welch eine meisterliche musikalische Verführungskunst! Der Song wurde zum Gedenken an Emmett Till geschrieben, einem afro-amerikanischen Jungen, der 1955 im Alter von 14 Jahren bei seinen Cousins in Money, Mississippi seine Ferien verbrachte und dort dann wegen eines erfundenen Vorfalls von Rassisten bestialisch gequält und ermordet wurde. Seine Mutter kämpfte danach vor Gericht für die Verurteilung der beiden Mörder und ließ ein Foto von Emmetts geschundenem Leichnam veröffentlichen. Die Täter wurden freigesprochen, gaben aber ein paar Monate später die Ermordung zu. Gesetzlich konnten sie allerdings aufgrund des bindenden Urteils nicht mehr belangt werden. "Das Gedenken an Emmett durch das Lied ist eine Möglichkeit, die Menschen daran zu erinnern, dass es keinen Grund gibt, mit sinnlosen Verbrechen fortzufahren. Rasse und Rassismus gehen nicht Hand in Hand. Wir sind nur eine Rasse: Menschen", erläutert Melody die Botschaft des Songs.

    "Morning Sun" strahlt eine zufriedene Ausgeglichenheit aus und würde auch ins Repertoire von Norah Jones passen. Zusätzlich fallen The Band und The Staple Singers als Inspirationsquelle ein, was in Gänze einen durchdringend bedeutsamen Americana-Jazz-Gospel-Mix ergibt.

    "If Ever I Recall Your Face" greift hinsichtlich seiner Tragik auf die Stilmittel der klassischen Musik zurück: tieftraurige Streichersätze, ein Piano, das Einsamkeit in Noten gießt und eine Stimme, die gleichzeitig trösten und leiden kann, machen den Reiz dieser herzzerreißenden Komposition aus. Der Umgang mit den Verlockungen des Künstlerlebens - wenn man lange Zeit von zu Hause weg ist - bildeten dabei als Themenbereich die Grundlage für den Text und gehen in dieser Konstellation indirekt der Frage nach, was wirklich wichtig im Leben ist.

    "Once I Was Loved" stößt mit ähnlichen Mitteln wie sein Vorgänger ins gleiche sanftmütig-schwerelose Horn. Die Erkenntnis, dass der Gedanke, im Leben wenigstens einmal wirklich geliebt worden zu sein, ein riesengroßer Schatz ist, liegt dem Lied zugrunde. Entsprechend ist seine ungekünstelte Sentimentalität und Empathie zum Heulen schön.

    Die Piano-Ballade "After The Rain" wurde nur bei der erweiterten Version von "Currency Of Man" hinzugefügt und bildet hinsichtlich seiner Schwermütigkeit einen Zwillings-Track für "Once I Was Loved" ab, aber dies nun ohne Worte.

    Die Macht der Süchte auf die körperliche Verfassung und Psyche von Menschen ist ein Mysterium, welches Melody zur Komposition "Burying My Troubles" veranlasst hat. Dieser abschließende, würdevoll schwelgende "Extra-Track" steigert seine durchdringende Sensibilität noch durch ein psychedelisch fließendes Gitarren-Solo voller Wehmut und verzweifelter Tragik.

    Der "Artist`s Cut" als Deluxe-Edition ist unbedingt der einfachen Version von "Currency Of Man" vorzuziehen, weil sich die fünf Zusatztitel belebend und sinnvoll ergänzend ins Gesamtgebilde einfügen. Sie sind auch nicht einfach nur als Bonus hinten dran gehängt, sondern passend zugeordnet und sinnvoll eingebunden worden. Die makellose Produktion der 15 Tracks übernahm wieder einmal Larry Klein, der ex-Ehemann und zeitweise auch der musikalische Direktor von Joni Mitchell. Er ist daneben unter anderem als kreativer Sound-Tüftler hinter solchen Werken wie "The Blue Room" von Madeleine Peyroux, "Freedom & Surrender" von Lizz Wright, "Teenage Astronauts" von Thomas Dybdahl und "The Travelling Kind" von Emmylou Harris & Rodney Crowell in Erscheinung getreten. "Currency Of Man" gestaltete er mit einem räumlich-transparenten, audiophilen Klangbild, bei dem alle Muster klar zur Geltung kommen. Die einzelnen Tonspuren wurden differenziert strukturiert, sodass sie sich den jeweiligen Stimmungslagen individuell anpassen können.

    Aber lassen wir Melody Gardot noch einmal selbst zu Wort kommen. Hier ein Auszug aus ihrem Begleit-Text von "Currency Of Man: "Was sich hinter scheinbar lustlosen, leeren Augen verbirgt, kann die Seele eines Menschen sein, die so tief ist, dass wir den Tod ihrer Schönheit nur erahnen können.

    Was wir über die Welt wissen, so wie sie sich abspielt, ist nur die Information, die man uns gegeben hat, was man uns gelehrt hat und ist abhängig davon, wer unser Lehrer war.

    Aber manchmal kann der Lauf des Lebens so gewunden und wild sein, dass wir uns plötzlich im Unkraut wiederfinden, anstatt am Steuer unserer größten Reise zu stehen.

    Ich begann, dies überall zu sehen, wo ich hinkam. Menschen, die vom Sockel ihrer Träume gestürzt waren. Menschen, die ihr Leben durch Sucht, Unglück oder die Schwierigkeiten des Systems, in dem wir leben, zerstört sahen. Menschen, die wegen ihrer Hautfarbe verurteilt wurden, wegen der Menge an Geld, die sie in ihren Taschen hatten, oder vielmehr wegen des Mangels daran. Personen, die durch die Bedingungen, die sie um sich herum vorgefunden hatten, so verbogen waren, dass sie keine Möglichkeit sahen, wieder aufzustehen. Hoffnungslosigkeit ersetzte jegliches Gefühl der Macht, ihre Umstände zu kontrollieren. Angst übernahm ihren Verstand und die Idee des Lebens wurde mehr wie ein langsamer, verrosteter, tropfender Wasserhahn, der mit der Zeit alle Träume und Wünsche, die einst aus ihren Herzen flossen, verschluckte.

    Die Welt, von der ich wusste, dass sie schön und strahlend ist, wurde plötzlich von einem Bild verzerrt, das mein geistiges Auge nicht mehr verlassen konnte: Warum definieren wir uns über unsere materiellen Besitztümer wie unsere Autos, unsere Häuser, unsere Einrichtungen? Und seit wann ist es üblich, den Wert eines Menschen auf der Grundlage von Elementen zu bestimmen, die irgendwann ohnehin verschwinden.

    Alle Songs auf diesem Album sind aus erlebten Momenten und Geschichten entstanden. Sie sind Reaktionen auf die Welt, wie ich sie jetzt gesehen habe. Es ist kein Liebeslied darunter. Und warum? Weil es hier nicht um selbstsüchtige, blinde Liebe geht. Es geht darum, die Welt so sehr zu lieben, dass einem übel wird, wenn man das Leid sieht, das Menschen ertragen müssen. Denn die verblüffende und harte Realität unseres Lebens ist, dass wir jeden Moment ins Chaos geraten können. Was uns ausmacht, was uns zu dem macht, was wir sind und was unser Vermächtnis begründet, ist, wie wir diese Momente ertragen".

    "Currency Of Man" ist politisch engagiert, regt zum Nachdenken an, ist konzeptionell ausgereift und musikalisch herausfordernd angelegt worden. Melody Gardot nutzt ihre Popularität, um Missstände aufzuzeigen und traut sich, ihren Fans einen musikalischen Kurswechsel zuzumuten. Herausgekommen ist dabei ein Werk, das eine unerschrockene, sensible Künstlerin mit einem großen kompositorischen Potenzial zeigt. Sie besitzt die Fähigkeit, klangliche Vorstellungen unkonventionell umzusetzen, welche aber trotzdem eine zeitlose Qualität aufweisen. Gesamturteil: Meisterwerk!

    Und 2020 erschien mit "Sunset In The Blue", ein weiteres, wunderschönes, dann aber durchgängig zärtlich-sinnliches Album, das für Easy-Listening in Vollendung steht und auf jeden Fall eine weitere (Wieder)-Entdeckung wert ist.
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    Ein Kommentar
    Braveheart
    22.04.2025

    Sehr fein!

    Sehr schön beschrieben, Heino.
    Poetry DEHD
    Poetry (CD)
    31.05.2024
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    DEHD begegnen mit "Poetry" dem Beziehungs-Chaos und entfliehen mit ihrem belebendem Power-Pop-Sound den Zwängen des Erwachsenendaseins.

    Der etwas sperrig-kryptische Band-Name DEHD hat eine Vorgeschichte: 2015 taten sich Jason Balla (Gitarre, Gesang) von den Dream Eagles und Emily Kempf von den Heavy Dreams (Bass, Gitarre, Gesang) für ein Projekt zusammen und formten die vier Anfangsbuchstaben ihrer bisherigen Formationen zu einem neuen Begriff. Die Zusammenarbeit lief so gut, dass sie bereits ein Jahr später ihr 9-Track-Debüt herausbrachten und mit "Poetry" ist jetzt schon die siebente EP bzw. LP der Gruppierung aus Chicago erschienen, die durch Eric McGrady am Schlagzeug komplettiert wird.

    Das Trio pflegt auf "Poetry" einen Sound, der temperamentvoll, unbekümmert, energiegeladen und eingängig daherkommt. Power-Pop oder Punk-Pop und sogar College-Rock sind Einordnungen, die die Richtung der Musik in etwa vorgeben. Die Musiker gebärden sich beinahe wie Pubertierende, jedenfalls transportieren sie deren Aufmüpfigkeit, Sehnsüchte und Sorgen, welche sie akustisch und textlich kompetent in Noten fassen.

    Ein großes Thema ist dabei jegliche Form von verzehrendem Liebesglück und schmerzendem Liebesleid. In vierzehn Songs, von denen keiner die 4-Minuten-Grenze reißt, präsentieren sie sich als Architekten eines Klangbildes, das die Sturm & Drang-Zeit der Jugend feiert und entsprechend selbstbewusst-kraftvoll sowie unbeirrt-hartnäckig erscheint.

    Stürmisch vorwärts strebende Gitarren-Akkorde stacheln das Tempo bei "Dog Days" immer wieder an, welches vom Rhythmusgespann verlässlich stabilisiert wird. Jason Balla ist hier für den Leadgesang verantwortlich und Emily Kempf unterstützt dezent, aber wirkungsvoll die aufkommende Party-Stimmung. Adrenalin tropft aus jeder Pore und Bewegungsdrang macht sich breit. "Dieser Song ist eine Hommage an das Chaos des Lebens und die Suche nach Kameradschaft", erklärt Jason.

    Wenn man immer wieder auf die gleichen miesen Typen hereinfällt, ist das wie ein Fluch oder wie ein innerer Zwang. "Der Song ist mein Sonett darüber, dass ich immer betrunkene Männer wähle, Männer, die schwer zu lieben, ein bisschen gefährlich, immer unangemessen und auf verschiedene Weise traumatisiert sind", gibt Emily Kempf für "Hard To Love" zu Protokoll. Sie singt diese dramatische Feststellung nicht mit Groll, sondern trotzig und geläutert. Die Musik unterstützt diese kämpferische Sichtweise mit einer druckvollen Dynamik, die von profunden Inspirationen im Power-Pop-Kontext zeugt, welche von Badfinger bis Blondie reichen.

    Aggressive Noise-Attacken läuten "Mood Ring" ein. Danach schlägt die Stimmung komplett um und ein eingängiger Radio-Hit wird geboren. Emily Kempf verbreitet gesanglich gute Laune und Jason Balla ergänzt wohlwollend. Der Song ist leichtfüßig und freundlich, aber dennoch zu keinem Zeitpunkt banal oder langweilig.

    "Necklace" kommt in seinem psychedelischen Folk-Rock-Umfeld völlig lässig und überlegen daher. Als würden The Velvet Underground mit The Byrds gemeinsame Sache machen. Der Text bezieht sich auf Details aus dem Leben von Jason Balla, die Maßlosigkeit und Selbstzweifel betreffen.

    Emily begreift sich als Einsiedlerin in einer Welt mit 1.000 Freunden, in der sie sich wie ein "Alien" vorkommt. Jason bewertet den Tatbestand, "nicht in der Lage zu sein, die richtigen Worte zu finden oder sich in etwas zu verlieren, das größer ist als man selbst", als Kern-Aussage des Liedes an. Der Refrain weist eine gewisse wacklige Instabilität aus, während sich die Melodie für Liebreiz einsetzt. Aus diesen unterschiedlichen Koordinaten bezieht der Track seine fruchtbaren Differenzen.

    Die angedeuteten Break-Beats bei "Light On" machen es dem Stück nicht leicht, in die Beweglichkeit zu kommen. Was aber schließlich trotzdem vorzüglich gelingt, sodass die innere Kraft dieses manchmal holprig, manchmal elastisch gestalteten Rockers doch noch das Feuer der Erkenntnis entzünden kann. "Dieser Song ist eine Kerze im Fenster, ein Licht, das jemanden nach Hause führt, falls er versucht, es zu finden", meint Jason.

    Bei "Pure Gold" geht es darum, "jemand Neues kennengelernt zu haben und absolut davon überzeugt zu sein, buchstäblich die eine perfekte Person auf diesem Planeten Erde gefunden zu haben, die nichts Falsches tun oder sagen kann. Es ist diese schöne Lüge, die wir uns selbst erzählen, und es fühlt sich so gut an, daran zu glauben. Aber mit der Zeit beginnt man, die Person so zu sehen, wie sie wirklich ist." Die Schmetterlinge im Bauch sind fort, Ernüchterung macht sich breit. Und im Einklang zu dieser Aussage vermittelt das Folk-Pop-Stück eine abwartende, vorsichtig optimistische Stimmung.

    Hinter dem Song "Dist B" steckt die Erfahrung eines Nervenzusammenbruchs, den Emily erlebt hat. Trotz der Verarbeitung dieses traumatischen Erlebnisses befindet sich in dem Stück eine Menge positiver Energie, die sich durch den Gesang lieblich und durch die Instrumentierung lärmend offenbart.

    "So Good" "skizziert meinen fehlgeleiteten Glauben, dass ich, wenn ich ""gut bin", in diesem Leben bekomme, was ich will", meint Emily. Ausgangspunkt für diese Einschätzung war zunächst das Gefühl, den richtigen Lebenspartner gefunden zu haben: "Du bist derjenige, von dem ich glaube, dass ich dich will. Die Gewalt in dir macht mir keine Angst", heißt es in dem Song-Text. Aber Gefühle sind leider trügerisch. Das Lied ist eine Alternative-Folk-Ballade mit Surf-Sound-Anklängen, die nicht ins Rührselige abdriftet, sondern bei aller Romantik den Zweifel im Blick hat, was durch den Wechsel von einem gemächlichen in einen gestrafften Rhythmus dokumentiert wird.

    "Don't Look Down" "ist eine Herausforderung, meinem Herzen zu folgen, wohin auch immer es mich führt", sagt Jason. Er lässt das Stück mit einem belebend pulsierenden Drum-Beat eröffnen, ist aber gesanglich und melodisch bei diesem flotten, mitreißenden Song auf der versöhnlichen, ermutigenden Seite angesiedelt. Das ergibt einen ähnlichen suggestiven Effekt, wie ihn die Bands des Bubblegum-Pop aus den 1960er-Jahren hervorgerufen haben. Dazu zählten unter anderem Ohio Express "Yummy Yummy Yummy") oder The Archies ("Sugar Sugar").

    Auch "Knife" dreht sich um die Sehnsucht, den idealen Partner zu finden, was sich in diesem Beispiel aus inakzeptablen kulturellen Gegensätzen zerschlagen hat. In Emilys Gesang ist die Trauer über den Verlust deutlich zu spüren und die Wut über das Verhalten des ex-Partners manifestiert sich in einem hart rumpelnden Rhythmus.

    Die beste Therapie, mit enttäuschter Liebe fertig zu werden, ist es, den Frust abzuschütteln, was bei "Shake" mithilfe eines leidenschaftlichen, schnellen Punk-Pop-Grooves gelingt.

    Wenn eine platonische Liebe zu einer Liebesbeziehung wird, kann das den Blick auf den anderen Menschen und damit auf den Umgang miteinander vollständig verändern. Der schroffe Rock-Track "Magician" unterstützt diese Anschauung anhand eines fast schon militärisch straffen Schlagzeug-Taktes, eines Basses, der auch Lead-Gitarren-Funktionen übernimmt und eines Gesanges von Emily Kempf, der abwechselnd sinnlich, fordernd oder hymnisch ist.

    "Forget" ist genau genommen als Wiegenlied für Erwachsene gestaltet worden. "Wenn ich dir sagen würde, dass ich dich liebe, würdest du dann bleiben?", heißt es da aus dem Munde von Jason Balla. Denn es geht um den Wunsch, sich bei einer Trennung nicht zu verletzen und durch Liebe alles wieder in Ordnung bringen zu können. Leider bleibt es in der Realität meistens bei diesem Wunsch, der in der Regel nicht in Erfüllung geht. Deshalb ist es schön, wenn es eine warmherzig schunkelnde Melodie gibt, die die verletzte Seele tröstet und sie behutsam in den Arm nimmt. Auch wenn sich - wie hier - der Frust über das Zerwürfnis noch im Hintergrund lauthals meldet und keine Ruhe finden will.

    Die Songs auf "Poetry" sind von vitalen Kräften durchdrungen: Überzeugungskraft, Strahlkraft und Durchsetzungsvermögen. Mit den vermittelten Emotionen und Bildern kann jeder etwas anfangen und erkennt die Authentizität der erzählten Ereignisse. Die Musik ist einerseits eingängig und lieblich, zeigt andererseits auch Krallen und Zähne, denn die Gruppe verbirgt nicht das hässliche Gesicht, das hinter zerstörten Hoffnungen steckt. DEHD schreiben Lieder, die begeisternd, gefühlvoll und lebensnah sind, wobei häufig überschäumend intensive Gefühle durch kräftig-frische Klänge bei einer hohen Hit-Dichte übermittelt werden. Klasse Album, tolle Band.
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    Verbunden sein Karwendel
    Verbunden sein (LP)
    31.05.2024
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5
    Pressqualität:
    5 von 5

    "Verbunden sein" oder: Was bedeutet Liebe in Zeiten wie diesen?

    Ein Liebeslied muss nicht unbedingt nur die schon vollzogene Beziehung zwischen zwei Menschen beleuchten. Es kann sich auch um die dazu gehörenden Motivationen, Hindernisse und Gefühle, wie Mut zum Risiko, gesellschaftliche Zwänge und die Sehnsucht nach Gemeinschaft handeln. Alles, was eben mit dem "Verbunden sein" mit anderen Menschen zu tun hat. Ein weiter Themen-Bereich, den sich Sebastian Król poetisch einverleibt und akustisch Ausdruck verleiht.

    Sebastian Król ist ein Musiker in den Mittdreißigern, der in Hamburg lebt und auch als Promoter tätig ist. Karwendel ist sein Vehikel, mit dem er Poesie, intime Klänge und sensiblen Gesang in die Waagschale legt, um seinen Kompositionen Substanz zu verleihen, was die deutschsprachige Popmusik-Landschaft definitiv bereichert. Król verfolgt bei seinen Veröffentlichungen das Prinzip des kontinuierlichen organischen Gedeihens: Zunächst gibt es eine EP, die die grobe Richtung vorgibt. Dann folgt das Album, das die Ideen mit ergänzenden Tracks zum krönenden Abschluss bringt.

    "Verbunden sein" enthält nun die als Vorbote erschienene 6-Track-EP "Geteiltes Herz", ergänzt um vier neue Kompositionen. Diese tendenziell von einem lockeren Groove erfüllten Stücke fügen sich organisch in das Gesamtbild ein und erweitern noch die ohnehin schon vorhandene, plastisch-griffige Attraktivität: Die Einleitung zu dem 10-Song-Zyklus übernimmt die neue Aufnahme "Zu lang zu leise". Das ist ein Lied, welches elegant, leicht und beschwingt bedeutungsschwangere Worte transportiert: "Willst du mit mir untergehen? Und das wird die schönste Reise", heißt es da, während die gut geölte, charmant-flexible kleine große Karwendel-Big-Band ins Zauberland des gepflegten Easy-Listening einlädt. Sebastian traut sich, der Schönheit einen Raum zu bieten, in dem sie sich frei von Zwängen ausbreiten kann. Das Rhythmusgeflecht weist eine einladende exotische Färbung auf, die dem zugkräftigen Takt von "Egyptian Reggae" von Jonathan Richman & The Modern Lovers nahekommt.

    "Hinter dem Feld" hält gut gelaunte, schwungvolle Folk,- Country,- und Rhythm & Blues-Klang-Farben bereit, die den Song optimistisch und weltoffen erscheinen lassen. Der Text verheißt eine Aussicht auf Aufbruch, die den Weg für neue Erfahrungen frei macht. Das kann manchmal jedoch nur mit Hilfe von anderen Personen, mit denen man verbunden ist, gelingen - worauf der Track hinweist.

    Das Schlagzeug scheint ein hektisches Eigenleben zu führen oder es symbolisiert Panik, während der Gesang den Anstand und das Gute im Menschen beschwört. Der Song "Trost" läuft also auf mehreren Bewusstseinsebenen ab: Im persönlichen Bereich geht es darum, dass Geld allein nicht glücklich macht. Im Gegenteil, es kann zur Isolierung führen. Auf der gesellschaftlichen Ebene werden die rassistischen Attentate von Hanau und der Angriffskrieg in der Ukraine thematisiert. Gegen die Ohnmacht von solchen schrecklichen Ereignissen setzt Sebastian die Freude am kleinen Glück: Mit jemandem eine gute Zeit haben, die Sonnenstrahlen genießen oder Freude an Musik haben. Trost geben auch freundliche Worte oder der Glaube an die Utopie, dass "die Liebe den nächsten Krieg zerstört, bevor er jemals beginnt" - auch wenn die Realisierung dieses Wunsches nicht in greifbarer Nähe zu sein scheint.

    In das Abschluss-Stück "Auf dem Weg" legen Karwendel noch einmal ihre ganze sensible Überzeugungs-Wirkung, ihre spielerische Leichtigkeit bei melancholischer Ausgangsbasis, ihre lyrische Besonnenheit und - nicht zuletzt - die Fähigkeit, raffinierte, nachhaltige, spezielle Ohrwürmer zu erzeugen. Und wieder macht uns Sebastian Mut, indem er die Hoffnung nicht aufgibt und vom Leben in einer gerechten Welt sowie vom Glück ohne Macht und Geld träumt. Ihn interessieren keine oberflächlichen Gespräche, sondern er möchte mehr aus dem Leben der Leute erfahren, als das, "was sie am Kiosk herumerzählen". Er schaut hinter die Kulissen und spürt das Authentische auf, also das, was die Menschen tief im Innern bewegt. Dazu entwirft er stimmungsvolle Musik, die für "Auf dem Weg" kunstvoll-intime Brücken baut, die von der Unsicherheit hin zur Zuversicht führen.

    Die sechs Lieder von "Geteiltes Herz", die den Ausgangspunkt von "Verbunden sein" bilden, wurden erstmalig im Oktober 2023 veröffentlicht und haben auch nach Dauerbeschallung nichts von ihrer Attraktivität eingebüßt. Deshalb ist die damals gewonnene Einschätzung immer noch gültig:
    „Geteiltes Herz“, aber doppelter Genuss: Karwendel steht für liebevolle Sensibilität, musikalisches Einfühlungsvermögen und geschmackvolle Zuneigung.

    Karwendel alias Sebastian Król ist bekannt für mitfühlend-wehmütige Lieder, die den Folk als Basis in sich tragen und weltoffen eine eigentümliche musikalische Bandbreite abdecken. Diese poetische Songwriter-Kunst konnte bisher schon auf den EPs "Für den Moment" (Veröffentlicht am 22. Januar 2021) und dem Album "Im Lichte der Zeit" (Veröffentlicht am 26. November 2021) genossen werden. Am 6. Oktober 2023 kam nun mit "Geteiltes Herz" ein neues 6-Track-Werk hinzu.

    Für Karwendel sind Text und Musik gleichwertig. Eine intim-hingebungsvolle Lyrik ist der Ausgangspunkt für kunstvoll-ästhetische, hochwertige Musik. Król sucht für "Geteiltes Herz" nach neuen Ausdrucksformen in der Verbindung von Poesie und Schönklang und findet sie in der Schnittmenge zwischen kammermusikalischem Folk, melodisch verschachteltem Jazz, anspruchsvollem Pop und anregend-unterhaltsamen Experimenten. Das Ensemble transportiert dabei einen warm-harmonischen, wohlig-einschmeichelnden, leidenschaftlich-eigenständigen Sound mit Hang zur konstruktiven Melancholie auf Basis von freigeistigen Klängen. Ausgeglichenheit und Nachdenklichkeit werden auf diese Weise dynamisch gemixt und betörend umgesetzt.

    Der Sänger, Akustik-Gitarrist und Komponist Sebastian Król hat sich als Verbündete auf dem Weg zur schöngeistigen Herrlichkeit die Talente der Künstler Max Braun (Bassgitarre, Produktion), Joshua Weiß (Schlagzeug, Percussion), Samantha Wright (Klarinette), Linus Kleinlosen (Altsaxofon, Baritonsaxofon), Anna Wydra (Gesang) und Sönke Torpus (Piano, Gitarren, Gesang) gesichert und mit ihnen einen virtuos-stimmungsvollen Beistand gefunden.

    Eine bekannte Redensart lautet: "Jeder ist seines Glückes Schmied". Das bedeutet, dass man für sein Glück selbst verantwortlich ist und sich nicht unbedingt auf den Zufall oder die Hilfe von Anderen verlassen soll, wenn es um die Erlangung von innerer Harmonie geht. "Mein Glück" macht da allerdings andere Hemmnisse auf dem Weg zum Seelenheil aus: "Es fehlt so oft an Mut, manchmal auch an Überzeugung", um einem Impuls zu folgen, der sich als vielversprechend darstellt. Die Hauptperson des Liedes hat jedenfalls sein Glück gefunden: "Ich setz’ dich doch nicht aufs Spiel. Ich lass’ dich nicht mehr los, du bedeutest mir zu viel", dichtete Sebastian für den Refrain. Bei aller textlich zur Schau gestellten Glückseligkeit ist der Song dennoch kein rührseliges Liebeslied geworden, sondern eine betrübliche Ballade, bei der sich der Sänger darüber bewusst ist, dass ein Wohlgefühl leicht zerbrechlich ist. Diese Gefahr steckt hinter jeder Note.

    Mit seinem belebenden, suggestiv-monotonen, afrikanischen Folk-Jazz-Rhythmus und den gefühlvollen Klarinetten- und Saxofon-Klängen erinnert "Du darfst lieben" gleichzeitig an Richie Havens und an Ralph Towners Oregon. Der Song wird von folgender Aussage begleitet: "Kein Thema wird in der Popkultur so sehr besungen wie die Liebe. Umso überraschender erscheint es, wie neu der Selbstzuruf "Du darfst lieben – Lieb‘ so viel du willst" klingt. Es geht um eine Liebe abseits der romantischen Liebesbeziehung, die zu wenig Aufmerksamkeit und Akzeptanz erfährt. Sie ist überall zu finden: In Freundschaften, im Umgang mit unbekannten Menschen, im Verhältnis zum Körper oder der Natur."

    Für "Neuanfang" teilt Sebastian den Lead-Gesang mit Anna Wydra und geht mit ihr auch ein verführerisches Duett ein. Was als Lagerfeuer-Romantik beginnt, entwickelt sich im Nachgang zu einem fragilen Singer-Songwriter-Track mit raffiniert-unorthodoxem Joni-Mitchell-Flair.

    Bleierne Schwere legt sich auf "Wie du gibst": Das Tempo ist gering und Hoffnungslosigkeit scheint zu regieren. Die Töne tropfen zäh wie Sirup herab und färben den Untergrund dunkel. Der Harmoniegesang ist so sanft und zärtlich, dass es förmlich wehtut, wenn er aufhört. Man möchte ihn am liebsten als Seelenwärmer ständig im Ohr behalten. Klarinette, Piano, Stimme und Schlagzeug gehen eine innige Liebesbeziehung ein, die das Lied weit über den Status einer gewöhnlichen Ballade hinaushebt. Es ist nämlich eine bekümmerte Hymne, die einem übersinnlichen Gospel gleicht, welcher die Herzen mit einem spirituellen Feuer erfüllt. "Ein guter Platz an meiner Seite bleibt immer frei für all das, was ich noch nicht kenn, für das Licht, was in dir schon brennt" ist ein Bekenntnis zur Offenheit und zum Vertrauen.

    "Nur ein Schritt" ist quasi das Kernstück der EP, weil sich hier alle bisher ausgedrückten Emotionen und Gedanken in einer Sound-Collage wiederfinden und auf die Spitze getrieben werden. Auch für dieses Stück gibt es eine Erklärung vom Komponisten: "So Du Wa Lo Wa Du So Sa Lo - ein chorales Mantra, das wir heute nicht verstehen. Es braucht mutige Schritte ins Ungewisse, um neue Türen zu öffnen und das Bewusstsein und Verständnisse zu erweitern. Auch, wenn Sicherheiten aufs Spiel gesetzt, Fehler oder gar Schuld riskiert werden. Der Antrieb, diesen einen Schritt zu gehen, diesen Sprung zu wagen, dies Wort zu sagen - der Antrieb ist die Sehnsucht nach einem lebendigen, erfüllten Leben".

    Bei "In der Sonne" gibt es keinen Gesang, dennoch verfehlt das Stück nicht einen inspirierenden Effekt. Es bleibt allerdings kein Raum mehr für weitere Innovationen, denn jetzt sind Einkehr und Besinnung gefragt, die durch die Reinheit und Transparenz der Töne gewährleistet werden. Deshalb musste wohl ein Instrumentalstück den Schlusspunkt setzen, das sich im Kern auf alte Werte bezieht und den Jazz an seiner Wurzel packt.

    "Van Morrison und Robert Wyatt sind Einflüsse für die offene Form, Bonnie "Prince" Billy und Manuel García für die organische Produktion", definiert und spezifiziert Sebastian Król seine Hauptanregungen bei der Umsetzung für "Geteiltes Herz". Das attraktive Folk-Jazz-Flair wurde passgenau in das bittersüße Befinden integriert, wobei die Atmosphäre letztendlich tröstend und nicht depressiv ist. Warme Blasinstrumente, dezent raumfüllende Keyboards und eine flexible Taktgebung setzen besondere Duftmarken. Der diskret-vertrauliche Gesang sowie die geistreichen und gütigen Texte sind dann noch das Tüpfelchen auf dem I. Sebastian Król setzt seine Empfindsamkeit stets unbestechlich durch und sorgt dadurch für einen hohen Wiedererkennungswert und für ein großes Maß an Identifikationspotential. "Geteiltes Herz" ist originell und bemerkenswert kraftspendend - trotz (oder gerade wegen) der vielen Moll-Töne!

    Karwendel entwickelte mit "Geteiltes Herz" eine barocke Folk-Jazz-Umgebung, welche passgenau in eine melancholische Klanglandschaft integriert wird, wobei die Stimmung letztlich tröstend und nicht depressiv erscheint. Holzbläser und Duett-Gesänge setzen besondere Duftmarken. Der sensible Gesang und die einfühlsame Lyrik sind dabei das Tüpfelchen auf dem I. Die Produktion von Max Braun (unter anderem auch tätig für BRTHR, Carolina Lee und Paul Armfield) hinterlässt einen warm-harmonischen, wohlig-einschmeichelnden Eindruck und verpasst dem eigenständigen Sound, der Ausgeglichenheit und eine kultivierte Instrumentierung bereithält, den letzten Schliff.

    Durch die vier neuen Stücke, die der "Geteiltes Herz"-EP für "Verbunden sein" als aktuelle Standortbestimmung zugeordnet wurden, erhält das Gesamtkonstrukt einen noch facettenreicheren Ausdruck. Die ergänzenden Lieder künden von einer stetigen, organisch wachsenden Entwicklung, die alle Richtungen offenlässt und auch möglich macht. "Verbunden sein" ist ein Glücksfall: Selten war deutschsprachige Pop-Musik künstlerisch so wertvoll und aufrichtig wie hier.

    In seinem Metier darf man Sebastian Król getrost einen gehaltvollen Dichter und Denker nennen, was nicht vermessen ist. Ihn hinsichtlich der poetischen Kraft in eine Linie neben Hölderlin, Heine und Hesse zu stellen, ist nicht übertrieben. Denn seine Texte sind extrem feinfühlig, scharfsinnig und lyrisch anspruchsvoll formuliert, sodass sie das Hirn auf Schwung bringen und das Herz in Flammen setzen.
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    4 von 5

    Laura Carbone - eine verführerische, zärtlich-wilde Schamanin.

    Herausfordernde Kunst basiert häufig auf einer individuell stark ausgeprägten Persönlichkeit. Die Musikerin Laura Carbone profitiert nicht nur von ihren deutschen und italienischen Wurzeln, sondern macht klangliche Kreativität und feinfühlige Spiritualität zu ihren Markenzeichen. Mit der wandelbaren Stimme regt sie die Empfindungen der Menschen an und als Medium geht sie auf Tuchfühlung mit Sehnsüchten, Ängsten, Hoffnungen und Glücksgefühlen. "The Cycle", das vierte Album der in Berlin ansässigen Künstlerin, stellt Kreisläufe in den Mittelpunkt der Überlegungen, was sinnbildlich für die Jahreszeiten, aber auch für das Leben stehen kann. Auf dreizehn Songs schlägt sie also gedanklich einen Bogen vom Werden bis zum Vergehen.

    Der Song-Zyklus beginnt mit "Mourning Each Day Away", wo Sehnsucht in intensiv aufgeladene Noten gegossen wird: "Ich sehne mich nach jemandem, der mich hält. Ich wünsche mir, dass du dieser Jemand bist". Aber es hilft manchmal kein Hoffen und kein Bangen, denn längst nicht alle Wünsche gehen in Erfüllung. Was eventuell bleibt, ist die Trauer über verpasste Gelegenheiten. Der Song steht aber auch für Erneuerung und präsentiert deshalb den Frühling im Sinne der Darstellung der Jahreszeiten bei "The Cycle". Laura nimmt uns mit in ein Wechselbad der Gefühle. Intime, akustische Folk-Gitarren erschaffen eine belastbare Struktur und die von Fantasie erfüllten Bass- und Keyboard-Figuren weisen den Weg in eine verschwommene Scheinwelt. Der Gesang wagt einen Spagat zwischen gedankenverlorener Träumerei und brutaler Realität, wobei die Wahl-Berlinerin die unterschiedlichen Stimmungslagen geschickt miteinander koordiniert. Sogar Wut findet einen passenden Platz in diesem dynamisch vielfältig ablaufenden Art-Rock-Emotionstaumel.

    Für "Oh Rosalie" wird der Druck und das Energielevel noch erhöht. Dabei fusionieren eingängige Pop-Strömungen mit rauschhaften Schwingungen, was zu einer akustischen Kernschmelze führt.

    "Lose My Love" braucht eine Weile, bis sich der Track aus seiner genussvollen, selbstgefälligen Schläfrigkeit befreit und sich stetig mit mächtigem Steigerungspotential zu einem aufbrausenden Monster mit schnarrend-kreischenden Gitarren-Wirbeln entwickelt. Dann gibt es kein Halten mehr und der Track endet in einem überschäumenden Klang-Inferno. Laura lässt sich davon gerne inspirieren und versetzt sich gesanglich in einen ekstatischen Zustand.

    "Silver Rain" zelebriert die hypnotische Wirkung eines monotonen Rhythmus, der in Verbindung mit einer angenehmen Melodik den Boden für umschmeichelnde Pop-Nuancen vorbereitet. Gemeinsam bringt das durch die sich gegenseitig anstachelnden Gegensätze einen reibenden Reiz mit sich.

    Die filigrane, vom Piano dominierte Ballade "Red Velvet Fruit" entwirft hingegen eine morbide, geisterhafte Atmosphäre, bei der der Stimme die Hauptrolle für die Erzeugung von Gänsehaut-Momenten zugesprochen wird.

    Laura singt für "Horses" in einer Tonlage, die sowohl lässig-lasziv als auch müde klingt und in ihrer selbstbewussten, sinnlichen Darstellung an Chrissie Hynde von den Pretenders denken lässt. Das Lied entwickelt durch diese attraktive Kombination eine inbrünstig schmachtende Präsenz, die einen süßen Duft verströmt. Im Jahreszeiten-Zyklus wurde das Lied dem Sommer gewidmet, was durch seine Gelassenheit untermauert wird. "Die Passion und den Mut, die es braucht, um sich zu trauen, für sich einzustehen" sind die Antriebe, die als philosophische Botschaft hinter den verführerischen Noten stecken.

    "Run" gehört zu der Kategorie von Songs, die psychedelische Züge tragen, dabei auch Aggressionen zulassen und bedrückende sowie panische Situationen erzeugen, sich aber gegen diese bedrohlichen Vorkommnisse auflehnen. Der Verlauf gleicht einem Vulkan, der sich vom inaktiven Zustand allmählich zur vollständigen Eruption hin entwickelt.

    Der sphärisch angehauchte, am Gospel geschulte Folk-Rock "I Miss The Soft Touch Of Rain" neigt zur Dramatik, welche durch Carbones raumgreifenden Lead-Gesang heraufbeschworen und genährt wird. Gegen Ende des Stückes sorgen überraschende Flamenco- und Country-Töne noch für frischen Elan und beruhigende Tendenzen in der vorher aufgewühlten Sound-Landschaft.

    Gitarren-Rückkopplungen, extravaganter Gesang und freigeistige, selbstständig agierende Begleitmusiker lassen "Tuesday" zu einer nervlich überspannten Grenzerfahrung am Rande eines durchkomponierten, aber dennoch rauschhaft-aufregend gestalteten Songs werden, der mit improvisierten Experimenten durchzogen ist. Das macht aus Lauras Sicht den Herbst in der persönlichen Betrachtung der Jahresuhr aus.

    "Season Without Light" bringt die nächste klangliche Herausforderung mit sich, denn hier mischen sich exotische, auf- und abschwellende Klangschalen-Schwingungen unter die sachlich-klaren Akkorde einer akustischen Gitarre. Laura lässt ihre Stimmbänder manchmal elfenhaft erklingen, wodurch der Track eine weitere esoterische Ausrichtung erhält.

    Langsam, weich, vorsichtig und sensibel wurde "The Good" gestaltet, sodass der Song nur durch die in schwindelnde Höhen aufsteigende Stimme aus seiner selbst gewählten Idylle - die den Winter im Jahreszeiten-Reigen symbolisiert - hervorsticht. Die Moral dieses Liedes liegt in der Erkenntnis, sein Schicksal nicht in die Hände von anderen zu legen, sondern aufgrund der eigenen Erfahrungen bei sich selbst zu ergründen, was einem guttut.

    Die sowohl versponnenen als auch kraftvollen Folk-Rocker "(You’re A) Star" und "Phoenix Rise" verfügen über eine fein gesponnene, klug auskomponierte, sich dynamisch verändernde Melodie, was die Songs als musikalische Erben des Westcoast-Sounds der Endsechziger Jahre ausweist.

    In den 66 Minuten Laufzeit von "The Cycle" bringt die engagierte Künstlerin einige Stil-Wendungen unter. Gesanglich schlüpft sie dabei in sanfte oder robuste Rollen: "Deine Stimme ist dein kraftvollstes Geschenk. Sie hat die Fähigkeit zu inspirieren, zu heilen, zu erschaffen und die Welt zu verändern", kommentiert die Sängerin die Bedeutung ihrer entschlossenen Gesangsbeiträge.

    Zusammen mit ihrer Band erschafft Laura Carbone teilweise magische Klangräume, die unter anderem nach unterirdischen Gewölben oder nach Prunksälen klingen. Diese Abwechslungen zeigen die kreativen Möglichkeiten der Künstlerin auf, die dadurch ein interessantes Werk erschaffen hat, das aber auch Durchhaltevermögen bei der Hörerschaft voraussetzt. Und das ist gut so, denn was gibt es beim Musik hören Schlimmeres, als unterfordert zu sein?
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    Self-Inclusion Dino Brandao
    Self-Inclusion (CD)
    30.05.2024
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Jetzt erst recht: Dino Brandão trotzt den Widrigkeiten des Lebens.

    Die Diagnose einer schweren Krankheit kann zu tiefen Depressionen oder zur Freisetzung von bisher nicht ausgeschöpften Fähigkeiten führen. Oder es kann beides passieren. Wie beim Schweizer Musiker Dino Brandão. Das Leben des Künstlers ist von einigen Wechselfällen geprägt. Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken und Erfolge als Kreativer stehen sich dabei kontrastreich entgegen. Aktuell wurde bei ihm Multiple Sklerose festgestellt. Dino Brandãos Leben ist dadurch sinnbildlich in einen Taumel zwischen Zweifel und Euphorie geraten. Kontraste, die dazu führten, dass "Self Inclusion" einen langen Entstehungsprozess benötigte und das Werk zu einem extravaganten, spannenden Erlebnis werden konnte. Durch die Lebensumstände erklärt sich, warum die Platte so viele unterschiedliche Facetten authentisch aufzeigen kann - sie sind eben alle intensiv durchlebt oder durchdacht worden.

    Zudem setzt "Self Inclusion" eine Reihe von Assoziationen frei, weil die Platte individuelle Eindrücke mit Mustern von musikalischen Vorbildern ineinander verdreht. Dazu gehören auch etliche Weltmusik-Strömungen und eine harmonisch eingebettete introvertierte Melodienvielfalt. Außerdem passen der erste Track "Sweet Madness" und der Abschluss "Loser" inhaltlich zusammen, weil beide Lieder aus der Erfahrung der Unterbringung in der Psychiatrie gespeist wurden. ""Loser" ist dabei nicht weniger als eine Hymne auf die vermeintlich dem Wahnsinn verfallenen Personen, die in Wahrheit vielleicht nur eine Auszeit brauchen von dem Wahnsinn, der uns alle umgibt", erklärt der Musiker seine Titel-Wahl und gleichzeitig verbindet er die Abschottung von der Gesellschaft in einer Klinik als Möglichkeit, die Gesundung zu unterstützen - wenn diese Phase professionell begleitet wird.

    "Self Inclusion" sollte allerdings nicht auf die persönlichen Belange von Dino Brandão reduziert werden, auch wenn die Isolierung von der "Normalität" natürlich prägend war. Deshalb bildet der Opener "Sweet Madness" die öffnende Klammer um das Album. Der Song verkündet als Einstimmung auf Dinos Erkenntnis-Gewinne eine poetisch-philosophische Aussage über den Umgang mit unbequemen Tatsachen: "Der Wahnsinn beginnt, wenn die Wahrheit verdunkelt wird".

    Während der Titel noch durchgehend in einem rauschhaft-schläfrigen Art-Pop-Zustand verharrt, schüttelt der abschließende Track "Loser" die Melancholie nach einer Weile ab und widmet sich aktiven rhythmischen Gestaltungen, die "Self Inclusion" immer wieder stilistisch breit gefächert begleiten und bereichern. Inhaltlich wird die Sicht von außen auf psychiatrische Einrichtungen erklärt: "In der Psychiatrie sind wir alle gleich, zugedröhnt, aber unschuldig. Alle meine neuen Freunde hier haben den Test nicht bestanden. Die Gesellschaft hat beschlossen, dass wir uns ausruhen sollen". Bei dieser Beschreibung läuft der bedrückende, tragisch-komische Film "Einer flog über das Kuckucksnest" mit Jack Nicholson in der Hauptrolle vor dem geistigen Auge ab.

    "Bouncy Castle" lädt über einen lässigen Bossa Nova-Takt zum eleganten Entspannen ein. Der Rhythmus kommt aus der Maschine und Brandãos Stimme erklimmt zur Spannungssteigerung auch schon mal hohe Tonlagen, betätigt sich ansonsten allerdings oft als gewandter Entertainer. "Das Leben ist eine Hüpfburg. Gefüllt mit Tränen und Lachen", ist die Kernaussage des Stücks.

    Medikamentenversuche in Luanda im Jahr 1965 an 50 Kindern, die Kopfläuse hatten, führt zum Tod: "Coma" lässt die Vergangenheit nicht ruhen und zapft zur Untermalung dieser abscheulichen Story den mexikanischen Mariachi-Sound an, der durch Calexico in den Mainstream gelangt ist. Aktive Percussion-Klänge bringen den Track auf Trab, Trompetenfanfaren drosseln die Euphorie wieder und Dino lässt sich gesanglich mal von der aufgewühlten und mal von der bedächtigen Stimmung anstecken.

    Das dunkle, sich anscheinend mühselig dahinschleppende Chanson "Coconut" spielt für seinen rätselhaften Ausdruck mit den undurchsichtigen Stimmungslagen in einer schwülen Nachtklub-Szenerie, bei der sich die Gestrandeten, die Zwielichtigen und die Unglücklichen zufällig versammeln und die Anonymität suchen. Der moderierende Gesang ist bisweilen beißend-schmerzend bis unangenehm-quälend, was dem Song eine einschneidende Intensität verleiht. Als würden sich die Noten ihren Weg durch eine zähe Masse hindurch bahnen müssen, wirkt der Ablauf auf anziehende Weise klebrig und langsam. Dabei geht es im Text eigentlich um die vergeblichen Liebesbemühungen beim Werben um eine Frau - was sich natürlich auch traumatisch auswirken kann.

    "Progress" punktet mit südländischem Temperament und überkandidelten, schrillen Gesangseinlagen. Die Spielfreude streift dabei die Grenze zur hemmungslosen Euphorie. Wie ferngesteuert oder hypnotisiert spulen Background-Stimmen ihre Formeln ab, aber der skizzierte kalkulierte Wahnsinn hat Methode: "Viele europäische Länder sind reich geworden, weil sie lange Zeit andere ausgebeutet und kolonialisiert haben. Und wenn die Menschen, die Generationen später noch immer unter den Auswirkungen davon leiden, nun zu uns kommen wollen, wirft man ihnen vor, uns ausnehmen und bestehlen zu wollen", diagnostiziert der Schweizer Musiker mit afrikanischen Wurzeln.

    Durch einen gefälschten Südsee-Feeling-Sound schwimmt "Everyday Happy Birthday" auf einer Wohlfühl-Welle ins Haus. Ob man allerdings solch ein aufgekratztes Geburtstagsständchen jeden Tag haben möchte, sei infrage gestellt. Denn der Song nimmt sich selbst nicht so ganz ernst und kann hinsichtlich der zur Schau gestellten, übertriebenen Fröhlichkeit sogar als Persiflage angesehen oder verstanden werden. Das Lied beschreibt gemischte Gefühle, die uns beschleichen können, wenn wir bewusst oder unbewusst inkonsequent handeln. Ein täglicher Geburtstagsgruß soll dann aber bewusst machen, dass wir uns trotzdem feiern lassen können, weil wir das Meiste doch immer richtig gemacht haben.

    Es gibt etliche illegale Diamanten-Minen im Dschungel von Südamerika. Die Arbeitsbedingungen sind erbärmlich, die Natur wird durch die Förderung zerstört, Krieg, Krankheit, Korruption, Kriminalität und Armut quälen die Menschen zusätzlich und nur wenige Personen werden durch die geförderten Edelsteine tatsächlich reich. Dieser problematische Themenkomplex liegt "Learning Portuguese" zugrunde, der durch spritzig-unbedarfte Latin-Rhythmen getarnt wird und so vorübergehend seine niederschmetternde Aussagekraft verlieren kann.

    Ein holpriger Afro-Beat-Takt bringt "Pretty" zunächst teilweise zum Schlingern, daneben gibt es aber noch Passagen, die von gemütlich-maritimem Schaukeln und quengelndem Gezerre durchzogen sind. Balladeske Momente und meditative Töne tragen ergänzend zu einem munteren Musik-Puzzle-Effekt bei. Thematisch geht es ernst zu: Einem 12-jährigen Mädchen wird klar, wie heftig die Globalisierung dem kleinen, bäuerlichen Erwerb der Familie zusetzt.

    "Hybrid" ist lebhaft, mystisch, melodisch, neugierig-verspielt, ausgeglichen und nervös. Heraus kommt dabei ein abwechslungsreicher Art-Pop mit künstlerischem Hintergrund, wie ihn Robert Wyatt gerne praktiziert. Dino Brandão gelingt es, mit dem Song eine unverkrampfte, originelle Arrangier- und Komponierkunst auf höchstem Niveau zu zelebrieren! Der Song macht darauf aufmerksam, dass Migration eine natürliche Entwicklung ist und die Grundlage für viele Fortschritte darstellt.

    Als wichtigste Erkenntnis bleibt bei der Beschäftigung mit "Self Inclusion", dass die Musik auch ohne die intimen Kenntnisse über die Lebensgeschichte von Dino Brandão interessant und rätselhaft ist. Neben traurigen, unscharf verletzlichen Schwingungen transportiert sie nämlich jede Menge von lustvoll-heiteren, klar und hell glitzernd-funkelnden Eindrücken, die sich nach bunter Knete im Kopf eines positiv "Verrückten" anhören.

    In den Songs pulsiert das Leben in all seinen Schattierungen. Ausgelassenheit und Lebensfreude nehmen dabei aufgrund von (poly)rhythmischen Auflockerungen einen großen Platz innerhalb der Kompositionen ein. Ob es sich dabei um eine tief empfundene Fröhlichkeit oder um Zweckoptimismus handelt, spielt keine Rolle, weil dem Art-Pop auf die eine oder andere Weise eine lässige Unbekümmertheit zugewiesen wird. Traurigkeit taucht nur am Rande des Werkes auf, sodass eine Ausgewogenheit der Emotionen gewahrt bleibt. "Ich mag es irgendwie, den Leuten schwere Themen mit beschwingter Musik unterzujubeln", erklärt der Musiker sein Vorgehen.

    Dino Brandão ist ein erfahrener Musiker. Bis 2019 war er Sänger und Gitarrist der Band Frank Powers. Danach folgte der Song "Ich liebe dich" mit Faber und Sophie Hunger sowie 2020 die EP "Bouncy Castle", die nun den Titel-Track und "Pretty" für das Album beisteuert. Der Schweizer hat seine Nische, seine persönliche Ausdrucksform gefunden und "Self Inclusion" fast alleine eingespielt. Er macht sich auf seinem Solo-Debütalbum die Tugend zunutze, dass die optimistische Schwester der Melancholie die Hoffnung ist. Mit dieser Erkenntnis und mit seiner künstlerischen Begabung überlistet er die Widrigkeiten des Lebens. Bravo, Dino!
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    A LA SALA (Limited Edition) (Soleil Vinyl) A LA SALA (Limited Edition) (Soleil Vinyl) (LP)
    30.05.2024
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5
    Pressqualität:
    4 von 5

    Erstaunlich! Jedes Stück auf "A la Sala" beinhaltet eine spezielle Tonfärbung.

    Das Trio Khruangbin aus Texas vollbringt trotz nahezu gleicher Instrumentierung durch die Rumpfbesetzung von Laura Lee Ochoa am Bass, dem Schlagzeuger Donald "DJ" Johnson, Jr. und Mark "Marko" Speer an der E-Gitarre ein hohes Maß an Abwechslungsreichtum. Das gelingt, weil aufgrund der unterschiedlichen Gewichtung der wenigen eingesetzten Klangkörper ein vielfältiges Erleben der überwiegend instrumentalen Kompositionen entsteht. Dazu kommt ein gerütteltes Maß an Erfahrung, Vorstellungskraft und Mut, was zusätzlich zur Differenzierung der Stücke beiträgt. Dadurch, dass jeder Track einen originellen Weg verfolgt, benötigt man allerdings ein weites (Selbst)-Verständnis von Musik, um das Album in Gänze einordnen, honorieren und nachvollziehen zu können. Es ist ein Lehrstück für eine universelle Auffassung und Umsetzung von Klangstrukturen jenseits von eingefahrenen Stilgrenzen.

    Khruangbin ist thailändisch und bedeutet so viel wie Fluggerät. Der Ausdruck beschreibt genau den Überflieger-Gedanken der Musiker, der ihren Kreationen den Abstand zu gängigen Mustern verschafft, was sie akustisch über den Dingen stehen lässt, weil sie eben nicht an erwartete Abläufe angepasst sind. "’A la Sala' (= zum Zimmer), das habe ich als kleines Mädchen immer in meinem Haus herumgeschrien, um alle im Wohnzimmer zu versammeln; um meine Familie zusammenzubringen", beschreibt Laura Lee Ochoa ihre Gedanken zur Auswahl des Album-Titels. Für das Werk werden liebgewonnene Eindrücke - sozusagen familiär klingende Töne - und individuelle Klangvorstellungen zu einem großen Ganzen vereint. Das führt zu einer Vielfalt von Eindrücken, die alle voneinander abstammen, weil sie gemeinsame Ahnen haben. Die Konstrukte dürfen sich unterschiedlich frei entwickeln, was auch Gegensätze herausbilden kann.

    Die vorherrschende Stimmung bei "Fifteen Fifty-Three" ist Gelassenheit bis hin zur Tiefenentspannung. In der Ferne rauscht und fiept es leise. Der Bass eröffnet ruhig und langsam den transparenten Instrumenten-Reigen. Die E-Gitarre steigt entspannt-melodisch mit ein und das Schlagzeug übernimmt nach einem schüchternen Beginn die swingende Führung. Das Trio spielt zwar Muster, die an Jazz und an der Klassik angelehnt sind, aber in dieser losen Form keinem Genre eindeutig zuzuordnen sind. Um Orientierung ringend fällt eine Ähnlichkeit zu manchen Songs des experimentierfreudigen Folk-Jazz-Kollegen Ryley Walker, wie "Funny Thing She Said" aus 2016 ein. Dann kommt noch der romantische Rock von Peter Greens Song "Albatross" in den Sinn, den er 1969 für Fleetwood Mac verfasst hat. Es besteht sogar eine Wahlverwandtschaft zum wortlosen "Warm And Cool" des Television-Frontmannes Tom Verlaine. Diese Assoziationen erweisen sich aber nur als flüchtige Eingebungen ohne wirkliche Substanz - zu eigenwillig und eigenständig ist die freigeistige Khrungbin-Schöpfung.

    Die vorherrschende Stimmung bei "May Ninth" ist sonnig und mild. "May Ninth" hilft aber nicht weiter, wenn es darum geht, einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, der die Khrungbin-Musik in kurzen Sätzen beschreiben könnte. Die Klänge vollziehen hier einen Schlenker hin zum weichen Dream-Pop, was besonders durch den sensibel-anschmiegsamen Gesang von Laura Lee Ochoa Nahrung erhält.

    Die vorherrschende Stimmung bei "Ada Jean" ist geheimnisvoll und spannend. Mark Speers Gitarre erzählt halbseidene Geschichten aus der Sicht eines geläuterten Ex-Kriminellen, könnte man meinen. Dunkle Gassen, flackerndes Neonlicht, zwielichtige Gestalten und verrauchte Kneipen huschen gedanklich durch diese transparente Tonkonstruktion.

    Die vorherrschende Stimmung bei "Farolim de Felgueiras" (= Leuchtturm von Felgueiras) ist exotisch und berauschend. Nord-Afrikanische Folklore-Entwürfe schwingen genauso wie psychedelische Rausch-Erfahrungen mit und färben das Stück in zarte, ineinander fließende Pastellfarben.

    Die vorherrschende Stimmung bei "Pon Pón" ist aufgeregte Ausgelassenheit. Pon-Pons sind Stoff-Bommel, die in unterschiedlichen Ausprägungen zur Verzierung dienen. Kreativität wird beim Basteln genauso eingefordert wie auch in der Tondichtung: Die E-Gitarre quengelt unruhig, der Bass geht gemächlich seinen eigenen Weg und das Schlagzeug ist um einen sinnlich-begehrenswerten Takt bemüht.

    Die vorherrschende Stimmung bei "Todavía Viva" ist verführerisch und lasziv aufgeladen. Wie so viele Songs auf "A la Sala" taugt auch "Todavía Viva" (= immer noch am Leben) zur Untermalung von Dokus oder Reiseberichten, denn es werden sehnsüchtige Erwartungen freigesetzt. Der Song spielt erotische Gefühle gegen klare, markante Akzente aus, sodass sowohl verträumte als auch deutlich verdichtete Passagen ihre Berechtigung erhalten.

    Die vorherrschende Stimmung bei "Juegos y Nubes" (= Spiele und Wolken) ist ungefiltertes Fernweh. Rockabilly und Melodic-Rock befruchten und respektieren sich gegenseitig, indem sie eine friedliche Koexistenz führen. Das lässt Aromen entstehen, die von unendlichen Weiten und Freiheit künden.

    Die vorherrschende Stimmung bei "Hold Me Up (Thank You)" ist unwiderstehlicher Bewegungsdrang. Souliger Funk kam bisher schon manchmal unterschwellig zum Tragen, hier spielt er eine größere Rolle. Er stellt sich aber nicht breitbeinig in den Weg, sondern sorgt für befreiende Bewegungen in einem nach Körperlichkeit suchenden Track.

    Die vorherrschende Stimmung bei "Caja de la Sala" ist spirituelle Einkehr. Mit wenigen filigranen Tönen und einer bedächtigen Ausrichtung erschafft die Band eine Atmosphäre von innerer Einkehr, die unaufgeregt, aber trotzdem intensiv ist.

    Die vorherrschende Stimmung bei "Three From Two" ist bewusst gelebter Zweckoptimismus. Klingt "Three From Two" nun aber nach karibischem Urlaubs-Flair oder ist der Track eine Parodie darauf? Khruangbin bleiben stets zweideutig, zwiespältig und ihre Ideen sind deshalb hinsichtlich ihrer Bewertung Auslegungssache. Ernsthaftigkeit und Kitsch liegen nämlich nahe beieinander.

    Die vorherrschende Stimmung bei "A Love International" ist fordernde Unnachgiebigkeit. Das Stück scheut sich nicht, mit Nachdruck Tonfolgen so lange zu wiederholen und diese dabei massiv zu steigern, bis sie anfangen zu schmerzen.

    Die vorherrschende Stimmung bei "Les Petits Gris" (= die kleinen Grauen) ist eine meditative Verschnörkelung. Es wird ein stoisch aufspielendes Piano ins Spiel gebracht, das sich mit der lückenhaft auftauchenden Gitarre die Aufmerksamkeit teilt. Neben "Caja de la Sala" ist "Les Petits Gris" der ergreifendste Track der Platte.

    Es scheint, als wäre das Wort "unspektakulär" für "A la Sala" in bester Absicht zur groben Beschreibung ihrer Kunst erfunden worden. Zumindest, wenn es für "unaufdringlich" oder "zurückhaltend" steht. Der zarte Gesang von Laura Lee Ochoa und die dezent eingeblendeten Umweltgeräusche vermitteln eine wohlwollende, harmonisch geerdete Situation, die den Easy-Listening-Touch unterstützt.

    Die Musik versucht jedoch generell, einen Spagat zwischen unauffällig unterhaltsam und unangestrengt anspruchsvoll hinzubekommen, was in den meisten Fällen auch gelingt. Diese Mischung kann aber dazu führen, dass sich die Hörerschaft damit nicht voll identifizieren kann, weil sie es gewohnt ist, Eindeutigkeit vorzufinden. Zwischen den Stühlen fühlt man sich eben nicht unbedingt wohl. "A la Sala" lässt auch Fragen offen: Inwieweit beinhalten die Klänge persiflierende Elemente oder soll etwa bewusst eine alternative Form der Verbindung von Post-Rock und Mainstream-Pop ergründet werden?

    Aber genau dieses widersprüchliche Empfinden provoziert das Trio mit ihrem vierten Longplayer, was durchaus Unverständnis hervorrufen kann. Das wäre schade, denn die Klänge transportieren so viel mehr Emotionen, als es blasse Hintergrundmusik vermag. Wir erinnern uns an die Eingangsbemerkung: Der Ausruf "A la Sala" brachte die Familie zusammen. Eine Familie besteht in der Regel aus kontroversen Individuen, die trotzdem durch ihre Verbundenheit eine Einheit bilden können. Auf dieser Basis funktioniert auch diese Musik: Vertrautes und Unerwartetes, Gewöhnliches und Außerordentliches stehen Hand in Hand. Diese Konstellation kann gefallen, kaltlassen oder ärgern. Solche Interessenlagen können eventuell auch innerhalb der Familie auftreten. "A La Sala" schöpft also gefühlsbetont voll aus dem wirklichen Leben.
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    Townie X Ambassadors
    Townie (CD)
    30.05.2024
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    3 von 5

    Gibt es eine Zukunft für den rockigen Pop oder poppigen Rock?

    Der Rock ist tot! Diese pauschale Aussage hört man immer wieder und sie hat noch nie gestimmt. Aber tatsächlich findet sich in den Top-10 der deutschen Album-Charts von Media Control am 04.04.2024 nicht ein Werk, welches entfernt dem Pop-Rock/Rock-Pop zuzurechnen wäre. Und nun tritt das Trio X-Ambassadors aus New York mit ihrer vierten Platte "Townie" auf den Plan, mit der es diese Ausrichtung aufrechterhalten, beziehungsweise wiederbeleben könnte.

    Manchmal ist das neue Werk von Sänger Sam Nelson Harris, seinem blinden Bruder Casey an den Keyboards und dem Schlagzeuger Adam Levine von Lagerfeuerromantik geprägt, denn es gibt sogar akustisch gestimmte, ruhige Abschnitte. Diese Songs weisen aufgrund ihrer sparsamen Intimität einen ungezwungenen Übungsraum-Session-Charakter auf. Daneben gibt es ebendiese Art von Liedern, die für harten Rock ’n’ Roll zu sanft und für Chart-tauglichen Pop zu laut sind, die auffallen.

    Negativ zu Buche schlagen dabei allerdings Allerwelts-Schmachtfetzen wie "Fallout",
    "Women's Jeans" und "Half Life". Sie sind klischeehaft, übertrieben aufgeblasen und verbreiten mit krampfhaftem Gesang individuelles Leid und Weltschmerz. Diese Tracks schmälern den recht positiven Höreindruck eindeutig, weil sie jammervoll statt aufrichtig klingen und eingefahrene, massentauglich akzeptierte pseudo-sensible Ausdrucksweisen anwenden, statt authentisch wahrgenommene Emotionen abzubilden. Die X Ambassadors versinken in diesen Fällen trotz vielversprechenden Ansätzen leider im trüben Mittelmaß. Sie scheinen dann die Balance zwischen profitorientiertem Songwriting und engagiertem Künstlertum verloren zu haben.

    Die Counting Crows, Hootie & The Blowfish, R.E.M., The Wallflowers, Jackopierce, BoDeans, Dave Matthews Band oder Tom Petty & The Heartbreakers haben es einst vorgemacht, wie man Pop-Leichtigkeit und Rock ’n’ Roll-Gradlinigkeit interessant unter einen Hut bekommt, ohne sich an Chart-Gesetzmäßigkeiten anzubiedern. Die mit Platin-Verkaufszahlen verwöhnten X Ambassadors sollten sich an diesen Vorbildern orientieren, anstatt in die Beliebigkeit-Falle zu tappen.

    Bei "Townie" wechseln sich also Licht und Schatten ständig ab: Wenn sich der Bass und der sirrende, flirrende und kreischende Feedback-Sound der E-Gitarre im Hintergrund bemühen, die Luft unheilvoll vibrieren zu lassen, dann haben es die sauber gepickte akustische Gitarre, das cool driftende Schlagzeug und der selbstbewusst-kraftvolle Gesang leicht, "Sunoco" zu einem sowohl gefühlvollen als auch energisch auftrumpfenden Mystery-Track gedeihen zu lassen.

    "Smoke On The Highway" erzählt von der Aneignung des heiligen Bodens der amerikanischen Ureinwohner und fängt neben indigenen Rhythmus-Vorstellungen auch bodenständige Country-Folk-Takte ein.

    Unnachgiebige Folk- und erdige Blueswurzeln prägen das ihrem Mentor Todd Peterson gewidmetem "Your Town", das durch den dynamisch abgestuften Gesang dramatisch aufgeladen wird. Und die Feedback-Gitarre aus "Sunoco" stellt sich erneut in den Dienst der lärmenden Verzierung.

    "I'm Not Really Here" und "Start A Band" füllen die Schnittstelle zwischen Rock und Pop glänzend aus. Die Tracks verfügen über einen richtungsweisenden Groove, der durchgängig für Feuer sorgt und die Lieder zu attraktiven Radio-Hits werden lässt.

    Direkt auf den Einsatz auf der Tanzfläche zielen "Rashad" und "No Strings" mit ihren hypnotisch pumpenden Rhythmen ab, während "(first dam)" eines der angesprochenen Demo-Tape-ähnlichen, intimen Alternative-Folk-Stücken ist.

    Mit der Ballade "Follow The Sound Of My Voice" zeigen die X Ambassadors, dass sie durchaus glaubhaft anrühren können, ohne in schwülstige Übertreibungen verfallen zu müssen.

    Mit "Townie" tauchen die X Ambassadors in ihre Vergangenheit ein und berichten über Ereignisse, die sie in ihrer Heimatstadt Ithaca im Bundesstaat New York mit Freunden und innerhalb der Familie erlebt haben. Sie haben seit ihrem Debütalbum aus 2015 viel erlebt, sind aber bodenständig geblieben und haben nicht vergessen, wo sie herkommen. Das ist sehr sympathisch.

    Mit dem Erfolg hat sich aufgrund von Stress wahrscheinlich eine gewisse Routine eingeschlichen, um die Anforderungen an den Musikbetrieb hinsichtlich Tour- und Marketingverpflichtungen erfüllen zu können. Jedenfalls künden ein paar Songs auf "Townie" aufgrund ihrer beinahe hilflos wirkenden Anbiederung an eine kommerzielle Erwartung davon. Es gibt aber auch - wie eben aufgeführt - einige starke Stücke, die das Potenzial der Band aufleuchten lassen. Bitte das nächste Mal mehr davon!

    Die Gruppe sollte sich gegebenenfalls neu (er)finden und einen unbeugsamen, schweren Kompositions-Weg gehen, der ihnen qualitative Verlässlichkeit verschafft. Dann kann es auch eine Zukunft für den rockigen Pop oder poppigen Rock mit den X Ambassadors geben.
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    Brother BRTHR
    Brother (LP)
    30.05.2024
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5
    Pressqualität:
    5 von 5

    Zwei Brüder im Geiste erforschen die ungezwungene Gelassenheit inmitten von süßer Traurigkeit.

    "Brother" ist das vierte Album des Stuttgarter Projektes BRTHR um Joscha Brettschneider (Gitarre, Gesang) und Philipp Eissler (Gesang, Gitarre) nach "Strange Nights" (2017), "A Different Kind Of Light" (2018) und "High Times For Loners" (2020). Die letzte Veröffentlichung des Duos und ihrer Freunde war die EP "Be Alright" aus 2022, bei der ihr spezieller Americana-Mix eine deutliche Dosis der samtigen Variante des US-Südstaaten-Sounds und ein paar spritzig-spielerische Lounge-Jazz-Tupfer injiziert bekam. Das Beste aus diesen Welten führte durch die Fusion zeitweise sogar zu magischen Momenten.

    BRTHR formen ihre Ideen generell aus persönlichen Vorlieben und individuellen Vorstellungen. Die Klänge spiegeln dabei auch die Wellenbewegungen in der Pop-Musik wider, die sich aus Einflüssen, Referenzen und Retrospektiven ergeben. Das ergibt eine erfinderische Herangehensweise, die im Buch "Pop steht Kopf" in einem Artikel anhand von Beispielen beschrieben wird.

    Mit einem leisen, kaum wahrnehmbaren Rauschen, Tropfen und Plätschern werden wir nun in das neue, raffiniert ausgeklügelte Studio-Werk eingeführt. Ein entspannt fließender Jazz-Groove, der Thriller-Jazz-Spannung und Latin-Sound-Coolness zusammenbringt, tastet sich anschließend vorsichtig, bedächtig und abgeklärt voran. Der Song "Heartache Street" findet sich fortan inmitten einer eleganten "süßen Traurigkeit" (wie es lyrisch im Liedtext heißt) wieder. Der Gesang lässt keine ablenkende Hektik aufkommen, sondern wirkt ausgleichend und verbindend. Space-Age-Klang-Effekte lassen Streiflichter entstehen, die eine längst vergangene Epoche heraufbeschwören. Das gute alte, kurze Gitarren-Solo, welches den verborgenen psychedelischen Geist aus der Flasche lockt und in eine wache, aufnahmefähige Richtung führt, feiert eine abenteuerlich erscheinende, erfrischende Wiedergeburt und leitet das Stück aufmerksam und selbstbewusst auf die Zielgrade zu, die einen Neuanfang andeutet: "Ich fange an, mich lebendig zu fühlen. Ich fahre die Heartache Street hinunter. Ich gewinne an Geschwindigkeit, aber wohin ich gehe, ist nicht ganz klar."

    "Holding On So Tight" und "Bridges" zapfen die milde Entschlossenheit des Westcoast-Folk-Rocks an und entführen akustisch in das freigeistige Laurel Canyon-Künstler-Gefilde der 1970er-Jahre, bei dem sich die rauschhaften Songelemente allmählich zurückzogen und Soft-Rock-Einflüsse verstärkt zum Tragen kamen. Das Gewicht liegt hier also mehr auf wohligen Harmonien als auf einer intellektuell verschachtelten Vortragsweise. Beide Songs geben inhaltlich einen Blick auf den desolaten Zustand der Gesellschaft frei: "Die Welt ist in Eile und wir wissen nicht, warum. Es wird alles irgendwann enden, also warum hältst du dich so fest?" ("Holding On So Tight") oder "Warum fällt alles auseinander. Wie soll man den Kindern sagen, dass die Welt zusammenbricht? Lasst uns anfangen, Brücken zu bauen." ("Bridges").

    Zackig-lockere Gitarren-Akkorde, die an frühe Dire Straits-Songs erinnern und prägnante Funk- und Soul-Vibrationen sowie eine attraktive Lässigkeit lassen "Cool Water" angenehm und unwiderstehlich swingen. Der Song packt einen bei jeder Gelegenheit und das Zuhören ist in diesem Moment die wichtigste Angelegenheit, die es gibt. Mit "Cool Water" wird an den Wahnsinn des Krieges erinnert und die Kraft der Natur heraufbeschworen, wenn es um die Heilung einer lädierten Seele geht: Das Rauschen eines Flusses und das kühle Wasser, welches den Körper umspült, können bei sorgenvollen Gedanken psychische Linderung bringen.

    Der mystischen Kraft des weisen alten Flusses wird darauf hin noch ein ganzes Lied gewidmet. Bei "Wise Old River" heißt es unter anderem: "Weiser alter Fluss, wasche meine Sorgen weg, nimm diese Last weit von meinem Herzen". Der Folk-Einschlag des Tracks klingt zwar geschichtsträchtig, wirkt jedoch auf keinen Fall dröge oder veraltet. Vielmehr füllen sanfte Southern-Soul-Aromen die sich beständig und gleichmäßig wiegenden Noten mit einem lieblich-zutraulichen Charme, der von Güte, Geduld und Freundlichkeit geprägt ist.

    Eine schmerzhafte Trennungs-Szene und die Hoffnung auf baldige Überwindung der Liebesqualen begleiten "When The Morning Comes". Diese gemischten Gefühle bekommen durch einen langsamen Funk-Reggae-Rhythmus eine sonnige Färbung, was dem Stück einen behutsamen Rahmen verpasst. Es entsteht eine verschwommene Wahrnehmung, so wie sie kurz nach dem Erwachen entstehen kann. Die musikalische Konstellation vermittelt parallel regulierend zwischen Traum und Wirklichkeit.

    Die Balladen "Haven't You Heard" und "Spread The Good Word" nisten sich genau in die eben beschriebene, von einer unschuldigen Arglosigkeit beherrschten Stimmung ein und versuchen erst gar nicht - auf Teufel komm raus - intellektuell herausragend zu klingen, sondern pflegen ihre betörenden, das Gemüt streichelnde Erscheinungen auf seriöse, souveräne und liebevolle Weise. Sanft-hypnotischer Folk-Tronic-Gleichmut und geduldiger Country-Folk-Gospel stehen als Ausdrucksmittel zur Verfügung. Die Themen Midlife-Crisis mit 33 und Überforderung im Job hat "Haven`t You Heard" im Angebot ("Dieses Leben ist nichts für mich. Dieses Mal mache ich es richtig. Ich zähle die Stunden. Ich vergeude meine Zeit. Ich vergeude mein Leben.").

    Anerkennung der eigenen Stärke ("Er lässt seine Liebe nie in die Irre gehen...wenn du mich jetzt fragst, wo man diesen Mann findet...wirf einen Blick in den Spiegel und sieh, ob er da ist.") bildet bei "Spread The Good Word" den thematischen Rahmen.

    Gerne bedienen sich BRTHR beim J.J. Cale-Vermächtnis und so zaubern sie mit "Why Do You Work So Hard" einen beachtlichen, unwiderstehlich smarten, radiotauglichen Hit aus dem Ärmel, zu dem der viel zu früh verstorbene Meister des Laid-Back-Sounds wahrscheinlich von Wolke 7 aus zustimmend nickt. Übermäßige Arbeit als Verdrängungstaktik von Sorgen und Problemen? Das wird wohl häufiger praktiziert als vermutet. BRTHR versuchen sich dieser Verhaltensweise mit "Why Do You Work So Hard" zu nähern ("Warum arbeitest du so hart? Ist es wegen der Frau, die dein Herz gebrochen hat?").

    Philipp Eissler und Joscha Brettschneider bilden eine verschworene, um nicht zu sagen verschmolzene harmonisch-kreative Einheit, die Musik entstehen lässt, welche auf wunderbare und kluge Weise streckenweise zeitgleich sowohl nachdenklich als auch beschwingt sein kann. Und dieses Kunststück gelingt ihnen auch mit ihrer fünften BRTHR-Veröffentlichung nahezu perfekt. "Brother" ist wieder eine großartige Platte eines großartigen Projektes geworden!
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    Teenage Astronauts Thomas Dybdahl
    Teenage Astronauts (CD)
    30.05.2024
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    "Ruhe zieht das Leben an, Unruhe verscheucht es" (Gottfried Keller, Schweizer Dichter, 1819 bis 1890).

    Wenn man nachts in den sternenklaren Himmel schaut, dann überträgt sich die Unfassbarkeit des Universums zwangsläufig als Ehrfurcht vor der Unendlichkeit und das Mysterium des Daseins macht demütig. Es tritt ein Moment des Besinnens auf die eigene Rolle im Weltgefüge ein, der zur gedankenversunkenen Ruhe führen kann. Aus der Stille des Weltraums tritt das Wunder des Lebens hervor, das sich unter schwierigen Bedingungen gegen viele Bedrohungen durchsetzen kann. Der Mensch erlangt durch innere Ausgeglichenheit geistige Klarheit und bekommt dadurch die Möglichkeit, die Auswahl seiner Handlungsalternativen zu optimieren.

    Die Beschäftigung mit der eigenen Psyche sowie mit der Verbindung zur Natur und dem Weltall prägt das eindringliche Werk "Teenage Astronauts". Es vermittelt eine meditative Stimmung, die den Weltraum als Wiege des Lebens musikalisch reflektiert und nach Eintracht mit dem persönlichen Handeln und dem Lauf der Gestirne sucht. Die Aussage der Poesie beruht jedoch nicht unbedingt auf Science-Fiction-Themen, sondern behandelt im engeren Sinne ganz irdisch die relative Sorglosigkeit, die der Jugendzeit ihre spezielle Kraft verleiht. "Als junger Mensch fühlt man sich unsterblich, als wäre alles möglich. Deshalb wollte ich dieses Mal ein großes Streichorchester einbeziehen, dieses Gefühl einfangen und uns ins All schicken". So erklärt der norwegische Multiinstrumentalist, Sänger und Komponist Thomas Dybdahl die Hintergründe seiner Sound-Kreationen. Außerdem geht es in den Texten noch um den unersetzlichen Wert und die etwaige Vergänglichkeit von Freundschaften.

    Die Platte bekommt durch den einfühlsamen Gesang von Thomas Dybdahl, der auch Gitarren, Keyboards und Percussion bedient, seine ruhevolle Form verliehen. Der Produzent Larry Klein (Joni Mitchell, Madeleine Peyroux, Melody Gardot) ergänzt die instrumentelle Basis und das Stavanger Symphony Orchestra füllt den Raum mit ausschweifenden und behaglichen Tönen.

    Die Musiker lassen für den Song "Teenage Astronauts" die Himmelskörper akustisch glitzern und blinken. Zerbrechlichkeit, Intimität und pure Schönheit füllen die Noten. Das fühlt sich manchmal leicht verwaschen an. So wie der Blick auf die Spiegelung eines blauen Sommerhimmels in klarem Wasser, was einer hypnotischen Wirkung entspricht. Chorstimmen ahmen einen dynamischen Wellengang nach und fangen die sich kräuselnden Wogen liebevoll auf. Streichinstrumentenklänge glätten danach sanft die verwirbelte Wasseroberfläche. Die organisch-natürliche, kosmische Strahlkraft der Komposition wirkt sowohl beruhigend als auch belebend, sodass eine mehrdimensionale Projektionsfläche erschaffen wird.

    "Graffiti Boy" baut seine Ausdrucksstärke auf Folk-Wurzeln auf, die als exotische Triebe in den Himmel wachsen und berauschend prächtige Blüten austreiben. Eine nachempfundene barocke Romantik kommt dabei auch nicht zu kurz. Selbst künstlich erzeugte Naturschauspiele, wie plätschernd-gurgelnde Gebirgsbäche, werden Sound-malerisch nachempfunden.

    Schmachtend-sehnsuchtsvoll bekennt sich "All For A Girl" zu überwältigendem, kunstvollem Kitsch, woraus ein zum Dahinschmelzen ergreifendes Epos entsteht.

    Und es bleibt schillernd: Mit sphärischem Ambient-Americana-Sound bewegt sich "Beautiful Boy" oszillierend im Spannungsfeld zwischen emotionalen Tiefen und interstellaren Unendlichkeits-Fantasien.

    Beim Zwischenspiel "All For A Girl (String Reprise)" flackern kurz - von knisternden Sendersuchlauf-Tönen oder atmosphärischen Störungen begleitet - sentimentale Gefühle auf.

    Die Songs "There's No One Else On Earth" und "Sea Turtles" können für sich in Anspruch nehmen, eine Form von rauschhafter, globaler Weltmusik zu präsentieren, die von akustischen und elektronischen Tönen gespeist wird, welche sich gegenseitig zur Erreichung eines harmonisch-anregenden Ergebnisses herausfordern und ergänzen.

    "Rocket Ship" ist eine von moderner Klassik durchzogene Ballade, die sich bei der schwärmerischen Wirkungsweise dramatischer Hollywood-Produktionen bedient und vor intimer Sensibilität überläuft.

    Der Kreis schließt sich mit dem instrumentalen "Teenage Astronauts (String Reprise)", das sich nebst galaktischen Hintergrundgeräuschen auf den Eröffnungstrack bezieht und das Konzept aus Art-Folk- und Space-Sounds komplettiert.

    Diese Musik, die zur Orientierung als Ambient-Art-Folk bezeichnet werden soll, eignet sich wegen ihrer unaufdringlichen Nahbarkeit als Begleiter in vielen Lebenslagen. Sogar als Beschallung beim Outdoor-Sport oder eventuell als stimmungsvolle Begleitung von feierlichen Trauerfeiern kann sie eingesetzt werden, da sie trotz ihrer melancholischen Ausrichtung einen tröstenden, mitfühlenden Charakter aufweist.

    Das Stavanger Symphony Orchestra, welches vom Komponisten Vince Mendoza effektvoll und songdienlich arrangiert wurde, trägt Dybdahl auf Wolken oder auf leichten Wellen, die durchaus plötzlich ein wenig höher ausfallen können, als erwartet. Das Ensemble agiert in jeder Lage sehr einfühlsam, nahezu dezent und setzt trotzdem differenzierte und bedeutende Akzente.

    Dybdahl rundet seine sanftmütigen Gesangsdarbietungen über das gesamte Album hinweg stets zartfühlend ab, sodass die Noten durch sein Timbre eine verführerische Süße erhalten. Das erinnert zuweilen an den Art-Pop-Künstler und Tim Bowness, dessen kunstvolle Arbeiten durch seine lieblich-sinnliche Stimme auch eine unterschwellige erotische Ausstrahlung bekommen können.

    Die Platte ist unter anderem eine Empfehlung für Menschen, die sich von David Sylvian mal wieder ein Song-orientiertes Album wünschen. Und das nicht nur wegen der gelegentlichen, asiatisch anmutenden Klang-Einwürfe, sondern auch wegen der intimen, gelassen-souveränen Atmosphäre.

    Mit 32 Minuten Laufzeit ist Dybdahls zehntes Solo-Album viel zu schnell vorbei. Es dürfte gut und gerne bei gleichbleibender Qualität doppelt so lang sein. Aber trotzdem ist das Werk vollständig und vollwertig. Und schließlich gibt es ja eine Repeat-Funktion, sodass die inspirierende, vorzüglich gestaltete Klang-Reise jederzeit neu angestoßen werden kann. Die Ruhe von "Teenage Astronauts" zieht tatsächlich das Leben an, so wie es Gottfried Keller ausgedrückt hat. Deshalb geht von der Musik beinahe eine therapeutische Wirkung für geschundene Seelen aus. Einfach ausprobieren, es lohnt sich!

    Übrigens: Thomas Dybdahl erreicht mit seinen Platten in seinem Heimatland Norwegen hohe Charts-Platzierungen. Er ist dort also mit seiner anspruchsvollen Musik im Mainstream angekommen. Und bei uns? Solch eine Situation scheint in Deutschland undenkbar zu sein.
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    Underdressed At The Symphony Faye Webster
    Underdressed At The Symphony (CD)
    29.05.2024
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Sensibilität, Kreativität und Individualität: Faye Webster kann mit "Underdressed At The Symphony" auf der ganzen Linie überzeugen.

    Bei offiziellen Angelegenheiten nicht angemessen gekleidet zu sein, kann peinlich berühren oder sogar ein Gefühl der Ausgrenzung aufkommen lassen. Ein Dress-Code wird nämlich für eine definierte Menge an Menschen das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken, für ein Individuum, das sich nicht daran hält, mag es aber Isolation bedeuten.

    Für Faye Webster ist der spontane Besuch des Atlanta Symphony Orchestra eine Herzensangelegenheit, um in Gemeinschaft Kultur genießen zu können. Diese Vorhaben können durchaus mit einer unpassenden Kleidung einhergehen. Die anstehende Dunkelheit beim Konzert erlaubt es dann, in eine Anonymität abzutauchen, in der alle Anwesenden wieder gleich erscheinen. Was bleibt, sind gemischte Gefühle, die sich auch bei "Underdressed At The Symphony" ausbreiten.

    Die 1997 in Atlanta, Georgia, geborene Künstlerin ist dem sehnsüchtigen Klang der Pedal-Steel-Gitarre verfallen, die auch aktuell wieder zum Tragen kommt, wenn auch nicht so exzessiv wie auf den vorhergehenden Alben "Atlanta Millionaires Club" (2019) und "I Know I`m Funny Haha" (2021). Eigentlich wird mit diesem Instrument Country-Musik assoziiert. Bei Faye Webster ergibt sich jedoch eine andere Wahrnehmung, weil sich die Songs aufgrund ihrer speziellen Struktur keinem Genre direkt zuordnen lassen. Und da sind wir auch schon bei der Besonderheit des fünften Albums der reizvollen Singer-Songwriterin. Es ist das bisher betörendste und gleichzeitig wagemutigste in der Karriere der engagierten Musikerin geworden. Jeder Song hat eine spezielle, Stil-sprengende Ausprägung erhalten und grenzt sich auf eigentümliche Weise deutlich von dem vorherigen ab. Dennoch tragen alle Lieder die eindeutige Handschrift von Faye, die längst ihre unverwechselbaren Wiedererkennungsmerkmale gefunden und gefestigt hat.

    Die Songs für "Underdressed At The Symphony" wurden live eingespielt. Was gleich beim Opener "Thinking About You" auffällt, da man in das Lied sanft hineinstolpert wie bei einer lockeren Jam-Session. Bass, E-Gitarren, Piano und Schlagzeug leisten sich einen Wettkampf in der Disziplin um den coolsten und gleichzeitig ausdrucksstärksten Instrumenteneinsatz. Das Ergebnis geht unentschieden aus, denn alle vier Teilnehmer zapfen sowohl organische Jazz-Lässigkeit als auch cremige Soft-Rock-Eleganz zum Wohle der Song-Substanz so raffiniert an, dass das gesamte Klang-Konstrukt mehr ergibt als die Summe seiner Ton-Teile. Webster verbindet die einzelnen Schwingungen dabei mit ihrer melancholisch-verletzlichen Stimme zu einem sinnlich-amourösen Chanson, bei dem Wehmut zu einer hinreißend verführerischen Droge destilliert wird.

    Mit "But Not Kiss" kommen dann unerwartet brüchige Sound-Passagen ins Spiel, deren einzelne akustische Bestandteile mit einem Kontrast aus Harmonie und Zerrissenheit überraschen. Kontroverse Muster, wie Schüchternheit und Übermut stehen sich gleichwertig gegenüber und bremsen oder beschleunigen der Ton-Fluss. Die unterschiedlichen Bestandteile können aber nur gemeinsam bestehen, um dieses spezielle, vor Differenzen bebende Konstrukt entstehen zu lassen. Passend dazu werden inhaltlich gemischte Gefühle, die in einer Beziehung auftreten können, ausgebreitet und beurteilt.

    Für "Lifetime" wird das Tempo tüchtig zurückgefahren, was zu einer bleiernen Schwere führt, die charmant vorgetragen und süffig ausgestaltet wird. Noten tropfen vereinzelnd klirrend zu Boden, Bässe formieren sich am Firmament zur Ankündigung eines Gewitters, Streicher-Töne und Bläser-Fanfaren beschwichtigen sanft und das Schlagzeug erweist sich als präzises Metronom und als Lücken füllendes Kreativ-Element.

    Bei "ebay Purchase History" demonstriert die sensible Vortragsart eine faszinierend eindringliche Stärke, denn es erscheint beinahe unmöglich, sich von der beschwörenden Wirkung der Musik zu lösen. Dabei geht es nie laut zu. Zum auffallenden Instrumentarium der weltmusikalisch inspirierten Untermalung gehört sogar eine Flöte - ein Instrument, das allgemein in der Pop-Musik (eventuell aufgrund der schlechten Erfahrungen im Musikunterricht) eher als langweilig und dröge empfunden wird. Hier steigern die Flötentöne aber sogar die Intensität des Tracks.

    Das Album klingt mit dem versöhnlichen Lied "Tttttime" aus, das sich mit bekannten Zitaten aus Pop und Country auf eine künstlerisch wertvolle Art und Weise schmückt, sodass sich daraus eine alternative Form eines besänftigend-lockenden Easy-Listening-Sounds ergibt.

    Diese sechs über die Platte verteilten Kompositionen verfolgen das Prinzip der kontrollierten Wiederholungen, das zu einer erhöhten Aufmerksamkeit, Einprägung und Intensitätssteigerung führt. Hierbei werden Sequenzen oft, aber nur solange dupliziert, wie sich ihre hypnotische Wirkung steigern lässt, damit der stimulierende Effekt nicht verloren geht.

    "Wanna Quit All The Time" verbreitet die Entspanntheit einer karibisch anmutenden, zarten Lounge-Jazz-Stimmung, welche mit sehnsüchtigen Ambient-Country-Ideen garniert wird. Eine freundliche, sommerlich warme Brise durchzieht die Noten und führt zu einem milden Entspannungseffekt, der die Nerven glatt bügelt und dafür sorgt, dass die Seele sorglos baumeln darf. Nach dreieinviertel Minuten wird das Stück komplett ausgeblendet, bekommt zehn Sekunden Pause und startet dann von Neuem und wird instrumental im alten Gewand noch eine Minute fortgesetzt.

    "Lego Ring" wurde unter Mithilfe des Rappers Lil Yachty, den Faye schon seit ihren High-School-Zeiten kennt, eingespielt und speist sich aus einem brummend-knurrenden Funk-Bass, der ordentlich Druck aufbaut. Dazu werden zwischendurch Exotica- und Space-Sound-Beiträge zusammen mit natürlichen und verfremdeten Gesangseinlagen verabreicht, sodass der Groove manchmal jäh unterbrochen wird. Dem Hörvergnügen schadet das nicht, denn es entsteht dadurch der Reiz der Reibung, der kontrolliert eingesetzt wird und deshalb kribbelnd wie eine ungefährliche sündige Verfehlung wirkt. "... ich muss nicht immer tiefgründig sein. Ich kann mich auch einfach hinsetzen und über diesen Ring aus Kristall-Lego singen, den ich unbedingt haben möchte", berichtet die Komponistin über ihre Gedanken zur Entstehung des Songs.

    "He Loves Me Yeah!" erweist sich als ein verbündeter Track von "Lego Ring": Der agile Bass ist auch hier dominant, die Stimmung bleibt dadurch und durch ein klar sprudelndes Piano und ein agiles Schlagzeug jedoch durchgehend belebend-frisch. Power-Pop mit mächtigem Groove, selten, anregend und zur Nachahmung empfohlen!

    Die künstlich veränderte, von menschlichen Vibrationen abgewandte Stimme zeigt bei der kurzen Ballade "Feeling Good Today" erneut ihre gewöhnungsbedürftige, aber im Endeffekt pikante Seite. Faye wendet bei dem Stück einen Kunstgriff an, um trotz des fremdartigen Gesanges empathisch, aber völlig frei von Sentimentalität über einfache Genüsse berichten zu können. Und wie sich zeigt, kann das auch bedeutend klingen, man denke in diesem Zusammenhang nur an "Perfect Day" von Lou Reed.

    Der Song "Underdressed At The Symphony" wurde mit reichlich melancholischer Patina ausgestattet. Die Pedal-Steel-Gitarre breitet einen sehnsüchtig schmachtenden Klangteppich aus, auf dem Faye Webster traumwandlerisch zartfühlend ihre leidenschaftliche stimmliche Sensibilität ausbreitet. Der Track wird daneben mit ergreifenden, Sternschnuppen-artig auftauchenden, unerwarteten Einblendungen gespickt, sodass das Lied nicht in Sentimentalität erstarren muss. Vielmehr blüht Hoffnung und Freude im Verborgenen. Die Zuversicht bahnt sich jedoch dezent, aber unaufhaltsam ihren Weg zur Oberfläche der Noten. Wäre das Stück noch zwei Minuten länger, würde die Atmosphäre wahrscheinlich in pure Freude umschlagen.

    Faye Webster macht ausgehend von einem hohen Qualitätsstandard noch einen weiteren Schritt nach vorn. Daraus ergibt sich ein ausnehmend interessantes und schönes Album. Stil-Zwänge werden ausgetrickst, kompositionstechnische Herausforderungen gesucht und emotionale Kontraste gerne wahrgenommen. "Underdressed At The Symphony" hält unterschiedlich ausgeprägte Facetten der psychischen Erregtheit bereit. Die Künstlerin erweist sich als souveräne, originelle Gestalterin mit Herz und Hirn. Ihre Beziehungs-Analysen drehen sich nicht nur um die Gestaltung und die Fallstricke in Zweierbeziehungen, sondern sind immer auch Selbstreflexionen, durch die Erkenntnisgewinne erzielt werden sollen.

    Die zehn Lieder von "Underdressed At The Symphony" weisen keinerlei Schwächen auf, wurden geschickt zusammengestellt und inspirieren dazu, sich das Art-Pop-Werk aufgrund seines hohen Suchtfaktors immer wieder in Gänze anzuhören. Faye Webster ist ein ungemein charakterstarkes, scharmantes Werk gelungen, welches lange nachhallt und auch nach etlichen Hördurchgängen immer noch kleine, feine Details freigibt.
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    26 bis 50 von 472 Rezensionen
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