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    LittleWalter Top 25 Reviewer

    Active since: September 3, 2010
    "Helpful" ratings: 1129
    480 reviews
    A Small Conduit Of Great Affairs Scott Matthew
    A Small Conduit Of Great Affairs (CD)
    Nov 26, 2024
    Sound:
    4 of 5
    Music:
    4 of 5

    Der feinfühlige Poet und Interpret Scott Matthew huldigt mit "A Small Conduit Of Great Affairs" ein zweites Mal seinen Lieblingsliedern.

    Der Singer-Songwriter Scott Matthew aus Australien, der bereits seit kurz nach der Jahrtausendwende musikalisch aktiv ist, versteht nicht nur das Entwickeln von eigenen Songs als kreative Leistung, sondern auch das Interpretieren von Kompositionen anderer Musikerinnen und Musiker. Entsprechend bringt er seine Gefühle und Sichtweisen in die ausgewählten Lieder ein, die für ihn eine besondere Bedeutung haben. Und das sind nicht etwa nur Stücke von Künstlern, die im weitesten Sinne dem Americana-Genre zuzuordnen sind, wie Bob Dylan, sondern es gehören auch Mainstream-Hit-Lieferanten wie Rihanna dazu.

    Was macht ein Künstler, wenn er bemerkt, dass die Themen, die ihn bisher inspiriert haben, nicht mehr die Leidenschaft in ihm auslösen, die es braucht, um tief empfundene, individuell einzigartige Arbeiten zu ermöglichen? Er kann diesen Zustand leugnen und einfach weitermachen, um zu hoffen, dass er zu alter Form zurückfindet. Oder er gibt auf oder pausiert, weil die Bedenken ein "weiter so" nicht zulassen. Für letzteres hat sich der sensible australische Musiker Scott Matthew entschieden, als ihm seine Kreativitäts-Misere bewusst wurde. Er wollte kein Musiker mehr sein, wenn er nicht gewährleisten könne, dass er für seine Kunst innerlich brennt. Nun gab es aber doch noch Motivationen, die ihn zurück auf die Bühne brachten und es ihm erlaubten, mit voller Überzeugung einen Neustart zu wagen. Und zwar in Form eines Cover-Versionen-Albums, also einer Ausdrucksform, die für ihn nicht unbekannt ist. Denn im Jahr 2013 hatte er schon einmal ein solches Vorhaben erfolgreich realisiert.

    Jetzt gibt es also quasi eine Fortsetzung vom damaligen "Unlearned". "A Small Conduit Of Great Affairs" ist in Gänze ein Balladen-Album geworden, das mit wechselnder Instrumentierung - häufig in Band-Stärke - aufgenommen wurde. Scott Matthews neues Werk enthält elf Fremdkompositionen und mit "Friends And Foes" einen eigenen Song, den er neu definiert.

    Los geht's aber mit "If Not For You" von Bob Dylans unterbewertetem 1970er-Album "New Morning". Dieses Liebeslied für seine damalige Ehefrau Sara ist nach Dylans Beurteilung eine einfache Art von Tex-Mex, der über eine Folk-Basis verfügt. Der Track kommt beschwingt und locker daher, wirkt aber nicht betont ausgelassen. Matthew nimmt bei seiner Umsetzung fast die ganze Geschwindigkeit aus dem Ursprung heraus und badet stattdessen unter Verwendung von bedächtigen Roots-Music-Tönen in triefender Seelen-Pein und düsterer Tristesse. Übermittelt Dylan Zufriedenheit mit seinem Leben, so zeigt sich Scott dagegen als gebrochener Mann.

    Der Mitte der 1980er Jahre veröffentlichte Pop-Song "Live It Up" der australischen Band Mental As Anything ist auch heute noch bei Liebhabern von leicht zugänglichem Liedgut beliebt. Wie zu erwarten, ist die Version des Australiers eine langsamere Variante des Originals, die sich aber nicht unterkriegen, sondern von den ersten Sonnenstrahlen des Tages wärmen und trösten lässt.

    Neil Hannons Formation The Divine Comedy zeichnet sich durch gepflegte, interessante Pop-Songs aus. Ein besonders prächtiges, beeindruckendes Lied ist das sakrale, sphärisch-rauschhafte "Eye Of The Needle" vom 2001er-Werk "Regeneration". Scott interpretiert dieses Kleinod nüchterner und straffer, ohne den psychedelischen Ansatz der Vorlage.

    Aus der marktschreierischen, grell produzierten Electro-Disco-Nummer "Only Girl (In The World)" von Rihanna destilliert Matthew die gefälligen Melodie-Bestandteile heraus und erzeugt daraus ein anrührendes, Hilfe suchendes, dunkles Chanson.

    Eine ähnliche Aufwertung gelingt dem hochsensiblen Musiker durch die Neudeutung des zappeligen, dünnblütigen "All The Lovers" von Kylie Minogue. In seinen Händen reift der Teeny-Pop-Einheitsbrei zu einem erwachsen wirkenden Pop-Song heran.

    "Some Say (I Got Devil)" gehört durch den fragilen Barock-Folk-Hintergrund zu den schönsten Songs von Melanie Safka, die ihren kommerziellen Durchbruch beim Woodstock-Festival im Jahr 1969 feierte. Scott Matthew orientiert sich weitgehend am Original und lässt seine bedrückend sorgenvolle, detailreich-zart gesponnene Fassung dadurch zur Hommage an die leider am 23. Januar 2024 verstorbene Sängerin werden.

    "Friends And Foes" erschien erstmalig im Jahr 2009 auf dem Scott-Matthew-Album mit dem rekordverdächtig langen Namen "There Is An Ocean That Divides And With My Longing I Can Charge It With A Voltage Thats So Violent To Cross It Could Mean Death" als Piano-Ballade. Bei der Neuaufnahme setzt Scott müde klingenden Background-Gesang für die lautmalerische "Lalala"-Verzierung ein. Die instrumentale Begleitung für die aktuelle Einspielung wurde betont spartanisch belassen, was dem Song eine spontane Übungsraum-Atmosphäre verschafft.

    Tracey Thorn und Ben Watt sind eine Klasse für sich. Ob Solo oder als Everything But The Girl verstehen sie es vorzüglich, Coolness und Empathie unter einen Hut zu bringen. Das sich an der Bossa Nova orientierende "Fascination" von ihrem Album "Eden" aus 1984 ist ein anschauliches Beispiel für diese These. In der Bearbeitung von Scott Matthew wird klar, dass ihn die Schatten der Vergangenheit, die inhaltlich zwischen zwei Liebenden stehen können, viel mehr beunruhigen, als es Tracey Thorn stimmlich bei "Fascination" ausdrückt. Deshalb wirkt das Lied auf "A Small Conduit Of Great Affairs" auch wesentlich ängstlicher als bei ihr, trotz des von Scott eingesetzten, frischen, perlenden Pianos.

    Olivia Newton-John macht aus ihrem "Sam" von 1977 einen sentimentalen, schwülstigen Trennungs-Schmachtfetzen, in dem sie alles bereut und verzeiht, was passiert ist und die Beziehung fortsetzen möchte. Scott greift die Verzweiflung auf, die sich hinter den süßlichen Noten von Olivia versteckt. Er lässt die wahre Tragik erblühen, indem das Lied beinahe in Zeitlupe abläuft und durch Streicherinstrumente eine bleierne Klagestimmung erzeugt wird. Diese unterschiedlichen Arten der Umsetzung sind ein einleuchtendes Beispiel dafür, wie unrealistisch künstlich aufgebauschte Töne und wie herzzerreißend authentisch wahrgenommene Gefühle klingen können.

    Simone White hat mit ihrem sanften Folk-Jazz "Sweetest Love Song" tatsächlich ein wunderschönes Liebeslied geschrieben. Es beschreibt mit großer Gelassenheit die Freude darüber, eine gleichgesinnte Person gefunden zu haben, die Glück und Zufriedenheit ins Leben bringt. Scott Matthew wäre nicht Scott Matthew, wenn in seiner Betrachtung bei aller im Text ausgedrückten Harmonie nicht auch eine große Portion Zweifel mitschwingen würde.

    "Easy To Be Hard" ist ein Lied aus dem Musical "Hair", das Ende der 1960er Jahre populär war und die Hippie-Bewegung auf die Broadway-Bühne brachte. Musikalisch blieb die trendige Inszenierung aber weitestgehend im Mainstream-Soul-Pop stecken, was auch für "Easy To Be Hard" gilt. Aber das kann nicht für Scotts Bearbeitung geltend gemacht werden: Er rettet das ursprünglich aufgeblasene, theatralische Stück vor dem Mittelmaß, indem er es in eine seriöse, interessante Form überführt.

    Rita Coolidge, die Ex-Frau von Kris Kristofferson, nahm 1977 die schmachtende Pop-Hymne "We’re All Alone" auf, die es bis auf Platz sieben der US-amerikanischen Billboard-Charts schaffte. Der Track ist eine Steilvorlage für den introvertierten Singer-Songwriter aus Australien, der im Hinblick auf die zur Schau gestellten, aufgewühlt-andachtsvollen Gefühle noch mehrere Intensitätsstufen oben draufsattelt.

    "A Small Conduit Of Great Affairs" vermittelt in keiner Sekunde den Eindruck, dass der handelnde Musiker in einer Identitätskrise gesteckt hat oder noch stecken würde. Es scheint also bei Scott Matthew alles wieder im Lot zu sein. Wer keine Angst davor hat, sich in eine Songsammlung zu stürzen, die fast ausschließlich aus schwermütigen Liedern besteht und wer sich generell mit intim-berührendem Liedgut wohlfühlt, der liegt bei "A Small Conduit Of Great Affairs" genau richtig. Hier bekommt man nämlich eine volle Breitseite an verletzlich-traurigen Stücken geboten, die je nach eigener Verfassung das Herz wärmen oder schwer machen können. Für eine intensive emotionale Dusche ist also gesorgt und für konstruktive Melancholie sowieso.
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    Partysongs For The Downcast Romie
    Partysongs For The Downcast (CD)
    Nov 26, 2024
    Sound:
    4 of 5
    Music:
    4 of 5

    Sie bewahren das musikalische Vermächtnis des Americana-Sounds und tragen eine attraktive Geborgenheit im Herzen: Romie liefern mit "Partysongs For The Downcast" einen idealen Soundtrack für sensitiv veranlagte Feingeister ab.

    Das Herzstück jeder Komposition auf "Partysongs For The Downcast" ist der sauber abgestimmte, unwiderstehlich verlockende Gesang von Paula Klee und Jule Heidmann, die sich als Duo Romie nennen. Die beiden künstlerisch veranlagten Frauen lernten sich 2013 beim Musikstudium in Frankfurt am Main kennen und bemerkten schnell, dass sie über die gleiche Wahrnehmung verfügen, wenn es um die Vorstellung von klanglich umzusetzenden Emotionen geht. Das erste öffentlich präsentierte Resultat dieser Zusammenarbeit war die EP "Favourite Attic" in 2017. 2020 folgte mit "Trust In The You Of Now" das erste gemeinsame Album.

    Auf dem zweiten Longplayer werden die Ladies von dem Gitarristen Tino Rühlemann, dem Organisten und Pianisten Aaron Poellet und dem Schlagzeuger Max Pfreimer, der auch für die transparent klingende Produktion und die dritte Singstimme verantwortlich ist, einfühlsam begleitet. Dieses Trio bildet die Band Safe Haven. Im Nachgang kamen für die Platte unter anderem noch Beiträge von Benjamin Fazlagic und Constanze van Deyk (Streichinstrumente), Matt Kelly von City & Colour an der Pedal-Steel-Gitarre, sowie Sitar-Klänge von Tony Clark und Harfen-Töne von Mikaela Davis dazu.

    Der Eröffnungs-Track "And The Day Begins" lässt die glorreichen Zeiten des Westcoast-Rocks aus den End-1960ern und von Anfang der 1970er-Jahre auferstehen. Er pflegt einen sauberen, hingebungsvollen zweistimmigen Gesang, zeigt mit der Textzeile "So Long, Marianne" eine Referenz an Leonard Cohen an und bringt packenden Folk- und sanften Soft-Rock in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander. Sogar die kanadischen Cowboy Junkies, die für Viele eine Referenz-Band für eindringlich-virtuose Roots-Rock-Sounds sind, kommen beim Hören dieses lieblich-groovenden Songs, der sich inhaltlich um die Vermeidung von Eskalationen in einer schwierigen Partnerschaftssituation bemüht, in den Sinn.

    Dass es eine heilsame Wirkung von Musik in dunklen Zeiten gibt, ist eine Grundüberzeugung der Musikerinnen. Sie hoffen, mit ihren Ausdrucksmöglichkeiten die bösen Geister oder eben die schwarzen Krähen fernhalten zu können. Zu oft mussten die Frauen allerdings mit ansehen, wie Freunde ihr gesundheitliches oder mentales Gleichgewicht verloren. Deshalb möchten sie mit der Kraft von positiven Schwingungen dagegenhalten. Die Ballade "Black Crows" verschmilzt den harmonischen Duett-Gesang der Damen zu einer perfekt verschmolzenen Einheit und zeigt sich abgesehen von einer engagierten, forschen, angriffslustigen E-Gitarren-Einspielung von einer ausgeruht-gelassenen Seite.

    Auch "Auburn" lässt friedlich-entspannte Augenblicke entstehen und benötigt zur Verwirklichung dieser Stimmung eine lange Zeit nur die reinen Stimmen und eine akustische Gitarre. Später kommen als Begleitung noch cremig schwirrende Geigen und abschließend die kompakte Rhythmuseinheit nebst einer unaufdringlich zischenden Orgel dazu. Das Lied ist erfüllt von "Gedanken über das Erwachsen werden, das Heilen und das Loslassen falscher Glaubenssätze." Es geht auch darum, "das Leben wieder genießen zu lernen und um den unbedingten, tiefen Wunsch nach einem Neuanfang."

    Für die Romantik in "Just Play The Part" ist ein weicher, schwelgender Pop-Anstrich verantwortlich, weshalb das Lied in seiner verschwenderisch sentimentalen, in sich ruhenden Form an Katie Melua denken lässt. Textlich wird bei diesem, sich um eine unerwiderte Liebe drehenden Song mit "Don`t Let Me Down" noch eine Referenz an die Beatles eingebaut.

    Beim Namen "Penny Lane" denkt man auch unwillkürlich sofort an die Beatles. "Last Call For Miss Penny Lane" meint aber die Protagonistin aus dem Film "Almost Famous" von Cameron Crowe aus dem Jahr 2000, mit Kate Hudson als Penny Lane in einer Haptrolle. Ihr wird mit diesem optimistischen - nur in Nuancen an das kammermusikalische Vermächtnis der Fab-Four angelehnte Lied - ein behutsam vorgetragenes phonetisches Denkmal gesetzt.

    Für "Oh, How" übernehmen eine knurrig rumorende, sich an Feedback-Momenten ergötzende E-Gitarre, monotone Trommeln, eine zwitschernde Sitar, eine fauchende Hammond-Orgel und im Abspann eine klirrende Harfe die instrumentelle Gestaltung und das die Richtung bestimmende Ruder. Dadurch gestaltet sich der Track wie ein melodisch ausgerichteter, gestrafft organisierter Psychedelic-Folk-Rock. Das Ergebnis sind rauschhafte Klänge ohne die üblichen improvisierten Überlängen.
    Völlig verschüchtert, zurückhaltend und intim-fragil kommt "That I Am" daher und bringt die Botschaft mit, sich nicht aufgrund negativer Glaubenssätze das eigene Zutrauen zerstören zu lassen. Der Gesang von Paula und Jule ist sanft, sensibel und auf eine unwiderstehlich sympathische Art anrührend kitschig. Er wird sinnlich gehaucht und dabei mit Herzschmerz aufgeladen. Die Ausschmückungen von zwei akustischen Gitarren, Piano und Streicherklängen sind so dezent, dass sie kaum auffallen, aber dennoch effektiv zur getragenen Stimmung beitragen.

    Der Ausspruch "Alas" bedeutet so viel wie "Ach!" Das Lied "Alas, Can You Help Me" klingt zerbrechlich, reduziert und traurig. Daneben ist es poetisch so stark aufgestellt, als wäre es ein bislang verschollener Leonard-Cohen-Song.

    Das fünfeinhalb Minuten lange "Dust Upon The Stairwell" stellt die Sehnsucht nach den schönen, prägenden Phasen im Leben in den emotionalen Mittelpunkt. Das Stück läuft langsam und schwermütig gestimmt ab. Selbst die weitläufigen, harschen E-Gitarren-Soli klingen wie klagende, schmerzvolle Gesänge. Aber es ist eine konstruktive Melancholie, die geboten wird: Obwohl ein Grauschleier über den Klängen liegt, verbreiten sie dennoch eine erwartungsvolle Haltung.

    Der sphärische, teils frei schwebende Abschluss-Track "All The Times That I Felt Lonely" macht Einsamkeit spürbar und kratzt dabei gefühlsmäßig an die Pforten einer süßlichen, manipulativen Sentimentalität. Die Space-Sounds setzen dabei den Blick in die Ewigkeit frei, die als Abgrund oder Erlösung empfunden werden kann.

    Die Americana-Sound-Landschaft bietet ein weites Spektrum an Klängen. Daraus suchten sich Romie die für sie passenden Schwingungen und Strukturen heraus und ergänzten sie um persönliche Favoriten und Vorlieben. Auf diese Weise verschafften sie sich eine Lücke zwischen überlieferten Traditionen und gelebten Innovationen. Ein Glücksfall war dann noch, dass Kenneth Pattengale von den Milk Carton Kids für den End-Mix gewonnen werden konnte, wobei er noch geschmackvolle Verfeinerungen vornahm.

    Wie feiern niedergeschlagene, bedrückte Personen Partys? Wahrscheinlich nicht unter vielen Menschen mit ordentlich Remmidemmi, sondern eher für sich, in Gedanken versunken und wenn es gut läuft, mit positiven, aufbauenden Emotionen, die aus der Musik heraus entstehen. In diesem Umfeld kann es guttun, Gleichgesinnte um sich zu haben oder sie zu spüren.

    Und da kommt "Partysongs For The Downcast" von Romie ins Spiel. Die zehn Songs sind mitfühlend, aber nicht depressiv. Sie schmeicheln sich an, sind aber nicht banal-aufdringlich. Dann gibt es noch zupackende und zarte Bestandteile, die sich manchmal innerhalb eines Songs abwechseln und auf diese Weise für interessante Reibungen sorgen. Genau die richtige Mischung, um Gemütlichkeit und eine Erwartung an geistvoll-erhebende Klänge zu befriedigen.

    Das Werk bietet so viel mehr als nur ein Musterkoffer für die Unterhaltung von betrübten Seelen zu sein. Die Platte ist darüber hinaus nämlich ein Labsal für jene Personen, die detailreiche, tiefenwirksame, intelligent arrangierte und originell eingespielte, an den Americana-Sound-Kosmos angelehnte Songs zu schätzen wissen. Man spürt in jeder Phase den Enthusiasmus, mit dem alle Beteiligten bei der Sache gewesen sind, um Augenblicke von unvergänglicher Schönheit und Qualität zu erschaffen.
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    Out Of The Blue Out Of The Blue (CD)
    Nov 26, 2024
    Sound:
    4 of 5
    Music:
    4 of 5

    Und plötzlich ergeben die Einzelteile einen übergeordneten Sinn: "Out Of The Blue" von Olicía ist ein Musterbeispiel für intelligente, zugängliche und anregende Multi-Media-Kunst.

    Fama M’Boup und Anna-Lucia Rupp, die für das Projekt Olicía zusammenfanden, haben eine präzise Vorstellung davon, was sie mit welchen Mitteln in ihrer Musik ausdrücken möchten. Die treffende Beschreibung der Fertigkeiten, die auf ihrer Homepage zu lesen ist, gibt einen bildhaften Überblick darüber ab, was von ihnen erwartet werden darf: "Die Musik von Olicía bewegt sich im Spannungsfeld zwischen menschlicher Stimme, akustischen Instrumenten, freier Improvisation und dem Einsatz moderner elektronischer Möglichkeiten. Irgendwann gaben sie ihr den Genrenamen „elektronischer handgemachter Loopjazz“.
    Fragmentierter, elektronischer Soul, verspielter, mehrsprachiger Global-Pop, fragile Folk-Momente und ein dem Jazz entlehnter Improvisationsansatz innerhalb einer festen Struktur. All diese disparaten Elemente vereinen sie in erstaunlich prägnanten, direkten und emotionalen Popsongs."

    Apropos bildhaft: Die Songs des neuen Werkes bekamen künstlerische Arbeiten in Form von Abbildungen oder Videos zugeordnet, die "als gleichwertiges Gegenstück" zur Musik fungieren und auch ein verbindendes Element darstellen.

    Mit "Out Of The Blue" veröffentlichen die beiden Frauen, die derzeit in Leipzig und Berlin leben, ihr zweites Album. Das Debüt-Doppelalbum "Liquid Lines" erschien bereits im Pandemie-Problem-Jahr 2021. Die 14 neuen Tracks bringen wie selbstverständlich unter anderem sprühende Kreativität, musikalische Vielfalt und stimmungsvolle Poesie zusammen.

    Für "Hidden Portraits" entwarf der Dresdner Fotograf Micha Steinwachs ein analoges Portrait-Foto, das einen zufällig getroffenen Menschen abbildet, jedoch kein Gesicht zeigt. Es taucht bei der Betrachtung die Frage auf, welche Persönlichkeit sich wohl hinter dem versteckten Antlitz verbirgt. Das Lied "handelt von diesem frischen Geisteszustand, in dem man eine andere Person kennenlernt. Man sieht jemanden, wie er ist, aber man zeigt oder nimmt nicht alles auf einmal wahr. Es gibt kleine Details, die man entdecken kann, aber andere, die noch nicht zu sehen sind", erwähnt Anna-Lucia. Und Fama führt weiter aus: "Bei alltäglichen Begegnungen zeigen wir Teile von uns, die wir bereit sind zu entblößen und andere zu verstecken. Und manchmal gilt das auch für intime Beziehungen." Die sanfte akustische Gitarre schmückt das Lied gelassen aus und Percussion-Klänge, die auf Basis von Stimm-Lauten generiert wurden, geben dem Song eine pfiffige Ausrichtung. Im Hintergrund läuft als Ablenkung ganz dezent ein Gespräch ab, das in einem Zug mitgeschnitten wurde. Gegen Ende der realitätsnahen Kulisse verströmt dann ein sinnlich-romantisches Klarinetten-Solo kammermusikalische Eleganz. So funktioniert lebendig-sensible Multi-Media-Hochkultur, die die Seele verwöhnt!

    "Finally" zapft Texte der iranischen Autorin Sudabeh Mohafez an, die auch den Begriff "Out Of The Blue", was eigentlich "aus heiterem Himmel" bedeutet, verwenden. Olicía interpretieren diese Bezeichnung nicht nur als das Unerwartete, das positiv oder negativ erlebt werden kann, sondern auch als etwas, das quasi aus dem Nichts entstanden ist. Die weitblickenden Frauen kreieren zu dieser Überlegung einen dynamisch pulsierenden Song, der afrikanisch anmutende Rhythmik, vielschichtigen Gesang und melodische Besonderheiten verwendet und somit lebensfrohe und ausgeglichene Momente bereithält.

    "Wie die einzeln gewebten Fäden einer Leinwand, die mit Kreidefarbe eingerieben wurden, gehen die verschiedenen Teile ineinander über und verschmelzen zu einer eigenen Struktur, die uns neu und doch vertraut erscheint", berichtet Fama M'Boup über das Kooperations-Ergebnis der abstrakten Malerin Claudia Kleiner, das sie für "Kleine Töne" beisteuert. Das zugehörige Lied beinhaltet "ein Gedicht (in deutscher Sprache) über den Prozess der Schaffung oder Wahrnehmung eines Kunstwerks, bei dem die Grenze zwischen Klängen und Farben auf fast traumhafte Weise verschwimmt." Drumherum spielt sich ein mit zwitschernden, zischelnden Klängen versehener, fröhlicher Jazz-Pop ab. Die dafür vermeintlich elektronisch erzeugten Bass- und Percussion-Töne stammen allerdings aus der Kehle von Fama M'Boup und beweisen erneut das beeindruckend kreative Gesangs-Potential der Damen.

    Für "Branches" entwarf die Holz verarbeitende Künstlerin Dshamila Annina eine Installations-Collage und stellte zusätzlich Holz-Percussion-Instrumente zur Verfügung. Allerdings beginnt das Lied zunächst wie ein intimer, anglo-amerikanischer, Akustik-Gitarren-dominierter, detailreicher Hippie-Folk-Song. Erst die Sound-erweiternden Marimbaphon-ähnlichen Natur-Holz-Klänge verbreiten dann jede Menge fremdartiger Exotik. Der makellose, himmlisch-verführerische Duett-Gesang bildet nebenbei das krönende Sahnehäubchen für diese ausgeruhte und verspielte Komposition.

    Die auf den ersten Blick schlicht aussehende optische Ergänzung zu "Warrioress" kam von der Schmuckdesignerin und Goldschmiedin Malene Glintborg aus Kopenhagen in Dänemark. Aus Famas Verständnis heraus kann Schmuck wie eine Rüstung sein oder wenn er spirituell mit unseren Wünschen aufgeladen wurde, als Schutz oder ein Kraftspender dienen. Das feierliche, sich voluminös steigernde Stück weist aus dieser Annahme heraus deutliche spirituelle, andachtsvolle und minimalistische Einflüsse auf. "In gewisser Weise vermitteln sowohl der Song als auch das Kunstwerk eine Vorstellung von Macht, von der Entfaltung ungeahnter Kräfte", beschreiben die Olicía-Musikerinnen die Wirkung der verbrüderten Darstellungen.

    Der Hamburger Designer Gunther Kleinert hat sich Gedanken darüber gemacht, wie er "The Frame" zeichnerisch ins rechte Licht rücken kann: "Mein Ansatz war es, "Gruppen" von Instrumenten oder Gesängen zu bilden, um eine grafische Anordnung des Songs dekonstruktiv darzustellen." Olicía hatten bei der Gestaltung des Tracks die Vorstellung vor Augen, wie es wäre, über den Rahmen in ein Gemälde klettern zu können, um in etwa eine "Alice im Wunderland"-Erfahrung zu erleben. Und tatsächlich gibt es musikalisch etwas Dunkles, Mysteriöses und Rauschhaftes, mit dem man sich auseinandersetzen darf. Konturen verwischen, Stimmen wirken teilweise geisterhaft und die Sound-Effekte erzeugen eine albtraumhafte Atmosphäre.

    Die Dresdner Modedesignerin Katharina Haydeyan gestaltete mit Olicía für den Song "Bloom" ein Uni-Sex-Hemd mit ausladender Passform, damit man sich darin frei und unbeschwert fühlen kann. Dem Namen entsprechend ist "Bloom" passenderweise ein Lied über Neuanfänge ("Ich fühle, wie sich der Wind in mir dreht, ein neuer Anfang"). Der Track entledigt sich relativ schnell seiner anfänglichen Zurückhaltung und mutiert zu einem munteren, vom Rhythmus unermüdlich angetriebenen Art-Pop mit tanzbarem Soul-Groove.

    Der wortlose Gesang von "Circles" ist eine Demonstration der Kraft und Schönheit von zweistimmigen, femininen Duett-Partnerinnen. Dieser Eindruck erhält durch die meditative Konzentrations-Wirkung von rhythmischem Klatschen und dumpfen, hölzernen Percussion-Klängen eine naturidentische Ausstrahlung. Im Zusammenspiel mit den im neutralen Tonbereich angesiedelten elektronischen Schwingungen entwickelt sich daneben eine schnelllebige, aber intensive, harmonisch-komplexe Gemeinschaft.

    "Circles" gehört zu einer Serie von insgesamt sieben einminütigen Miniaturen. Drei davon entstanden in Zusammenarbeit mit der Berliner Experimental-Filmerin Lisa Hoffmann und alle wurden an unterschiedlichen Stellen in den Song-Zyklus eingebaut.

    Zu den Video-unterstützten Beiträgen zählt das in Französisch rezitierte und gesungene "Demandé", das von Hufgeklapper-Percussion untermalt wird, sowie das melancholische "One More Minute", bei dem die Frage aufgeworfen wird, was man tun würde, wenn nur noch eine Minute Leben übrig wäre und
    die Piano-Ballade "Under White Sheets", der ein fiktives Gedankenspiel zugrunde liegt, bei dem sich Menschen unter geschützten Bedingungen ehrlich alles sagen dürfen, was sie in Wirklichkeit nicht aussprechen würden. Die Auswirkung auf die Beziehung ist dabei ungewiss.

    Das hypnotisch-monotone, nur mit Gesang und Stimmgeräuschen aufgebaute "Two Steps Forward" vermittelt trotz der Kürze ein fertiges Pop-Konzept. In der Kürze liegt eben manchmal die Würze.
    Das Spoken-Word-Zwischenspiel "Bälle" stellt die Zeilen: "Bälle im Kopf, die bouncen, als gäbs kein Morgen mehr. Zum Beispiel: einer für Ängste, einer für Freuden, zwei für ToDos und ein halber für mich" in den Mittelpunkt des Hip-Hop-artigen Geschehens und die Space-Sounds von "Microscope", die mit glasklarem und sirenenartigem Gesang veredelt werden, entführen gedanklich und inhaltlich in unbekannte Welten, die ihre Geheimnisse noch nicht völlig preisgeben.

    "Out Of The Blue" ist das ambitionierte, innovative Multi-Media-Projekt zweier Frauen, die ihre Visionen von Musik, Poesie, Sound-Design und bildender Kunst in einem frischen Pop-Art-Kontext unter Beteiligung unterschiedlicher Künstlerinnen und Künstler zusammenfließen und wachsen lassen. Aufgrund ihres Fingerspitzengefühls und des gestalterischen Talents für die Erschaffung von fantasievollen, akustischen Klangwelten gelingt mit "Out Of The Blue" ein Song-Zyklus, der die Sinne mit Anmut betört und feinsinnige, klug konzipierte Spezialitäten bereithält. Bravissimo!
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    Cartoon Darkness Amyl & The Sniffers
    Cartoon Darkness (CD)
    Nov 26, 2024
    Sound:
    4 of 5
    Music:
    4 of 5

    Frechheit, Provokation und ungezügelter Garagenrock: Bei "Cartoon Darkness" von Amyl And The Sniffers schlägt das Rock & Roll-Herz oft im deftigen Krawall-Takt.

    Auch Krach machen will gelernt sein. Nur einfach rotzig, böse oder laut zu sein, nützt alleine wenig, um nachhaltig eindrucksvolle Musik zu erzeugen. Damit dem Underground-Rock provokant-aufklärende Inhalte und nachhaltig wirksame Strukturen verliehen werden können, gehören Verstand und Einfühlungsvermögen immer zur Gestaltung dazu. Oder um es auf einen Nenner zu bringen: man muss griffige, aufwühlend-emotionale Songs schreiben und druckvoll-packend umsetzen können, um Herz, Hirn und Bauch in Flammen zu versetzen. Und das gelingt dem Quartett um Sängerin Amy Taylor trotz oder wegen eines hohen Trash-Faktors in aller Regel.

    Amyl And The Sniffers bestehen neben Amy Taylor noch aus dem Gitarristen Declan Mehrtens, der einen Großteil der Kompositionen auf dem neuen Werk mitzuverantworten hat, aus Gus Romer am Bass und dem Schlagzeuger Bryce Wilson. "Cartoon Darkness" ist das dritte Album der Band, nach "Amyl And The Sniffers" aus 2019 und "Comfort To Me" von 2021.

    Das nur knapp über 33 Minuten laufende aktuelle Album des Gespanns aus Melbourne beginnt drastisch. "Jerkin'" spart nicht mit Beschimpfungen und walzt alles mit einer massiven Breitseite von schmirgelnden Gitarren- und peitschend-stoischen Rhythmus-Attacken nieder, was nicht bei drei auf dem Baum ist. Wenn Amy dann noch ihren beißend-zornigen Gesang rauslässt, dann wird klar: Es werden keine Kompromisse geduldet, wenn es darum geht, die eigene Stimme zu erheben und Unzufriedenheiten sowie Missstände plakativ zu äußern.

    "Chewing Gum" würzt Hard-Rock mit Power-Pop und erreicht dadurch einen Groove, der diesem energischen Stück eine gewisse Lockerheit injiziert, ohne dass ihm dabei die Zähne gezogen werden. Als Referenz kann "Cherry Bomb" von The Runaways herangezogen werden.

    Für "Tiny Bikini" verwandelt sich Amy gesanglich in ein laszives Objekt der Begierde und entlarvt alle Voyeure, die in ihr aufgrund eines winzigen Bikinis nur ein Lustobjekt sehen und nicht eine selbstbewusste Frau. Der diese Situation begleitende Garagenrock ist einnehmend und glänzt mit knappen, brachialen Led-Zeppelin-Style-Gitarren-Akkorden, sodass sich sogar Classic-Rock-Fans mit dem Stück identifizieren könnten.

    Mit "Big Dreams" demonstrieren Amyl And The Sniffers ihre frisch gewonnene musikalische Vielseitigkeit. Weniger unkontrollierte Bösartigkeit, dafür mehr Song-Substanz machen den Track zu einem vorzüglich mundenden Mid-Tempo-Adult-Pop, der bei aller Zurückhaltung auch die Muskeln spielen lässt. "Du hast große Träume, du willst hier raus. Du hast es satt, in der Wohnung festzusitzen." Dieser Textausschnitt offenbart, dass in der Poesie das Verlassen der Komfortzone unter schwierigen Bedingungen problematisiert wird.

    "It's Mine" suhlt sich danach in Wut und wahnwitzigem Speed-Metal. Schließlich geht es um Toleranz, Selbstbestimmung und in gewisser Weise auch um Konsumterror. Diese Themen lassen sich natürlich nur schwer in einem Schlager-Format übermitteln. Deshalb sind sie hier als rabiat geäußerte Meinungen definitiv besser aufgehoben.

    Auch der "Motorbike Song" hat ordentlich Geschwindigkeit drauf. Das ist bei diesem Titel auch nicht verwunderlich. Die E-Gitarre peitscht den Track voran, sorgt aber auch für rauschhaft-verzückte Momente.

    "Doing In Me Head" kommt dem vom Boogie angetriebenen Glam-Rock so nah, wie es nur möglich ist, ohne Glam-Rock zu kopieren. Es sind die sexuell erregenden Anspielungen, die bei T. Rex & Co. in der Luft lagen und auch hier mitschwingen. Dabei spielt dieser Aspekt höchstens am Rande eine Rolle: Klimawandel und Selbstreflexion bestimmen nämlich den Inhalt des Liedes.

    "Pigs" rockt wie Hölle. The Gun Club, Iggy & The Stooges und The Sex Pistols standen Pate für diesen unbändig rasanten Song, der alles hat, was ein zupackender Power-Track braucht: Wucht, melodische Einprägsamkeit und ein Rhythmusgeflecht, das keine Verschnaufpause zulässt.

    Wenn Amyl And The Sniffers eine Ballade spielen, dann darf man nicht mit zuckersüßem Pop rechnen. "Bailing On Me" bekam zwar eine klar definierte Melodie zugewiesen und erreicht kein hohes Tempo, schwebt aber trotzdem nicht mit dem Kopf im Wolkenkuckucksheim, sondern bleibt souverän und cool.
    Der Fake-Disco-Rhythmus lässt "U Should Not Be Doing That" an Hot Chocolate erinnern. Das Lied tummelt sich aber hauptsächlich in einem widerstandsfähigen Roots-Rock-Umfeld, welches federnden Southern-Rock lustvoll-beschwingt einbezieht. Die Komposition transportiert auf dieser Basis den Wunsch, gesellschaftlichen und familiären Zwängen zu entkommen.

    "Do It Do It" vermittelt unmittelbar ausgelassene Party-Stimmung, die den Schwung von B-52`s-Songs und die reißerische Energie der Bottle Rockets beinhaltet. Das Ergebnis ist sehr verführerisch und stimulierend.

    "Going Somewhere" lässt zunächst ein wenig die Straffheit und Konsequenz vermissen, die die anderen Stücke auszeichnet, steigert sich aber noch bis zum Schluss zu einem furiosen Finale.
    Zum Schluss vereinigen Amyl And The Sniffers mit dem zweiminütigen "Me And The Girls" Tradition mit Moderne: Ein klassischer Pop-Song wird mit Hip-Hop-Gesang angereichert, was in letzter Konsequenz eine Versöhnung von Harmonie und Protest bedeutet.

    ""Cartoon Darkness" handelt von der Klimakrise, von KI, Politik und dem Gefühl der Leute, online mit ihrer Stimme etwas bewegen zu können, während wir alle nur das Datenbiest Big Tech füttern, den Gott unserer Zeit." [...] "Die Zukunft ist "cartoon" und das Rezept dagegen "dark"." [...] "Es ist nur ein Witz. Es ist Spaß", erklärt Amy Taylor. Die Gegenwart ist bedrohlich, aber Schwarzmalerei bringt uns auch nicht weiter. Wir müssen wachsam bleiben und die Wahrheit auf den Tisch bringen, ohne dabei den Spaß am Leben zu verlieren. So in etwa könnte man diese Parolen zusammenfassen.

    Amyl And The Sniffers halten also die Rebellion, wild ausufernde Lust und die Leidenschaft, die sich vom Künstler zum Zuhörer überträgt, am Leben. Sie legen mit "Cartoon Darkness" ein provokantes Album vor, das sie musikalisch reifer denn je zeigt, ohne dass bei dieser Transformation der Biss verloren gegangen wäre. Der Gruppe ist es gelungen, innerhalb ihres Spektrums für eine erstaunliche Bandbreite bei gleichbleibend hohem Spannungs-Level zu sorgen.

    Der Rock & Roll wurde schon oft totgesagt. Mit Amyl And The Sniffers zeigt er sich von seiner attraktiven, sehr impulsiven Seite, was diese Behauptung zum wiederholten Mal widerlegt. "Hey Hey, My My, Rock & Roll Will Never Die" (Neil Young, "Rust Never Sleeps", 1979).
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    What A Relief Katie Gavin
    What A Relief (CD)
    Nov 26, 2024
    Sound:
    4 of 5
    Music:
    4 of 5

    Nur nicht lockerlassen: "What A Relief" von Katie Gavin erweist sich mit etwas Geduld als ein verlässlicher und interessanter Begleiter.

    "What A Relief" ist das erste Album, das Katie Gavin unter eigenem Namen veröffentlicht. Dabei ist die aus Illinois stammende Musikerin unter Eingeweihten längst keine Unbekannte mehr. Denn sie fungiert als Sängerin und Komponisten des Damen-Trios MUNA, das sich 2013 in Los Angeles gründete und bislang drei Alben herausbrachte. Ihre Musik bezeichnen die Ladys auf ihrer Bandcamp-Seite als "kraftvoll und politisch, gezeichnet von Narben aus Sucht, Missbrauch und Isolation."

    Ebenfalls auf Bandcamp bewirbt Katie ihr Debüt in allen Schattierungen, die es musikalisch und textlich zu bieten hat: ""What A Relief" bedient sich der unvorsichtigen Selbstbeherrschung und des bodenständigen Pop-Gefühls von Sängerinnen wie Alanis Morissette und Fiona Apple und nutzt deren Hartnäckigkeit als Leitstern für die eigene Reise zur Selbstfindung. Das Werk ist erfrischend in seiner Bereitschaft, Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind, auch wenn es hartnäckig nach einem freundlicheren, weiseren und liebevolleren Leben strebt."

    Intimität, Demut und Melancholie: für das Eröffnungs-Stück "I Want It All" vereinigen sich diese drei Eigenschaften des musikalischen Ausdrucks. Unsicherheit, Unzufriedenheit und Verwirrung sind drei weitere Emotionen, die in der Poesie des Liedes stecken. Alle Zustände zusammen finden sich in einer filigranen Country-Folk-Verflechtung wieder, die durch eine zart schmelzende Melodie und schüchternem Gesang besticht und betört. Das ist beinahe zu schön, um wahr zu sein.

    "Aftertaste" geht danach einen anderen Weg und wird nach verhaltenem Anfang zu einem engagierten Country-Pop mit konzentrierten, erzählerisch starken und temperamentvoll-optimistischen Abschnitten. Der Beginn einer neuen Beziehung bahnt sich poetisch an, das löst schließlich in der Regel Glücksgefühle bis hin zur Euphorie aus.

    Für "The Baton" sinniert Katie Gavin darüber, was sie ihrer Tochter mit auf den Weg geben würde, wenn sie eine hätte. Es geht ihr hauptsächlich darum, zu vermitteln, dass es wichtig sei, früh Selbstständigkeit zu erlangen, um gegen alle äußeren Einflüsse möglichst sicher gewappnet zu sein. Sinnbildlich übergibt man durch die Erziehung den Erfahrungs-Staffelstab von Generation zu Generation weiter. Wieder ist es die bittersüße Leidenschaft des Country, die dem Track seine Gefühlstiefe verleiht. Wobei dieser Stil sowohl traditionell als auch durch elektronische Töne angereichert dargeboten wird.

    Auch die Geschichte von "Casual Drug Use" erscheint rührend und voller Lebensweisheit: Die Protagonistin trifft eine Frau, die in ihrem Auto lebt. Diese Begegnung bringt sie dazu, über ihr eigenes Dasein nachzudenken. Dabei kommt ihr in den Sinn, dass sie dazu neigt, auftretende Schwierigkeiten durch gelegentlichen Drogenkonsum erträglich zu gestalten. Sie weiß im Grunde genommen, dass ihr dieses Verhalten nicht guttut, trägt jedoch die Hoffnung in sich, jederzeit aus dieser Angewohnheit ausbrechen zu können. Aber Verhaltensänderungen sind manchmal schwer umsetzbar. Musikalisch werden Erinnerungen an die intelligent arrangierten Folk-Rock-Songs der Indigo Girls und die coolen Pop-Songs von Fleetwood Mac wach.

    "As Good As It Gets" hält eine interessante Fragestellung parat: Kann eine Beziehung auch dann dauerhaft bestehen, wenn sich kein absolutes Hochgefühl einstellt? Ist das Handeln nach purer Vernunft ausreichend? Katie Gavin hat ein instinktives Gespür für reizvolle Pop-Songs, die zwar eingängig, aber keinesfalls beliebig sind, sondern mit geschickt eingebauten Raffinessen aufwarten. Reife Komponierkunst trifft auf geschmeidige Leichtigkeit.

    "Sanitized" beherbergt eine mysteriöse Grundhaltung. Zumindest, was die inhaltliche Bedeutung angeht. Geht es etwa um eine Abtreibung oder "nur" um eine Menstruation: "Vielleicht habe ich die Liebe missverstanden. Oh, ich habe unser Baby mit der Badewanne ausgeschüttet. Da geht sie hin, unsere Tochter." Für die Untermalung dieser Überlegungen steht eine glockenartige Tonschleifen-Minimal-Art-Hintergrund-Struktur bereit, die eine seltsame, undeutlich-bedrohliche Twin-Peaks-Stimmung heraufbeschwört. Daneben existiert noch ein unschuldig klingender Gesangsbeitrag. Welch anregender Kontrast!

    Allerspätestens mit "Sketches" wird klar, dass Katie Gavin eine außerordentlich fantasievolle Beobachterin und poetisch begabte Künstlerin ist: "Ich habe Gemälde gesehen, die aus dem wirklichen Leben berichten. Und ich habe echte Leben gesehen. Die sind im Vergleich dazu nur Skizzen. Ich kann das behaupten, weil ich ein Teil von ihnen war". Was zauberhaft lyrisch klingt, ist in Wirklichkeit ein Teil der Betrachtung einer toxischen Beziehung: "Als ich "Sketches" schrieb, dachte ich wirklich, dass ich in diese Person verliebt war, aber mir wurde klar, dass es nur eine Skizze von dem war, was ich für Liebe halte." Die belastete Gefühlslage wird behutsam durch einen intimen Folk-Rahmen ausgefüllt, der mit sphärischen Schwingungen ins Tal der Tränen führt, um durch Einfühlungsvermögen nach dem Schmerz das Tal der Glückseligen entstehen zu lassen.

    Unter Könnern funktioniert eine bestimmte Konstellation zur Erzeugung bittersüßer Klänge immer wieder hervorragend, weil sie schlicht zu Herzen geht. Wenn im Bluegrass-Modus eine Geige schluchzt, darüber eine sehnsüchtige Melodie liegt, die von mitfühlendem Gesang getragen wird und das Ganze mithilfe einer stabil agierenden akustischen Gitarre, einem zirpenden Banjo und einem sanft brummenden Bass geerdet wird: Dann entstehen himmlische, verzückende Schwingungen. Dieser Sound-Effekt klappt auch bei "Inconsolable", das Traurigkeit über Gefühlskälte in sich trägt: "Warum siehst du nicht, dass ich dich liebe, sogar wenn du dein schlimmstes Verhalten an den Tag legst?"

    Bei "Sparrow" geht es ums Werden und Vergehen, aber auch darum, wie sich eine kurzsichtige Handlung rächen kann: "Die Bäume hatten eine Krankheit. Sie wollten eine schnelle Lösung. Eine chemische Behandlung. Um ihr Unrecht wiedergutzumachen. Nun, es hat das Virus auf jeden Fall getötet. Aber niemand hat es bemerkt. Ooh, bis der Frühling gekommen war. Dass die Vögel alle starben. Die Erde war vergiftet worden."

    "Sparrow" lässt sich stilistisch als ein ruhig fließender Folk-Tronic-Song mit Country-Referenzen bezeichnen. Solides Handwerk geht vor Extravaganz, traditionelle Muster bekommen Vorfahrt vor intellektuellen Experimenten.

    Anders, nahezu umgekehrt, ist das Vorgehen bei "Sweet Abby Girl" geregelt. Das sich um die Zeit mit ihrem verstorbenen Hund drehende Stück fußt auf zirpenden, sausenden Synthesizerklängen, zappeligen Trommeln und verzerrten Gitarren-Tönen, die im Hintergrund rumoren. Katie setzt sich gesanglich für galante Stabilität ein und unterstützt nach Kräften die liebliche Melodie bei ihrer die Seele streichelnden Wirkung.

    In "Keep Walking" dreht es sich um eine unverhoffte Konfrontation mit der Vergangenheit. Das Ignorieren der verflossenen Liebe scheint eine Option zu sein, mit der Situation umzugehen. Dennoch können Wunden aufgerissen werden. Auf jeden Fall bereitet das Zusammentreffen bei den Beteiligten gemischte Gefühle. Der Song lässt letztlich Zuversicht entstehen. Es schwingt sogar eine gewisse unterschwellige karibische Ausgelassenheit mit.

    Mit einer schonungslosen Bestandsaufnahme ist bei "Today" zu rechnen: "Ich baute ein Königreich ganz für mich allein. Ich wollte Freiheit, ich wollte keine Hilfe. Ich wusste nicht, dass ich mein Grab schaufelte", heißt es da. So erschütternd die Aussage ist, so tröstlich ist die Musik. Im Mittelpunkt steht Katies introvertierter Gesang und eine akustische Gitarre, die stoisch-unbeirrt immer die gleichen monotonen Akkorde wiederholt. Sensibilität und Zuverlässigkeit gehen eine heilende Allianz ein.

    Der Unterhaltungswert von "What A Relief" wächst mit jedem Hördurchgang. Wirken die Country-Pop-Nummer zunächst noch wie kommerziell motivierte Ausrutscher, so fügen sie sich spätestens nach dem dritten Durchlauf als schwungvolle Auflockerungen in das vielfältige Geschehen positiv ein. Es ergibt sich von ganz allein, dass im Laufe der Zeit aus einer ganz netten Platte eine beglückende Hörerfahrung wird, ohne dass man sich die Lieder mühsam "Schönhören" muss. Dazu tragen der aparte, stets sympathisch-unaufdringliche Gesang von Katie und die Begleit-Musikerinnen und -musiker - zu denen auch MUNAs Josette Maskin gehört - maßgeblich bei. Sie unterstützen jede Gefühlsregung authentisch und originell. Die intelligente Lyrik nimmt diese gefällige und kultivierte Musik ins Schlepptau und wertet das Gesamtbild damit unauffällig auf. Alle Zutaten ergeben zusammen eine bekömmliche, nahrhafte Mischung. Wobei die Intimität die erschütternde Komponente der Songs darstellt und der Pop-Einfluss der Schmierstoff für die unstillbare Lebensfreude ist.

    Aber warum bekam das Album den Namen "Welche Erleichterung"? Ist die Erleichterung über das Gelingen des Solo-Ausflugs gemeint? Oder die Erleichterung, alle Wechselfälle des Lebens bisher einigermaßen schadlos überstanden zu haben? Zumindest scheint es Katie Gavin aufgrund der herrschenden Lage gutzugehen, und das ist doch die Hauptsache.
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    Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me Porridge Radio
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    Nov 25, 2024
    Sound:
    4 of 5
    Music:
    4 of 5

    Burnout, Beziehungsdrama und ein Kreativitätsschub: Das vierte Porridge Radio-Album offenbart eine erhebliche Weiterentwicklung.

    2023 war ein schweres Jahr für Dana Margolin, die Komponistin und Sängerin von Porridge Radio aus Brighton in England. Nach einer langen Tournee war sie erschöpft und ausgelaugt, was zu einem heftigen Burnout führte. Zu allem Überfluss ging nach der Erholung davon auch noch eine kurze, aber toxische Partnerschaft in die Brüche. Diese Ereignisse führten zum Überdenken der künstlerischen Karriere und zur Einbeziehung der Erfahrungen aus "einer frenetischen und verzweifelten Liebe" in ihre Poesie.

    Als Porridge Radio 2014 gegründet wurde, konnte noch niemand ahnen, dass die Gruppe mit ihrem zweiten Album "Every Bad" im Jahr 2020 für den Mercury Prize nominiert werden sollte und mit "Waterslide, Diving Board, Ladder To The Sky" 2022 in die britischen Top-40 einsteigen konnte. Zu sperrig, widerborstig und schwermütig ist ihr Sound eigentlich dafür und grundsätzlich gar nicht Mainstream-tauglich. Vielleicht liegt der besondere, ansprechende Reiz in der verletzlichen, ehrlichen, schonungslosen Darstellung des Gesanges von Dana Margolin und in der verlässlich starken Untermalung der von Problemen belasteten Themen durch Georgie Stott (Keyboards, Backing Vocals), Sam Yardley (Schlagzeug) und Dan Hutchins (Bass). Dieses eingespielte Gespann durchzieht auch das neue Werk wieder mit drastisch grellen und empfindsam-ausschweifenden Klang-Szenarien.

    Bei "Anybody" führt ein Wunsch zur Übersteigerung einer Idee. Nämlich die Liebe einer Person so dringlich zu begehren, dass es das Denken und Handeln vollends in Anspruch nimmt. Mit säuselnden Synthesizer-Dauertönen wird eine ausgeglichen-friedvolle Stimmung vorgegaukelt, welche durch eine immer wütender werdende Stimme und aggressiv aufspielende Gitarren- und Schlagzeug-Salven komplett zerlegt wird. Dieses Konstrukt fällt zum Schluss resignierend zusammen und trägt damit akustisch viele Ausprägungen und Phasen einer gescheiterten Verbindung in sich.

    Ähnliches Prinzip, gleiche Wirkung: "A Hole In The Ground" suggeriert im Hintergrund eine fröhliche Jahrmarkts-Atmosphäre. Textlich und stimmlich regiert jedoch Ratlosigkeit über das Ende einer Liebe ("Woher soll ich das wissen? Was ich geben und was ich zurückgeben kann."), was ergänzend durch Tempo-Brüche ausgedrückt wird. "Dies ist ein Lied über das Nichtwissen, darüber, in einem gruseligen Märchen oder einem schrecklichen Albtraum gefangen zu sein und davonzurennen und schreckliche Zukünfte vorherzusagen, die wahr werden und sich selbst erfüllen", verriet Dana Margolin der Online-Plattform "The Needle Drop". Andersrum wünscht man sich manchmal, die Realität sei nur ein böser Albtraum.

    Das dunkel-melancholische oder vor Zorn schäumende "Lavender, Raspberries" trifft einen Nerv, wenn es darum geht, die wechselnden Gefühle klangmalerisch darzustellen, die bei einer großen Enttäuschung entstehen. Wobei das Lied inhaltlich zwischen Depression und Todeswunsch pendelt. Als eines der Transportmittel für diese Zustände dient eine flexibel eingesetzte, flirrend-schwebende, pfeifende Orgel, die sämtliche beschriebene Gefühlsregungen nachvollziehbar und eindringlich abbilden kann. Ein Effekt, den sich auch zum Beispiel The Doors oder The Stranglers zu Nutze gemacht haben.

    "God Of Everything Else" erzählt vom Burnout und von den Selbstzweifeln, die zum Zusammenbruch geführt haben. Und das zunächst in einer ehrfürchtig-liebevollen Weise, als würde ein wenig Dankbarkeit für die aus der Krise gewonnenen Erkenntnisse mitschwingen. Sanfte Geigentöne sorgen für Vertrauen und Beruhigung und das Schlagzeug gibt einen Durchhaltepuls vor. Dann brechen aber doch noch die quälenden Erinnerungen durch, was sich in einer vor Erregung zitternden und allmählich panisch werdenden Stimme äußert. Außerdem brodelt es gewaltig, wenn sich Keyboard, Schlagzeug und Gitarre zur Erzeugung eines Klang-Orgasmus treffen. Nach dem Höhepunkt ist allerdings alles Leid überstanden: "Ich gehe überall hin, nur um von dir wegzukommen. Ich habe alles, was ich brauche." Es ist grade nochmal alles gut gegangen, denn die befürchtete Katastrophe ist ausgeblieben, aber es war knapp ("Ich habe auf das Ende gewartet"). Und so klingt dieser intensive, schöne Song versöhnlich, tröstlich und hoffnungsvoll aus.

    Gleich darauf folgt mit "Sleeptalker" ein Liebeslied, das ohne Liebesleid auskommt: "Ich bleibe glücklich, ich habe Glück, dich zu kennen". Die gemächlichen Takte ähneln anfangs einem Wiegenlied, welches auf einer Barock-Pop-Basis aufgebaut ist. Aber Porridge Radio wären nicht Porridge Radio, wenn sie es der Hörerschaft mit durchgängiger Harmoniesucht leicht machen würden. Die zweite Hälfte des Tracks kommt nämlich ungleich störrischer und nervöser daher.

    Auch "You Will Come Home" versucht sich als Wolf im Schafspelz. Das Stück täuscht nämlich vorübergehend Ausgeglichenheit und Sanftmut vor, wechselt aber dann, wenn schon mit einem milden Ausgang gerechnet wird, in einen hart rockenden, entschlossen zupackenden Modus. Das Leben präsentiert eben häufig Gegensätze, Yin und Yang oder in diesem Fall Hoffnung und Zweifel.

    Und auch, wenn man sich von allen guten Geistern verlassen fühlt, werden die Wolken im Wind und die Vögel in den Bäumen für einen da sein. Dieser Glaubenssatz, der die Verbundenheit mit der Natur als tröstendes Element in sich trägt, steckt hinter dem Album-Titel und in der Lyrik von "Wednesday". Zuerst mit Zuwendung, dann mit scharfen Psychedelic-Rock-Exkursionen wird dieses Credo leidenschaftlich-durchdringend vermittelt.

    Porridge Radio spielen sich mit "In A Dream I`m A Painting" in einen Rausch aus Schwingungen, die sich in ihrer Intensität und ihrer Wucht laufend steigern, anschließend in sich zusammenfallen und ausgeglichen und zufrieden auspendeln. Träume sind Schäume, die Seele geht auf Wanderschaft und projiziert unsere Erwartungen und Ängste: "In einem Traum bin ich ein Gemälde, das dich anschaut und mich anschaut. In einem Traum vergesse ich, wo ich sein soll. Ich weiß, wohin ich gehe, ich weiß, wo ich lieber wäre."

    Von jetzt an beginnt ein neuer, von Erkenntnisgewinn gekennzeichneter, gereifter, ausgewogener Abschnitt: "I Got Lost" entstand aus einer Läuterung heraus, ist tatsächlich ohne emotionalen Ausbruch durchgeführt worden, steht für Zuversicht und einen Neubeginn, hat einen positiven, assoziativen Text, atmet frische Luft und verströmt Sicherheit und beschwört Lagerfeuer-Romantik ohne Verbrüderungs-Zwang.

    Im Zuge der Neuorientierung gibt es eine Versöhnung mit dem alten Leben. Auf tolerante, nachsichtige Art rechnet "Pieces Of Heaven" mit dem Ex-Liebhaber ab und gewinnt dadurch an Sympathie und Ansehen. Der Song unterstreicht dieses Verhalten mit einem galanten, unaufgeregten, überlegenen Auftreten und stellt gleichzeitig musikalisch eine attraktive, alternative Adult-Pop-Nische vor.

    Mit "Sick Of The Blues" ist die Metamorphose von einer abhängigen Raupe zu einem selbstbestimmten Schmetterling beendet: "Ich habe den Blues satt, ich bin wieder in mein Leben verliebt. Ich habe den Blues satt und werde mich allem hingeben." Dana ergänzt diese Textzeilen folgendermaßen: ""Sick Of The Blues" handelt davon, dass man Liebeskummer hat und sich die Freude zurückholt, dass man sich daran erinnert, dass man der Ursprung seines eigenen Glücks ist, nicht jemand anderes, selbst wenn man verletzt ist und ein Loch im Herzen hat."

    Porridge Radio legen in dieses Stück nochmal alle ihre berstenden und umschmeichelnden Emotionen hinein, sodass sich dort Herzschmerz, Wut und Liebes-Sehnsucht wiederfinden. Die Rekonvaleszenz ist abgeschlossen, das pralle Leben kann wieder genossen werden.

    "Fast alle Songs begannen als Gedichte", berichtet Dana Margolin über den Entstehungsprozess von "Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me". Das macht die Lieder unmittelbarer und authentischer, weil man sich hinter einem Gedicht nicht verstecken kann, hat Dana erfahren. Aber nicht nur diese Herangehensweise ist neu, sondern auch die Wahl des Produzenten. Sie ist auf Dom Monks gefallen, der unter anderem schon für Big Thief um Adriana Lenker, Ray LaMontagne, Tom Jones, Laura Marling, Paul McCartney, Nick Cave und Tucker Zimmerman gearbeitet hat. Er hat sich als einfühlsamer, auf Klang- und Arrangement-Qualität bedachter Ratgeber und Toningenieur hervorgetan und dieses Talent auch zur Weiterentwicklung von Porridge Radio eingesetzt.

    Der erfahrene Sound-Designer verleiht den Kompositionen einen glaubhaften emotionalen Ausdruck, egal ob es sich um Verletzlichkeit, menschliche Wärme oder um unbeherrschte Gefühlsausbrüche handelt. Einfühlungsvermögen, Zorn und liebevolles Verständnis finden eine glaubwürdige Bestimmung und ergänzen sich für ein umfangreich gestaltetes Gesamtkunstwerk. Margolin gebärdet sich hinsichtlich der zur Schau gestellten inneren Zerrissenheit nun nicht mehr in erster Linie manisch und depressiv - wie eine Neuauflage von Ian Curtis von Joy Division - sondern auch als in Gedanken vertiefte Dark-Chanson-Lady mit Sendungsbewusstsein. Sie ist grade dabei zu lernen, alternative Ausdrucksformen zu Gunsten von weitreichenden Veränderungen zu kultivieren. Dana Margolin findet als starke, von Krisen geschüttelte Persönlichkeit aktuell ihre Mitte und Porridge Radio haben mit "Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me" einen wichtigen Schritt in eine zukunftsweisende Weiterentwicklung getan!
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    Dance Of Love Tucker Zimmerman
    Dance Of Love (CD)
    Nov 25, 2024
    Sound:
    4 of 5
    Music:
    4 of 5

    "Dance Of Love" enthält zehn weise, größtenteils intim-eindringliche Lieder eines sträflich übersehenen Musikers.

    Das Geschichtenerzählen gehört zu den Urformen der musikalischen Darstellung. Schon die Minnesänger des Mittelalters waren eigentlich Singer-Songwriter. Also Künstler, die ihre Lieder selbst schrieben und sich beim Vortragen auf einem Instrument begleiteten. Dieses Genre lebte als Teil der Pop-Musik-Kultur in den 1930er-Jahren durch Protest-Sänger wie Woody Guthrie auf und erfuhr Anfang der 1960er-Jahre durch spezifische, individuelle Sichtweisen weiteren Auftrieb. Jene tolerante Form entwickelte eine enorme Bandbreite und führte unter anderem zu Band- und/oder Orchester-Begleitungen der kreativen Lied-Gestalter. Als einer derjenigen, der viele Spielarten durchlaufen oder sogar begründet hat, gilt Bob Dylan, der mit bürgerlichem Namen Robert Allen Zimmerman heißt.

    Der 83-jährige, aus San Francisco stammende US-Amerikaner Tucker Zimmerman, der seit über 50 Jahren in Belgien lebt, zählt auch zu der Art von Singer-Songwritern, die die ursprünglichen Americana-Einflüsse weitergedacht und personalisiert haben. Mit Bob Dylan ist er allerdings weder verwandt noch verschwägert, hat sich aber durch Qualität und Mundpropaganda einen legendären Insider-Ruf erworben. Sein Debütalbum "Ten Songs" aus 1969 zählte sogar zu einer der 25 Lieblings-Platten von David Bowie.

    Das am 11. Oktober 2024 erschienene Werk "Dance Of Love" ist laut seiner Homepage die elfte Veröffentlichung und die Erste, die gemeinsam mit der Gruppe Big Thief um Adrianne Lenker aufgenommen wurde.

    Der Ausgangspunkt "Old Folks Of Farmersville" ist ein Country-Traum: Der rumpelnde Rhythmus von Zach Burba (Bass) und James Krivchenia (Schlagzeug) legt die Basis für eine bittersüße Melodie. Sie wird durch die vom Leben gegerbte, brüchige Stimme von Tucker Zimmerman durchbrochen und von Adrianne Lenkers empathischer Gesangs-Ergänzung veredelt. Dazu weint Matt Davidsons Pedal-Steel-Gitarre silbrig glitzernde Tränen. Zimmerman würdigt in seinen Texten die Leistungen der Menschen vom Lande. Ihre Macken und Besonderheiten sowie ihre Hilfsbereitschaft gehören selbstverständlich genauso zum Gesamtbild. Aus der Erfahrung spricht Dankbarkeit und Demut. Zimmerman verneigt sich vor den skizzierten Personen und eröffnet schwärmerisch den Tanz der Liebe!

    Das im besten Sinne primitiv groovende, von hypnotisch monotonen Beats getragene "Idiot`s Maze" verfügt über putzig-originelle Stereo-Effekte: Im rechten Kanal grummelt der Bass vor sich hin, während links das gedämpfte Klavier für sprudelnde Unruhe sorgt. Mittig tummelt sich der Gesang von Zimmerman & Lenker und das cool scheppernde Schlagzeug. So entsteht Psychedelic-Folk-Rock ohne ausschweifende Jam-Rock-Allüren!

    Der Lorelei-Felsen kann als Sinnbild für die Wacht über das fließende Wasser und deshalb als Halt gebende Macht verstanden werden. Das Lied "Lorelei" lässt es langsam, spärlich instrumentiert und traurig gesungen angehen. Die Gitarren erzeugen Wehmut, der Rhythmus schleppt sich mühsam dahin und Adrianne ist für Tucker das, was Emmylou Harris für Gram Parsons war: Eine Sängerin, die unterstützend den besonderen Charakter der Stimme ihres Partners uneigennützig hervorhebt. Nichts geht über eine ausgeprägte Sensibilität!

    Natur und Spontanität: Bei "The Season" erwecken ein herannahendes Gewitter, ein Hintergrundrauschen und Sound-Verzerrungen den Eindruck einer Übungsaufnahme im Freien, die absichtlich unfertig belassen wurde, um den Zauber des Augenblicks einzufangen. Denn es findet eine intensive, vertraut wirkende Wechselwirkung zwischen dem verhalten-kratzigen Gesang von Zimmerman und den positiven atmosphärischen Schwingungen von Lenker statt. Die dezent füllenden Töne der Instrumentalisten (Rhythmus-Duo, Gitarren, manipulierter Casio) lassen sich in diesen wohligen Schmerz fallen. Das Lied ist eine Ode an das Glück, am Leben zu sein. Eine Ballade, die unter die Haut geht!

    Die Begleitmusiker sorgen bei "Burial At Sea" für die erdige, klappernde, ungeschliffene Basis des Lagerfeuer-Folk-Jazz und das Duett-Pärchen erzeugt heimelig-menschliche Wärme. Das Stück stellt das unausweichliche Ende des Daseins unter anderem in einen geschichtlichen Zusammenhang mit dem Sterben schiffbrüchiger Seeleute aus dem Jahr 1492. Er verknüpft diese Sachverhalte mit dem Wunsch nach einer Seebestattung und definiert dafür einen poetischen Rahmen. Eine Kombination, die keinen Raum für halbherzig vorgetragene Emotionen zulässt!

    "They Don’t Say It (But It’s True)" gibt eine spirituelle Sicht auf menschliche Beziehungen frei. Demnach sind wir alle durch "Lichtfäden" verbunden. Denn die Liebe, die wir fühlen, berührt auch andere Menschen, verkündet Tucker. Der Track ist eine reine Tucker Zimmermann/Big Thief-Zusammenarbeit. Also in diesem Fall agiert die Besetzung: Tucker Zimmerman an der 12 String-Gitarre + Gesang, Adrianne Lenker (Akustische Gitarre + Gesang), Alexander Buckley Meek am Bass und James Krivchenia am Schlagzeug. Sie spielen gemeinsam einen trocken-knarzigen, langsamen Song, bei dem der Bass brummelnd die Führung übernimmt, sich die Gitarren vornehm zurückhalten und das Schlagzeug den Takt behutsam, beinahe unbeteiligt vorgibt. Entspannter, abgeklärter Folk-Jazz, der die Kraft in der Ruhe sucht!

    "Leave It On The Porch Outside" hält ein Rezept bereit, was zu tun ist, um unangenehme Belange von sich fernzuhalten: Man solle nicht alles an sich herankommen lassen und manche Dinge einfach gedanklich vor der Tür abstellen. Für die Verbreitung dieses Hinweises übernimmt Marie-Claire Zimmerman, die Frau von Tucker, mit der er seit Ewigkeiten verheiratet ist, verschüchtert-unsicher einen Teil des Gesanges. Der Song ist nicht streng arrangiert worden, scheint eher aus einer Bierlaune heraus entstanden zu sein und kann deshalb nicht mit den anderen Tracks konkurrieren, die ernsthaft durchkomponiert und durchdacht wurden. Die Klänge verströmen ein andächtiges Lagerfeuer-Romantik-Feeling, aber als es dann so richtig losgehen sollte, wird die Aufnahme brutal abgewürgt. Dennoch: Hier pulsiert das pralle Leben!

    "The Ram-a-lama-ding-dong Song" ist ein alberner Titel für einen albernen Song. Na und, warum soll nicht mal der unreflektierte Spaß im Vordergrund stehen?

    Schluss mit Lustig: "Don’t Go Crazy (Go In Peace)" ist ein betont zögerliches Mantra, das die Achtsamkeit in den Mittelpunkt des Handelns stellt. In dieser Funktion wirkt die Komposition wie in Valium eingelegt. Die zaghafte, aber nicht hoffnungslose Nummer bringt noch einen Retro-Touch mit, weil sie sich durch ein paar Knister-Töne wie eine alte Schallplatte anhört. Nostalgie muss nicht langweilig oder unmodern sein!
    Bei "Nobody Knows" geht es um die Auswirkungen des Schicksals und um den Umgang damit. In dem Stück begegnen sich sowohl übermütige als auch unbekümmerte Tonfolgen, was das belastende Thema zuversichtlich erscheinen lässt. In den 1990er-Jahren frönte Tucker Zimmerman mit seinem Nightshift-Trio dem Blues. Diese Leidenschaft lässt er nun wieder swingend aufleben und verleiht dem geschmeidigen Boogie-Blues einen temperamentvollen Ausdruck. Altherren-Musik? Nicht, wenn - wie hier - der Groove stimmt!

    "Dance Of Love" kann als Komprimierung eines Lebenswerks zu einem Album angesehen werden, welches die Liebe in den Mittelpunkt des Handelns und Denkens stellt. Die Musik trotzt jeglichen Trends und Moden und kommt aussagekräftig, ehrlich und empathisch rüber. Wer Singer-Songwriter wie Guy Clark, Gram Parsons, Kris Kristofferson oder Townes van Zandt schätzt, kommt an dem weitestgehend übersehenen Musiker, Romanautor und Soundtrack-Komponisten Tucker Zimmerman nicht vorbei. Möge er uns noch lange mit seinen gehaltvollen, zu Herzen gehenden Liedern beglücken, schließlich hat er noch über 500 Songs auf Halde!
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    The Hard Quartet The Hard Quartet
    The Hard Quartet (CD)
    Nov 23, 2024
    Sound:
    5 of 5
    Music:
    5 of 5

    Vier erfahrene Individualisten bilden The Hard Quartet und belegen, dass das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ergeben kann.

    Sind Stephen Malkmus, Matt Sweeney, Emmett Kelly & Jim White die Crosby, Stills, Nash & Young der 2020er-Jahre? So schlecht ist der Vergleich gar nicht, denn genau wie David Crosby, Stephen Stills, Graham Nash & Neil Young haben die Hard-Quartet-Musiker eine Vorgeschichte in anderen Formationen.

    Das Projekt The Hard Quartet nahm 2020 Gestalt an, als Stephen Malkmus und Matt Sweeney bei den Arbeiten zu dem Malkmus-Solo-Album "Traditional Techniques" die fixe Idee entwickelten, eine Band zu gründen. Sweeney kontaktierte daraufhin Emmett Kelly und Jim White, die sofort zusagten, der Gruppe beizutreten. Eine neue All-Star-Formation war geboren: Stephen Malkmus kann man mit Fug und Recht eine Post-Rock-Legende nennen. Schließlich hat er mit Pavement Musikgeschichte geschrieben. Matt Sweeney war Mitglied bei Chavez und Zwan. Er kam außerdem mit Bonnie "Prince" Billy für die Alben "Superwolf" und "Superwolves" zusammen. Emmett Kelly arbeitete unter anderem für The Cairo Gang, Will Oldham und Ty Segall und Jim White (nicht zu verwechseln mit dem Southern-Gothik-Singer-Songwriter Jim White) ist einer der Dirty Three und die Hälfte von Xylouris White. Alle vier sind gestandene Songwriter, die eine assoziative Poesie favorisieren und unterschiedlich motivierte Stimmen und Stimmungen beitragen. Drei Saitenkünstler und ein Virtuose am Schlagzeug kramen in ihren Erfahrungen und bringen Vorlieben ein. Diese Konstellationen erklären die abwechslungsreiche Songlandschaft und den gesteigerten Wert auf einen hervorgehobenen Gitarren-Sound.

    Das Album startet wild und überschwänglich mit "Chrome Mess". Die Gitarren von Malkmus & Sweeney ergänzen sich ergötzlich und stacheln sich gegenseitig in ihrem verzerrten, kompromisslosen Aufbegehren an. Jim White richtet mit seinem exzessiv-leidenschaftlichen Schlagzeug-Spiel ein berstend-schäumendes Inferno an und der Basslauf gleicht einem gewaltigen Krawall. Neben diesem rohen Donnerwetter verfügt der Song noch über behagliche melodische Qualitäten, die ihm im Zusammenhang mit dem in Richtung kontrollierter Wahnwitzigkeit tendierenden Gesang von Emmett Kelly eine äußerst attraktive Gesamterscheinung verschaffen. Maximum-Rock & Roll!

    Auch "Earth Hater" ist auf Krawall gebürstet und zeigt sich durch eine giftige und eine brodelnde E-Gitarre noch angriffslustiger als "Chrome Mess". Und dies, obwohl die Geschwindigkeit gegenüber dem Vorgänger etwas zurückgenommen wurde und der reservierte Gesang von Malkmus auch bremsend wirkt. Tempoänderungen lassen den Track sperrig wirken, ohne dass ihm dadurch die rebellische Attraktivität genommen wird. Auf die Leidenschaft bei der Umsetzung kommt es eben an!

    Für "Rio`s Song" ist das Hard Quartet besonders durch den gefühlvollen Gesang von Sweeney mild und harmonisch gestimmt, bewahrt sich trotzdem stets seine Ecken und Kanten. Dieser raffiniert strukturierte Garagen-Rock verbreitet die freigeistige Atmosphäre des Westcoast-Rocks der frühen 1970er-Jahre, der aus elektrifiziertem Folk, starken Song-Ideen und unwiderstehlich prickelnden Widerhaken bestand. Noch ein Volltreffer und ein heimlicher Hit der Platte!

    Diesen Titel kann auch "Our Hometown Boy" für sich in Anspruch nehmen. Es handelt sich um einen cremigen, hart rockenden Power-Pop mit Wurzeln, die bis zu Hüsker Dü und The Byrds zurückreichen. Das Lied zeigt ein stabiles Rückgrat, ist ein galanter Charme-Bolzen und glänzt fabulös durch die fein abgestimmte, verführerisch-mitreißende Melodie, die sich geschmeidig anhört, aber ohne Zuckerguss auskommt. Exzellente, prächtig mundende Kost!

    Rotzig-wilden High-Energy-Punk gibt es bei "Renegade" zu hören. Ein Track, bei dem man spürt, wie viel Spaß die Beteiligten mit ihren Schöpfungen und miteinander im Tonstudio hatten. Ausgelassener, gut gelaunter Krach!

    Das Spektrum der Viererbande erweitert und verändert sich unaufhörlich: "Heel Highway" sammelt verschwommene Improvisations-Eindrücke von The Grateful Dead und Pop-Retrospektiven von The Kinks ein und gibt sie als vielschichtigen, psychedelisch beeinflussten Art-Pop-Song wieder frei. Welch eine Ideenvielfalt!

    Die entspannte Country-Folk-Nummer "Killed By Death" geht sofort ins Ohr, bleibt da drin und verursacht aufgrund seiner zwingend sympathischen Ausdrucksweise für Verzücken. Zum Dahinschmelzen: Gänsehaut pur!

    Die kraftvollen, provokant elektrifizierten Balladen "Hey" und "Six Deaf Rats" bewahren das musikalische Andenken an den Subkultur-Sound von Lou Reed sowie den elektrischen Folk-Jazz von Tim Buckley und kommen somit völlig unsentimental daher. Robuste Empfindsamkeit von Kopf bis Fuß!

    "It Suits You" befindet sich im Unruhezustand. Der bedächtig und langsam gesungene Track wird unaufhörlich instrumental vorangetrieben, gerät zwar nicht in Hektik oder Panik, kommt aber auch nicht zur Ruhe. Eine merkwürdig undurchsichtig-zwielichtige Atmosphäre liegt in der Luft!
    "Action For Military Boys" breitet eine Wundertüte an Sounds und Einflüssen aus: der flirrende Westcoast-Rock von Copperhead um John Cipollina, etwas Hendrix-Gitarrenakrobatik, Progressive-Rock-Dramatik und eine freche, nervöse, mosaikartig ablaufende Songführung kommen lustvoll zusammen. Ein schwindelerregender Stil-Mix!

    Eine lässige, dennoch straffe Intimität umweht "Jacked Existence". Diese transparent-filigrane Komposition würde sich auch gut im Liederzyklus von Richard Thompson machen. So hält man ein musikalisches Erbe lebendig!

    Das rauschhaft verschachtelte "North Of The Border" offenbart eine weitere Facette der kompetenten Vielseitigkeit des Star-Ensembles. Der fantasievoll-originell gestaltete Psychedelic-Rock kommt im Gegensatz zu einigen Stücken dieses Genres aus den 1960er-Jahren ohne Solo-Eskapaden aus und wird kultiviert und gewagt dargeboten. Das bedeutet: Das Geschehen wird durch eine Rückschau beeinflusst, ist darüber hinaus jedoch ständig mit der Gegenwart verbunden. Es geht nichts über qualitativ hochwertig interpretierte Referenzen!

    Der ungezwungen groovende Slow-Blues-Rock "Thug Dynasty" bricht dann mit den Traditionen, weil vom klassischen Schema des Blues zugunsten einer gegenüber anderen Musikformen offenen Ausdrucksweise abgewichen wird. So kommen weitere gebremste und beschleunigende Tonfolgen, sowie Doo-Wop-Hintergrund-Gesänge zum Tragen, die das Lied zwischen massiver Rock-Ballade und rauschhaftem Folk-Rock einordnen. Nieder mit den Stil-Beschränkungen!

    "Gripping The Riptide" gibt sich mysteriös, agiert mit überraschenden Wendungen, verfügt über einen ähnlichen Seltsamkeits-Faktor wie "On The Beach" von Neil Young, lässt knurrende Gitarren sprechen, deutet immer mal wieder einen brachialen Ausbruch an, hält sich dann aber doch mit eskalierenden Aggressionen zurück. Nicht alle Rätsel müssen gelüftet und nicht jedes Album muss von einem durchsichtigen Song abgeschlossen werden. Hier funktioniert dies viel eindrucksvoller mit einem von einem Geheimnis umwehten Track!

    Stephen Malkmus, Matt Sweeney, Emmett Kelly & Jim White wachsen als Quartett über sich hinaus und vollbringen zusammen eventuell die eindrucksvollste Leistung ihrer an Höhepunkten nicht armen Karrieren. "The Hard Quartet" ist ohne Zweifel ein Meisterwerk, keine Frage - und ein Aushängeschild des Genre-sprengenden Alternative-Rocks. 15 Songs in 52 Minuten, nur Gewinner, kein Füllmaterial. Ein Fest für alle, die krachend jaulende, sich duellierende und gegenseitig umgarnende E-Gitarren lieben, welche in klug durchdachte Kompositionen eingearbeitet werden. Dieses Referenz-Werk bekommt als Sahnehäubchen noch einen prächtig-flexiblen Schlagzeug-Sound verpasst. Zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug - was braucht man mehr für lodernd-energische und sinnlich-hingebungsvolle Musik?

    Für das Quartett bedeutet Rock & Roll wilde Entschlossenheit und Rebellion. Die Platte ist ein Musterbeispiel für temperamentvoll-erregende, begeisternde Klänge, die nicht bei bekannten und beliebten Mustern Halt machen und die in der Vitalität, Empathie und Hingabe Genugtuung suchen. Authentizität ist ein wichtiges Wesensmerkmal dieser Musik. Es wird nichts glattgebügelt oder zum Zwecke der Massentauglichkeit geschönt. In diesem Sinne hat "The Hard Quartet" jetzt schon berechtigte Aussichten auf einen Kultstatus.
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    Revelation (CD)
    Nov 23, 2024
    Sound:
    5 of 5
    Music:
    5 of 5

    Leif Vollebekk darf kein Geheimtipp bleiben!

    Der Name Leif Vollebekk ist bislang nur wenigen Eingeweihten ein Begriff. Dabei hat der Musiker aus Ottawa (Kanada) seit 2010 schon vier exzellente Platten herausgebracht. Sein fünftes, gleichwertiges Studioalbum "Revelation" erscheint am 27. September 2024 und präsentiert nicht nur markante Songs, sondern kann auch mit einer hochkarätigen Besetzung auftrumpfen. Dazu gehören die Schlagzeuglegende Jim Keltner und die Pedal-Steel-Gitarristin Cindy Cashdollar, die unter anderem für Bob Dylan, Van Morrison und Ryan Adams gearbeitet hat.

    Auch wenn sich der Eröffnungs-Track textlich auf den "Rock And Roll" beruft, so findet sich auf dem gesamten Werk musikalisch nichts Aufrührerisches, Lautes oder Rebellisches. Es baut vielmehr auf den bezaubernd-dynamischen Errungenschaften einiger Kollegen aus den 1970er-Jahren auf, die teilweise fast vergessen sind, wie Jesse Winchester, Steve Young, David Wiffen und David Ackles oder als Ikonen verehrt werden, wie Jackson Browne, Eric Anderson, Townes van Zandt und Tim Hardin. Aber Vollebekk ist kein Imitator oder Plagiator, er lässt sich lediglich von Vorbildern inspirieren, um deren Vorgehen mit seinen Vorstellungen zusammenbringen zu können. Es ist ihm durchaus bewusst, dass die meisten Noten-Verbindungen schon irgendwann einmal verwendet wurden und er nun von den ursprünglichen Ideen profitieren darf: "Also werde ich nur diese eine Note spielen. Es ist nicht mal eine von denen, die ich geschrieben habe. In der Tat ist es keine von ihnen oder wusstest du das nicht? Sie sind vom Schöpfer des Rock 'n' Roll", lautet die ehrliche Erkenntnis.

    Der Song "Rock And Roll" ist eine Ballade, die mit einem sanft groovenden Schlagzeug und breitflächig säuselnden Synthesizer- und Streicher-Klängen ausgestattet wurde. Dieses opulente Gebilde füllt Leif mit Herz-Schmerz-Gesang gefühlvoll auf und erschafft daraufhin ein Lied, das als gefühlvoll-sentimental bezeichnet werden kann. Dennoch wirkt die Musik nicht wehleidig-jammervoll, sondern liebevoll-behutsam. Diesen Spagat zwischen geheuchelter Schnulze und ehrlichem Verständnis muss man erst einmal zu Gunsten von Aufrichtigkeit hinbekommen.

    "Southern Star" bedient sich der bitteren Süße, die in der Seele der Country-Musik schlummert und so ist das Lied gleichzeitig traurig wie auch aufbauend. Das Piano gibt die melancholische Stimmung vor, das Schlagzeug den betrübten, aber kräftigen Herz-Takt und das Schwirren der Keyboards lässt die Zeit still stehen. Der Background-Gesang von Angie McMahon und Anaïs Mitchell symbolisiert innige Verbundenheit, so wie ihn einst Gram Parsons und Emmylou Harris ausdrückten. Die Pedal-Steel-Gitarre macht das, was eine Pedal-Steel-Gitarre am besten kann: rührend-ergreifende Tränen weinen, die aus Noten bestehen. Meisterlicher wird man ein inniges Liebeslied kaum ausstatten und interpretieren können.

    Das Leben ist eine Reise und eine Suche, womöglich nach Seelenfrieden. Wenn man Glück hat, kann man diesen auch in einer Beziehung finden. Darum geht es in "Peace Of Mind", einem Track, der das Glück greifbar macht und sich als beschwingter Adult-Pop auszeichnet. Das Stück ist eingängig, hat also grundsätzlich Radio-Format, ohne jedoch einfallslos dahinzuplätschern, wie man es oft von anderen Charts-Kandidaten ertragen muss. Auch dieser Spagat ist nicht einfach und leider relativ selten anzutreffen.

    Sich mit den Kräften der Natur messen und dabei an die eigenen Grenzen gehen, das hat etwas Befreiendes. Davon können Surfer ein Lied singen, was Vollebekk hier mit "Surfer's Journal" tatkräftig vollbringt. Die Herausforderung des Surfens wird in diesem Beispiel dazu genutzt, um etwas über die eigenen verborgenen Wünsche zu erfahren: "Ich kam hierher, um herauszufinden, was in mir vorgeht". Meeres-Rauschen und monoton surrende Geigen-Töne flankieren dezent diese Piano-Ballade, was die Wahrnehmung von ausgedehnten Landschaften fördert. Erst spät setzt das Schlagzeug ein, das beinahe wie das Peitschen des Wassers an Klippen klingt. Zu diesem Zeitpunkt haben sich die flimmernden Töne auch schon im Verbund mit weiteren Instrumenten hochgeschaukelt und der Song bewegt sich wogend wie Wellen im Wind. Leif Vollebekk erweist sich als Herr der Gezeiten und reitet stimmlich selbstbewusst auf der Dünung. Romantik und Realität finden eine Ausdrucksform, die für eine gleichberechtigte Partnerschaft von Intro- und Extrovertiertheit wirbt.

    Der Begriff "Moondog" hat unterschiedliche Bedeutungen: Er steht für Hunde, die den Mond anheulen und er bezeichnet außerdem den Künstlernamen des New Yorker Komponisten Louis Thomas Hardin, der dort von Ende der 1940er-Jahre bis zum Anfang der 1970er-Jahre als Blinder im Wikinger-Kostüm an der Ecke 6th Avenue/54th Street anzutreffen war. Daneben gibt es unter dem Namen Moondog noch die astronomische Bezeichnung für einen Mond-Nebenschein, der als Lichtbrechung neben dem Erdtrabanten als Punkt sichtbar sein kann. Im "Moondog"-Song von Leif Vollebekk kann es sich aber auch nur um den Spitznamen der besungenen Frau handeln: "Sag mir, was du siehst. Moondog, du bist alles, was ich brauche. Meine Gedanken kreisen immer wieder zu dir zurück." Der erzählerisch starke Folk-Song kommt mit wenigen Instrumenten aus: Eine akustische Gitarre, ein Bass, eine Mundharmonika und ein paar atmosphärische Synthesizer-Klänge reichen, um eine intime, aber entschlossene Stimmung aufzubauen.

    Zartfühlend und nachdrücklich kommt uns "False-Hearted Lover" entgegen. Die genannten Gefühlsäußerungen sind keine Widersprüche, was diese Komposition verdeutlicht. Die Geschichte vom betrogenen Liebhaber beinhaltet nämlich ruhig-beherrschte und druckvoll-energische Phasen, was das Lied äußerst lebendig und wendig erscheinen lässt.

    "Elijah Rose" berichtet davon, dass das siebenjährige Mädchen von ihrem Vater getötet wurde. Um nicht der Verzweiflung Raum zu geben, klammert sich die Poesie an die Möglichkeit, dass der Tod nicht das Ende bedeutet. Ein monotoner Break-Beat steht in der Gestaltung stellvertretend für die Ohnmacht bei einem der heftigsten Einschnitte im Leben, der Bass für die Trauer, das Piano forscht akustisch nach Erklärungen und die E-Gitarre erzeugt einen Hilfe suchenden Aufschrei. Leif Vollebekk bemüht sich, gesanglich die Beherrschung zu waren. Fassungslosigkeit schleicht sich jedoch in jedes seiner Worte ein.

    "Mississippi" beginnt sehr verhalten, leise und unauffällig und bekommt nach dem unscheinbaren Beginn zuerst durch ein wuchtiges Schlagzeug und dann durch ein freches E-Gitarren-Solo einen Schub in Richtung Aufbruch versetzt. Allerdings zeigt sich der romantisch geprägte Ablauf davon unbeeindruckt. Der Mississippi dient bei dem Lied als Bildnis für einen verheißungsvollen Sehnsuchtsort mit einigen Mysterien, die ihn noch anziehender machen.

    Bei "Till I See You Again" wird das Flehen in Worte und Noten gegossen. Das Piano spielt eine schmerzvolle Sinfonie und das Saxofon bringt anfangs nur Rauschen hervor. Später reiht es sich unkonventionell in die Elegie ein. Dessen neue Klänge erinnern an das aufgeregte Geschnatter von Wildgänsen, wenn sie sich sammeln und im Schwarm ins Winterquartier fliegen.

    Für "Sunset Boulevard Expedition" wird Kitsch zur großen Kunst aufgewertet. Leif Vollebekk fährt in über acht Minuten die ganz große Gefühls-Offensive auf: eine überirdisch klar klirrende Harfe, weichgezeichnete Streicher, ein hypnotisches Klavier, leidenschaftlich leidender Gesang, ein zart getupftes sowie frisch belebendes Schlagzeug, engelsgleiche Background-Gesänge und nicht zuletzt eine lieblich-bildhafte Poesie entführen in eine unwirkliche Scheinwelt, die durch ihre suggestive Schönheit die Sinne benebelt. Vorsicht, Sucht-Gefahr!

    "Angel Child" klingt wie ein verschollen geglaubter Honky-Tonk-Country-Folk-Song von John Prine. Bodenständigkeit und Spiritualität treffen hier vortrefflich zusammen ("Jetzt, wo ich dich getroffen habe, glaube ich an Engel. Sag mir jetzt, Baby, glaubst du an mich?")

    Für Leif Vollebekk ist "Revelation" eine Meditation über das Leben in einer sich rapide schnell ändernden Zeit, bei der zunehmend Zweifel an den praktizierten gesellschaftlichen Normen und Werten entsteht. Vollebekk suchte im Vorfeld der Entstehung des Albums Antworten auf seine brennenden Fragen nach der Bedeutung von Naturgesetzen im Zusammenhang mit einer eventuellen göttlichen Fügung bei Carl Jung, Isaac Newton und Dmitri Mendelejew. Sie regten ihn dazu an, intensiver über das Leben und seinen Platz darin nachzudenken.

    "Revelation" ist ein klassisches Singer-Songwriter-Opus geworden, bei dem gut abgehangene Tugenden, wie runde, süffige Melodien, geschmackvolle, delikate Arrangements und eine ausgeruht-lässige Sing-Stimme genüsslich in die Kompositionen einfließen. Auf diese Weise entstehen Songs, die das Zuhören zu einem unvergesslich beglückend-zarten Erlebnis werden lassen.

    Ohne Hektik oder Stress und ohne Trend-Vorgaben sieht man sich mit einer authentischen Persönlichkeit konfrontiert, die einfach nur für eine gute, anregende Zeit sorgen möchte. Und das ist komplett gelungen. Man fühlt sich angenehm aufgehoben in und mit diesen Liedern. Deshalb der Appell: Leif Vollebekk darf kein Geheimtipp bleiben, denn seine Songs sind zu wertvoll und attraktiv, um nicht angemessen beachtet zu werden. Wohlklang und Qualität für alle!
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    Things We Have In Common (CD)
    Nov 23, 2024
    Sound:
    4 of 5
    Music:
    4 of 5

    Menschen sind unterschiedlich. Musik verbindet. Efterklang bringen Menschen und Musik durch hinreißend originelle Klänge zusammen.

    Das dänische Projekt Efterklang, das im Jahr 2000 gegründet wurde und dessen Name so viel wie Nach- oder Widerhall bedeutet, besteht im Kern aus den Jugendfreunden Mads Brauer (Computer), Casper Clausen (Gesang) und Rasmus Stolberg (Gitarre). Es gesellen sich bei den Veröffentlichungen zeitweise Gäste hinzu, die dabei helfen, den aus verschiedenen Stilen und Strömungen bestehenden Sound zu einer neuen Einheit zu verbinden und abzurunden. Dazu gehört auch der Pianist und Komponist Rune Mølgaard, der bei sieben der neun Songs auf "Things We Have In Common" Co-Autor war und dessen Werdegang das Konzept und die Aussage des neuen Albums maßgeblich beeinflusste.

    Rune Mølgaard verabschiedete sich von dem Gefüge Efterklang im Jahr 2007, weil er sich verliebt hatte. Seine Angebetete gehörte der Glaubensgemeinschaft der Mormonen an. Nachdem Rune zwei Jahren in diesem Umfeld gelebt hatte, trat er mit voller Überzeugung dieser Religion bei. Er fühlte sich zunächst in der Gemeinschaft geborgen, erlebte daneben aber auch Regeln, die einen unbedingten Gehorsam gegenüber den Autoritäten der Sekte einforderten. Solche Einschränkungen standen seiner weltoffenen Gesinnung entgegen. Die daraus entstandenen Konflikte zermürbten ihn und führten zum körperlichen Zusammenbruch. 2022 trat er dann aus der Mormonenkirche wieder aus.

    Nach dieser Erfahrung stellte sich bei den Efterklang-Musikern die Frage ein, wie wichtig denn eine prägende gesellschaftliche oder religiöse Zugehörigkeit sei und welche Dinge uns eigentlich alle miteinander verbinden. Es geht also sozusagen um den kleinsten gemeinsamen Nenner der menschlichen Existenz. Casper Clausen fühlt sich eher einer "nomadische" Zugehörigkeit verbunden. Für Brauer & Stolberg steht hingegen die Familie an erster Stelle. Rune Mølgaard musste sich nach dem Verlust der Religionsgemeinschaft neu orientieren. Was nicht schwer war, denn für alle vier zuvor genannten Personen ist die Partnerschaft untereinander, die sich auch durch eine kreative Herausforderung auszeichnet, wie eine zweite Familie. Und diese starke Verbindung ist sogar in der Lage, sich Kompositionen von sinnlicher Schönheit auszudenken und mit Experimenten von beißender Schärfe zu versehen, die trotz der offensichtlichen Widersprüche immer noch überzeugend und attraktiv klingen. Für "Things We Have In Common", dem siebenten Studio-Album der Dänen, wird dieses Prinzip unverändert angewendet, was wiederum zu einer genüsslichen Spannungssteigerung beiträgt.

    Eine hohe Frequenz von Beats pro Minute, wie sie bei der elektronischen Dance-Music angesagt ist und langsame, Trommel-artige Töne, die an ethnische Folklore erinnern, gehen beim Eröffnungs-Stück "Balancing Stones" Hand in Hand. Genauso wie dröhnende, muskulöse Bässe und sphärische Schwingungen. Diese Unterschiede in der Kreation sind Programm und werden verträglich miteinander kombiniert. Sie sind mit einer Stimme gesegnet, die sich wie ein gefallener Engel anhört: sowohl von Liebe erfüllt, als auch leidend. "Ich fühle mich gespalten. Auf mich allein gestellt", verkündet der Sänger. Und dann gibt er noch den Tipp: "Gehen sie durch die Augen der Stille", was einem Hinweis gleich kommt, der aus der Notsituation führen soll. Jede Darstellung, jeder Ausdruck und jeder Beitrag bei "Balancing Stones" ergibt für sich genommen einen Sinn und führt durch Akzeptanz der konkurrierenden Details zu einem anschaulichen Gesamtbild.

    Mit den Zeilen "Heb mich hoch, gib uns Flügel. Du siehst aus wie Baumwolle im Wind" beginnt "Plant". Mit "Arme strecken sich aus. Wir gehören nicht dazu" endet der Text. Vertrauen und Enttäuschung rahmen diese Hollywood-reife, atmosphärisch am psychischen Abgrund stehende Ballade ein. Aber mit Mut und Durchhaltewillen lässt sich so manche Krise überwinden. Eine Metapher dafür ist die Pflanze, die sich jeden Tag wieder in die Sonne dreht, egal, was um sie herum passiert. Aus der Dramatik heraus baut sich ein Schub auf, der den Song aus der Melancholie befreien soll. Der Duett-Gesang zwischen Casper Clausen und der aus Guatemala stammenden Sängerin und Cellistin Mabe Fratti ist dabei ein weiterer herausragender emotionaler Lichtblick.

    Bei "Getting Reminders" geht es um Visionen. "Es ist, als würden die Bäume sterben" heißt ein Statement, das ans Eingemachte geht, wie man so schön sagt. Denn ohne Bäume gibt es auch keine Menschen mehr. Eine existentielle Bedrohung steht unter diesen Umständen unmittelbar bevor. Der Track übt sich verzweifelt und erfolglos in Zweckoptimismus. Manche Beigaben (wie das Klatschen) bemühen sich um gute Laune. Aber der betrübte Gesang und die traurige Trompete, die von Zach Condon von der Band Beirut gespielt wird, lassen keine ausgelassene Fröhlichkeit zu. Der Titel ist Teil der Dokumentation "Efterklang: The Makadonium Band", der eine Reise der Gruppe nach Nordmazedonien zugrunde liegt.

    Es ist schon ungewöhnlich, wenn Avantgarde-Jazz-, Sinfonie- und Hard-Rock-Elemente in einen Pop-Song integriert werden, ohne dass dabei ein undefinierbares, gewagtes, nicht gelungenes Konstrukt herauskommt. Aber bei "Ambulance" funktioniert diese Zusammensetzung: Das Lied behält trotz der vermeintlich nicht zueinander passenden Zutaten klare Konturen, bleibt durchschaubar und vermittelt schließlich eine positive Zugewandtheit.

    Die Piano-Ballade "Leave It All Behind" wird von suggestiven Minimal-Art-Strukturen angetrieben und durch die teilweise von einem Computer veränderte Stimme individualisiert. Dadurch entsteht so etwas wie ein künstlicher Ambient-Space-Pop, wenn man das so nennen mag.

    Für "Animated Heart" wurde als Attraktion der süddänische Mädchenchor Sønderjysk Pigekor, mit dem Efterklang schon seit 12 Jahren zusammenarbeitet, erneut gewonnen. Der Track beginnt damit, dass der Chor das Lied in einen unschuldig wirkenden Gospel-Folk-Kokon einspinnt, der von einem soliden Rock-Rhythmus begleitet wird. Er endet dann in einem alles verzehrenden, verzerrten Ton-Inferno.

    Für "Shelf Break" wird zunächst wieder ein manipulierter Gesang eingesetzt, der dominant herausgestellt wird. Bis das Schlagzeug ein impulsives Eigenleben führt. Im Anschluss daran übernehmen die natürlichen Töne von Casper Clausen das Geschehen und das Piano ist plötzlich rasend vor Erregung. Die angespannte Stimmung legt sich danach wieder und der Song wird zu einer ruhigen, ausgeglichenen Angelegenheit. In einem neuerlichen Anflug von Hektik, der mit balinesischer Gamelan-Musik in Verbindung gebracht werden kann, endet der Track aufgeregt-folkloristisch.

    "Alles dreht sich um die Liebe", weiß "Sentiment" zu berichten. Casper Clausen betätigt sich als verführerischer Crooner und lässt in dieser Funktion alle Herzen dahinschmelzen. Diese überzeugende intime Intensität ist heutzutage wahrscheinlich am ehesten mit der betörenden Wirkung der Stimme von Matt Berninger (von The National) zu vergleichen.

    Der altmodisch wirkende Adult-Pop-Song "To A New Day" geht zum Schluss ganz in Optimismus auf. "Was, wenn wir versuchen, sanft zu sein" ist eine Idee, die den hymnischen Track zu einer entschlossenen Forderung dafür macht, etwas Gutes für sich und andere zu tun. Versöhnlicher kann ein Album kaum enden.

    Der "Rückkehrer" Rune Mølgaard beschreibt den Wert der Efterklang-Musik wie folgt: "Wenn wir gemeinsam Musik schreiben und spielen, wird Authentizität als zentraler Wert geschätzt, während wir gleichzeitig Raum für andere schaffen." Das hört sich nach der perfekten Kommunikationsform zwischen den agierenden Menschen an und sollte bestenfalls dazu führen, dass dieses harmonische Miteinander beim Lauschen der Töne Sinn-bildend auf die Hörerschaft abfärbt. Ob das klappt, ist eine Frage von Kodierung und Dekodierung: Wer sich voll und ganz auf die Klänge einlässt, kann diese Erfahrung teilen. An der Qualität der erzeugten Töne wird es nicht scheitern. Efterklang sind jedenfalls eine Klasse für sich, wenn es darum geht, schöngeistige und gleichzeitig anspruchsvolle Pop-Musik zum Leben zu erwecken.
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    Five Dice, All Threes Bright Eyes
    Five Dice, All Threes (CD)
    Nov 23, 2024
    Sound:
    4 of 5
    Music:
    4 of 5

    Die Würfel sind gefallen: Bright Eyes sind nach vier Jahren Veröffentlichungspause überraschend mit "Five Dice, All Threes" zurück.

    Auf Conor Oberst als glaubwürdigen, klugen Songwriter können sich viele Musikfreunde einigen. Ab Mitte der 1990er-Jahre hat sich der Musiker aus Omaha (Nebraska) zusammen mit seinen Freunden Mike Mogis (Saiten) und Nate Walcott (Tasten) einen ausgezeichneten Ruf erspielt, weswegen die Formation zu den kreativsten und ausdrucksstärksten Gruppen der Folk-Rock-Szene der USA zählt. Ihre Ideen setzen sie unkonventionell, stilübergreifend und manchmal mosaikartig zusammengesetzt um und reichern sie durch popkulturelle TV-. Kino- und Wort-Beiträge, Sound-Effekte oder Field-Recordings an. Conor Oberst singt dazu mit zerbrechlich-trauriger Stimme, die nicht durch einen beachtlichen Oktavenumfang, sondern durch zu Herzen gehende Emotionalität auffällt.

    "Five Dice, All Three" ist das erste Bright-Eyes-Werk seit "Down In The Weeds, Where The World Once Was" aus 2020. Zuvor gab es bereits seit "The People`s Key" aus 2011 neun Jahre lang eine Veröffentlichungspause. "Five Dice, All Three" ist ein Begriff aus dem Bereich der Würfelspiele, welches sich auf die geringe Wahrscheinlichkeit bezieht, mit fünf Würfeln bei nur einem Wurf nur Dreien zu haben.

    Das Intro "Five Dice" legt eine Würfel-Spiel-Szene mit allerlei Sound-Schnipseln zusammen, sodass sozusagen ein akustisches Zerrbild des American-Way-Of-Life entsteht.

    "Bells And Whistles" ist nicht nur die erste Single-Auskopplung aus dem Album, sondern auch eine spritzige, muntere Pop-Hymne mit einigen schräg-kryptischen Text-Passagen ("Es ist jetzt schwer, es sich vorzustellen. Das Geld war komplett gefälscht. Dianas Gesicht wurde an den Mob verstreut. Teure Witze und billige Nervenkitzel kosten viel"). Das fröhliche Pfeifen, eine teils vor Zorn bebende Stimme und ein kurzes, zerrendes E-Gitarren-Solo sind lebhafte Zutaten, die dem Lied zusätzlich einen unverwechselbaren Wiedererkennungswert verschaffen.

    "El Capitan" heißt übersetzt "Anführer" und ist eine Felsformation im Yosemite-Nationalpark in Kalifornien, die aufgrund der steilen Felswände zum Eldorado für Kletterer geworden ist. Der galoppierende Rhythmus des Songs steht im Kontrast zur Ernsthaftigkeit, mit dem die Geschichte vorgetragen wird. Sehnsüchtige Mariachi-Trompeten verleihen dem Lied zum Abschluss dann noch eine Extraportion Fernweh. Textlich spielt der Felsen eine untergeordnete Rolle, er fungiert in dieser tragischen Liebesgeschichte lediglich als Beispiel dafür, dass man gefährliches Klettern für verrückt halten kann.

    "Bas Jan Ader" war ein niederländischer Video- und Konzept-Künstler, der als 33-Jähriger im Jahr 1975 in einem kleinen Segelboot eine künstlerisch motivierte Atlantik-Überquerung mit dem Titel „Auf der Suche nach dem Wunderbaren (Lieder für den Nordatlantik)“ antrat, bei der er verschollen blieb. Zehn Monaten nach dem Verschwinden wurde dann sein leeres Boot an die Küste von Irland angespült. Conor Oberst legt dem Niederländer die Worte "Es braucht starke Nerven, um auf dem Planeten Erde zu leben. Es war die beste aller Zeiten, es war die schlimmste aller Zeiten" in den Mund. Der Rückblick auf den eigenwilligen Künstler wird in einen elegant-cool swingenden Country-Folk-Song mit Rhythm & Blues-Basis gekleidet.

    Mit zittriger Stimme unterlegt Conor Oberst "Tiny Suicides", ein Lied, das - wie der Titel schon vermuten lässt - als eine todtraurige Ballade arrangiert wurde, die stilistisch im Americana-Umfeld angesiedelt ist. Zum Abschluss gibt es noch eine verstörende Audio-Einspielung zu hören, bei der Frauen bitterlich weinen. Trotz des Titels ist das Stück in seiner Aussage gar nicht total negativ: "Eines Tages sterben wir alle. Warum diesen kleinen Selbstmorden nachgeben?" Das will eigentlich heißen: "Passe auf dich auf, übertreibe es nicht mit Dingen, die nachweislich schädlich für dich sind, damit du länger lebst."

    Für "All Threes" gibt es gesangliche Verstärkung von Chan Marshall alias Cat Power, die sich ein starkes, verschlungenes Duett mit Conor Oberst liefert. Die starke Musikerin umgarnt Conor bei diesem attraktiv-komplexen Folk-Jazz mit knisternder Erotik in der Stimme und lässt keinen Zweifel daran, wer hier die längere Leine in der Hand hält. Traum- oder Albtraum-Lyrik? Drogen oder Dada-Poesie? Der Text gibt einige Rätsel auf. Die Musik betört und bewegt.

    Überfallartig, mit hastig-aufbrausender Punk-Attitüde, stürmt der Pub-Rock "Rainbow Overpass" heran. Der heftige Schwung und die brodelnde Energie sind auch Alex Orange Drink von der New Yorker Punk-Band The So So Glos zu verdanken, der Co-Autor ist und in diesem Trennungs-Szenario eine Strophe singen darf.

    "Hate" beinhaltet die Auflistung von verabscheuungswürdigen Personen, Institutionen und Dingen eines durchaus frustrierten, aber nicht aggressiven Menschen, denn die Kernaussage lautet: "Weißt du nicht, dass immer die bösen Jungs gewinnen?". Der Song transportiert im Prinzip eine textlich ausgedrückte desillusionierte Weltsicht und bedient sich dabei eines schleifenden, stumpfen Rhythmus, wartet aber auch mit einem kreischenden, psychedelischen E-Gitarren-Aufschrei auf.

    "Real Feel 105°" beginnt als wortreicher, klassischer Folk-Song, begleitet von einer akustischen Gitarre. Er wird im Verlauf durch immer mehr Instrumente angereichert, bis es schließlich zur orchestralen, üppig schwelgenden Country-Pop-Broadway-Nummer kommt, die zur Hymne mutiert. Als Tüpfelchen auf dem I wird sie wird mit ein paar erschütternd hingebungsvollen Liebeserklärungen garniert ("Früher habe ich auf Almosen gewartet und auf der Straße gefleht, aber du bist alles, worum ich jetzt flehe.")

    Den sentimentalen Piano- und Synthesizer-Tönen von "Spun Out" wird durch eine kräftige elektrische Gitarre und mit sperrigen Hip-Hop-Sounds die Süße so weit verdünnt, dass das Lied schließlich kurz den Flow verliert, aber letztlich doch noch als clever aufgebauter Song mit assoziativen Wortschöpfungen durchgeht. Und war das da etwa David Bowie, der am Ende gesprochen hat?

    "Trains Still Run On Time" bekommt einen energischen Roots-Rock verpasst, der durch Einfallsreichtum, Leidenschaft und verschrobene Eingängigkeit zu überzeugen weiß. Und wenn die Züge immer noch pünktlich fahren, dann kann ja alles nicht so schlimm sein - das ist die satirisch gemeinte Annahme in diesem Song. Wenn man die Regel und Ableitung mit den pünktlichen Zügen auf Deutschland überträgt, dann kann einem angst und bange um unsere Republik werden.

    Tief unter die Haut, zu Herzen und an die Seele geht die Art-Rock-Ballade "The Time I Have Left", für deren Umsetzung Matt Berninger von The National als Gesangs-Vorzeige-Gast geladen wurde. Seine einprägsame, entspannte und dabei durchdringende Bariton-Stimme trägt maßgeblich und vorzüglich zum Gelingen dieses "Endzeit"-Liedes bei ("Ja, ich würde dich gerne nach der Zeit fragen, die mir noch bleibt").

    "Tin Soldier Boy" wildert musikalisch sowohl im West-Coast-Folk-Rock von Neil Young und im New-Orleans-Jazz als auch im vom Cabaret- oder Vaudeville-Sound, der The Kinks, der sie zu solchen Meisterwerken wie "The Kinks Are the Village Green Preservation Society" inspiriert hat. Bodenständigkeit, Spontanität und Ausgelassenheit sind Standbeine, auf denen der Track, der das Durchhalten in vielen Lebenslagen propagiert, fußt.
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    The Head As Form'd In The Crier's Choir Sarah Davachi
    The Head As Form'd In The Crier's Choir (CD)
    Nov 23, 2024
    Sound:
    4 of 5
    Music:
    4 of 5

    Sarah Davachi hat mit "The Head As Form'd In The Crier's Choir" einmal mehr ein schöngeistiges, psychoakustisches Klang-Konzept umgesetzt.

    Die Welt besteht aus Schwingungen, die auf uns einwirken. Positiv wie negativ. Die 37-jährige, in Kanada geborene Sarah Davachi beschäftigt sich in ihrer Kunst unter anderem damit, was Töne in uns auslösen können. "The Head As Form'd In The Crier's Choir" orientiert sich an dem antiken, griechischen Orpheus-Mythos und folgt bestimmten Regeln: Die sieben Kompositionen bestehen oft aus langgezogenen Tönen, die sanft, manchmal kaum merklich pulsieren. Es ist, als würden sie atmen, also lebendig sein. Diese alternativ ausgelegte Ambient-, Drone- oder Minimal-Art-Musik folgt keinem Rhythmus, weist keine Melodien auf, besitzt keine Refrains. Sie ist nicht aggressiv oder anbiedernd und setzt sich ausschließlich aus unterschiedlich gestimmten Vibrationen zusammen.

    "Prologo", "The Crier`s Choir" und "Night Horns" sind Solo-Stücke, eingespielt an Pfeifen-Orgeln in Helsinki (Finnland), Oberlin (USA) und Toulouse (Frankreich). Wer jemals eine mächtige Orgel gehört hat (in einer Kirche oder Kathedrale oder auf CD zum Beispiel bei "Hymns/Spheres", das von Keith Jarrett 1976 eingespielt wurde), weiß, wie durchdringend und Respekt einflößend solche Klänge sind. Für ihre Orgel-Tracks entwickelte Sarah Davachi ruhige Abläufe, die sich nur geringfügig und langsam verändern. Die Akkorde sind überwiegend dem Moll-Bereich zugeordnet, hören sich andächtig an, sind meditativ aufgebaut und werden ohne Zeitdruck dargeboten. Manchmal überlagern sich diese Entwürfe auch.

    Für "Possente Spirto" setzte Sarah elektronische Instrumente, wie Mellotron (mit Blech- und Holzbläser-Samples) oder Synthesizer sowie Bandschleifen-Manipulationen ein. Sie wird dabei von Andrew McIntosh an der Bratsche und Mattie Barbier an der Posaune begleitet. Im Verbund erzeugen die Musiker ein Wummern, Brummen, Schwirren und Summen, das sich für den Ungeübten, mit minimalistischen Ausdrucksweisen nicht Vertrauten eventuell wie Hörtest-Geräusche anhört, aber in einer ausgeruhten Stimmung Hirn-Areale stimuliert, die die Aufmerksamkeit und das Urteilsvermögen anregen.

    Das "Trio For A Ground" besteht eigentlich aus einem Quartett, nämlich aus Sarah Davachi (Pfeifen-Orgel in Bologna (Italien)), Eyvind Kang (Bratsche), Pierre-Yves Martel (Bratsche) und Lisa McGee (Gesang). Vier Menschen - drei unterschiedliche Schwingungs-Erzeuger: Davachi steuert erdende Dauer-Töne bei, die Bratschen passen sich diesem monoton-suggestiven Treiben an und mithilfe von Lisa McGee wurde ein ganzer Chor simuliert, der an sphärische, gregorianische Gesänge erinnert, wie sie gerne in Mittelalter-Filmen wie "Der Name der Rose" zur Erzeugung von sakralen Momenten verwendet werden. Entsprechend ehrwürdig-religiös klingt dann auch diese Komposition.

    Für "Res Sub Rosa" konnte das Berliner Bläser-Quintett Harmonic Space Orchestra, bestehend aus Rebecca Lane (Bass-Flöte), Sam Dunscombe & Michiko Ogawa (Bass-Klarinetten) sowie M.O. Abbott & Weston Olencki (Posaunen) gewonnen werden, die dem Stück eine natürlich warme Interpretation zukommen lassen. Ihre Ton-Demonstrationen erinnern an Warn-Hörner, zumindest an um Aufmerksamkeit bittende Klänge, die sich nicht alarmierend, aber auffallend, vorherrschend und bestimmend verhalten.

    "Constants" bestreitet Sarah Davachi alleine an elektronischen Instrumenten. Ein paar Frequenzen sind höher gelagert als bei den Orgel-Stücken, ohne dabei aber schrill zu sein. Es gibt sowohl beinahe gleichbleibende als auch sich in diesem grundsätzlich eher statisch orientierten Kontext auffälliger verändernde Töne. Das allgemeine Dröhnen schwillt im Verlauf an, was durch die bisherige Sensibilisierung eine Provokation andeutet. Vor der Eskalation nimmt die Intensität jedoch wieder ab.

    "The Head As Form'd In The Crier's Choir" ist keine Pop-Musik im engeren Sinne, hat aber einige Verwandte in diesem Bereich, wie Terry Riley, Brian Eno oder Peter Michael Hamel (von der Gruppe Between), die alle neue Ausdrucksformen gesucht und dafür die Rock & Roll-Roots verlassen haben, um eine andersartige klangliche Revolution einzuleiten.
    Die fast 92 Minuten Spielzeit suggerieren den Zuhörern, dass die Zeit zum Stillstand gekommen sei. Es gibt "keine Themen, nur Aktivität von Ton und Stille". Das ist eine Definition, die der Komponist John Cage für sein Orgel-Stück "ORGAN²/ASLSP" gefunden hat, das über 639 Jahre hinweg in der Burchardi-Kirche in Halberstadt aufgeführt wird. In ähnlicher Form gilt diese Aussage als Anhaltspunkt auch für die letzten Werke von Sarah Davachi ("Antiphonals" von 2021 und "Two Sisters" aus 2022), zu denen "The Head As Form'd In The Crier's Choir" eine logische Ergänzung darstellt.

    Die Wahrnehmung dieser Klang-Kombinationen kann durchaus bewusstseinserweiternd sein. Der Geist begibt sich dann auf eine Reise, die von den Tönen inspiriert, womöglich bestimmt und geleitet wird. Obwohl dunkle Strukturen vorherrschen, fühlt man sich nicht bedroht, sondern fürsorglich in abenteuerlich-unbekannte Gefilde begleitet. Dabei wird man fachkundig an die Hand genommen, um sich mit der unbekannten Situation zurechtzufinden und zu identifizieren. Vertrauen ist sowieso das Schlüsselwort für den Umgang mit diesen Kompositionen. Man sollte sich also in die Noten fallen lassen, sich vorurteilsfrei auf das Experiment einlassen. Dann hinterlassen die Klanginstallationen unter Umständen eine berauschend-befreiende Wirkung. Besonders intensiv kann das köstliche Hör-Vergnügen natürlich mit einem hochauflösenden Kopfhörer erlebt werden.

    Sarah Davachi ist eine Ton-Schöpferin und Sound-Designerin, die es versteht, Klanginstallationen zu erzeugen, die auf das Wesentliche abgespeckt sind. Sie füllen den Raum so weit auf, dass sie einen wohlig empfundenen Schwindel auslösen können, der die Aufnahmefähigkeit des Gehirns jedoch nicht einschränkt. Ganz im Gegenteil, durch die Reduktion auf wenige Schwingungen tritt eine konzentrierte Selbstentspannung ein, ähnlich wie beim autogenen Training. Deshalb kann die Musik auch ein heilsamer Trip mit Erkenntnisgewinn sein. Probieren geht über Studieren...
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    Soft Tissue Tindersticks
    Soft Tissue (CD)
    Sep 23, 2024
    Sound:
    5 of 5
    Music:
    5 of 5

    Die einzige Konstante im Leben ist die Veränderung.

    Die Tindersticks sind nicht mit wenigen Worten zu beschreiben oder zu begreifen. Sie sind Sound-Künstler, um nicht zu sagen bildende Künstler. Denn ihre Musik ist als Gesamtkunstwerk aus Tönen, Texten, Emotionen und deren Zusammenspiel zu sehen. Kontraste und gleichbleibende Wiedererkennungswerte spielen bei der Konstruktion der Kompositionen genauso eine wichtige Rolle wie Experimente und harmonische Komponenten. Manie und Depression sind die Eckpunkte, zwischen denen sich die intensiv übertragenen Gefühlsäußerungen abspielen.

    Das Aushängeschild der Gebilde ist dabei stets der erschütternd sensible Gesang von Stuart A. Staples, der die Gruppe unverwechselbar macht. Seine sonor-nasale, ausdauernd leidende Stimme besitzt eine unermüdliche Neigung dazu, aus einer konstruktiven Melancholie heraus Kraft zu schöpfen. Dabei bringt Staples auf köstliche Weise triefend-herzzerreißend schöne Töne hervor, die jeden Sensiblen zu Tränen rühren können.

    Innerhalb ihres eigenwilligen Raum-Zeit-Kontinuums strebt die Band mit „Soft Tissue“ einmal mehr und dieses Mal sehr deutlich nach Ausweitung des Klanghorizontes. Ihre Auffassung von sinnlich-lasziver Leidenschaft, cremigem Soul und bewusstseinserweiterndem Art-Pop verschafft den Songs einen speziellen Glanz sowie majestätische Würde und lässt manche Lieder von innen heraus strahlen und pulsieren, sodass Licht und Schöpfungskraft letztlich über die Dunkelheit triumphieren können. Die acht neuen Stücke fangen eine Stimmung ein, die zwar reich an schwermütigen Klängen ist, aber dennoch Zuspruch, Lebensfreude und sogar eine gewisse Leichtigkeit ausdrücken.

    Aufrüttelnde Bläser-Fanfaren und ein stabiler Rhythmus-Teppich künden "New World" großspurig an, fallen aber nach kurzer Zeit in sich zusammen. Das E-Piano dehnt dann hübsch und sauber die Zeit, während sich die gesamte Formation neu formiert. Ein cool-hypnotischer Groove bestimmt den weiteren Verlauf und Stuart Staples betätigt sich als Stimm-Magier, um seine Zuhörer und Zuhörerinnen sanft zu einem überraschenden Gefühlsausbruch zu begleiten, auf den niemand richtig vorbereitet wird. Plötzlich verstärkt nämlich die forsche, prächtige Stimme von Gina Foster kurz den Gesang und hebt den Song aus einem ätherischen Verweilen heraus und hinein in eine zupackende Richtungsänderung. Diese kontrastreiche Vorgehensweise wiederholt sich, wodurch der Track auf suggestive Weise einen nachhaltigen Ohrwurm-Charakter erhält. Die Moral des Liedes scheint zu sein, dass sich ständig alles im Wandel befindet, aber die veränderte Welt nicht immer leicht zu verstehen und zu akzeptieren ist. Besonders, wenn durch eine Neuordnung Moral und Ethik auf dem Kopf zu stehen scheinen. Aber dennoch wird der Sänger nicht von seinen Überzeugungen abweichen ("Ich werde nicht zulassen, dass meine Liebe zu meiner Schwäche wird" / "I won't let my love become my weakness.")

    Leidenschaft und Sehnsucht bestimmen die Gefühlswelt von "Don't Walk, Run", das stilistisch von schwülem Stax-Funk und schwülstigem Philly-Soul geprägt wird. Diese Funk-Soul-Herrlichkeit wurde in ein stoisches Klacken eingebettet, über das Stuart sein Flehen und Leiden schmachtend-traurig ausbreitet. Das ganze sinnlich-ergriffene Konstrukt, welches Trennungsschmerz in Töne fasst, entbehrt dabei nicht einer von Geheimnissen umwitterten Dramatik, sodass sich Anspannung und zarte Romantik die Waage halten.

    "Nancy" ist ein Gemisch aus einem oszillierenden, elektronischen Fake-Bossa-Nova und einer idyllischen Jazz-Ballade, aus dem man durch kurze eruptive Ausbrüche aufgeschreckt wird. Nancys Schweigen wiegt beim Erzähler schwerer als die Vorstellung der Auswirkungen eines Streitgesprächs. Die Essenz des Textes ist laut Aussage der Band, dass jemand eine Beziehung vermasselt hat und nun um Verzeihung bitten will.

    Für "Falling, The Light" wird Ruhe und Frieden in Noten gegossen. Der Track verströmt eine innige Verbindung zwischen den Tönen und den Worten, ist letztlich mehr eine Andacht als ein Song.
    "Always A Stranger" vermittelt unterschwellig den Schwung und den Tatendrang einiger Rockabilly-Aufnahmen aus den 1950er-Jahren, wie es zum Beispiel bei Elvis Presleys "Mystery Train" erlebt werden kann. Wobei die Tindersticks diese Energie kanalisieren und für ihre Zwecke so transformieren, dass der Groove geschmeidig bleibt und nicht überschäumt. Das Stück ist inhaltlich von ungestillten Erwartungen und einer starken Verunsicherung durchdrungen: "Meine Liebe steht in Flammen und ich fühle mich immer noch wie ein Fremder" / "My love is in flames and I'm always a stranger."

    Atmen bedeutet Leben. Atmen bedeutet auch Vertrauen, Vertrauen, dass die Luft, die uns erhalten soll, nicht schädlich für uns ist. Was nicht selbstverständlich ist, denn laut der Weltgesundheitsorganisation sterben nämlich jährlich weltweit etwa sieben Millionen Menschen an den Folgen von Feinstaub und anderen Schadstoffen in der Luft. Tendenz: steigend. Für "The Secret Of Breathing" wurde dem wummernden Bass eine Hauptrolle zugeordnet, was der Ballade von vornherein Schwere und Tragik einhaucht. Verweht-verirrte Streichinstrumente verbreiten einschüchternden Nebel und Stuart A. Staples entfernt mit seinem herbst-grauen Gesang fast alle Farben aus den Tönen.

    Ohne jegliche Zwänge noch einmal zumindest gedanklich von vorne anfangen zu können und dabei am Guten festhalten zu können. Diese Möglichkeit steckt theoretisch in jedem von uns und das triumphale Gefühl des Neubeginns muss berauschend schön sein. "Turned My Back" verfolgt ein solches Muster und zieht zur klanglichen Illustration einen Gospel-Sound heran, der als Jazz-Chanson getarnt ist. Gina Fosters beseelt-voluminöser Gesang, wallende Streicher, verdichtende Bläser, ein hypnotisierender Beat und die schmachtende Stimme von Stuart sind dominante Zutaten zu diesem komplexen, in sich verflochtenen Song.

    "Soon To Be April" ist eine unspektakulär erscheinende Träumerei für diejenigen, die sich zum Beginn des Herbstes schon auf den nächsten Frühling freuen. Das Lied kommt ohne Steigerung und ohne laute oder schnelle Bestandteile aus. Es erfüllt quasi die Funktion eines Wiegenliedes: Es beruhigt und wägt die aufmerksam Zuhörenden in Sicherheit.

    In der individuellen Wahrnehmung ist vermutlich oft das jeweils aktuelle Album der Tindersticks auch das bisher beste. Das würdigt die Vorgänger in keiner Weise ab, zeigt aber eindrucksvoll, dass es die Musiker verstehen, mit jeder Platte erneut zu begeistern und das Spektrum der Klänge so zu erweitern oder anzupassen, dass es trotz vieler Wiedererkennungsmerkmale immer auch überraschende Facetten zu entdecken gibt.

    Stuart A. Staples steuert die Songs gesanglich - wenn nötig - in dunkle Gefilde, wo Melancholie und Leiden zu Hause sind. Das geschieht zutiefst demütig, sodass dieser Vorgang in der Regel für die Zuhörerinnen und Zuhörer sogar aufbauend wirkt. Denn geteiltes Leid ist schließlich halbes Leid. Die relativ üppig vorhandenen mild leuchtenden Momente auf "Soft Tissue" leuchten in diesem Umfeld umso prächtiger.

    Es ist anzunehmen, dass mit dem "weichen Gewebe", auf das sich der Titel bezieht, der menschliche Körper gemeint ist. Auf diese Idee kann man jedenfalls kommen, wenn man auf das Cover des Albums schaut. Es wurde von Stuart Staples Tochter Sidonie entworfen und symbolisiert innige Verbundenheit und wohlige Geborgenheit.

    Das Quintett aus Nottingham, derzeit bestehend aus Stuart A. Staples (Gesang), David Boulter (Keyboards), Neil Fraser (Gitarren), Earl Harvin (Schlagzeug) und Dan McCinna (Bass), ist seit 32 Jahren im Geschäft. Die Formation inszeniert ihre Musik häufig als in sich gekehrte, komplexe, intime, kammermusikalische Soundtracks für Menschen, denen Charts-Pop zu trivial und klassische Musik zu elitär ist. Bei allem vorhandenen Weltschmerz erlangen die Tindersticks auf Album-Länge nicht selten trotzdem eine bezaubernde, introvertierte Coolness. Die Klänge sind in der Lage, aus Traurigkeit Zuversicht zu zaubern und Trost zu spenden, also wahrlich zauberhafte Erlebnisse zu ermöglichen.

    Viele Menschen scheuen Veränderungen im Leben. Aber Anpassungen finden dennoch ständig statt, ob wir wollen oder nicht. Auch im Kleinen. Manchmal unmerklich, weil in kleinen Schüben. So auch bei den Tindersticks. Der Wandel ist ein fester Bestandteil ihrer Musik, macht sie immer wieder attraktiv und ist ein Motor für die andauernde Faszination. Tradition, Verlässlichkeit und Innovation sind drei Eckpunkte des Schaffens der Tindersticks und lassen auch "Soft Tissue" nach den letzten großartigen Non-Soundtrack-Alben "No Treasure But Hope" aus 2019 und "Distractions" von 2021 wieder zu einem durchweg außergewöhnlich interessanten Werk werden, das den spezifischen Sound der Band sowohl ausbaut als auch triumphal weiterführt. Prädikat: Hervorragend!
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    Sep 23, 2024
    Sound:
    4 of 5
    Music:
    4 of 5

    Nada Surf bereiten Power-Pop-Fans mit "Moon Mirror" 44 glückselige Minuten.

    Und das gilt nicht nur für die in Adrenalin getränkten Stücke, sondern auch für die Balladen. Nada Surf versetzen die Hörerschaft in einen euphorischen Rauschzustand, der durch hingebungsvolle Empathie noch zusätzlich bereichert und aufgewertet wird.

    Aber der Reihe nach: Die New Yorker Musiker Matthew Caws und Daniel Lorca kennen sich schon seit Kindheitstagen, spielten zusammen in Schülerbands und gründeten 1993 Nada Surf. Der Name ist ein spanischer Begriff für den Weg heraus aus einer Depression. Nach einigem Veröffentlichungs-Wirrwarr erschien der erste Longplayer "High/Low" im Jahr 1996 und warf gleich die Hit-Single "Popular" ab. 1998 folgte das zweite Album "The Proximity Effect" und mit "Let Go" aus 2002 etablierte sich die Band endgültig als hochkarätige Indie-Pop-Formation mit Hang zum Pop-Punk und einem Sinn für ausgefeilte Kompositionen.

    Bis 2020 folgten sieben weitere Werke, darunter die Cover-Versionen-Platte "If I Had A Hifi" aus 2010 und "Peaceful Ghosts" von 2016, wo ausgewählte Stücke zusammen mit dem Babelsberger Filmorchester neu interpretiert wurden. Nach 4 Jahren Veröffentlichungs-Pause kommt nun am 13. September 2024 der vierzehnte Longplayer "Moon Mirror" auf den Markt. Die Aufnahmen wurden in der Besetzung Matthew Caws (Gesang, Gitarre), Daniel Lorca (Bass), Ira Elliot (Schlagzeug) und Louie Lino (Keyboards, Gesang, Gitarre) in den Rockfield-Studios in Wales unter der Leitung des Produzenten Ian Laughton, der unter anderem bereits für Supergrass und Ash arbeitete, eingespielt.

    Mit "Second Skin" legt die Band stürmisch los und Matthew Caws lässt wissen, dass er seine Schutzhülle, die er gegen zwischenmenschliche Enttäuschungen aufgebaut hat, ablegen möchte ("Ich trug einen Porzellanmantel. Du kanntest mich nicht vollständig." und "Ich bin es leid, in dieser zweiten Haut zu leben. Ich will alles hereinlassen.") Mit ihrem aufwühlenden, vorauseilenden, erfrischenden Schwung aktiviert die Musik Körper und Geist und reißt mithilfe der mächtigen Klänge alle zwischenmenschlichen Hemmnisse ein.

    Und wer jetzt glaubt, die Gruppe habe ihr Energiepotenzial schon ausgeschöpft, sieht sich getäuscht: Mit "In Front Of Me Now" geht es weiter druckvoll-elegant zur Sache und die Musiker legen hinsichtlich des Temperamentes sogar noch eine Schippe drauf. Der schwirrend-hinreißende Folk-Rock der Byrds und der ungestüm-vehemente College-Rock der 1990er-Jahre bilden die Basis für diesen Track. Im Team ist diese Mischung aufgrund ihrer beflügelnden Wirkung nahezu unschlagbar. Der Song ist in seiner ganzen Beschaffenheit, also inhaltlich und musikalisch in gewissem Maße ein Bekenntnis zum bewussten, achtsamen Leben.

    Jetzt wird es Zeit für eine Verschnaufpause. Es folgen zwei ausdrucksstarke Balladen, die sich allerdings in ihrer Konzeption grundsätzlich voneinander unterscheiden. "Moon Mirror" steigert die Dynamik nur langsam, bleibt dabei verhalten und strebt nicht nach einem fulminanten Finale. Der emotionale Reiz ergibt sich vielmehr aus dem verständnisvoll-harmonischen Gesang und der weich fließenden Melodie. Der Text zeugt von einer gewissen Orientierungslosigkeit in dieser von Reizen überfluteten Zeit. Es stellen sich die Fragen: Auf wessen Aussage kann ich noch vertrauen und wo finde ich Anhaltspunkte für meinen weiteren Lebensweg? Vielleicht kann in diesem Fall uraltes schamanisches Wissen für Orientierung sorgen: Der Mond gilt in diesem Zusammenhang als Reflektor von unbewussten, verborgenen Wünschen. Er wird beim Song "Moon Mirror" jedenfalls gezielt poetisch als Hilfs-Institution und als Energielieferant angesprochen ("Mondspiegel, zeige mir ein Leben, das ich lebe, verbinde mich mit etwas, das gerade erst beginnt.")

    Bei "Losing" lodern die Gitarren feurig im Hintergrund, setzen den Song aber nicht übermütig in Flammen. Sanfte Geigentöne aus dem Synthesizer übernehmen zwischendurch das Ruder und steuern das Lied in sentimentale Gefilde, wobei wieder die Stimme maßgeblich die Regie übernimmt und eine Charme-Offensive startet. Matthew Caws dehnt manche Worte so stark, dass sie sich wie warme Decken über die Noten spannen. Der Track lässt förmlich auf suggestive Weise bildhafte, berührend-hingebungsvolle Momente entstehen. Würde der Song stattdessen schneller gespielt werden, gäbe er eine rasant-gefühlvolle Power-Pop-Hymne ab. Der Text macht klar, dass man bei einer zerbrochenen Liebe viel mehr als nur einen Partner verliert. Dazu gehört auch die unwiederbringliche Zeit, die vielleicht als verschwendet empfunden wird. Womöglich verliert man sogar Selbstvertrauen, was zukünftige Schritte im Leben hemmt. Der Verfasser des Songs, Louie Lino, sieht den Text "als Aufzählung all der Dinge, die das Älterwerden einem raubt."

    Mit "Intel And Dreams" kommt dann wieder mehr Druck auf den Kessel. Anfangs tendiert der Track eher zum Punk als zum Pop. Später dreht sich diese Wahrnehmung. Die Poesie beschreibt und preist zunächst "die Leichtigkeit des Alleinseins". Es stellt sich aber heraus, dass es sich bei dieser Aussage nur um Schönfärberei der Einsamkeit gehandelt hat: "Selbst die besten Tage fühlen sich halb vergeudet an."
    "The One You Want" spielt mit der Überlegung, ob eine Beziehung dadurch zu retten ist, wenn man sich an die Erwartungen des Partners vollständig anpasst. Dies führt in der Regel irgendwann zu Konflikten ("Ich will dich nicht verlieren, aber ich will auch nicht gewinnen. Können wir neu anfangen und es noch einmal versuchen?"), die sich unter bestimmten Bedingungen auflösen oder ins Zerwürfnis führen können. Das Lied vermittelt dieses Wechselbad der Gefühle durch langsame und schnelle Passagen, durch romantischen und strengen Gesang, durch schwebende, synthetische Streicher und ein unnachgiebig galoppierendes Schlagzeug.

    "New Propeller" soll Mut machen. Mut, um seinen Standpunkt zu verteidigen und sich nicht einschüchtern zu lassen. Nicht von Personen, Institutionen oder Religionen. Laut Matthew Caws ist das Lied "eine Reflexion über Veränderungen." Dazu braucht es keinen Krawall, keine Wutausbrüche gegen die vermeintlichen Energie-Fresser und keine Hasstiraden. Der Zauber der Ruhe, eine erhabene Schönheit und Weisheit in Ausdruck des Gesanges leisten hier sanfte, aber unmissverständliche Überzeugungsarbeit.

    "Open Seas" ist der wohl einfühlsamste und raffinierteste Song auf "Moon Mirror". Er basiert auf einem rauen, aber kompromissbereiten Punk-Riff und verfügt über eine zuckersüße, knifflig-vielschichtige Melodie. Es werden alle Register gezogen, um die Hörerschaft um den Finger zu wickeln und ihre Begeisterung mit irgendeiner unerwarteten Wendung zu wecken - was wahrscheinlich alleine aufgrund von süßen, dynamisch aufgebauten Verlockungen gelingen wird. Ohne Zweifel: Ein grandioser Song! Die Lyrik bleibt weitgehend undurchsichtig ("Es gibt keine Aufzeichnungen, keine Spuren, es gibt nichts, was irgendjemand auf deinem Gesicht sehen kann, es gibt keine Methode, es gibt kein Verbrechen, von dort nach hier zu kommen war nie eine gerade Linie"), regt aber die Fantasie an.

    "X Is You" holt den Boogie-Groove zurück ins Geschehen. Auf jeden Fall solche Schwingungen, die Herz und Beine in Bewegung setzen. Der Track vermittelt den Eindruck, als sei er als Empfehlung, das bisherige Leben zu überdenken und eingefahrene, hinderliche Abläufe abzulegen, gedacht ("Schüttle den Ärger aus deinen Augen. Schüttle die Kälte aus deinem Innern").

    Es folgt ein weiteres Lied, welches durch kompakte Leidenschaft Zuversicht verbreitet: Bei "Give Me The Sun" heißt es: "Oh ich weiß, dass es Frieden gab, ich weiß, dass es Spaß gab. Ich nehme meine privaten Träume und ich lege sie in die Sonne." Matthew Caws erweist sich als seriöser Entertainer, während die E-Gitarren schroff-hitzige Dauersalven absondern und der Rhythmus-Bereich Standhaftigkeit in jeder Lage praktiziert.

    Für "Floater" neutralisieren sich Energie und Empathie gegenseitig, sodass ein kompakter, aber dennoch empfindsamer Folk-Rock entsteht. Der Gesang klingt geläutert und in sich ruhend. Der Text bleibt kryptisch-assoziativ und erschließt sich wohl erst dann vollständig, wenn ihre Verfasser dazu befragt werden können ("Lass ein Seil in den Wunschbrunnen fallen, müde, wahrscheinlich verängstigt, Vergebung ist genau dort.")

    Mit "Moon Mirror" melden sich Nada Surf eindrucksvoll mit elf qualitativ hochwertigen Liedern nach "Never Not Together" aus 2020 zurück, die noch lange im Gedächtnis nachhallen werden. Das Werk ist quasi eine "Best Of"-Zusammenstellung mit ausschließlich neuen Stücken. Die Musiker füllen souverän und einladend-attraktiv ein Spektrum aus, das von lieblichen Beatles-Harmonien bis hin zu harten Punk-Riffs reicht. Alle Tugenden der Gruppe treten bei den neuen Kompositionen in hoher Qualität hervor und sorgen von Anfang bis Ende für großen Spaß und vollständige Zufriedenheit.
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    Sep 23, 2024
    Sound:
    4 of 5
    Music:
    3 of 5

    Kitty von Kitty, Daisy & Lewis ist erwachsen geworden.

    Es gibt drei Geschwister, die vom analogen Retro-Sound der 1950er- und 1960er-Jahre besessen sind und schon als Teenager von 2008 bis 2017 gemeinsam erfolgreich Alben aufnahmen. Zunächst begnügten sich Kitty, Daisy & Lewis Durham mit originellen Cover-Versionen aus dem Rockabilly-, Rhythm & Blues- und Pop-Universum, später schufen sie auch eigene Kreationen mit Retro-Charisma, die tanzbar, aber nicht zu glatt produziert wurden.

    Nun sind die Teenager von einst erwachsen geworden und genauso hört sich "Easy Tiger", das Solo-Debüt von Kitty Liv, an. Der Ausspruch "Easy Tiger" ist gebräuchlich dafür, wenn wir möchten, dass sich jemand beruhigt, nicht überreagiert oder etwas nicht überstürzen soll. In diesem Sinne sind die von Kitty interpretierten Stücke als gepflegtes Entertainment, ohne Aggressionen oder musikalische Experimente, anzusehen. Die erfahrene Musikerin bedient ein weites Spektrum an persönlichen Vorlieben und setzt ihre wohlklingende, kräftig-frische Stimme als kenntnisreiche Botschafterin von Vintage-Klängen ein. Sie orientiert sich dabei an bewährten Mustern, die aus der Plattensammlung ihrer Eltern und aus eigenen Erfahrungen entspringen. Kitty Liv betätigt sich aus diesen Eindrücken heraus als Retro-Pop-Allrounderin und präsentiert zehn selbst verfasste Liebes(leid)lieder, von denen einige inhaltlich von Tragik gekennzeichnet sind. Musikalisch und produktionstechnisch wird sie dabei tatkräftig von ihrem Bruder Lewis unterstützt.

    Der laszive Überbau von "Sweet Dreams" legt sich auch auf die Stimme von Kitty, ohne dass sie in billigen Sex-Kitsch verfällt. Sinnlichkeit und Verführungskunst sind es, die die Emotionen hier zum Glühen bringen. Der Track groovt aufreizend-fordernd, ohne ungezügelt überzukochen. Es bleibt dennoch genügend Raum für schlüpfrige Fantasien übrig. Pop und Funk suchen nach einem Spielplatz, auf dem sich Eleganz, Verlangen und purer Spaß vereinen und unbeschwert auslassen können.

    Was sich als fröhlich-frecher, geradezu alberner Pop-Song herausstellt, versteckt textlich einen ernsten Hintergrund. Bei "Neck On The Line" heißt es nämlich: "Du sagst, du willst mit mir zusammen sein. Aber dann ziehst du dich zurück und führst mich in die Irre. Wenn du nicht willst, dass ich dich hasse, dann schlage ich vor, dass du aufwachst und aufhörst, meine Zeit zu verschwenden."

    "Und ich brauche keine Droge. Nur einen Kuss und eine Umarmung". So bescheiden, reduziert auf die wichtigen Dinge im Leben zeigt sich Kitty Liv in "Comin’ Up". Der Song rochiert mit stilistischen Kabinettstückchen: Ein verlockender Gummiband-Bass; Gitarren, die Folk-, Country- und Jazz-Aromen einfließen lassen; ein Schlagzeug, das flexibel als Klebemittel zwischen den Einfällen fungiert und eine Stimme, die bei aller Vielfalt locker und gelöst bleibt - das sind die reizvollen Zutaten zu einem beschwingten Pop-Song, dessen Bestandteile aus der Pop-Geschichte schmackhaft zusammengetragen wurden, ohne dass das Ergebnis umständlich oder verworren wirkt.

    Das ist tragisch: "Ich will dich nur, um mich vor der Einsamkeit zu retten", gesteht die Protagonistin am Anfang von "Nothing On My Mind (But You Babe)". Dann gibt sie zu, dass sie abhängig von seiner Liebe geworden ist. Diese Problematik wird in einen flotten Philadelphia-Soul gekleidet, der keinen Zweifel an dem vorgetäuschten starken Willen aufkommen lassen soll. Ein toller, hochenergetischer Song!

    Manchmal scheitern Beziehungen daran, dass sich die Partner unterschiedlich (schnell) entwickeln. Bei "The River That Flows" scheint solch ein Fall vorzuliegen: "Und ich kann nicht mehr so sein wie früher. Und es hat keinen Sinn, sich zu beschweren, wenn die Welt sich ständig verändert." Dieses Lied bezieht sich auf Country-Folk- und Country-Swing-Wurzeln und kommt sowohl nachdenklich als auch beflügelt daher.

    Der Funk von "The Sun And The Rain" hinterlässt einen unverbindlichen Eindruck. Er ist weder federnd-galant (wie bei Little Feat), noch dreckig-bissig (wie der von Betty Davis), sondern beherrscht-zurückhaltend. Deshalb bekommt er das Attribut "Weder Fisch noch Fleisch". Das passt zu dem unkritischen Text, der sich lediglich mit einer Schilderung über die Sehnsucht nach dem Angebeteten und der Angst vorm Verlust beschäftigt.
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    Sep 12, 2024
    Sound:
    5 of 5
    Music:
    5 of 5

    King Crimsons Reinkarnation von 1981 fällt mit "Discipline" sowohl zeitgemäß als auch retrospektiv aus.

    Robert Fripp hatte seine vom Ende der 1960er-Jahre bis Mitte der 1970er-Jahre erfolgreich agierende Künstlervereinigung King Crimson 1981 namentlich und Tonträger-technisch auferstehen lassen. Charakteristisch für die Gruppe war immer, dass man von LP zu LP neue Wege beschritt und dadurch auch oft die beteiligten Musiker wechselten - das galt auch für das Reunion-Album "Discipline".

    Bei "Discipline", dem achten Album der Formation, bestand die Band aus der einzigen Konstante und dem Mastermind Robert Fripp (Gitarre), dem ex-David Bowie-, ex-Frank Zappa- und ex-Talking Heads-Sideman Adrian Belew (Gesang und Gitarre). Bill Bruford aus der letzten King Crimson-Besetzung am Schlagzeug und Tony Levin am Bass, der unter anderem für Jazz-Flötist Herbie Mann und Peter Gabriel tätig war, komplettierten die Besetzung.

    Die Kompositionen schöpften 1981 aus bewährten Tugenden und aktuellen Einflüssen, die zu einem unverwüstlich stabilen Klangbild verschmolzen wurden. Das Werk knüpft zum Beispiel grundsätzlich an die kraftvollen Ausbrüche und gelegentlich an die sensiblen Momente von "Red" - der letzten King Crimson Studio-Platte von 1974 - an und zeigt sich auf den sieben, vorwiegend furios-hitzigen Tracks rhythmisch wilder, herausfordernder und komplexer denn je. Wobei Adrian Belew mit seinem seltsam-exzentrischem, überdreht-besessenem Gesang und seinem schrillen Gitarrenspiel besonders frenetisch-auffällig hervorsticht.

    In Anlehnung an ursprüngliche afrikanische Folklore und improvisiertem Rock entstand "The Sheltering Sky". Der Track bildet somit eine Brücke, die eine historische Musikauffassung mit dem systematischen, mehrschichtigen Aufbau von King Crimson-Stücken und den elektronischen "Frippertronics"-Loops von "No Pussyfooting" von Fripp & Eno aus 1972 verbindet. Die erzeugte Stimmung wurde vom Roman "Sheltering Sky" (deutsch: "Himmel über der Wüste"), den der zur Beat-Generation zählende Autor Paul Bowles 1949 schrieb, inspiriert. In dem Buch, das 1990 von Bernardo Bertolucci verfilmt wurde, geht es im Kern um ein reiches Paar mit Eheproblemen auf der Selbstsuche in der nordafrikanischen Wüste.

    Der nervös-monoton getaktete Titel-Song ist wiederum ein stilistisches Überbleibsel der schrillen, tanzbaren "League Of Gentlemen"-LP, die Robert Fripp im Februar 1981 herausbrachte. Der Titel wurde nicht grundlos gewählt, denn jeder Musiker sollte bei diesem Stück, das etliche Taktwechsel durchläuft, eine gleichberechtigte Rolle einnehmen, sich also nicht in den Vordergrund spielen. Fripp hatte diese Vorgehensweise von der indonesischen Gamelan-Musik gelernt.

    "Matte Kudasei" (was "bitte warten" auf Japanisch heißt) ist dagegen eine flirrend-sphärische, ergriffen-pathetische Ballade, die sich an "North Star" vom Robert Fripp-Album "Exposure" aus 1979 orientiert und die Sehnsucht nach der Heimkehr eines geliebten Menschen zum Thema hat.

    Einige Tracks stehen unter dem Einfluss des schwirrend-schreienden E-Bow-Gitarrenstils von Adrian Belew, wobei besonders das schwindelerregend kreiselnde, hart rockende "Elephant Talk" mit einem einnehmenden Hochdruck-Energie-Level zu überzeugen weiß. Belew schmeißt mit seinem panisch-klaustrophobischen Gesang etliche Begriffe fürs "Reden" in die Runde und endet bei jedem Vers mit der Bemerkung "Es ist nur Gerede". Man kann den Song also auch als ein Plädoyer zum Handeln, statt zum endlosen Diskutieren verstehen.

    Das schweißtreibend groovende "Thela Hun Ginjeet" war stark von den Talking Heads zu Zeiten von "Fear Of Music" (1979) und "Remain In Light" (1980) mit dem dort vorherrschenden, brodelnden Afro-Funk inspiriert. Inhaltlich stellt "Thela Hun Ginjeet", das ein Anagramm des Originaltitels "Heat In The Jungle" darstellt, eine Verarbeitung des Mordes an John Lennon dar.

    "Frame By Frame" gebärdet sich zunächst als hyperschnell ablaufender, irrwitzig ungestümer Jazz-Rock-Track. Er bekommt allerdings kurz vorm Bersten balladeske Einschübe zugewiesen und dieser Wechsel zwischen Höchstgeschwindigkeit und Ruhephase erfolgt danach erneut. In dem Text scheint es um Überforderung zu gehen ("Tod durch Ertrinken (von innen). In deiner eigenen, in deiner eigenen Analyse)."

    "Indiscipline" braucht eine Weile, um von einer Free-Jazz-ähnlichen Selbstfindungsphase zu einer konzentriert-straffen, fortschrittlich-experimentellen Art-Rock-Einstellung zu finden. Aber dann überrollt der Track einen mit seiner brachialen Gewalt, die einige Heavy-Metal-Bands wie unschuldige Chorknaben dastehen lassen. Die Poesie wurde von einem Brief, den Adrian Belews damalige Frau an ihn schrieb, beeinflusst. Darin ging es darum, was ihr beim Malen so alles durch den Kopf gegangen war.

    Auf manche Personen wirkt "Discipline" kalt, von instrumentaler Perfektion geprägt und erscheint dadurch eventuell emotional unnahbar. Zugegeben: "Discipline" ist ein von virtuosen Musikern eingespieltes, handwerklich überragend gestaltetes und dadurch unglaublich sauber klingendes Album geworden. Aber es ist auch lebendig-ungestüm und fängt den Zeitgeist des in den frühen 1980er-Jahren angesagten, hektisch-nervösen New-Wave-Sounds ein. Dabei bezieht es sich auf die Avantgarde dieser Bewegung. Dadurch verschmilzt es auf kaum nachahmungsfähige Weise die Komplexität des Art-Rocks mit der unbekümmerten, Stil-unabhängigen Ausgelassenheit des Post-Punks.

    Der Zahn der Zeit konnte der Musik wenig anhaben. Wenn man bereit ist, sich auf Sounds, die zwischen Jazz-Rock, Minimal-Art und New Wave angesiedelt sind, einzulassen, dann erstaunt die Platte immer noch und immer wieder aufgrund ihres Einfallsreichtums, der handwerklichen Präzision und der gezielten Klang-Provokationen. Das Werk stellte damals den Anfang und den Höhepunkt einer 1980er-Trilogie dar, zu der noch die gleichartigen Platten "Beat" (1982) und "Three Of A Perfect Pair" (1984) gehören.

    Adrian Belew schwärmte später immer noch von den Einspielungen für "Discipline": "Ich denke, es war damals wahrscheinlich die beste Band der Welt! Es war einfach die perfekte Besetzung und die perfekte Kombination aus allem: hart, leicht, lustig und düster. Ich finde einfach, dass diese Band etwas absolut Wunderbares hatte". Die Aufnahmen von "Discipline" wurden mehrfach in unterschiedlichen Ausprägungen wiederveröffentlicht. So auch zum vierzigsten Jubiläum im Jahr 2021 als von Steven Wilson technisch überarbeitete Doppel-CD mit Bonus-Tracks. Dazu gehören alternative Mixe und Aufnahmen aus der "Old Grey Whistle Test"-Show vom BBC.
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    Sep 12, 2024
    Sound:
    5 of 5
    Music:
    5 of 5

    Susannas Überlegungen zur Aufrechterhaltung von Liebe wurden von Selbstreflexionen und Assoziationen geprägt.

    Ist jegliche Art von Musik Gebrauchsmusik? Es gibt Verbrauchs-fördernde Töne, die das Konsumverhalten beeinflussen sollen. Es gibt aus psychologischen Gesichtspunkten erschaffene, beruhigende Klänge, um den Menschen beispielsweise die Angst beim Fahrstuhl fahren zu nehmen. Es gibt Telefonwarteschlangenberieselung, die die Leute in der Leitung halten soll (das funktioniert eigentlich nie, weil das Gedudel permanent nervt). Es gibt extrem einfach strukturierte Lieder, die für gute Laune bei Personen sorgen sollen, die sich eigentlich gar nicht ernsthaft für Musik interessieren. Diese dienen dann oft zur Ablenkung von zumeist stupiden Tätigkeiten, wie Auto fahren oder Hausarbeit. Und es gibt Kompositionen, die bei der Beschäftigung mit ihnen die Seele fliegen lässt. Sie sorgen dafür, dass Emotionen Purzelbäume schlagen und der Verstand in Schwingungen gerät. Was bestenfalls zu bewusstseinserweiternden Zuständen führen kann.

    Und dann gibt es Susanna Karolina Wallumrød aus Norwegen, die unter ihrem ersten Vornamen, als Susanna And The Magical Orchestra, als Susanna & The Brotherhood Of Our Lady oder als Susanna & David Wallumrød und in einigen anderen Ausprägungen seit dem Jahr 2000 zweifellos zur letztgenannten Gruppe gehört. Denn sie füllt ihre Nische mit bester, anspruchsvoll-attraktiver Unterhaltung aus. Susannas kluge, künstlerisch wertvolle Arbeiten beschäftigen sich zum Beispiel mit der Poesie von Baudelaire und setzen Maßstäbe, weil sie Brücken zwischen der sogenannten E-(rnsten) und U-(nterhaltungs)-Musik bauen. Gleichzeitig wird klar, dass es sich bei der Kategorisierung nach U- und E-Musik sowieso um überflüssige Definitionen handelt, weil jede Form von anregender Musik auch Unterhaltungsmusik ist. Denn auch sie hat für ihre Hörerschicht definitiv einen hohen Unterhaltungswert, den man sich aber ohne Vorkenntnisse im Zweifel durch Lerneffekte aneignen muss.

    Susanna geht für "Meditations On Love" neue Wege. Schon 2018 begann sie mit dem Schreiben der Lieder für die aktuelle Veröffentlichung, bei der sie nicht wie bisher ins Studio ging, um dort ohne Umschweife ihre Vorstellungen umzusetzen. Sie konsultierte stattdessen Juhani Silvola, einen finnisch-norwegischen Produzenten und Musiker, der dabei half, einen erkenntnisreichen Kreativitätsprozess in Gang zu setzen. Dieser zauberte eine eigentümlich-sonderbare Stimmung hervor, weil exaktes Songwriting und experimenteller Einfallsreichtum gewinnbringend zusammengebracht wurden. Der Tontechniker, Musiker und Produzent Marcus Bror Forsgren, der Mixer Bård Ingebrigtsens und ausgewählte Gastmusiker hauchten dann diesen Ideen im Studio Paradiso in Oslo ein interessantes Leben ein.

    "In vielerlei Hinsicht war der Aufnahmeprozess von "Meditations On Love" ähnlich wie der Schreibprozess, bei dem es viel zu schnitzen gab, und viel zu versuchen, Dinge herauszufinden, die am Ende etwas anderes waren als das, was ich zuerst dachte", berichtet Susanna. Bei den Songs geht es grundsätzlich um die Schwierigkeiten, eine Liebe aufrechtzuerhalten. Das Front-Cover des Albums wurde von Ingrid Torvund gestaltet und zeigt Fantasie-Gestalten oder vagabundierende Seelen, die sich schwebend in einem zentrifugalen Sog-Zustand zu befinden scheinen. Das könnte ein Ausdruck des Taumelns und der Hilflosigkeit sein, dem man manchmal in Liebesdingen schutzlos ausgeliefert ist.

    Mit "Everyone Knows" bekam das Werk dann eine Eröffnungsnummer zugeordnet, die schlagartig die veränderte Ausrichtung von Susannas Arbeitsvorgehen dokumentiert, illustriert und visualisiert: Blasinstrumente summen herum wie aufgescheuchte Bienen, gediegene Percussion-Werkzeuge und der voluminöse Bass bemühen sich um Konturen und Susannas Stimme fängt die entstandene lebhaft-freigeistige Stimmung mit einer nordischen Selbstbeherrschung ein. Das Ausströmen der eventuell als wunderlich empfundenen Töne erhält dadurch eine beherzt zupackende Charakter-Eigenschaft. Das Zusammenspiel von neugierigen, mutig agierenden Instrumentalisten und einer Sängerin, die menschliche Regungen unverstellt-empathisch abbilden kann, führt unweigerlich zu einer prickelnd-intensiven Darstellung origineller Kompositions-Kunst. Der Text reflektiert die zugrunde liegende Situation, wenn das Umfeld davon weiß, dass der Partner jemand anderen hat und du keine Ahnung hast, wie damit umzugehen ist.

    Bei "Big Dreams" lässt Susanna ihre Keyboards eine Besorgnis erregende, monoton-stumpfe Atmosphäre aufbauen. Dabei wiederholt sie die Zeile "I Have Big Dreams For You" häufig und mit wechselnder Betonung unterschiedlicher Worte. In dieses hypnotisch gestaltete Szenario fährt ein außer Rand und Band geratenes Saxophon kurz dazwischen. Ansonsten herrscht eine manipulative, meditative Ausrichtung des Stückes. Veränderung, Sehnsucht, Hoffnung und Angst, das sind die großen Gefühle, die viele Träume begleiten und die hier in einen Zusammenhang gebracht werden.

    Für "Leave Behind" wird das Gefühl "Kummer" in Worte gefasst: "Wird es Hoffnung geben. Wird es Liebe geben. Wird es Vertrauen geben. Ein Platz zum Ausruhen." Die Musik erzeugt dazu eine bleierne Schwere, die von glänzend-hellen Tönen durchbrochen wird, denn die Zuversicht stirbt bekanntlich zuletzt.

    "I Took Care of Myself" zeigt den Weg heraus aus der Krise auf: "Ich habe mich um mich selbst gekümmert. Ich stand auf und ging." Entsprechend euphorisch gelingen die Ton-gebenden Begleitungen zur aussichtsvollen Poesie: Eine spiralförmige Synthesizer-Dauerschleife versucht sich gegen neue Einflüsse zu wehren, aber alles drumherum klappert, klingelt und trommelt glückselig, sodass die verinnerlichten, sich gegen Veränderungen wehrenden Mechanismen keine Chance bekommen, sich durchzusetzen. Besorgniserregend ist allerdings, dass jede Strophe mit der Zeile "Es ist Zeit zu gehen" endet.

    Im Prinzip ist "Black Heart" eine lupenreine Ballade, nur geht es hier nicht offensichtlich um eine Liebesbeziehung. Das Stück führt gedanklich heraus aus der Dunkelheit und hinein ins Licht. Die musikalische Untermalung tendiert dabei allerdings eher zu bedrohlichen Tönen, was sich über die gesamte Laufzeit von fünf Minuten auch nicht auflöst.

    Der Begriff des (Überlebens-)Kampfes findet in den Texten von Susanna mehrfach Verwendung. Im "Elephant Song" geht es vorwiegend um die Überwindung von körperlichen Beeinträchtigungen durch (vermutlich) psychischen Stress. Dazu zählen zum Beispiel eine eingeschränkte Atmung oder Sprache oder ein gestörter Schlaf. Susanna hat eine Lyrik ersonnen, die diesen Schwierigkeiten vergleichbare, nachvollziehbare Qualen zur Seite stellt. Die Behinderung der Sprachfähigkeit wird beispielsweise als "Meine Worte bluten in Klang und Gefühl" beschrieben. Saxophon und Piano "reden" dabei ausdrucks-technisch aneinander vorbei. Susannas Sprechgesang scheint darüber hinaus in einer anderen Ebene unterwegs zu sein, sodass Stimme und Instrumente nicht direkt zueinander finden. Das wird erst harmonischer, als Streicher und Trommeln die gegenläufigen Strukturen ausgleichen.

    Es gibt Menschen, die behaupten, das ganze Leben sei ein Kampf. Diesen Gedanken nimmt "Battles" auf und definiert: "Es gibt all diese Schlachten. Kämpfe der Macht und Schlachten der Liebe. Schlachten der Freundschaft und Schlachten der Gelübde". Bei allen diesen "Kämpfen" sollte man zwischen internen und externen Diskrepanzen unterscheiden. Also denjenigen Auseinandersetzungen, die man mit Institutionen oder der Gesellschaft austrägt (wie zum Beispiel Machtkämpfe) und den internen Unstimmigkeiten mit verbundenen Personen, wenn es um Freundschaft und Liebe geht. Die letztgenannte Form sollte man besser in die Kategorie "Bemühung" statt "Kampf" einsortieren. Denn nur, wenn man sich nicht mehr um eine Freundschaft oder Liebe bemüht, ist sie wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt. Deshalb wird der Motivation zur Rettung von wichtigen Beziehungen auch ein Glaubenssatz mitgegeben: "Was ist deine Quelle der Hingabe oder Wahrheit". Die Klänge wogen melancholisch hin und her und geben keine Hilfestellung zur Entscheidung ab, sind aber Grundlage der Überlegung, was einem im Leben wirklich wichtig sein sollte.

    Sind es rückwärts laufende Aufnahmen oder warme Holz-Bläser, die "A Swallow" einleiten? Diese Töne werden zur Verstärkung ihrer Wirkung von orientalisch klingendem Synthesizer-Rauschen begleitet. Wenn dann Susannas traurig-stockende Stimme einsetzt, stehen ihr ein eigenwillig klimperndes Piano und sich zurückhaltende, kratzige, gegen den Strich gebürstete Streicher als Begleitung zur Verfügung. Das Wechselspiel zwischen instrumentalem Klang-Teppich und gesanglicher Tristesse-Bekundung wird im Anschluss weiter fortgesetzt. Wobei sich sphärisch-meditative und melancholisch-aufreizende Schwingungen gegenseitig zu Gunsten einer intim-mystischen Atmosphäre annähern. Daneben finden mehrdeutige Text-Passagen ihre Entsprechung: Der ausgiebig benutzte Ausruf "Hey-ho" wurde in der Vergangenheit sowohl in der englischen Sprache als Ausdruck der Freude und Begeisterung herangezogen, als auch bei Seeleuten zur Motivationssteigerung bei der Arbeit am Schiff verwendet. Weder ein Ausdruck für pure Freude noch eine leistungssteigernde Wirkung kommt jedoch in Reinkultur im Rahmen der Poesie von "A Swallow" infrage. Zwar wird die Schönheit von Naturphänomenen erwähnt, im Mittelpunkt steht aber die Problematik der Vergänglichkeit, die auch den Inhalt des nächsten Liedes prägt.

    Provozierend-sperrige und zerrend-disharmonische Saiten-Instrumente sowie aus der Reihe tanzende, den ungezügelt herumstreunenden Takt unterstützende Elemente buhlen bei "Where Has The Love Gone" nach Aufmerksamkeit. Susanna setzt diesem tolerant-forschen Treiben ihren harmonischen und hymnisch übersteigerten Gesang selbstbewusst entgegen. Auf die Frage, wo die Liebe geblieben ist, sucht die Norwegerin nach Antworten in der Natur ("Ich schaue hinauf zu den Bäumen um etwas Erleichterung zu finden. Das Grün gibt Ruhe.") und stellt schließlich als Trostpflaster fest: "Eingehüllt in eine samtene Nacht fühlt sich das Herz ungebunden."

    "I Was Never Here" ruft vielerlei Assoziationen an die wunderbaren, originellen Kreationen von David Sylvian und seiner Formation Japan hervor: Ein fremdartig-seltsames Tempelglöckchen-Ambiente, als Gegengewicht dazu ein unbequemer Blech- oder Holzblas-Einsatz und Sternschnuppen-artiges Auftauchen von vorbeihuschenden Synthesizer-Effekten sprechen eine eindeutige Sprache. Das Leugnen von Erlebnissen im Text ist hier eine Option für den Selbstschutz, um mit den schädlichen Auswirkungen von unangenehmen Erfahrungen fertig werden zu können.

    Auch Susannas Musik ist in letzter Konsequenz natürlich Gebrauchsmusik. Die Lieder von "Meditations On Love" können für unterschiedliche Gelegenheiten Verwendung finden: Zur Vertonung von Filmen oder sich in unbekannte Welten entführen zu lassen. Dann auch, um sich von der wechselnden Dynamik faszinieren oder von einer zauberhaften Stimme berauschen zu lassen. Das funktioniert sogar im Sommer, wenn man sich darauf einlässt. Und das, obwohl die langsamen, stimmungsvollen Lieder auf den ersten Blick eher in die kalte, dunkle Jahreszeit zu gehören scheinen.

    Die Kompositionen "funktionieren" eigentlich überall und jederzeit, weil sie von erhabener Schönheit, kristallener Klarheit, luftiger Transparenz, erstaunlicher Exotik, vielversprechender Sinnlichkeit und origineller Faszination sind. Bei den Songs fusioniert häufig eine melodische, träumerisch-verspielte mit einer experimentell-exotischen Komponente.

    Susanna und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter haben mit "Meditations On Love" Klänge erschaffen, die die Schattenseiten und die schöpferische Kraft der Liebe miteinander versöhnen. Sie manifestieren auf diese Weise eine eindringliche und eine mitreißende Leistung und erschaffen bemerkenswerte, überzeugende, nachdrücklich begeisternde Kunst.
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    Natural Natural (CD)
    Aug 4, 2024
    Sound:
    5 of 5
    Music:
    5 of 5

    DER Soundtrack für einen endlosen Sommer.

    Musik wie eine sanfte, warme Brise. Wie das Abbild der perfekten Entspannung und des wohligsten Momentes, den man sich vorstellen kann. Musik wie Milch und Honig. All das verkörpert "Natural", das fünfte Album des Brasilianers Celso Fonseca. Hier findet eine zarte Verführung der Sinne statt, die wie ein heilsamer Traum aus Noten gestaltet ist, wodurch eine total harmonische Verbindung mit dem Universum entsteht. Bossa Nova, Samba und Cocktail-Jazz dienen als Schmiermittel für diesen akustischen Seelenbalsam, der Herz und Hirn betört.

    Der 1956 in Rio de Janeiro geborene Musiker, der die Talente Komponist, Produzent, Gitarrist und Sänger in einer Person vereinigt, beschloss mit 19 Jahren Profimusiker zu werden. 1986 erschien landesweit Fonsecas erstes Album "Minha Cara" (= Mein Herz). Er bezieht sich stilistisch von jeher auf die Großmeister des Bossa Nova. Baden Powell war sein Vorbild, Antônio Carlos Jobim verehrt er und mit Gilberto Gil, Milton Nascimento und Bebel Gilberto arbeitete er zusammen. Darüber hinaus pflegt Celso eine eigentümliche, leise, leichte und kunstvolle Arrangement-Handschrift.

    Für "Natural", sein erstes international veröffentlichtes Album, singt Celso Fonseca mit einschmeichelnder Stimme in Portugiesisch und Englisch und versteht es meisterlich, die Songs transparent und gleichzeitig volltönend klingen zu lassen.

    "Bom Sinal" (= Gutes Zeichen) ist ein Vorzeigestück, wenn es um die Demonstration von eingefleischter Gelassenheit, unterschwelliger Sinnlichkeit und luftig-raffinierte Komponier Kunst geht. Die nach natürlichen Materialien klingenden Percussion-Instrumente streben nach einer Darstellung der Verwurzelung von Mensch und Umwelt. Bass und Piano legen eine Spur zum Jazz, der sich hier in den Dienst des luxuriösen Easy-Listening stellt. "Mit dir ist die Freude hier, um zu bleiben", singt Celso und diese Zufriedenheit überträgt sich auf jede Note.

    "Sem Resposta" (= Keine Antwort) ist eine nur mit dynamischer Akustik-Gitarre und Bass ausgestattete Nummer, die das ganze Entertainment-Potenzial von Celso offenbart. Trotz der puristischen Begleitung glänzt er als souveräner, die Aufmerksamkeit auf sich ziehender, fesselnder Entertainer, der das schmerzliche Thema "Trennung" trauernd, aber einigermaßen gefasst vermittelt.

    "A Origem da Felicidade" (= Der Ursprung des Glücks) benutzt anfangs elektronische Effekte zur Steigerung der Aufmerksamkeit, bleibt aber stets der sowohl melancholischen als auch lebhaften Bossa Nova verbunden. Celso kommt hier zu der Erkenntnis, dass Freude der Ursprung des Glücks sei.
    "The Night We Called It a Day" ist ein Jazz-Standard aus dem Jahr 1941, bei dem sich Jazz-Chanson und Samba innig unter hinlänglich bekannten, romantischen Bedingungen küssen. Dazu passt, dass Frank Sinatra ihn auf seinem ersten Album aufnahm. Aber die Romantik bekommt deutliche Risse, wenn man sich dem Text nähert, denn es gibt kein Happy-End: "Der Mond ging unter, die Sterne waren verschwunden. Aber die Sonne ging nicht mit der Dämmerung auf. Es gab nichts mehr zu sagen."

    Trotz des Namens ist hier gar nichts krumm oder schief: "Meu Samba Torto" bedeutet nämlich "Meine krumme Samba". Ganz im Gegenteil: Der Titel läuft angemessen kräftig swingend und in beinahe flotter Geschwindigkeit durch und dient als Stimmungsaufheller.

    Die Dunkelheit legt ihre schützende Hand über alle verlorenen Seelen, die in der Nacht Geborgenheit und Schutz suchen. Das "Febre" (= Fieber) ihrer Wünsche und Sehnsüchte kann sie aber nicht lindern. Eine einsame Trompete steht stellvertretend für alle Melancholiker und Celso nimmt sie zärtlich-verständnisvoll gesanglich in den Arm. Dieses Fieber ist ein Fieber der Sehnsucht.

    Das Instrumental-Stück "Consolação"(= Trost) schafft eine Verbindung zwischen Samba und Folk-Jazz, wie ihn die britischen Pentangle (Jacquie McShee (Gesang), Bert Jansch (Gesang, Gitarre), John Renbourn (Gesang, Gitarre), Danny Thompson (Bass) und Terry Cox (Schlagzeug)) Ende der 1960er/Anfang der 1970er gespielt haben. Struktur trifft auf Improvisation, Freidenken auf Tradition. Das klingt, als würde Drogen verhangener Hippie-Folk freundlich mit konservativem Mountain-Folk fusionieren.

    Für den schwungvollen Samba "She's A Carioca" (Carioca = Einwohner von Rio de Janeiro) stimmt Celso Fonseca ein Duett mit der brasilianischen Sängerin Cibelle an, bei dem diese mindestens gleichberechtigt ihre verführerische Stimme einbringt, was die Luft lustvoll knistern lässt.

    "Teu Sorriso" (= Dein Lächeln) zollt der ursprünglichen Folklore Brasiliens Tribut, denn der Song beginnt mit einem Berimbau-Solo. Da ist die sogenannte "Maultrommel des Bauches", ein Saiteninstrument, das einen Flaschen-Kürbis als Resonanzkörper hat und schnarrend-blubbernde Töne von sich gibt. Diese Ballade verbindet unorthodox das traditionelle und moderne Brasilien miteinander. "Mache mein Herz glücklich. Bring das Licht deines Lächelns zurück zu mir", singt Celso flehentlich.

    Nomen est Omen: "Slow Motion Bossa Nova" hält, was der Name verspricht und ist eine Verneigung vor den wegweisenden Musikern, die die Bossa Nova in den 1950er Jahren ersonnen und in den 1960er Jahren bekannt gemacht haben. In dieser Hommage erklärt Fonseca, dass die Wirkung von Bossa Nova und Samba bei ihm zum Seelenfrieden geführt hat.

    Die herausragende brasilianische Sängerin Dalva de Oliveira (1917 bis 1972) war über Jahrzehnte ein Star in ihrem Heimatland. Ihr Leben verlief skandalträchtig und tragisch. Von der bürgerlichen Fraktion verachtet, aber von Außenseitern geliebt, wurde sie zum Idol für Bevölkerungsgruppen, die oft im Abseits stehen. Das lebensfrohe "Minha Dalva de Oliveira" erinnert an diese standhafte Künstlerin und setzt ihr ein Denkmal.

    Der zweite Instrumentaltitel "Butéco 2" lässt das E-Piano gegen die akustische Gitarre und die Percussion im Wettstreit um das dominanteste Instrument antreten. Das ist mehr Jazz als Samba, bewegt sich aber locker im tonalen, rhythmisch aktiven Bereich.

    Dieses schwerelos-weich klingende, kompositorische, melodische und gesangliche Wunderwerk scheint aufgrund seiner erhabenen Eleganz und meditativer Ausgeglichenheit nicht von dieser Welt zu sein, so betörend, zum Niederknien schön tönt es aus den Lautsprechern und verzaubert jeden Augenblick, dem man sich der Musik widmet, in einem unbeschwerten Sommertag. Unglaublich wohltuend und inspirierend! Die wunderbare Musik von Celso Fonseca ist hierzulande immer noch ein gut gehütetes Geheimnis. Wird Zeit, dass es endlich gelüftet wird!
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    English Settlement XTC
    English Settlement (CD)
    Jul 21, 2024
    Sound:
    5 of 5
    Music:
    5 of 5

    XTC: Nie waren sie wertvoller als heute.

    Ein Griff in die Schatzkammer brillanter Pop-Musik: Mit "English Settlement" bescheren uns die britischen Oberintellektuellen um Andy Partridge und Colin Moulding ein Ausnahmewerk an Präzision und Einfallsreichtum. Ein Füllhorn erlesener Melodien ergießt sich über die Hörerinnen und Hörer. XTC beherrschen ihr Metier, bei dem sie Pop und Kunst in eine schwindelig werden lassende Kompositionsvielfalt einbeziehen, perfekt: Die Songs wurden originell und effektvoll arrangiert. Tempowechsel werden dabei dezent vorgenommen, sodass nie der ästhetisch kribbelnde Art-Pop-Rahmen gesprengt wird.

    Das Spektrum der Ausdrucksweise reicht von folkloristisch-leichtfüßigen Liedern ("Yacht Dance") bis zu beschwingt-tanzbarem Material ("Senses Working Overtime"), Ohrwürmer mit Anspruch sind es alle. Es folgt Hit auf Hit.

    Gewohnt intelligent sind auch die Texte. So zum Beispiel bei "Melt The Guns" mit der prägnanten Textzeile "Programmes of violence as entertainment brings the disease in your room." / "Gewaltprogramme als Unterhaltung bringen die (psychische) Krankheit ins Haus".

    "English Settlement" ist ein Meisterwerk - keine Frage. Vielleicht waren XTC sogar die Beatles der 1980er-Jahre. Jedenfalls sind sie nie wertvoller als heute gewesen, weil ihre profunde, melodisch vertrackte Abenteuerlust in den immer seichter werdenden Pop-Charts schmerzlich vermisst wird.
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    Prayers On Fire The Birthday Party
    Prayers On Fire (CD)
    Jul 21, 2024
    Sound:
    4 of 5
    Music:
    4 of 5

    Brutalität und Poesie, Hölle und Erlösung: Der Sound von The Birthday Party ist schmerzend intensiv.

    Die australischen The Birthday Party sind 1980 aus The Boys Next Door hervorgegangen und bestanden weiterhin aus Nick Cave (Gesang), Phill Calvert (Schlagzeug), Mick Harvey (Gitarre, Orgel), Rowland S. Howard (Gitarre) und Tracy Pew (Bass). In ihrer Musik verbinden sich zwei Kulturen: Die geheimnisvolle, nach Voodoo-ähnlichen Gesichtspunkten ausgelegte Lebensweise der Urbevölkerung und die hektische, aggressive Welt der Millionenstädte scheinen hier aufeinanderzuprallen.

    Auf dem Debütalbum der Band werden raue, wilde Instrumental-Parts von der ausschweifenden, Gift und Galle kotzenden Vokalartistik von Nick Cave durchzogen ("Zoo Music Girl", "Cry") und es taucht Rock-Avantgarde in der Tradition von Captain Beefheart auf ("Ho Ho").
    Mit "Capers" gibt es ein Stück, das sich an den knurrig-schroffen Kompositionen von Tom Waits orientiert und abarbeitet. "Figures Of Fun" lässt an den unangepasst-eigenwilligen Stil von Pere Ubu denken und wird dementsprechend in Schräglage vorgetragen.

    "Yard" erzeugt eine dämonisch-rabiate Weltuntergangsstimmung und "Just You And Me" ist an die bissigen, ausdrucksstarken Theater-Kompositionen von Bertolt Brecht & Kurt Weill aus den 1920er-Jahren angelehnt worden.

    Jede Beschreibung der Lieder ist falsch und richtig zugleich. The Birthday Party legt sich nicht fest. Ihr Sound kann nicht katalogisiert werden. Das macht sie interessant, einzigartig - und schwierig. Es bereitet zunächst Mühe, ja, strengt körperlich an, ihnen zu folgen und die Platte in einem Rutsch konzentriert durchzuhören. Aber der Aufwand wird entlohnt: "Prayers On Fire" wirkt wie ein reinigendes Gewitter. Nach dieser emotionalen Achterbahnfahrt sieht die Welt gleich ganz anders aus.
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    Fool's Parade Color Green
    Fool's Parade (CD)
    Jul 21, 2024
    Sound:
    4 of 5
    Music:
    4 of 5

    Wenn die Narren die Welt beherrschen, dann müssen die Künstler das Ruder in die Hand nehmen. Color Green erschaffen mit "Fool`s Parade" herausragende Qualität unter dem Gütesiegel "Americana".

    Das Quartett Color Green aus Los Angeles in Kalifornien hat ein Luxusproblem: Die Band verfügt über vier gleichwertige Stimmen, die sich den Lead- und Background-Gesang hinsichtlich der gewünschten emotionalen Ausrichtung bestmöglich aufteilen. Für Abwechslung ist also schon alleine deshalb gesorgt.

    Für "Fool`s Parade", dem zweiten Album nach "Color Green" aus 2022, haben sich Corey Madden (Gitarre, Gesang), Noah Kohll (Gitarre, Gesang), Kyla Perlmutter (Bass, Gesang) und Corey Rose (Schlagzeug, Gesang) zur Verfeinerung ihres Sounds folgende Gäste eingeladen: Jonny Kosmo (Klavier), Jon „Catfish“ Delorme (von The Nude Party) (Pedal Steel), Sarah Safaie (Saxofon), Tomas Dolas (von Osees) (Keyboards) und Bill Evans (Banjo), weshalb ihnen bei der Verwirklichung der Einfälle zusätzlich eine große Bandbreite an akustischen Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung stand. Auch dieser Tatbestand verspricht (und hält) eine breite Klangvielfalt.

    Konsequent, druckvoll und kompakt preschen Color Green mit dem Eröffnungs-Stück "Coronado" vor und ziehen sofort alle Register, die für eine überzeugende Wahrnehmung nötig sind. Die sich energisch kreuzenden und ergänzenden Doppel-Gitarren-Akkorde deuten auf Kenntnisse im Garagen- und Southern-Rock hin. Television und The Allman Brothers Band geben Hinweise hinsichtlich der Inspiration. "Coronado" ist ein Song wie ein Befreiungsschlag. Energetisch aufgeladen und inhaltlich verschlungen hat er sogar noch ein gelungenes Wortspiel parat, dass die Erleichterung über das Wegfallen jeglicher Einschränkungen einschließt: "Jetzt verlasse ich Coronado. Ja, ich verlasse Coronado." Die Melodie besitzt die beseelte Freundlichkeit des Country-Rocks und durch gezielte Dynamik- und Tempowechsel verbreitet der Track einen lässig-intelligenten Charme. Eine perfekte Einstimmung!
    "Four Leaf Clover" greift den Schwung von "Coronado" auf und präsentiert sich überschwänglich-selbstbewusst, mit einem unbefangenem, flüssigem, umtriebigem Instrumenteneinsatz als psychedelisierter Folk-Rock. Die Musiker beschwören als biblisches Gleichnis den Garten Eden, der für das gelobte Land im Sinne eines Zufluchtsorts steht: "Im Zentrum von Reichtum, Liebe und Ruhm gibt es einen Garten, dort ist ein Garten, da wächst alles umsonst".

    Das Titelstück "Fool’s Parade" dringt noch weiter in die eigentümlich-verspielte Wunderwelt des Hippie-Sounds vor und lässt die Noten rauschhaft-entrückt tanzen, rotieren und schweben. Eine schöne, bildreiche Poesie begleitet das Lied bei seinem entrückten Trip: "Wer kann die Augen eines Schattens malen? Wer kann die Farben des Regens malen?" oder "Wer kann das Lächeln der Traurigkeit malen? Wer kann die Sterne in unserem Kopf malen?", heißt es da.

    "When The Clouds Roll In" ist ein Musterbeispiel dafür, wie geschickt Color Green scheinbar unpassende Stile und Strömungen dezent-geschmeidig miteinander verbinden können: Es geht zunächst mit lockerem Boogie-Piano-Groove-Pop los. Gelegentlich werden dann immer wieder Southern-, Jam- und Country-Rock-Bestandteile als Ergänzung oder Füllstoff eingebunden, sodass das Stück frische Beweglichkeit und harmonische Wendigkeit beweisen kann. Herannahende Wolken, stärker werdende Winde, sich in Gedanken verlieren und die Abhängigkeit von Naturgewalten spüren - all diese Eindrücke trugen zum Entstehen dieses Liedes bei.

    Zupackender, entschlossen vorwärts treibender Power-Pop zeichnet anschließend "God In A$" aus, ein Track, in dem wieder christliche Symbolik anzutreffen ist. Auf halbem Weg holt die Komposition etwas Atem, um dann druckvoll, mit zweiter Luft, in die Zielgrade einzulaufen.
    Als leiser, langsamer, elektrischer Folk mit einem esoterisch angehauchtem Ambient-Country-Flair entpuppt sich "5:08". Der Song entfaltet dabei eine sanft-melancholische Stimmung mit Sog-Effekt. "Es geht darum, Menschen zu verlieren, die einem sehr nahe stehen, und mit ihnen kommunizieren zu wollen, aber nicht wirklich zu wissen, wie", berichtet Corey Madden. Der emotionale Tiefschlag aufgrund des Todes eines Elternteils zweier Musiker hat schließlich zum Anstoß für dieses traurige Gebilde geführt, bei dessen Einspielung alle Gruppenmitglieder geweint haben.

    "Kick The Bucket" spielt sich zunächst in einem sphärischen, Drogen-vernebeltem Modus ab, gewinnt aber mit zunehmender Spieldauer an Volumen, Vitalität und Aggressivität. Das steigert sich bis zum orgiastischen Abschluss, aus dem die verzweifelte Suche nach Erkenntnisgewinn erneut erwächst.

    Mit "Ball And Key" haben Color Green noch eine zu Herzen gehende, unsentimental mitfühlende Art-Folk-Ballade mit tiefsinnig-kryptischer Lyrik im Köcher, welche nahtlos in "Hazel Eyes" übergeht. Dieser Track steht in der Tradition des Jingle-Jangle-Pop der Byrds und dem College-Rock von R.E.M., bietet also Adult-Pop auf höchstem Niveau. Und es ist wahr, was sie singen: Man kann wirklich den Verstand verlieren, wenn man tief in haselnussbraune Augen blickt.

    Grün ist die Hoffnung. Die Farbe Grün spiegelt das Gedeihen und die Kraft der Natur wider. Grün tut einfach der Seele gut. Warum sich die vier Musiker aber wirklich Color Green genannt haben, bleibt bislang ihr Geheimnis. Was aber kein Geheimnis bleiben sollte, ist, dass sie sich für "Fool`s Parade" einen attraktiv klingenden Americana-Sound ausgedacht haben, der gleichzeitig harmoniesüchtig, herausfordernd, traditionsbewusst und zukunftsweisend ist.

    "Alle Songs wurden gemeinsam als Band geschrieben. Wir waren zu viert in einem Raum und alle unsere Stimmen sind zu hören." Aus dieser Vorgehensweise heraus resultiert ein Sound, der vollmundig, packend, sensibel und klug strukturiert ist. Vorbilder werfen ihren Hut in den Ring, bleiben aber weitestgehend als Zündfunken, nicht als Nachbildung in Erinnerung. Wenn alles gut läuft, werden wir auch in Zukunft noch viel Vergnügen mit Color Green haben.
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    Beauty In Your Wake Fink
    Beauty In Your Wake (CD)
    Jul 6, 2024
    Sound:
    5 of 5
    Music:
    5 of 5

    Meditation und Hypnose: Die Musiker von Fink ziehen alle Register, um ihrem Publikum einen intensiven Hörgenuss zu verschaffen.

    Das Trio Fink um den unkonventionell und interdisziplinär handelnden Fin Greenall macht es einem mit "Beauty In Your Wake" nicht leicht, weil sich die wahre Schönheit, die hinter den Noten steckt, nur nach und nach unter den richtigen Hör-Bedingungen erschließt. Nebenbei und unkonzentriert lauschen hilft nicht weiter, man muss schon die Muße haben, in die Sounds eintauchen zu können und zu wollen, sonst wird das nix mit einer innigen Beziehung zwischen Ton-Empfänger und Klang-Produzent.

    Als Freunde von minimalistisch-suggestiven Strukturen wissen Fin Greenall (Kompositionen, Gesang, Saiteninstrumente, Keyboards), Guy Whittaker (Bass) (= der Sohn des Schlager-Sängers Roger Whittaker) und Tim Thornton (Percussion, Gitarren), dass je nach Ausgestaltung der Songs - von karg bis üppig - unterschiedlich starke emotionale Bindungen zwischen Hörerschaft und Künstler aufgebaut werden. Die Sound-Exkursionen beinhalten häufig meditative Elemente, welche manchmal sogar mit einem psychedelisch-sphärischen Minimal-Art-Groove ausgestattet sind oder sich als gedankenverloren herumstreunende, epische Balladen herausstellen. Wobei bei jeder Ausprägung akustische und elektronische Töne gleichwertig zum Einsatz kommen können.

    Spätestens seit der akustischen Version von "Bloom Innocent" aus 2019 haben Fink großes Interesse am beinahe nackten, von jeglichem Überfluss befreiten, skelettierten, intimen Sound, der auf die wesentlichen Schwingungen reduziert ist. Die dadurch hervorgerufenen bedächtigen Zustände suggerieren, dass man vermeintlich einen Blick ins Unendliche oder ins Nichts erhascht.

    "Wenn du allein auf dieser Welt wärst, wie würdest du dich nennen? Wenn du die Götter anschreien würdest, wie würdest du sie anreden?". Mit diesen Worten beginnt "What Would You Call Yourself", das Eröffnungs-Stück von "Beauty In Your Wake". Diese Bemerkungen entstehen aus einem Blickwinkel, der Realität und Fantasie miteinander verbindet. Kreativität und Lebenserfahrung gehen durch die Fragestellung zwangsläufig eine platonische Beziehung miteinander ein, um sich am Absurden zu berauschen und den Intellekt zu schärfen. Das Lied "handelt von der Macht der Sprache und auch von der Sinnlosigkeit von Namen, Marken und Gimmicks". Die instrumentale Ausgestaltung zu diesen Überlegungen ist schnörkellos, wirkt hypnotisch und wird erstaunlicherweise nur mithilfe von akustischen Instrumenten hervorgerufen. Ganz in der Tradition von "Music For 18 Musicians" des genialen Minimal-Art-Komponisten Steve Reich, der nicht nur durch dieses Stück für eine künstlerische Revolution in Bezug auf den Zusammenhang zwischen Originalität, Spielfreude, Präzision und Virtuosität gesorgt hat. Fink nutzen den Vorteil, dass sie der Gleichförmigkeit den humanistisch-warmherzigen Gesang von Fin Greenall entgegensetzen können, um jede eventuell individuell wahrgenommene Sterilität im Keim implodieren zu lassen. Der Song nimmt im Verlauf an Intensität und Dichte zu, sodass sich allmählich ein vollmundiger Klang ergibt, der sich auf natürliche Weise weiterentwickelt. Ähnlich wie bei einem Schmetterling, der sich vom unscheinbaren Ei zum anmutig-filigran fliegenden Insekt verwandelt.

    Ganz anders verläuft die Begegnung mit "The Only Thing That Matters", denn der Song erzeugt von vornherein eine milde Besonnenheit mit trotzigen Zwischentönen, warmen Harmonien und melodisch einschmeichelnden Wendungen. Seine Poesie dreht sich einmal mehr um die Schönheit des Erwachens, sowie um das Entfalten der Persönlichkeit und das Entstehen des Lebens. Die akustische Gitarre bereitet mit raffiniert-einfühlsamen Finger-Picking-Kunststücken den Boden für die anmutige Ausbreitung der attraktiv schwelgenden Stimme, die alsbald stabilisierende Schützenhilfe von Bass und Schlagzeug erhält. Dadurch gewinnt der Song an Würze, Kraft und Gewicht.

    "Be Forever Like A Curse" bietet pure Dramatik. Während Fin seine Gefühle im Griff hat und den wehmütigen Gesang kaum emotional anpasst, bauen die Instrumente eine bewegliche Minimal-Art-Struktur auf, die sich stetig hinsichtlich der Lautstärke und Spannung zuspitzt.

    "It's Like You Ain't Mine No More" ist genau genommen dem traditionellen Folk-Song verpflichtet, baut jedoch im Gegensatz zu vielen seiner Artgenossen einen lässigen Groove auf, der ihn in die Nähe von Soul und Funk befördert.

    Mit "Follow You Down" bleibt der manipulative Art-Folk-Gedanke erhalten, es tauchen aber auch neue, erfrischende Tonfarben auf: Der Track kann Wurzeln im Jazz vorweisen, die sich in verspielt-kuriosen Abläufen manifestieren. Die stoische Basis wird dadurch jedoch nicht aufgelöst.

    "I Don't See You As The Others Do" bekommt bei Voraussetzungen, die eine Verwandtschaft zum Vorgänger aufweisen, ein kurzes, stimulierendes E-Gitarren-Solo verordnet, welches das ausgeglichene Stück gegen Ende zum Aufschäumen bringt.

    Wie bekommt man so runde, weiche Klavier-Akkorde hin, wie sie für "One Last Gift" in Dauerschleife beigesteuert werden? Womöglich hat der Produzent Sam Okell, der "Beauty In Your Wake" in einer Kirche in Cornwall aufgenommen hat, dabei seine Erfahrung spielen lassen. Denn er stellte schon als Toningenieur bei einigen Beatles-Remasters und bei Soundtracks wie "The Hobbit" sein Fingerspitzengefühl unter Beweis. Die hier dargebotenen Klänge spinnen die Hörerschaft in einen Kokon aus Tönen ein, der sich wie Seide um die Ohren schlingt und damit die Wirklichkeit in einen behaglichen Nebel taucht. Das macht die Musik in diesen Momenten durch ihre positive Ausstrahlung zum wichtigsten Ereignis im Leben. Denn nach dem Sound-Trip fühlt man sich ein Stückchen entspannter, ruhiger und zufriedener. Widerstand ist bei diesem natürlichen Psycho-Pharmakon ohnehin zwecklos und unnötig.

    Sich respektvoll aus einer heiklen Situation oder einer Beziehung zu verabschieden, verlangt Anstand und Rückgrat. Sollte man beides vermissen lassen, wird man es schwer haben, die Folgen des Handelns schmerzlos aus der Welt zu schaffen. Diese Überlegung ist ein Fragment dessen, was mit "Don't Forget To Leave Well" ausgedrückt wird. Fink fügen sich mit dem Song in eine traditionell wirkende Folk-Spielweise ein, die von Roots-Pop-Merkmalen durchzogen ist: Zärtlicher Harmonie-Gesang, flüssige Töne auf der akustischen Gitarre und eine urwüchsig-autonome Lead-Stimme verbreiten akustische Wertbeständigkeit ohne schräge Auswüchse. Daran kann auch die rebellische E-Gitarre gegen Ende des Stückes nichts mehr ändern.

    Gibt es ein Schicksal oder ist alles vorbestimmt? In "So We Find Ourselves" wird dazu geäußert: "Wohin wir gehen, steht nicht in den Sternen geschrieben. Es steht in unserer wechselvollen Vergangenheit geschrieben". Die Trommeln schlagen einen unruhigen Herzschlagtakt und das Piano weint Noten in Moll. Der leicht gequälte Lead-Gesang wird von volltönend-geistlichen Gospel-Harmonie-Stimmen lieblich abgefedert und gütig aufgefangen. Die Stimmung tendiert somit in Richtung einer mystischen, in sich gekehrten Vortragsweise.

    Mit "When I Turn This Corner" findet "Beauty In Your Wake" einen liebevoll-rührenden Abschluss. "Du bist die schönste Note, die ich spielen werde. Du bist das schönste Lied, das ich singen werde. Und ich werde versuchen, meine Versprechen zu halten", beschwört Fin Greenall demütig-flehend und gleichzeitig eindringlich eine (neue?) Liebe. Die Musiker schöpfen dabei aus dem Repertoire des Chanson-Noir und bringen die Melancholie zum Leuchten.

    Der 1972 in Cornwall geborene, in Bristol aufgewachsene und derzeit in Berlin lebende Finian "Fin" Paul Greenall hat ein bewegtes musikalisches Leben hinter sich: in der 1980er-Jahren tauchte er tief in die Szene von Bristol ein, erlebte das Rare-Groove-Revival sowie Outdoor-Rave-Parties. Tricky und Massive Attack prägten und inspirierten ihn, DJ zu werden. In den 1990er-Jahren weckte elektronische Musik sein Interesse und die nachfolgenden Jahre machten ihn mit Folk und Blues vertraut. Aus diesen Erfahrungen heraus entstand sein eigentümlicher Folk-Tronic-Mix, den er im Jahr 2000 auf seinem ersten Album "Fresh Produce" erstmalig als Fink vorstellte. In der unübersichtlichen Diskografie inklusive einiger Promo- oder Kleinstauflagen ist "Beauty In Your Wake" mindestens das siebzehnte offizielle Werk als Fink, das zwar erfahren-abgeklärt, aber nicht routiniert-berechenbar klingt.

    Fin Greenall hat einen wachen Geist und ist hinsichtlich der Pop-Musik-Geschichte umfassend bewandert. Er ist ein Magier und Schamane, für den Musik Ausdruck der Seele und Kommunikation auf einer höheren geistigen Ebene bedeutet. Ganz nach dem Motto: "Sensibilisierung durch Wiederholungen" laden die Musiker ihre Songs positiv auf.

    Fink praktizieren dieses Mal quasi noch einmal die lyrisch-musikalische Umsetzung und Aufarbeitung dessen, was sich hinter ihrem Album-Titel "Bloom Innocent" als Konzept verbirgt: Das vorsichtige, beinahe unmerkliche Loslösen von klanglichen Aromastoffen, die zu einer Langzeitwirkung mit ständig neu erblühenden Sound-Aromen führt. Fin Greenall zählt John Martyn zu seinen Vorbildern. So wie dieser Folk-Erneuerer strebt auch Greenall ein Song-Erlebnis an, bei dem sich vertraute Töne und mutige Experimente ergänzen, um eine Verbundenheit mit musikalischen Ahnen und die Neugier auf Neues zu befriedigen. Das ist mit "Beauty In Your Wake" unter hauptsächlicher Einbeziehung akustischer Instrumente auf behutsame Weise wunderbar ästhetisch gelungen.
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    Jul 1, 2024
    Sound:
    5 of 5
    Music:
    4 of 5

    Vermächtnis und Originalität: Tigran Tatevosyan beherrscht die Traditionen und sucht eigene Wege.

    Tigran Tatevosyan ist ein Wunderkind an den Tasten. Der Armenier begann schon mit sechs Jahren eine acht Jahre dauernde Klavierausbildung, die ihm die klassische Musik näherbrachte. Sein Sinn stand ihm aber auch nach Improvisationen, weshalb er nach seinem Bachelor-Abschluss beschloss, sich dem Jazz zuzuwenden. 2017 schrieb er sich am Rachmaninow-Konservatorium in Rostow, Russland, ein, um einen Master-Abschluss in Jazz-Klavier anzustreben.

    Zu den musikalischen Vorbildern wuchsen in dieser Zeit Oscar Peterson, Herbie Hancock, Chick Corea, Lyle Mays und Keith Jarrett heran, er blieb aber auch Debussy und Rachmaninoff verbunden. 2020 zog Tigran nach Hamburg, wo er am Dr. Langner-Jazz-Master-Programm teilnahm.

    Der Mann mit den flinken Fingern lässt die Töne lebhaft sprudeln oder zieht sich mit tragischen Schwingungen in dunkle Räume zurück. Tatkräftige und sensible Unterstützung gibt es bei diesen Vorhaben ab und zu von seinen Kollegen Ziv Ravitz (Schlagzeug) und Giorgi Kiknadze am Bass.

    Mit "Celebration" feiert Tigran Tatevosyan spritzig-impulsiv das Leben, die Liebe und die Kunst, lässt aber auch nachdenkliche Zwischentöne zu. Das Schlagzeugsolo in der Mitte des Stückes sucht nach Orientierung und bremst sich dafür selbst bis zum Stillstand aus, bevor das Piano den Weg zurück zum Spaß einleitet und es ein ergötzliches "Happy-End" gibt.

    Das ungestüm swingende "Brilliant Corners" von Thelonious Monk aus 1956 wurde von Tigran Tatevosyan in eine begeistert vorgetragene Cover-Version überführt, die sich extravagant zur Schau stellt, aber die Grenzen des gewohnten, improvisierenden Jazz-Rahmens dennoch nicht sprengt.

    Der kurze Piano-Solo-Einspieler "Mer Tan Itev" ist an ein traditionelles armenisches Volkslied angelehnt und enthält romantische Figuren, deren Wesen im Ungewissen bleiben, da die Komposition aufhört, bevor die Geschichte zu Ende erzählt ist.

    "Forgotten City" lässt sich auf keine eindeutige stilistische Zuordnung ein. Frédéric Chopin und Bill Evans hätten wahrscheinlich ihre Freude an dieser andachtsvoll-besinnlichen Komposition gehabt, bei der jeder Musiker so viel Mitgefühl wie möglich in die erzeugten Noten legt.

    "The Sorcery: Manifestation" ist ein weiteres knappes Piano-Solo-Zwischenspiel, das wie eine spontane Laune wirkt, jedoch aufgrund der Kürze von nicht einmal eineinhalb Minuten keine Akzente setzen kann. Dabei sind es genau solche unkonventionellen Ideen, die verkrusteten Piano-Trio-Jazz generell aus seinen eingefleischten Abläufen heraus holen können.

    "Memories Of A Dream" ist solch eine typische, erwartbare Jazz-Komposition, die zwischen Melancholie und Euphorie angesiedelt ist und jedem beteiligten Musiker mehr oder weniger intensiv die Möglichkeit zur Entfaltung und Profilierung bietet. Perfekt dargeboten, bleibt das Stück aber in seiner Form und seinem Ablauf berechenbar.

    "The Wind’s Dance" legt ein hohes Tempo vor, das an die quirligen Stücke von Chick Corea's "My Spanish Heart" aus 1976 anknüpft, auch wenn sich hier die südländische Leidenschaft nicht unbedingt als integrierter Folklore-Bestandteil nachweisen lässt.

    Mit "The Sorcery: Ritual" folgt eine weitere komprimierte Klavier-Darbietung, die sich als dramatischer Einschub nahtlos in die handverlesene Kollektion einfügt.

    Die nächsten zwei Tracks haben eine Verbindung miteinander: "Part 1: A Child’s Mind" bildet einen atmosphärisch dichten Auftakt und "Part 2: Blessing" hüpft vor Vergnügen, bevor sich das Gebilde intellektuell windet und dreht.

    Mit "The Sorcery: Reflection" begibt sich Tigran Tatevosyan noch einmal auf Solo-Pfade und deckt ein für ihn heimisches Gebiet ab, in dem er als einfühlsamer Balladen-Interpret mit Improvisationstalent auftritt und auftrumpft.

    "Mer Tan Itev" ist Tigran Tatevosyans Debüt-Album. Der armenische Titel bedeutet "Hinter unserem Haus". Das Werk wurde bereits 2022 in Osnabrück aufgenommen und erscheint am 28. Juni 2024. Der Künstler ist angetreten, innerhalb der Jazz-Trio-Musik einen persönlichen Klang zu erschaffen, was ihm auch in Ansätzen gelungen ist.

    Immer dann, wenn sich der Pianist von bekannten Strukturen entfernt, wie unter anderem bei "Celebration" oder "The Sorcery: Manifestation", erreicht er einen Punkt, wo sich seine Virtuosität verselbständigt und das Gelernte mit dem Intuitiven ein ungezwungenes Fest feiert. Dann entsteht charakteristisch ausgeprägte Kunst. Darauf aufbauend könnte es für Tigran Tatevosyan in Zukunft spannende Herausforderungen geben, wenn er das Abenteuer in unbekannten Gefilden sucht. Eventuell wären Tim Buckley, Radiohead, Benjamin Clementine oder Henry Cow als Eckpfeiler für eine Richtungsbestimmung im Sinne einer Zukunftskonzeption geeignet, um revolutionäre Erweckungs-Erfahrungen zu unterstützen und zu realisieren.

    Tigran Tatevosyan ist ein meisterlicher Pianist, der erst am Anfang einer womöglich bewusstseinserweiternden Entwicklung steht. Mit den geeigneten Inspirationen kann er ein ganz großer Individualist werden!
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    May 31, 2024
    Sound:
    4 of 5
    Music:
    4 of 5

    King Hannah gestalten mit "Big Swimmer" ein kontrastreiches Yin- und Yang-Abenteuer.

    Das erste Mal begegneten sich die Künstler Craig Whittle und Hannah Merrick 2015. Damals besuchte Craig eine Konzertveranstaltung mit mehreren Bands und Solo-Acts, aus denen nur Hannah mit ihren emotional aufgeladenen Folk-Songs herausragte. Craig wurde sofort von der lässig-lasziven Stimme in den Bann gezogen, zu einer Zusammenarbeit kam es damals aber nicht. Wie der Zufall es wollte, begannen beide zwei Jahre später in derselben Bar in Liverpool zu arbeiten. Vor der Schicht musizierten sie gemeinsam, wobei schnell klar war, dass Hannah für den Lead-Gesang und Craig für die Gitarren und Arrangements zuständig war. Eckpfeiler der musikalischen Inspirationen waren dabei Mazzy Star und Portishead. Die Einflussgrößen nahmen aber schnell zu und als Sound kristallisierte sich ein Gebilde aus psychedelischem Folk und harschem Garagen-Rock heraus, an dem seither ständig gefeilt wurde.

    Die Geburt von King Hannah war vollbracht, die erste Veröffentlichung, die Single "Crème Brûlée" ließ aber noch zwei Jahre auf sich warten. Dann ging es jedoch Schlag auf Schlag: Das Berliner Label "City Slang" wurde auf das Duo aufmerksam, nahm es im Folgejahr unter Vertrag und brachte unter anderem im Oktober 2020 die EP "Tell Me Your Mind And I'll Tell You Mine" und im Februar 2022 das Album "I'm Not Being Sorry, I Was Just Being Me" heraus.

    "Big Swimmer" erscheint am 31. Mai 2024 und ist der zweite Longplayer der Band, die noch um ein verlässliches Rhythmus-Team (Jake Lipiec am Schlagzeug und Connor O`Shea, der Bass und Keyboards spielt) ergänzt wird. Die Songs wurden während einer USA-Tournee geschrieben, was nicht nur einen psychologischen Einfluss auf die Gestaltung hatte, sondern auch musikalische Anregungen hervorrief, die sich wesentlich auf die Umsetzung auswirkten. Dazu gehörten einige Singer-Songwriter aus dem Folk-Bereich, aber auch Idole wie The Velvet Underground.

    Der in die kontrastreiche Klangwelt einführende Song "Big Swimmer" hält schon einiges der Bandbreite von King Hannah bereit: Nach einem verhaltenen Beginn steigert sich das Lied über einen coolen Folk-Rock-Übergang zu einem zerrend-schleifenden Rocker, um dann wieder in einen ruhigeren Verlauf zurückzufinden. Hannah Merrick behält ihren betörenden Gesang in jeder Phase bei, lässt sich nicht vom stetigen Dynamikaufbau der Instrumentalisten beeindrucken und demonstriert damit Charakter, Überblick und eine selbstsichere Eigenart. Die Poesie kann als Einstufung der Risikobereitschaft, die jeder bereit ist einzugehen, verstanden werden: "Wenn der Fluss fließt und die Mündung zu ihrem Ende gekommen ist, schwimmst du weiter oder springst du raus und nimmst dein Handtuch?", heißt es da.

    Zu erotisch aufgeladenem Sprechgesang zündet "New York, Let's Do Nothing" ein giftig züngelndes, röhrendes Feuerwerk an schmutzigem, gitarrenlastigem, herrlich unbeherrschtem Underground-Rock, wie man ihn unter anderem von Eleventh Dream Day oder Eric Ambel kennt.

    Die Noten von "The Mattress" scheinen die Gefahr zu erkunden, die sich hinter dunklen Straßenecken verbergen kann und suhlen sich in der seltsamen Anziehungskraft von schäbigen Etablissements. Hannahs Gesang wirkt geheimnisvoll, was durch das Langziehen einiger Wörter noch verstärkt wird. Die E-Gitarre stichelt hinterlistig oder schäumt vor Wut. Jedenfalls setzt sie sich auffällig und frech in Szene, während Bass und Schlagzeug willig und kameradschaftlich alle Gefühlsausbrüche effektvoll und stimmig unterstützen.

    "Milk Boy (I Love You)" fängt abwartend-angespannt, mit einem erzählerischen Grundton an, bevor die Grunge-Hölle kurz ihre Noten-zerberstende Pforten öffnet und die perverse Brutalität des Textes akustisch nachvollzieht. Diese abwartend-passiven und zupackend-ruppigen Zustände lösen sich ständig ab oder verschmelzen miteinander.

    Der flüchtige, sich beinahe selbst auflösende Psychedelic-Folk von Mazzy Star hat seine Spuren bei "Suddenly, Your Hand" hinterlassen. Das Lied ist anfangs so schwerelos, langsam und zart, dass es nur dezent und schüchtern aus den Lautsprechern dringt. Später sorgen schwergängige, schillernde, elektrische Funken sprühende Gitarrentöne für ein verstörend-zerstörerisches Verhalten.

    "Somewhere Near El Paso" nimmt sich über 8 Minuten lang Zeit, um die Eindrücke in Noten zu gießen, die sich während der USA-Tournee, die auch in die Gegend von El Paso führte, eingebrannt haben. Dazu gehören sphärisch schwingende Ambient-Klänge, die von weiten Landschaften und versunkenen Gedanken berichten, genauso wie minimalistisch kreisende und monoton scheppernde E-Gitarren-Akkorde, sowie hart rockende Ensemble-Leistungen. Hannah hält sich stark zurück und interpretiert nur bis zur Hälfte des Stücks ihre Verse, sodass hauptsächlich über die Schwingungen der Instrumente die El-Paso-Erlebnisse vermittelt werden.

    "Lily Pad" setzt auf die Erfahrungen der scharf-brachialen Gitarren-Salven von "Somewhere Near El Paso" auf, die das Stück zum Schluss dominierten und präsentiert sich als trotziger und übermütiger Track, dessen Tempoabstufungen von schleppend bis aufgeregt reichen und Gefühle wie Gleichgültigkeit und Wut darlegen.

    Zweifellos hat die Protagonistin in "Davey Says" vor irgendetwas Angst. Wir erfahren nicht, was es ist, aber Davey sagt: "Du hast noch einen weiten Weg vor dir. Aber du wirst es hier rausschaffen". Entsprechend optimistisch, mit Power-Pop-Fieber versehen, läuft dieser kraftvoll krachende Song ab. Das hat Hit-Potenzial!

    Die TV-Serie "The X-Files" (auf Deutsch "Akte X") ist Kult und der Leitspruch der Ermittler, der "Die Wahrheit ist irgendwo da draußen" heißt, ist in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen. Die Kollegin des überzeugten Alien-Gläubigen Fox Moulder, die selbstbewusste, aber zunächst skeptische Dana "Scully" war in ihrer von gemischten Gefühlen hin- und hergerissenen Art eine Inspiration für das Musiker-Duo King Hannah. Klanglich stellt das Stück nur ein kurzes instrumentales Intermezzo dar, bei dem die E-Gitarre die auf- und abschwellenden Töne von mächtigen Glocken zu imitieren scheint.

    "This Wasn't Intentional" hört sich zunächst wie ein Walzer an, der eingefroren wird und sich kurz vor dem Stillstand befindet. Bei dieser Übung in Langsamkeit beteiligt sich die 1981 in New Jersey geborene Singer-Songwriterin Sharon Van Etten (wie schon im Eröffnungs-Track) als liebevoll-behutsame Gesangs-Begleitung und Craig lässt seine Gitarre dazu hymnisch-versonnen in Anlehnung an Neil Youngs "Cortez The Killer" erklingen.

    "John Prine On The Radio" setzt dem 2020 verstorbenen Country-Folk-Singer-Songwriter John Prine ein Denkmal. Dieser ist unter anderem mit dem Song "Angel From Montgomery" unsterblich geworden. "John Prine On The Radio" ist eine herzerwärmende Ballade, die ohne E-Gitarren-Schübe auskommt. Hannah und Craig singen einmütig-ausgeglichen im Duett und nichts unterbricht die von ihnen erzeugte friedlich-beschauliche Stimmung, was dieses Lied dadurch von allen anderen auf "Big Swimmer" unterscheidet.

    Denn King Hannah nutzen ansonsten die Oppositionen von laut und leise, lieblich und schroff, sensibel und brutal, um bei ihren Kompositionen entgegengesetzte Kräfte wirken zu lassen, die sich nicht bekämpfen, sondern ergänzen. Diese akustische Yin und Yang-Philosophie führt beinahe zwangsläufig zu prickelnd-anregenden Ergebnissen, wie sie auch bei ähnlich agierenden Formationen wie Neil Young & Crazy Horse oder The Jesus & Mary Chain entstanden sind. Eigentlich hinlänglich bekannte Muster aus Rock, Pop und Folk hübschen King Hannah mit dieser Methode einfallsreich auf, weswegen sie dann attraktiv, neu, spannend und frisch klingen.

    Craig spielt sowohl eine aussagekräftige Lead- als auch eine robuste Rhythmusgitarre. Immer so, wie es gerade emotional zu den Stücken passt. Manchmal trägt er sogar - über beide Lautsprecher-Kanäle verteilt - feurig-berauschende Duelle mit sich selbst aus. Zum Aufbau des individuellen Klangbildes gehört es auch, dass sich weder Schlagzeug noch Bass in den Vordergrund schieben. Sie bilden das stabile Fundament, auf dem sich Hannah und Craig kreativ austoben können. Als zusätzliches Tüpfelchen auf dem "I" empfiehlt sich Hannah Merrick mit ihrer überaus anziehenden Stimme als sinnliche Verführerin in allen Lebenslagen. Da treffen die intellektuelle Lieblichkeit von Laura Marling und die melodisch verwinkelte Besonderheit im Gesangsstil von Bill Callahan vortrefflich aufeinander.

    Die stets für jede Komposition gemeinsam eingebrachten Ideen - ob nun entliehen oder selbst entworfen - führen zu einem Klangbild, das Raum für Gedankenspiele und Assoziationen eröffnet. Dadurch macht es durchgängig Spaß, King Hannah bei ihren kontrastreichen Ausflügen zu begleiten. Und wir können genüsslich bei der Elektrisierung der Sinne auf Spurensuche nach ihren Vorbildern und Einflussgrößen gehen. Schön, dass es immer wieder solch stimulierende Musik gibt!
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    Currency Of Man Currency Of Man (CD)
    May 31, 2024
    Sound:
    5 of 5
    Music:
    5 of 5

    Melody Gardot entwirft mit "Currency Of Man" fesselnd und differenziert untermalte Aussagen über brisante soziale Belange.

    Wer Melody Gardot bisher nur als Interpretin gepflegter Jazz-Chansons wahrgenommen hat, der wird sehr überrascht sein, wenn er ihr viertes Studio-Album "Currency Of Man" hört. Dieses unter anderem vom dunklen Delta-Blues- und verräuchertem Spelunken-Jazz getränkte, hinterlistig und geheimnisvoll mit Erwartungen spielende, dunkel-mystisch taktierende, melodiös und instrumental breit aufgestellte Werk präsentiert eine Künstlerin mit Abenteuerlust, eine Stil-Ausbrecherin, die Spaß daran hat, Neuland zu erkunden und sich dabei nur dem guten Geschmack und einem spannenden Klang verpflichtet fühlt. Daneben geht es ihr darum, eindringlich darauf hinzuweisen, dass die Würde jedes Menschen unantastbar ist: "Nachdem ich einige Zeit in Los Angeles verbracht hatte, drehten sich die Songs um die Menschen, die ich dort traf: Menschen, die ein Leben am Rande der Gesellschaft führen".

    Die Musikerin mit dem französisch klingenden Namen wurde am 2. Februar 1985 in New Jersey geboren. Melody verbrachte eine lange Zeit ein harmonisch-liebevolles Leben. Bis zu jenem schicksalhaften Tag im November 2003, als sie auf dem Fahrrad von einem Auto angefahren wurde und schwere Kopf-, Nerven und Knochen-Verletzungen erlitt. Danach war alles anders. Selbstverständliches funktionierte nicht mehr, Träume und Wünsche wurden pulverisiert. Das Leben wurde durch die Beeinträchtigungen beschwerlich und es stellte sich zwangsläufig auch für sie damals schon die Frage nach dem Wert eines Menschen. Und ebenso logisch ergab sich, dass er nicht von Äußerlichkeiten, sondern von geistig-moralischen Werten abhängt. Eine Erkenntnis, die den beschwerlichen Kampf zurück in die sogenannte Normalität erträglicher machte.

    Melody Gardot weiß also ganz genau, wie sich körperlicher und seelischer Schmerz anfühlt und was er für die Persönlichkeit und das gesellschaftliche Umfeld bedeutet. Häufig hat sie das Leiden bei ihrer Musik hinter Schönheit verborgen gehalten, aber bei "Currency Of Man" hat die Süße auch einen bitteren Nachgeschmack und die Gesellschafts-Kritik bekommt eine deutliche und schroffe Sprache.

    Die Songs dieses Albums sind besonders ambitioniert, denn es gibt neben Beziehungs-Beobachtungen noch einen konzeptionellen Überbau, der nur bei der "Deluxe Edition", die fünf Extra-Tracks enthält, in Gänze dargestellt wird. Melody Gardot macht vornehmlich auf den Wert der Gestrandeten und Geknechteten aufmerksam, widmet sich politischen Konflikten und denkt über das Elend der Menschen nach, die Brutalität, Abhängigkeiten oder Armut ausgesetzt sind.

    Den Auftakt bestreitet "Don't Misunderstand", das sich für eine realistische Betrachtung der eigenen Person einsetzt ("Wir sind, was wir sind"). Melody bewegt sich zunächst lautmalerisch-sphärisch auf einem undifferenzierten, verwirrenden Geräusch-Schleier und improvisierenden Instrumentenbewegungen. Dann ändern der einsetzende Groove, der verwehte Streicher-Teppich und der sinnlich-sehnsüchtige, behutsame Gesang komplett die Perspektive. Aus dem verwaschenen Gebilde wird ein zupackender, schwül-düsterer Song, voll von unterdrückter und lodernder Leidenschaft, die sich auf eine hypnotische, akustische Folk-Blues-Schleife einlässt. Die Mythen des Mississippi-Deltas demonstrieren in einem undeutlichen, dunkel-waberndem Blues-Feeling ihre ungebrochene Strahlkraft und manifestieren sich in gefühlsbetontem Art-Pop.

    "Don't Talk" greift die rätselhafte Stimmung von "Don't Misunderstand" durch wallende Streichinstrumente auf, die sich so sanft wie Schleier aus Samt auf die Gehörgänge legen. Zusätzlich mischen sich ethnische Rhythmus-Strukturen mit uraltem, spiritistischem Americana-Wurzelwerk. Dann wird noch ein nostalgisches Western-Flair vermittelt und ein paar lustige elektronische Spielereien halten Einzug. Der Takt verhält sich lässig-unaufdringlich und der Gesang ist klar und bestimmt, möchte aber nicht aufbegehren. Flirrend-schwirrende Synthesizer-Klänge sorgen zur Halbzeit für exotische Eindrücke, die den Song kurz aus der tiefsinnigen Stimmung herausholen. Musikalische Welten kollidieren und geben dunkle Energie ab. Aus dem Text lässt sich die Aussage, dass "Geld alleine nicht glücklich macht" ableiten.

    "It Gonna Come" beschreibt die Situation von unterprivilegierten Menschen und schließt pro Strophe jeweils mit der Hoffnung ab, dass die Mächtigen, die für die Schere zwischen Arm und Reich verantwortlich sind, ihren Job verlieren mögen. So kämpferisch und nachdrücklich, wie diese Botschaft formuliert ist, so kraftvoll und unnachgiebig wirkt auch die Musik: Der Groove ist mächtig, der Bass pumpt, als hätte er breite Schultern, die Bläser sind fett und posieren angriffslustig, die Streicher scheinen aus dem Nichts zu kommen, verhalten sich listig und erzeugen eine mutmachende Atmosphäre (man erinnere sich an "Shaft" von Isaac Hayes). Melody singt ihre Anklagen ohne spürbaren Hass, dafür mit selbstbewusster intellektueller Überlegenheit.

    "Bad News" beginnt mit Tönen, die zu Kristallen geworden zu sein scheinen, denn sie imitieren auf unschuldig-reine Weise Harfen und E-Piano-Klänge. Danach folgt ein sumpfiger Blues-Groove, der zusammen mit ausladenden Bläser-Fanfaren und schmerzhaft-winselnden Solo-Saxofon-Einlagen eine nächtliche Jazz-Bar-Atmosphäre schafft, die Raum für jede Art von schlechten Nachrichten schafft. Der Song begibt sich dabei in eine gekonnte Schräglage, wobei Sounds entstehen, die an die stilistisch unabhängigen Kunst-Pop-Erzeugnisse von Tom Waits auf "Swordfishtrombones" erinnern. Gardot hält sich mit ihrer Auffassung von einem bedrückendem Chanson gesanglich zurück und überlässt ihren Partnern an den Instrumenten im Wesentlichen die Gestaltung einer Film-Noir-Atmosphäre. Filigrane, dunkel-zarte Töne voller Wärme und schreiend-kreischende Ausbrüche, die Gänsehaut erzeugend von Qual und Verzweiflung künden, gehen Hand in Hand in den Abgrund. Man wird sich bewusst, dass es irgendwann auf jeden Fall "einen letzten Vorhang" geben wird.

    "She Don't Know" lässt sich auf einen knackigen Funk-Groove ein, der sowohl giftig ist, als auch sexuell lockende Momente aufweist. In der Art eines sich selbst motivierenden Antriebs - also einem Perpetuum Mobile der Energiebereitstellung - erlangt der Track einen stetigen und ständigen Vorwärtsdrang, der ihn über alle dynamischen Abstufungen hinweg leidenschaftlich und robust erscheinen lässt.

    "Palmas da Rua" ist das erste "Artist`s-Cut-Bonus-Stück", welches die Field-Recordings von "She Don't Know" für etwa eine Minute reproduziert, ergänzt und durch Hände-Klatschen aufmischt.

    "Same To You" greift erneut auf eine Funk-Grundlage zurück, bei der die Taktfrequenz von "She Don't Know" erhöht und sich dabei auf schweißtreibende, animalisch-brünftige James Brown-Klangmuster bezieht.

    Mit dem Extra-Track "No Man's Prize" bewegt sich Gardot wieder auf dem Boden geheimnisvoller Sounds, die auf Thriller-Hintergründe schließen lassen - das Böse und Abgründige lauert an jeder Ecke, sodass sich die dunkle Seite der menschlichen Existenz in jeder Note dieser langsamen, trostlosen Ballade erahnen lässt. Ein Paradestück für Melody, bei dem sie ihr Talent für bedeutsame Zwischentöne gesanglich voll zum Erblühen bringen und gänzlich ausleben kann.

    Der zusätzlich zum Standardwerk eingeführte "March For Mingus" ist ein weiteres instrumentales Zwischenspiel, bei dem das Piano im Hintergrund kurz angeschlagene Stakkato-Töne absondert, das Saxofon die zunehmend aggressive Führung übernimmt und die Bass/Schlagzeug-Begleitung für einen stabilen Rahmen sorgt.

    "Preacherman" ist eines der prachtvollsten Kern-Stücke des Albums. Es transportiert nicht nur spirituelle Gospel-Anklänge, sondern auch einen lässigen Southern-Rock-Charme, satte Soul-Vibes und herzerfrischende, freche Jazz-Attacken. In über sechs Minuten feiert der Track ein berauschendes Fest der schmerzhaften Ekstase, die aus Trauer entsteht. Daneben gibt es ein meditatives Gedenken an Menschen, die von uns gegangen sind und die wir nie vergessen werden. Beide Ausnahmezustände tragen zu einer gedanklichen Auferstehung bei. Welch eine meisterliche musikalische Verführungskunst! Der Song wurde zum Gedenken an Emmett Till geschrieben, einem afro-amerikanischen Jungen, der 1955 im Alter von 14 Jahren bei seinen Cousins in Money, Mississippi seine Ferien verbrachte und dort dann wegen eines erfundenen Vorfalls von Rassisten bestialisch gequält und ermordet wurde. Seine Mutter kämpfte danach vor Gericht für die Verurteilung der beiden Mörder und ließ ein Foto von Emmetts geschundenem Leichnam veröffentlichen. Die Täter wurden freigesprochen, gaben aber ein paar Monate später die Ermordung zu. Gesetzlich konnten sie allerdings aufgrund des bindenden Urteils nicht mehr belangt werden. "Das Gedenken an Emmett durch das Lied ist eine Möglichkeit, die Menschen daran zu erinnern, dass es keinen Grund gibt, mit sinnlosen Verbrechen fortzufahren. Rasse und Rassismus gehen nicht Hand in Hand. Wir sind nur eine Rasse: Menschen", erläutert Melody die Botschaft des Songs.

    "Morning Sun" strahlt eine zufriedene Ausgeglichenheit aus und würde auch ins Repertoire von Norah Jones passen. Zusätzlich fallen The Band und The Staple Singers als Inspirationsquelle ein, was in Gänze einen durchdringend bedeutsamen Americana-Jazz-Gospel-Mix ergibt.

    "If Ever I Recall Your Face" greift hinsichtlich seiner Tragik auf die Stilmittel der klassischen Musik zurück: tieftraurige Streichersätze, ein Piano, das Einsamkeit in Noten gießt und eine Stimme, die gleichzeitig trösten und leiden kann, machen den Reiz dieser herzzerreißenden Komposition aus. Der Umgang mit den Verlockungen des Künstlerlebens - wenn man lange Zeit von zu Hause weg ist - bildeten dabei als Themenbereich die Grundlage für den Text und gehen in dieser Konstellation indirekt der Frage nach, was wirklich wichtig im Leben ist.

    "Once I Was Loved" stößt mit ähnlichen Mitteln wie sein Vorgänger ins gleiche sanftmütig-schwerelose Horn. Die Erkenntnis, dass der Gedanke, im Leben wenigstens einmal wirklich geliebt worden zu sein, ein riesengroßer Schatz ist, liegt dem Lied zugrunde. Entsprechend ist seine ungekünstelte Sentimentalität und Empathie zum Heulen schön.

    Die Piano-Ballade "After The Rain" wurde nur bei der erweiterten Version von "Currency Of Man" hinzugefügt und bildet hinsichtlich seiner Schwermütigkeit einen Zwillings-Track für "Once I Was Loved" ab, aber dies nun ohne Worte.

    Die Macht der Süchte auf die körperliche Verfassung und Psyche von Menschen ist ein Mysterium, welches Melody zur Komposition "Burying My Troubles" veranlasst hat. Dieser abschließende, würdevoll schwelgende "Extra-Track" steigert seine durchdringende Sensibilität noch durch ein psychedelisch fließendes Gitarren-Solo voller Wehmut und verzweifelter Tragik.

    Der "Artist`s Cut" als Deluxe-Edition ist unbedingt der einfachen Version von "Currency Of Man" vorzuziehen, weil sich die fünf Zusatztitel belebend und sinnvoll ergänzend ins Gesamtgebilde einfügen. Sie sind auch nicht einfach nur als Bonus hinten dran gehängt, sondern passend zugeordnet und sinnvoll eingebunden worden. Die makellose Produktion der 15 Tracks übernahm wieder einmal Larry Klein, der ex-Ehemann und zeitweise auch der musikalische Direktor von Joni Mitchell. Er ist daneben unter anderem als kreativer Sound-Tüftler hinter solchen Werken wie "The Blue Room" von Madeleine Peyroux, "Freedom & Surrender" von Lizz Wright, "Teenage Astronauts" von Thomas Dybdahl und "The Travelling Kind" von Emmylou Harris & Rodney Crowell in Erscheinung getreten. "Currency Of Man" gestaltete er mit einem räumlich-transparenten, audiophilen Klangbild, bei dem alle Muster klar zur Geltung kommen. Die einzelnen Tonspuren wurden differenziert strukturiert, sodass sie sich den jeweiligen Stimmungslagen individuell anpassen können.

    Aber lassen wir Melody Gardot noch einmal selbst zu Wort kommen. Hier ein Auszug aus ihrem Begleit-Text von "Currency Of Man: "Was sich hinter scheinbar lustlosen, leeren Augen verbirgt, kann die Seele eines Menschen sein, die so tief ist, dass wir den Tod ihrer Schönheit nur erahnen können.

    Was wir über die Welt wissen, so wie sie sich abspielt, ist nur die Information, die man uns gegeben hat, was man uns gelehrt hat und ist abhängig davon, wer unser Lehrer war.

    Aber manchmal kann der Lauf des Lebens so gewunden und wild sein, dass wir uns plötzlich im Unkraut wiederfinden, anstatt am Steuer unserer größten Reise zu stehen.

    Ich begann, dies überall zu sehen, wo ich hinkam. Menschen, die vom Sockel ihrer Träume gestürzt waren. Menschen, die ihr Leben durch Sucht, Unglück oder die Schwierigkeiten des Systems, in dem wir leben, zerstört sahen. Menschen, die wegen ihrer Hautfarbe verurteilt wurden, wegen der Menge an Geld, die sie in ihren Taschen hatten, oder vielmehr wegen des Mangels daran. Personen, die durch die Bedingungen, die sie um sich herum vorgefunden hatten, so verbogen waren, dass sie keine Möglichkeit sahen, wieder aufzustehen. Hoffnungslosigkeit ersetzte jegliches Gefühl der Macht, ihre Umstände zu kontrollieren. Angst übernahm ihren Verstand und die Idee des Lebens wurde mehr wie ein langsamer, verrosteter, tropfender Wasserhahn, der mit der Zeit alle Träume und Wünsche, die einst aus ihren Herzen flossen, verschluckte.

    Die Welt, von der ich wusste, dass sie schön und strahlend ist, wurde plötzlich von einem Bild verzerrt, das mein geistiges Auge nicht mehr verlassen konnte: Warum definieren wir uns über unsere materiellen Besitztümer wie unsere Autos, unsere Häuser, unsere Einrichtungen? Und seit wann ist es üblich, den Wert eines Menschen auf der Grundlage von Elementen zu bestimmen, die irgendwann ohnehin verschwinden.

    Alle Songs auf diesem Album sind aus erlebten Momenten und Geschichten entstanden. Sie sind Reaktionen auf die Welt, wie ich sie jetzt gesehen habe. Es ist kein Liebeslied darunter. Und warum? Weil es hier nicht um selbstsüchtige, blinde Liebe geht. Es geht darum, die Welt so sehr zu lieben, dass einem übel wird, wenn man das Leid sieht, das Menschen ertragen müssen. Denn die verblüffende und harte Realität unseres Lebens ist, dass wir jeden Moment ins Chaos geraten können. Was uns ausmacht, was uns zu dem macht, was wir sind und was unser Vermächtnis begründet, ist, wie wir diese Momente ertragen".

    "Currency Of Man" ist politisch engagiert, regt zum Nachdenken an, ist konzeptionell ausgereift und musikalisch herausfordernd angelegt worden. Melody Gardot nutzt ihre Popularität, um Missstände aufzuzeigen und traut sich, ihren Fans einen musikalischen Kurswechsel zuzumuten. Herausgekommen ist dabei ein Werk, das eine unerschrockene, sensible Künstlerin mit einem großen kompositorischen Potenzial zeigt. Sie besitzt die Fähigkeit, klangliche Vorstellungen unkonventionell umzusetzen, welche aber trotzdem eine zeitlose Qualität aufweisen. Gesamturteil: Meisterwerk!

    Und 2020 erschien mit "Sunset In The Blue", ein weiteres, wunderschönes, dann aber durchgängig zärtlich-sinnliches Album, das für Easy-Listening in Vollendung steht und auf jeden Fall eine weitere (Wieder)-Entdeckung wert ist.
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    One comment
    Braveheart
    Apr 22, 2025

    Sehr fein!

    Sehr schön beschrieben, Heino.
    26 to 50 of 480 reviews
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