Inhalt Einstellungen Privatsphäre
jpc.de – Leidenschaft für Musik Startseite jpc.de – Leidenschaft für Musik Startseite
  • Portofrei ab 20 Euro
  • Portofrei bestellen ab 20 Euro
  • Portofrei innerhalb Deutschlands Vinyl und Bücher und alles ab 20 Euro
0
EUR
00,00*
Warenkorb EUR 00,00 *
Anmelden
Konto anlegen
Filter
    Erweiterte Suche
    Anmelden Konto anlegen
    1. Startseite
    2. Alle Rezensionen von LittleWalter bei jpc.de

    LittleWalter Top 25 Rezensent

    Aktiv seit: 03. September 2010
    "Hilfreich"-Bewertungen: 1112
    472 Rezensionen
    Lucius Lucius
    Lucius (CD)
    05.05.2025
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Liebe, Freundschaft, Zuverlässigkeit: Die Verbündeten von Lucius feiern ihre 18 Jahre lange Zuneigung zueinander.

    Nein, sie wollen nicht beißen - wie das Cover-Motiv andeutet -, sondern nur spielen. Ein Gerücht besagt, dass man auf dem Cover-Foto das schiefe Gebiss von Lucius, der englischen Bulldogge von Jess Wolfe sieht. Das unangepasste Aussehen und das unbeholfene Verhalten des Hundes sollen zur Namensgebung inspiriert haben. Auch wenn aus der Symbolik der gefletschten Zähne eigentlich Aggressivität oder Wut abgeleitet werden könnte, so hat der Name Lucius lateinische Wurzeln und bedeutet "Licht". Das ist eine Umschreibung, die schon eher mit dem Sound des Quartetts Lucius in Verbindung gebracht werden kann. Denn auch die dunkleren Klangfarben und Texte beinhalten die Aussicht auf ein wegweisendes Licht am Ende des Tunnels.

    Es gibt eine enge Verbindung zwischen den handelnden Personen bei Lucius: Die Sängerinnen Holly Laessig und Jess Wolfe sehen aus wie Zwillinge. Sie sind aber "nur" langjährige Freundinnen, deren Duett-Gesang so verbunden, optimal abgestimmt und harmonisch ineinander verschlungen ist, als wären sie seelenverwandte Verbündete. Ihnen zur Seite stehen die Multiinstrumentalisten Dan Molad (hauptsächlich zuständig für Schlagzeug und Produktion) und Pete Lalish (hauptsächlich als Gitarrist tätig), mit denen sie freundschaftlich und/oder partnerschaftlich verbunden sind oder waren. Sie bilden eine Patchwork-Beziehungsebene, die bisher alle Wechselfälle des Lebens überstanden hat.

    Lucius wurde 2007 in Brooklyn (New York) gegründet und hat sich im Laufe der Jahre einen hervorragenden Ruf als interessanter Konzert-Act und als Gesangsverstärkung für etliche Künstler erspielt. Mit "Lucius" erscheint am 2. Mai 2025 ihr fünftes Album, auf dem trotz der positiven musikalischen Grundstimmung einige Schicksalsschläge verarbeitet werden.

    So könnte "Final Days" eine Hommage an die Mutter von Pete Lalish sein, die an Parkinson starb: "Ich hoffe, du hörst den Ruf des Himmels. Ich hoffe, sie lassen dich herein." Diese Gedankenwelt wird jedoch von einem parallelen Ereignis, dem Fällen eines alten Baumes im Garten von Holly Laessig begleitet: "Wir lieben es immer, mit Dualität und Doppelbedeutungen zu spielen und einfache oder scheinbar naive Dinge, wie den Abschied von einem Baum, zu nehmen und im gleichen Atemzug die Tiefe und Kraft von Liebe und Verlust zu spüren." Der Song ist anfangs entspannt, warmherzig und zuvorkommend gestimmt. Das sind Empfindungen, welche als Assoziationen für die Mutter-Sohn- oder Mensch-Baum-Beziehung herangezogen werden können. Kaum merklich wird die Vehemenz, die Lautstärke und das Verdichtungspotenzial der Instrumente bis zum reißerischen Höhepunkt gesteigert. Daran spiegelt sich womöglich die Angst, Wut und Hilflosigkeit, die der jeweilige Verlust mit sich gebracht hat. Im Anschluss beginnt die Aufbauarbeit, die von einer melancholischen Ballade zu einem heftig lärmenden Power-Pop reicht. Hinsichtlich der Dynamikverschiebungen nutzt das Stück dadurch eine enorme Bandbreite aus. Das Lied ist also bestens zur Unterstützung von Tätigkeiten geeignet, die eine besonnene Einkehr und einen zusätzlichen Adrenalinschub vertragen. Wer jemals tiefe Reue empfunden hat, weiß, wie anhaltend und heftig sie schmerzen kann. Das ist auch ein inhaltlicher Aspekt der Trauer, der die gemischten Gefühle, die musikalisch glaubhaft ausgedrückt werden, erklärt: "Ich hoffe, ich habe dich nicht im Stich gelassen, denn es ist zu spät, etwas zu ändern."
    "Gold Rush" rockt und groovt so leidenschaftlich, dass es eine wahre Freude ist, dabei zuzuhören. Auch wenn sich textlich einiges um nicht miteinander zu vereinbarende Gegensätze dreht, so gibt es musikalisch keine Zweifel: Dieser Song ist ein Hit, der eigentlich ständig im Radio laufen sollte, um den Menschen Energie zu spenden.

    "Rumours" von Fleetwood Mac und "Bryndle" von Bryndle sind schillernde, intim-harmonische, über jeden Zweifel erhabene Pop-Platten. Das auf einem knackigen Rhythmus basierende und mit aufmunternd-spritzigen Gitarren-Akkorden aufgeladene, bedingungslose Liebe propagierende "Do It All For You", das innig-religiös inszenierte "Mad Love", und das melodisch ausladende sowie das über weite Strecken in sich gekehrte Trennungs-Drama "Borderline" hätten sich auf beiden Alben bestens in die entsprechenden Konzepte eingefügt, weil sie klug durchdacht und gleichzeitig eingängig umgesetzt sind.

    Bei "Stranger Danger" werden Effekte eingebaut, die scheinbar elektronisch erzeugt wurden, auch wenn die Besetzungsliste diese These nicht bestätigt. Auf jeden Fall hinterlassen diese fremdartigen Töne einen organisch angepassten Eindruck. Der Track scheint dadurch zu atmen oder sich kurz aufzublähen. Dieses Phänomen spielt sich im ersten Teil des Stückes ab, das balladeske Seiten anstimmt, nach entspanntem Country-Folk klingt und zusätzlich noch eine sphärische, nach innen gekehrte Spur legt. Im zweiten, überraschend angepflanzten Teil, erhöht sich das Tempo und die Hintergrundgeräusche werden aufwühlender. Auch der Duett-Gesang agiert fordernder und wirkt ungeduldig. Aber der Song endet dann doch ohne krachenden, explosiven Höhepunkt in einem kurzen, versöhnlich-abwartenden Fade-Out. Durch den Track fliegen Anklagen wegen der korrumpierenden Macht des Geldes, dem fehlenden Mitgefühl gegenüber Schwächeren, der Zerstörung der Natur und dem Wertewandel in der Gesellschaft - große Themen, wichtige Denkanstöße.

    Schwerelos, pastoral und wortreich versucht das hypnotische "Hallways" aus seinem unspektakulären Vorgehen eine Kunstform zu generieren. Das gelingt und vermittelt eine in sich ruhende Stimmung, die durch gelegentliche "Weckrufe" aufgepeppt wird. Hier dreht sich das Liebeskarussell und die Welt steht kopf: "Du beherrschst meine Welt, du bringst sie zum Schmelzen" und "Ich versuche immer noch herauszufinden, ob ich Unkraut oder eine Blume bin", sind Aussagen, die für einen ruhelosen Geist sprechen.

    Gäste können nicht nur im Privaten die Stimmung bereichern, sondern auch als musikalische "Zutaten" eine Komposition. So geschehen bei "Stranger Danger" durch die Mitarbeit von Taylor Goldsmith (Dawes) an Piano und Gitarre und ebenfalls bei "Old Tape", für das sich der befreundete Adam Granduciel von The War On Drugs an der Gitarre und an den Stimmbändern die Ehre gibt ("Wir wollten etwas machen, das sowohl treibend als auch erhebend ist, und niemand macht das besser als The War On Drugs".) Der psychedelische Pop-Disco-Sound geht in die Beine und erfreut das Gemüt. Und die Stimmen jubilieren hell im verzückten Überschwang.

    Für "Impressions" konnte die junge Singer-Songwriterin Madison Cunningham als Gitarren- und Gesangs-Verstärkung und Ethan Gruska von The Belle Brigade fürs Sampling gewonnen werden, die dem Song zwar nicht konsequent ihren Stempel aufdrücken, aber zum geschlossenen, vollen Klangbild beitragen. Der Sound transportiert exotische Elemente, groovt gelassen und einladend und stützt sich auf die seriös-getragene Melodie. Die Beweggründe für die Entstehung des Liedes fassen die Sängerinnen so zusammen: "Gemeinsam mit Madi tauschten wir uns über die Veränderungen in unserem Leben und den Umgang damit aus. Es ging auch um die Entscheidung, was man behält und was man loslässt, während man wächst und sich weiterentwickelt."

    Die schmerzhaften, melancholisch-spirituellen Eindrücke von "Orange Blossoms" laufen beinahe in Zeitlupe ab. Sphärische, bombastische und romantische Muster reihen sich aneinander oder überlagern sich. Diese emotionale Wucht wird mächtig dick aufgetragen und lässt die lockeren Momente der Platte vermissen. Häufig hindern uns unsere Egos daran, ein vernünftiges Leben zu führen - eventuell ist das eine Erkenntnis aus der "Orange Blossoms"-Poesie, die zum gedankenvollen Text geführt hat.

    Das sentimentale "At The End Of The Day" fängt die Zeit ein, wenn es abends ruhig im Haus wird, die Hektik des Tages abfällt und man seine Empfindungen ungestört schweifen lassen und über seine Beziehung sinnieren kann.

    "Lucius" kann polarisieren. Manche Leute werden finden, dass viele Stücke den Mainstream-Pop neu definieren, andere werden meinen, dass sie den Zustand einer kommerziellen Tauglichkeit und Verwertbarkeit verwalten. Diese Diskrepanz lässt sich auch an anderen Wahrnehmungen festmachen: Die Produktion von "Lucius" kann wohlwollend als klar und durchlässig bezeichnet werden, kritisch betrachtet kann sie aber auch als zu sauber und glatt durchgehen.
    Dan Molad geht allerdings sorgsam und vorsichtig mit seinen Arrangement-Ideen um, sodass nie der Eindruck von billiger Effekthascherei entsteht. Und noch ein Punkt, der eine unterschiedliche Bewertung zulässt: Wenn die Sängerinnen ihre Stimmbänder in Schwingungen versetzen, kann man sich an dem perfekten Gesang berauschen, man kann ihn aber auch für zu poliert halten.

    Wer sich von der Perfektion des Sounds abschrecken lässt, verpasst allerdings eindeutig die authentischen Bemühungen von Lucius, die Sinne angenehm und kompetent zu betören: Die Musik ist eine Wohltat für angespannte Nerven in gestressten Situationen. Die Songs besitzen etliche clevere Haken und Ösen, sind oft radiotauglich und verströmen meistens innige Wärme und/oder knisternde Leidenschaft. Genau das erwartet man doch von beständiger, anmutiger Pop-Musik!
    Meine Produktempfehlungen
    • Second Nature (Pink Vinyl) Lucius
      Second Nature (Pink Vinyl) (LP)
    • Like It's The Last One Left Uncle Lucius
      Like It's The Last One Left (CD)
    • Wildewoman Lucius
      Wildewoman (CD)
    • Good Grief Good Grief (CD)
    Jump! Jump! (CD)
    05.05.2025
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Mit einem mutigen Sprung hinein ins gewagt-befreiende Vergnügen.

    Das Verb "springen" unterstellt eine Veränderung, räumlich oder mental, wenn man unter anderem an den Ausdruck "über den eigenen Schatten springen" denkt. Man kann auch vor Freude in die Höhe springen, also überschwänglich reagieren und so aus dem Rahmen von Normen und Konventionen fallen. Oder man gelangt durch einen beherzten Sprung aus einer heiklen Situation, wagt also den Sprung ins Ungewisse. Das sind alles Redewendungen, an die die Songs von "JUMP!" angelehnt werden können.

    "Jump!" ist das zweite Album (nach "A Day On Solid Ground" aus 2023) des Quartetts ELSA mit Stammsitz in Wien. Die Formation besteht aus der umtriebigen Namenspatin Elsa Steixner (die "Jazz & Pop" in den Niederlanden studierte) und ihren Kollegen Julian Bazzanella (Klavier), Jacob Lang (Kontrabass) und Daniel Louis (Schlagzeug). Für "Jump!" gab es noch Verstärkungen an Blasinstrumenten, E-Gitarre, Harmonium und Orgel, sowie eine professionelle Produktion von David Furrer.
    Der Opener "What For" nutzt einen swingenden Funk-Rhythmus, um Beweglichkeit, Körperlichkeit und Schwung zu erzeugen. Ein hüpfender (!) Bass, ein flexibles Schlagzeug und eine rauschende Orgel lassen zunächst die Luft flirren. Punktuell eingesetzte Bläser, Gitarren und Keyboards stoßen frech in freie Noten-Lücken vor und die dynamischen Tempo-Abstufungen von lebhaft bis nachdenklich heben den Song deutlich aus dem Mainstream heraus. Ein Einstieg nach Maß, der die Möglichkeiten und Qualitäten der Gruppe erahnen lässt.

    Bei "Clouds Are Clouds" lässt sich ELSA treiben. Verträumte Folk-Gospel Klänge bringen Demut, Behaglichkeit und einen Hauch Spiritualität ins Spiel. Das taugt, um sich schlagartig be- oder verzaubern zu lassen.

    War das eben eine Lowell-George-Gedächtnis-Slide-Gitarre, die am Anfang von "It Won’t Be Long" zu hören war? ELSA mögen es, durch eingestreute Zitate ihren Vorbildern Respekt zu erweisen. Bei der Nennung von Inspirationen ist unter anderem von Joni Mitchell, Nina Simone, Abdullah Ibrahim (vormals Dollar Brand) und Paul Simon die Rede. Das sind alles Hochkaräter, die sich stilistisch und kreativ nicht einengen ließen - genau wie es ELSA praktiziert. So ist "It Won’t Be Long" nicht Pop und auch nicht Jazz in ihrer reinen Form, nutzt aber aus beiden Richtungen Merkmale, um sowohl eingängig als auch spannend zu sein. Der geisterhafte "Little Feat-Auftritt" ist übrigens im Verlauf des Albums noch mehrere Male wahrzunehmen.

    Gleiche Stoßrichtung, andere Gewichtung: War es eben noch eine fröhlich-melodische Reife, die den Song dominierte, so ist es bei "Marketplace" eine wolkige, überwiegend in Moll verpackte Stimmung, die für Achtsamkeit sorgt. Erst gegen Ende des Liedes findet die Komposition einen Weg aus der wehmütigen Verfassung heraus und schöpft hörbar Energie aus den originellen, am traurigen, aber auch tröstenden New-Orleans-Jazz geschulten Noten. Der rollende, prägnante Bass erinnert sicherlich nicht zufällig an Jaco Pastorius von Weather Report, der auch für Joni Mitchell tätig war. Und der raffinierte, kunstfertige Aufbau der Komposition spricht für das große Talent der österreichischen Musikerin und ihrer Kollegen.

    ELSA spinnen den bedächtigen Faden weiter und lassen das eineinhalb Minuten kurze Zwischenspiel "Courage" als dunkles Chanson, welches das Licht am Ende des Tunnels erahnen lässt, ablaufen.

    Das einzig Beständige ist der Wandel, das scheint nicht nur ein Lebensmotto, sondern auch ein Grundsatz bei der Erschaffung der ELSA-Erfindungen zu sein. Denn sie sind nur selten ausrechenbar, enthalten Wendungen und Sprünge, ohne dass der Rahmen eines als wertig - im Sinne von nachvollziehbar - empfundenen Songs gesprengt wird. "Summer Shoes" bedient sich dieser Logik und fällt als spritzige Ballade auf (ist hier kein Widerspruch!), die auf einer ideenreichen Instrumenten-Anordnung aufgebaut ist.

    Das von einem spritzig-perlenden Piano dominierte "Sunshine" lässt eine hervorstechende Assoziation zu, nämlich Norah Jones. Genau wie diese großartige Chanteuse vermag es auch Elsa, ihre Stimme in einem einzigen Stück frivol, getragen, lebensfroh und selbstbewusst klingen zu lassen, ohne dabei mit irgendeiner Gefühlslage fehl am Platze zu erscheinen.

    Intensive Empfindungen, wie der Fluchtreflex in unangenehmen Situationen, werden bei "Who Will" großgeschrieben. Der Track beinhaltet meditative und rhythmisch-minimalistisch ablaufende Passagen genauso wie eine kräftige Stimmungs-Eruption. Das Hauptaugenmerk liegt aber auf der Erzeugung einer knisternden Atmosphäre, bei der Elsa ihre Stimme als zusätzliches Instrument einsetzt, indem sie sie stellenweise exotisch gestimmt ertönen lässt. Das wurde absolut exquisit umgesetzt und ist passend in das geschmackvoll-extravagante Gesamtkonzept eingebunden worden. Vorzüglich!

    Für den Track "JUMP!" gebärdet sich Elsa unkonventionell-liebevoll wie eine Schwester im Geiste von Anna B Savage: Die Musik ist märchenhaft-undurchsichtig, feierlich-folkloristisch und introvertiert-versponnen. Also eigenartig und eigenständig und dadurch für herkömmliche Unterhaltungsmusik untypisch.

    Wie schon angedeutet, sind es auch die Verbindungen zur Pop-Geschichte oder die Zwischentöne, die "Jump!" attraktiv erscheinen lassen. Da liegt es nahe, sich ein Lied mit dem Titel "Inbetweenings" auszudenken, welches dieses gestalterische Vorgehen in den Mittelpunkt rückt. Hier geht es lyrisch und aufwühlend zu, als hätten sich Carole King und Tori Amos getroffen, um einen gemeinsamen Song, der ihre unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkte widerspiegelt, zu schreiben.

    Das Erscheinungsbild von "Jump!" ist emotional vielfältig, und der Klangraum, der das zum Ausdruck bringt, wird stil- und ausdrucksvoll modelliert. Elsa singt beseelt und ihre Mitstreiter bedienen sich aus einem breit gefächerten Fundus, der einige Spielarten und Bereiche, die vornehmlich in der amerikanischen Musikkultur beheimatet sind, berücksichtigt. Kurzum: Elsa sind Vermittler zwischen den schwarzen und weißen Pop-Kulturen mit einem sensiblen Sinn für filigrane und erdige Konstruktionen. Musik ist eine universelle Sprache und ELSA sprechen mit ihren Liedern viele Menschen an, die sich für eine intelligente Pop-Kultur interessieren, welche tiefe Wurzeln und elastische Flügel besitzt.

    ELSA läuten mit "JUMP!" eine sanfte Klangrevolution ein, indem sie den Jazz - dem sie eigentlich zugeordnet werden - in seine Schranken verweisen. Er dient in dem Soundcocktail als Basis und Würze, agiert aber nicht als Selbstzweck. Die Gruppe entfaltet Tongebilde, die sich aufgrund ihrer Substanz, die auf theoretischen Erfahrungen und einem wachen Instinkt beim praktischen Zusammenspiel beruht, selbst tragen.

    Textlich bewegt sich die Vierer-Beziehung in Gefilden, die ihre offene, selbstbestimmte und problemorientierte Weltsicht reflektieren, sodass ihre Schöpfungen rundherum gelungen erstrahlen. Der Keyboarder Julian Bazzanella fasst das ELSA-Konzept zu einem das Wirkungsprinzip umfassend darstellenden Schlusssatz zusammen: "Wir geben uns den Raum, uns als Band in jedem Lied neu zu entdecken und so schaffen wir es, uns unseren Kernthemen Mut, Zweifel, Freiheit auf verschiedenen Wegen zu nähern".
    Meine Produktempfehlungen
    • A Day On Solid Ground A Day On Solid Ground (CD)
    SABLE, fABLE Bon Iver
    SABLE, fABLE (CD)
    13.04.2025
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Zwei Abschnitte, ein Konzept: Justin Vernon komprimiert die aussagekräftigen Klänge von "SABLE, fABLE" zu einem Abbild seines Umbruchs vom Schatten zum Licht.

    Justin Vernon aus Wisconsin, der sein künstlerisches Vehikel Bon Iver nennt, konnte sich zu einem Synonym für introvertiertes Liedgut etablieren, das meistens karg instrumentiert, seltsam arrangiert und/oder elektronisch verändert dargeboten wird. Angefangen hat alles im Jahr 2008 mit "For Emma, Forever Ago", einem Werk, das in gerader Linie von Nick Drake oder Elliott Smith hinsichtlich seiner verletzlichen Intimität abstammen könnte. Es wurde jahreszeitlich dem Winter zugeordnet. Das nächste ganze Album, das schlicht "Bon Iver" betitelt wurde, kam aufgeräumt-optimistischer daher. Es sollte den Frühling symbolisieren und Vernon ließ sich drei Jahre Zeit für die Realisierung. Danach gab es weiterhin längere Veröffentlichungspausen zwischen den Alben: "22, A Million" (steht für den Sommer) aus 2016 und "I,I" aus 2019, das den Jahreszyklus mit der Zuordnung zum Herbst vollendet, waren dann wesentlich sperriger und gewagter in der Auffassung, was die teilweise Auflösung von klassischen Songstrukturen anging. "SABLE, fABLE" ist dahingehend wieder versöhnlicher und eingängiger, bleibt aber trotzdem herausfordernd, wenn es um den Umgang mit der Konsumierbarkeit geht.

    Die beiden Abschnitte des Albums werden durch die Farbgestaltung und Anordnung der Cover-Motive symbolisiert: "SABLE" markiert eine dunkle, schmerzhaft empfundene Einsamkeit im Leben des Musikers. Diese Phase nimmt den kleineren Teil der Songs ein, was durch ein kleines schwarzes Quadrat in der Mitte dargestellt wird. "fAble" steht für den Zustand des verliebt seins, des Neubeginns und der Freude. Als Zeichen dafür umschließt ein größeres lachsfarbenes Viereck das schwarze Quadrat. Die Liebe überwindet und eliminiert sozusagen die Melancholie.

    Ein sirenenartiger Dauerton erklingt zwölf Sekunden lang zu Beginn des "SABLE"-Abschnitts. Direkt darauf folgen glitzernde, nach akustischem Edelmetall klingende Gitarren-Töne und entrückte Ambient-Country-Schallwellen, die allesamt zu "THINGS BEHIND THINGS BEHIND THINGS" gehören. Das Lied wird von einem stoisch klopfenden Rhythmus, der an altertümliches Eisenbahn-Schwellen-Geklapper erinnert, in der Spur gehalten. Diese Stütze fällt später weg, wenn eine akustische Gitarre und die wimmernde Pedal-Steel-Gitarre von Greg Leisz das tröstend-zuversichtliche Outro übernehmen. Vernon betätigt sich gesanglich hier als selbstbewusster, aber dennoch undogmatischer Prediger mit tiefergelegter, warmer Stimme voller suggestiver Ausstrahlung. Das hört sich wie aufmunternder Psycho-Folk an, auch wenn das lyrische Ich voller Zweifel steckt: "Ich habe Angst vor Veränderungen."

    Die brillante, räumlich erscheinende Produktion der aktuellen Bon-Iver-Stücke trägt dazu bei, dass sich die Lieder durchlässig, klar und kraftvoll anhören. Das gilt insbesondere für den delikaten, versonnen-ausgeglichenen Country-Folk von SPEYSIDE, dessen bittere Süße leicht perlt, wie Bläschen im Schaumwein. So köstlich und verführerisch können leise gespielte Noten sein, wenn sie virtuos interpretiert und mit Herz und Hirn umgesetzt werden!

    Der dritte Titel, "AWARDS SEASON", stellte den Abschluss der schon am 18. Oktober 2024 veröffentlichten EP "SABLE" dar. Der Song hinterlässt über weite Strecken einen kargen Eindruck, denn der im Vordergrund stehende Sprechgesang bekommt über einen längeren Zeitraum nur eine mit intimen Tönen ausgestattete Begleitung verordnet. Diese Konstellation vermittelt den Eindruck einer sakralen Andacht. Wenn dann kurzzeitig eine Stimmung erzeugt wird, die an einen New-Orleans-Jazz-Trauermarsch erinnert, nimmt ein ohnmächtiges Gefühl der Endlichkeit den ganzen Raum ein.

    Nach "SABLE" folgen die neun Stücke von "fABLE". Los geht es mit der zweiminütigen "Short Story". Ganz sanft, vorsichtig und schüchtern begeben sich Gospel-Folk-Klänge, die von einem Falsett-Gesang aus natürlichen und manipulierten Klängen begleitet werden, in die Gehörgänge. Es folgen sphärische Töne, die eine himmlische Verheißung anzukündigen scheinen und danach endet der Track mit tuckernden Beats aus dem Computer.

    Und diese werden von "Everything Is Peaceful Love" aufgegriffen, weitergeführt und zu belebenden Afro-Folk-Elementen ausgebaut. Elektronische Spielereien bringen dann noch einen futuristischen Schwung mit und die Melodie saugt Southern-Soul und Pop-Facetten auf, was sie strukturell veredelt und erdet. Wenn dann noch eine Pedal-Steel-Gitarre weint, hat das stufenlose Crossover-Experiment endgültig eine einzigartige, vielschichtige und erfüllende Dimension erreicht. Das Lied fängt das übermächtige Gefühl ein, das entsteht, wenn eine überschwängliche Liebe die Welt hell erstrahlen lässt. Oder wie es Vernon ausdrückt: "Die Idee, dass Glück und Freude die höchste Form des Seins sind, dass sie das wahre Fundament des Überlebens bilden."

    Es folgt mit "Walk Home" ein Slow-Motion-Soul mit verzögertem Trip-Hop-Rhythmus, der mit elektronischen Stimm-Effekten und klassischen Country-Elementen gespickt ist. Diese hat man sentimental verpackt und sie bilden als Konfrontations-Mix eine sonderbar verdrehte, laszive Paarung ab. "Walk Home" ist "ein leidenschaftlicher Song über den Moment, in dem man sich nicht schnell genug ausziehen kann, um mit der geliebten Person ins Bett zu springen."

    "Day One" klingt wie ein Ableger von "Walk Home", bei dem die Rezeptur aus natürlichen und künstlichen Tönen in eine Piano-Ballade transformiert wurde. Das Stück muss sich mit allerlei merkwürdigen Effekten, Sound-Gestaltungen und lebhaft wirbelnden Einspielungen auseinandersetzen und erhält dadurch eine skurrile Ausstrahlung. James Blake lässt grüßen.

    "From" hört sich an, als hätten Bruce Springsteen und Isaac Hayes gemeinsam ein Liebeslied geschrieben. Eine erdige Singer-Songwriter-Handschrift trifft sozusagen auf einen mit sehnsüchtigen Stimmen ausgestatteten, unter die Haut kriechenden Smooth-Soul.

    "I'll Be There" beinhaltet eine ähnliche Ausrichtung, übermittelt aber darüber hinaus eine verdichtete Südstaaten-Soul-Schwüle, ist also noch lieblich-schmachtender. Oder anders ausgedrückt: Das ist der begehrenswerteste Prince-Song, der nicht von Prince geschrieben wurde.

    "If Only I Could Wait" strahlt Zufriedenheit und Freude aus und schickt sonnige, schwärmerische Echos in den Äther. Der Song, der einen sowohl gleichberechtigten als auch markant wahrnehmbaren, stimulierenden Gesang von Danielle Haim enthält, beinhaltet eine von Unsicherheit und Zweifeln erfüllte Kernfrage, die in fast jeder Partnerschaft auftaucht: "Wie lange können wir uns noch aneinander festhalten?" Bon Iver hat sich bis hierher mit den "fABLE"-Songs zu einem ernstzunehmenden, alternativen, Genregrenzen überschreitenden Soul-Act entwickelt.

    Mit "There's A Rhythmn" beweist Justin Vernon hervorragende Adult-Pop-Qualitäten. Er inszeniert sich weise und versöhnlich, stellt seine natürliche, freundliche Stimmlage in den Vordergrund, groovt entschleunigt und könnte Wunden heilen, so beruhigend, positiv ablenkend und Sorgen lindernd funktioniert diese Seelen-Balsam-Musik. In dieser beinahe meditativen Stimmung wird über die Frage nachgedacht, inwieweit man sich unvoreingenommen auf eine neue Beziehung einlassen kann.

    Bon Iver verabschiedet sich mit "Au Revoir", einer zweiminütigen instrumentalen Space-Sound-Improvisation, die niemandem wehtun möchte und nur auf die Darstellung von spirituell motiviertem Seelenfrieden bedacht ist. Ist dieses Stück "nur" ein stimmiger Abschluss-Track eines im zweiten Abschnitt nach Harmonie strebenden Albums oder die Ankündigung des Endes vom Projekt "Bon Iver" oder eventuell sogar schon der Abschied von der neuen Liebe?

    "SABLE, fABLE" zeigt Justin Vernons Weg von der Einsamkeit zur Zweisamkeit auf. Das zweigliedrige Werk ist ein gekonntes Comeback, bei dem der schon an Alben von Kanye West und Taylor Swift beteiligte Musiker einen Überraschungseffekt erzeugen kann, da seine Gospel-Pop-Seite eine hohe Präsenz und Attraktivität erlebt. Obendrein hat er mit "S P E Y S I D E", "Everything Is Peaceful Love", "I`ll Be There", "If Only I Can Wait" und "There's A Rhythmn" einige der schönsten Songs seiner bisherigen Karriere verfasst und aufgenommen.

    Justin Vernon setzt seine Stimme mit einem würzigen Ton als Erzähler oder als ein sich in die Höhe schraubendes, vor Leidenschaft berstendes Instrument ein. Oder er lässt sie elektronisch fiepsend ablaufen. Letzteres wirkt überflüssig, denn diese Aktion bringt keinen kompositorischen Mehrwert und dadurch auch keine zusätzlichen Sympathiepunkte ein.

    Bon Iver verwendet konkurrierende, sich jedoch schließlich ausgleichende, sich gegenseitig in ihrer subversiven Haltung eliminierende Elemente. Dazu gehören die Paarungen Traurigkeit und beherzte Rhythmik, introvertierter Gesang und kühle Synthesizer-Klänge sowie eine entrückt-reduzierte und eine vollmundig-ausgereifte Instrumentierung. Vernon hat eine große Schar an Gästen zusammengetrommelt, die allerdings nur jeweils punktuell eingesetzt werden, sodass die Arrangements nie überladen, sondern stets organisch gewachsen klingen.

    "SABLE, fABLE" hinterlässt trotz des demonstrativ zur Schau gestellten Glücksgefühls einer intensiven Liebesbeziehung dennoch ein widersprüchliches Stimmungsbild eines zerbrechlich wirkenden Menschen. Aber so ist das Leben, wer funktioniert denn schon berechenbar wie ein Uhrwerk?
    Meine Produktempfehlungen
    • Bon Iver, Bon Iver (10th Anniversary Edition) (White Vinyl) Bon Iver
      Bon Iver, Bon Iver (10th Anniversary Edition) (White Vinyl) (LP)
    • Bon Iver Bon Iver
      Bon Iver (CD)
    • 22, A Million Bon Iver
      22, A Million (CD)
    • Blood Bank Bon Iver
      Blood Bank (LP)
    • I, I Bon Iver
      I, I (CD)
    • From Emma Forever Ago Bon Iver
      From Emma Forever Ago (LP)
    Owls, Omens, and Oracles Valerie June
    Owls, Omens, and Oracles (CD)
    13.04.2025
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Wer braucht schon Kategorisierungen? Valerie June pulverisiert jeden Versuch, ihre Musik in Schubladen einzuordnen.

    Es gibt sie immer wieder, diese beglückenden Momente, in denen Talente aufgrund ihrer den Raum einnehmenden Präsenz, ihrer zärtlichen oder bestimmenden Wucht und ihrem Einfallsreichtum verblüffen. Dazu gehört auch die 1982 in Jackson, Tennessee, geborene Künstlerin Valerie June Hockett, die schon über zwei Jahrzehnte lang professionell Musik macht und mit "Owls, Omens, And Oracles" am 11. April 2025 ihr sechstes Album unter eigenem Namen herausbringt.

    Nichts im Leben kann den Lerneffekt durch Erfahrungen ersetzen. Ob diese jetzt im Privaten durch unterschiedliche Wechselfälle im familiären Umfeld entstehen oder im Beruf durch die Bereicherung, die von vielen Kontakten ausgeht. Beide dynamische Situationen formen Einstellungen und Erkenntnisse maßgeblich. Im Privatleben hat Valerie June massive Veränderungen durchgemacht. Sie konnte zeitweise ein gutbürgerliches Leben genießen, musste aber auch Armut durch Unglück (Verlust des Eigenheimes in Tennessee durch einen Brand) und gesellschaftlichen Abstieg (Insolvenz der Firma des Vaters) erleiden. Diese Katastrophen haben ihr Weltbild geprägt und sie demütig und kämpferisch zugleich werden lassen.

    Hinsichtlich ihres künstlerischen Aufstiegs hatte sie mehr Glück: nachdem sie im Jahr 2009 an der MTV-Serie "$5 Cover" teilnahm und überzeugte, ging es konstant aufwärts. 2013 kam dann mit dem von Dan Auerbach (The Black Keys) produzierten Erstlingswerk "Pushin` Against A Stone" der Durchbruch beim Publikum und der Kritik.

    Valerie June ist eine von einem untrüglichen Instinkt geleitete Künstlerin. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sich auch "Joy, Joy!" aufgrund von unkonventionellen Ideen nicht eindeutig stilistisch zuordnen lässt: Die Stimme hat Soul-Power, aber sie geht nicht an ihre Grenzen, wodurch die Gesangslinien elegant, wendig und listig bleiben. Das Arrangement transportiert Hip-Hop-Beats und enthält auch ein E-Gitarren-Rock-Solo. Das Schlagzeug steuert leichte Jazz-Vibes genauso wie schäumende Becken-Attacken bei. Der Bass ist wuchtig und die Bläser erzeugen saftige Einschübe. Als geschmackvolles Füllmaterial werden noch schwirrende Streicher eingestreut, was für eine schwül-erregende Stimmung sorgt. Selbstredend groovt dieses Konstrukt gekonnt, sodass "Joy, Joy!" ein perfekter Appetitanreger für die "Owls, Omens, And Oracles"-Platte darstellt.

    Mit "All I Really Wanna Do" wendet sich Valerie der konventionellen Soul-Ballade zu, die an den wuchtig-üppigen und federnd inszenierten Wall-Of-Sound angelehnt wurde, den es bei Phil-Spektor-Produktionen zu hören gab (z.B. The Ronettes - Be My Baby oder Ike & Tina Turner - River Deep, Mountain High).

    Pop als Stimmungsaufheller: "Endless Tree" hat die Formel gelöst, wie man Noten in Glückshormone umwandelt. Der Song nimmt zwischen den bedächtig tänzelnden Phasen mächtig Fahrt auf und verwandelt sich dann in einen vor Lebenslust sprudelnden Power-Pop.

    "Inside Me" besitzt eine ähnlich positive Ausstrahlung und punktet zusätzlich durch seine erwachsene Coolness. Dennoch weist der Titel einen lockenden, liebenswerten Groove aus.

    "Trust The Path" ist eine im Grunde genommen seriös-ernsthaft eingespielte Piano-Ballade, die allerdings durch gewöhnungsbedürftigen Gesang, der betont naiv, unbedarft und leicht quäkig-schräg gehalten wurde, aus dem Rahmen fällt.

    Das Rezept, keine erwartbare Einheitskost zu bieten, geht auch bei "Love Me Any Ole Way" auf. Der Song speist sich zwar aus Elementen des frühen Rock & Roll, Rhythm & Blues und New Orleans-Jazz, wie ihn zum Beispiel Fats Domino gespielt hat, diese traditionellen Spielarten erhalten jedoch interpretatorische Haken und Ösen, die sie vor einem drögen Nostalgie-Verdacht schützen.

    Für "Changed" stehen The Blind Boys Of Alabama als Gesangsunterstützung zur Verfügung. Warum die alten, stimmgewaltigen Männer allerdings so sehr in den Hintergrund gemischt wurden, dass sie kaum noch wahrnehmbar sind, bleibt ein Rätsel. Sie hätten dem Lied einen tief empfundenen, seelenvollen Gospel-Sound vermitteln können, der ihn noch weiter herausgehoben hätte.

    Mit "Superpower" realisiert June genau das, was man bei "Changed" gehofft hat zu hören: einen geheimnisvollen, auf seine Art spirituellen, ehrfürchtig-kraftvollen Klang. Mit unter zweieinhalb Minuten ist dieser Trip-Hop-Deep-Soul-Verschnitt allerdings viel zu kurz, um sich erleuchtend entfalten zu können.

    "Sweet Things Just for You" hört sich an, als wäre die Grundidee aus frühen Jazz-Gesängen, wie dem Doo-Wop, abgeleitet und in einen Folk-Song übergeleitet worden. Die Mitwirkung von Norah Jones wird dabei nicht prominent herausgestellt. Sie ist Teil des Duett-Gesanges, aber nicht hervorstechend identifizierbar.

    Valerie June ist bemüht, das Liebeslied "I Am In Love" nicht zu sentimental klingen zu lassen. Dazu ist ihr Gesang zu sehr verwinkelt und sie knurrt, schnarrt und bricht melodisch aus. Aber diese Extravaganzen werden nicht übertrieben und die erotischen Schwingungen des Stückes werden deshalb nicht zerstört. Die Musikerin hat dieses Lied schon 2014 geschrieben, aber bisher nicht aufgenommen. Es musste erst reifen, damit es die Ausprägung bekommen konnte, die es verdient und benötigt. Das zeigt, wie sorgsam die Singer-Songwriterin mit ihren Schöpfungen umgeht und wie wichtig es ihr ist, dass sie optimal zur Geltung gelangen.

    Für das kurze A cappella-Stück "Calling My Spirit" singt Valerie mit sich selber als Chor und im Kanon. Sie erzeugt dabei eine verzückt-geistliche Stimmung, wie sie in ähnlicher Form im Film "O Brother, Where Art Thou" wahrzunehmen war.

    "My Life Is A Country Song" ist tatsächlich formal ein Country-Song, aber nicht im herkömmlichen Sinne. Dazu gibt es hier zu viele Effekte und Spielweisen, die den Traditionalisten ein Dorn im Auge wären.

    "Missin’ You (Yeah, Yeah)" fällt völlig aus dem Rahmen. Es gibt dezente Folk-Blues- und Swamp-Rock-Zitate zu hören. Dazu selbstbewussten Jazz-Gesang und eine Melodie, die aus dem Nichts auftaucht und unvermittelt dahin zurückkehrt, was letztlich einen unvollendeten Eindruck hinterlässt.

    Der Abschluss-Track "Love And Let Go" gehört zu den schönsten und raffiniertesten Aufnahmen des aktuellen Werkes. Valerie June hatte ihn zu Beginn ihrer musikalischen Laufbahn schon einmal aufgenommen, aber nun hatte sie eine Vision davon, wie er wirklich klingen sollte. Er bildet quasi eine Klammer zu dem bisher Gehörten: Der Gesang rochiert zwischen lieblich-harmonisch und kindlich-nörgelnd, die Melodie ist harmonisch aufgebaut, geht eigene, nicht unbedingt sofort einleuchtende Wege, die Instrumentierung ist raumfüllend, lässt aber Lücken, in denen sich die Musiker durch ihr Feingefühl und ihre Virtuosität auszeichnen können. Und am Ende besteht der Wunsch, sofort auf "Repeat" zu drücken, so einnehmend und interessant ist das Lied.

    Wem Etiketten egal sind und wer an abwechslungsreichen Pop-Songs jeglicher Färbung von einer Musikerin interessiert ist, die vorbehaltlos und abenteuerlich ihre Werte einsetzt, für den ist das von M. Ward vollmundig und transparent produzierte "Owls, Omens, And Oracles" genau die richtige Wahl. Das gilt auch für Leute, die Spaß daran haben, Ursprungsforschung in Sachen Songanalyse zu betreiben. Sie werden hier quer durch die Musik-Geschichte fündig werden.

    Valerie Junes Lieder haben eine eigentümliche, manchmal verschrobene Ästethik, bei der spezielle Vorstellungen von Schönheit und Energie eine wichtige Rolle spielen. Wenn man die Augen schließt und "Owls, Omens, And Oracles" über Kopfhörer genießt und sich ganz und gar in die Musik vertieft, dann erhält man ein Bild davon, wie viel Herzblut und Kreativität in den Kompositionen steckt. Das Ergebnis des Erlebten erscheint dann größer, als die Summe der verwendeten Teile es vermuten lassen. Das ist die Magie, die in anspruchsvoller, origineller Musik steckt!
    Meine Produktempfehlungen
    • Under Cover Valerie June
      Under Cover (LP)
    • The Moon And Stars: Prescriptions For Dreamers (White Vinyl) Valerie June
      The Moon And Stars: Prescriptions For Dreamers (White Vinyl) (LP)
    • The Order Of Time (180g) Valerie June
      The Order Of Time (180g) (LP)
    • Pushin' Against A Stone Valerie June
      Pushin' Against A Stone (LP)
    • The Moon And Stars: Prescriptions For Dreamers (180g) (Limited Edition) (White Vinyl) The Moon And Stars: Prescriptions For Dreamers (180g) (Limited Edition) (White Vinyl) (LP)
    Waves (Limited Edition) (Pink Vinyl) Frank Popp
    Waves (Limited Edition) (Pink Vinyl) (LP)
    13.04.2025
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5
    Pressqualität:
    4 von 5

    So locker-luftig und einfallsreich kann Groove-Pop sein.

    Vor zwei Jahren brachte das Frank Popp Ensemble nach 14 Jahren Veröffentlichungspause das Album "Shifting" auf den Markt. Vorausgegangen war 2021 eine Hommage an das Musiker-Kollektiv, die unter dem Namen "Under Covers" erschien. Sie belegte, dass das Frank Popp Ensemble trotz des Rückzugs aus dem Medienrummel immer noch gefragt und beliebt war. Das ist nach solch einer langen Abstinenz nicht selbstverständlich und gelingt nur, wenn hochkarätiges, zeitloses Material hinterlassen wird, welches nach einer Fortsetzung verlangt.

    "Shifting" war hochwillkommen und qualitativ einmal mehr sehr überzeugend. So gilt es jetzt, mit "Waves" die Legendenbildung voranzutreiben und auszubauen. Der Veröffentlichungstermin ist mit dem 11. April 2025 gut gewählt, denn im Frühling steigt auch die Lust auf Partys und gepflegte Chill-Outs mächtig an. Popps Mischung aus Funk, Soul, Adult- und Power-Pop passt nämlich ideal zum Befeuern oder zur Untermalung von stilvollen Feiern. Für beide Anlässe bietet "Waves" passende Klangkonstruktionen an, die tanzbar, balladesk oder kunstvoll-poppig gestaltet wurden. Viele Songs besitzen einen zwingenden Groove, der entweder offensiv oder unterschwellig vorhanden ist, sodass die Songs wie selbstverständlich im Gedächtnis bleiben.

    Den Anfang macht der ausgeruhte Psychedelic-Pop "Love Is A Distraction", dem der aus Australien stammende Jarrod "J" Mahon seine feminin klingende, weiche, lasziv schmachtende, aggressionsfreie und prägnante Stimme leiht. Eine schnarrende Orgel baut eine schunkelnde Basis auf, das Schlagzeug hüpft und holpert wie angetrunken im Break-Beat-Fieber und sanfte Background-Stimmen versuchen, den zerbrochenen siebenten Himmel zu kitten ("Liebe ist eine Ablenkung. Wenn es vorbei ist, fühlt sich nichts mehr so an wie damals, als du noch da warst.)" Besser kann eine Laune, die gespielte Coolness, tröstende Harmonie und die Annehmlichkeiten eines ablenkenden Rausches beinhaltet, nicht illustriert werden.

    Die Londoner Soul-Sängerin Emma Noble darf sich für "Unstoppable" Song-dienlich mit ihrer stabilisierenden, unaufgeregten, ausgeglichen-souveränen Stimme ins Zeug legen. Sie unterfüttert den swingenden Funk-Pop und die lockeren Jazz-Vibes nämlich mit köstlich mundenden Soul-Music-Zitaten. Damit gibt sie der inhaltlichen Darstellung des Songs den Raum, den die im Text beschriebene, selbstbewusste, stolze, eigensinnige Persönlichkeit in der Öffentlichkeit hinterlässt. Ungeachtet ihrer eigenen Sehnsüchte und Zweifel, die aufgrund von gesellschaftlichen Zwängen im Verborgenen bleiben müssen, täuscht sie die starke Frau vor, die man von ihr erwartet.

    Der ehemalige Sänger und Bassist des grandiosen, schottischen Teenage Fanclub, Gerald Love, stellt seine einschmeichelnde Stimme dem geschmackvoll arrangierten und flexibel aufgebauten Mid-Tempo-1960s-Pop-Song "Save" zur Verfügung. Das Lied trägt zwar sentimental-romantische Züge, durch das antizyklische, stoisch-monotone Getrommel überträgt es aber auch den ruhelosen Puls des Lebens. Es dreht sich hier immerhin um die Rettung eines gebrochenen Herzens: "Sag, dass du vorbeikommst und zusiehst, wie die Dunkelheit hell wird".

    "Going Going Gone" ist keine Cover-Version des Bob-Dylan-Songs, sondern ein Eigengewächs von Frank Popp. Das Stück wurde opulent instrumentiert und kann deshalb als pompöser Easy-Listening-Beitrag genauso wie als ästhetisch schmachtender Pop durchgehen. Dazu passend serviert der schon lobend erwähnte J Mahon einen geschlechtsneutralen, atmosphärisch angepassten Gesangsbeitrag. Neben positiven Emotionen wird auch eine große Portion Nachdenklichkeit serviert, denn es geht um eine vergangene Liebe, die sehr schmerzt: "Und ich hatte noch nie in meinem Leben eine Liebe, die so tief war" und "Und ich hatte nie in meinem Leben ein Herz gehabt, das so traurig schlug".

    Mit "Death Of A Hypocrite" folgt ein einminütiges, instrumentales Zwischenspiel, das sich schnell zum knackigen Disco-Sound mit Afro-Beat-Wurzeln entwickelt.

    Es sei verraten, dass die bewährte, fesselnde Stimme von J Mahon noch dreimal auf "Waves" auftaucht, so auch bei "Heartbreak (In A Really Good Way)". Und Mahon kann sogar auf unpathetische, aber eindringlich-energische Weise Dramatik und Tragik vermitteln. Die entsprechend weitläufig schwelgende Keyboard-Begleitung stützt und unterstützt diese Haltung angemessen.

    Für "Caught In Your Web" wird das POWER in Power-Pop großgeschrieben, denn der Titel geht ab wie ein Zäpfchen. Nicke Andersson von The Hellacopters raut den schlaksigen Song mit seinem schnoddrigen Gesang ordentlich auf. Er sorgt damit für einen derben Rock & Roll-Einschlag bei diesem hochenergetischen, mitreißenden Northern-Soul-Track. Jede Gegenwehr ist zwecklos, das ist ein Rhythmus, bei dem man unweigerlich mitwippen muss.

    Bei "Swingin Party" ist der Name Programm, obwohl es sich hier nicht um Swing-Jazz handelt. Vielmehr um einen milden und unerschütterlich gleichmäßig fließenden, sanften Wohlfühl-Pop, der wieder einmal von J Mahon gesanglich elegant veredelt wird. Im Original stammt der Song von Paul Westerberg, der ihn mit den Replacements für das Album "Tim" im Jahr 1985 aufnahm.

    Repetitive Krautrock-Elemente, die an Neu! denken lassen, baut Frank Popp bei "Ride" ein, und zwar, ohne dass dieser Winkelzug dazu führt, dass das Lied kopflastig oder anstrengend erscheint. Die Klänge hören sich stattdessen hypnotisch und suggestiv an, genau wie der sachlich-nüchterne Gesang.

    Mit dem Titel "Maggot Brain" greift Frank Popp neben "Going Going Gone" nochmal einen Song-Titel aus der Pop-Geschichte auf, ohne das Original als Vorlage heranzuziehen. "Maggot Brain" war der Album-Name und der zehnminütige Long-Track des gleichnamigen 1971er-Funkadelic-Werks vom Funk-Exzentriker George Clinton. Das Stück wird von einem psychedelischen E-Gitarren-Solo von Eddie Hazel durchdrungen, das dem in "Purple Rain" von Prince in nichts nachsteht. Mindblowing! "Maggot Brain" vom Frank Popp Ensemble ist allerdings gar nicht ausschweifend, sondern wurde sauber strukturiert abgeliefert. Irgendwo zwischen Folk- und Soft-Rock findet das Lied sein zu Hause und J Mahon zeigt sich wieder als wandelbar einsetzbarer Interpret, der dem Stück durch seine gedehnten Noten und den wehenden Schwingungen in der Stimme einen eigentümlichen, von gezügelter Leidenschaft geprägten Zustand verleiht.

    Bei "Common Stranger" ist erstmalig die Stimme von Audrey Ollesen, die aus der Kölner Mod-Szene stammt, auf einem Tonträger zu hören. Sie umhüllt die Komposition mit Würde und einem Gefühl von Beständigkeit. Vielleicht klingt er deshalb wie eine strahlende Hymne oder wie ein Anwärter auf die Eröffnungs-Nummer für einen James-Bond-Film.

    Der Glanz und die Glorie von feministischen Ausstrahlungen erfüllt viele Gesangsdarbietungen auf "Waves" mit Wärme, Erotik und Geschmeidigkeit. Ergänzende Gast-Schwingungen kommen vom Allrounder J Mahon, von Nicke Andersson, der herbe, kratzige, vom Leben gegerbte Töne aussendet und von Gerry Love, der mit seiner geschmeidigen Stimme um Sympathie wirbt.

    Mit "Waves" ist Frank Popp wieder eine reife Leistung gelungen. Er kombiniert bekannte und weniger bekannte Stimmen, sodass das Album schon alleine deshalb abwechslungsreich und vielschichtig klingt. Die Mischung aus langsamen und schwungvollen Songs bewirkt eine weitere aufmerksamkeitsfördernde Wirkung. Und die robuste, zeitlos niveauvolle Qualität der Songs ist ein Garant dafür, dass die Musik spannend und süffig erschallt. Das Frank Popp Ensemble schwimmt auf den unvergänglichen, beständigen Wellen, die große Musikerinnen und Musiker im Laufe der Zeit hinterlassen haben und die hier ihren frischen Widerhall finden. Wieder einmal wird die These von den Wellenbewegungen in der Pop-Musik bestätigt, die über Einflüsse, Referenzen und Retrospektiven ausgelöst werden, was die Entwicklung und Qualität der Musik vorantreibt. Genauso, wie es im Buch "Pop steht Kopf" erörtert wird.

    Popp ist ein Fuchs, er kennt sich aus und weiß, welche Töne was für Emotionen auslösen können. Frank orientiert sich nämlich vornehmlich an erprobten, bedeutenden Sounds, nicht an schnelllebigen Trends. Das trägt dazu bei, dass seine Lieder in sich stimmig, wertig und stimulierend erscheinen.
    Meine Produktempfehlungen
    • Frank Popp Ensemble Presents: Under Covers Frank Popp Ensemble Presents: Under Covers (LP)
    • Frank Popp Ensemble x Fünf Sterne Deluxe Frank Popp Ensemble x Fünf Sterne Deluxe (LP)
    • Shifting Frank Popp
      Shifting (LP)
    Cry Alone Dawn Brothers
    Cry Alone (CD)
    02.04.2025
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Kein Grund zum Weinen: Mit "Cry Alone" ist den Dawn Brothers ein großer Wurf gelungen!

    Es ist eine Form der Quadratur des Kreises, die das Dawn-Brothers-Quartet aus Rotterdam in den Niederlanden konzeptionell löst: trotz des Auslebens von maximalem Abwechslungsreichtum bewerkstelligen die Musiker einen einheitlichen, unverwechselbaren, originellen und wiedererkennbaren Auftritt.

    "Cry Alone" ist bereits das achte Album, auf dem die Dawn-Brothers-Musiker Rafael Schwiddessen (Schlagzeug), Bas van Holt (Gesang und Gitarre), Rowan de Vos (Keyboards und Gesang) und Tammo Deuling (Bass und Gesang) zu hören sind. Der Erstling "Staying Out Late" kam 2017 raus und "Late To The Party", der Vorgänger von "Cry Alone", stammt aus 2024. Die zwölf Stücke des neuen Werkes wirken allesamt ausgereift, wurden wendig und kunstfertig arrangiert und strahlen neben entschlossener Leidenschaft auch eindringliche Empathie aus.

    Die Eröffnungsnummer "Do Me Wrong" ist ein stabiler Southern-Rock, der psychedelische Elemente injiziert bekam, mit elektrisierenden Gitarren-Beigaben protzt, aber auch eine gehörige Portion Soul und Funk vorweisen kann. Unnachgiebige Wucht und zehrendes Verlangen kennzeichnen das emotionale Spektrum dieser intelligenten, packenden Komposition, die voller gemischter Gefühle steckt. Kein Wunder, denn die Lebenssituation der Erzählfigur ist angespannt, weil seine Beziehung vor einer Zerreißprobe steht ("Es ist mir egal, ob wir uns versöhnen oder streiten").

    Auch bei "Can't Let You In, Can't Let You Out" geht es um schwierige Entscheidungsfindungen. Auf diesen sprudelnden, positiv aufgeladenen Track wäre selbst Tom Petty stolz gewesen, hätte er ihn verfasst. Aber dieser schwungvolle Power-Pop ist ein Eigengewächs der Dawn Brothers.

    Eine elegante Surf-Gitarre, klagender Gesang, eine große, weit ausholende Melodie und schmachtende Background-Stimmen sind die Hauptbestandteile des bitter-süßen, sinnlich schmachtenden "I Will Never Hold Your Heart Again". Ein gebrochenes Herz bestimmt die Poesie, die das Liebesleid plastisch erscheinen lässt ("Je heißer das Feuer, desto größer die Verbrennung").

    Männer weinen nicht, denn das wird als Schwäche gedeutet. So lautet jedenfalls ein weit verbreitetes Vorurteil. Dieser Sichtweise ist sich auch der Protagonist aus "I Cry Alone" bewusst. Er weint heimlich, zum einen, weil ihm die frustrierende Partnerschaftssituation an die Nieren geht, zum anderen, weil er sich seinem Umfeld gegenüber keine Blöße geben möchte. Das Lied offenbart sowohl Pop- als auch Country- und Soul-Wurzeln und wäre in den 1960er- oder 1970er-Jahren aufgrund seines eingängig-sympathischen und Melodie-verliebten Charakters wahrscheinlich ein verlässlicher Radio-Hit geworden.

    Der treibend-energische, stampfende Rhythm ’n’ Blues von "Seven Year Itch" erinnert sowohl an Little Feat ("Spanish Moon") und The Band ("Don`t Do It") als auch an Ashton, Gardner & Dyke ("Resurrection Shuffle"). Er bestätigt die These, dass es bei einem in die Beine gehenden Song vor allem auf einen hypnotischen Groove, eine einprägsame Melodie und einen Killer-Refrain ankommt. Das Stück erzählt im Grunde genommen davon, dass das Leben leider häufig nicht so abläuft, wie man es sich erhofft. Und davon, dass der Status einer Beziehung in beiden Händen liegt und selten nur eine Person vollständig für das Scheitern verantwortlich ist.

    "Don't You Weep" stellt sich als listiges, von innerer Spannung angetriebenes Objekt heraus. Das Lied startet unspektakulär-abwartend als ein auf der Lauer liegender Pop, der ein aufmüpfiges Funk-Glitzern in den Augen vorweist. Der Track biegt mehrfach in Richtung einer einschmeichelnden Ballade ab, als wäre Sir Elton John zu Besuch gekommen. Die Emotionen wogen hin und her, Harmonie wechselt sich mit Unruhe ab, was der Klang-Schöpfung zusätzliche Individualität verleiht. Und die Moral der geschilderten Geschichte ist: Wenn aufgrund von verzehrender Liebe Freundschaften vernachlässigt werden, kann das eventuell zu großem Verdruss führen.

    Und wenn aus Liebe Hass wird, dann ist das eine aufwühlende, traurige, zumal auch langfristig an den Nerven nagende Angelegenheit. Davon berichtet "Let It Bleed". Das Stück wird von einem dringlich auftrumpfenden Afro-Beat-Rhythmus getragen, der von Fela Kuti stammen könnte und hier als motivierender Impuls für Feuer unter der Oberfläche des undurchsichtigen Thriller-Jazz-ähnlichen Gebildes sorgt.
    Man sollte trotz Stress und Belastung nicht aufhören, an sich selber zu denken und im Zweifel einen Gang zurückschalten. Diese Binsenweisheit ist das Thema von "Live A Little". Der Song ist musikalisch in einer Pop-Periode angesiedelt, in der sich der teilweise komplex arrangierte Country-Rock allmählich in Richtung Soft-Rock orientierte. Also etwa Anfang bis Mitte der 1970er-Jahre. In dieser Übergangsphase entstanden Bands wie Firefall, Pure Prairie League, Ozark Mountain Daredevils oder The Amazing Rhythm Aces. Diese Entwicklung ist auch die Geburtsstunde des Yacht-Rocks, mit Vertretern wie Seals & Crofts, Kenny Loggins oder Michael McDonald.

    Entsprechend spielt sich "Live A Little" in einem Umfeld ab, das für einen milden, aber griffigen Groove sorgt, Leichtigkeit und Unbeschwertheit verbreitet und einen schönen Kontrast zwischen künstlerischer Verspieltheit und harmonischer Behaglichkeit darstellt.

    Was macht man nicht alles, um eine Frau zu beeindrucken? In diesem Fall werden Bücher von F. Scott Fitzgerald, J.D. Salinger und Stephen King ausgeliehen, um bei der Bibliothekarin Eindruck zu schinden. Um "Jack Of All Trades" bei Laune zu halten, quengelt der Bass permanent und versucht, sich auf diese Weise gegen den teils aufgeregten, teils beschwichtigenden Gesang durchzusetzen.

    Zwischendurch faucht die E-Gitarre kurz wütend und die Rhythmik agiert hyperaktiv.

    Hinsichtlich des Tempos überholt "Humble Call" seinen flotten Vorgänger "Jack Of All Trades" und plustert sich gekonnt, effektiv und mitreißend als selbstbewusster Voodoo-Blues-Pop auf. Inhaltlich geht es nicht so temperamentvoll zu, denn die beschriebene Trennung hat beim Verlassenen förmlich zum "Broken-Heart-Syndrom" geführt ("Du hieltest mein Herz. In der Handfläche deiner Hand. Du nahmst es weg. Und du hast mich im Graben liegen lassen").

    In einem herausforderndem Mid-Tempo-Fake-Karibik-Sound ertönt das stilistisch unscharf gestaltete, sich mondän dahinschleppende "You Know Why" in einer überwiegend trüben Umwelt. Phasenweise klingt das verschreckt oder mahnend. Der Text kündigt eine menschliche Tragödie an, lässt das Ende aber offen.

    Gesanglich gibt es bei "I Don't Think I've Ever Really Had It" schon recht bald eine Kehrtwende. Das Stück beginnt mit einer Stimmlage, die an den nachdenklich-dunklen Tonfall von Mark Lanegan erinnert, der sich aber zunehmend in eine hellere, euphorische Variante verändert. Der Track ist im Prinzip aufgrund seiner schillernd-verspielten Abläufe und den unorthodoxen Tempo- und Dynamik-Wendungen dem Psychedelic-Rock zuzuordnen. Ein voran eilender Swing lässt jedoch nicht zu, dass sich Drogen-schwangere Ego-Tripps verselbständigen könnten. Die Kompaktheit der Komposition ist der Band nämlich wichtiger als eine improvisatorische Fantasie-Auslebung. Aber was ist es eigentlich, was der Protagonist vermisst und letztlich für einen Trugschluss hält? Ist es die wahre Liebe oder das totale Glück? ("Ich habe nach etwas gesucht, das nicht existiert. Also liegt es an mir, ob ich frei sein werde").

    "Cry Alone" beschäftigt sich oft mit tragischen Zweierbeziehungen, schaut ins Innere und hat ein Herz für die Gescheiterten. Das Album steckt voller Überraschungen, ist stilistisch nicht nur einer Sparte zuzuordnen und glänzt mit einem Füllhorn an Ideen. Es kann eine transparenten, aber dennoch vollen Sound und instrumentelle Reize vorweisen, die die Songs zu ganz besonderen Leckerbissen werden lassen. Grade auch wegen der vielen Bezüge zur Pop-Historie. Und der Sänger Bas van Holt hat für sich eine Ausdrucksform gefunden, die jede gewünschte Gefühlslage optimal abdeckt. Dabei spielt es keine Rolle, ob er die vorhandene Grundstimmung bestätigt oder einen Gegenpol dazu bildet. Er meistert jede Herausforderung (zeitweise mit Unterstützung seiner den Raum füllenden Gesangs-Kollegen) souverän, ohne emotionale Brüche. Dabei ist es egal, in welchem Gebiet oder in welcher Stimmung die Gruppe grade unterwegs ist.

    Für Anhänger und Anhängerinnen des anspruchsvollen, ausgereiften, Genre-sprengenden Pop ist "Cry Alone" sicher eine willkommene Bereicherung des Horizontes und ein höchst befriedigendes Hör-Vergnügen. Tolle Band, tolle Platte!
    Meine Produktempfehlungen
    • Alpine Gold Dawn Brothers
      Alpine Gold (LP)
    • Double Cream DeWolff & Dawn Brothers
      Double Cream (LP)
    • Classic Dawn Brothers
      Classic (LP)
    • Stayin' Out Late Dawn Brothers
      Stayin' Out Late (CD)
    • Double Cream Double Cream (CD)
    Spirits The Devil Makes Three
    Spirits (CD)
    02.04.2025
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Das Thema Geister und Tod zieht sich wie ein roter Faden in unterschiedlichen Ausprägungen durch "Spirits", dem aktuellen Album von The Devil Makes Three.

    Die Beschäftigung mit spirituellen Gedanken kommt nicht von ungefähr, denn innerhalb von vier Jahren verlor der The-Devil-Makes-Three-Musiker Pete Bernhard seine Mutter, seinen Bruder und seinen engsten Freund aus Kindertagen. Neben diesen persönlichen Einflüssen findet man auch Aussagen zur politischen Lage und der Spaltung der Gesellschaft in den Texten der Songs auf "Spirits".
    Die Redewendung "The Devil Makes Three" kann bedeuten, dass eine zusätzliche dritte Person in einer Zweierkonstellation Unheil auslösen kann. In solch einer Beziehung wird die dritte Person sinnbildlich auch als Teufel angesehen, der für Versuchung oder Sünde steht. Entsprechend sind die Themen von The Devil Makes Three oft auf die problematischen Seiten des Daseins ausgerichtet. Als musikalische Untermalung orientiert man sich dabei am weiten Americana-Umfeld, also hauptsächlich an Folk, Country und Blues. Aber gerne zitiert man auch Einflüsse aus Pop, Punk, Soul, Funk und Jazz, was die Kompositionen offen und reizvoll klingen lassen.

    Im Jahr 2016 brachte das muntere, vielfältig begabte und interessierte Dreier-Gestirn die Cover-Versionen-Platte "Redemption & Ruin" heraus. Eine Studio- und eine Live-Aufnahme später erscheint am 28. Februar 2025 nun ihr siebentes Studio-Werk "Spirits". Pete Bernhard (Gesang, Gitarre, Kompositionen), Lucia Turino (Kontrabass) und Cooper McBean (Gesang, Saiteninstrumente, Kompositionen) gründeten die Band bereits im Jahr 2002 in Santa Cruz (Kalifornien), und sie veröffentlichten im selben Jahr auch ihr Erstlingswerk. Inzwischen hat MorganEve Swain die Rolle als singende Bassistin von Lucia Turino übernommen. Bei den Aufnahmen zu "Spirits" waren außerdem noch Stefan Amidon am Schlagzeug und Piano als festes Band-Mitglied und Ted Hutt (Percussion) als Gast dabei. Wenn man die besonderen Kennzeichen der erzeugten Musik mit nur einem Begriff beschreiben sollte, dann passt "lebhafte und gefühlsechte Spielfreude" sehr gut zu den verbreiteten Schwingungen.

    "Lights On Me" dreht sich vermutlich ums Sterben. Engel und Hexen tauchen auf und es geht darum, was passiert, wenn der letzte Atemzug den Körper verlässt. Bedeutet dieses Ende auch ein Tor zu einem neuen Anfang? Der Takt des Liedes ist an den Gypsy-Swing angelehnt, geht aber auch als Folk-Funk durch. Die Musiker lassen sich also vom traurigen Thema nicht ins rhythmische Boxhorn jagen und verbreiten Lebenslust. Wahrscheinlich, weil dem jüngsten Gericht sowieso niemand entkommen kann. Warum also nicht vorher noch Spaß haben?
    Der Song "Spirits" setzt sich ausdrücklich mit den Verlusten der geliebten Menschen von Pete Bernhard auseinander. Er sucht nach Antworten, verständigt sich mit den Geistern der Verstorbenen und sieht das als Versuch an, weiter mit den Toten in Kontakt bleiben zu können. Eine knackige Country-Twang-Gitarre wird zur Übermittlung der niederschmetternden Gefühle in ein verschlepptes Tempo eingebettet, der Kontrabass spielt dazu die ganze Palette dunkler Gedanken aus und ein schepperndes Tamburin erinnert trotz der Trauerarbeit schemenhaft an die Sternstunden gemeinsamer Erlebnisse. Petes Stimme wirkt gefasst, ist aber von den Gedanken an die Verluste gezeichnet.

    Ein flottes Country & Western-Tempo bildet die Basis für "Ghosts Are Weak". In dem Song wird beklagt, dass die Kommunikation mit der Welt der Dahingeschiedenen nicht immer für Trost sorgen kann. Als Ersatz dafür müssen dann unter Umständen Drogen herhalten. Die Verwirrtheit in einem Leben mit der Sucht bestimmt daraufhin den Textinhalt. Es wird aber auch eine Dankbarkeit für das Erleben von guten Zeiten betont.

    Die Zeiten werden für die produktive Mittelschicht immer härter - nicht nur in den USA. Politisch wird eine rosige Zukunft verkauft, aber die Realität gibt eine andere, schwierige Situation frei. "Half As High" verweist auf zunehmend rauere Umgangsformen und zeichnet ein Bild einer verängstigten Gesellschaft ("Wir schalten besser einen Gang runter, aus Angst, dass alles zusammenbricht"). Als Konsequenz aus der veränderten Umwelt droht Realitätsverlust ("Wie kommt es, dass wir die Träume von jemand anderem träumen?"). Ein swingender Country mit Jazz-Nähe verhilft dem Lied zu einer gewissen abgebrüht-gleichgültigen Stimmung, die die trüben Aussichten erträglich gestaltet.

    Die Missstände der Inflation, der ungerechten Bezahlung und des Betrugs durch Menschen, die Notlagen ausnutzen, werden in "Hard Times" aufgegriffen. Diese dunkle Mountain-Folk-Ballade geht an die Nieren, ist transparent instrumentiert und trotzdem atmosphärisch dicht umgesetzt worden.

    Manchmal kann man sich noch so sehr anstrengen, um ein Ziel zu erreichen, aber es liegen einfach zu viele Hindernisse im Weg, sodass der angestrebte Plan nicht aufgeht. "The Devil Wins" beschreibt diesen Zustand des Scheiterns, die Musik vermittelt als Kontrast dazu eine selbstsichere Einstellung, bei der Aufgeben keine Option darstellt. Die Rhythmusabteilung sorgt für einen ausgelassenen Schwung, der sich auf alle Beteiligten überträgt. Das ist eine Strategie, um die bösen Geister der negativen Vorsehung besiegen zu können.

    Die ergreifende Folk-Pop-Ballade "The Dark Gets The Best Of You" blickt tief in die Seele und stellt unter anderem die Frage, unter welchen Umständen wir den ersten Stein werfen würden, wenn es um die Brandmarkung eines Menschen geht: "Sie verteilen kostenlose Steine. An alle, die reinen Herzens sind. An jeden mit Feuer in den Augen, der den Krieg beginnen sehen will."

    Lebendig, spritzig, aufrüttelnd und energiereich kommt "Fallen Champions" daher. Der Song lässt keinen Zweifel daran, dass Musik in jeder Lebenslage und egal, welche Inhalte vermittelt werden, euphorisierend und kraftspendend sein kann. Dieses Country-basierte Konstrukt groovt jedenfalls unwiderstehlich, nicht unbändig, dafür aber hypnotisch, was tief unter die Haut kriecht. Das Stück ist ein Loblied auf alle, die sich für andere eingesetzt, aber keinen Ruhm geerntet haben: "Die Geschichte zeigt nicht die gefallenen Champions. Alle, die kämpften, damit wir den Glanz der Sonne spüren können. Es sind die, die ihr nie kennen werdet."

    "The Gift" beinhaltet Bezüge zur ägyptischen Mythologie. Es finden Osiris, der Gott des Todes und der Unterwelt, sowie Isis, die Göttin der Geburt und Wiedergeburt und auch Seth, der Gott des Chaos und Verderbens, in dem bizarren Text Erwähnung. Passend dazu wird ein cooler Voodoo-Blues geboten, der sowohl eine melodische Raffinesse vermittelt als auch eine geheimnisvoll zurückhaltende Atmosphäre verbreitet.
    Ein beweglich-zügiger Bluegrass-Sound, der von Geige und Banjo angetrieben wird, findet seine Erfüllung in "Divide And Conquer". Eine Aussage des Liedes ist, dass alles besser ist, als Krieg gegeneinander zu führen: "Kommt jetzt, lasst uns all diese Kriegslieder singen. Solange niemand mehr kämpfen oder sterben muss."
    Wenn die Geister, die man rief, die Kontrolle übernehmen, dann hat man ein Problem: "I Love Doing Drugs" schildert ironisch-bizarr die fatalen Folgen, wenn Drogen das Leben bestimmen und sich die Realität immer mehr verzerrt. Der locker ablaufende Country-Folk-Sound täuscht darüber hinweg, welche Hölle sich inhaltlich auftut.

    Unter der cremigen Oberfläche von "Poison Well" passiert eine Menge an akustischen Kabinettstückchen und der Klang verbreitet eine wohlige, karibische Leichtigkeit. Die Lead-Gitarre agiert leicht und locker wie ein Schmetterling an einem Sommermorgen, und die Rhythmus-Gitarre bringt einen milden Funk-Groove ein. Der Kontrabass brummelt gemütlich vor sich hin, wie Balu der Bär im Dschungelbuch, und das Schlagzeug verhält sich so dezent, dass es mehr zu ahnen als zu hören ist. Dieses Gebilde klingt sehr delikat und Pete Bernhard adelt es mit seinem besonnen-weisen Gesang. Die Wörter lassen unterschiedliche Interpretationen ihrer Bedeutung zu: gescheiterte Liebe, Drogenmissbrauch mit Abrutschen in die Kriminalität und schließlich die Ermordung der Geliebten.

    Die Hillbilly-Ballade "Holding On" wird von einer leidenden Fiedel und von stoisch den Takt vorgebenden akustischen Gitarren bestimmt. Beide Elemente sorgen dafür, dass die Geschichte, die vom Tod und vom Leiden erzählt, authentisch untermalt wird. Letztlich geht es im Leben darum, durchzuhalten, koste es, was es wolle. Das ist zumindest die Grundhaltung des Trios ("Oh, eines Tages wird alles, was ich liebe, weg sein. Ich glaube nicht an Zufall. Ich glaube nicht an das Schicksal. Ich glaube einfach daran, durchzuhalten.")
    The Devil Makes Three haben einen Sound kultiviert, der gleichzeitig traditionelle Werte hochhält und sich dabei zeitgemäß-flexibel anhört. Die Musiker biedern sich an keine Mode an, wirken glaubwürdig und stehen mit allen sechs Beinen tief im musikalischen Vermächtnis der USA. Die Säulen der Kompositionen und Arrangements bestehen aus folgenden Bestandteilen: Die Lead- und Background-Stimmen sind verantwortlich für den ausgewogenen und stimmigen Sound, selbst in einem aufgewühlt-spritzigen Milieu. Die Instrumentierung ist hochwertig, abwechslungsreich und sehr songdienlich, gradezu virtuos. Die Textstrukturen beweisen Charakter, liefern Themen zum Nachdenken, sind poetisch verschlungen und dabei intelligent ausformuliert. Die Musiker stehen den hochgelobten Studio-Cracks aus Nashville hinsichtlich Kreativität und Fingerfertigkeit in nichts nach.

    The Devil Makes Three haben mit "Spirits" eine durchgängig interessante Platte an den Start gebracht, die allen Americana-Liebhabern wärmstens empfohlen werden kann.
    Meine Produktempfehlungen
    • I'm A Stranger Here The Devil Makes Three
      I'm A Stranger Here (CD)
    • Longjohns Boots & A Belt The Devil Makes Three
      Longjohns Boots & A Belt (CD)
    • Redemption & Ruin The Devil Makes Three
      Redemption & Ruin (CD)
    • Chains Are Broken The Devil Makes Three
      Chains Are Broken (CD)
    • The Devil Makes Three The Devil Makes Three (CD)
    • Do Wrong Right Do Wrong Right (LP)
    Phonetics On & On Horsegirl
    Phonetics On & On (CD)
    02.03.2025
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Die drei Horsegirl-Damen präsentieren bissigen Pop mit attraktiven Widerhaken.

    Für Bands ist es manchmal eine Herausforderung, ihre Live-Energie auch bei Studio-Aufnahmen abzurufen und umzusetzen. Horsegirl ist ein Damen-Trio aus Chicago, das aktuell in New York lebt. Die Musikerinnen kehrten im Januar 2024 in ihre Heimat zurück, um unter Anleitung der Musikerin und Produzentin Cate Le Bon das zweite Album aufzunehmen. Die bittere Kälte, die bei den Sessions herrschte, zwang die Horsegirls dann zu einer erhöhten Konzentration und förderte zudem die innige Teamleistung.

    In dieser angespannten, aber auch liebevoll betreuten Situation entstanden elf Songs, die aufgrund ihrer Dichte und Energie tatsächlich die Spontanität eines Konzertes erahnen lassen. Wenn unbekümmertes Drauflosspielen auf leidenschaftlich-lustvolle, hypnotische Rhythmik trifft, dann fliegen Funken, die Endorphine freisetzen. Wenn dann noch beim Komponieren ein Hang zu simpel-griffigen Melodien sowie einprägsamen Refrains vorliegt, dann entstehen Songs, deren unpolierter, authentischer Do-It-Yourself-Charme pure Freude auslösen kann.

    Die Ideenfindung von Penelope Lowenstein (Gesang, Gitarre), Nora Cheng (Gesang, Gitarre, Bass) und Gigi Reece (Schlagzeug) ist unter anderem am rumpelig-kantigen Punk der Raincoats, am intelligenten Post-Punk von Pavement, am edlen, minimalen New Wave der Young Marble Giants und am experimentellen Underground-Rock von Sonic Youth geschult worden. Das Trio bleibt aber nicht beim achtlosen Kopieren stehen, sondern überführt die gewonnenen Eindrücke in eine individuelle Sichtweise. Eindeutig dominiert dabei ein Sound, der spontan entworfen zu sein scheint und in der Gunst der Musikerinnen auf jeden Fall vor einer kalkulierten Präzision steht.

    Mit diesem Einblick in die zu erwartende Musik kann man dem Album nun unverkrampft begegnen und die gewollte Unvollkommenheit als Teil des Konzeptes akzeptieren und unter Umständen sogar lieben lernen.

    "Where'd You Go?" ist gleich zu Beginn ein prächtiges Beispiel für die freche und lockere Umsetzung von Inspirationen aus der Pop-Geschichte. Horsegirl gehen dabei furchtlos, ohne Berührungsängste vor und setzen ihre Anregungen originell aus diversen Eingebungen zusammen. Bei diesem Stück hat der suggestiv-primitive Rhythmus seinen Ursprung beim vom Funk beeinflussten Rock ’n’ Roll von Bo Diddley. Die verwendeten E-Gitarren-Sounds lassen hingegen an zwei Phasen von The Byrds denken: den flirrenden, optimistisch gestimmten Folk-Rock ("I`ll Feel A Whole Lot Better") und den psychedelischen Garagen-Rock, mit dem sie "Eight Miles High" über dem Boden schwebten.

    Ohne einen The Velvet Underground-Vergleich kommt keine Band aus, die reduzierte Rhythmen, stoisch klirrende E-Gitarren und trockene Folk-Harmonien verwendet. Das sind jedenfalls genau die Zutaten, die "Rock City" zu einem Song werden lassen, bei dem Unschuld und Leidenschaft heftig miteinander konkurrieren und um die Gunst der Hörenden ringen.

    Eine besonders charmante Form von Coolness entwickelten die Young Marble Giants im Jahr 1980 auf ihrem einzigen Album "Colossal Youth". Von dieser Errungenschaft profitieren Horsegirl unter anderem auf "In Twos": Ein monotones Minimal-Art-Sound-Design trifft hier nämlich auf melodische Leichtigkeit und Aufsässigkeit im Gesang.

    Bei "2468" spielt zunächst eine Geige, die leicht angeschrägt schunkelnd zum Tanz aufspielt, eine Hauptrolle. Sie wird jedoch bald von einer mehrstimmigen Gesangseinlage unterbrochen, die herumalbernd einen Kanon-artigen Stimmen-Sog-Effekt erzeugt. In einem Wall-Of-Sound-ähnlichen Klangwirbel schaukelt sich der Song danach hoch und bekommt mächtige Dauer-Akkorde verordnet, die ihn bis zum Ende begleiten.

    Die Grundidee von "Well I Know You're Shy" ist eine alternative Übermittlung von fröhlichem Bubblegum-Pop. Horsegirl übersetzen dieses Anliegen in einen von beherztem Rhythmus angetriebenen Garagen-Rocker, der mit feurigen E-Gitarren-Tönen bei Laune gehalten wird.

    "Julie" lässt das Bass-Herz bis zum Hals schlagen. Die E-Gitarren erzeugen Sternschnuppen-Töne, die nur kurz aufleuchten und schlagen unerwartete Haken. Penelope Lowenstein füllt diese funkensprühend-liebevolle Ballade mit ihrem weisen, beruhigend-erzählerischen gesanglichen Talent aus, mit dem unter anderen auch Bill Callahan gesegnet ist.

    Mit "Switch Over" folgt ein energiegeladener Power-Pop, der von seiner instrumentalen Vitalität lebt. Textlich ist der Song dagegen eher einer limitierten Sprache unterworfen worden: Aus den Worten "umschalten", "ausschalten", "sagen" und "Was du sagen wolltest" besteht der ganze Text.

    Für "Information Content" finden die Ästhetik von sich permanent wiederholenden Abläufen, einem scheppernden Schlagzeug und widerborstigen Gitarren, die um die Wette kratzen, zusammen.

    "Frontrunner" ist ein bis aufs Skelett reduzierter Country & Western-Song, der wie selbstverständlich eine kitschfreie Lagerfeuer-Romantik verbreitet.

    Mit "Sport Meets Sound" veröffentlichen Horsegirl einen munter swingenden Folk-Jazz mit Tiefgang, bei dem sich eine kunstvolle atmosphärische Dichte und punkige Ausbruchsversuche begegnen.

    "I Can't Stand To See You" kommt hinsichtlich des schwungvollen Ablaufs und einer kontrollierten Süße in der Melodie von allen Songs auf "Phonetics On And On" einem klassischen Pop-Song am nächsten und bietet sich deshalb als Single-Auskopplung an.

    Somit zeigt "Phonetics On And On" eine relativ große stilistische Bandbreite. Gleichwohl bleiben Horsegirl sich und ihrem ungeschliffenen Sound trotz des transparenten, klaren Klangbilds stets treu.

    Die Frauen gründeten ihr Trio im Jahr 2019 in Chicago, Illinois. 2020 veröffentlichten sie ihre erste EP ("Horsegirl: Ballroom Dance Scene et cetera"), auf die das Label "Matador" aufmerksam wurde. 2022 brachten die Frauen dort ihr erstes Album mit dem Namen "Versions Of Modern Performance" heraus, das sehr gute, teils begeisterte Kritiken erhielt (unter anderem viereinhalb Sterne bei allmusic.com).

    Mit "Phonetics On And On" optimieren sie sich - obwohl der Erstling eine hohe Messlatte vorgibt - auf ganzer Linie: Die Songs kommen noch mehr auf den Punkt, Soli unterstreichen dabei die Griffigkeit und Attraktivität der knackig auftrumpfenden Stücke. Der Gesang ist noch verständlicher in den Vordergrund gemischt worden und wirkt anziehend-reizvoll, ist dabei voller Wagemut, der erotische Zwischentöne zulässt. Die Musikerinnen erfinden eine Konzeption, bei der ihre Schöpfungen zeitlos ruppig daherkommen. In jeder (Schräg)-Lage tritt stets auch ein versöhnlicher Kern zutage. So funktioniert bissiger Pop mit attraktiven Widerhaken!
    Meine Produktempfehlungen
    • Versions of Modern Performance Horsegirl
      Versions of Modern Performance (CD)
    • Versions Of Modern Performance (Purple Vinyl) Horsegirl
      Versions Of Modern Performance (Purple Vinyl) (LP)
    Cowards Squid
    Cowards (CD)
    02.03.2025
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Die schwierige dritte Platte: Squid erweisen sich mit "Cowards" als kreative Klang-Forscher auf riskanten Wegen.

    Das Quintett Squid, das 2016 in Brighton gegründet wurde, scheint mit ihrem dritten Album "Cowards" nach Orientierung zu suchen. Es ist uneinheitlich-vertrackt ausgefallen, verzichtet weitestgehend auf längere Melodiebögen und auf markante, herausstechende Tracks. Vor allem aber ist das Werk herausfordernd, originell und auf eine köstliche Art widerspenstig. Es hinterlässt den Eindruck eines tragisch-bizarren Schauspiels in neun Akten, das nicht durch ausschweifende Aggressionen provoziert, sondern durch sperrige, zerrissen wirkende Musik. Die Incredible String Band ist mit ihrem Tanztheater-Werk "U" 1970 auch solch einer Herausforderung gefolgt und die dritte, ungewöhnliche Platte der Dexys Midnight Runners ("Don`t Stand Me Down", 1985) sorgte ebenfalls für Verwirrung bei den Fans. Zwei Beispiele für eine mutige, aktive Auseinandersetzung mit dem eigenen Werk und der künstlerischen Entwicklung. Squid stehen nun auch an solch einer Position, die richtungsweisend für ihren weiteren Weg ist.

    Inhaltlich setzt sich die Band mit dem Bösen, der Verblendung und dem Zweifel auseinander, die in unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden. "Crispy Skin" spielt in einer Welt, in der Kannibalismus einen regulären Platz in der Gesellschaft hat. Der Sänger und Schlagzeuger Ollie Judge vermutet, dass er in diesem Konstrukt die Rolle eines Feiglings einnehmen würde, was zum Beispiel einen Bezug auf den Album-Titel darstellt. Der Synthesizer erzeugt zu Beginn Töne, die an wild gewordene Insektenschwärme erinnern. Bass und Schlagzeug übernehmen dann mit massiven, eiligen Beiträgen die Führung, und Ollie singt, als wolle er jemandem durch seinen seltsamen Gesang Angst einflößen oder ihn intensiv manipulieren. Tempo, Instrumentierung und Dynamik sind hier keine festen Größen, wodurch der Track in rauschhafte Gefilde eintaucht.

    "Building 650" atmet zwischendurch orientalische Luft, ohne Weltmusik zu sein. Ein experimenteller Art-Rock-Ansatz behält die Oberhand und zerstört alle Rock-Konventionen - so wie es typischerweise von Squid erwartet wird. Aber der Song versinkt dadurch nicht in Anarchie, sondern baut eine individuelle, bröckelige Melodik auf. Es geht ganzheitlich um die Bewältigung von Konflikten. Textlich steht die Beziehung zu einem Menschen mit schlechtem Charakter im Vordergrund.

    "Blood On The Boulders" lässt die Morde der Charles-Manson-Gefolgsleute an der schwangeren Schauspielerin Sharon Tate und ihren Freunden am 9. August 1969 in Los Angeles aus der Sicht eines unbeteiligten Beobachters aufleben. Das Stück beginnt mit lyrisch-empathischen, sich hypnotisch wiederholenden Passagen, die die Einleitung zu einer sich bis in den Irrsinn hinein steigernden Sequenz bilden. Plötzlich fällt alles in sich zusammen und die bedrückende Intimität lässt einen schaudern.

    Für "Fieldworks I" wird der Klang eines manipulierten Cembalos prominent herausgestellt. Der Klassik-Mief, der ursprünglich mit dem Instrument verbunden ist, wurde dabei eliminiert, sodass die Töne jetzt wie eine Mischung aus Xylophon und E-Piano klingen. Im letzten Drittel ziehen bedrohliche Streichinstrumente auf, die die Exotik verdrängen und für Panikstimmung sorgen.

    Das Klicken in "Fieldworks II" suggeriert eine übermäßig schnell dahinfließende Zeit, was durch den eher schläfrig-nachdenklichen Gesang abgefedert wird. Die Rhythmik ist zäh, während Geigen und Saiteninstrumente Schwung aufnehmen. Zum Ausklang folgt eine Phase, die beinahe zum Stillstand führt. Der Kontrast ist Kalkül und gehört in diesem Fall zum variablen Programm.

    "Cro-Magnon Man" ist die Bezeichnung für den anatomisch modernen Menschen des westlichen Eurasiens, der in der Zeit von vor 45.000 bis vor etwa 12.000 Jahren lebte und für uns in gewisser Hinsicht ein Vorfahre ist. Aber sein Gehirn hat sich womöglich aufgrund von Veränderungen in der Ernährung oder Lebensweise nicht so stark entwickelt wie das des Homo-Sapiens und deshalb konnte er keinen dauerhaften Platz in der Evolution beanspruchen. Aber vielleicht wäre er aufgrund von anderen geistigen Fähigkeiten nicht so egoistisch mit seiner Umwelt und seinen Mitmenschen umgegangen, wenn er nur eine Chance gehabt hätte. Für das Lied begeben sich die Squid-Musiker quasi auf einen musikalischen Abenteuer-Spielplatz, auf dem der Einsatz von unkonventionellen Klängen zum guten Ton gehört. Neben diesem Gebot verfügt der Song noch über eine stabile Melodieführung, die jegliche Extravaganz ausgleicht und entschärft.

    Das titelgebende Stück "Cowards" ist emotional dreigeteilt. Der erste Teil bleibt unverbindlich, wobei eine verwaschene, neblig-intime Atmosphäre mit schwirrenden Zwischentönen erzeugt wird. Es folgt ein durch Soul-Bläser und -Stimmen lebendig gehaltener Abschnitt. Der Track klingt danach durch einen Mix aus den ersten beiden Darstellungen aus.

    "Showtime!" präsentiert sich angriffslustig, setzt dazu alternative Funk-Spielarten und Minimal-Art-Rhythmen ein, die sich im Verbund gegenseitig anstacheln und den Song, der sich mit "Ausbeutung, Ego und Missbrauch" befasst, auf diese Weise brodeln lässt.

    "Well Met (Fingers Through The Fence)" entzieht sich vollständig der Einordnung in irgendwelche Stil-Kategorien. Die verwendeten Bestandteile werden ineinander verschoben zusammengesetzt. Von zärtlich bis stressig, intim bis opulent, gleichförmig bis verwirrend sind viele Schattierungen dabei. Der Song erkundet laut Gitarrist Anton Pearson die "Beziehung zur Landschaft und zu allen Dingen, die uns am Herzen liegen".

    Sind das noch (im weitesten Sinn) Pop-Songs oder handelt es sich bei den Stücken von "Cowards" um Klang-Installationen? Wenn man schon eine Umschreibung sucht, dann trifft wohl der Begriff "Kunstlied" ganz gut auf die Kreationen zu. Neben Bands wie Black Country, New Road gehören Squid zur Speerspitze junger und mutiger britischer Avantgarde-Rock-Formationen, die ihre Ideen clever und fantasievoll in Szene setzen können. Das führt dazu, dass trotz spielerischer Experimentierlust ein hoher Unterhaltungswert gewährleistet ist und erhalten bleibt.

    Es ist angebracht, dass "Cowards" zunächst mit Kopfhörern genossen werden sollte, damit alle Nuancen wahrgenommen und in einen Zusammenhang gebracht werden können. Das ist anspruchsvoll, aber es lohnt sich, sofern man sich auf komplexe Musik einlassen mag. Als der Vorgänger "O Monolith" am 9. Juni 2023 veröffentlicht wurde, war "Cowards" schon formal fertiggestellt gewesen. Das Album hat also einen relativ langen Reifeprozess hinter sich und hält für Neugierige eine Menge Überraschungen und Ideen bereit.
    Meine Produktempfehlungen
    • O Monolith Squid
      O Monolith (CD)
    • O Monolith (Limited Edition) (Transparent Blue Vinyl) Squid
      O Monolith (Limited Edition) (Transparent Blue Vinyl) (LP)
    • Bright Green Field Squid
      Bright Green Field (LP)
    Soundtrack For A Movie That Has Not Been Written Yet (180g) Rikas
    Soundtrack For A Movie That Has Not Been Written Yet (180g) (LP)
    02.03.2025
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5
    Pressqualität:
    4 von 5

    Frischer Pop für jung gebliebene Erwachsene.

    Jetzt ist es auch mal genug! Mit der nassen Kälte und der abgestorbenen Vegetation. Es wird Zeit für den Frühling! Da kommt der "Soundtrack For A Movie That Has Not Been Written Yet" von Rikas genau richtig. Die Kunst, Easy-Listening-Musik zu erschaffen, die eingängig und zugleich herausfordernd ist, was die Konstruktion von komplexen Strukturen angeht, sollte nicht unterschätzt werden. Rikas befinden sich hinsichtlich dieser Art der Schöpfung von Unterhaltungsmusik auf den Spuren von Burt Bacharach und Sergio Mendes.

    Im Frühjahr 2016 fanden sich Sascha Scherer (Gesang, Gitarre, Keyboards), Sam Luca Baisch (Gesang, Bass), Ferdinand Hübner (Gesang, Schlagzeug) und Chris Ronge (Gesang, Gitarre) zusammen (die alle aus der Nähe von Stuttgart stammen), um unter dem Namen Rikas gemeinsam Musik zu machen. Besondere Kennzeichen: von den Beatles beeinflusste Harmonien, gepflegt-bewegliche Rhythmen, wechselnde Lead-Stimmen und gekonnter mehrstimmiger Gesang. Bei dieser Kombination kommt der von der Band selbst als "Swabian Samba" bezeichnete Sound heraus, was für schwäbische Eigenart und weltoffene Rhythmik und Melodik steht. Die Bezeichnung Rikas wurde übrigens vom Namen der Hündin von Ferdinand Hübner ("Rika") abgeleitet. Aus Sicht der Musiker verströmt der Begriff ein südländisch-exotisches Flair.

    Das Prinzip, mit Pop-Musik Botschaften zu verbreiten oder seinen Protest zu äußern, ist so alt, wie es Menschen gibt, die vor anderen auftreten. In den 1960er-Jahren gab es eine starke Folk-Bewegung, die politisch aktiv war und in den 1980er-Jahren brachten Gruppen wie Heaven 17 ("(We Don`t Need That) Fascist Groove Thang") oder The Specials ("Nelson Mandela") ihren Unmut auf die Tanzfläche. Rikas beleuchten wechselnde Perspektiven der Persönlichkeit, was bei näherer Betrachtung auch ein höchst politisches Thema ist. Denn nur starke Charaktere, die gelernt haben, mit den schnellen Veränderungen in der Gesellschaft umzugehen, sind in der Lage, einem Leben, das aus den Fugen zu geraten droht, einen intelligenten Ruhepuls entgegenzusetzen.

    Rikas setzen also nicht auf eine wütende Auseinandersetzung mit Missständen, sondern auf einen konstruktiven Umgang damit, bei dem das Vergnügen nicht zu kurz kommen darf. Und somit ist "der Film, den es noch nicht gibt", eine Metapher für das Leben, was noch vor einem liegt. Und der dazugehörige Soundtrack sollte überwiegend optimistisch gestimmt sein.

    Die Bandmitglieder haben festgestellt, dass man in Los Angeles nur beschwerlich und langsam mit dem Fahrrad vorankommt. Für "Bike In L.A." hat Keyboarder und Gitarrist Sascha Scherer daraus abgeleitet, dass "es bedeutet, dass wir Geduld brauchen, um unseren Weg zu finden, unsere Kunst zu gestalten und unsere Beziehungen zu pflegen. Denn man muss erst einmal herausfinden, wie das eigene Fahrzeug funktioniert und wo es hingehört." Als Untermalung für diese philosophischen Betrachtungen haben die Musiker einen locker swingenden Pop-Song gebastelt, den man nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Unaufdringlich, aber mit einer gehörigen Portion Ohrwurmqualität setzt er sich fest und bringt die Zuhörenden mit einem guten Gefühl durch den Tag. Kitsch- und zuckerfrei lädt er dazu ein, einfach mal abzuschalten und sich entspannt in die coole Melodie und den packenden Refrain fallen zu lassen.

    Es ist mutig, sein Scheitern einzugestehen und zum Ausgangspunkt zurückzukehren, um einen neuen Versuch zu starten. Für "Driving Down Slow With My 505" wurde dieser Zustand in Worte gefasst: "Weißt du, ich hatte einen Plan, ich hatte große Ideen. Ich war sicher, dass es klappen würde. Aber zurückzukommen ist der schwerste Teil. Wenn du kein Benzin hast." Nur mit Galgenhumor lassen sich manchmal schwere Zeiten ertragen. Der Song trägt die Lässigkeit des ungezwungenen Umherfahrens in sich. Man spürt die angenehme Stimmung, bei gutem Wetter mit einem Cabrio unterwegs zu sein, obwohl einem ein unangenehmes Thema im Nacken sitzt, das aber zunächst verdrängt werden kann.

    Würde Barcelona nicht von Touristenhorden überrannt werden, könnte die Stadt von den sensiblen Sinn-Suchenden noch mehr genossen werden. In dem Lied "Barcelona (Learning To Love Myself)" geht es um jegliche Form der Veränderung. Die bezaubernde Atmosphäre der Stadt könnte einen Neuanfang unterstützen. Aber die Tage sind zu heiß und die Nächte fühlen sich kalt an, wenn sich Einsamkeit breit macht. Das sind keine guten äußeren und inneren Bedingungen, um Seelenschmerzen zu überwinden und wieder zu lernen, sich zu lieben. Der elegante Blue-Eyed-Soul spiegelt zwar ein sonniges, mediterranes Lebensgefühl wider, eine gewisse abgehobene Distanziertheit, die auch Unsicherheit bedeuten kann, ist jedoch auch nicht zu verleugnen:"‘Barcelona’ handelt von dem Gefühl, umziehen zu wollen, aber es nie zu tun. Es ist ein Song über das Weitermachen und das Entdecken neuer Lebenswege".

    "Strangers" ist eine Hommage an den Song "Stranger" von Celeste aus 2019. Er zeigt die Phasen von unglücklich gescheiterten Beziehungen auf: aus Fremden werden Freunde, aus Freunden werden Liebende und aus Liebenden werden unter Umständen wieder Fremde. Der Soft-Funk stellt sowohl Romantik als auch durch die zackige E-Gitarre eine Leidenschaft in den Raum, die kurz davorsteht, in Missklang umzuschlagen.

    Nach einer verpassten Chance folgt eventuell eine quälende Sehnsucht, welche in "Heartbreak Big Mac" eine große Rolle spielt. Selbstvorwürfe und Trauer gehören zum Stimmungsbild und alle diese Emotionen prägen diese von trüben Gedanken durchzogene, relativ gleichförmig-niedergeschlagen ablaufende Ballade.

    Die Poesie von "Passenger" fordert Vertrauen ein und verspricht Geborgenheit und Vergnügen für den Rest des Lebens. Dazu klingen Tonkombinationen an, die dem perfekten Pop-Song sehr nahekommen. Verspielte, dezente Sound-Effekte, karibisch anmutende Rhythmen, eine originell aufflackernde E-Gitarre, schwebendes Orgelrauschen und sehnsüchtige Hintergrundstimmen sind spezielle Zutaten, die die unwiderstehliche Melodie, den hypnotischen Refrain und den grundsympathischen Gesang ins rechte Licht rücken. Das weitläufige, schwelgend-abenteuerliche Outro versetzt die Hörerschaft dann endgültig in einen rauschhaften Bann. Edel!

    Das Quartett hat sein Pulver aber noch nicht verschossen. Auch "Souvenir Shop" glänzt mit klug eingesetzten Dynamikverschiebungen, einem geschmeidigen Groove und einer Melodieverliebtheit, die das pure Glück zu kristallisieren scheint. Dabei deuten die Texte auf einen Hilferuf aus großer Not hin ("Ich habe meine tiefsten Tiefen gesehen. Können Sie mir hier raushelfen?") Die Kombination von anmutig-gewandter Musik mit persönlichen Problemen erinnert sofort an "Help" von den Beatles. In einer besseren Welt wäre "Souvenir Shop" wahrscheinlich ein sicherer Radio-Hit geworden.

    In den nur zweieinhalb Minuten von "Opposite Opinions" vermittelt die Band den Eindruck, dass sie jede Idee zu Pop-Gold werden lassen kann. Das Lied erzeugt eine innere Spannung, die sich augenblicklich und ununterbrochen als positive Energie überträgt. Eine gewisse Anspannung entsteht trotzdem, weil es hier um ein Paar geht, das sich auseinandergelebt hat ("Ich glaube, wir sind wie ausgelatschte Schuhe").
    "Just Like Ice Cream" ist ein Titel wie aus der Produkt-Werbung und tatsächlich wirkt der Track sozusagen suggestiv-einschmeichelnd, sodass er den Boden unter den Füßen zu verlieren scheint. Ein flotter Smooth-Jazz-Pop, dem ein Mehr an Stabilität allerdings gut zu Gesicht gestanden hätte. Was leichtfüßig klingt, hält unter der Oberfläche tiefsinnige Gedanken bereit: "Textlich symbolisiert die Idee, dass Eiscreme schmilzt, eine Midlife-Crisis oder das Gefühl, viele Temperatur- oder persönliche Veränderungen an einem Tag durchzumachen."

    Dieser Mangel an konstruktiver Griffigkeit setzt sich leider bei "Where Do You Go?" fort. Das Lied wurde sauber umgesetzt und produziert, aber es fehlen die bei vielen anderen Liedern oft charmant untergebrachten Ecken und Kanten, die für besonders prickelnde Momente verantwortlich sind. Musikalisch wurde für Unbeschwertheit gesorgt, aber inhaltlich werden Konflikte aufgeworfen: "Wir haben überlegt, was ich für mich selbst sehen möchte in einer Welt, die scheinbar auseinanderfällt", kommentiert Sam Luca Baisch den Sachverhalt.

    Aber das Album ist noch nicht zu Ende: "Jude Bellingham" knüpft an die Klasse von zum Beispiel "Opposite Opinions" an. Heraus kommt wieder einmal ein unbekümmerter, einfallsreicher Sound für jung gebliebene Erwachsene mit Niveau. Jude Bellingham ist ein englischer Fußballspieler, der in der dortigen Nationalmannschaft, bei Real Madrid und auch bei Borussia Dortmund gespielt hat. Dort ist er aufgefallen, weil er nach einem verlorenen Spiel gegen Bayern München den Schiedsrichter öffentlich bezichtigt hatte, parteiisch gewesen zu sein. Diese Behauptung kam nicht von ungefähr, denn der gemeinte "Unparteiische" war 2005 in den Wettskandal um Robert Hoyzer verwickelt gewesen.

    Mit "It’s A Beautiful World (When I’m On My Own)" senden die Musiker als kurzen Abschied freundliche Schwingungen ins Universum.

    Rikas ist mit "Soundtrack For A Movie That Has Not Been Written Yet" ein über weite Strecken hinweg ergötzliches Adult-Pop-Werk gelungen, bei dem der Pegel oft zu Gunsten von anspruchsvoll-einschmeichelnder Unterhaltung ausschlägt. Dass dieses schwierige Unterfangen je nach Erwartungslage unter Umständen nicht als perfekt wahrgenommen werden kann, liegt in der Natur der Sache, weil der Grat zwischen erfrischender Leichtigkeit und banalem Kitsch ein sehr schmaler ist. Mit "Soundtrack For A Movie That Has Not Been Written Yet" ist den Musikern von Rikas auf jeden Fall eine sehr schöne Platte gelungen, die mehr als nur angenehm ist.
    Meine Produktempfehlungen
    • Showtime Rikas
      Showtime (LP)
    You & I Are Earth Anna B. Savage
    You & I Are Earth (CD)
    01.02.2025

    Anna B Savage bekennt sich zur unbedingten Verantwortung für die Erde, denn wir sind alle auf Gedeih und Verderb mit unserem Planeten verbunden.

    Die in London geborene Anna B Savage gibt Antworten darauf, wie ein Song sowohl harmonisch als auch erfinderisch aufgebaut sein kann. "You & I Are Earth" ist thematisch unter anderem ein Liebesbrief an einen Mann und an Irland, das seit etwa 10 Jahren die Heimat der Musikerin ist. Das Werk handelt in diesem Zusammenhang von heilenden Kräften als auch von ungebrochener Neugier. Zwei an und für sich konkurrierende Kräfte, die sich jedoch nicht im Wege stehen, sondern zum gegenseitigen Nutzen ergänzen.

    Das Album wird durch einen kurzen Ablauf aus echten Naturgeräuschen und naturidentischen Instrumental- und Stimmen-Impressionen eingeleitet, die ohne Pause zum Kern von "Talk To Me" führen. In diesem Lied wird die Verbundenheit mit dem Meer beschworen. Die akustische Gitarre plätschert dazu mit einem Picking, welches an die konstante Wiederkehr von Wellen erinnert. Das Keyboard-Schwirren lässt in Ergänzung dazu den beinahe ununterbrochen vorhandenen Küsten-Wind erahnen. Annas Stimme trägt dieses Wechselspiel genüsslich-erregt mit und zaubert eine intim-verzückte Atmosphäre herbei.

    Auch "Lighthouse" spielt mit Metaphern, die mit dem Leben am Meer zu tun haben. Es enthält zudem autobiografische Züge, weil es von einer Beziehung berichtet, die innige Geborgenheit vermittelt ("Plötzlich war er da. Und ich bin glücklich mit ihm am Meer. Wir haben etwas von einem Glühen. In der Gesellschaft des anderen."). Der Bass tönt durchdringend-rumpelnd wie fernes Donnergrollen. Es gibt zudem künstliches Seevogel-Kreischen und sanft gezupfte Saiten, die dicke Regentropfen zu imitieren versuchen. Komplettiert wird die maritime Stimmung noch durch Piano-Geklimper in Anlehnung an das Geräusch von abklingendem, kaltem Niederschlag. Was sich womöglich in geschriebener Form wie billiger Kitsch anhören mag, übermittelt in Wirklichkeit ein feines Gespür für die Ähnlichkeit zwischen Natur- und Instrumenten-Klängen.

    "Donegal" ist eine Stadt und ein Bezirk im Nordwesten der Republik Irland, dem Zuhause von Anna. Die ursprüngliche Bedeutung des Namens ist: "Festung der Fremden".

    "Mo Cheol Thú" kommt aus dem Irischen und steht für: "Du bist meine Musik". Das ist ein traditionelles Lob für herausragende Leistungen. Der Begriff wird allerdings auch als Ausdruck für "Ich liebe Dich" verwendet.
    Beide Tracks tragen schon im Titel die tiefe Heimatverbundenheit von Anna B Savage in sich. Ihnen liegt quasi die Verheißung auf Stabilität und Geborgenheit im Leben zugrunde. Die Stücke sind aber dennoch keine beschaulichen Werbe-Botschafter, die die touristische Anziehungskraft der Landschaft herausstellen, sondern sie setzen sich textlich mit Wünschen und Erwartungen auseinander. Ihr Sound transportiert zwar die Weisheit alter Folk-Songs, die Lieder stehen aber musikalisch mit beiden Beinen im Hier und Jetzt. So ist "Donegal" ein attraktiver, dynamisch pulsierender Folk-Jazz auf Minimal-Art-Rhythmus-Basis und "Mo Cheol Thú" brilliert als kontrastreiche, intim gesungene und lebendig instrumentierte Ballade.

    Zwischen den eben besprochenen Irland-treuen Schöpfungen wurde "Big & Wild" platziert. Ein eineinhalbminütiges Zwischenspiel, das den Anschein erweckt, als sei es der Auftakt zu einer episch angelegten Art-Pop-Nummer.

    Diese Erwartung bleibt jedoch unerfüllt, denn mit "Incertus" wird danach eine weitere Überleitung, die dieses Mal instrumental ausgefallen ist, angeboten. Das lateinische Wort "Incertus" hat mehrere Bedeutungen, wie zum Beispiel unsicher, ungewiss, unbestimmt, trübe, düster oder noch nicht sichtbar. Jedes dieser Adjektive kann zur Beschreibung dieses aus akustischen und elektronischen Tönen zusammengesetzten Gebildes herangezogen werden. Kaum hat man begonnen, sich mit dem Geflecht auseinanderzusetzen, ist die Minute, in der sich diese neblig-hypnotischen Klänge abspielen, schon wieder vorbei.

    Nahtlos geht es mit dem romantisch-poppigen "I Reach For You In My Sleep" weiter, einem der eingängigsten Stücke der Platte. Wobei "eingängig" hier keineswegs "belanglos" oder etwa "abgedroschen" bedeutet. Das Lied kommt eher auf sympathische Weise einem herbeigesehnten Wohlklang entgegen und wurde dazu wertig arrangiert und klug interpretiert. Joni Mitchells eigenständiger Umgang mit Melodie und Rhythmus lässt grüßen.

    "Agnes" entspringt einer spirituellen Erfahrung, die Savage während einer Meditation machte. Sie fühlte sich vereint mit der Erde, als wäre sie Teil eines Netzwerkes, ähnlich dem eines Pilzgeflechtes. Vielleicht handelt es sich bei "Agnes" um einen Geist oder um eine Fantasiegestalt, die dem Wunschdenken entspringt. Auf jeden Fall gibt es aber eine übersinnliche Verbindung zwischen Anna und Agnes, die mit der Beziehung zur Erde als lebender Organismus zu tun hat. Der Track hat luftige Momente zu bieten und füllt als Gegensatz dazu den Raum auch mal üppig aus, was zu anregenden Dynamiksprüngen beiträgt.

    Ein klarer, sonniger Himmel und Gewitterneigung sind Natur-Phänomene, die für Freude oder Bedrohung stehen. Die Empfindungen, die mit beiden Ausprägungen in Zusammenhang gebracht werden, sind im Song "You & I Are Earth" akustisch vereint worden und finden als zart gesponnener Art-Jazz-Pop ihre Erfüllung.

    Feierlich, sakral und mit Zuversicht und Dankbarkeit wird bei "The Rest Of Our Lives" auf die irdische "Restlaufzeit" geschaut und die positive Energie, die sich daraus ergibt, führt zu einem stimmungsvoll-demütigen Folk-Gospel.

    Als Kind hörte Anna in ihrem Elternhaus oft die Musik von Ella Fitzgerald, was ihr Gespür für Melodievielfalt, Energievermittlung und Taktgefühl schulte. Später wurde sie durch ihre Geschwister mit Alben von zum Beispiel Nick Drake, Radiohead, Stevie Wonder und India Arie mit anderen Auffassungen bekannt gemacht. Als sie anfing, selber nach Vorlieben Ausschau zu halten, gefielen ihr zunächst Owen Pallett und My Brightest Diamond. Aus dieser breit gefächerten Mischung lässt sich ableiten, dass sie als Komponistin neugierig auf unterschiedlichste Formen der Soundgestaltung ist, was ihrer Arbeit nützt und der Attraktivität der Schöpfungen zugutekommt. Die poetische Ader, die die intelligente und sensible Musikerin durch ein Studium in englischer Literatur und einen Kurs in kreativem Schreiben schärfen konnte, rundet das originelle Konzept ab. Es bestehen also beinahe perfekte Grundlagen für das Schreiben von anspruchsvollen Songs. Zudem sind Annas Eltern Sänger klassischer Musik. Das Talent sollte deshalb schon alleine aufgrund der Macht der Gene vorhanden sein. Kein Wunder, dass sich die Lieder - wie selbstverständlich - klug und eindringlich anhören.

    Auch "You & I Are Earth", das dritte Werk von Anna B Savage, ist hinsichtlich Musik und Text wieder eine ambitionierte Angelegenheit geworden: Mystische Sagen und altehrwürdige Folklore konkurrieren mit der Informationsüberflutung und Schnelllebigkeit unserer Tage um Aufmerksamkeit. Anna besinnt sich dabei auf traditionelle Werte und ist trotzdem bestrebt, ihren eigenen Weg zu gehen. Sie ist momentan sehr glücklich mit ihrem Leben, was sich musikalisch so auswirkt, dass ihre Stimme bei den persönlichen Themen vor Hingabe vibriert. Schließlich ist das Album voll von Liebesliedern, die sich an die Natur und an den Partner wenden.

    Oft wird behauptet, dass ernsthafte, große Kunst nur unter Leid und Schmerz entstehen kann. Anna B Savage beweist mit "You And I Are Earth", dass das auch im Rausch des Glücks möglich ist. Auch wenn "You & I Are Earth" ihr zugänglichstes Werk im Vergleich zu "A Common Turn" (2021) und "in|FLUX" (2023) darstellt, so ist es keinen Deut weniger interessant als die Vorgänger. Denn unabhängig von ihrem Befinden erzeugt Anna auch aktuell intensiv-reichhaltige Musik und gibt sich nicht verliebtem Gesäusel hin, sondern stellt im Kern die wichtigsten Anliegen der Menschheit in den Mittelpunkt ihres Schaffens: den sorgsamen Umgang mit unseren Liebsten und unserer Erde. Es ist ein kurzweiliges und mit 31 Minuten leider auch ein kurzes Vergnügen, Anna B Savage beim Eintauchen in ihre eigentümliche Welt zuzuhören.
    Meine Produktempfehlungen
    • A Common Turn Anna B. Savage
      A Common Turn (CD)
    • A Common Turn Anna B. Savage
      A Common Turn (LP)
    • In Flux (Limited Edition) (Transparent Orange Vinyl) Anna B. Savage
      In Flux (Limited Edition) (Transparent Orange Vinyl) (LP)
    • In Flux Anna B. Savage
      In Flux (CD)
    • A Common Turn (Transparent Dark Blue Vinyl) Anna B. Savage
      A Common Turn (Transparent Dark Blue Vinyl) (LP)
    Night Songs (Colored Vinyl) Michael Moravek
    Night Songs (Colored Vinyl) (LP)
    25.01.2025
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5
    Pressqualität:
    5 von 5

    Die Magie der Nacht diente Michael Moravek als Inspiration für die Entstehung von Songs, die auf intime Weise zerbrechliche Seelenzustände beleuchten.

    Erlebnisse und Empfindungen, die mit der Nacht in Verbindung gebracht werden, sind vielfältig und kontrastreich. Für die einen ist es die Zeit der schäumenden Träume, die die Seele reinigen. Für andere bedeutet sie quälende Schlaflosigkeit mit kreisenden Gedanken. Manche machen die Nacht zum Tag und geben sich dem ausgelassenen Feiern hin. Für einige Leute sorgt die Dunkelheit dagegen für Angstzustände. Sie kann aber auch eine meditative Stimmung hervorrufen, was die Möglichkeit bietet, innere Ruhe herbeizuführen oder hilfreiche Erkenntnisse zu erlangen.

    Die besondere Stimmung der Nacht hält also je nach Kontext zahlreiche Geschichten und Fantasien bereit, und elf davon erzählt Michael Moravek in seinen neuesten Songs.

    Wie kann man Seelenfrieden finden, wenn Einsamkeit und Sehnsucht das Leben schwer machen? "Peace Of Mind" widmet sich diesem Thema und tunkt die Verse in Noten, die Wehmut und Besinnlichkeit transportieren, also zwischen Zweifel und Hoffnung angesiedelt sind, wie Michael bemerkt. Der traurig angelegte Folk-Song breitet einen zerbrechlich gewobenen, aus positiven Schwingungen bestehenden Teppich aus, der nur von einer gleichförmig angeschlagenen akustischen Gitarre, zarten Mandolinen- und Keyboard-Schwebeklängen, sparsamen Mundharmonika-Tönen und dem vorsichtig-leisen Gesang von Michael Moravek gestützt wird. Der Song kommt ohne Verschiebungen der Lautstärke und ohne Dynamiksprünge aus, was eine friedvoll-liebevolle Atmosphäre erzeugt.

    Es gibt unterschiedliche Gründe, warum Menschen beim Schlafen das Licht anlassen. Auf poetisch-kluge Art und Weise beleuchtet Moravek für "People Leave Their Lights On" dieses Verhalten. Der Track transportiert hypnotisch-monotone und schlingernde Akustik-Gitarren-Akkorde, die ihm eine stoisch ablaufende Grundstimmung verleihen. Moravek nutzt diese stabile, gleichförmige Basis, um darauf seine Überlegungen sachlich, aber aufgrund der ausdrucksstarken Konstruktion auch eindringlich vorzutragen.

    "Shiny Blue Hair" lebt von einer schillernden Symbolik, wobei ein Spielzeugkarussell eine Metapher für unbeschwert-freudige Zeiten bedeuten kann, ein Kaleidoskop mystische Welten darstellt und die Schneekugel den Wunsch nach etwas Beständigkeit in einer sich ständig veränderten Welt heraufbeschwört. Diese Empfindungen werden lyrisch mit einer geliebten Person verknüpft. Als besonders herausragend-attraktiv wird aber das glänzende blaue Haar der Partnerin, also ein optisch hervorstechendes Merkmal, erwähnt. Der swingende Folk lässt auch Jazz-Phrasen zu, was ihn zu einem leichtfüßig-unverkrampften Song mit Tiefgang werden lässt. Obwohl die Mandoline im Klangbild nicht prominent herausgestellt wird, ist sie hauptverantwortlich für den schwungvollen Aspekt der Komposition.

    Die Wahrnehmung von Ungerechtigkeit macht sich im Text von "Chickenman's Blues" breit ("Die Unschuld stirbt für den Ruhm eines anderen reichen Mannes. Wenn du nicht reich bist, sondern arm."), die sich aber nicht bedrückend auf die Ausstrahlung des Tracks auswirkt. Die Musik schöpft ihre Faszination aus einem langsamen Groove, der das Stück genussvoll-lasziv vibrieren lässt.

    Das Erstaunen über das eigene Dasein hat zu "Hush" geführt, einem Lied, das schlicht, beinahe nackt daherkommt, was die Instrumentierung angeht. Bescheidenheit und Demut kennzeichnen nicht nur den Inhalt, sondern auch den Ablauf. Daraus erblüht anmutige Folk-Gospelmusik, die originell gedacht und alternativ umgesetzt wurde.

    "Kicking Stones" handelt von einer freigeistigen, unabhängigen Person, deren Reichtum ihre unerschütterliche Zuversicht ist. Der Song atmet schwülen US-Südstaaten-Soul und verleibt sich zwischenzeitlich auf raffinierte Weise einen anregenden Rhythm & Blues-Takt ein - und das alles im Rahmen eines vollmundigen Art-Folk-Gewandes. Die Musiker ermöglichen unter anderem durch den Kurzeinsatz einer selbstbewusst improvisierenden Orgel und durch beherzte Dynamikwechsel am Ende des Tracks die Entstehung einer ausgelassenen Southern-Rock-Jam-Band-Atmosphäre - und das alles bei einer Laufzeit von nur drei Minuten. Michael Moravek nennt seine Homepage übrigens nicht ohne Grund "novembersoulmusic". Wie passend, denn hier ist dieser Name mal wieder Programm!

    "Dreams Seep Into The Earth" ist dagegen ein unspektakulär wirkendes Lied, welches auf eine eingängige Melodie als Hör-Reiz setzt. Der Track verweist auf Landschaftsbilder aus dem ehemaligen Jugoslawien, wo Michael aufgewachsen ist. Es sind Eindrücke aus einer fernen Zeit, die sich neben anderen Kindheitserinnerungen fest ins Bewusstsein eingebrannt haben. Das Gehirn überlagert dabei zum Glück die schönen Eindrücke gegenüber den verstörenden Momenten. Das Lied bewertet allerdings nicht nach angenehmen und belastenden Situationen, es zählt auf, versucht, die im Gedächtnis gebliebenen Bilder zusammenzusetzen und nach Möglichkeit realistisch wiederzugeben.

    "One Day I Will Write A Gospel Song": Dieser Wunsch hat sich eigentlich schon mit "Hush" erfüllt. Hier geht es nun mehr um die Strahlkraft eines Gospel-Songs, weniger um die musikalische Annäherung an diesen von religiöser Hingabe geprägten Musik-Stil. Ein fiktiver, optimal die Sinne erregender Gospel soll aus der Sicht von Michael zum Beispiel Ängste nehmen, eine Mauer gegen alle Bedrohungen aufbauen und das Selbstwertgefühl stärken. Er soll also genau das bewirken, was eindringlich-anspruchsvolle Musik im Grunde immer erreichen kann. Das Lied stellt Herzlichkeit und Besonnenheit in den Vordergrund. Das ist Easy-Listening in Form von purer Harmonie.

    Der Leitspruch "was du nicht willst, was man dir tu, das füg`auch keinem andren zu" steht als eine der Aussagen bei "Station Of The Heart" im Raum. Es geht aber auch um persönliche Weiterentwicklung ("Bleib ruhelos wie der Wind und das Meer") und um das angsteinflößende Drohgebaren einiger Kirchenvertreter ("Der Prediger, der streng sprach, erschreckte uns mit dem ewigen Abgrund"). Aber letztlich wird das höchste Gut der menschlichen Verbundenheit gefeiert, die Liebe. Michael verpackt seine humanitären Aussagen in einen nachdenklichen Barock-Folk, bei dem die Bratsche eine führende Betroffenheits-Rolle übernimmt. Diese Atmosphäre erzwingt Aufmerksamkeit und das Ergebnis kann als milde melancholische Singer-Songwriter-Musik für Fortgeschrittene deklariert werden. Was die sympathische Qualität und die Intensität erklären soll.

    "Merry Ship Of The Soul" bedeutet für Moravek "die Idealvorstellung einer Schiffsreise", wobei auf der Fahrt lauter Seelenverwandte dabei sein sollten, "die sich der Hoffnung verschrieben haben". Alle "Last und alles Krankmachende" wird zurückgelassen. "Stürmische Wellen zerlegen dann alle Ordnungen in ihre Bestandteile und fügen sie neu zusammen". So definiert der Musiker die Inhalte dieser Traumreise, die ihm Freiheit und Glück verspricht. Musikalisch beamt sich Moravek zurück in die intellektuelle Folk-Szene von New Yorks Greenwich Village, die um Mitte der 1960er Jahre nicht nur Bob Dylan, sondern auch hochsensible und/oder politisch aktive Musiker und Musikerinnen wie Phil Ochs, Eric Andersen, Odetta, Richard & Mimi Fariña oder Dino Valente hervorgebracht hat. Die Künstler haben versucht, mit einem individuellen Stil und stolzer Haltung die Gesellschaft positiv zu beeinflussen und die Welt etwas friedlicher und anständiger zu machen.

    "Carefree State" verbreitet zum Abschluss des Albums hoffnungsvolle Gedanken. Das Lied kommt als Begleitung mit zwei Akustikgitarren aus, die forsch angeschlagen werden, aber auch Ruhepunkte bereithalten, sodass trotz der sparsamen Instrumentierung für einen interessanten Ablauf gesorgt ist.

    Michael Moravek hat schon ein bewegtes Musikerleben hinter sich. 1998 gründete er das alternative Folk-Rock-Trio Planeausters, mit dem er fünf Platten produzierte. "Night Songs" ist jetzt auch Michaels fünftes Soloalbum, sein erstes ("In Transit (Is What We Are")) erschien 2017.
    "Night Songs" wurde in der Besetzung: Michael Moravek (Gitarren, Vocals, Mundharmonika), Tomáš Skřivánek (Bassgitarre), Christian Krischkowsky (Schlagzeug), Andrej Polanský (Viola, Mandoline), Štěpán Vodenka (Keyboards) und Wibke Becker (Backing Vocals) eingespielt.
    Michael Moravek erweist sich in dieser Konstellation einmal mehr als einfühlsam-glaubwürdiger Komponist sowie als gewandter Verfasser von klugen Texten und damit als kreativer Gestalter seiner Ideen. Sein unaufgeregter, aggressionsfreier Gesang erscheint häufig kumpelhaft-zurückgenommen und besticht dabei durch Ausgeglichenheit, nicht durch einen wilden Ritt durch die Oktaven. Die Musik spart jegliche klangliche Provokation aus. Stattdessen findet man neben jungfräulich-unschuldig modellierten Arrangements auch konstruktive Sound-Tüfteleien, die manchmal sogar dezent-psychedelische Effekte aufweisen.

    Der Verehrung und dadurch dem Einfluss seiner Helden Bob Dylan und Mike Scott von The Waterboys ist Michael Moravek längst entwachsen. Sie tauchen höchstens nochmal am Horizont der Kompositionen als höfliche Ehrerbietung auf. Ansonsten sind die elf von nächtlichen Eingebungen durchdrungenen Tracks mit eigenständigen Konzepten gespickt worden, die ihnen eine unabhängige Substanz verleihen.

    Moravek erweist sich als ein exakt beobachtender, poetisch-kluger Geschichtenerzähler, was er nicht nur mit seinen feinfühligen Songs beweist, sondern auch bei literarischen Ausflügen. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür sind die drei überaus unterhaltsamen Beiträge zur Anthologie „Pop Steht Kopf“.
    Meine Produktempfehlungen
    • Lost Lost (CD)
    • November November (CD)
    • Dream Dream (CD)
    Lives Outgrown Beth Gibbons
    Lives Outgrown (CD)
    07.12.2024
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    „Lives Outgrown“ ist das erste richtige Solo-Album von Beth Gibbons, der Stimme von Portishead.

    Das erscheint merkwürdig, weil Beth Gibbons schon nach „Third“, dem letzten Portishead-Studio-Album aus 2008, zwei Platten aufgenommen hat, die sie in den Fokus rückten. Nämlich „Out Of Season“, die Zusammenarbeit mit Rustin Man alias Paul Webb (ex-Talk Talk) von 2002 und die Einspielung von Henryk Góreckis „Sinfonie Nr. 3“ („Symphonie der traurigen Lieder“), die mit dem Dirigenten Krzysztof Penderecki und mit dem Symphonieorchester des Polnischen Nationalen Rundfunks im Jahr 2014 eingespielt wurde, prägte und mit ihrem besonderen geheimnisvoll-fragilen Zauber belegte. Beide Werke klangen mehr nach ihr als nach den sehr talentierten Beteiligten.

    Mit „Lives Outgrown“ festigt Beth Gibbons - die am 4. Januar 1965 in Exeter, England, geboren wurde - ihr Alleinstellungsmerkmal zwischen Pop, Klassik und Avantgarde, welches sie als ausdrucksstarke Sängerin, gehaltvolle Komponistin und fantasievolle Arrangeurin ausweist. Die dabei entstandene Musik ist ernsthaft, kunstvoll und dabei dennoch höchst unterhaltsam. Sie transportiert mysteriöse Stimmungen, mit der die dunklen Komponenten in David-Lynch-Filmen untermalt werden könnten.

    Für „Tell Me Who You Are Today“ webt Beth einen verwunschenen Sound, bei dem die akustische Gitarre sensibel auf Tuchführung mit den anderen Instrumenten geht. Percussion, Bläser und Streicher wechseln sich in ihrer herausragenden Rolle ab, sodass der Eindruck eines sich voran bewegenden Organismus entsteht. Gibbons begleitet diesen lebendigen Zustand mit mysteriösem, verhalten-beschwörendem Gesang. Die Zeilen "Sag mir alles, was du sagen möchtest. Sag mir, wer du heute bist. Frei von allem, was ich in meinem Inneren höre", sprechen von Vertrauensvorschuss und nagenden Zweifeln. Das wahre Geheimnis des Songs bleibt aber im Dunkeln verborgen.

    Kunstvoll verschlungene Saiten-Akrobatik lassen "Floating On A Moment" zunächst intellektuell hochfliegend erscheinen. Diese Wahrnehmung löst sich jedoch schnell zugunsten eines bittersüßen Stimmungsbildes auf, das kurz von einem frostig glitzernden Vibraphon und von um Harmonie bemühten Chor-Stimmen zusammen eingeleitet wird. Die einnehmende, liebliche Melodie nimmt sofort Besitz vom Wohlfühlzentrum im Gehirn und sorgt dort in Verbindung mit dem Mitleid erzeugenden Gesang für Entzücken. Poetisch verpackt macht der Text bewusst, dass das menschliche Leben nur ein Wimpernschlag im Vergleich zum kosmischen Dasein ausmacht und mahnt, damit bewusst umzugehen.

    Und das sollte man berücksichtigen, obwohl uns die Last des Lebens nicht in Ruhe lässt, wie es in "Burden Of Life" heißt. Der kammermusikalisch ausgestattete Track erzeugt eine bedrückende Dramatik, die sich bleiern auf die Seele legt und nur bedingt durch die vertraute Stimme von Beth Gibbons aufgehellt wird.

    Liebe verändert sich, Dinge verändern sich, die Zeit verändert sich - also verändert sich zwangsläufig auch das Leben. Dieses "Naturgesetz" liegt "Lost Changes" zugrunde. Das Stück transportiert diesen Gedanken mit einem leichten Schaukeln, was an ein Wiegenlied erinnert. Der Refrain vermittelt milde Zuversicht und die allgemeine Stimmung setzt auf die Verbreitung von Besinnlichkeit.

    "Rewind" lässt es ein wenig kratzbürstig angehen und klingt außerdem orientalisch und eigenwillig ruppig. Dazu trägt auch die auffällige Percussion-Arbeit bei: Scheppernde Becken und wilde Trommelwirbel mischen den sowieso schon wogenden Ablauf noch zusätzlich ordentlich auf.

    "Wo ist die Liebe geblieben, wo ist das Gefühl? Wo ist der Glaube an die Worte, die wir atmen?". So lauten die Fragestellungen, die in der Beziehungsproblematik von "Reaching Out" eine große Rolle spielen. Der rhythmische Takt zeigt sich bei dieser belastenden Gefühlslage beschleunigt, manchmal sogar aufgewühlt. Die Hintergrundstimmen haben eine klagende Färbung. Streicher und Bläser proben ab und zu den Aufstand, setzen sich aber nicht generell durch. Zwischendurch gibt es aber auch immer wieder Phasen der Einkehr und des Kraftschöpfens.

    Zu Beginn des als schlicht aufgebauten Folk-Song getarnten Stückes "Oceans" ahnt man noch nicht, welche brillante, zu Tränen rührende Melodie und welche hinreißenden Wendungen noch entblättert werden. Die Sätze "Aber ich werde in den Ozean eintauchen. Auf dem Boden werde ich meinen Stolz sammeln. Und ich werde die Länge der Emotionen spüren. Unter der Oberfläche habe ich keine Angst mehr" leiten das Ende des Songs ein, der zu den betörendsten Kompositionen des an Höhepunkten reichen Albums gehört.

    Die Folklore der Welt hat deutliche Spuren auf "Lives Outgrown" hinterlassen. Bei "For Sale" sind es verwaschene Eindrücke aus Nordafrika, die sich durch exotisch klingende Geigen bemerkbar machen. Sie unterstreichen, dass bei dem Lied die Traurigkeit ein zu Hause gefunden hat.

    "Beyond The Sun" beinhaltet eine Aufzählung von Fragen, die mögliche Alternativen im Verlauf des Lebens an persönlichen Meilenstein-Entscheidungen festmachen. Die dazu entworfene Musik ist grundsätzlich lebhaft und steigert sich allmählich bis knapp davor, eine Ekstase auszulösen. Kurz vom Ende des Stücks fällt der Druck dann ab und die Spannung implodiert.

    "Whispering Love" verspricht, ein behutsam ablaufender Track zu werden und hält diese anfängliche Erwartung auch eine Weile aufrecht. Das gilt bis zu dem Zeitpunkt, als Geigen Töne verbreiten, die sich in etwa wie eine quietschende Tür anhören. Trotz dieses deutlichen Störgeräusches behält die Harmonie die Oberhand und der Song entlässt die Hörerschaft mit einem hoffnungsvollen Gefühl: "Oh, flüsternde Liebe, wehe durch mein Herz, wenn Du kannst."

    Ganz gleich, in welcher Konstellation Beth Gibbons bisher in Erscheinung getreten ist, sie hat es immer verstanden, ihre Persönlichkeit prägend und überzeugend in die Waagschale zu legen. "Der Entstehungsprozess von "Lives Outgrown" erstreckte sich über zehn Jahren hinweg. Es war eine Zeit des Abschieds von Familie, Freunden und sogar von dem, der ich vorher war. Die Texte spiegeln meine Ängste und schlaflosen nächtlichen Grübeleien wider, daher der Titel "Lives Outgrown" (der unter anderem mit "Zurückgelassene Leben" übersetzt werden kann). Nicht nur wegen der Art und Weise, wie wir emotionale oder psychologische Übergänge in unserem Leben durchlaufen, sondern mehr im Zusammenhang mit der Zeit, in der wir diesen Planeten verlassen und uns ins Unbekannte bewegen," sagt Beth zu den Gegebenheiten, die zu ihrem Werk geführt haben. Beth Gibbons erschafft einen in sich abgeschlossenen Lebensraum, der bei aller Melancholie die Zuversicht nicht aus den Augen verliert.

    Ihre Klang-Entwicklung beschreibt sie folgendermaßen: "Der Sound war auch ein Prozess, bei dem ich Strukturen innerhalb meiner persönlichen Möglichkeiten erkundete. Ich wollte weg von Breakbeats und Snares und mich auf das holzige Gewebe der Klangfarben konzentrieren, weg von der süßen Sucht nach hohen Frequenzen, die befriedigen wie Zucker und Salz".

    Mit "Lives Outgrown" wurde zeitlose, hochwertige Kunst erschaffen. Sie kommt als ein flexibles, in sich stimmiges Art-Pop-Gefüge daher und veredelt jede Musik-Sammlung.
    Meine Produktempfehlungen
    • Out Of Season (remastered) Beth Gibbons
      Out Of Season (remastered) (LP)
    • Lives Outgrown (180g) (Limited Deluxe Edition) (+ Artprint) (exklusiv für jpc!) Beth Gibbons
      Lives Outgrown (180g) (Limited Deluxe Edition) (+ Artprint) (exklusiv für jpc!) (LP)
    • Henryk Górecki: Sinfonie Nr. 3 (180g) Beth Gibbons & The Polish National Radio Symphony Orchestra
      Henryk Górecki: Sinfonie Nr. 3 (180g) (LP)
    • Henryk Górecki: Sinfonie Nr. 3 Beth Gibbons & The Polish National Radio Symphony Orchestra
      Henryk Górecki: Sinfonie Nr. 3 (CD)
    • Dummy (20th Anniversary Reissue) (180g) Portishead
      Dummy (20th Anniversary Reissue) (180g) (LP)
    • Lives Outgrown (180g) (Limited Indie Deluxe Edition) Beth Gibbons
      Lives Outgrown (180g) (Limited Indie Deluxe Edition) (LP)
    • Dummy (SHM-CD) Dummy (SHM-CD) (CD)
    • Dummy Portishead
      Dummy (CD)
    • Lives Outgrown Beth Gibbons
      Lives Outgrown (CD)
    • Roseland NYC Live (25th Anniversary Edition) (Remastered 2023) (Red Vinyl) Portishead
      Roseland NYC Live (25th Anniversary Edition) (Remastered 2023) (Red Vinyl) (LP)
    • Third Portishead
      Third (CD)
    • Portishead Portishead
      Portishead (LP)
    • Roseland NYC Live Roseland NYC Live (CD)
    Slo Mo Fat Freddy's Drop
    Slo Mo (CD)
    07.12.2024
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Fat Freddy`s Drop bezeichnen SLO MO als „afrorhythmische Soulmusik und eine Erkundung der schwarzen Musik aus Polynesien“.

    Seit ihrer Gründung im Jahr 1999 wächst die Anhängerschaft der Formation Fat Freddy’s Drop aus Wellington in Neuseeland, ständig. Das liegt zum einen an den spannenden Tonträgern, aber auch an den mitreißenden Konzert-Darbietungen. Zurzeit besteht die dynamische Truppe aus DJ Fitchie alias Chris Faiumu (Drums, Samples), Joe Dukie alias Dallas Tamaira (Gesang und Gitarre), Chopper Reeds alias Scott Towers (Saxofon), Tony Chang alias Toby Laing (Trompete), Kuki Blaze alias Iain Gordon (Keyboards), Hopepa alias Joe Lindsay (Posaune) und MC Slave alias Mark Williams (Raps).

    Die Diskografie von Fat Freddy`s Drop reicht bis ins Jahr 2001 zurück und begann mit "Live At Matterhorn". "SLO MO" ist bereits die 31. Veröffentlichung der Gruppe, jedenfalls laut der auf der Bandcamp-Seite aufgelisteten Titel. Das Werk beinhaltet neun Tracks mit einer Laufzeit von 61 Minuten und "ist die bisher stärkste Studiodarstellung einer Freddy's Live-Show", wie Saxofonist Chopper Reed findet.

    Das Eröffnungs-Lied "Avengers" ist ein Sahnestück. Der Song groovt so lässig, dass automatisch jeglicher Stress von den aufmerksam Zuhörenden abfällt. Der Sound ist dicht, hält komplexe Abläufe bereit, die oft in die Beine gehen, aber auch das Gehirn füttern. Man kann sich das in etwa so vorstellen, als ob das filigrane Vibrieren von Little Feats "One Love Stand", das rauschhafte Innehalten bei "Wooden Ships" von Crosby, Stills & Nash und das brodelnde Soul-Funk-Gebräu, welches bei "The Cisco Kid" von War entstand, aufeinander treffen. Köstlich!

    Der Funk-Jam-Track "Slo Mo" hinterlässt gar keinen besonders stark abgebremsten Charakter. Das Takt-Gefüge bewegt sich über acht Minuten hinweg fließend, unangestrengt und wach. Auf Dauer entsteht allerdings der Eindruck, dass das gefundene Leit-Thema arg ausgewalzt und überstreckt wird. Ein weniger an Laufzeit hätte für mehr Konzentration auf das Wesentliche gesorgt.

    Der Reggae-Hip-Hop "Next Stop" präsentiert MC Slave als Rapper im Mittelteil und ist so einladend eingängig, dass er problemlos als Werbe-Jingle für alles eingesetzt werden könnte, was ein gewisses Sunshine-Feeling ausstrahlen soll. Trotz der besonderen Güte-Klasse der Musiker kommt dieser Song aber aufgrund seiner Berechenbarkeit nicht über das Niveau eines durchschnittlichen Gassenhauers heraus.

    Das war es dann aber auch schon mit der biederen Hausmannskost. Ab nun wird es wieder (und bleibt beständig) hochklassig: Der geschmeidige Reggae "Stand Straight" lässt an The Beat denken, die unter anderem mit "Save It For Later", "Doors Of My Heart" oder "Can`t Get Used To Losing You" Anfang der 1980er Jahre eine ähnliche Philosophie der Generierung von leichtfüßigen Kompositionen mit Ohrwurmqualität und instrumentaler Brillanz verfolgt haben. Das Stück ist so anschmiegsam und lässig, dass man sich seinem hypnotischen Charme nicht entziehen kann.

    Für "Oldemos" treffen unheilvoll klingende, dumpfe Trommeln, eine Ärger ankündigende Spaghetti-Western-Twang-Gitarre, sphärische Sounds und Echo-artige Dub-Reggae-Effekte bedeutungsschwanger aufeinander. Das Tempo bleibt stets verhalten und der Track zieht seine Anziehungskraft aus der geheimnisvollen Stimmung und den sich unerforscht anhörenden Hintergrundgeräuschen.

    Ein bildhaftes Easy-Listening-Feeling, gepaart mit Dub-Reggae-Hall, leitet "Out To Sea" ein. Joe Dukie federt das Stück dann gesanglich mit viel Seele in der Stimme ab und umgarnt die Noten liebevoll. Schließlich nimmt der Song aufgrund der instrumentalen Dominanz eine Wendung: Eine lebhafte Funk-Gitarre und galoppierende Percussion-Beiträge lassen ihn Fahrt aufnehmen und zügig-elastisch ausklingen.

    Mit "Roland" gibt es einen bannenden, polyrhythmischen Afro-Funk ohne Gesang zu hören, der die rauschhafte Wirkung von Minimal-Art-Sounds entfaltet.

    Ähnlich verführerisch ist auch "Getting Late" unterwegs, wobei sich der Rhythmus aus den stoisch agierenden Elementen der Electronic-Dance-Music speist, was ihn weniger nahbar als "Roland" klingen lässt. Diese Empfindung kann selbst Joe Dukie nicht verhindern, der dem Track mit seiner einfühlsam-sympathischen Stimme verwöhnt.

    "I Don’t Wanna See You" nimmt den eben gesponnenen Faden auf und macht daraus einen ausgedehnten, keyboardlastigen, mit Space-Sound-Effekten garnierten Track, der sich teilweise jazzig-improvisiert oder Kraut-rockig-experimentell anhört. Dukies Gesang taucht dabei nur geisterhaft im Hintergrund auf.

    Fat Freddy`s Drop ist eine gut geölte Groove-Maschine, die mühelos Soul, Funk, Reggae, Karibik-Sounds und psychedelische Töne zu einer erregend pulsierenden Mischung verbindet. Und "SLO MO" ist somit eine Geheimwaffe gegen schlechte Laune, denn durch die Musik kann man sich anspornen lassen oder den Geist auf anregende oder erholsame Reisen schicken.

    Mit leichter Hand wickeln die Musiker ihre Hörerschaft um den Finger. Es ist schwer, der Zauberkraft, die ihrer Musik innewohnt, zu widerstehen. Auch wenn nicht jeder Song einer kritischen Würdigung vollständig standhält, so ist es (immer wieder) das Gesamtkonzept, das überzeugt und zu guter Letzt begeistert.
    Meine Produktempfehlungen
    • Live At Roundhouse London Live At Roundhouse London (LP)
    • Blackbird Returns Blackbird Returns (LP)
    • Wairunga (Live) Fat Freddy's Drop
      Wairunga (Live) (LP)
    • Special Edition Part 1 Special Edition Part 1 (CD)
    • Bays Fat Freddy's Drop
      Bays (CD)
    • Blackbird Fat Freddy's Drop
      Blackbird (CD)
    • Bays Fat Freddy's Drop
      Bays (CD)
    • Live At Roundhouse London Fat Freddy's Drop
      Live At Roundhouse London (CD)
    • Based On A True Story Fat Freddy's Drop
      Based On A True Story (CD)
    • Based On A True Story Based On A True Story (LP)
    • Dr Boondigga & The Big BW Fat Freddy's Drop
      Dr Boondigga & The Big BW (CD)
    • Dr Boondigga & The Big BW Fat Freddy's Drop
      Dr Boondigga & The Big BW (LP)
    Mahashmashana Father John Misty
    Mahashmashana (CD)
    26.11.2024
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Josh Tillman legt mit "Mahashmashana" einen Musterkoffer seiner Fähigkeiten vor und gibt damit eine sehr überzeugende Visitenkarte ab.

    Joshua Michael Tillman alias Father John Misty komplettiert und festigt seine bisherigen Sound-Vorstellungen. Nach dem 2022er-Werk "Chloe And The Next 20th Century", das vom Swing, dem Great American Songbook und von ehrwürdigen Songwritern wie Harry Nilsson beeinflusst war, schenkt der umtriebige Singer-Songwriter mit "Mahashmashana" wieder ausschweifenden und wuchtigen Kompositionen seine Aufmerksamkeit. Das sechste Father-John-Misty-Album beinhaltet acht Stücke mit einer Laufzeit von 50 Minuten. Von denen ist keiner kürzer als vier Minuten und der längste läuft sogar über neun Minuten.

    Für die Realisierung der aktuellen Platte hat sich der eigenwillige, 1981 in Rockville (!) (Maryland) geborene Künstler, wieder mit Drew Erickson, der schon beim Vorgänger-Werk für die Produktion mitverantwortlich war, zusammengetan. Der gleichgesinnte Jonathan Wilson besitzt ein Händchen für extravaganten Art-Rock und fungiert als kompetenter Gönner und Geldgeber. Josh hat sich erneut eine spezielle Form der Poesie ausgedacht, die neben klaren Aussagen auch jede Menge bizarre Wortkombinationen enthält. Gut so, das eröffnet Räume für eine breite Deutungsvielfalt.

    Das Album "Mahashmashana" beginnt mit dem Song "Mahashmashana". Das Wort stammt aus dem Sanskrit, einer indischen Gelehrtensprache und bedeutet wörtlich übersetzt "großer Feuerbestattungsplatz". Im Hinduismus und Buddhismus wird diese Bezeichnung als Umschreibung für die Vergänglichkeit des Lebens und den sich nach dem Tode anschließenden Übergang in eine andere Daseinsform benutzt. So tiefgründig die Erklärung ist, so mächtig ist auch die Komposition. Und zwar nicht nur aufgrund ihrer opulenten Erscheinung, die einen aufwändigen Hollywood-Blockbuster mit packender Dramatik ausfüllen könnte, sondern auch wegen der Länge von fast neuneinhalb Minuten.

    Souverän steuert Mr. Tillman den Song, lässt keine Langeweile aufkommen und nutzt die Gunst einer voluminösen Instrumentierung zur Erzeugung von großen Gefühlen: Wehmut, Leidenschaft, Optimismus und Zuversicht schwingen in den orchestral aufgeschichteten Noten mit.

    "She Cleans Up" ist ganz anders drauf. Hier hört man punkigen Rock & Roll, der mit einer gehörigen Portion Funk-Erdung versehen wurde. Aufruhr liegt in der Luft und wildes Saxofon-Getröte heizt die Stimmung an. Ein motivierendes Gefühl befreit den Geist von jeglicher grüblerischen Beschränktheit und deshalb ist der Track eine Quelle zur Erlangung von Unbeschwertheit. Da es Verbindungen zwischen Tillman und den schwedischen Viagra Boys gibt, weist die Komposition in ihrer lässig rockenden Grundhaltung nicht ohne Grund Ähnlichkeiten mit deren "Punk Rock Loser" auf.

    "Josh Tillman And The Accidental Dose" wurde knifflig-vielschichtig und spannungsgeladen zusammengesetzt und dabei mit einer köstlichen Melodie versehen. Dynamiksprünge, überraschende Einschübe und kurze Soli gehören zu dieser kunstvollen Gestaltung wie selbstverständlich dazu. Die dabei prominent eingesetzten Streichinstrumente streicheln die Sinne, erzeugen Schockmomente und lassen die Luft wie bei großer Hitze flirren.

    Bei "Mental Health" offenbart Misty seine herausragenden Schnulzen-Sänger-Qualitäten, wobei er auf die Unterstützung eines weit ausholenden, weichen, üppig gestalteten Sound zählen kann. Mithilfe dieser Verbindung lässt er selbst solche Crooner-Urgesteine wie Andy Williams, Tony Bennett oder Barry Manilow alt aussehen. Wäre er mit dieser Stimmlage Verkäufer geworden, hätte ihm kein Kunde aufgrund seiner charmanten Ausstrahlung widerstehen können.

    Das facettenreiche "Screamland" weist hintergründige, wenig auffallende und vordergründige, das Ohr einnehmende Bestandteile auf. Kaum merkbar ahmen Trommeln den Herzschlag im Ruhezustand nach, der sich trotz des stellenweise aufkommenden Getöses nicht aus der Ruhe bringen ließ. Auf der großen Bühne der gemischten Gefühle ist einiges los: Traurigkeit hält Einzug, Unbehagen breitet sich aus und tumultartige Szenen spielen sich ab. Sakrale Spiritualität findet genauso statt wie schrille Verzweiflung, die den Track bis zu seinem plötzlichen Ende begleitet.

    Josh Tillman litt ab 2016 fünf Jahre lang unter einer Persönlichkeitsstörung, durch die er nicht richtig mit anderen Menschen und seinem "geistigen Ich" in Beziehung treten konnte. "Being You" setzt sich damit auseinander. Musikalisch bezieht sich die Ballade auf einen langsamen Trip-Hop, der mit entrückten kammermusikalischen Referenzen und behutsamen Jazz-Träumereien veredelt wurde.

    Wurden dem Saxofon eben noch Zügel angelegt, so darf es sich für "I Guess Time Makes Fools Of Us All" funky und ungezwungen geben. Das Stück transportiert durch sein polyrhythmisch angelegtes Schema karibischen Schwung, der sich in der Mitte des achteinhalb Minuten langen Songs in einem kurzen Percussion-Solo tonangebend manifestiert. Weitere stimulierende Einzelaktionen von E-Gitarre und Saxofon schmiegen sich genauso passgenau in den durchgängig mild groovenden Ablauf ein.

    "Summer`s Gone" reflektiert Sound-technisch das alte, sentimentale Hollywood, bei dem die Stars noch mindestens Halbgötter waren. Inhaltlich setzt Joshua den vergangenen Sommer mit einer ausgelaugten Liebe gleich: "Was wird aus der Sehnsucht. Wenn deine Liebe erschöpft ist?"

    Josh Tillman ist mit seinen 43 Lebensjahren schon ein alter Hase im Showgeschäft. Er begann seine Karriere während der College-Zeit als Schlagzeuger, schrieb aber nebenher schon eigene Songs. Seine Demo-Aufnahmen gelangten in die Hände von Damien Jurado, der ihn spontan als Support-Act mit auf Tournee nahm. Von 2008 bis 2011 stieg Tillman als Drummer bei den Fleet Foxes ein, danach konzentrierte er sich wieder auf seine Soloarbeit. Unter dem Namen J. Tillman nahm Josh von 2006 bis 2010 acht regulär veröffentlichte, überwiegend intim-leise und melancholisch-verletzliche Alben auf, bevor er 2012 mit "Fear Fun" zu Father John Misty mutierte, der es eher vollmundig-schwelgerisch und hymnenhaft-prunkvoll mag.

    Ist "Mahashmashana" die bisher überzeugendste Platte von Josh Tillman als Father John Misty? Wahrscheinlich, aber sie ist auf jeden Fall seine abwechslungsreichste. Ist "Mahashmashana" die letzte Platte von Josh Tillman unter dem Spitznamen Father John Misty? Vielleicht könnte die Feuerbestattungs-Verbindung im Titel ein versteckter Hinweis darauf sein. Was soll denn auch noch nach "Mahashmashana" an Steigerung folgen, wo sich das Werk in seiner satten, großzügigen, beinahe vollkommenen Fülle sowieso wie ein zufriedener, am Ziel angekommener Abgesang anhört? "Mahashmashana" ist ein Meisterwerk und lässt musikalisch keine und textlich einige Fragen offen.
    Meine Produktempfehlungen
    • Mahashmashana Mahashmashana (LP)
    • Mahashmashana Father John Misty
      Mahashmashana (CD)
    • Mahashmashana (Limited Indie Edition) (Plum & Silver Marbled Vinyl) Mahashmashana (Limited Indie Edition) (Plum & Silver Marbled Vinyl) (LP)
    • Greatish Hits: I Followed My Dreams And My Dreams Said To Crawl (Digisleeve) Father John Misty
      Greatish Hits: I Followed My Dreams And My Dreams Said To Crawl (Digisleeve) (CD)
    • Chloe And The Next 20th Century Father John Misty
      Chloe And The Next 20th Century (LP)
    • Chloe And The Next 20th Century (Limited Edition) (Blue Vinyl) Father John Misty
      Chloe And The Next 20th Century (Limited Edition) (Blue Vinyl) (LP)
    • Pure Comedy Father John Misty
      Pure Comedy (LP)
    • Mahashmashana Father John Misty
      Mahashmashana (CD)
    • Fear Fun (Reissue 2021) Father John Misty
      Fear Fun (Reissue 2021) (LP)
    • Mahashmashana Father John Misty
      Mahashmashana (CD)
    • Chloe And The Next 20th Century Father John Misty
      Chloe And The Next 20th Century (CD)
    • Mahashmashana (Blue Mash Up Vinyl) Father John Misty
      Mahashmashana (Blue Mash Up Vinyl) (LP)
    • Greatish Hits : I Followed My Dreams And My Dreams Said To Crawl (Colored Vinyl) Father John Misty
      Greatish Hits : I Followed My Dreams And My Dreams Said To Crawl (Colored Vinyl) (LP)
    • Fear Fun (Reissue 2021) Father John Misty
      Fear Fun (Reissue 2021) (CD)
    • Fear Fun [ltd.] Father John Misty
      Fear Fun [ltd.] (LP)
    • Gods Favorite Customer Father John Misty
      Gods Favorite Customer (LP)
    • Gods Favorite Customer [ltd.] Father John Misty
      Gods Favorite Customer [ltd.] (LP)
    • Fear Fun Fear Fun (CD)
    • Chloe And The Next 20th Century [ltd.] Father John Misty
      Chloe And The Next 20th Century [ltd.] (LP)
    • Pure Comedy Father John Misty
      Pure Comedy (CD)
    Wide Open Space Roosmarijn
    Wide Open Space (CD)
    26.11.2024
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Vom Geheimtipp zum Superstar? Nichts ist unmöglich bei der konstant hohen Qualität, die Roosmarijn mit "Wide Open Space" abliefert!

    Die 29-jährige hauptamtliche Sängerin und an der Klassik geschulte Bratschistin Roosmarijn Tuenter aus Arnhem in den Niederlanden legt mit "Wide Open Space" ihr erstes Volle-Länge-Album vor. Bisher gab es nur die EP "Inside Out" aus 2019 von ihr zu hören. Für die reichhaltig und kreativ untermalte Umsetzung des aktuellen Werkes standen elf Musikerinnen und Musiker zur Verfügung, die mit Roosmarijn zu einer homogenen Einheit verschmolzen. Die dabei erzeugte Musik speist sich aus etlichen Stilen, besonders ragen dabei malerischer Dream-Pop und psychedelischer Folk-Jazz sowie hypnotische Minimal-Art Strukturen hervor.

    Diese drei Bestandteile sorgen beim Opener "Outside" dafür, dass der Song mal verträumt in den Wolken hängt, dann wieder geerdet einem festen, monoton ablaufendem Rhythmus folgt, um sich außerdem plötzlich in einem spirituell verschwommen erscheinenden Umfeld unter der Führung von wogendem, lautmalerischem Gesang als kundiger Bote und extravaganter Experte zeigt. Viele Einflüsse bereichern diese Klanglandschaft, die trotz experimenteller Ansätze jederzeit zugänglich bleibt. "Outside" bewahrt sich neben seinem anspruchsvollen Rahmenprogramm einen aufmunternden Groove, der dem interessanten Art-Pop eine individuelle Note beschert.

    Roosmarijn erweist sich nicht nur hinsichtlich des Titels ihrer Platte als naturverbunden. So ist es wohl kein Zufall, dass der Einsatz eines nach Harfe klingenden Saiteninstrumentes für "Belonging" an kühl plätscherndes, klares Wasser erinnert. Als Kontrast dazu hört man einen melodisch starken Bass und schnell getaktete Percussion-Töne, die an asiatische Folklore denken lassen. Über diesen lebendigen Rahmen breitet Roosmarijn ihre reine, beinahe unschuldig klingende, friedvolle Stimme aus. Emotional gibt es kein Entrinnen vor dieser süßen Verführung, die die Sinne vor Verzückung tanzen lässt. Trotz dieser harmonisch prickelnden Ausrichtung ist Roosmarijn im Ergebnis nicht frei von Zweifeln: "Ich hatte einmal das Gefühl, zu jemandem zu gehören. Es brachte mich an einen Ort von zarter Schönheit, einen sanften und nicht enden wollenden Tagtraum. Doch als ich anfing, ein Lied darüber zu schreiben, war die Musik nicht nur glücklich und unbeschwert. Was wäre, wenn ich aus diesem Gefühl der Zugehörigkeit nicht mehr herauskäme? Was, wenn ich den Bezug zur Realität verlieren würde?"

    "The Mother" verbreitet einen heimeligen Home-Recording-Charme und offenbart dabei ganz unauffällig virtuose Raffinessen. Hinter dem Intro aus gezupfter akustischer Gitarre und gesummtem sowie sehnsuchtsvollem Gesang treten Vogelgezwitscher und Alltagsgeräusche hervor. Ein quengelndes Saxophon zerreißt später die andächtige Stimmung und stoisch-monotone Piano-Akkorde bringen ein unruhiges Klang-Element ein.

    Eine stupide klopfende Trommel legt die Basis für "Room For Another Chest". Gegen diese Einsilbigkeit kämpfen der um optimistische Flexibilität bemühte Gesang, das beschwichtigende Piano und beschwingte Streicher erfolgreich an.

    "Fire Walk With Me" ist ein Plädoyer für die Stärkung des Selbstbewusstseins. Das ist wichtig, damit man gegenüber anderen unerschrocken die eigene Meinung vertreten kann. Orientalisch eingefärbte Streichinstrumente leiten den Track ein, der sich danach bald in einen druckvoll pressenden Art-Rock verwandelt, aber immer wieder zum wellenartig schwingenden Beginn zurückfindet.

    Die unverhoffte Begegnung mit der Anmut eines Rehs prägte die Lyrik für "Dear Deer". Als Mensch sind wir Sammler von eindrucksvollen Momenten, die wir genießen und als abrufbare Wohltat in unserem Gedächtnis speichern sollten. Intuitiv benutzte, klassische Ausdrucksweisen treten für dieses Stück zutage. Die Bratsche wird sowohl gestrichen als auch gezupft und verleiht dem Lied eine feierlich-kultivierte Strenge und Würde.

    Bei "Shattered Heart" geht es natürlich um ein gebrochenes Herz. Aber statt in Selbstmitleid zu zerfließen, schöpft Roosmarijn aus dem Desaster Kraft. Denn sie erkennt, dass dieser Zustand ihre Fähigkeit offenbart, tief und innig lieben zu können. Und dieses sich Hingeben geht eben manchmal nicht ohne Blessuren ab. Repetitive E-Gitarrenakkorde, die an das Schaukeln von Ästen im Wind erinnern, Blechbläser, die zum Tränen erfüllten Happy-End blasen und ein wiegender Background aus Geigen-, Percussion-, Bass- und Synthesizer-Klängen sorgen für hilfreiche Schwingungen. Stimmungsvoller kann man ein gebrochenes Herz nicht heilen!

    Albtraum oder Fieber? LSD oder psychedelische Pilze? Irgendeine der aufgeführten Zustände oder Substanzen scheinen "Different Pace" beeinflusst haben. Beginnt der Track noch lebendig und munter, so entwickelt er zunehmend bizarr-ausschweifende, verschnörkelte Tendenzen, die ihn schließlich in die Verwirrung führen. Seltsam und unbequem, aber dadurch auch sehr reizvoll!

    Mit den Worten: "Es geht um die stillen Momente, in denen wir uns wirklich die Zeit nehmen, einander zu sehen, eingehüllt in eine Wärme, die noch lange nach dem Morgengrauen anhält", erklärt Roosmarijn die Botschaft hinter "Taking Time". Die Musik friert anfangs förmlich die Zeit ein und man kann in der Folge dem Auftauen zuhören und so einem vor Inspiration glänzenden Pop-Song mit großer Anziehungskraft lauschen. Roosmarijn singt sinnlich-erotisch und ihre Begleiter und Begleiterinnen betten sie dabei förmlich auf Rosen und Samt.

    Trocken gezupfte Ukulelen und ein rollender Bass begleiten die exakt formulierende Stimme von Roosmarijn bei "Where Bones Become Roots" zuverlässig und erschaffen fast durchgehend eine von Disziplin geprägte Stimmung. Erst ganz am Schluss öffnet sich ein erwartungsvoll-ehrfürchtiger Blick in die Unendlichkeit.

    Bei "Wide Open Space" folgt auf die elektronisch erzeugten, ploppenden, rhythmisch anstachelnden Sounds eine Phase der pulsierend angespannten Atmosphäre. Danach fällt dieses Konstrukt in sich zusammen und die mächtig aufgetürmte Dramatik der Schlussphase beendet den Track pompös.

    Roosmarijn ist mit "Wide Open Space" ein erstaunlich vielseitiges, tiefgründiges und melodisch zart gesponnenes, reizvolles Album gelungen. Sie erschafft einen der seltenen Glücksfälle, bei denen komplex verbundene solistische oder gruppendynamische Glanzstücke mit einer zärtlich-introvertierten Stimme eine attraktive, leichtfüßig-harmonische und bei aller Geschmeidigkeit auch fordernde Einheit eingehen. Menschen, die für die Musik von Susanna, Tindersticks, Andrew Bird, Pentangle oder David Sylvian schwärmen, werden wahrscheinlich auch großen Gefallen an dem Meisterwerk "Wide Open Space" von Roosmarijn finden.
    Meine Produktempfehlungen
    • Wide Open Space Roosmarijn
      Wide Open Space (CD)
    • Wide Open Space Roosmarijn
      Wide Open Space (LP)
    A Small Conduit Of Great Affairs Scott Matthew
    A Small Conduit Of Great Affairs (CD)
    26.11.2024
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Der feinfühlige Poet und Interpret Scott Matthew huldigt mit "A Small Conduit Of Great Affairs" ein zweites Mal seinen Lieblingsliedern.

    Der Singer-Songwriter Scott Matthew aus Australien, der bereits seit kurz nach der Jahrtausendwende musikalisch aktiv ist, versteht nicht nur das Entwickeln von eigenen Songs als kreative Leistung, sondern auch das Interpretieren von Kompositionen anderer Musikerinnen und Musiker. Entsprechend bringt er seine Gefühle und Sichtweisen in die ausgewählten Lieder ein, die für ihn eine besondere Bedeutung haben. Und das sind nicht etwa nur Stücke von Künstlern, die im weitesten Sinne dem Americana-Genre zuzuordnen sind, wie Bob Dylan, sondern es gehören auch Mainstream-Hit-Lieferanten wie Rihanna dazu.

    Was macht ein Künstler, wenn er bemerkt, dass die Themen, die ihn bisher inspiriert haben, nicht mehr die Leidenschaft in ihm auslösen, die es braucht, um tief empfundene, individuell einzigartige Arbeiten zu ermöglichen? Er kann diesen Zustand leugnen und einfach weitermachen, um zu hoffen, dass er zu alter Form zurückfindet. Oder er gibt auf oder pausiert, weil die Bedenken ein "weiter so" nicht zulassen. Für letzteres hat sich der sensible australische Musiker Scott Matthew entschieden, als ihm seine Kreativitäts-Misere bewusst wurde. Er wollte kein Musiker mehr sein, wenn er nicht gewährleisten könne, dass er für seine Kunst innerlich brennt. Nun gab es aber doch noch Motivationen, die ihn zurück auf die Bühne brachten und es ihm erlaubten, mit voller Überzeugung einen Neustart zu wagen. Und zwar in Form eines Cover-Versionen-Albums, also einer Ausdrucksform, die für ihn nicht unbekannt ist. Denn im Jahr 2013 hatte er schon einmal ein solches Vorhaben erfolgreich realisiert.

    Jetzt gibt es also quasi eine Fortsetzung vom damaligen "Unlearned". "A Small Conduit Of Great Affairs" ist in Gänze ein Balladen-Album geworden, das mit wechselnder Instrumentierung - häufig in Band-Stärke - aufgenommen wurde. Scott Matthews neues Werk enthält elf Fremdkompositionen und mit "Friends And Foes" einen eigenen Song, den er neu definiert.

    Los geht's aber mit "If Not For You" von Bob Dylans unterbewertetem 1970er-Album "New Morning". Dieses Liebeslied für seine damalige Ehefrau Sara ist nach Dylans Beurteilung eine einfache Art von Tex-Mex, der über eine Folk-Basis verfügt. Der Track kommt beschwingt und locker daher, wirkt aber nicht betont ausgelassen. Matthew nimmt bei seiner Umsetzung fast die ganze Geschwindigkeit aus dem Ursprung heraus und badet stattdessen unter Verwendung von bedächtigen Roots-Music-Tönen in triefender Seelen-Pein und düsterer Tristesse. Übermittelt Dylan Zufriedenheit mit seinem Leben, so zeigt sich Scott dagegen als gebrochener Mann.

    Der Mitte der 1980er Jahre veröffentlichte Pop-Song "Live It Up" der australischen Band Mental As Anything ist auch heute noch bei Liebhabern von leicht zugänglichem Liedgut beliebt. Wie zu erwarten, ist die Version des Australiers eine langsamere Variante des Originals, die sich aber nicht unterkriegen, sondern von den ersten Sonnenstrahlen des Tages wärmen und trösten lässt.

    Neil Hannons Formation The Divine Comedy zeichnet sich durch gepflegte, interessante Pop-Songs aus. Ein besonders prächtiges, beeindruckendes Lied ist das sakrale, sphärisch-rauschhafte "Eye Of The Needle" vom 2001er-Werk "Regeneration". Scott interpretiert dieses Kleinod nüchterner und straffer, ohne den psychedelischen Ansatz der Vorlage.

    Aus der marktschreierischen, grell produzierten Electro-Disco-Nummer "Only Girl (In The World)" von Rihanna destilliert Matthew die gefälligen Melodie-Bestandteile heraus und erzeugt daraus ein anrührendes, Hilfe suchendes, dunkles Chanson.

    Eine ähnliche Aufwertung gelingt dem hochsensiblen Musiker durch die Neudeutung des zappeligen, dünnblütigen "All The Lovers" von Kylie Minogue. In seinen Händen reift der Teeny-Pop-Einheitsbrei zu einem erwachsen wirkenden Pop-Song heran.

    "Some Say (I Got Devil)" gehört durch den fragilen Barock-Folk-Hintergrund zu den schönsten Songs von Melanie Safka, die ihren kommerziellen Durchbruch beim Woodstock-Festival im Jahr 1969 feierte. Scott Matthew orientiert sich weitgehend am Original und lässt seine bedrückend sorgenvolle, detailreich-zart gesponnene Fassung dadurch zur Hommage an die leider am 23. Januar 2024 verstorbene Sängerin werden.

    "Friends And Foes" erschien erstmalig im Jahr 2009 auf dem Scott-Matthew-Album mit dem rekordverdächtig langen Namen "There Is An Ocean That Divides And With My Longing I Can Charge It With A Voltage Thats So Violent To Cross It Could Mean Death" als Piano-Ballade. Bei der Neuaufnahme setzt Scott müde klingenden Background-Gesang für die lautmalerische "Lalala"-Verzierung ein. Die instrumentale Begleitung für die aktuelle Einspielung wurde betont spartanisch belassen, was dem Song eine spontane Übungsraum-Atmosphäre verschafft.

    Tracey Thorn und Ben Watt sind eine Klasse für sich. Ob Solo oder als Everything But The Girl verstehen sie es vorzüglich, Coolness und Empathie unter einen Hut zu bringen. Das sich an der Bossa Nova orientierende "Fascination" von ihrem Album "Eden" aus 1984 ist ein anschauliches Beispiel für diese These. In der Bearbeitung von Scott Matthew wird klar, dass ihn die Schatten der Vergangenheit, die inhaltlich zwischen zwei Liebenden stehen können, viel mehr beunruhigen, als es Tracey Thorn stimmlich bei "Fascination" ausdrückt. Deshalb wirkt das Lied auf "A Small Conduit Of Great Affairs" auch wesentlich ängstlicher als bei ihr, trotz des von Scott eingesetzten, frischen, perlenden Pianos.

    Olivia Newton-John macht aus ihrem "Sam" von 1977 einen sentimentalen, schwülstigen Trennungs-Schmachtfetzen, in dem sie alles bereut und verzeiht, was passiert ist und die Beziehung fortsetzen möchte. Scott greift die Verzweiflung auf, die sich hinter den süßlichen Noten von Olivia versteckt. Er lässt die wahre Tragik erblühen, indem das Lied beinahe in Zeitlupe abläuft und durch Streicherinstrumente eine bleierne Klagestimmung erzeugt wird. Diese unterschiedlichen Arten der Umsetzung sind ein einleuchtendes Beispiel dafür, wie unrealistisch künstlich aufgebauschte Töne und wie herzzerreißend authentisch wahrgenommene Gefühle klingen können.

    Simone White hat mit ihrem sanften Folk-Jazz "Sweetest Love Song" tatsächlich ein wunderschönes Liebeslied geschrieben. Es beschreibt mit großer Gelassenheit die Freude darüber, eine gleichgesinnte Person gefunden zu haben, die Glück und Zufriedenheit ins Leben bringt. Scott Matthew wäre nicht Scott Matthew, wenn in seiner Betrachtung bei aller im Text ausgedrückten Harmonie nicht auch eine große Portion Zweifel mitschwingen würde.

    "Easy To Be Hard" ist ein Lied aus dem Musical "Hair", das Ende der 1960er Jahre populär war und die Hippie-Bewegung auf die Broadway-Bühne brachte. Musikalisch blieb die trendige Inszenierung aber weitestgehend im Mainstream-Soul-Pop stecken, was auch für "Easy To Be Hard" gilt. Aber das kann nicht für Scotts Bearbeitung geltend gemacht werden: Er rettet das ursprünglich aufgeblasene, theatralische Stück vor dem Mittelmaß, indem er es in eine seriöse, interessante Form überführt.

    Rita Coolidge, die Ex-Frau von Kris Kristofferson, nahm 1977 die schmachtende Pop-Hymne "We’re All Alone" auf, die es bis auf Platz sieben der US-amerikanischen Billboard-Charts schaffte. Der Track ist eine Steilvorlage für den introvertierten Singer-Songwriter aus Australien, der im Hinblick auf die zur Schau gestellten, aufgewühlt-andachtsvollen Gefühle noch mehrere Intensitätsstufen oben draufsattelt.

    "A Small Conduit Of Great Affairs" vermittelt in keiner Sekunde den Eindruck, dass der handelnde Musiker in einer Identitätskrise gesteckt hat oder noch stecken würde. Es scheint also bei Scott Matthew alles wieder im Lot zu sein. Wer keine Angst davor hat, sich in eine Songsammlung zu stürzen, die fast ausschließlich aus schwermütigen Liedern besteht und wer sich generell mit intim-berührendem Liedgut wohlfühlt, der liegt bei "A Small Conduit Of Great Affairs" genau richtig. Hier bekommt man nämlich eine volle Breitseite an verletzlich-traurigen Stücken geboten, die je nach eigener Verfassung das Herz wärmen oder schwer machen können. Für eine intensive emotionale Dusche ist also gesorgt und für konstruktive Melancholie sowieso.
    Meine Produktempfehlungen
    • Scott Matthew (Limited Edition) (Blue Vinyl) Scott Matthew
      Scott Matthew (Limited Edition) (Blue Vinyl) (LP)
    • A Small Conduit Of Great Affairs (Limited Edition) (Red Vinyl) Scott Matthew
      A Small Conduit Of Great Affairs (Limited Edition) (Red Vinyl) (LP)
    • A Small Conduit Of Great Affairs Scott Matthew
      A Small Conduit Of Great Affairs (CD)
    • Adorned Scott Matthew
      Adorned (CD)
    • Scott Matthew Scott Matthew
      Scott Matthew (CD)
    • Ode To Others (180g) Scott Matthew
      Ode To Others (180g) (LP)
    • Life Is Long (180g) Scott Matthew & Rodrigo Leao
      Life Is Long (180g) (LP)
    • Ode To Others Scott Matthew
      Ode To Others (CD)
    • Galantry's Favorite Son Scott Matthew
      Galantry's Favorite Son (CD)
    • This Here Defeat (180g) Scott Matthew
      This Here Defeat (180g) (LP)
    • Unlearned (180g) Scott Matthew
      Unlearned (180g) (LP)
    • Scott Matthew (180g) Scott Matthew (180g) (LP)
    • This Here Defeat Scott Matthew
      This Here Defeat (CD)
    • Adorned (180g) Scott Matthew
      Adorned (180g) (LP)
    • Life Is Long Scott Matthew & Rodrigo Leao
      Life Is Long (CD)
    • Unlearned Scott Matthew
      Unlearned (CD)
    • Scott Matthew +1 Scott Matthew
      Scott Matthew +1 (CD)
    • Scott Matthew Scott Matthew (CD)
    • There Is An Ocean That Divides Us Scott Matthew
      There Is An Ocean That Divides Us (CD)
    • Scott Matthew Scott Matthew (CD)
    Partysongs For The Downcast Romie
    Partysongs For The Downcast (CD)
    26.11.2024
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Sie bewahren das musikalische Vermächtnis des Americana-Sounds und tragen eine attraktive Geborgenheit im Herzen: Romie liefern mit "Partysongs For The Downcast" einen idealen Soundtrack für sensitiv veranlagte Feingeister ab.

    Das Herzstück jeder Komposition auf "Partysongs For The Downcast" ist der sauber abgestimmte, unwiderstehlich verlockende Gesang von Paula Klee und Jule Heidmann, die sich als Duo Romie nennen. Die beiden künstlerisch veranlagten Frauen lernten sich 2013 beim Musikstudium in Frankfurt am Main kennen und bemerkten schnell, dass sie über die gleiche Wahrnehmung verfügen, wenn es um die Vorstellung von klanglich umzusetzenden Emotionen geht. Das erste öffentlich präsentierte Resultat dieser Zusammenarbeit war die EP "Favourite Attic" in 2017. 2020 folgte mit "Trust In The You Of Now" das erste gemeinsame Album.

    Auf dem zweiten Longplayer werden die Ladies von dem Gitarristen Tino Rühlemann, dem Organisten und Pianisten Aaron Poellet und dem Schlagzeuger Max Pfreimer, der auch für die transparent klingende Produktion und die dritte Singstimme verantwortlich ist, einfühlsam begleitet. Dieses Trio bildet die Band Safe Haven. Im Nachgang kamen für die Platte unter anderem noch Beiträge von Benjamin Fazlagic und Constanze van Deyk (Streichinstrumente), Matt Kelly von City & Colour an der Pedal-Steel-Gitarre, sowie Sitar-Klänge von Tony Clark und Harfen-Töne von Mikaela Davis dazu.

    Der Eröffnungs-Track "And The Day Begins" lässt die glorreichen Zeiten des Westcoast-Rocks aus den End-1960ern und von Anfang der 1970er-Jahre auferstehen. Er pflegt einen sauberen, hingebungsvollen zweistimmigen Gesang, zeigt mit der Textzeile "So Long, Marianne" eine Referenz an Leonard Cohen an und bringt packenden Folk- und sanften Soft-Rock in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander. Sogar die kanadischen Cowboy Junkies, die für Viele eine Referenz-Band für eindringlich-virtuose Roots-Rock-Sounds sind, kommen beim Hören dieses lieblich-groovenden Songs, der sich inhaltlich um die Vermeidung von Eskalationen in einer schwierigen Partnerschaftssituation bemüht, in den Sinn.

    Dass es eine heilsame Wirkung von Musik in dunklen Zeiten gibt, ist eine Grundüberzeugung der Musikerinnen. Sie hoffen, mit ihren Ausdrucksmöglichkeiten die bösen Geister oder eben die schwarzen Krähen fernhalten zu können. Zu oft mussten die Frauen allerdings mit ansehen, wie Freunde ihr gesundheitliches oder mentales Gleichgewicht verloren. Deshalb möchten sie mit der Kraft von positiven Schwingungen dagegenhalten. Die Ballade "Black Crows" verschmilzt den harmonischen Duett-Gesang der Damen zu einer perfekt verschmolzenen Einheit und zeigt sich abgesehen von einer engagierten, forschen, angriffslustigen E-Gitarren-Einspielung von einer ausgeruht-gelassenen Seite.

    Auch "Auburn" lässt friedlich-entspannte Augenblicke entstehen und benötigt zur Verwirklichung dieser Stimmung eine lange Zeit nur die reinen Stimmen und eine akustische Gitarre. Später kommen als Begleitung noch cremig schwirrende Geigen und abschließend die kompakte Rhythmuseinheit nebst einer unaufdringlich zischenden Orgel dazu. Das Lied ist erfüllt von "Gedanken über das Erwachsen werden, das Heilen und das Loslassen falscher Glaubenssätze." Es geht auch darum, "das Leben wieder genießen zu lernen und um den unbedingten, tiefen Wunsch nach einem Neuanfang."

    Für die Romantik in "Just Play The Part" ist ein weicher, schwelgender Pop-Anstrich verantwortlich, weshalb das Lied in seiner verschwenderisch sentimentalen, in sich ruhenden Form an Katie Melua denken lässt. Textlich wird bei diesem, sich um eine unerwiderte Liebe drehenden Song mit "Don`t Let Me Down" noch eine Referenz an die Beatles eingebaut.

    Beim Namen "Penny Lane" denkt man auch unwillkürlich sofort an die Beatles. "Last Call For Miss Penny Lane" meint aber die Protagonistin aus dem Film "Almost Famous" von Cameron Crowe aus dem Jahr 2000, mit Kate Hudson als Penny Lane in einer Haptrolle. Ihr wird mit diesem optimistischen - nur in Nuancen an das kammermusikalische Vermächtnis der Fab-Four angelehnte Lied - ein behutsam vorgetragenes phonetisches Denkmal gesetzt.

    Für "Oh, How" übernehmen eine knurrig rumorende, sich an Feedback-Momenten ergötzende E-Gitarre, monotone Trommeln, eine zwitschernde Sitar, eine fauchende Hammond-Orgel und im Abspann eine klirrende Harfe die instrumentelle Gestaltung und das die Richtung bestimmende Ruder. Dadurch gestaltet sich der Track wie ein melodisch ausgerichteter, gestrafft organisierter Psychedelic-Folk-Rock. Das Ergebnis sind rauschhafte Klänge ohne die üblichen improvisierten Überlängen.
    Völlig verschüchtert, zurückhaltend und intim-fragil kommt "That I Am" daher und bringt die Botschaft mit, sich nicht aufgrund negativer Glaubenssätze das eigene Zutrauen zerstören zu lassen. Der Gesang von Paula und Jule ist sanft, sensibel und auf eine unwiderstehlich sympathische Art anrührend kitschig. Er wird sinnlich gehaucht und dabei mit Herzschmerz aufgeladen. Die Ausschmückungen von zwei akustischen Gitarren, Piano und Streicherklängen sind so dezent, dass sie kaum auffallen, aber dennoch effektiv zur getragenen Stimmung beitragen.

    Der Ausspruch "Alas" bedeutet so viel wie "Ach!" Das Lied "Alas, Can You Help Me" klingt zerbrechlich, reduziert und traurig. Daneben ist es poetisch so stark aufgestellt, als wäre es ein bislang verschollener Leonard-Cohen-Song.

    Das fünfeinhalb Minuten lange "Dust Upon The Stairwell" stellt die Sehnsucht nach den schönen, prägenden Phasen im Leben in den emotionalen Mittelpunkt. Das Stück läuft langsam und schwermütig gestimmt ab. Selbst die weitläufigen, harschen E-Gitarren-Soli klingen wie klagende, schmerzvolle Gesänge. Aber es ist eine konstruktive Melancholie, die geboten wird: Obwohl ein Grauschleier über den Klängen liegt, verbreiten sie dennoch eine erwartungsvolle Haltung.

    Der sphärische, teils frei schwebende Abschluss-Track "All The Times That I Felt Lonely" macht Einsamkeit spürbar und kratzt dabei gefühlsmäßig an die Pforten einer süßlichen, manipulativen Sentimentalität. Die Space-Sounds setzen dabei den Blick in die Ewigkeit frei, die als Abgrund oder Erlösung empfunden werden kann.

    Die Americana-Sound-Landschaft bietet ein weites Spektrum an Klängen. Daraus suchten sich Romie die für sie passenden Schwingungen und Strukturen heraus und ergänzten sie um persönliche Favoriten und Vorlieben. Auf diese Weise verschafften sie sich eine Lücke zwischen überlieferten Traditionen und gelebten Innovationen. Ein Glücksfall war dann noch, dass Kenneth Pattengale von den Milk Carton Kids für den End-Mix gewonnen werden konnte, wobei er noch geschmackvolle Verfeinerungen vornahm.

    Wie feiern niedergeschlagene, bedrückte Personen Partys? Wahrscheinlich nicht unter vielen Menschen mit ordentlich Remmidemmi, sondern eher für sich, in Gedanken versunken und wenn es gut läuft, mit positiven, aufbauenden Emotionen, die aus der Musik heraus entstehen. In diesem Umfeld kann es guttun, Gleichgesinnte um sich zu haben oder sie zu spüren.

    Und da kommt "Partysongs For The Downcast" von Romie ins Spiel. Die zehn Songs sind mitfühlend, aber nicht depressiv. Sie schmeicheln sich an, sind aber nicht banal-aufdringlich. Dann gibt es noch zupackende und zarte Bestandteile, die sich manchmal innerhalb eines Songs abwechseln und auf diese Weise für interessante Reibungen sorgen. Genau die richtige Mischung, um Gemütlichkeit und eine Erwartung an geistvoll-erhebende Klänge zu befriedigen.

    Das Werk bietet so viel mehr als nur ein Musterkoffer für die Unterhaltung von betrübten Seelen zu sein. Die Platte ist darüber hinaus nämlich ein Labsal für jene Personen, die detailreiche, tiefenwirksame, intelligent arrangierte und originell eingespielte, an den Americana-Sound-Kosmos angelehnte Songs zu schätzen wissen. Man spürt in jeder Phase den Enthusiasmus, mit dem alle Beteiligten bei der Sache gewesen sind, um Augenblicke von unvergänglicher Schönheit und Qualität zu erschaffen.
    Meine Produktempfehlungen
    • Partysongs For The Downcast Romie
      Partysongs For The Downcast (CD)
    • Partysongs For The Downcast (handsigniert) Romie
      Partysongs For The Downcast (handsigniert) (LP)
    • Partysongs For The Downcast (Limited Edition) (Red Vinyl) Romie
      Partysongs For The Downcast (Limited Edition) (Red Vinyl) (LP)
    Out Of The Blue Out Of The Blue (CD)
    26.11.2024
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Und plötzlich ergeben die Einzelteile einen übergeordneten Sinn: "Out Of The Blue" von Olicía ist ein Musterbeispiel für intelligente, zugängliche und anregende Multi-Media-Kunst.

    Fama M’Boup und Anna-Lucia Rupp, die für das Projekt Olicía zusammenfanden, haben eine präzise Vorstellung davon, was sie mit welchen Mitteln in ihrer Musik ausdrücken möchten. Die treffende Beschreibung der Fertigkeiten, die auf ihrer Homepage zu lesen ist, gibt einen bildhaften Überblick darüber ab, was von ihnen erwartet werden darf: "Die Musik von Olicía bewegt sich im Spannungsfeld zwischen menschlicher Stimme, akustischen Instrumenten, freier Improvisation und dem Einsatz moderner elektronischer Möglichkeiten. Irgendwann gaben sie ihr den Genrenamen „elektronischer handgemachter Loopjazz“.
    Fragmentierter, elektronischer Soul, verspielter, mehrsprachiger Global-Pop, fragile Folk-Momente und ein dem Jazz entlehnter Improvisationsansatz innerhalb einer festen Struktur. All diese disparaten Elemente vereinen sie in erstaunlich prägnanten, direkten und emotionalen Popsongs."

    Apropos bildhaft: Die Songs des neuen Werkes bekamen künstlerische Arbeiten in Form von Abbildungen oder Videos zugeordnet, die "als gleichwertiges Gegenstück" zur Musik fungieren und auch ein verbindendes Element darstellen.

    Mit "Out Of The Blue" veröffentlichen die beiden Frauen, die derzeit in Leipzig und Berlin leben, ihr zweites Album. Das Debüt-Doppelalbum "Liquid Lines" erschien bereits im Pandemie-Problem-Jahr 2021. Die 14 neuen Tracks bringen wie selbstverständlich unter anderem sprühende Kreativität, musikalische Vielfalt und stimmungsvolle Poesie zusammen.

    Für "Hidden Portraits" entwarf der Dresdner Fotograf Micha Steinwachs ein analoges Portrait-Foto, das einen zufällig getroffenen Menschen abbildet, jedoch kein Gesicht zeigt. Es taucht bei der Betrachtung die Frage auf, welche Persönlichkeit sich wohl hinter dem versteckten Antlitz verbirgt. Das Lied "handelt von diesem frischen Geisteszustand, in dem man eine andere Person kennenlernt. Man sieht jemanden, wie er ist, aber man zeigt oder nimmt nicht alles auf einmal wahr. Es gibt kleine Details, die man entdecken kann, aber andere, die noch nicht zu sehen sind", erwähnt Anna-Lucia. Und Fama führt weiter aus: "Bei alltäglichen Begegnungen zeigen wir Teile von uns, die wir bereit sind zu entblößen und andere zu verstecken. Und manchmal gilt das auch für intime Beziehungen." Die sanfte akustische Gitarre schmückt das Lied gelassen aus und Percussion-Klänge, die auf Basis von Stimm-Lauten generiert wurden, geben dem Song eine pfiffige Ausrichtung. Im Hintergrund läuft als Ablenkung ganz dezent ein Gespräch ab, das in einem Zug mitgeschnitten wurde. Gegen Ende der realitätsnahen Kulisse verströmt dann ein sinnlich-romantisches Klarinetten-Solo kammermusikalische Eleganz. So funktioniert lebendig-sensible Multi-Media-Hochkultur, die die Seele verwöhnt!

    "Finally" zapft Texte der iranischen Autorin Sudabeh Mohafez an, die auch den Begriff "Out Of The Blue", was eigentlich "aus heiterem Himmel" bedeutet, verwenden. Olicía interpretieren diese Bezeichnung nicht nur als das Unerwartete, das positiv oder negativ erlebt werden kann, sondern auch als etwas, das quasi aus dem Nichts entstanden ist. Die weitblickenden Frauen kreieren zu dieser Überlegung einen dynamisch pulsierenden Song, der afrikanisch anmutende Rhythmik, vielschichtigen Gesang und melodische Besonderheiten verwendet und somit lebensfrohe und ausgeglichene Momente bereithält.

    "Wie die einzeln gewebten Fäden einer Leinwand, die mit Kreidefarbe eingerieben wurden, gehen die verschiedenen Teile ineinander über und verschmelzen zu einer eigenen Struktur, die uns neu und doch vertraut erscheint", berichtet Fama M'Boup über das Kooperations-Ergebnis der abstrakten Malerin Claudia Kleiner, das sie für "Kleine Töne" beisteuert. Das zugehörige Lied beinhaltet "ein Gedicht (in deutscher Sprache) über den Prozess der Schaffung oder Wahrnehmung eines Kunstwerks, bei dem die Grenze zwischen Klängen und Farben auf fast traumhafte Weise verschwimmt." Drumherum spielt sich ein mit zwitschernden, zischelnden Klängen versehener, fröhlicher Jazz-Pop ab. Die dafür vermeintlich elektronisch erzeugten Bass- und Percussion-Töne stammen allerdings aus der Kehle von Fama M'Boup und beweisen erneut das beeindruckend kreative Gesangs-Potential der Damen.

    Für "Branches" entwarf die Holz verarbeitende Künstlerin Dshamila Annina eine Installations-Collage und stellte zusätzlich Holz-Percussion-Instrumente zur Verfügung. Allerdings beginnt das Lied zunächst wie ein intimer, anglo-amerikanischer, Akustik-Gitarren-dominierter, detailreicher Hippie-Folk-Song. Erst die Sound-erweiternden Marimbaphon-ähnlichen Natur-Holz-Klänge verbreiten dann jede Menge fremdartiger Exotik. Der makellose, himmlisch-verführerische Duett-Gesang bildet nebenbei das krönende Sahnehäubchen für diese ausgeruhte und verspielte Komposition.

    Die auf den ersten Blick schlicht aussehende optische Ergänzung zu "Warrioress" kam von der Schmuckdesignerin und Goldschmiedin Malene Glintborg aus Kopenhagen in Dänemark. Aus Famas Verständnis heraus kann Schmuck wie eine Rüstung sein oder wenn er spirituell mit unseren Wünschen aufgeladen wurde, als Schutz oder ein Kraftspender dienen. Das feierliche, sich voluminös steigernde Stück weist aus dieser Annahme heraus deutliche spirituelle, andachtsvolle und minimalistische Einflüsse auf. "In gewisser Weise vermitteln sowohl der Song als auch das Kunstwerk eine Vorstellung von Macht, von der Entfaltung ungeahnter Kräfte", beschreiben die Olicía-Musikerinnen die Wirkung der verbrüderten Darstellungen.

    Der Hamburger Designer Gunther Kleinert hat sich Gedanken darüber gemacht, wie er "The Frame" zeichnerisch ins rechte Licht rücken kann: "Mein Ansatz war es, "Gruppen" von Instrumenten oder Gesängen zu bilden, um eine grafische Anordnung des Songs dekonstruktiv darzustellen." Olicía hatten bei der Gestaltung des Tracks die Vorstellung vor Augen, wie es wäre, über den Rahmen in ein Gemälde klettern zu können, um in etwa eine "Alice im Wunderland"-Erfahrung zu erleben. Und tatsächlich gibt es musikalisch etwas Dunkles, Mysteriöses und Rauschhaftes, mit dem man sich auseinandersetzen darf. Konturen verwischen, Stimmen wirken teilweise geisterhaft und die Sound-Effekte erzeugen eine albtraumhafte Atmosphäre.

    Die Dresdner Modedesignerin Katharina Haydeyan gestaltete mit Olicía für den Song "Bloom" ein Uni-Sex-Hemd mit ausladender Passform, damit man sich darin frei und unbeschwert fühlen kann. Dem Namen entsprechend ist "Bloom" passenderweise ein Lied über Neuanfänge ("Ich fühle, wie sich der Wind in mir dreht, ein neuer Anfang"). Der Track entledigt sich relativ schnell seiner anfänglichen Zurückhaltung und mutiert zu einem munteren, vom Rhythmus unermüdlich angetriebenen Art-Pop mit tanzbarem Soul-Groove.

    Der wortlose Gesang von "Circles" ist eine Demonstration der Kraft und Schönheit von zweistimmigen, femininen Duett-Partnerinnen. Dieser Eindruck erhält durch die meditative Konzentrations-Wirkung von rhythmischem Klatschen und dumpfen, hölzernen Percussion-Klängen eine naturidentische Ausstrahlung. Im Zusammenspiel mit den im neutralen Tonbereich angesiedelten elektronischen Schwingungen entwickelt sich daneben eine schnelllebige, aber intensive, harmonisch-komplexe Gemeinschaft.

    "Circles" gehört zu einer Serie von insgesamt sieben einminütigen Miniaturen. Drei davon entstanden in Zusammenarbeit mit der Berliner Experimental-Filmerin Lisa Hoffmann und alle wurden an unterschiedlichen Stellen in den Song-Zyklus eingebaut.

    Zu den Video-unterstützten Beiträgen zählt das in Französisch rezitierte und gesungene "Demandé", das von Hufgeklapper-Percussion untermalt wird, sowie das melancholische "One More Minute", bei dem die Frage aufgeworfen wird, was man tun würde, wenn nur noch eine Minute Leben übrig wäre und
    die Piano-Ballade "Under White Sheets", der ein fiktives Gedankenspiel zugrunde liegt, bei dem sich Menschen unter geschützten Bedingungen ehrlich alles sagen dürfen, was sie in Wirklichkeit nicht aussprechen würden. Die Auswirkung auf die Beziehung ist dabei ungewiss.

    Das hypnotisch-monotone, nur mit Gesang und Stimmgeräuschen aufgebaute "Two Steps Forward" vermittelt trotz der Kürze ein fertiges Pop-Konzept. In der Kürze liegt eben manchmal die Würze.
    Das Spoken-Word-Zwischenspiel "Bälle" stellt die Zeilen: "Bälle im Kopf, die bouncen, als gäbs kein Morgen mehr. Zum Beispiel: einer für Ängste, einer für Freuden, zwei für ToDos und ein halber für mich" in den Mittelpunkt des Hip-Hop-artigen Geschehens und die Space-Sounds von "Microscope", die mit glasklarem und sirenenartigem Gesang veredelt werden, entführen gedanklich und inhaltlich in unbekannte Welten, die ihre Geheimnisse noch nicht völlig preisgeben.

    "Out Of The Blue" ist das ambitionierte, innovative Multi-Media-Projekt zweier Frauen, die ihre Visionen von Musik, Poesie, Sound-Design und bildender Kunst in einem frischen Pop-Art-Kontext unter Beteiligung unterschiedlicher Künstlerinnen und Künstler zusammenfließen und wachsen lassen. Aufgrund ihres Fingerspitzengefühls und des gestalterischen Talents für die Erschaffung von fantasievollen, akustischen Klangwelten gelingt mit "Out Of The Blue" ein Song-Zyklus, der die Sinne mit Anmut betört und feinsinnige, klug konzipierte Spezialitäten bereithält. Bravissimo!
    Meine Produktempfehlungen
    • Out Of The Blue Out Of The Blue (LP)
    • Liquid Lines Liquid Lines (LP)
    Cartoon Darkness Amyl & The Sniffers
    Cartoon Darkness (CD)
    26.11.2024
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Frechheit, Provokation und ungezügelter Garagenrock: Bei "Cartoon Darkness" von Amyl And The Sniffers schlägt das Rock & Roll-Herz oft im deftigen Krawall-Takt.

    Auch Krach machen will gelernt sein. Nur einfach rotzig, böse oder laut zu sein, nützt alleine wenig, um nachhaltig eindrucksvolle Musik zu erzeugen. Damit dem Underground-Rock provokant-aufklärende Inhalte und nachhaltig wirksame Strukturen verliehen werden können, gehören Verstand und Einfühlungsvermögen immer zur Gestaltung dazu. Oder um es auf einen Nenner zu bringen: man muss griffige, aufwühlend-emotionale Songs schreiben und druckvoll-packend umsetzen können, um Herz, Hirn und Bauch in Flammen zu versetzen. Und das gelingt dem Quartett um Sängerin Amy Taylor trotz oder wegen eines hohen Trash-Faktors in aller Regel.

    Amyl And The Sniffers bestehen neben Amy Taylor noch aus dem Gitarristen Declan Mehrtens, der einen Großteil der Kompositionen auf dem neuen Werk mitzuverantworten hat, aus Gus Romer am Bass und dem Schlagzeuger Bryce Wilson. "Cartoon Darkness" ist das dritte Album der Band, nach "Amyl And The Sniffers" aus 2019 und "Comfort To Me" von 2021.

    Das nur knapp über 33 Minuten laufende aktuelle Album des Gespanns aus Melbourne beginnt drastisch. "Jerkin'" spart nicht mit Beschimpfungen und walzt alles mit einer massiven Breitseite von schmirgelnden Gitarren- und peitschend-stoischen Rhythmus-Attacken nieder, was nicht bei drei auf dem Baum ist. Wenn Amy dann noch ihren beißend-zornigen Gesang rauslässt, dann wird klar: Es werden keine Kompromisse geduldet, wenn es darum geht, die eigene Stimme zu erheben und Unzufriedenheiten sowie Missstände plakativ zu äußern.

    "Chewing Gum" würzt Hard-Rock mit Power-Pop und erreicht dadurch einen Groove, der diesem energischen Stück eine gewisse Lockerheit injiziert, ohne dass ihm dabei die Zähne gezogen werden. Als Referenz kann "Cherry Bomb" von The Runaways herangezogen werden.

    Für "Tiny Bikini" verwandelt sich Amy gesanglich in ein laszives Objekt der Begierde und entlarvt alle Voyeure, die in ihr aufgrund eines winzigen Bikinis nur ein Lustobjekt sehen und nicht eine selbstbewusste Frau. Der diese Situation begleitende Garagenrock ist einnehmend und glänzt mit knappen, brachialen Led-Zeppelin-Style-Gitarren-Akkorden, sodass sich sogar Classic-Rock-Fans mit dem Stück identifizieren könnten.

    Mit "Big Dreams" demonstrieren Amyl And The Sniffers ihre frisch gewonnene musikalische Vielseitigkeit. Weniger unkontrollierte Bösartigkeit, dafür mehr Song-Substanz machen den Track zu einem vorzüglich mundenden Mid-Tempo-Adult-Pop, der bei aller Zurückhaltung auch die Muskeln spielen lässt. "Du hast große Träume, du willst hier raus. Du hast es satt, in der Wohnung festzusitzen." Dieser Textausschnitt offenbart, dass in der Poesie das Verlassen der Komfortzone unter schwierigen Bedingungen problematisiert wird.

    "It's Mine" suhlt sich danach in Wut und wahnwitzigem Speed-Metal. Schließlich geht es um Toleranz, Selbstbestimmung und in gewisser Weise auch um Konsumterror. Diese Themen lassen sich natürlich nur schwer in einem Schlager-Format übermitteln. Deshalb sind sie hier als rabiat geäußerte Meinungen definitiv besser aufgehoben.

    Auch der "Motorbike Song" hat ordentlich Geschwindigkeit drauf. Das ist bei diesem Titel auch nicht verwunderlich. Die E-Gitarre peitscht den Track voran, sorgt aber auch für rauschhaft-verzückte Momente.

    "Doing In Me Head" kommt dem vom Boogie angetriebenen Glam-Rock so nah, wie es nur möglich ist, ohne Glam-Rock zu kopieren. Es sind die sexuell erregenden Anspielungen, die bei T. Rex & Co. in der Luft lagen und auch hier mitschwingen. Dabei spielt dieser Aspekt höchstens am Rande eine Rolle: Klimawandel und Selbstreflexion bestimmen nämlich den Inhalt des Liedes.

    "Pigs" rockt wie Hölle. The Gun Club, Iggy & The Stooges und The Sex Pistols standen Pate für diesen unbändig rasanten Song, der alles hat, was ein zupackender Power-Track braucht: Wucht, melodische Einprägsamkeit und ein Rhythmusgeflecht, das keine Verschnaufpause zulässt.

    Wenn Amyl And The Sniffers eine Ballade spielen, dann darf man nicht mit zuckersüßem Pop rechnen. "Bailing On Me" bekam zwar eine klar definierte Melodie zugewiesen und erreicht kein hohes Tempo, schwebt aber trotzdem nicht mit dem Kopf im Wolkenkuckucksheim, sondern bleibt souverän und cool.
    Der Fake-Disco-Rhythmus lässt "U Should Not Be Doing That" an Hot Chocolate erinnern. Das Lied tummelt sich aber hauptsächlich in einem widerstandsfähigen Roots-Rock-Umfeld, welches federnden Southern-Rock lustvoll-beschwingt einbezieht. Die Komposition transportiert auf dieser Basis den Wunsch, gesellschaftlichen und familiären Zwängen zu entkommen.

    "Do It Do It" vermittelt unmittelbar ausgelassene Party-Stimmung, die den Schwung von B-52`s-Songs und die reißerische Energie der Bottle Rockets beinhaltet. Das Ergebnis ist sehr verführerisch und stimulierend.

    "Going Somewhere" lässt zunächst ein wenig die Straffheit und Konsequenz vermissen, die die anderen Stücke auszeichnet, steigert sich aber noch bis zum Schluss zu einem furiosen Finale.
    Zum Schluss vereinigen Amyl And The Sniffers mit dem zweiminütigen "Me And The Girls" Tradition mit Moderne: Ein klassischer Pop-Song wird mit Hip-Hop-Gesang angereichert, was in letzter Konsequenz eine Versöhnung von Harmonie und Protest bedeutet.

    ""Cartoon Darkness" handelt von der Klimakrise, von KI, Politik und dem Gefühl der Leute, online mit ihrer Stimme etwas bewegen zu können, während wir alle nur das Datenbiest Big Tech füttern, den Gott unserer Zeit." [...] "Die Zukunft ist "cartoon" und das Rezept dagegen "dark"." [...] "Es ist nur ein Witz. Es ist Spaß", erklärt Amy Taylor. Die Gegenwart ist bedrohlich, aber Schwarzmalerei bringt uns auch nicht weiter. Wir müssen wachsam bleiben und die Wahrheit auf den Tisch bringen, ohne dabei den Spaß am Leben zu verlieren. So in etwa könnte man diese Parolen zusammenfassen.

    Amyl And The Sniffers halten also die Rebellion, wild ausufernde Lust und die Leidenschaft, die sich vom Künstler zum Zuhörer überträgt, am Leben. Sie legen mit "Cartoon Darkness" ein provokantes Album vor, das sie musikalisch reifer denn je zeigt, ohne dass bei dieser Transformation der Biss verloren gegangen wäre. Der Gruppe ist es gelungen, innerhalb ihres Spektrums für eine erstaunliche Bandbreite bei gleichbleibend hohem Spannungs-Level zu sorgen.

    Der Rock & Roll wurde schon oft totgesagt. Mit Amyl And The Sniffers zeigt er sich von seiner attraktiven, sehr impulsiven Seite, was diese Behauptung zum wiederholten Mal widerlegt. "Hey Hey, My My, Rock & Roll Will Never Die" (Neil Young, "Rust Never Sleeps", 1979).
    Meine Produktempfehlungen
    • Cartoon Darkness (Limited Edition) (Bittersweet Moondance Vinyl) Cartoon Darkness (Limited Edition) (Bittersweet Moondance Vinyl) (LP)
    • Comfort To Me Amyl & The Sniffers
      Comfort To Me (LP)
    • Amyl & The Sniffers Amyl & The Sniffers
      Amyl & The Sniffers (CD)
    • Cartoon Darkness (Digisleeve) Cartoon Darkness (Digisleeve) (CD)
    • Amyl & The Sniffers Amyl & The Sniffers
      Amyl & The Sniffers (LP)
    • Comfort To Me (Digisleeve) Amyl & The Sniffers
      Comfort To Me (Digisleeve) (CD)
    • Comfort To Me Amyl & The Sniffers
      Comfort To Me (CD)
    What A Relief Katie Gavin
    What A Relief (CD)
    26.11.2024
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Nur nicht lockerlassen: "What A Relief" von Katie Gavin erweist sich mit etwas Geduld als ein verlässlicher und interessanter Begleiter.

    "What A Relief" ist das erste Album, das Katie Gavin unter eigenem Namen veröffentlicht. Dabei ist die aus Illinois stammende Musikerin unter Eingeweihten längst keine Unbekannte mehr. Denn sie fungiert als Sängerin und Komponisten des Damen-Trios MUNA, das sich 2013 in Los Angeles gründete und bislang drei Alben herausbrachte. Ihre Musik bezeichnen die Ladys auf ihrer Bandcamp-Seite als "kraftvoll und politisch, gezeichnet von Narben aus Sucht, Missbrauch und Isolation."

    Ebenfalls auf Bandcamp bewirbt Katie ihr Debüt in allen Schattierungen, die es musikalisch und textlich zu bieten hat: ""What A Relief" bedient sich der unvorsichtigen Selbstbeherrschung und des bodenständigen Pop-Gefühls von Sängerinnen wie Alanis Morissette und Fiona Apple und nutzt deren Hartnäckigkeit als Leitstern für die eigene Reise zur Selbstfindung. Das Werk ist erfrischend in seiner Bereitschaft, Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind, auch wenn es hartnäckig nach einem freundlicheren, weiseren und liebevolleren Leben strebt."

    Intimität, Demut und Melancholie: für das Eröffnungs-Stück "I Want It All" vereinigen sich diese drei Eigenschaften des musikalischen Ausdrucks. Unsicherheit, Unzufriedenheit und Verwirrung sind drei weitere Emotionen, die in der Poesie des Liedes stecken. Alle Zustände zusammen finden sich in einer filigranen Country-Folk-Verflechtung wieder, die durch eine zart schmelzende Melodie und schüchternem Gesang besticht und betört. Das ist beinahe zu schön, um wahr zu sein.

    "Aftertaste" geht danach einen anderen Weg und wird nach verhaltenem Anfang zu einem engagierten Country-Pop mit konzentrierten, erzählerisch starken und temperamentvoll-optimistischen Abschnitten. Der Beginn einer neuen Beziehung bahnt sich poetisch an, das löst schließlich in der Regel Glücksgefühle bis hin zur Euphorie aus.

    Für "The Baton" sinniert Katie Gavin darüber, was sie ihrer Tochter mit auf den Weg geben würde, wenn sie eine hätte. Es geht ihr hauptsächlich darum, zu vermitteln, dass es wichtig sei, früh Selbstständigkeit zu erlangen, um gegen alle äußeren Einflüsse möglichst sicher gewappnet zu sein. Sinnbildlich übergibt man durch die Erziehung den Erfahrungs-Staffelstab von Generation zu Generation weiter. Wieder ist es die bittersüße Leidenschaft des Country, die dem Track seine Gefühlstiefe verleiht. Wobei dieser Stil sowohl traditionell als auch durch elektronische Töne angereichert dargeboten wird.

    Auch die Geschichte von "Casual Drug Use" erscheint rührend und voller Lebensweisheit: Die Protagonistin trifft eine Frau, die in ihrem Auto lebt. Diese Begegnung bringt sie dazu, über ihr eigenes Dasein nachzudenken. Dabei kommt ihr in den Sinn, dass sie dazu neigt, auftretende Schwierigkeiten durch gelegentlichen Drogenkonsum erträglich zu gestalten. Sie weiß im Grunde genommen, dass ihr dieses Verhalten nicht guttut, trägt jedoch die Hoffnung in sich, jederzeit aus dieser Angewohnheit ausbrechen zu können. Aber Verhaltensänderungen sind manchmal schwer umsetzbar. Musikalisch werden Erinnerungen an die intelligent arrangierten Folk-Rock-Songs der Indigo Girls und die coolen Pop-Songs von Fleetwood Mac wach.

    "As Good As It Gets" hält eine interessante Fragestellung parat: Kann eine Beziehung auch dann dauerhaft bestehen, wenn sich kein absolutes Hochgefühl einstellt? Ist das Handeln nach purer Vernunft ausreichend? Katie Gavin hat ein instinktives Gespür für reizvolle Pop-Songs, die zwar eingängig, aber keinesfalls beliebig sind, sondern mit geschickt eingebauten Raffinessen aufwarten. Reife Komponierkunst trifft auf geschmeidige Leichtigkeit.

    "Sanitized" beherbergt eine mysteriöse Grundhaltung. Zumindest, was die inhaltliche Bedeutung angeht. Geht es etwa um eine Abtreibung oder "nur" um eine Menstruation: "Vielleicht habe ich die Liebe missverstanden. Oh, ich habe unser Baby mit der Badewanne ausgeschüttet. Da geht sie hin, unsere Tochter." Für die Untermalung dieser Überlegungen steht eine glockenartige Tonschleifen-Minimal-Art-Hintergrund-Struktur bereit, die eine seltsame, undeutlich-bedrohliche Twin-Peaks-Stimmung heraufbeschwört. Daneben existiert noch ein unschuldig klingender Gesangsbeitrag. Welch anregender Kontrast!

    Allerspätestens mit "Sketches" wird klar, dass Katie Gavin eine außerordentlich fantasievolle Beobachterin und poetisch begabte Künstlerin ist: "Ich habe Gemälde gesehen, die aus dem wirklichen Leben berichten. Und ich habe echte Leben gesehen. Die sind im Vergleich dazu nur Skizzen. Ich kann das behaupten, weil ich ein Teil von ihnen war". Was zauberhaft lyrisch klingt, ist in Wirklichkeit ein Teil der Betrachtung einer toxischen Beziehung: "Als ich "Sketches" schrieb, dachte ich wirklich, dass ich in diese Person verliebt war, aber mir wurde klar, dass es nur eine Skizze von dem war, was ich für Liebe halte." Die belastete Gefühlslage wird behutsam durch einen intimen Folk-Rahmen ausgefüllt, der mit sphärischen Schwingungen ins Tal der Tränen führt, um durch Einfühlungsvermögen nach dem Schmerz das Tal der Glückseligen entstehen zu lassen.

    Unter Könnern funktioniert eine bestimmte Konstellation zur Erzeugung bittersüßer Klänge immer wieder hervorragend, weil sie schlicht zu Herzen geht. Wenn im Bluegrass-Modus eine Geige schluchzt, darüber eine sehnsüchtige Melodie liegt, die von mitfühlendem Gesang getragen wird und das Ganze mithilfe einer stabil agierenden akustischen Gitarre, einem zirpenden Banjo und einem sanft brummenden Bass geerdet wird: Dann entstehen himmlische, verzückende Schwingungen. Dieser Sound-Effekt klappt auch bei "Inconsolable", das Traurigkeit über Gefühlskälte in sich trägt: "Warum siehst du nicht, dass ich dich liebe, sogar wenn du dein schlimmstes Verhalten an den Tag legst?"

    Bei "Sparrow" geht es ums Werden und Vergehen, aber auch darum, wie sich eine kurzsichtige Handlung rächen kann: "Die Bäume hatten eine Krankheit. Sie wollten eine schnelle Lösung. Eine chemische Behandlung. Um ihr Unrecht wiedergutzumachen. Nun, es hat das Virus auf jeden Fall getötet. Aber niemand hat es bemerkt. Ooh, bis der Frühling gekommen war. Dass die Vögel alle starben. Die Erde war vergiftet worden."

    "Sparrow" lässt sich stilistisch als ein ruhig fließender Folk-Tronic-Song mit Country-Referenzen bezeichnen. Solides Handwerk geht vor Extravaganz, traditionelle Muster bekommen Vorfahrt vor intellektuellen Experimenten.

    Anders, nahezu umgekehrt, ist das Vorgehen bei "Sweet Abby Girl" geregelt. Das sich um die Zeit mit ihrem verstorbenen Hund drehende Stück fußt auf zirpenden, sausenden Synthesizerklängen, zappeligen Trommeln und verzerrten Gitarren-Tönen, die im Hintergrund rumoren. Katie setzt sich gesanglich für galante Stabilität ein und unterstützt nach Kräften die liebliche Melodie bei ihrer die Seele streichelnden Wirkung.

    In "Keep Walking" dreht es sich um eine unverhoffte Konfrontation mit der Vergangenheit. Das Ignorieren der verflossenen Liebe scheint eine Option zu sein, mit der Situation umzugehen. Dennoch können Wunden aufgerissen werden. Auf jeden Fall bereitet das Zusammentreffen bei den Beteiligten gemischte Gefühle. Der Song lässt letztlich Zuversicht entstehen. Es schwingt sogar eine gewisse unterschwellige karibische Ausgelassenheit mit.

    Mit einer schonungslosen Bestandsaufnahme ist bei "Today" zu rechnen: "Ich baute ein Königreich ganz für mich allein. Ich wollte Freiheit, ich wollte keine Hilfe. Ich wusste nicht, dass ich mein Grab schaufelte", heißt es da. So erschütternd die Aussage ist, so tröstlich ist die Musik. Im Mittelpunkt steht Katies introvertierter Gesang und eine akustische Gitarre, die stoisch-unbeirrt immer die gleichen monotonen Akkorde wiederholt. Sensibilität und Zuverlässigkeit gehen eine heilende Allianz ein.

    Der Unterhaltungswert von "What A Relief" wächst mit jedem Hördurchgang. Wirken die Country-Pop-Nummer zunächst noch wie kommerziell motivierte Ausrutscher, so fügen sie sich spätestens nach dem dritten Durchlauf als schwungvolle Auflockerungen in das vielfältige Geschehen positiv ein. Es ergibt sich von ganz allein, dass im Laufe der Zeit aus einer ganz netten Platte eine beglückende Hörerfahrung wird, ohne dass man sich die Lieder mühsam "Schönhören" muss. Dazu tragen der aparte, stets sympathisch-unaufdringliche Gesang von Katie und die Begleit-Musikerinnen und -musiker - zu denen auch MUNAs Josette Maskin gehört - maßgeblich bei. Sie unterstützen jede Gefühlsregung authentisch und originell. Die intelligente Lyrik nimmt diese gefällige und kultivierte Musik ins Schlepptau und wertet das Gesamtbild damit unauffällig auf. Alle Zutaten ergeben zusammen eine bekömmliche, nahrhafte Mischung. Wobei die Intimität die erschütternde Komponente der Songs darstellt und der Pop-Einfluss der Schmierstoff für die unstillbare Lebensfreude ist.

    Aber warum bekam das Album den Namen "Welche Erleichterung"? Ist die Erleichterung über das Gelingen des Solo-Ausflugs gemeint? Oder die Erleichterung, alle Wechselfälle des Lebens bisher einigermaßen schadlos überstanden zu haben? Zumindest scheint es Katie Gavin aufgrund der herrschenden Lage gutzugehen, und das ist doch die Hauptsache.
    Meine Produktempfehlungen
    • What A Relief Katie Gavin
      What A Relief (CD)
    • What A Relief (Olive Vinyl) Katie Gavin
      What A Relief (Olive Vinyl) (LP)
    • What A Relief Katie Gavin
      What A Relief (LP)
    • What A Relief Katie Gavin
      What A Relief (CD)
    • Saves The World (Raspberry Vinyl) Muna
      Saves The World (Raspberry Vinyl) (LP)
    Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me Porridge Radio
    Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me (CD)
    25.11.2024
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Burnout, Beziehungsdrama und ein Kreativitätsschub: Das vierte Porridge Radio-Album offenbart eine erhebliche Weiterentwicklung.

    2023 war ein schweres Jahr für Dana Margolin, die Komponistin und Sängerin von Porridge Radio aus Brighton in England. Nach einer langen Tournee war sie erschöpft und ausgelaugt, was zu einem heftigen Burnout führte. Zu allem Überfluss ging nach der Erholung davon auch noch eine kurze, aber toxische Partnerschaft in die Brüche. Diese Ereignisse führten zum Überdenken der künstlerischen Karriere und zur Einbeziehung der Erfahrungen aus "einer frenetischen und verzweifelten Liebe" in ihre Poesie.

    Als Porridge Radio 2014 gegründet wurde, konnte noch niemand ahnen, dass die Gruppe mit ihrem zweiten Album "Every Bad" im Jahr 2020 für den Mercury Prize nominiert werden sollte und mit "Waterslide, Diving Board, Ladder To The Sky" 2022 in die britischen Top-40 einsteigen konnte. Zu sperrig, widerborstig und schwermütig ist ihr Sound eigentlich dafür und grundsätzlich gar nicht Mainstream-tauglich. Vielleicht liegt der besondere, ansprechende Reiz in der verletzlichen, ehrlichen, schonungslosen Darstellung des Gesanges von Dana Margolin und in der verlässlich starken Untermalung der von Problemen belasteten Themen durch Georgie Stott (Keyboards, Backing Vocals), Sam Yardley (Schlagzeug) und Dan Hutchins (Bass). Dieses eingespielte Gespann durchzieht auch das neue Werk wieder mit drastisch grellen und empfindsam-ausschweifenden Klang-Szenarien.

    Bei "Anybody" führt ein Wunsch zur Übersteigerung einer Idee. Nämlich die Liebe einer Person so dringlich zu begehren, dass es das Denken und Handeln vollends in Anspruch nimmt. Mit säuselnden Synthesizer-Dauertönen wird eine ausgeglichen-friedvolle Stimmung vorgegaukelt, welche durch eine immer wütender werdende Stimme und aggressiv aufspielende Gitarren- und Schlagzeug-Salven komplett zerlegt wird. Dieses Konstrukt fällt zum Schluss resignierend zusammen und trägt damit akustisch viele Ausprägungen und Phasen einer gescheiterten Verbindung in sich.

    Ähnliches Prinzip, gleiche Wirkung: "A Hole In The Ground" suggeriert im Hintergrund eine fröhliche Jahrmarkts-Atmosphäre. Textlich und stimmlich regiert jedoch Ratlosigkeit über das Ende einer Liebe ("Woher soll ich das wissen? Was ich geben und was ich zurückgeben kann."), was ergänzend durch Tempo-Brüche ausgedrückt wird. "Dies ist ein Lied über das Nichtwissen, darüber, in einem gruseligen Märchen oder einem schrecklichen Albtraum gefangen zu sein und davonzurennen und schreckliche Zukünfte vorherzusagen, die wahr werden und sich selbst erfüllen", verriet Dana Margolin der Online-Plattform "The Needle Drop". Andersrum wünscht man sich manchmal, die Realität sei nur ein böser Albtraum.

    Das dunkel-melancholische oder vor Zorn schäumende "Lavender, Raspberries" trifft einen Nerv, wenn es darum geht, die wechselnden Gefühle klangmalerisch darzustellen, die bei einer großen Enttäuschung entstehen. Wobei das Lied inhaltlich zwischen Depression und Todeswunsch pendelt. Als eines der Transportmittel für diese Zustände dient eine flexibel eingesetzte, flirrend-schwebende, pfeifende Orgel, die sämtliche beschriebene Gefühlsregungen nachvollziehbar und eindringlich abbilden kann. Ein Effekt, den sich auch zum Beispiel The Doors oder The Stranglers zu Nutze gemacht haben.

    "God Of Everything Else" erzählt vom Burnout und von den Selbstzweifeln, die zum Zusammenbruch geführt haben. Und das zunächst in einer ehrfürchtig-liebevollen Weise, als würde ein wenig Dankbarkeit für die aus der Krise gewonnenen Erkenntnisse mitschwingen. Sanfte Geigentöne sorgen für Vertrauen und Beruhigung und das Schlagzeug gibt einen Durchhaltepuls vor. Dann brechen aber doch noch die quälenden Erinnerungen durch, was sich in einer vor Erregung zitternden und allmählich panisch werdenden Stimme äußert. Außerdem brodelt es gewaltig, wenn sich Keyboard, Schlagzeug und Gitarre zur Erzeugung eines Klang-Orgasmus treffen. Nach dem Höhepunkt ist allerdings alles Leid überstanden: "Ich gehe überall hin, nur um von dir wegzukommen. Ich habe alles, was ich brauche." Es ist grade nochmal alles gut gegangen, denn die befürchtete Katastrophe ist ausgeblieben, aber es war knapp ("Ich habe auf das Ende gewartet"). Und so klingt dieser intensive, schöne Song versöhnlich, tröstlich und hoffnungsvoll aus.

    Gleich darauf folgt mit "Sleeptalker" ein Liebeslied, das ohne Liebesleid auskommt: "Ich bleibe glücklich, ich habe Glück, dich zu kennen". Die gemächlichen Takte ähneln anfangs einem Wiegenlied, welches auf einer Barock-Pop-Basis aufgebaut ist. Aber Porridge Radio wären nicht Porridge Radio, wenn sie es der Hörerschaft mit durchgängiger Harmoniesucht leicht machen würden. Die zweite Hälfte des Tracks kommt nämlich ungleich störrischer und nervöser daher.

    Auch "You Will Come Home" versucht sich als Wolf im Schafspelz. Das Stück täuscht nämlich vorübergehend Ausgeglichenheit und Sanftmut vor, wechselt aber dann, wenn schon mit einem milden Ausgang gerechnet wird, in einen hart rockenden, entschlossen zupackenden Modus. Das Leben präsentiert eben häufig Gegensätze, Yin und Yang oder in diesem Fall Hoffnung und Zweifel.

    Und auch, wenn man sich von allen guten Geistern verlassen fühlt, werden die Wolken im Wind und die Vögel in den Bäumen für einen da sein. Dieser Glaubenssatz, der die Verbundenheit mit der Natur als tröstendes Element in sich trägt, steckt hinter dem Album-Titel und in der Lyrik von "Wednesday". Zuerst mit Zuwendung, dann mit scharfen Psychedelic-Rock-Exkursionen wird dieses Credo leidenschaftlich-durchdringend vermittelt.

    Porridge Radio spielen sich mit "In A Dream I`m A Painting" in einen Rausch aus Schwingungen, die sich in ihrer Intensität und ihrer Wucht laufend steigern, anschließend in sich zusammenfallen und ausgeglichen und zufrieden auspendeln. Träume sind Schäume, die Seele geht auf Wanderschaft und projiziert unsere Erwartungen und Ängste: "In einem Traum bin ich ein Gemälde, das dich anschaut und mich anschaut. In einem Traum vergesse ich, wo ich sein soll. Ich weiß, wohin ich gehe, ich weiß, wo ich lieber wäre."

    Von jetzt an beginnt ein neuer, von Erkenntnisgewinn gekennzeichneter, gereifter, ausgewogener Abschnitt: "I Got Lost" entstand aus einer Läuterung heraus, ist tatsächlich ohne emotionalen Ausbruch durchgeführt worden, steht für Zuversicht und einen Neubeginn, hat einen positiven, assoziativen Text, atmet frische Luft und verströmt Sicherheit und beschwört Lagerfeuer-Romantik ohne Verbrüderungs-Zwang.

    Im Zuge der Neuorientierung gibt es eine Versöhnung mit dem alten Leben. Auf tolerante, nachsichtige Art rechnet "Pieces Of Heaven" mit dem Ex-Liebhaber ab und gewinnt dadurch an Sympathie und Ansehen. Der Song unterstreicht dieses Verhalten mit einem galanten, unaufgeregten, überlegenen Auftreten und stellt gleichzeitig musikalisch eine attraktive, alternative Adult-Pop-Nische vor.

    Mit "Sick Of The Blues" ist die Metamorphose von einer abhängigen Raupe zu einem selbstbestimmten Schmetterling beendet: "Ich habe den Blues satt, ich bin wieder in mein Leben verliebt. Ich habe den Blues satt und werde mich allem hingeben." Dana ergänzt diese Textzeilen folgendermaßen: ""Sick Of The Blues" handelt davon, dass man Liebeskummer hat und sich die Freude zurückholt, dass man sich daran erinnert, dass man der Ursprung seines eigenen Glücks ist, nicht jemand anderes, selbst wenn man verletzt ist und ein Loch im Herzen hat."

    Porridge Radio legen in dieses Stück nochmal alle ihre berstenden und umschmeichelnden Emotionen hinein, sodass sich dort Herzschmerz, Wut und Liebes-Sehnsucht wiederfinden. Die Rekonvaleszenz ist abgeschlossen, das pralle Leben kann wieder genossen werden.

    "Fast alle Songs begannen als Gedichte", berichtet Dana Margolin über den Entstehungsprozess von "Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me". Das macht die Lieder unmittelbarer und authentischer, weil man sich hinter einem Gedicht nicht verstecken kann, hat Dana erfahren. Aber nicht nur diese Herangehensweise ist neu, sondern auch die Wahl des Produzenten. Sie ist auf Dom Monks gefallen, der unter anderem schon für Big Thief um Adriana Lenker, Ray LaMontagne, Tom Jones, Laura Marling, Paul McCartney, Nick Cave und Tucker Zimmerman gearbeitet hat. Er hat sich als einfühlsamer, auf Klang- und Arrangement-Qualität bedachter Ratgeber und Toningenieur hervorgetan und dieses Talent auch zur Weiterentwicklung von Porridge Radio eingesetzt.

    Der erfahrene Sound-Designer verleiht den Kompositionen einen glaubhaften emotionalen Ausdruck, egal ob es sich um Verletzlichkeit, menschliche Wärme oder um unbeherrschte Gefühlsausbrüche handelt. Einfühlungsvermögen, Zorn und liebevolles Verständnis finden eine glaubwürdige Bestimmung und ergänzen sich für ein umfangreich gestaltetes Gesamtkunstwerk. Margolin gebärdet sich hinsichtlich der zur Schau gestellten inneren Zerrissenheit nun nicht mehr in erster Linie manisch und depressiv - wie eine Neuauflage von Ian Curtis von Joy Division - sondern auch als in Gedanken vertiefte Dark-Chanson-Lady mit Sendungsbewusstsein. Sie ist grade dabei zu lernen, alternative Ausdrucksformen zu Gunsten von weitreichenden Veränderungen zu kultivieren. Dana Margolin findet als starke, von Krisen geschüttelte Persönlichkeit aktuell ihre Mitte und Porridge Radio haben mit "Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me" einen wichtigen Schritt in eine zukunftsweisende Weiterentwicklung getan!
    Meine Produktempfehlungen
    • Waterslide, Diving Board, Ladder To The Sky (Limited Edition) (Forest Green Vinyl) Porridge Radio
      Waterslide, Diving Board, Ladder To The Sky (Limited Edition) (Forest Green Vinyl) (LP)
    • Waterslide, Diving Board, Ladder To The Sky Porridge Radio
      Waterslide, Diving Board, Ladder To The Sky (CD)
    • Rice, Pasta And Other Fillers (2020 Clear Vinyl) Porridge Radio
      Rice, Pasta And Other Fillers (2020 Clear Vinyl) (LP)
    • Waterslide, Diving Board, Ladder To The Sky Porridge Radio
      Waterslide, Diving Board, Ladder To The Sky (LP)
    • Every Bad (Deluxe Edition) (Purple Pink Swirl Vinyl) Porridge Radio
      Every Bad (Deluxe Edition) (Purple Pink Swirl Vinyl) (LP)
    • Every Bad Porridge Radio
      Every Bad (CD)
    • Rice, Pasta And Other Fillers Porridge Radio
      Rice, Pasta And Other Fillers (CD)
    Dance Of Love Tucker Zimmerman
    Dance Of Love (CD)
    25.11.2024
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    "Dance Of Love" enthält zehn weise, größtenteils intim-eindringliche Lieder eines sträflich übersehenen Musikers.

    Das Geschichtenerzählen gehört zu den Urformen der musikalischen Darstellung. Schon die Minnesänger des Mittelalters waren eigentlich Singer-Songwriter. Also Künstler, die ihre Lieder selbst schrieben und sich beim Vortragen auf einem Instrument begleiteten. Dieses Genre lebte als Teil der Pop-Musik-Kultur in den 1930er-Jahren durch Protest-Sänger wie Woody Guthrie auf und erfuhr Anfang der 1960er-Jahre durch spezifische, individuelle Sichtweisen weiteren Auftrieb. Jene tolerante Form entwickelte eine enorme Bandbreite und führte unter anderem zu Band- und/oder Orchester-Begleitungen der kreativen Lied-Gestalter. Als einer derjenigen, der viele Spielarten durchlaufen oder sogar begründet hat, gilt Bob Dylan, der mit bürgerlichem Namen Robert Allen Zimmerman heißt.

    Der 83-jährige, aus San Francisco stammende US-Amerikaner Tucker Zimmerman, der seit über 50 Jahren in Belgien lebt, zählt auch zu der Art von Singer-Songwritern, die die ursprünglichen Americana-Einflüsse weitergedacht und personalisiert haben. Mit Bob Dylan ist er allerdings weder verwandt noch verschwägert, hat sich aber durch Qualität und Mundpropaganda einen legendären Insider-Ruf erworben. Sein Debütalbum "Ten Songs" aus 1969 zählte sogar zu einer der 25 Lieblings-Platten von David Bowie.

    Das am 11. Oktober 2024 erschienene Werk "Dance Of Love" ist laut seiner Homepage die elfte Veröffentlichung und die Erste, die gemeinsam mit der Gruppe Big Thief um Adrianne Lenker aufgenommen wurde.

    Der Ausgangspunkt "Old Folks Of Farmersville" ist ein Country-Traum: Der rumpelnde Rhythmus von Zach Burba (Bass) und James Krivchenia (Schlagzeug) legt die Basis für eine bittersüße Melodie. Sie wird durch die vom Leben gegerbte, brüchige Stimme von Tucker Zimmerman durchbrochen und von Adrianne Lenkers empathischer Gesangs-Ergänzung veredelt. Dazu weint Matt Davidsons Pedal-Steel-Gitarre silbrig glitzernde Tränen. Zimmerman würdigt in seinen Texten die Leistungen der Menschen vom Lande. Ihre Macken und Besonderheiten sowie ihre Hilfsbereitschaft gehören selbstverständlich genauso zum Gesamtbild. Aus der Erfahrung spricht Dankbarkeit und Demut. Zimmerman verneigt sich vor den skizzierten Personen und eröffnet schwärmerisch den Tanz der Liebe!

    Das im besten Sinne primitiv groovende, von hypnotisch monotonen Beats getragene "Idiot`s Maze" verfügt über putzig-originelle Stereo-Effekte: Im rechten Kanal grummelt der Bass vor sich hin, während links das gedämpfte Klavier für sprudelnde Unruhe sorgt. Mittig tummelt sich der Gesang von Zimmerman & Lenker und das cool scheppernde Schlagzeug. So entsteht Psychedelic-Folk-Rock ohne ausschweifende Jam-Rock-Allüren!

    Der Lorelei-Felsen kann als Sinnbild für die Wacht über das fließende Wasser und deshalb als Halt gebende Macht verstanden werden. Das Lied "Lorelei" lässt es langsam, spärlich instrumentiert und traurig gesungen angehen. Die Gitarren erzeugen Wehmut, der Rhythmus schleppt sich mühsam dahin und Adrianne ist für Tucker das, was Emmylou Harris für Gram Parsons war: Eine Sängerin, die unterstützend den besonderen Charakter der Stimme ihres Partners uneigennützig hervorhebt. Nichts geht über eine ausgeprägte Sensibilität!

    Natur und Spontanität: Bei "The Season" erwecken ein herannahendes Gewitter, ein Hintergrundrauschen und Sound-Verzerrungen den Eindruck einer Übungsaufnahme im Freien, die absichtlich unfertig belassen wurde, um den Zauber des Augenblicks einzufangen. Denn es findet eine intensive, vertraut wirkende Wechselwirkung zwischen dem verhalten-kratzigen Gesang von Zimmerman und den positiven atmosphärischen Schwingungen von Lenker statt. Die dezent füllenden Töne der Instrumentalisten (Rhythmus-Duo, Gitarren, manipulierter Casio) lassen sich in diesen wohligen Schmerz fallen. Das Lied ist eine Ode an das Glück, am Leben zu sein. Eine Ballade, die unter die Haut geht!

    Die Begleitmusiker sorgen bei "Burial At Sea" für die erdige, klappernde, ungeschliffene Basis des Lagerfeuer-Folk-Jazz und das Duett-Pärchen erzeugt heimelig-menschliche Wärme. Das Stück stellt das unausweichliche Ende des Daseins unter anderem in einen geschichtlichen Zusammenhang mit dem Sterben schiffbrüchiger Seeleute aus dem Jahr 1492. Er verknüpft diese Sachverhalte mit dem Wunsch nach einer Seebestattung und definiert dafür einen poetischen Rahmen. Eine Kombination, die keinen Raum für halbherzig vorgetragene Emotionen zulässt!

    "They Don’t Say It (But It’s True)" gibt eine spirituelle Sicht auf menschliche Beziehungen frei. Demnach sind wir alle durch "Lichtfäden" verbunden. Denn die Liebe, die wir fühlen, berührt auch andere Menschen, verkündet Tucker. Der Track ist eine reine Tucker Zimmermann/Big Thief-Zusammenarbeit. Also in diesem Fall agiert die Besetzung: Tucker Zimmerman an der 12 String-Gitarre + Gesang, Adrianne Lenker (Akustische Gitarre + Gesang), Alexander Buckley Meek am Bass und James Krivchenia am Schlagzeug. Sie spielen gemeinsam einen trocken-knarzigen, langsamen Song, bei dem der Bass brummelnd die Führung übernimmt, sich die Gitarren vornehm zurückhalten und das Schlagzeug den Takt behutsam, beinahe unbeteiligt vorgibt. Entspannter, abgeklärter Folk-Jazz, der die Kraft in der Ruhe sucht!

    "Leave It On The Porch Outside" hält ein Rezept bereit, was zu tun ist, um unangenehme Belange von sich fernzuhalten: Man solle nicht alles an sich herankommen lassen und manche Dinge einfach gedanklich vor der Tür abstellen. Für die Verbreitung dieses Hinweises übernimmt Marie-Claire Zimmerman, die Frau von Tucker, mit der er seit Ewigkeiten verheiratet ist, verschüchtert-unsicher einen Teil des Gesanges. Der Song ist nicht streng arrangiert worden, scheint eher aus einer Bierlaune heraus entstanden zu sein und kann deshalb nicht mit den anderen Tracks konkurrieren, die ernsthaft durchkomponiert und durchdacht wurden. Die Klänge verströmen ein andächtiges Lagerfeuer-Romantik-Feeling, aber als es dann so richtig losgehen sollte, wird die Aufnahme brutal abgewürgt. Dennoch: Hier pulsiert das pralle Leben!

    "The Ram-a-lama-ding-dong Song" ist ein alberner Titel für einen albernen Song. Na und, warum soll nicht mal der unreflektierte Spaß im Vordergrund stehen?

    Schluss mit Lustig: "Don’t Go Crazy (Go In Peace)" ist ein betont zögerliches Mantra, das die Achtsamkeit in den Mittelpunkt des Handelns stellt. In dieser Funktion wirkt die Komposition wie in Valium eingelegt. Die zaghafte, aber nicht hoffnungslose Nummer bringt noch einen Retro-Touch mit, weil sie sich durch ein paar Knister-Töne wie eine alte Schallplatte anhört. Nostalgie muss nicht langweilig oder unmodern sein!
    Bei "Nobody Knows" geht es um die Auswirkungen des Schicksals und um den Umgang damit. In dem Stück begegnen sich sowohl übermütige als auch unbekümmerte Tonfolgen, was das belastende Thema zuversichtlich erscheinen lässt. In den 1990er-Jahren frönte Tucker Zimmerman mit seinem Nightshift-Trio dem Blues. Diese Leidenschaft lässt er nun wieder swingend aufleben und verleiht dem geschmeidigen Boogie-Blues einen temperamentvollen Ausdruck. Altherren-Musik? Nicht, wenn - wie hier - der Groove stimmt!

    "Dance Of Love" kann als Komprimierung eines Lebenswerks zu einem Album angesehen werden, welches die Liebe in den Mittelpunkt des Handelns und Denkens stellt. Die Musik trotzt jeglichen Trends und Moden und kommt aussagekräftig, ehrlich und empathisch rüber. Wer Singer-Songwriter wie Guy Clark, Gram Parsons, Kris Kristofferson oder Townes van Zandt schätzt, kommt an dem weitestgehend übersehenen Musiker, Romanautor und Soundtrack-Komponisten Tucker Zimmerman nicht vorbei. Möge er uns noch lange mit seinen gehaltvollen, zu Herzen gehenden Liedern beglücken, schließlich hat er noch über 500 Songs auf Halde!
    Meine Produktempfehlungen
    • Over Here In Europe (50th Anniversary) (Reissue) Over Here In Europe (50th Anniversary) (Reissue) (LP)
    • Dance Of Love (Limited Edition) (Recycled Vinyl) Tucker Zimmerman
      Dance Of Love (Limited Edition) (Recycled Vinyl) (LP)
    The Hard Quartet The Hard Quartet
    The Hard Quartet (CD)
    23.11.2024
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Vier erfahrene Individualisten bilden The Hard Quartet und belegen, dass das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ergeben kann.

    Sind Stephen Malkmus, Matt Sweeney, Emmett Kelly & Jim White die Crosby, Stills, Nash & Young der 2020er-Jahre? So schlecht ist der Vergleich gar nicht, denn genau wie David Crosby, Stephen Stills, Graham Nash & Neil Young haben die Hard-Quartet-Musiker eine Vorgeschichte in anderen Formationen.

    Das Projekt The Hard Quartet nahm 2020 Gestalt an, als Stephen Malkmus und Matt Sweeney bei den Arbeiten zu dem Malkmus-Solo-Album "Traditional Techniques" die fixe Idee entwickelten, eine Band zu gründen. Sweeney kontaktierte daraufhin Emmett Kelly und Jim White, die sofort zusagten, der Gruppe beizutreten. Eine neue All-Star-Formation war geboren: Stephen Malkmus kann man mit Fug und Recht eine Post-Rock-Legende nennen. Schließlich hat er mit Pavement Musikgeschichte geschrieben. Matt Sweeney war Mitglied bei Chavez und Zwan. Er kam außerdem mit Bonnie "Prince" Billy für die Alben "Superwolf" und "Superwolves" zusammen. Emmett Kelly arbeitete unter anderem für The Cairo Gang, Will Oldham und Ty Segall und Jim White (nicht zu verwechseln mit dem Southern-Gothik-Singer-Songwriter Jim White) ist einer der Dirty Three und die Hälfte von Xylouris White. Alle vier sind gestandene Songwriter, die eine assoziative Poesie favorisieren und unterschiedlich motivierte Stimmen und Stimmungen beitragen. Drei Saitenkünstler und ein Virtuose am Schlagzeug kramen in ihren Erfahrungen und bringen Vorlieben ein. Diese Konstellationen erklären die abwechslungsreiche Songlandschaft und den gesteigerten Wert auf einen hervorgehobenen Gitarren-Sound.

    Das Album startet wild und überschwänglich mit "Chrome Mess". Die Gitarren von Malkmus & Sweeney ergänzen sich ergötzlich und stacheln sich gegenseitig in ihrem verzerrten, kompromisslosen Aufbegehren an. Jim White richtet mit seinem exzessiv-leidenschaftlichen Schlagzeug-Spiel ein berstend-schäumendes Inferno an und der Basslauf gleicht einem gewaltigen Krawall. Neben diesem rohen Donnerwetter verfügt der Song noch über behagliche melodische Qualitäten, die ihm im Zusammenhang mit dem in Richtung kontrollierter Wahnwitzigkeit tendierenden Gesang von Emmett Kelly eine äußerst attraktive Gesamterscheinung verschaffen. Maximum-Rock & Roll!

    Auch "Earth Hater" ist auf Krawall gebürstet und zeigt sich durch eine giftige und eine brodelnde E-Gitarre noch angriffslustiger als "Chrome Mess". Und dies, obwohl die Geschwindigkeit gegenüber dem Vorgänger etwas zurückgenommen wurde und der reservierte Gesang von Malkmus auch bremsend wirkt. Tempoänderungen lassen den Track sperrig wirken, ohne dass ihm dadurch die rebellische Attraktivität genommen wird. Auf die Leidenschaft bei der Umsetzung kommt es eben an!

    Für "Rio`s Song" ist das Hard Quartet besonders durch den gefühlvollen Gesang von Sweeney mild und harmonisch gestimmt, bewahrt sich trotzdem stets seine Ecken und Kanten. Dieser raffiniert strukturierte Garagen-Rock verbreitet die freigeistige Atmosphäre des Westcoast-Rocks der frühen 1970er-Jahre, der aus elektrifiziertem Folk, starken Song-Ideen und unwiderstehlich prickelnden Widerhaken bestand. Noch ein Volltreffer und ein heimlicher Hit der Platte!

    Diesen Titel kann auch "Our Hometown Boy" für sich in Anspruch nehmen. Es handelt sich um einen cremigen, hart rockenden Power-Pop mit Wurzeln, die bis zu Hüsker Dü und The Byrds zurückreichen. Das Lied zeigt ein stabiles Rückgrat, ist ein galanter Charme-Bolzen und glänzt fabulös durch die fein abgestimmte, verführerisch-mitreißende Melodie, die sich geschmeidig anhört, aber ohne Zuckerguss auskommt. Exzellente, prächtig mundende Kost!

    Rotzig-wilden High-Energy-Punk gibt es bei "Renegade" zu hören. Ein Track, bei dem man spürt, wie viel Spaß die Beteiligten mit ihren Schöpfungen und miteinander im Tonstudio hatten. Ausgelassener, gut gelaunter Krach!

    Das Spektrum der Viererbande erweitert und verändert sich unaufhörlich: "Heel Highway" sammelt verschwommene Improvisations-Eindrücke von The Grateful Dead und Pop-Retrospektiven von The Kinks ein und gibt sie als vielschichtigen, psychedelisch beeinflussten Art-Pop-Song wieder frei. Welch eine Ideenvielfalt!

    Die entspannte Country-Folk-Nummer "Killed By Death" geht sofort ins Ohr, bleibt da drin und verursacht aufgrund seiner zwingend sympathischen Ausdrucksweise für Verzücken. Zum Dahinschmelzen: Gänsehaut pur!

    Die kraftvollen, provokant elektrifizierten Balladen "Hey" und "Six Deaf Rats" bewahren das musikalische Andenken an den Subkultur-Sound von Lou Reed sowie den elektrischen Folk-Jazz von Tim Buckley und kommen somit völlig unsentimental daher. Robuste Empfindsamkeit von Kopf bis Fuß!

    "It Suits You" befindet sich im Unruhezustand. Der bedächtig und langsam gesungene Track wird unaufhörlich instrumental vorangetrieben, gerät zwar nicht in Hektik oder Panik, kommt aber auch nicht zur Ruhe. Eine merkwürdig undurchsichtig-zwielichtige Atmosphäre liegt in der Luft!
    "Action For Military Boys" breitet eine Wundertüte an Sounds und Einflüssen aus: der flirrende Westcoast-Rock von Copperhead um John Cipollina, etwas Hendrix-Gitarrenakrobatik, Progressive-Rock-Dramatik und eine freche, nervöse, mosaikartig ablaufende Songführung kommen lustvoll zusammen. Ein schwindelerregender Stil-Mix!

    Eine lässige, dennoch straffe Intimität umweht "Jacked Existence". Diese transparent-filigrane Komposition würde sich auch gut im Liederzyklus von Richard Thompson machen. So hält man ein musikalisches Erbe lebendig!

    Das rauschhaft verschachtelte "North Of The Border" offenbart eine weitere Facette der kompetenten Vielseitigkeit des Star-Ensembles. Der fantasievoll-originell gestaltete Psychedelic-Rock kommt im Gegensatz zu einigen Stücken dieses Genres aus den 1960er-Jahren ohne Solo-Eskapaden aus und wird kultiviert und gewagt dargeboten. Das bedeutet: Das Geschehen wird durch eine Rückschau beeinflusst, ist darüber hinaus jedoch ständig mit der Gegenwart verbunden. Es geht nichts über qualitativ hochwertig interpretierte Referenzen!

    Der ungezwungen groovende Slow-Blues-Rock "Thug Dynasty" bricht dann mit den Traditionen, weil vom klassischen Schema des Blues zugunsten einer gegenüber anderen Musikformen offenen Ausdrucksweise abgewichen wird. So kommen weitere gebremste und beschleunigende Tonfolgen, sowie Doo-Wop-Hintergrund-Gesänge zum Tragen, die das Lied zwischen massiver Rock-Ballade und rauschhaftem Folk-Rock einordnen. Nieder mit den Stil-Beschränkungen!

    "Gripping The Riptide" gibt sich mysteriös, agiert mit überraschenden Wendungen, verfügt über einen ähnlichen Seltsamkeits-Faktor wie "On The Beach" von Neil Young, lässt knurrende Gitarren sprechen, deutet immer mal wieder einen brachialen Ausbruch an, hält sich dann aber doch mit eskalierenden Aggressionen zurück. Nicht alle Rätsel müssen gelüftet und nicht jedes Album muss von einem durchsichtigen Song abgeschlossen werden. Hier funktioniert dies viel eindrucksvoller mit einem von einem Geheimnis umwehten Track!

    Stephen Malkmus, Matt Sweeney, Emmett Kelly & Jim White wachsen als Quartett über sich hinaus und vollbringen zusammen eventuell die eindrucksvollste Leistung ihrer an Höhepunkten nicht armen Karrieren. "The Hard Quartet" ist ohne Zweifel ein Meisterwerk, keine Frage - und ein Aushängeschild des Genre-sprengenden Alternative-Rocks. 15 Songs in 52 Minuten, nur Gewinner, kein Füllmaterial. Ein Fest für alle, die krachend jaulende, sich duellierende und gegenseitig umgarnende E-Gitarren lieben, welche in klug durchdachte Kompositionen eingearbeitet werden. Dieses Referenz-Werk bekommt als Sahnehäubchen noch einen prächtig-flexiblen Schlagzeug-Sound verpasst. Zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug - was braucht man mehr für lodernd-energische und sinnlich-hingebungsvolle Musik?

    Für das Quartett bedeutet Rock & Roll wilde Entschlossenheit und Rebellion. Die Platte ist ein Musterbeispiel für temperamentvoll-erregende, begeisternde Klänge, die nicht bei bekannten und beliebten Mustern Halt machen und die in der Vitalität, Empathie und Hingabe Genugtuung suchen. Authentizität ist ein wichtiges Wesensmerkmal dieser Musik. Es wird nichts glattgebügelt oder zum Zwecke der Massentauglichkeit geschönt. In diesem Sinne hat "The Hard Quartet" jetzt schon berechtigte Aussichten auf einen Kultstatus.
    Meine Produktempfehlungen
    • Traditional Techniques (Papersleeve) Stephen Malkmus
      Traditional Techniques (Papersleeve) (CD)
    • Wig Out At Jagbags Stephen Malkmus
      Wig Out At Jagbags (CD)
    • Traditional Techniques Stephen Malkmus
      Traditional Techniques (CD)
    • Mirror Traffic Stephen Malkmus
      Mirror Traffic (CD)
    • Real Emotional Trash Stephen Malkmus
      Real Emotional Trash (CD)
    • Pig Lib Stephen Malkmus
      Pig Lib (CD)
    • Face The Truth +bonus Stephen Malkmus
      Face The Truth +bonus (CD)
    • Stephen Malkmus Stephen Malkmus
      Stephen Malkmus (CD)
    • Terror Twilight Pavement
      Terror Twilight (CD)
    • Crooked Rain, Crooked Rain Pavement
      Crooked Rain, Crooked Rain (LP)
    • Terror Twilight Pavement
      Terror Twilight (LP)
    • Brighten The Corners Pavement
      Brighten The Corners (LP)
    • Slanted & Enchanted Pavement
      Slanted & Enchanted (LP)
    • Wowee Zowee Pavement
      Wowee Zowee (LP)
    • Superwolf Superwolf (LP)
    • Superwolf Bonnie 'Prince' Billy & Matt Sweeney
      Superwolf (CD)
    • Superwolves Bonnie 'Prince' Billy & Matt Sweeney
      Superwolves (LP)
    • Sisypheans Xylouris White
      Sisypheans (LP)
    • The Forest In Me Xylouris White
      The Forest In Me (LP)
    • Goats Goats (CD)
    • The Forest In Me The Forest In Me (CD)
    • Swallowtail Jim White & Marisa Anderson
      Swallowtail (CD)
    Revelation Leif Vollebekk
    Revelation (CD)
    23.11.2024
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Leif Vollebekk darf kein Geheimtipp bleiben!

    Der Name Leif Vollebekk ist bislang nur wenigen Eingeweihten ein Begriff. Dabei hat der Musiker aus Ottawa (Kanada) seit 2010 schon vier exzellente Platten herausgebracht. Sein fünftes, gleichwertiges Studioalbum "Revelation" erscheint am 27. September 2024 und präsentiert nicht nur markante Songs, sondern kann auch mit einer hochkarätigen Besetzung auftrumpfen. Dazu gehören die Schlagzeuglegende Jim Keltner und die Pedal-Steel-Gitarristin Cindy Cashdollar, die unter anderem für Bob Dylan, Van Morrison und Ryan Adams gearbeitet hat.

    Auch wenn sich der Eröffnungs-Track textlich auf den "Rock And Roll" beruft, so findet sich auf dem gesamten Werk musikalisch nichts Aufrührerisches, Lautes oder Rebellisches. Es baut vielmehr auf den bezaubernd-dynamischen Errungenschaften einiger Kollegen aus den 1970er-Jahren auf, die teilweise fast vergessen sind, wie Jesse Winchester, Steve Young, David Wiffen und David Ackles oder als Ikonen verehrt werden, wie Jackson Browne, Eric Anderson, Townes van Zandt und Tim Hardin. Aber Vollebekk ist kein Imitator oder Plagiator, er lässt sich lediglich von Vorbildern inspirieren, um deren Vorgehen mit seinen Vorstellungen zusammenbringen zu können. Es ist ihm durchaus bewusst, dass die meisten Noten-Verbindungen schon irgendwann einmal verwendet wurden und er nun von den ursprünglichen Ideen profitieren darf: "Also werde ich nur diese eine Note spielen. Es ist nicht mal eine von denen, die ich geschrieben habe. In der Tat ist es keine von ihnen oder wusstest du das nicht? Sie sind vom Schöpfer des Rock 'n' Roll", lautet die ehrliche Erkenntnis.

    Der Song "Rock And Roll" ist eine Ballade, die mit einem sanft groovenden Schlagzeug und breitflächig säuselnden Synthesizer- und Streicher-Klängen ausgestattet wurde. Dieses opulente Gebilde füllt Leif mit Herz-Schmerz-Gesang gefühlvoll auf und erschafft daraufhin ein Lied, das als gefühlvoll-sentimental bezeichnet werden kann. Dennoch wirkt die Musik nicht wehleidig-jammervoll, sondern liebevoll-behutsam. Diesen Spagat zwischen geheuchelter Schnulze und ehrlichem Verständnis muss man erst einmal zu Gunsten von Aufrichtigkeit hinbekommen.

    "Southern Star" bedient sich der bitteren Süße, die in der Seele der Country-Musik schlummert und so ist das Lied gleichzeitig traurig wie auch aufbauend. Das Piano gibt die melancholische Stimmung vor, das Schlagzeug den betrübten, aber kräftigen Herz-Takt und das Schwirren der Keyboards lässt die Zeit still stehen. Der Background-Gesang von Angie McMahon und Anaïs Mitchell symbolisiert innige Verbundenheit, so wie ihn einst Gram Parsons und Emmylou Harris ausdrückten. Die Pedal-Steel-Gitarre macht das, was eine Pedal-Steel-Gitarre am besten kann: rührend-ergreifende Tränen weinen, die aus Noten bestehen. Meisterlicher wird man ein inniges Liebeslied kaum ausstatten und interpretieren können.

    Das Leben ist eine Reise und eine Suche, womöglich nach Seelenfrieden. Wenn man Glück hat, kann man diesen auch in einer Beziehung finden. Darum geht es in "Peace Of Mind", einem Track, der das Glück greifbar macht und sich als beschwingter Adult-Pop auszeichnet. Das Stück ist eingängig, hat also grundsätzlich Radio-Format, ohne jedoch einfallslos dahinzuplätschern, wie man es oft von anderen Charts-Kandidaten ertragen muss. Auch dieser Spagat ist nicht einfach und leider relativ selten anzutreffen.

    Sich mit den Kräften der Natur messen und dabei an die eigenen Grenzen gehen, das hat etwas Befreiendes. Davon können Surfer ein Lied singen, was Vollebekk hier mit "Surfer's Journal" tatkräftig vollbringt. Die Herausforderung des Surfens wird in diesem Beispiel dazu genutzt, um etwas über die eigenen verborgenen Wünsche zu erfahren: "Ich kam hierher, um herauszufinden, was in mir vorgeht". Meeres-Rauschen und monoton surrende Geigen-Töne flankieren dezent diese Piano-Ballade, was die Wahrnehmung von ausgedehnten Landschaften fördert. Erst spät setzt das Schlagzeug ein, das beinahe wie das Peitschen des Wassers an Klippen klingt. Zu diesem Zeitpunkt haben sich die flimmernden Töne auch schon im Verbund mit weiteren Instrumenten hochgeschaukelt und der Song bewegt sich wogend wie Wellen im Wind. Leif Vollebekk erweist sich als Herr der Gezeiten und reitet stimmlich selbstbewusst auf der Dünung. Romantik und Realität finden eine Ausdrucksform, die für eine gleichberechtigte Partnerschaft von Intro- und Extrovertiertheit wirbt.

    Der Begriff "Moondog" hat unterschiedliche Bedeutungen: Er steht für Hunde, die den Mond anheulen und er bezeichnet außerdem den Künstlernamen des New Yorker Komponisten Louis Thomas Hardin, der dort von Ende der 1940er-Jahre bis zum Anfang der 1970er-Jahre als Blinder im Wikinger-Kostüm an der Ecke 6th Avenue/54th Street anzutreffen war. Daneben gibt es unter dem Namen Moondog noch die astronomische Bezeichnung für einen Mond-Nebenschein, der als Lichtbrechung neben dem Erdtrabanten als Punkt sichtbar sein kann. Im "Moondog"-Song von Leif Vollebekk kann es sich aber auch nur um den Spitznamen der besungenen Frau handeln: "Sag mir, was du siehst. Moondog, du bist alles, was ich brauche. Meine Gedanken kreisen immer wieder zu dir zurück." Der erzählerisch starke Folk-Song kommt mit wenigen Instrumenten aus: Eine akustische Gitarre, ein Bass, eine Mundharmonika und ein paar atmosphärische Synthesizer-Klänge reichen, um eine intime, aber entschlossene Stimmung aufzubauen.

    Zartfühlend und nachdrücklich kommt uns "False-Hearted Lover" entgegen. Die genannten Gefühlsäußerungen sind keine Widersprüche, was diese Komposition verdeutlicht. Die Geschichte vom betrogenen Liebhaber beinhaltet nämlich ruhig-beherrschte und druckvoll-energische Phasen, was das Lied äußerst lebendig und wendig erscheinen lässt.

    "Elijah Rose" berichtet davon, dass das siebenjährige Mädchen von ihrem Vater getötet wurde. Um nicht der Verzweiflung Raum zu geben, klammert sich die Poesie an die Möglichkeit, dass der Tod nicht das Ende bedeutet. Ein monotoner Break-Beat steht in der Gestaltung stellvertretend für die Ohnmacht bei einem der heftigsten Einschnitte im Leben, der Bass für die Trauer, das Piano forscht akustisch nach Erklärungen und die E-Gitarre erzeugt einen Hilfe suchenden Aufschrei. Leif Vollebekk bemüht sich, gesanglich die Beherrschung zu waren. Fassungslosigkeit schleicht sich jedoch in jedes seiner Worte ein.

    "Mississippi" beginnt sehr verhalten, leise und unauffällig und bekommt nach dem unscheinbaren Beginn zuerst durch ein wuchtiges Schlagzeug und dann durch ein freches E-Gitarren-Solo einen Schub in Richtung Aufbruch versetzt. Allerdings zeigt sich der romantisch geprägte Ablauf davon unbeeindruckt. Der Mississippi dient bei dem Lied als Bildnis für einen verheißungsvollen Sehnsuchtsort mit einigen Mysterien, die ihn noch anziehender machen.

    Bei "Till I See You Again" wird das Flehen in Worte und Noten gegossen. Das Piano spielt eine schmerzvolle Sinfonie und das Saxofon bringt anfangs nur Rauschen hervor. Später reiht es sich unkonventionell in die Elegie ein. Dessen neue Klänge erinnern an das aufgeregte Geschnatter von Wildgänsen, wenn sie sich sammeln und im Schwarm ins Winterquartier fliegen.

    Für "Sunset Boulevard Expedition" wird Kitsch zur großen Kunst aufgewertet. Leif Vollebekk fährt in über acht Minuten die ganz große Gefühls-Offensive auf: eine überirdisch klar klirrende Harfe, weichgezeichnete Streicher, ein hypnotisches Klavier, leidenschaftlich leidender Gesang, ein zart getupftes sowie frisch belebendes Schlagzeug, engelsgleiche Background-Gesänge und nicht zuletzt eine lieblich-bildhafte Poesie entführen in eine unwirkliche Scheinwelt, die durch ihre suggestive Schönheit die Sinne benebelt. Vorsicht, Sucht-Gefahr!

    "Angel Child" klingt wie ein verschollen geglaubter Honky-Tonk-Country-Folk-Song von John Prine. Bodenständigkeit und Spiritualität treffen hier vortrefflich zusammen ("Jetzt, wo ich dich getroffen habe, glaube ich an Engel. Sag mir jetzt, Baby, glaubst du an mich?")

    Für Leif Vollebekk ist "Revelation" eine Meditation über das Leben in einer sich rapide schnell ändernden Zeit, bei der zunehmend Zweifel an den praktizierten gesellschaftlichen Normen und Werten entsteht. Vollebekk suchte im Vorfeld der Entstehung des Albums Antworten auf seine brennenden Fragen nach der Bedeutung von Naturgesetzen im Zusammenhang mit einer eventuellen göttlichen Fügung bei Carl Jung, Isaac Newton und Dmitri Mendelejew. Sie regten ihn dazu an, intensiver über das Leben und seinen Platz darin nachzudenken.

    "Revelation" ist ein klassisches Singer-Songwriter-Opus geworden, bei dem gut abgehangene Tugenden, wie runde, süffige Melodien, geschmackvolle, delikate Arrangements und eine ausgeruht-lässige Sing-Stimme genüsslich in die Kompositionen einfließen. Auf diese Weise entstehen Songs, die das Zuhören zu einem unvergesslich beglückend-zarten Erlebnis werden lassen.

    Ohne Hektik oder Stress und ohne Trend-Vorgaben sieht man sich mit einer authentischen Persönlichkeit konfrontiert, die einfach nur für eine gute, anregende Zeit sorgen möchte. Und das ist komplett gelungen. Man fühlt sich angenehm aufgehoben in und mit diesen Liedern. Deshalb der Appell: Leif Vollebekk darf kein Geheimtipp bleiben, denn seine Songs sind zu wertvoll und attraktiv, um nicht angemessen beachtet zu werden. Wohlklang und Qualität für alle!
    Meine Produktempfehlungen
    • Inland Inland (LP)
    • New Ways Leif Vollebekk
      New Ways (CD)
    • Inland Leif Vollebekk
      Inland (CD)
    • Twin Solitude Leif Vollebekk
      Twin Solitude (LP)
    • North Americana Leif Vollebekk
      North Americana (LP)
    • Twin Solitude Leif Vollebekk
      Twin Solitude (CD)
    • New Ways Leif Vollebekk
      New Ways (LP)
    • North Americana Leif Vollebekk
      North Americana (CD)
    • New Ways Leif Vollebekk
      New Ways (CD)
    1 bis 25 von 472 Rezensionen
    1
    2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
    Newsletter abonnieren
    FAQ- und Hilfethemen
    • Über jpc

    • Das Unternehmen
    • Unser Blog
    • Großhandel und Partnerprogramm
    MasterCard VISA Amex PayPal
    DHL
    • AGB
    • Versandkosten
    • Datenschutzhinweise
    • Impressum
    • Kontakt
    • Hinweise zur Batterierücknahme
    * Alle Preise inkl. MwSt., ggf. zzgl. Versandkosten
    ** Alle durchgestrichenen Preise (z. B. EUR 12,99) beziehen sich auf die bislang in diesem Shop angegebenen Preise oder – wenn angegeben – auf einen limitierten Sonderpreis.
    © jpc-Schallplatten-Versandhandelsgesellschaft mbH
    • jpc.de – Leidenschaft für Musik
    • Startseite
    • Feed
    • Pop/Rock
    • Jazz
    • Klassik
    • Vinyl
    • Filme
    • Bücher
    • Noten
    • %SALE%
    • Weitere Weitere Bereiche
      • Themenshops
      • Vom Künstler signiert
      • Zeitschriften
      • Zubehör und Technik
      • Geschenkgutscheine
    • Anmelden
    • Konto anlegen
    • Datenschutzhinweise
    • Impressum
    • Kontakt