Qualität macht den Unterschied: Die Associates rieben sich leidenschaftlich zwischen Depression und Euphorie auf.
Der Sänger Billy Mackenzie und der Multiinstrumentalist Alan Rankine aus Schottland spielten seit 1979 als Associates intensive New Wave-Musik. Eine Zuordnung zu Gothik, Industrial, Krautrock oder Post-Punk erscheint auf den ersten Blick naheliegend, trifft aber selten den Kern, weil das Duo zwar eifrig den Zeitgeist zitiert, aber auch geschickt versucht, sich eindeutigen Klassifizierungen zu entziehen.
Wie zum Beispiel bei "White Car In Germany", die die Singles-Zusammenstellung "Fourth Drawer Down" eröffnet. Der Track hat eine herausfordernde Melodie, verfügt über einen monotonen Rhythmus und verbreitet eine depressive Stimmung. Die leidend-beschwörende, manisch-dramatische, die Nerven angreifende und umgarnende Stimme von Billy Mackenzie zeichnet darüber hinaus nicht nur dieses, sondern auch viele andere Lieder besonders aus. "White Car In Germany" offenbart auch einen Haupteinfluss des Duos, denn das Stück setzt da an, wo David Bowies und Brian Enos Ideen im Berlin am Ende der 1970er-Jahre zu eigentümlichen "Sounds und Visionen" geführt und Alben wie "Low", "Heroes" und "Lodger" (das in Montreux und New York aufgenommen wurde) hervorgebracht haben. Die emotionale Kälte der Großstadt (was für Bowie Berlin ist, ist für die Associates Düsseldorf) findet sich in elektronischen Tondichtungen genauso wieder, wie die verzweifelte Besessenheit, heimliche Hilferufe und der Wunsch nach Geborgenheit im Gesang von Bowie. Die Verbindung zu Bowie ist übrigens kein Zufall, denn die erste Associates-Single war eine Cover-Version von seinem "Boys Keep Swinging". Manchmal ist es bei "White Car In Germany" kaum zu unterscheiden, ob die sich in die Höhe schraubenden Klänge direkt aus dem Synthesizer stammen oder ob Billys Gesang verfremdet wird. Ein gefährliches Unterfangen, wenn solche Experimente zur puren Effekthascherei verkommen, um mangelnde Songwriter-Kunst zu kaschieren. Hier ergeben solche Klangerfahrungen jedoch Sinn, weil sie die erzeugten Gefühlslagen verstärken oder konterkarieren. Die verwendeten Schwingungen deuten zudem auf Erfahrungen mit Science-Fiction- oder Horror-Film-Untermalungen hin.
"A Girl Named Property" setzt die begonnene Reise ins Unbekannte fort, indem zunächst eine leicht bedrohlich wirkende Tonkonstruktion gebildet wird. Plötzlich schält sich ein zuckersüßer Refrain heraus, der dem Song eine liebevolle Wendung gibt. Trotz der offensichtlichen Gegensätzlichkeit zu der zum Greifen nahen aggressiven Verzweiflung passen die Kontraste gut zusammen. Der Rhythmus ist karg und monoton, und die E-Gitarre scheint im Hintergrund dickes Metall funkensprühend zu schneiden. Das Konstrukt lässt das Blut in den Adern gefrieren.
"Kitchen Person" fällt danach als panische, überhitzte Rock-Nummer mit treibend schnellen Vibraphon- und Synthesizer-Maschinengewehr-Salven auf. Der Track kocht ständig vor Erregung über und kommt erst kurz vor Schluss zur Ruhe. Die totale Reizüberflutung lässt Rückschlüsse auf einen Rausch durch Speed zu.
Das moderat experimentelle, mit Retro-Science-Fiction-Sounds versehene Art-Pop-Song "Q Quarters" erinnert in seiner unorthodoxen Ausführung an die bizarren Lieder von Scott Walkers "Climate Of Hunter", das allerdings erst drei Jahre später erschien! Mackenzie adressierte den Song an die "egoistischen Politiker und die Korruption in Dundee."
Der Kontrast zwischen heiterer Jahrmarkts-Atmosphäre und nervöser Anspannung geht bei "Tell Me Easter`s On A Friday" Hand in Hand. Yin & Yang, Tag und Nacht, hell und dunkel - vereint in einem Lied.
Das schrullige, durch pumpende Rhythmen vorangetriebene Instrumental-Stück "The Associate" hält auch zwei konträre Stimmungen gleichzeitig parat: eine, die für betrunken-schlingernde Töne und eine, die für Standhaftigkeit und Robustheit sorgt.
Für "Message Oblique Speech" wird ein bizarrer Freak-Folk erzeugt, der sich als Basis unnachgiebig-stramme Disco-Funk-Rhythmen ausgesucht hat.
Mit dem exzentrischen Instrumental-Stück "An Even Whiter Car", einer schleppenden, abgebremsten und umstrukturierten Version von "White Car In Germany", endete die Vinyl-Ausgabe von "Fourth Drawer Down", die im Oktober 1981 erschien.
Beim ersten Hören von "Fourth Drawer Down" sind in der Regel noch nicht alle Details erfasst. Die Kompositionen stehen oft unter einer permanenten Energiezufuhr, was zur Ablenkung oder Überforderung beim Lauschen führt. Der Reiz der Musik beruht unter anderem auf dem Kontrast zwischen der extrem überschwänglichen Stimme und dem verrückt-eigenwilligen Instrumentarium. Das Zweiergespann verwendete alle möglichen schräg-originellen Sounds aus, wie bellende Hunde oder Schreibmaschinenklappern. Sie probierten aus, was mit Wasser gefüllte Luftballons, die an Gitarrensaiten gerieben wurden, für Töne erzeugten oder pinkelten sogar in eine akustische Gitarre - woran sich Alan Rankine allerdings später nicht mehr erinnern mochte. Für "Kitchen Person" leiteten sie jedoch nachweisbar den Gesang durch ein Staubsauger-Rohr. Der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt.
Wenn Billy Mackenzies Gesang von Melancholie heimgesucht wurde, erzeugten die Keyboards in den Obertönen manchmal regelrecht vergnügliche Stimmungen. Und umgekehrt: jubilierte Mackenzie, dann rief das instrumentelle Umfeld ein Horror-Szenario hervor. Als Mitmusiker sollen der Schlagzeuger John Murphy und der einflussreiche Ideengeber und Bassist Michael Dempsey (ex-The Cure) nicht unerwähnt bleiben. Der Albumtitel "Fourth Drawer Down" kam zustande, weil die Musiker ihre pflanzlichen "Beruhigungsmittel" (die "Quiet Life" hießen) in der vierten Schublade von unten in einem Schrank aufbewahrten.
"Fourth Drawer Down" ist eine Zusammenstellung, die in der Erstausgabe fünf Single-A-Seiten und drei Single-B-Seiten von insgesamt sieben Singles aus 1981 enthielt. Obwohl es ursprünglich nicht geplant war, aus den Singles ein Album zu erstellen, wirkt dies trotzdem wie ein in dem Ablauf gewollt konzipiertes und logisch zusammengestelltes Werk. Wobei die Qualität der Tracks von einer "herausragenden Darstellung" bis hin zu "atmosphärischen Zwischenspielen" reicht und entsprechend auf einem hohen Niveau schwankt.
Die letzte Wiederveröffentlichung der Compilation von 2016 umfasste zwei CDs mit insgesamt 16 Stücken. CD 1 enthält das technisch überarbeitete Ursprungsalbum. CD 2 beherbergt die fehlenden Titel der sieben 1981er-Singles plus zwei Demo-Versionen. Die nicht für "Fourth Drawer Down" verwendeten Kompositionen sind zwar historisch aufschlussreich, aber nicht alle unbedingt zwingend hörenswert, wenn sie wie Skizzen, Spielereien oder unfertige, ausgewalzte oder verworfene Ideen klingen. Ausnahmen bilden die stoische Funk-Ballade "Fearless (It Takes A Full Moon)", "Point Si" mit Schwingungen, die sowohl an Walgesänge, als auch an rollige Katzen erinnern und "The Tree That Never Sang", wo der Irrsinn nahe ist.
Am überzeugendsten sind die Musiker immer dann, wenn sie sich nicht den im Trend liegenden Attributen unterwerfen, um krampfhaft Tanzbarkeit zu erzeugen, sondern wenn sie ihren Songs individuellen Tiefgang verschaffen. Dem Duo gelingt es unter diesen Umständen, aus den verwendeten Zutaten - unabhängig von ihrer kulturellen Einordnung - etwas Ungewöhnliches zu gestalten.
Nach einem weiteren Album ("Sulk" von 1982) brach die Zusammenarbeit zwischen Mackenzie und Rankine auseinander. Zu viele Drogen, Stress und musikalische Differenzen sollen schuld daran gewesen sein. Mackenzie führte den Namen Associates noch bis 1990 weiter und arbeitete in dieser Zeit auch mit Yello (Dieter Meier & Boris Blank) zusammen. Eine geplante Associates-Wiedervereinigung im Jahr 1993 scheiterte, die Aufnahmen kamen nicht über einen Demo-Status hinaus. 1997 nahm sich Billy Mackenzie mit 39 Jahren das Leben, und Alan Rankine starb 2023 im Alter von 64 Jahren.
Ihr Vermächtnis lässt sich mit "Affectionate Punch" (1980), "Fourth Drawer Down" (1981) und "Sulk" (1982) als prägend für den Underground-Pop bezeichnen. Möchte jemand wissen, was sich Anfang der 1980er-Jahre jenseits des Mainstreams in Großbritannien stilistisch abgespielt hat, so findet er durch diese Platten einen interessanten Einblick. Die Musik hört sich auch heute noch in ihren besten Momenten auf faszinierende Weise befremdlich, aufrührerisch, seltsam und futuristisch an.
Billy Mackenzies theatralisch überzogener, ausdrucksstarker Gesang kannte keine Schranken, beging aufrichtigen Seelen-Striptease, passte sich jeder Situation an, konnte aber auch mächtiges Klang-Gewitter im Zaum halten. In Billys Texten überschlugen sich die Gedanken und Ereignisse. Sie waren sprunghaft und vermitteln deshalb den Eindruck, unzusammenhängend zu sein, da sich ihre Bedeutung nicht unbedingt sofort erschließt. Alan Rankines Ideenreichtum hinsichtlich einer originellen Klanggestaltung kannte keine Grenzen. Sein Gitarrenspiel war schrill oder versöhnlich - unbedingt aber flexibel, je nach gewünschtem Wirkungsgrad. Das Duo-Infernale nutzte die Gunst der Stunde der beginnenden 1980er-Jahre. Alles war im Umbruch, und die Musiker haben mutig und abenteuerlich ihre unkonventionellen Ideen umgesetzt. Persönliche Schwierigkeiten und die Zwänge des Erfolgs-Mühlrads ließen sie leider an einer langfristig angelegten Karriere scheitern. Ihr schmaler Output hat aber weiterhin Bestand!