Ein epochales Großwerk ...
... auf das man als seit Jahrzehnten bekennender Van-Morrison-Fan schon nicht mehr zu hoffen wagte, auch angesichts einer Veröffentlichungsflut, bei der - quantitativ - höchstens noch Willie Nelson und Neil Young mithalten können und - qualitativ - die meisten Longplayer irgendwo zwischen "ganz okay" und "ziemlich gut" lagen. Hier aber sind nun alle oft vermissten Ingredienzen wieder da: diese unfassbare Stimme, die stets wirkt, als ginge es um Leben und Tod; diese wunderschönen Melodien; diese sacht swingende Backingband, die sich geradezu traumwandlerisch durch sämtliche Stile zwischen Soul und Folk, Gospel und Rhythm 'n' Blues bewegt; diese himmlischen Harmonies; diese packenden Bläsersätze; diese schwelgerischen Streicher, arrangiert von Vans langjährigem Wegbegleiter Fiachra Trench. Im Ernst: Verglichen mit "Remembering Now" nehmen sich sämtliche Morrison-Alben seit "Hymns To The Silence" aus dem Jahr 1991 (mit Einschränkungen) wie bloße Fingerübungen aus. Er sei "back to writing love songs", bekennt The Man im gleichnamigen Track. Und in der Tat: Die Liebe spielt eine große Rolle ("Love, Lover, Beloved", "The Only Love I Ever Need Is Yours"), mehr aber noch geht es um die Rückbesinnung, um die Erinnerung an die glücklichen Tage der Jugend, an die "corner boys" (im hinreißenden "Stomping Ground"), die einst schon "The Healing Game" bevölkerten, an Orangefield und all die anderen magischen Orte, an die alten "black and white movies", an Belfast, Ray Charles und den Blues. Nostalgie? Aber sicher. Worüber Van Morrison hier singt, ist indes das eine. Das andere ist, wie er das tut: Man hört "When The Rains Came", "Stretching Out" oder den Titeltrack und fühlt sich erinnert an "Cyprus Avenue", "Caravan", "Listen To The Lion", "Summertime In England" und all die anderen Songs, in denen es scheint, als würde nicht Van Morrison singen, sondern als würde etwas durch ihn singen. Klingt esoterisch? Mag sein, ist aber völlig egal. Viel wichtiger ist: Mehr Versenkung, mehr Herzblut, mehr Überwältigung, mehr "soul searching" als auf "Remembering Now" war lange nicht. Für alle, die es ganz genau wissen wollen, hier noch eine kurz Produktinfo: Pressqualität und Klang sind tadellos, wer will, kann das Fehlen eines Lyric-Sheets oder gefütterter Innenhüllen beklagen. Was nichts daran ändert, dass Van Morrison mit fast 80 Jahren noch einmal ein Meisterwerk abgeliefert hat. "Astral Weeks (1968), "Moondance" (1969), "Saint Dominics Preview" (1972), "Common One" (1980), "Beautiful Vision" (1982), "Avalon Sunset" (1989) - in diese Kategorie ist "Remembering Now" einzuordnen. "Viele alte (und mittelalte) Männer werden jetzt sicherlich Freudentränen vergießen", vermutet Max Gösche in seiner Rezension für den "Rolling Stone" - und hat völlig recht damit. Hier sitzt ein 67 Jahre alter Mann und weint "tears of joy".