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Anonym
23. August 2022
Gesamteindruck:
5,0 von 5
Künstlerische Qualität:
5,0 von 5
Dafne im neuen aber doch alten musikalischen Gewand
Na ja, so kann man natürlich mit jedem Recht seinen „Ohren nicht trauen“ (s.o.) wollen – die Rekonstruktion einer verloren gegangenen Musik bleibt natürlich spekulativ. Die historischen Informationen lassen aber doch einige Anhaltspunkte gelten, die es möglich erscheinen lassen, dem originalen Libretto ein neues Gewand im Stil der Zeit zu schneidern. Zumal dann, wenn sich ein ausgewiesener Kenner dieser Epoche und ihrer Musik wie es Roland Wilson ist, mit der Materie beschäftigt hat. Niemand behauptet, dass das Ergebnis dieser Arbeit nun die Originalversion von 1627 in Torgau hat wiederauferstehen lassen; aber es erklingt Musik von Schütz und stilistisch nahen Zeitgenossen, angepasst an Text und Szenerie! So ist das Libretto, diese wunderbare Geschichte mit ihren dramatischen Momenten ein gefundener Stoff für frühbarocke Komponisten, die neugewonnenen Möglichkeiten der Affektsprache der generalbassbegleiteten Monodie auszukosten. – das hat R. Wilson schon im Prolog des Ovid trefflich gelöst, im Prinzip auf derselben Basis, die auch Schütz als Vorbild hat nutzen können.
Ich hatte die Gelegenheit, die Aufführung in Torgau zu erleben, vor allem aber einige Probenmomente dort miterleben zu dürfen – die Lust und Freude des Ensembles bei ihrer Arbeit war ansteckend und muss sich auf das Publikum übertragen haben: man schaute nach der Aufführung durchweg in glückliche Gesichter. Musik und Story haben einfach gepasst. Natürlich kann eine CD nicht dieses Live-Erlebnis ersetzen; aber die gut gelungene Aufnahme zeigt doch im Nachhören, dass das neue Kleid dem alten Libretto durchaus angemessen ist.