Ein Schatzkästchen
Man darf sich leise wundern, wie leichtfertig oft Rezensenten auf dieser Website Aufnahmen zur "Referenz" ausrufen, und das oft ohne Verweis auf Konkurrenz-Einspielungen - mögen sie nun bisherige Referenzen oder persönlicher Geschmack sein -, oder auch nur irgendwelche Kriterien der musikalischen Gestaltung. Bei Gesamtaufnahmen ist das sogar besonders heikel. Wenn man zugrunde legt, dass allein von der "Kreutzer"-Sonate bei einem Streamingdienst 325 Aufnahmen gelistet sind, wird überdeutlich, dass hier vergleichendem Hören Grenzen gesetzt sind. Und auch wenn die Lage bei Gesamtaufnahmen aller Violinsonaten Beethovens übersichtlicher ist, markieren doch allein Kremer / Argerich (DGG), das Progressive betonend, Perlman / Ashkenazy (Decca) in klanglicher Perfektion oder die warmherzige Intensität von Oistrach / Oborin (Decca), um nur einige ältere zu nennen, allenfalls gleichberechtigte Positionen der Gestaltung auf ebenbürtig virtuoser Höhe.
Das Duo Neudauer-Rivinius hat solche Etiketten auch gar nicht nötig. Markiert ihre Neueinspielung doch einen goldenen Mittelweg, der gar nichts Mittelmäßiges hat, sondern vor allem auf die perfekte Balance beider Instrumente und somit der musikalischen Aussagen Wert legt, was auch die Tontechnik großartig einfängt. Hier wird nicht der grelle Kontrast betont, nicht das auffahrend "Beethoven-hafte", nicht mal in der schon erwähnten "Kreutzer"-Sonate, die hier in all ihrer Größe erfasst wird, ohne Details überzubetonen, sondern das Zusammenspiel. Man hört das "überrascht von Freude", um C.S. Lewis zu zitieren, und mit der Ahnung, dass man sich diese Aufnahme immer wieder vorspielen wird.
Wenn Beethoven der Klaviersonate und dem Streichquartett womöglich seine tiefsten musikalischen Gedanken und innovativsten Formexperimente anvertraut hat, gab ihm die Violinsonate Gelegenheit, auch mal die Melodie aussingen zu lassen, das Fließend-Harmonische zu betonen - natürlich in der notorischen "Frühlings"-Sonate, aber auch dem Adagio molto Expressive der Nr. 6 -, und dem trägt diese Einspielung wunderbar Rechnung. Sie schlägt den Bogen von den jugendfrischen Sonaten op. 12, die mir ebenso lieb sind wie die frühen Streichquartette op. 18, bis zur gesammelten und fast schon altersweisen Sprache des letzten Sonaten-Worts op. 96 - und was für einen Bogen! Dafür sind beide Partner verantwortlich, hier "begleitet" nicht einer die andere, hier wird auf allerhöchstem Niveau kommuniziert, und wir dürfen dabei sein.
Ob man das nun die einzige Referenz dieses letztlich kaum auslotbaren Werkkomplexes nennen will oder einfach nur einen Schatz - das ist nicht so wichtig.