Last Night of Sir Andrew Davis
Dass das Konzert über 20 Jahre alt ist, fällt dem Zuschauer relativ schnell auf. Die Royal Albert Hall sieht gegenwärtig ein wenig anders aus. Bildschirme schmücken heutzutage das Auditorium und das Publikum ist gegenwärtig vielfältiger. 2000 war es doch vor allem eins, Britisch. Diese Änderungen machen sich bemerkbar im Programm. Aber zu erst die Rahmenbedingungen. Sir Andrew Davis hat mit diesem Konzert sein letztes als Chefdirigent des BBC Symphony Orchestra gegeben. Danach ging er zur lyrischen Oper Chicago, wo er sein Herzenswunsch erfüllt hat, einmal den "Ring" aufzuführen. Sir Andrew sollte die Last Night noch einmal dirigieren. So charismatisch wie er das immer getan hat, wird es wohl nicht mehr sein.
Der Abend startet mit Bach; BWV 537. Aber nicht in Originalbesetzung, sondern in einer Bearbeitung von Sir Edward Elgar. In den deutschsprachigen Ländern ist das Werk selten zu hören. Schade eigentlich, denn Elgar kostet den ganzen Apparat des Sinfonieorchesters aus. Sir Andrew genießt dieses Werk. Die junge Geigerin Hilary Hahn spielt das "4.Violinkonzert" von W. A. Mozart. Selten war die Royal Albert Hall so still bei einer Last Night. Der Orchestersatz ist beschaulich und funktioniert in der großen Halle exzellent, wie schon (3. Violinkonzert) 1993 mit Frank Peter Zimmermann und den Berliner Philharmoniker. Zwischenapplaus nach dem ersten Satz gibt es. "Einige können es einfach nicht abwarten", sagte einmal ein Fagottist. Das beschreibt die Situation mit richtigen und falschen Applaus ganz gut.
Hahn spielt als Zugabe BWV 1001 Presto. Ein Bach im Original. Wie fein dieses Musizieren ist, fängt der Ton- und Bildträger wunderbar ein.
Letzter Programmpunkt vor der Pause sind zwei Auszüge aus Richard Strauss Oper "Salome". Das BBC Symphony Orchestra spielt unter Sir Andrew den "Tanz der sieben Schleier". So klangintensiv, so voller Wucht, hört man diesen Tanz nicht oft. Das Orchester zaubert, die Holzbläser (insbesondere Soloflöte und Piccolo) spielen in höchster Präzession. Jane Eaglen singt die Finalszene aus "Salome", "Du wolltest mich nicht deinen Mund küssen lassen...". Jane Eaglen, als beste Brünnhilde der 90er-Jahre gehandelt. Das Hörerlebnis ist beklemmend, aber nicht weil das Libretto so aussagekräftig ist, sondern weil Eaglen schlecht zu verstehen ist und die Rolle doch einen anderen Typ als Sängerin benötigt. Als Brünnhilde war Eaglen gut, aber nicht herausragend und als Salome lässt sie eher kalt. Das Orchester unter Sir Andrew spielen die Farben der Partitur aus. Energisch, aber doch immer mit den Pathos, der charakterisierend für Richard Strauss ist.
Nach der Pause fällt eine Rarität. Die "Suite for Jazz-Orchestra No.2" von Dimitri Shostakovich. (Achtung: Der berühmte "Waltz No.2 (Second Waltz)" kommt aus der "Suite for Varieté-Orchestra".) Das Werk ist sehr untypisch. Eine Handvoll Geigen, zwei Kontrabässe, Saxophone, Blech, Gitarren, Banjos und Schlagzeug. Von so einer kleinen Besetzung zu der größten Besetzung des Abends. Percy Grainger mit "Tribute to Foster". Fünf Solisten (u.a. Ann Murray, Toby Spence), der große BBC Symphony Chorus, das Orchester mit 12 (!) Schlagwerker, Soloklavier, Celesta und Harmonium. Das Werk ist absolut hörens- und sehenswert. Es folgt ein Augenblick von Stille aus Delius Oper "A Village Romeo & Juliet" spielt Sir Andrew mit dem BBC Symphony Orchestra "The Walk to the Paradise Garden". Das Englischhorn-Solo berührt.
Es folgen die Klassiker, die heute nicht mehr so erklingen. Der "Pomp and Circumstance No.1" in der großen Besetzung, die Sir Edward Elgar vorgeschlagen hat, die Orgel beschallt die ganze Halle. Es folgt "Fantasia on British Sea-Songs" einschließlich "Rule, Britannia!" Beides in der großen Proms-Version. Klar, die Thematik ist problematisch, doch muss deshalb eine arg gekürzte Version gespielt werden? Vielleicht ja, aber bevorzugt wird die Orchestrierung von Sir Henry Wood. Jane Eaglen singt eine Strophe im Stile von Wagner. Die Posaunen tauschen ihr Motiv mit dem des Walkürenritts aus. Sir Andrew freut sich, Jane Eaglen auch, das Publikum im Auditorium ebenso, Zuhause kommt wenig Freude auf.
Sir Andrew spricht seine berühmte Rede, mit bösen Humor und einer Leichtigkeit. Für sein letztes Jahr hat er die Rede im Stil von "The Pirates of Penzance" vorbereitet.
Hubert Parrys "Jerusalem" folgt. Sir Edward Elgar hat eine Instrumentierung geschrieben, die berührt. Wenn dann 6000 Briten mitsingen, ist es ein magischer Moment. Als letztes... die Nationalhymne Britanniens. Damals noch in der Queen-Version. Dies Jahr denn zum ersten Mal in der King-Version, wenn sie gespielt wird. 2000 war die Musikwelt ein wenig besser, reichhaltiger. Für dies Jahr stehen Werke an, die man öfter hört, doch Raritäten, die machen gerade ein Konzert aus.