Sommernachtskonzert 2023
    
    
        Wien, Schönbrunn, 08.06.23. Yannick Nezet-Seguin, die Wiener Philharmoniker und Elina Garanca geben ein Programm, welches man mit "Eine Nacht in Frankreich" betiteln kann. Die "Ouvertüre" aus "Carmen" war rasant gespielt. Technisch Wiener-Standard, jedoch etwas zu schnell, m.E. Das "Vorspiel zum dritten Akt" war technisch einwandfrei, schönes Flötensolo, vom Tempo her auch nicht zu schnell, man denke an Georges Pretre Einspielung mit Maria Callas, innerhalb 2 Minuten wurde das Intermezzo gespielt. Yannick Nezet-Seguin startet mit Wucht in die "Aragonaise". Warum die gesamte Suite nicht gespielt wird? Das weiß wohl am ersten die Marketing-Abteilung. In Berlin mit den Philharmonikern geht das, sie haben 1998 die gesamte Suite Nr.1 in der Waldbühne gespielt. Man traut sich in Berlin denn doch meistens mehr als in Wien. Es folgte eine normale Einspielung der "Habanera" aus "Carmen". Elina Garanca sang die Arie etwas weniger dynamisch als noch vor ca. 15 Jahren, doch insgesamt wurden die Erwartungen erfüllt. Die Philharmoniker sind eine tolle Begleitung, sind sie doch in der Oper genauso zuhause wie in der Sinfonie. Es folgt die Ansage von Daniel Froschauer und Nezet-Seguin. In der Fernseh-Übertragung war die Ansage hölzern, Froschauer hätte das ganz Nezet-Seguin überlassen sollen. In der herausgegebenen Fassung wurde das bereinigt. Es spricht nicht gerade für die Authentizität der Aufnahme, Fehler werden scheinbar so bereinigt, bis es perfekt ist. Muss es das denn sein? Dürfen Fehler in der heutigen Zeit nicht mehr gemacht werden? Scheinbar nicht. Lili Boulangers "D'un martin de printemps" folgte. Zum ersten Mal spielen die Philharmoniker ein Werk von Boulanger. In der Wiener Presse war zu vernehmen, dass das Werk für Open Air taugt, jedoch im Musikverein blass bleiben würde. Ob das so ist, das sei dahingestellt. Als Starter für ein Abokonzert, kann es sehr wohl eingesetzt werden. Berlioz "Le Corsaire Ouvertüre" erklingt. Schönes Orchesterspiel, sie passt weniger in das Programm, obwohl sie eher selten zu hören ist. aber trotzdem der letzte Funke will nicht überspringen. Eine Seltenheit folgt: "O ma lyre immortelle". Elina Garanca singt die Arie aus "Sapho" tadellos. Nezet-Seguin ist ein umsichtiger Begleiter. Gounods erste Oper sollte vielleicht mal wieder ganz gespielt werden. Wie schon 2016 folgt die zweite Suite aus "Daphnis et Chloe". Die Suite ist irgendwann für Sommernachtskonzerte oder ähnliche Galakonzerte entdeckt worden. Ca. 15 verschiedene Einspielungen fallen mir sofort ein. Mit Abstand am besten (m.E.) ist die Aufnahme von Riccardo Chailly und dem Lucerne Festival Orchestra. Dass die Musiker, die nur in diesem Werk spielen, fast den ganzen Abend lang auf der Bühne sitzen bleiben, das ist durchaus Stoff für eine längere Überlegung, warum das denn so ist. In anderen Orchestern macht man das auch nicht und früher war das in Wien auch nicht so. Auch eine Marketing-Überlegung?
"Samson et Dalila" folgt. Nicht etwa das "Bacchanal", sondern die Arie, die eigentlich immer gespielt wird, wenn die Oper mal den Weg in die Programmierung findet, "Mon coeur s'ouvre a ta voix". Auch das hat Elina Garanca schon einmal besser gesungen, auch da hörte man schon einmal mehr Farbe im Orchester. Es folgte der "Bolero", auch der wurde schon oft in Wien und anderswo gespielt. Diesmal mit Schattenballett. Braucht es das? Vielleicht ja. Die Musik spricht eigentlich für sich. Nezet-Seguin animiert da nicht an die Grenze zu gehen, das Crescendo kommt wie so oft etwas blass daher. Auch das Becken, freihändig geschlagen. Das ist so eine Wiener Eigenart. Sonst wird immer das Beckenpaar genommen, in Wien noch nie. Das sind zwar Kleinigkeiten, sie trüben denn aber doch den Eindruck für 5 Sterne. Die einzige Zugabe des Abends erklingt: "Wiener Blut". Garanca singt keine Zugabe, ein "Granada" oder ein Lied in dieser Richtung wäre schön gewesen. Vielleicht mal etwas ganz anderes: "Schwipslied" aus "Eine Nacht in Venedig" in der Korngold-Version? Es wäre zwar nur die ungeliebte Operette, aber warum nicht in den Zugaben? Berlioz "Sommernachts-Lieder" im normalen Programm? Auf jeden Fall kann das Publikum auch in der Sommernacht eine ganze Sinfonie "ertragen", oder eine große Ouvertüre von Wagner. Die Wiener Philharmoniker sollen sich etwas trauen, Marketing ist wichtig, aber auch künstlerische Qualität.