Gemischte Gefühle in Salzburg
Sir Simon Rattle dirigiert El Sistema: Das Jugendorchester spielt auf hohen Niveau. Das Orchester ist sehr groß besetzt und die Zugabe „Radetzky Marsch“ punktet völlig. Sir Simon Rattle wie immer ein umsichtiger Dirigent, der mit den Berliner Philharmonikern die „Cuban Ouvertüre“ mindestens zweimal auf dem Programm hatte. Die Dokumentation über den Chor ist sehenswert.
Daniel Barenboim und das West Eastern Divan Orchestra: 2007 war Barenboim noch nicht gezeichnet von Krankheit. Die „sechste Sinfonie“ von Tschaikowski ist besonders im letzten Satz nicht schleppend. Der dritte Satz löst mal wieder Jubelstürme aus, auch wenn die wir immer nicht an dieser Stelle gehören. Tschaikowski soll gesagt haben, dass normale Finalsätze zu viel lärmen und er sich nach einem Satz wie das „Adagio“ sehne. Beethovens „Leonoren Ouvertüre Nr.3“ ist wuchtig, heroisch. Jetzt ein kleines Aber, das Orchester ist bei Beethoven und Tschaikowski riesig besetzt. Das ist Schönklang in Karajan‘scher Manier. Dafür steht (stand) Daniel Barenboim, aber eigentlich weiß man das heute besser. Das fünfte Horn ist dabei nicht das Problem, aber Beethoven mit vierfacher Holzbläser-Besetzung, ist doch ein wenig viel. Bei Mozart etwas völlig anderes, das Orchester ist klein besetzt, die Solisten harmonieren, auch mit dem Zusammenspiel der Bläser im Orchester. Die halbe Stunde des Werks vergeht wie im Fluge.
Schönberg ist heute auch kein Publikumsschreck mehr. Im Gegenteil, die Musik klingt heute fast zahm und Schönberg ist ebendies; schön.
Eröffnungskonzert 2008: Pierre Boulez dirigiert die Wiener Philharmoniker und Daniel Barenboim spielt das „Klavierkonzert Nr.1“ von Bartók. Bartók ist ein Phänomen für sich. Sein „zweites Violinkonzert“ ist ein Juwel, sein „erstes Violinkonzert“ nahezu unbekannt. Daniel Barenboim war 2008 für das Klavierkonzert noch fit. Das Konzert ist anspruchsvoll, auch für das Orchester. Öfter Wechsel der Nebeninstrumente. Boulez ist ein umsichtiger Dirigent und die Wiener Philharmoniker sind die Wiener Philharmoniker. Nach fast 17 Jahren sieht man heute aber ein deutlich jüngeres, diverses Orchester. Ravels „Valses nobles et sentimentales“ klingt beim späteren „La Valse“ doch an einigen Stellen ähnlich, auch wenn „La Valse“ intensiver ist und wuchtiger daherkommt.
„Der Feuervogel“ erklingt mal nicht in der Suite, sondern die gesamte Ballettmusik. Obwohl das Orchester groß besetzt ist, sind doch viele Passagen kammermusikalisch und zeigen eine Zauberwelt, wo am Ende das Gute siegt.
Eröffnungskonzert 2009: Nikolaus Harnoncourt dirigiert die Wiener Philharmoniker. Es gibt Musik von Josef Strauss, Schubert und Webern. Bei Webern handelt es sich um die „Deutschen Tänze“ von Schubert, die er orchestriert hat. Harnoncourt lässt mit einer sehr schlanken Streicherbesetzung spielen. Für die Werkauswahl angemessen. Josef Strauss ist auch in Salzburg genau richtig am Platz, da seine Werke neben der Fröhlichkeit auch immer einen doppelten Boden besitzen.
Schuberts „Große Sinfonie“ ist wirklich groß angelegt, das „Scherzo“ dauert 15 Minuten, Mutis Aufnahme aus 2009 hingegen knapp 10 Minuten. Harnoncourts Detailverliebtheit sorgt dafür, dass viele kleine Themen äußerst hörbar werden und jede einzelne Stimme ist immer klar erkennbar.
Eröffnungskonzert 2010: Daniel Barenboim spielt und dirigiert Beethovens „viertes Klavierkonzert“.
Das „Te Deum“ von Anton Bruckner ist ein passendes Werk für Salzburg. Die Solisten singen auf hohen Niveau, ebenfalls der Chor. Die Wiener Philharmoniker spielen Bruckner mit wenig Pathos, was erfrischend für das Werk ist.
Beethovens „viertes Klavierkonzert“ ist zwar schon ausgereift, aber das „fünfte“ ist der Höhepunkt Beethovens Schaffen. Das „vierte“ hat zwei undankbare Passagen. Zum einen die Trompeten und die Pauken, die nur im dritten Satz spielen. Im zweiten Satz haben auch die Bläser „tacet“, es spielt nur das Soloklavier und die Streicher. Daniel Barenboim als Solist und Dirigent war oft zu sehen und beide Berufe hat er auch meisterhaft ausgeführt. Ob es beide zusammen immer sein mussten, das ist bei einigen Aufnahmen zweitschneidig. Doch hier überhaupt nicht.
Die „Notations“ sind radikal, in Barenboims Sichtweise ein bisschen zu zahm, obwohl er die zum Teil uraufgeführt hat. Dem Werk würden ein paar Ecken und Kanten mehr stehen. Die Wiener Philharmoniker spielen auf höchsten Niveau.
Eröffnungskonzert 2011: Alban Berg und Gustav Mahler. Von Berg gibt es „Der Wein“; eine Konzertarie für Sopran und Orchester. Alban Berg ist heute noch modern und die Musik fordert heraus. Nicht jedes Detail ist sofort hörbar, auch wenn das Werk bekannt ist. Die Soli der Instrumente sind anspruchsvoll und von den Wiener Philharmonikern hervorragend gespielt. Mahlers „klagende Lied“. Ein kraftvolles Werk, welches zu den unbekannteren Werken von Mahler gilt, es ist aber trotzdem Mahler „at his best“ und gehört viel häufiger gespielt. Mit den drei Solisten wird das Werk zu einem echten Genuss, auch der Chor singt auf hohen Niveau.
Die „Lulu-Suite“ ist neben dem Violinkonzert und dem Op.6 sicherlich das bekannteste Werk von Alban Berg. Die Sopranistin singt im dritten Satz und kurz im Finale. Sonst gehört das Werk dem Orchester. Die Wiener Philharmoniker unter Pierre Boulez gestalten das Werk erzählend.
Zu Daniel Barenboim: Barenboim gab vor wenigen Tagen seine Parkinson Erkrankung bekannt. Was Daniel Barenboim in seinem Leben geleistet hat, auch jenseits der Musik, aber immer mit Musik, dafür muss man den größten Respekt aussprechen. Dieser Mann hat 55 Jahre die klassische Musik geprägt. In der Anfangszeit mit seiner Frau, die viel zu früh verstorbenen Cellistin Jacqueline de Pré, die er oftmals als Pianist begleitete. Seine eigenen Fähigkeiten am Klavier, egal ob das Mozart, Beethoven, Brahms oder eben Bartók war. Oder eben immer auch lateinamerikanische Musik, wie im Waldbühnen-Konzert 1998 der Berliner Philharmoniker. Als Dirigent war und ist er mit Brahms in Erinnerung, Saint-Säens, Boulez, Schubert und ganz viel Wagner. Seine Energie in früheren Jahren war ansteckend für viele Musiker*innen. Es gibt so viele beeindruckende Momente der Musik mit Daniel Barenboim und es wäre wünschenswert, wenn er noch ein paar schöne Jahre auf und jenseits der Bühne hat.