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    JAW-Records Top 50 Rezensent

    Aktiv seit: 08. März 2011
    "Hilfreich"-Bewertungen: 3403
    271 Rezensionen
    Tschechische Weihnachtsmesse Tschechische Weihnachtsmesse (CD)
    21.09.2015
    Booklet:
    3 von 5
    Gesamteindruck:
    3 von 5
    Klang:
    4 von 5
    Künstlerische Qualität:
    3 von 5
    Repertoirewert:
    3 von 5

    Farbig detailliert und dennoch blass

    Die vorliegenden Aufnahme der 'Ceska mse vanocni' (bei uns bekannt als 'Böhmische Hirtenmesse', 'Böhmische Weihnachtsmesse' oder 'Tschechische Weihnachtsmesse) von Jakub Jan Ryba ist eine Produktion dieses Jahrtausends. Was die Technik der Aufnahme angeht, ist man also auf ganz aktuellem Stand. Auch die Mikropositionierung und Abmischung sind gut, sodass der Klang der Einspielung überzeugt.

    Rybas weihnachtliche Messe wird auch in Deutschland oft und gern gesungen, weil sie technisch gut machbar ist und keine große (und somit teure) Besetzung erfordert. Die Messe erfordert vom Chor Standfestigkeit und von allen Solisten ein Gespür dafür, dass die einfache Dreiklangmelodik nicht ermüdet. Der Chor und auch die Solisten erledigen ihre Aufgabe mit recht leichter Stimmgebung und bleiben ein wenig blass.
    Allerdings fällt auf, dass die Instrumentierung sehr detailfreudig beleuchtet wird (vom Dirgenten und der Aufnahmetechnik) und somit in puncto abwechslungsreicher Farben diese Aufnahme der Konkurrenz gegenüber die Nase wohl vorne hat. Leider spüre ich keine Bögen der Musik und der Inhalt ergreift mich nicht. Dass die Musik selbst eine Aussage hat, tritt am deutlichsten in der Smetacek-Einspielung hervor. Zugegebenermaßen ist dieses schlichte Werk schwer zu gestalten - eben weil keine "große Kunst" da von selbst hilft.

    Die Musik selbst betont eben bewusst das Schlichte, z.B. durch Dreiklangsfiguren, wechselnde Terzintervalle und einfache Kadenzen (phasenweise nur zwei maximal drei alternierende Tonstufen). Die Kombination von Kunst und Volksmusik hat hier durchaus etwas Romantisches. Somit war das Werk auch quasi modern. Es gibt übrigens voneinander abweichende Ausgaben. Wer diese Messe im Chor gesungen hat, dem ist da u.U. manche Verwirrung diesbezüglich in Erinnerung.
    Bei all dieser gewollten Schlichtheit umfängt die Musik doch einen Zauber und in der sehr geschickten Instrumentierung und auch große Farbigkeit.

    Die hier vorliegende Einspielung zählt (wie auch die Naxos mit Thuri) zu den Aufnahmen, die nicht die volle Aufmerksamkeit der Zuhörer erfordern - so ist zumindest meine subjektive Empfindung ...
    Das kann, wie schon andernorts erwähnt, durchaus auch ein Vorteil solch einer "Weihnachtsmusik" sein - je nach Verwendung.
    Menschen, die der Musik ungeteilt lauschen und sich auch berühren lassen möchten, würde ich zu Smetacek (analog) raten.

    Die drei zusätzlich eingespielten Gesangskompositionen Rybas ändern für mich leider am Gesamteindruck nicht genug, um einen vierten Stern zu vergeben ...

    - - - - -

    Über ein Feedback (Bewertung JA oder NEIN, Kommentar - wie und welcher Art entscheiden natürlich SIE!) zu meinen Bemühungen des Rezensierens würde ich mich freuen! Lesen Sie gern auch andere meiner weit über 200 Klassik-Besprechungen mit Schwerpunkt "romantische Orchestermusik" (viel Bruckner und Mahler), "wenig bekannte nationale Komponisten" (z.B. aus Skandinavien), "historische Aufnahmen" und immer wieder Interpretationsvergleiche und für den Kenner bzw. Interessierten meist Anmerkungen zum Remastering
    Beaux Arts Trio - The Complete Philips Recordings Beaux Arts Trio - The Complete Philips Recordings (CD)
    19.09.2015
    Booklet:
    3 von 5
    Gesamteindruck:
    4 von 5
    Klang:
    4 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    5 von 5

    Solide, gut remastert - und leider eine editorisch verpasste Chance!

    Zum Beaus Arts Trio und den Aufnahmen schreibe ich hier nicht allzu viel. Wer ernsthaft an dieser Box Interesse hat, der KENNT das Ensemble und weiß um dessen Qualitäten. Über so viele Jahrzehnte höchst engagiert, herzlich und immer musikalisch treffsicher eine Platte nach der anderen zu veröffentlichen ' ohne Ausfälle oder gediegene Routine oder Langeweile ' das ist schon wie ein Wunder!
    Enthalten ist hier der größte Teil der wichtigen Trio-Literatur in maßstabsetzenden Einspielungen.

    Zudem ist da das große Repertoire mit vielen selten gespielten Komponisten wie Arensky, Baker, Chausson, Fauré, Granados, Hummel, Ives, Korngold, Rachmaninoff, Rochberg, Rorem, Saint-Saens, Clara Schumann, Turina und Zemlinksy.
    Bei Erweiterung des Ensembles auf Quartett oder Quintett fügen die hinzu genommenen Musiker sich immer in das ganze Ensemble ein.

    Deutlich als 'Bruch' ist nur der Weggang (ca. 1967) des Geigers Daniel Guilet und dessen Nachfolge Isidore Cohen zu hören. Ich persönlich ziehe (aus klanglichen und musikalischen Gründen) die leider wenigeren Einspielungen mit dem wunderbaren Guilet den späteren vor.

    GUTES REMASTERING

    Wie bei den meisten Philips-Aufnahmen gibt bzw. gab es auch bei den Einspielungen mit dem Beaux Arts Trio in überspieltechnischer Hinsicht kaum etwas an den CD-Veröffentlichungen (auch der älteren analogen Platten) zu bemängeln. Deshalb widme ich dem Abschnitt Remastering nicht allzu großen Raum. Philips hat im Vergleich zu anderen großen Klassik-Labels fast immer äußerst solide, manchmal auch hervorragende klangliche Ergebnisse erzielt. Die Digitaltransfers der früheren Aufnahmen beschneiden keine Höhen (auch wenn diese manchmal etwas blass erscheinen) und verfärben nichts.
    Im Grunde eine gute Arbeit, auch wenn nicht auf alle verbesserbaren Fehler geachtet wurde. So sind z.B. bei CD 16 am Ende des ersten Tracks die kräftigen Schlussakkorde deutlich 'out of tune': Sie klingen deutlich 'hochgezogen', als wenn das Band beim Transfer die letzten Sekunden einen Tick schneller gelaufen wäre (bzw. bei der Aufnahme an Geschwindigkeit verloren hätte)!

    OPTISCH ANSPRECHENDER SCHLICHTER WÜRFEL . . .

    '. . . bis man ihn aufklappt' ' bin ich versucht zu ergänzen.
    Was als erstes auffällt sind die gestalteten CD-Hüllen. Für alle 60 CDs ein und dieselbe Darstellung - quasi wie ein Tonarchiv im Keller der Tonträgerfirma. Warum hat man nicht die Gelegenheit genützt, zumindest einen Teil der originalen Platten-Cover zu verwenden? Natürlich hätten nicht alle auf den Hüllen Platten Platz gefunden, da ja die Spielzeiten der CD hier nicht nur eine PL pro CD erlauben. Anderswo ist das dann so gelöst worden, dass die nicht auf den Hüllen abgebildeten Cover im Textheft zu sehen waren. Leider ist hier nichts von alledem zu sehen ' außer willkürlich ausgewählten 8 originalen Abbildungen im Textheft.

    Die Hüllen selbst sind sehr(!) dünn im Material gehalten ' eher Papier als Pappe. Da ist bei unachtsamer Behandlung schnell eine CD-Hülle eingerissen. Der etwas fleckige und kontrastlose Altpapierlook trägt nicht gerade dazu bei, dass man den Inhalt als wertvoll erachtet. Das Beaux Arts Trio war zwar sicherlich eher ein Understatement-Ensemble, aber solch eine lieblose optische Darstellung haben die großartigen Musiker (auch gerade wegen ihrer Bescheidenheit) nicht verdient!
    Auf jeder Vorderseite steht nur die CD-Nummer und dann 'Beaux Arts Trio - 60 - Complete Philips Recordings'. Was für ein Unsinn. Wenn schon nur Schrift, dann hätte doch zumindest Komponist und Werke Platz finden können. Die Rückseite ist nicht besser: Nur die spartanische Angabe von Komponist und den beteiligten Musikern und dann ziemlich klein und in dem ganten kontrastschwachen Dunkel schlecht lesbar die Werke mit Tracknummern du Aufnahmejahr. Das ist nicht benutzerfreundlich. Es hätten auch gut noch die weiteren Aufnahme-Angaben Platz gehabt. Und das alles hell und freundlich '

    Die CDs ziert das Logo von Decca und nicht das von Philips - wie bei allen Wiederveröffentlichungen der Philips-Einspielungen der letzten Jahre. Ich muss zugeben, dass mich das sehr stört. Irgendwie hat das etwas Gewalttätiges. Warum kann man - zumindest optisch - die renommierte Firma nicht ehren? Immerhin SIND es ja Philips-Aufnahmen! Andere mögen das für kleinlich halten. Ich denke dabei auch an die vielen Menschen, die künstlerisch unter einem Dach an den Projekten mitgewirkt haben.

    DAS BEGLEITHEFT

    Textheft habe ich deshalb nicht geschrieben, da dieser sich (in Deutsch) auf 5 Seiten beschränkt ' bei immerhin gesamt 126 Seiten. Diese sind zum größten Teil mit Angaben zu den Aufnahmen und einigen farbigen und schwarzweißen Fotos der ausführenden Musiker angefüllt. Hier finden sich alle Daten und Zeiten auf gutem Papier gedruckt (Mein Exemplar des Hefts ist allerdings nicht sehr gut geschnitten).

    Erfreulich finde ich, dass es eine (nicht alphabethische) Ordnung nach Komponisten gibt und sich alternative Einspielungen von (zweimal aufgenommenen) Werken auf benachbarten CDs befinden. Sehr wichtig und vorteilhaft ist auch das Komponisten-Register zu Beginn des Hefts. So etwas wird immer wieder mal bei solchen Boxen vergessen - und dann ist die lästige Sucherei groß '

    Leider gibt es aber auch beim Heft Schwachpunkte. Die farbliche Dreiteilung ist für mich nicht so ganz einleuchtend. Ich kann da nur folgendes (in dieser Reihenfolge) erkennen:
    BLAU = Haydn Mozart
    ROT = Beethoven Schubert Hummel Schumann Mendelssohn Smetana Brahms Chopin Tschaikowsky Arensky Dvorak (immer wieder auch mal dazwischen ein anderer dieser Komponisten)
    GELB = die restlichen, eher 'neueren' Komponisten

    Aufnahmen, von denen es alternative zweite Einspielungen gibt, sind durch die Angabe der Jahreszahl hinter der Werkangabe gekennzeichnet ' leider aber nicht konsequent!
    Etwas störend finde ich, dass die Aufnahmeangaben nicht bei jeder CD zu finden sind, sondern manchmal erst als Zusammenfassung einer großen Aufnahmereihe nach ein paar Seiten.

    Das größte wirklich störende Manko der Textgestaltung ist, dass der Name des Komponisten nur EINMAL auftaucht, wenn es eine Reihe von Aufnahmen desselben hintereinander gibt. Klar wissen Kenner anhand der Opuszahl, worum es sich handelt, aber warum kann man nicht (wenn schon nicht bei jedem Werk) zumindest bei jeder CD oben zu Beginn den Komponisten erwähnen?

    MEINE PERSÖNLICHEN VORLIEBEN . . .

    . . . sind hier schnell gesagt:

    1. ALLE Einspielungen mit dem Geiger Guilet. Dessen Phantasie, Gefühltiefe und sein Klangsinn haben auch die anderen beiden Partner des Trios höchst inspiriert. Das wurde so in den späteren Einspielungen nicht mehr erreicht. Wie gesagt 'auch dort gibt es keine Langeweile oder Routine, aber doch immer wieder mal quasi die Abwesenheit des ganz Besonderen und Berührenden. Die wunderbare Bonus-CD (Nr.60) mit frühen Aufnahmen von 1956 mit Werken von Ravel, Haydn und Fauré finde ich besonders erwähnenswert.

    2. ALLE Einspielungen mit den schon erwähnten wenig gespielten bzw. im Grunde völlig unbekannten Komponisten. Hier gibt es schlicht fast keine Konkurrenz zu dem Beaux Arts Trio. Und diese Werke sind durchweg hörenswert bis grandios!

    MEIN FAZIT

    Wer die Einzeleinspielungen der Beaux Arts Trio Aufnahmen hat, kann die Box beruhigt stehen lassen. Wer noch nichts oder wenig dieses großartigen Ensembles besitzt und Kammermusik mag, der sollte zugreifen. Der Preis ist mit unter zwei Euro pro CD natürlich super günstig und der Klang (in Stereo) ausgezeichnet, zum Teil auch Digital aufgezeichnet.
    Die Box ist nur etwas für Spezialisten, sondern auch zum Kennenlernen der Musik bestens geeignet ' was den Klang der Aufnahmen, die Werke und die Interpretationen angeht.

    Wer auch das Optische mit einbezieht und (originale) Platten-Gestaltung liebt, sollte dagegen diesbezüglich alle frohen Erwartungen schnell vergessen.

    - - - - - - -

    Hier die Auflistung der CDs mit Inhalt:

    Box mit 60 CDs:

    CD 1-9 Haydn: Complete Piano Trios
    CD 10-14 Mozart: Complete Piano Trios
    CD 15 Mozart: Piano Quartets (mit Bruno Giuranna)
    CD 16-23 Beethoven: Complete Piano Trios
    CD 24 Beethoven: Triple Concerto; Piano Trio No.4 (London Philharmonic Orchestra, Bernard Haitink)
    CD 25 Beethoven: Triple Concerto; Choral Fantasia (Gewandhausorchester Leipzig, Kurt Masur)
    CD 26-29 Schubert: Complete Piano Trios
    CD 30 Schubert: Trout Quintet*; Clara Schumann: Piano Trio in G Minor, Op.17 (*mit S.Rhode and Hörtnagel)
    CD 31 Hummel: Piano Trios
    CD 32-35 Schumann: Complete Piano Trios, Piano Quintet* & Piano Quartet** (*mit Bettelheim und Rhodes, **mit Rhodes)
    CD 36 Mendelssohn: Piano Trios Nos.1 & 2; Schumann: Piano Trio No.2
    CD 37 Mendelssohn: Piano Trio No.2; Smetana: Piano Trio
    CD 38-41 Brahms: Complete Piano Trios & Clarinet Trio (*mit George Pieterson)
    CD 42 Brahms: Piano Quartets Nos. 1 & 3
    CD 43 Brahms: Piano Quartet No.2; Piano Trio No.4 (mit Walter Trampler)
    CD 44 Chopin: Piano Trio; Tchaikovsky: Piano Trio
    CD 45 Tchaikovsky: Piano Trio
    CD 46 Arensky: Piano Trios Nos 1 & 2
    CD 47-49 Dvorák: Complete Piano Trios
    CD 50 Dvorák: Piano Quartets Nos. 1 & 2 (mit Walter Trampler)
    CD 51 Fauré: Piano Quartet No.1; Piano Trio in D Minor
    CD 52 Fauré: Piano Quartet No.2; Saint-Saens: Piano Trio No.1 (mit Lawrence Dutton)
    CD 53 Turina: Piano Trios Nos. 1 & 2; Granados: Piano Trio
    CD 54 Ravel: Piano Trio; Ives: Piano Trio; Shostakovich: Piano Trio No.2
    CD 55 Ravel: Piano Trio; Chausson: Piano Trio
    CD 56 Korngold: Piano Trio; Zemlinsky: Piano Trio
    CD 57 Rachmaninov: Piano Trios Nos. 1 & 2
    CD 58 Shostakovich: Piano Trio No.2; Piano Quintet (mit Eugene Drucker und Lawrence Dutton)
    CD 59 Rorem: Spring Music; Baker: Roots II
    CD 60 Early Recordings - Ravel: Piano Trio in A minor / Haydn: Piano Trio in G "Gipsy" / Fauré: Piano Trio in D minor, Op.120

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    Über ein Feedback (Bewertung JA oder NEIN, Kommentar - wie und welcher Art entscheiden natürlich SIE!) zu meinen Bemühungen des Rezensierens würde ich mich freuen! Lesen Sie gern auch andere meiner weit über 200 Klassik-Besprechungen mit Schwerpunkt "romantische Orchestermusik" (viel Bruckner und Mahler), "wenig bekannte nationale Komponisten" (z.B. aus Skandinavien), "historische Aufnahmen" und immer wieder Interpretationsvergleiche und für den Kenner bzw. Interessierten meist Anmerkungen zum Remastering!
    Jean Fournet In Prague Jean Fournet In Prague (CD)
    19.09.2015
    Booklet:
    3 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    4 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    4 von 5

    In jeglicher Hinsicht großartig!

    oder: FÜNF STERNE SIND HIER TATSÄCHLICH ZU WENIG !

    Supraphon hat die letzten Jahre bezüglich Remastering bei (gerade bei wirklich wichtigen!) Wiederveröffentlichungen m.E. leider einige 'Böcke geschossen': Die Ancerl-Edition, dann die Talich-Edition ' bei groß angekündigt mit 24 Bit-Technik. Es hilft alles nichts, wenn die Tonmester nicht wirklich hinhören. Was ist da für ein schmerzhaftes Klangbild entstanden: eng in den Höhen und den Bässen, scharf in den Bläsern und elektronisch drahtig in den Streichern ' einfach anstrengend zu hören ' Da waren die VÖs aus den 90zigern um einiges besser und unvergleichlich gut die wenigen teuren japanischen VÖs nach 2000.

    Ich erwähne das, weil der eine oder andere bezüglich dieses traditionellen tschechischen Labels nun äußerst misstrauisch bei neuen VÖs sein mag. Was die 3CD-Box (in schön luftigem Hellgraublau ohne schwarzes, sondern mit transparentem Jewelcase) 'Jean Fournet in Prague' betrifft, besteht dazu keinerlei Grund: Das Mastering ist schlicht hervorragend gelungen!

    Im Zentrum der Box steht César Franck:
    CD1 zeigt ein elegantes und nicht (wie bei Toscanini) extrem heroisch auftrumpfendes 'Rédemption', sehr bewegt lebendige 'Les Éolides', einen sehr farbigen (wunderbare Hörner!) 'Le Chasseur maudit' (ohne das existenzielle Bohren von Charles Munch, aber dafür unglaublich vielen Feinheiten) und der verkappten Klavierphantasie 'Les Djinns' mit dem vei uns kaum bekannten, aber hervorragenden Pianisten Frantisek Maxián. Auf dieser CD spielt die Tschechische Philharmonie ohne Fehl und Tadel und äußerst inspiriert und Fournet zeigt tatsächlich die französischen Qualitäten, für die er geschätzt wurde und wird.

    CD2 Die Großtat dieser CD-Box ist aber das dreiviertelstündige 'Psyche' in mehreren Sätzen und Chornummern mit den Prager Sinfonikern. Die Aufnahme aus dem Rudolphinum klingt, wie wenn der geniale Aufnahmetechniker Lewis Layton von der RCA 1964 zurückgekehrt wäre und diese Aufgabe für Supraphon übernommen hätte. Aber damit wäre der Arbeit des Tschechen Kulhan (aber auch Burda und anderen) unrecht getan. Das waren absolute Könner, wie man sie ganz selten findet, welche großartig die Akustik des Dvorak-Saals einfangen konnten. Ein deutlich klingender Raum, vibrierend und eher trocken ' was eine unheimlich starke 'live-Atmosphäre' schafft.
    Das EREIGNIS ist aber natürlich das großartige Werk in der glühenden Interpretation von Fournet mit den herausragend (!) spielenden Prager Sinfonikern und dem Tschechischen Philharmonischen Chor! Bei dieser Aufnahme stimmt einfach alles und wie sehr hat dieses Hauptwerk Francks solch eine Einspielung verdient. Ich kenne als Gesamteinspielung noch eine hervorragende weitere Live-Einspielung mit Fournet und die mit van Otterloo, aber die Prager Produktion hat m.E. ein wenig die Nase vorn.

    Der Rest ist (fast ganz) Debussy gewidmet:
    CD2 noch mit den 'Nocturnes', CD3 'Iberia', den seltener gespielten 'Rondes de printemps' und 'La Mer' ' alles mit der Tschechischen Philharmonie in hervorragend (!) klingenden Einspielungen. Fournet und das Orchester lassen den Werken alles zukommen, was diese bezaubernd und faszinierend macht: Flair, Phantasie, Farbigkeit, Klarheit, Eleganz, klare Struktur und Übersicht und höchste Spielkultur. Auf den drei CDs klingt nichts provinziell oder nach 'aha, die Tschechen spielen französische Musik' ' und dazu diese ausgezeichnete (in Grunde bis heute unübertroffene) Aufnahmetechnik. Ich kann nur Schwärmen.
    Ach ja ' die drei Tänze aus de Fallas 'Der Dreispitz' enttäuschen natürlich auch nicht '

    Meine herzliche Kaufempfehlung für alle Menschen, die gerne Entdecken (sei es 'Psyche' oder das phänomenale Spiel der tschechischen Orchester) und sich von großem Musikzieren hinreißen lassen möchten!

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    Über ein Feedback (Bewertung JA oder NEIN, Kommentar - wie und welcher Art entscheiden natürlich SIE!) zu meinen Bemühungen des Rezensierens würde ich mich freuen! Lesen Sie gern auch andere meiner weit über 200 Klassik-Besprechungen mit Schwerpunkt "romantische Orchestermusik" (viel Bruckner und Mahler), "wenig bekannte nationale Komponisten" (z.B. aus Skandinavien), "historische Aufnahmen" und immer wieder Interpretationsvergleiche und für den Kenner bzw. Interessierten meist Anmerkungen zum Remastering!
    Sämtliche Werke für Violine Sämtliche Werke für Violine (CD)
    19.09.2015
    Booklet:
    4 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    4 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    5 von 5

    Wichtige Wiederveröffentlichung - z.T. erstmals auf CD

    Supraphon hat die letzten Jahre bezüglich Remastering bei (gerade bei wirklich wichtigen!) Wiederveröffentlichungen m.E. leider einige „Böcke geschossen“: Die Ancerl-Edition, dann die Talich-Edition – bei groß angekündigt mit 24 Bit-Technik. Es hilft alles nichts, wenn die Tonmester nicht wirklich hinhören. Was ist da für ein schmerzhaftes Klangbild entstanden: eng in den Höhen und den Bässen, scharf in den Bläsern und elektronisch drahtig in den Streichern – einfach anstrengend zu hören … Da waren die VÖs aus den 90zigern um einiges besser und unvergleichlich gut die wenigen teuren japanischen VÖs nach 2000.

    Ich erwähne das, weil der eine oder andere bezüglich dieses traditionellen tschechischen Labels nun äußerst misstrauisch bei neuen VÖs sein mag. Was die 4CD-Box (Als ansprechende Pappbox mit Papierhüllen mit Klarsichtfenstern) „Bela Bartok: Violin Works complete (André Gertler)“ betrifft, besteht dazu kaum Grund: Das Mastering ist gut gelungen, allein bei ganz wenigen Pausenstellen hört man, dass das Eingangssignal Stumm geschaltet wurde. Es ist also an diesen Stellen kein leichtes Bandrauschen zu hören, was mich prinzipiell stört. Es kommt aber so selten vor, dass das zu vernachlässigen ist. Der Frequenzgang ist ansonsten recht offen und die Aufnahmen klingen nicht angestrengt.

    André Gertler (1907-1998) war mit Béla Bartók befreundet und hat sich zudem äußerst intensiv mit der damals neuen Musik beschäftigt. Er hat in Budapest an der Liszt-Akademie bei Jenö Hubay Violine und bei Zoltan Kodaly Komposition studiert. Zudem war er ein äußerst treffsicherer und virtuoser Geiger mit untrüglichem Ohr und einem reichen und dennoch schlanken und ganz klaren Ton. Das sind die besten Voraussetzungen für eine Einspielung des Gesamtwerks Bartóks für Violine, welche Gertler auch wunderbar realisierte.

    Bei den „44 Duos für 2 Violinen“ ist Josef Suk der Partner, die Konzerte begleiten Ferensic (1tes) und Ancerl (2tes), die zwei Rhapsodien Ferensic, bei Kotraste spielt Milan Etlík Klarinette und alle Klavierparts (Sonatina, Ungarische Volkslieder, Kontraste, 3 Violinsonaten) begleitet Diane Andersen.

    Die Violinkonzerte waren in Deutschland in einer sehr ordentlichen Überspielung (kein sehr großer Unterschied zur aktuellen Box hier) von Supraphon Crystalcollection erhältlich und die Duos in deutlich minderer Qualität beim Label Sound (SPH - Sound 3444 … habe ich bei Amazon nicht gefunden). Die Solo-Sonate gab es bei Hungaroton, allerdings in einer anderen von EMI lizensierten Einspielung. Alles andere ist meines Wissens nicht auf CD veröffentlicht gewesen.

    Große Musik in exemplarischen Einspielungen! Eine starke Kaufempfehlung für alle, die Bartoks Violinwerke in hervorragendem, authentischem und ehrlichem Musizieren kennenlernen möchten!

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    Über ein Feedback (Bewertung JA oder NEIN, Kommentar - wie und welcher Art entscheiden natürlich SIE!) zu meinen Bemühungen des Rezensierens würde ich mich freuen! Lesen Sie gern auch andere meiner weit über 200 Klassik-Besprechungen mit Schwerpunkt "romantische Orchestermusik" (viel Bruckner und Mahler), "wenig bekannte nationale Komponisten" (z.B. aus Skandinavien), "historische Aufnahmen" und immer wieder Interpretationsvergleiche und für den Kenner bzw. Interessierten meist Anmerkungen zum Remastering!
    Ida Haendel - Prague Recordings 1957-1965 Ida Haendel - Prague Recordings 1957-1965 (CD)
    19.09.2015
    Booklet:
    3 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    4 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    4 von 5

    IDA HAENDEL - Schätze des Labels Supraphon

    Supraphon hat die letzten Jahre bezüglich Remastering bei (gerade bei wirklich wichtigen!) Wiederveröffentlichungen m.E. leider einige „Böcke geschossen“: Die Ancerl-Edition, dann die Talich-Edition – bei groß angekündigt mit 24 Bit-Technik. Es hilft alles nichts, wenn die Tonmester nicht wirklich hinhören. Was ist da für ein schmerzhaftes Klangbild entstanden: eng in den Höhen und den Bässen, scharf in den Bläsern und elektronisch drahtig in den Streichern – einfach anstrengend zu hören … Da waren die VÖs aus den 90zigern um einiges besser und unvergleichlich gut die wenigen teuren japanischen VÖs nach 2000.

    VORZÜGLICHES REMASTERING

    Ich erwähne das, weil der eine oder andere bezüglich dieses traditionellen tschechischen Labels nun äußerst misstrauisch bei neuen VÖs sein mag. Was die 5CDs (Als ansprechend aufgemachte schmale platzsparende Pappbox mit Papierhüllen mit Klarsichtfenstern) „IDA HAENDEL - PragerAufnahmen 1957-1965“ betrifft, besteht dazu keinerlei Grund: Das Mastering ist hervorragend gelungen! Der Frequenzgang ist offen, die Höhen sind zwar nicht sehr stark ausgeprägt, aber dafür offen und sehr angenehm zu hören und die Bässe klingen voll und entspannt. Jedenfalls klingen die Aufnahmen nicht angestrengt oder scharf. Als Vergleich hatte ich die Lalo „Symphonie Espagnole“ in der (leider großenteils schauderhaften) „Karel Ancerl Gold Edition“ herangezogen. Es ist kaum zu glauben, dass es sich um dieselbe Einspielung handelt. Gerade viele der Ancerl (meist Stereo) und auch Talich (mono) Platten waren von den Tonmeistern des Labels Supraphon exzellent aufgenommen, dass mir da nur der Vergleich zur RCA in den USA ein paar Jahre zuvor in den Sinn kommt. Aber die Talich und Ancerl Editionen (Wiederveröffentlichungen nach 2000) sind im Grunde eine Schande für Supraphon. Das gelang ein Jahrzehnt früher deutlich besser … Genug entrüstet – zurück zu Ida Haendel.

    IDA HAENDEL

    Ida Händel (*1928 in Polen) war ein echtes Wunderkind. Sie spielte z.B. schon mit 9 Jahren das Brahms Konzert bei den Londoner Proms. Und sie hatte eine extrem lange Karriere als Geigerin. Noch 2013 gab sie mit 85 einen Meisterkurs. Ida Haendel fällt immer mit ihrem äußerst intensiven und sehr persönlichen Ton auf – und mit „Ton“ meine ich nicht nur den Klang, den sie ihrer Stradivari entlockte, sondern auch den gesamten musikalischen Ansatz, ihre innere Haltung.

    Diese Supraphon-Box enthält für mich mit das Allerbeste, was ich von Ida Haendel (meist auf EMI, aber auch bei RCA und Decca) je gehört habe - und das auch am besten Aufgenommene, trotz großenteils monauraler Einspielungen oder Mitschnitte. Eine ganz große Musikerpersönlichkeit mit jede Menge Herz, Klang und Technik!

    VORSICHT DUBLETTEN

    Ida Haendel Fans wissen mittlerweile bestimmt, dass es in der Box einige Dubletten gibt, die es auch einzeln zu kaufen gab – etwa gut die Hälfte. Allerdings klingen die neuen Remasterings durchweg besser als die älteren VÖs!

    SUBJEKTIVES

    Großartig finde ich die drei Beethoven Sonaten, das Beethoven-Konzert, das Sibelius-Konzert (wie anders als alles anderen Großen und doch völlig stimmig), die Bartok-Sonate. Das Concerto von Stawinsky ist die einzige Aufführung (live) der Box, die doch einige Schwächen in mancher Hinsicht zeigt. Menschen sind halt nicht perfekt und auch im Zusammenspiel gibt es nicht nur Sternstunden …
    DIE WERKE AUF DEN CDs:

    CD1
    Kreisler: Präludium und Allegro
    Tartini: Sonate g-moll „Teufelstriller“
    Paganinui: Mose-Fantasia
    Kroll: Banjo and Fiddle
    Ravel: Habanera
    Sarasate: Zigeunerweisen
    Brahms: Ungarischer Tanz Nr.17
    Bartók: Rumänische Volkstänze Sz 56
    Mendelssohn: Saltarello aus der 4ten Sinfonie (Arr. für Violine und Klavier)
    Szymanowsky: Mythen
    Strawinsky: Divertimento aus “Der Kuss der Fee” (Arr. für Violine und Klavier)

    CD2
    Beethoven: Violinsonaten Nr.7, Nr.8 und Nr.9 + zwei Romanzen (mit Klavier)

    CD 3
    Wienawski: Scherzo - Tarantelle + Mazurka - Obertass + Polonaise de Concert
    Bartok: Sonate Nr.2 Sz 76
    Strawinsky: Concerto (Ancerl)
    Ravel: Tzigane (Ancerl)

    CD4
    Die Konzerte von Beethoven und Sibelius (beide mit Ancerl)

    CD5
    Lalo: Symphonie Espagnole (Ancerl)
    Glasunow: Konzert a-moll (Smetacek)
    Wienawski: Konzert Nr.2 d-moll (Smetacek)

    Eine unbedingte Kaufempfehlung für alle, die persönliche Aussagen lieben. Vielleicht ja gleich mal das Sibelius-Konzert hören …

    - - - - -

    Über ein Feedback (Bewertung JA oder NEIN, Kommentar - wie und welcher Art entscheiden natürlich SIE!) zu meinen Bemühungen des Rezensierens würde ich mich freuen! Lesen Sie gern auch andere meiner weit über 200 Klassik-Besprechungen mit Schwerpunkt "romantische Orchestermusik" (viel Bruckner und Mahler), "wenig bekannte nationale Komponisten" (z.B. aus Skandinavien), "historische Aufnahmen" und immer wieder Interpretationsvergleiche und für den Kenner bzw. Interessierten meist Anmerkungen zum Remastering!
    Das Wohltemperierte Klavier 1 & 2 Das Wohltemperierte Klavier 1 & 2 (CD)
    19.09.2015
    Booklet:
    5 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    5 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    4 von 5

    Nur so ist es verständlich . . .

    . . . und damit meine ich die Wechselwirkung von Guldas Interpretation des 'Alten Testaments' und der Aufnahmetechnik ' und nicht etwa, dass man das 'Wohltemperierte Klavier' nur so spielen könnte.

    Warum diese seltsame Überschrift? Ganz einfach: Bis jetzt war es bei allen(!) Digitaltransfers der verschiedenen CD-Ausgaben nicht möglich zu erkennen, was Gulda klanglich bei seinem Spiel beabsichtigt hat, was der Aufnahme geschuldet ist oder wo der CD-Transfer Veränderungen und Verfremdungen erzeugt hat.
    Erst in dieser Ausgabe hier wird seit der LP-Veröffentlichung wieder (und noch eindringlicher!) klar, dass es bei dieser zu Recht berühmtem Produktion tatsächlich keine Mängel, Fehler und 'Unmusikalitäten' gibt, sondern nur ein durch und durch schlüssiges Konzept. Dazu später mehr.

    Die Produktion stammt aus dem Jahr 1972 (WK1) und 1973 (WK2) und wurde im Studio durch den Produzenten von MPS Brunner-Schwer in Villingen-Schwenningen aufgenommen. Sie entstand (analog, was fürs Hören keinerlei Bedeutung hat) in einer Zeit, als es noch wenige Gesamteinspielungen des Wohltemperierten Klaviers gab: Edwin Fischer (1936), Wanda Landowska (1949,1951+1954), Rosalyn Tureck (1952+1953), Glenn Gould (1962-1971).

    EIN PAAR BEOBACHTUNGEN, EMPFINDUNGEN UND GEDANKEN ZUR INTERPRETATION (WK1)

    Ein schlichtes in sich ruhendes C-Dur Präludium in entspanntem Tempo mit sanftem Leuchten.

    Ein im ersten Teil nebelverhangenes c-moll Präludium bis zum Takt 28, dann das plötzliche (von Bach notierte!) Presto quasi als Ausbruch der vorher verhüllten Verzweiflung. Natürlich ist das eine romantisch (überfrachtete) Beschreibung. Aber hören letztlich nicht alle Menschen Musik mit dem Herzen und der Resonanz der eigenen Lebenserfahrung?

    Die cis-moll Fuge wird im Forte klar mit allen Fugeneinsätzen quasi als Motto hingestellt, dann ab dem Takt 36 eine fließendere weichere Bewegung, die sich bis zum Schluss wieder zum Forte steigert. Bach hat natürlich keine Dynamik angegeben, aber was kann alles zum Verständnis der Musik helfen '

    Das d-moll Präludium rasch und flüchtig, der Unterschied der Einleitung des Es-Dur Präludiums zu dem fugierten choralartigen Teil ab Takt 10 erscheint wie eine andere Welt: eine langsame Fuge als Präludium zu der bewegteren 'wirklichen' Fuge.

    All das ist bei Gulda äußerst plastisch erfahrbar. Extrem unterschiedliche Musik von tiefster kontemplativer Versenkung (Präludium es-moll) bis zu rhythmisch frechen Präludien. Und die äußerst klar durchsuichtigen Fugen, die auch von der Empfindung eine Kosmos umschließen. Ich vermeide bewusst die gerade bei Gulda so oft 'missbrauchten' Wörter wie 'grooven' oder 'swingen', weil Gulda hier nichts 'verjazzt'.
    Alles ist einfach Bach und der Musiker hält sich mit Eigenwilligkeiten im Grunde ganz zurück. Alles, was an Besonderem Aufhorchen lässt, erklärt sich bei näherer Betrachtung auch aus der Musik (in der ja kaum genauere Spielvorgaben vorhanden sind). Natürlich LEBTE Gulda mit Klassik UND Jazz und natürlich hat sich das gegenseitig angeregt. Aber wenn hier etwas davon spürbar ist, dann in ganz sublimierter Form.

    Hie und da ist für meine Ohren als Farbe in der Oberstimme gut ein 'una corda' zu hören, also der Einsatz des rechten Pedals.

    WECHSELWIRKUNGEN VON INTERPRETATION UND AUFNAHME

    Was von den ersten Tönen an auffällt, ist das intime und ganz direkte des Klangs und der Aufnahmetechnik. Der kleine Aufnahmeraum (kein akustisch 'toter' Studioraum!) tritt durch die extrem nahe Mikropositionierung eigentlich gar nicht als solcher in Erscheinung. Zudem höre ich wegen der trockenen Akustik eine Stumpfheit des Klavierklangs, die sich in sehr leisen Passagen durch ein sehr zurückgenommenes nebliges Klangbild bemerkbar macht.
    Im Forte und stark Polyphonen kann der sehr nah aufgenommene Klavierton (quasi hat der Hörer seine Ohren 'im' Flügel) schier klaustrophobische Zustände hervorrufen. Alles stürzt räumlich sehr gedrängt quasi auf die Ohren ein - allerdings in diesem CD-Transfer in einem erträglichen und auch sinnvollen Maß!

    Die dynamische Spanne (Lautstärkenunterschiede) ist bei Guldas Aufnahme für den Hörer im WK extrem groß, was z.B. beim Übergang der sehr zarten Schlusses der Fis-Dur Fuge zum fis-moll Präludium fast schockierend auffält. ich betone FÜR DEN HÖRER, weil Gulda sich in ganz normalem Rahmen zwischen (allerdings sehr zartem!) Pianissimo und ordentlich kräftigem Forte gehalten hat. Da die Intensität des Schalls aber mit der Entfernung ins Quadrat abnimmt und die Klangverteilung im Raum (Raumakustik) eine noch größere Rolle spielt, fällt die äußerst nahe Positionierung der Mikrophone bezüglich Lautstärkeunterschiede natürlich besonders stark ins Gewicht.

    All das hat Gulda (der - wie sein Zunftkollege mit den einen anderen Buchstaben - sehr viel Aufmerksamkeit dem Abhören der Aufnahmebänder gewidmet hat, um zu verändern, korrigieren, anders anzusetzen) wohl mit einbezogen und bedacht! Und das ist - ich weiß, dass ich mich wiederhole - hier zum ersten Mal auf CD zu hören:

    Es dreht sich also nicht darum, ob diese CD audiophil etwas besser oder schlechter klingt, sondern darum, endlich zu hören, was Gulda mit seiner Interpretation des Wohltemperierten Klaviers zum Klingen bringen wollte ' und zum Klingen gebracht hat!

    REMASTERING

    Bis jetzt wurde bei allen CD-Veröffentlichungen der Gulda Einspielungen bei MPS mit Komprimierung und Klangfiltern gearbeitet. Wahrscheinlich vertraute man nicht aufs Konzept (oder wollte es der Zuhörerschaft nicht 'zumuten') und meinte die Lautstärkeunterschiede ausgleichen und die eher stumpfe Akustik abdämpfen (wegen der Diskanttöne im Forte) oder aufhellen (wegen des Gesamtklangs) zu müssen.

    Solch ein Vorgehen ist Unsinn und das Klangergebnis verfälscht das Original so sehr, dass man den Eindruck einer wahrlich groben unmusikalischen Schallplattenproduktion bekommen konnte.

    Diese Ausgabe hier rückt die großartige Arbeit von Friedrich Gulda und dem Produzenten Brunner-Schwer wieder ins rechte Licht.

    Es gibt an dem perfekten Remastering schlicht NICHTS auszusetzen!

    EDITORISCHES

    Die Veröffentlichung auf vier CDs erscheint als stabile Klappbox (mit Goldprägedruck, kein Kunststoff ' alles sehr wertig und schön gefertigt!). Es gibt ein Vorwort zu dieser Neuausgabe, einen Kommentar des Produzenten der Neuauflage Thorsten Wyk und den originalen Plattentext mit einem Kommentar Friedrich Guldas und den Ausführungen von Peter Schinnerling (1972-1973) zu den beiden Bänden des WK. Das Coverbild ist auf der Deckseite des Textes in voller Größe abgedruckt. Zudem sind schöne S/W-Fotos abgedruckt.

    Ach ja: das Textheft ist übrigens eingeklebt, somit ist die Produktabbildung mit dem aufgeklappten Heft im Vordergrund nicht ganz richtig ...

    Um es ganz kurz zu sagen: besser kann man das alles nicht machen !

    LUST AUF MEHR . . .

    Nun hoffe ich sehr auf eine entsprechende Wiederveröffentlichung der Debussy Préludes, damit auch hier die Interpretation Guldas (wieder) 'verständlich' und stimmig erscheint.

    Ein MUSS für alle, die diese Einspielung schon von Platte kennen (bzw. von CD zu kennen glauben!) - und für alle, die sich intensiv mit Bachs WK 1+2 auseinandersetzen wollen.

    - - - - -

    Über ein Feedback (Bewertung JA oder NEIN, Kommentar - wie und welcher Art entscheiden natürlich SIE!) zu meinen Bemühungen des Rezensierens würde ich mich freuen! Lesen Sie gern auch andere meiner weit über 200 Klassik-Besprechungen mit Schwerpunkt "romantische Orchestermusik" (viel Bruckner und Mahler), "wenig bekannte nationale Komponisten" (z.B. aus Skandinavien), "historische Aufnahmen" und immer wieder Interpretationsvergleiche und für den Kenner bzw. Interessierten meist Anmerkungen zum Remastering!
    Ein Kommentar
    Kind of Blue
    21.08.2024

    Geht doch!

    Vielen Dank für diese Rezension! Es gibt immer wieder Leute, die, auch hier, gewaltige Aufsätze schreiben und mit Fachausdrücken aus der klassischen Musik nur so um sich werfen und soundsoviele verschiedene Einspielungen kennen und die tatsächlich auch alles hören können.
    Ich bin nur ein Mensch, der Musik sehr liebt und von den Stones über Miles Davis bis hin zu meinen besonderen Lieblingen Bach und Beethoven unendlich gerne Musik hört und als älterer Mensch auch neuen Zugang dazu finde. Und um zu lernen, lese ich zuweilen diese meist sehr langen Ausführungen, jedoch ohne all das Gesagte bzw. Geschriebene zu verstehen. Und dann weiß ich wieder, was elitär ist und daß ich es nicht bin.
    Beim Lesen dieses langen Textes war ich geistig und intellektuell dieses Mal durchaus in der Lage, den Ausführungen zu folgen und sie auch zu verstehen. Und ich fürchte, ich habe sogar wieder etwas gelernt.
    Es geht also, daß man lange und kluge Rezensionen schreibt, die auch von Leuten wie mir verstanden werden. Damit können diese elitären Schreiber, die zu Bach und dem WK vermutlich noch E-Musik sagen, mir weiterhin im Mondschein begegnen. Ob mit Beethoven oder Debussy ist mir piepegal.
    Symphonie Nr.8 Symphonie Nr.8 (SACD)
    19.09.2015
    Booklet:
    4 von 5
    Gesamteindruck:
    4 von 5
    Klang:
    3 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    3 von 5

    Auf den Spuren Celibidaches

    Er war 'Schüler' Celibidaches (bei keinem passt das Wort so gut wie bei Celi) und auf den Fotos der Booklet-Rückseite und der Papphüllenrückseite sieht er dem Maestro in seiner frühen Berliner Zeit in den vierziger Jahren verblüffend ähnlich: RÉMY BALLOT '

    Und Celibidaches 'Geist' durchzieht die gesamte Aufführung der Achten Bruckner (und auch die Dritte, die ebenfalls mit Ballot beim Label Gramola erschienen ist): Breite bis sehr breite Tempi, Klangentwicklung, ein sehr geistiger Ansatz zur Musik.

    KIRCHENAKUSTIK

    Der Mittschnitt der Aufführung (also keine Schallplattenproduktion) vom 22.8.2014 fand im Rahmen der BrucknerTage in der Stiftsbasilika in St. Florian statt. Gewiss ein Ehrfurcht gebietender und inspirierender Ort, wenn man bedenkt, dass Bruckner oft an der großen Orgel saß und so viel spielte, was nie in Noten schriftlich festgehalten wurde: Bruckner war ja ein Improvisations-Genie, wofür er schon früh in ganz Europa anerkannt und verehrt wurde.

    Natürlich bietet eine große Kirchenakustik auch immer große Probleme: für den Dirigenten (wie klingt im was und wo im Raum), für das Orchester (Balance, Dynamik, Durchsichtigkeit des Klangs) und für die Aufnahmetechniker, die das Ganze so einfangen sollen, dass die Kirchenraum-Atmosphäre erhalten bleibt und das klangliche Geschehen klar und durchsichtig zu hören ist. Viele Aufnahmen aus Kirchen sind entweder suppig und verhallt ' oder sie klingen unschön dünn, wenn die Mikros zu nah aufgestellt sind.

    Die Techniker und Tonmeister haben sich ihrer Aufgabe ausgezeichnet entledigt: Ein klares Klangbild (zumindest im SACD-Format, das ich gehört habe), durchsichtig, farbig mit beachtlicher Balance. Natürlich ist das alles nicht so optimal wie in einem guten Konzertsaal: Das Orchester klingt relativ weit entfernt, die Bläser schon etwas hallig, ein wirkliches Pianissimo in den Bläsern ist nicht möglich - z.B. gleich am Anfang, wo die Streicher von den 2 Hörnern (1tes und 3tes) gedeckt werden. Es ist auch kaum möglich, einzelne Instrumente oder Gruppen per Mikro hervorzuheben und andere abzuschwächen - was ja unter besseren Bedingungen immer getan wird. Andererseits lässt sich in solch eine Akustik auch "reinbuttern", ohne dass das gewalttätig oder angestrengt klingt.

    EIN WUNDER AN ADAGIO

    Wie der erfahrene Hörer vielleicht schon ahnen wird: Die Akustik ist am passenden im dritten Satz, dem Adagio. Hier können sich die Streicherklänge schön entfalten und erfahren wohltuende Unterstützung durch den Raum in den weit geschwungenen Linien. Somit empfinde ich das Adagio auch als das Gelungenste dieser CD. An Klangschönheit und Natürlichkeit des Spiel übertrifft m.E. diese Aufführung hier die beiden mir bekannten mit Celibidache (DG und EMI) bei weiten. Das Oberösterreichische Jugendsinfonieorchester spielt phänomenal! Der Streicherklang ist superb, alle ziehen die langen Bögen an einem Strang, das Timing der Aufbauwellen stimmt. Das führt Ballot ganz großartig, nur ganz selten spüre ich ein wenig vom 'Celibidach'schen Absichtsvollen' (der Kaiser möge es mir nicht übel nehmen). Ein ganz großartiges Zeugnis dafür, was ganz junge Menschen musikalisch in Synergie mit einem Dirigenten erreichen können, wenn dieser eine genaue Vision hat! Schade, dass die Klarinetten die acht Takte ab Takt 169 so schräg klingen. Aber genau hier stimmt's auch bei renommierten Orchestern oft nicht ' Die Höhepunkte sind wirklich groß empfunden und nicht nur einfach laut. Und Ballot verliert nie den Faden in diesem Satz, nichts reißt ab. Das mag auch an der tollen klanglichen Pyramide von den Bässen bis zu den Flöten liegen. Das nicht alles absolut perfekt ist (minimale Kleinigkeiten) und die Kraft für den letzten Höhepunkt nicht ganz reicht, muss man den jungen Musikern (ist ja kein festes Orchester) einfach zugestehen.

    Ballot braucht 33 ein halb Minuten für das Adagio. Dass ist länger als jede andere mit bekannte Aufführung (alle deutlich unter 30 Min) ' außer Celibidache in München im Gasteig mit 35 Minuten. Hier würde ich der Aufführung gern alle Sterne schenken :-)

    DIE ANDEREN DREI SÄTZE

    Vielleicht hätte man im Konzert dabei sein müssen (sagte ja Celi sowieso immer), um der gesamten Aufführung in einer Besprechung gerecht werden zu können. Vielleicht kommt hier das technische Aufnehmen tatsächlich an eine Grenze und kann nicht alles abbilden, was da zu hören und zu empfinden war. Das ist oft das Problem von Mitschnitten aus Kirchen. Also schränke ich den Rest mit Vorbehalt so ein:

    Das was ich hier vom ersten, zweiten und vierten Satz hören kann, ist mir nicht alles klar, eingängig und verständlich (damit meine ich Kopf und Herz). Der erste Satz ist mir etwas zu wenig 'bergig', der zweite zu einförmig und einfarbig (allerdings mit einem schönen stimmungsvollen Trio) und beim vierten Satz wünsche ich mich in das live Konzertgeschehen hinein. Denn hier ahne ich sehr viel Schichten, 'sehe' (besser: höre) einige visionäre Bilder, die so wichtig für diesen vielschichtigen Satz sind. Den Satz muss man in dieser Aufführung vielleicht mehr als einmal hören, um ihn zu erfassen. Die Ruhe der Tempi ermöglicht hier viele Zwischentöne . . .

    Vielleicht nicht unwichtig zu erwähnen: ich habe die Aufnahme über Anlage gehört und nicht über Kopfhörer (weil ich konsequent alle meine Besprechungen darauf ausgerichtet habe). Möglich, dass bei Letzterem man noch mehr ins Geschehen mit hineingenommen wird und noch differenzierter und detailreicher hören kann.

    EDITORISCHES

    Die optische Aufmachung der Platte von Gramola ist ansprechend (mit einer zusätzlichen Papphülle um den Jewelcase),
    die auf Gold-Rohling gepressten zwei SACDs sind folgendermaßen aufgeteilt:
    1.SACD: 1.+2.Satz, 2.SACD: 3.+4.Satz.
    Das Textheft umfasst auf Deutsch 3,5 Seiten über die Achte von Klaus Laczika und noch 2,5 weiterreichende zur Achten von Rémy Ballot. Alles sehr lesenswert.

    FAZIT

    Meines Erachtens ist diese Aufführung bzw. SACD kein idealer Einstieg für an der Achten interessierte Hörer, welche diese noch nicht kennen. Aber ich kann mich auch täuschen, da ich bezüglich Achter natürlich meine eigene Geschichte habe. Für Kenner, die die langsame Seite der Achten (in der Zweitfassung von 1890) ergründen möchten und für Menschen, die mit 'Celi' nicht können, aber seinen musikalischen und geistigen Ansatz interessant finden, ist Ballot mit dem Oberösterreichischen Jugendsinfonieorchester durchaus zu empfehlen!

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    Über ein Feedback (Bewertung JA oder NEIN, Kommentar - wie und welcher Art entscheiden natürlich SIE!) zu meinen Bemühungen des Rezensierens würde ich mich freuen! Lesen Sie gern auch andere meiner weit über 200 Klassik-Besprechungen mit Schwerpunkt "romantische Orchestermusik" (viel Bruckner und Mahler), "wenig bekannte nationale Komponisten" (z.B. aus Skandinavien), "historische Aufnahmen" und immer wieder Interpretationsvergleiche und für den Kenner bzw. Interessierten meist Anmerkungen zum Remastering!
    Ferenc Fricsay - Complete Recordings on Deutsche Grammophon Vol.2: Opera & Choral Works Ferenc Fricsay - Complete Recordings on Deutsche Grammophon Vol.2: Opera & Choral Works (CD)
    19.09.2015
    Booklet:
    4 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    4 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    4 von 5

    rundum gelungene Veröffentlichung

    Ferenc Fricsay ist - wenn auch heute nicht mehr stark im musikalischen Bewusstsein der meisten Klassikhörer präsent - sicherlich einer der Dirigenten und Künstler, die den guten Ruf des Labels Deutsche Grammophon mit begründet und gefestigt haben. Vielleicht haben ihn die Ästhetik Karajans, die Stereotechnik (von der Fricsay nicht mehr sehr oft profitieren konnte) und das Bewusstsein für eine andere (ich sage bewusst ANDERE!) orchestrale Qualität in England und USA so bald nach seinem Tod "vom Markt" verdrängt...

    Wenn ich heute seine Aufnahmen höre, dann spüre ich durchaus etwas von dem Feuer und Willen des "Aufbau-Deutschlands", vorwärts zu kommen, aber auch die "Löcher", welche der Krieg in die Musiklandschaft gerissen hat. Manche Platten-Produktionen erfüllen vielleicht nicht mehr den heutigen übersteigerten Perfektionsanspruch. Nichts desto trotz ist immer alles da, was nötig ist, um die Musik in ihrer Fülle erleben und sich stark berühren lassen zu können. Zudem ist die damalige "Sänger-Riege" heute unerreichbar ...

    Aufnahmetechnisch ist nicht alles so ganz genau unter die Lupe zu nehmen, aber für meine Ohren ist der DG-Klang damals wesentlich "ehrlicher" und natürlicher als in der Karajan-Zeit der Endsechziger, Siebziger und Achtziger. Das spricht (mich zumindest) schon mal sympathisch an. Angenehm ist, dass alle Einspielungen den Klang des Raums mit einbeziehen. Die detaillierte Abbildung des Klanggeschehens reicht von gut bis sehr gut. Meines Erachtens können die meisten Aufnahmen diesbezüglich mit vielen heutigen Einspielungen mithalten ' egal ob in Mono oder Stereo. Das mag natürlich nicht jeder so hören / empfinden.

    NICHT NUR OPER

    Die engagierte und fundierte Rezension von alanmichael1 sagt eigentlich genug über die Opernproduktionen, welchen ich nichts mehr hinzufügen möchte. Aber es gibt hier mehr als Oper. Ein Drittel der CDs enthält sinfonische Musik (mit Chor oder Gesangs-Solisten).
    Ich möchte nicht detailliert auf Interpretationen eingehen, denn meine Überlegung ist dabei:
    Wer Fricsays Kunst kennt, der Bedarf meiner Gedanken nicht. Wer Fricsay gar nicht kennt, der wird wohl nicht gleich auf Verdacht 100 Euro ausgeben ' Für den, der neugierig ist, nur so viel:

    Fricsay empfand alles, was er dirigierte, sehr stark, aber es wirkt nichts bei ihm aufgesetzt. Immer herrscht ein starker rhythmischer Impuls, etwas Urvitales und er motivierte die Orchester sehr natürlich und 'gesund' zu spielen. Das oft für Kubelik bemühte Wort 'musikantisch' trifft auch einen wesentlichen Aspekt von Fricsay. Ein anderer ist der, dass Musik auch der Ausdruck von inneren Bildern und Szenen sein kann. Fricsays (leider zumindest vor der Kamera extrem wortreiche - siehe DVD. Orchestermusiker mögen das gar nicht!) Proben zeugen von seiner überbordenden Phantasie. Musik war für ihn anscheinend das Leben selbst ' Ein weiterer Punkt ist sein untrügliches Gefühl für Gestalt, Form und Proportionen - ebenso Orchesterbalance. Er war somit auch ein ausgezeichneter Begleiter für Sänger. Wunderbar lebendig ist das z.B. in Mozarts 'Entführung' zu hören.

    VERGLEICHSMÖGLICHKEITEN

    Das ganz Besondere dieser Box ist die Gegenüberstellung einiger Werke in zwei Einspielungen bzw. Aufführungen aus der 'mittlerem' und 'späten' Zeit (Rundfunkmitschnitte) Ferenc Fricsays. Seine Sicht auf die Musik hat sich zum Teil stark entwickelt / verändert, was sich schon in deutlich abweichenden Spielzeiten der Werke festmacht:
    Haydns 'Die Jahreszeiten', Kodalys 'Psalmus Hungaricus', Mozarts 'Exultate, jubilate' und Verdis 'Requiem ... Immer wieder weicht in den späteren Tondokumenten der visionäre Drang einer mehr retardierenden inneren Sicht oder auch eigentümlichen "Maniriertheit" (Zitat des oben genannten Rezensenten). Am ohrenfälligsten ist das aber im Vol.1 bei der Tchaikowksy 6ten zu hören.

    DIE WERKE DER FRICSAY-BOX - VOL.2

    Bartok: Cantata Profana - 1951 mono (Krebs, Fischer-Dieskau) (in Deutsch)

    Brahms: Alto-Rhapsodie - 1957 mono (M. Forrester)

    Haydn:
    - Die Jahreszeiten - 1952 mono (Trotschel, W.Ludwig, Greindl)
    - Die Jahreszeiten - 1961 Mitschnitt in mono, "Winter" erste VÖ in Stereo! (Stader, Haefliger, Greindl)
    - Te Deum C-Dur - 1961 stereo

    Kodaly:
    Psalmus Hungaricus - 1954 mono (E. Haefliger) (in Deutsch)
    Psalmus Hungaricus - 1959 Mitschnitt in Stereo (E. Haefliger) (in Deutsch)

    Mahler: Rückert-Lieder - 1958 stereo (M. Forrester)

    Mendelssohn: "Sommernachtstraum" Overture + Bühnenmusik (Auszüge) - 1950 mono (Streich, Eustrati) (in Deutsch)

    Mozart:
    - Messe c-moll K.427 "Grosse Messe" - 1959 stereo (Stader, Grummer, Haefliger, Sardi)
    - Requiem K.626 - 1951 Mitschnitt in mono (Grummer, Pitzinger, Krebs, Hotter)
    - Exsultate, jubilate K.165 - 1954 mono (M. Stader)
    - Exsultate, jubilate K.165 - 1960 stereo (M. Stader)
    - Vesperae K.339: Laudate Dominum omnes gentes - 1960 stereo (M. Stader)

    Orff: Carmina Burana (Auszüge) - 1949 mono (Schlemm, Fischer-Dieskau)

    Rossini: Stabat Mater - 1954 mono (Stader, Radev, Haefliger, Borg)

    Johann Strauss: Fruhlingsstimmen Waltzer ' 1952 mono (Wilma Lipp)

    Stravinsky:
    - Oedipus Rex - 1960 Mitschnitt in mono (E. Haefliger, H. Töpper, I. Sardi, K. Engen, P. Kuen, Sprecher: E. Deutsch)
    - Psalmensinfonie - 1951 mono

    Verdi:
    - Messa da Requiem - 1953 mono (Stader, Radev, Krebs, Borg)
    - Messa da Requiem - 1960 Mitschnitt in mono (Stader, Dominguez, Carelli, Sardi)
    - Quattro Pezzi Sacri - 1952 mono

    OPERAS:

    Bartok: Blaubarts Burg - 1958 stereo (Topper, Fischer-Dieskau) (in Deutsch)

    Beethoven: Fidelio - 1957 stereo (Rysanek, Haefliger, Fischer-Dieskau)

    Bizet: Carmen (Querschnitt) - 1958 stereo (Dominguez, Simandy, Metternich) (in Deutsch)

    Gluck: Orfeo ed Euridice - 1956 mono (Fischer-Dieskau, Stader) (in Deutsch)

    Mozart:
    - Don Giovanni - 1958 stereo (Fischer-Dieskau, Jurinac, Stader)
    - Le nozze di Figaro - 1960 stereo (Capecchi, Stader, Fischer-Dieskau)
    - Idomeneo, re di Creta - 1961 Mitschnitt in mono (Kmentt, Grummer, Haefliger)
    - Die Entführung aus dem Serail - 1954 mono (Stader, Streich, Haefliger)
    - Die Zauberflöte - 1955 mono (Streich, Stader, Haefliger, Fischer-Dieskau)

    Johann Strauss: Die Fledermaus - 1949 mono (Schlemm, Anders)

    Verdi: Falstaff: "Brav, alter Hans" (Act 2) - 1951 mono (Metternich, Fischer-Dieskau, van Dijk) (in Deutsch)

    Wagner: Der fliegende Holländer - 1952 mono (Metternich, Kupper, Greindl)

    OPERN-ARIEN:
    - Maria Stader: 3 Arien von Mozart - 1957 mono (in Deutsch)
    - Hertha Töpper: 2 Arien von Verdi - 1957 mono (in Deutsch)
    - Ernst Kozub: 2 Arien von Puccini - 1957 mono (in Deutsch)
    - Josef Metternich: 2 Arien von Bizet und Rossini - 1957 mono (in Deutsch)
    - Dietrich Fischer-Dieskau: 8 Arien von Bizet, Gounod, Rossini, Verdi, Giordano, Leoncavallo - 1961 stereo, in Französisch und Italienisch

    CD-DOKUMENTATION: "Erzahltes Leben"
    Eine Stunde Radiodokumentation, in der Fricsay aus seinem Leben erzählt (Monolog).

    DVD - FERENC FRICSAY IN PROBE UND AUFFÜHRUNG:
    - Dukas: Zauberlehrling
    - Kodály: Háry János Suite
    Gefilmt 1961, region-free NTSC format, 113 min, s/w

    DIGITALTRANSFERS

    Diesen Abschnitt kann ich hier kurz halten. Die Überspielungen sind vorbildlich gut gelungen. Eine kleine (ketzerische) Anmerkung möchte ich dazu aber machen: Es ist viel schwieriger, Aufnahmen wie die Besten der Produktionen von RCA oder EMI zu remastern, da das Besondere derer sich meist in ganz heiklen feinen Bereichen bewegt (z.B. dem Nachklang des Raums, der ja schnell im Bandrauschen untergehen kann, dem Obertonspektum und dem richtigen Frequenzgang - richtig deshalb, weil es den von LP bekannten Klang mit dem gewohnten einer CD abzuwägen gilt). Diesbezüglich erscheinen mir die DG-Aufnahmen nicht ganz so fein differenziert und sind deshalb möglicherweise etwas einfacher zu Händeln. Wie dem auch sein: Die DG hat hier hervorragende Arbeit geleistet, an der es nichts auszusetzen gibt!

    EDITORISCHES

    Wie schon die musikalische Aufbereitung, so ist auch die Gestaltung der Box und das Booklet hervorragend gelungen: Der blaue Schuber mit den S/W-Fotos und den blauen Markierungen und Schrift ist optisch sehr ansprechend (und gefällt mir diesbezüglich besser als die erste Box), sehr stabil und lässt sich leicht öffnen. Auch der Innenteil, der die CDs birgt, ist gestaltet. Alles erinnert ein wenig an die 50ziger Jahre, was ja hervorragend zu den originalen LP-Covers passt.
    Die Hüllen lassen sich leicht aus der Box nehmen, sind aus eher dünnerem Pappe (ist grade noch so ok) und auch die CDs lassen sich ohne allzu große Probleme entnehmen. Käufer solchen Boxen sind es mittlerweile wohl gewöhnt, dass man besonders bei Doppel-CDs (von denen es hier ja einige gibt) ein paar Tricks anwenden müssen, um nicht die Hüllen zu beschädigen oder die CD selbst mit Fingerabrücken zu übersäen.

    Das Beiheft ist sehr großzügig im Platz, was die Angaben bei den Tracks betrifft. Der Text zur Box ist nicht zu sehr üppig: viereinhalb Seiten von Gottfried Kraus und zweieinhalb Seiten von Dietrich Fischer-Dieskau (von 1964). Alle wichtigen Produktionsangaben sind am Ende jeder CD bzw des mehrere CDs umfassenden Werks vorhanden.

    FAZIT

    Wer einen Blick (oder besser: Ohr) auf die Musiklandschaft des Nachkriegs-Deutschland werfen möchte, der kommt um Fricsay nicht herum. Aber auch derjenige, der einen Sinn für erzählendes, bildhaftes und äußerst vitales Musizieren hat wird sehr viel Freude mit dieser Box haben. Zudem gibt es manch große deutschen Sänger in ein paar zu Recht legendären Opernproduktionen wiederzuhören . . .

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    Über ein Feedback (Bewertung JA oder NEIN, Kommentar - wie und welcher Art entscheiden natürlich SIE!) zu meinen Bemühungen des Rezensierens würde ich mich freuen! Lesen Sie gern auch andere meiner weit über 200 Klassik-Besprechungen mit Schwerpunkt "romantische Orchestermusik" (viel Bruckner und Mahler), "wenig bekannte nationale Komponisten" (z.B. aus Skandinavien), "historische Aufnahmen" und immer wieder Interpretationsvergleiche und für den Kenner bzw. Interessierten meist Anmerkungen zum Remastering!
    New York Piano Quartet - Songs for Mahler in the Abscence of Words New York Piano Quartet - Songs for Mahler in the Abscence of Words (CD)
    19.09.2015
    Booklet:
    3 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    5 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    5 von 5

    Wege von und zu Mahler

    Mahlers originaler Kopfsatz aus seinem Klavierquartett (12:21 min) berührt mich immer wieder aufs Neue. Die Komposition des Sechzehnjährigen ist atemberaubend ökonomisch, konzentriert und in sich ein vollgültiges Werk. Zudem gibt es eine perfekte Balance zwischen Form und Emotion mit einem in sich geschlossenen dramatischen Aufbau. Obwohl es doch nun öfters aufgeführt wird und es mittlerweile einige Einspielungen gibt, so ist die Bedeutung dieses Quartettsatzes wohl immer noch unterschätzt. Vielleicht auch deshalb, weil es eben das kammermusikalische Jugendwerkwerk des großen Weltanschauungssinfonikers ist.
    Das New York Piano Quartet zeigt sich hier gleich von seiner ganz starken Seite. Die oben angesprochene Balance von Form und Empfindung wird ideal realisiert. Manche Einspielungen leiden darunter, das die Interpreten noch mehr dazu hineingeben wollen – quasi ein Adagio aus einer Sinfonie. Die (an sich sehr schöne) Eschenbach-Aufnahme aus Philadelphia ist ein Beispiel dafür. Bei einer Spielzeit von über 13 Minuten und einem sehr romantischen Ansatz wirkt das Stück überfrachtet und verliert an Aussage. Es ist gerade das Herbe, thematisch streng Beschränkte, ja irgendwie Klaustrophobische, das dem Werk seine Ausdruckstärke gibt. Es ist so modern, wie man auch den späten Brahms sehen kann (was die „Zweite Wiener Schule“ getan hat). Das kommt in dieser Aufführung deutlich zum Tragen.

    ERSTAUNLICHE NÄHE ZU MAHLERS KAMMERMUSIKWERK

    Das zweite Stück der CD verwendet Mahlers flüchtigen Skizzen zu einem (vielleicht zum Quartett geplanten - aber sicher ist das nicht) Scherzo (5:48 min). Der Komponist Enguerrand-Friedrich Lühl (*1975) verwendet im Trio auch das Rückertlied „Oft denk' ich sie sind nur ausgegangen“. Die vollkommen tonal gehaltene Komposition nimmt stark die Stimmung des Quartett-Satz Mahlers auf, ohne Mahler kopieren zu wollen. Der Komponist will auch gar nicht Mahler rekonstruieren oder vervollständigen – und vielleicht gerade dadurch gelingt ihm eine große starke Nähe zum originalen Mahler.
    Lühl war übrigens selbst 16 Jahre alt, als er dieses Scherzo schrieb. Mahlers Musik scheint eine zentrale Bedeutung in dessen musikalischen Leben zu haben, denn immer wieder taucht der Komponist auf. So hat Lühl z.B. die Tondichtung in fünf Sätzen „Titan“ (also die Vorstufe der Ersten Sinfonie) für Soloklavier in eigener Bearbeitung eingespielt und es gibt Paraphrasen zum Kopfsatz (hat auch Mahler selbst „eingespielt“!) und dem Adagietto der Fünften.

    Auch Gernot Wolfgangs „From Vienna with Love“ (5:47 min) knüpft atmosphärisch an die Rückertlieder (im Thextheft steht am Wien des frühen 20ten Jahrhundert) an, wenn auch die Harmonik und Rhythmik immer wieder deutlich vom Jazz beeinflusst ist. Im zweiten Drittel gibt es einem langen Orgelpunkt und dann eine quasi Reprise.
    Phantastisch, wie sicher und locker das Klavierquartett auch diesen Stilmix überzeugend „echt“ spielt.

    FÜR DEN HÖRER WOHL WEITER VON MAHLER ENTFERNT

    Christina Spineis „Mahler remixed“ (5:13 min) nimmt Fragmente aus Mahlers Quartett auf und transformiert einen Loop (Schleife). Wie beim nächsten Stück gibt es hier auch schon Minimalistisches und die Polyphonie hat Priorität vor der Harmonie, großenteils in einem Dialog zwischen Streichern und Klavier.

    Deutlich schräger und minimalistisch wird es bei Barney Johnsons „Mahler 99“ (5:11 min) und verwendet neben der kleinen Patterns die musikalischen Mittel accelerando und ritardando, welche besonders die Musik der Epoche der Jahrhundertwende so stark prägten. Ein Stück der in sich verwobenen Be- und Entschleunigung.

    STIMMUNG UND GEIST

    Wang Jies „Song for Mahler in the Absence of Words“ (5:43 min) ist wieder atmosphärischere Musik. Jie hatte als Aussage die Schlusszeile aus “Ich bin der Welt abhanden gekommen vor Augen: „ich leb' allein in meinem Himmel, in meiner Liebe, in meinem Lied!“.

    Noel Zanders „Le miroir de l'ombre“ (Schattenspiegel) (4:33) ist auch ein flächiges ruhiges Stück und entnimmt dem Quartett Mahlers das thematische Material – was den meisten bei erstmaligem Hören nicht erkennbar sein wird.

    Patricia Leonards „Strangely Close, Yet Distant“ (Klaviertrio) (14:06) ist das längste Stück der CD. Angeregt wurde die Komponistin durch das Bild Okar Kokoschkas „Die Windsbraut“, in dem der Maler seine Liebe zu (oder eher Obsession von) Alma Mahler verarbeitete.
    An zentraler Stelle in der Mitte des Satzes (etwa nach 7 Minuten) stimmt das Klavier den Choral aus dem Schlusssatz der Dritten Sinfonie Gustav Mahlers, später erscheint der Beginn des Schluss-Adagios der Neunten. Das Thema der (unfreien) Liebe wird reflektiert. Eine stimmungsvolle Komposition, die für meinen Geschmack knapp am Schmalz vorbei schrammt.

    DURCHDRINGUNG UND WITZ

    Alfred Schnittkes „Piano Quartet“ (8:06 min) ist da ein anders Kaliber. Hier ist von Beginn an wieder stärker Thematische Arbeit und Struktur spürbar. Schnittke wollte „sich etwas in Erinnerung rufen, das nie vollendet wurde“. Ein Stück der Suche nach der Erinnerung, dass dann mit dem originalen Fragment endet … Spannend in dem quasi auskomponierten Prozess. Eine äußerst intensive Interpretation!

    Nicolás Pradas „Reflections on Mahler“ (4:34) ist auch amüsant, weil hier die ersten Töne des Mahler Quartetts harmonisch und rhythmisch mit Kolumbianischer Folklore verwoben werden – mit einem stimmigen Ergebnis. Ein heiterer kunstvoller leichter Abschlusssatz für diese wunderbare CD!

    Aufnahmetechnisch ist die CD hervorragend geworden, das Textheft ist leider nur auf Englisch, aber dennoch gut zu lesen. Ein par Punkte habe ich ja daraus hier in der Besprechung verwendet.

    FAZIT

    Alles hörenswerte Werke, die sich mehr oder weniger erkennbar mit Mahlers Musik auseinandersetzen. Die Interpretation durch das New York Piano Quartet kann nur als beglückend bezeichnet werden.
    MAHLERS MUSIK LEBT – auch auf diese Art!

    Eine starke Kaufempfehlung für entdeckungsfreudig Menschen und solche, die immer ein wenig wehmütig angesichts der Einzigartigkeit von Mahlers Quartettsatz sind.

    - - - - -

    Über ein Feedback (Bewertung JA oder NEIN, Kommentar - wie und welcher Art entscheiden natürlich SIE!) zu meinen Bemühungen des Rezensierens würde ich mich freuen! Lesen Sie gern auch andere meiner weit über 200 Klassik-Besprechungen mit Schwerpunkt "romantische Orchestermusik" (viel Bruckner und Mahler), "wenig bekannte nationale Komponisten" (z.B. aus Skandinavien), "historische Aufnahmen" und immer wieder Interpretationsvergleiche und für den Kenner bzw. Interessierten meist Anmerkungen zum Remastering
    Tschechische Weihnachtsmesse Tschechische Weihnachtsmesse (CD)
    19.09.2015
    Booklet:
    2 von 5
    Gesamteindruck:
    4 von 5
    Klang:
    4 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    4 von 5

    schlichte kraftvolle Musik mit Zauber

    Vorab: Eigentlich würde ich der Enspielung vier Sterne geben, aber angesichts der vielen fünf-Sterne-Rezensionen für m.E. schwächere Einspielungen (für mich drei Sterne wert) habe ich für die Aufmerksamkeit fünf Sterne vergeben.

    Als erstes für alle die nicht so ganz im 'Klassikgeschäft' drin sind: Lassen sie sich nicht von der Jahresangabe 2012 täuschen. Die hier vorliegende Aufnahme stammt aus dem Jahr 1966, aufgenommen (natürlich analog) im Rudolphinum in Prag. Wer eine rein Digitale Einspielung möchte, der kann zur Naxos-CD mit Franz Xaver Thuri greifen, wenn er bereit ist musikalisch deutliche Abstriche gegenüber der vorliegenden Einspielung zu machen. Aber Thuri hat den Vorteil, für den "Anlass Weihnachten" ideal "dezent" zu sein - so gesehen eine perfekte Wahl. Bei Smetacek drängt die Musk wesentlich mehr in den Vordergrund ... Es ist die Entscheidung für die Kaufentscheidung, ob das für den "Kaufzweck" gut ist oder nicht :-)

    In der vorliegenden Aufnahme der 'Ceska mse vanocni' (bei uns bekannt als 'Böhmische Hirtenmesse', 'Böhmische Weihnachtsmesse' oder 'Tschechische Weihnachtsmesse') von Jakub Jan Ryba (ich lasse wegen den Darstellungsproblemen bei Amazon alle Sonderzeichen und Akzente weg) spielt das Prager FOK Orchester, es singt der Philharmonische Chor Prag und die Solisten sind J. Vymazalova (Sopr.), M. Mrazova (Alt), B. Blachut (Ten.), Z. Kroupa (Bass) u.a. Es dirigiert Vaclav Smetacek. Das Werk wird in Tschechischer Sprache gesungen.

    Rybas weihnachtliche Messe wird auch in Deutschland oft und gern gesungen, weil sie technisch gut machbar ist und keine große (und somit teure) Besetzung erfordert. Dass sie aber nicht ohne ist und z.B. vom Chor Standfestigkeit fordert, ist in dieser Einspielung gut zu hören. Die hohen Stimmen singen hier meist 'volles Rohr', was als einziges (selten!) den Hörgenuss etwas trübt. Aber das liegt auch eindeutig an der Komposition selbst.

    Die Musik selbst betont bewusst das Schlichte, z.B. durch Dreiklangsfiguren, wechselnde Terzintervalle und einfache Kadenzen (phasenweise nur zwei maximal drei alternierende Tonstufen). Die Kombination von Kunst und Volksmusik hat hier durchaus etwas romantisch verklärt Rückblickendes. Somit war das Werk auch quasi modern. Es gibt übrigens voneinander abweichende Ausgaben. Wer diese Messe im Chor gesungen hat, dem ist da u.U. manche Verwirrung diesbezüglich in Erinnerung.
    Bei all dieser gewollten Schlichtheit umfängt die Musik doch einen Zauber und in der sehr geschickten Instrumentierung (z.B. gegen des Endes des Offertoriums in Orgel und Streichern) auch große Farbigkeit.

    Benno Blachut mit seinem unverwechselbaren Stimmfarbe war schon ein klein wenig über seinen Zenit (manchmal minimal wackliger Tonansatz), singt aber dennoch sehr schön, persönlich und erfüllt. Im Grunde passen alle Solisten-Stimmen gut zusammen, es wird in jedem Detail wirklich gesungen. Somit liegt hier eine sehr kraftvolle und musikalisch Reife Einspielung vor, die keine auffallenden Schwachstellen hat. Smetacek dirigiert absolut dem Werk angemessen, mit Kraft und Herz. Er betont das Bodenständige und Vitale der Musik.

    Nach der Messe (39 Minuten) gibt es noch ein kurzes und ruhiges Pastorella (gute 4 Minuten) für Sopran, Flöte, Horn und Streicher mit Orgel ' auch von Ryba.

    CD-KLANG

    Die Aufnahme der Supraphon (Aufnahmeleiter Miroslav Kulhan, ein sehr guter Mann!) ist sehr gut in der Balance. Allein die hohen Stimmen sind hie und da etwas anstrengend, was ja aber mehr am Stück als an der Aufnahme oder den Interpreten liegt.
    Der Digitaltransfer ist sehr gut gelungen. Ein offenes Klangbild, das dennoch nicht rauscht. Auch hier für Nichtkenner der Materie der Hinweis, dass diese Aufnahme klanglich - über Anlage (also mit Boxen) gehört - wohl kaum von einer aktuellen Einspielung zu unterscheiden ist.

    Das CD-Cover ist meinem Geschmack nach mit dem tiefen Blau und dem historischen Engel geschmackvoll und schlicht gestaltet (und auch die CD so bedruckt), der Text des Faltblatts (also nur zwei Innenseiten!) ist ausschließlich Tschechisch.

    - - - - -

    Über ein Feedback (Bewertung JA oder NEIN, Kommentar - wie und welcher Art entscheiden natürlich SIE!) zu meinen Bemühungen des Rezensierens würde ich mich freuen! Lesen Sie gern auch andere meiner weit über 200 Klassik-Besprechungen mit Schwerpunkt "romantische Orchestermusik" (viel Bruckner und Mahler), "wenig bekannte nationale Komponisten" (z.B. aus Skandinavien), "historische Aufnahmen" und immer wieder Interpretationsvergleiche und für den Kenner bzw. Interessierten meist Anmerkungen zum Remastering
    Ein Kommentar
    Anonym
    29.12.2015

    Jan Jakub Ryba Tschechische Weihnachtsmesse

    Meine Erwartungen sind erfüllt worden. Der Rezension kann ich mich anschließen.
    Missa Pastoralis Missa Pastoralis (CD)
    19.09.2015
    Booklet:
    3 von 5
    Gesamteindruck:
    3 von 5
    Klang:
    3 von 5
    Künstlerische Qualität:
    3 von 5
    Repertoirewert:
    3 von 5

    auf der leichten Seite

    In der vorliegenden Aufnahme der 'Ceska mse vanocni' (bei uns bekannt als 'Böhmische Hirtenmesse', 'Böhmische Weihnachtsmesse' oder 'Tschechische Weihnachtsmesse' - hier einfach "Weihnachtsmesse" genannt) von Jakub Jan Ryba (ich lasse wegen den Darstellungsproblemen bei Amazon alle Sonderzeichen und Akzente weg) singt der Tschechische Madrgalchor (mit Orchester) und die Solisten sind D. Vankatova (Sopr.), P. Ksicova (Alt), V. Dolezal (Ten.), V. Sibera (Bass). Es dirigiert Frantisek Xaver Thuri. Das Werk wird in Tschechischer Sprache gesungen.

    Rybas weihnachtliche Messe wird auch in Deutschland oft und gern gesungen, weil sie technisch gut machbar ist und keine große (und somit teure) Besetzung erfordert. Dass sie aber nicht ohne ist und z.B. vom Chor Standfestigkeit fordert, ist in dieser Einspielung gut zu hören. Der Chor und auch die Solisten erledigen ihre Aufgabe mit leichter Stimmgebung - und auch etwas dünnem Klang, was aber manchen durchaus massig klingenden Stellen ihre Schwere nimmt. Allerdings wird die Musik dadurch auch blasser.

    Die Musik selbst betont bewusst das Schlichte, z.B. durch Dreiklangsfiguren, wechselnde Terzintervalle und einfache Kadenzen (phasenweise nur zwei maximal drei alternierende Tonstufen). Die Kombination von Kunst und Volksmusik hat hier durchaus etwas romantisch verklärt Rückblickendes. Somit war das Werk auch quasi modern. Es gibt übrigens voneinander abweichende Ausgaben. Wer diese Messe im Chor gesungen hat, dem ist da u.U. manche Verwirrung diesbezüglich in Erinnerung.
    Bei all dieser gewollten Schlichtheit umfängt die Musik doch einen Zauber und in der sehr geschickten Instrumentierung (z.B. gegen des Endes des Offertoriums in Orgel, Horn und Streichern) auch große Farbigkeit.

    Die hier vorliegende Einspielung deutet das Kraftvolle nur an und verschenkt so einen wesentlichen Aspekt der Musik. Thuri dirigert mit Übersicht, aber (despektierlich ausgedrückt) auch mit etwas gepfegter Langeweile. das Ensemble kann mit der (im Grunde in jeder hinsicht mitreißenderen Aufnahme mit Smetacek) nicht mithalten. Aber vielleicht ist zum Weihnachtlichen Anlass eine sehr zurückgenommene "dünnere" Aufnahme wie diese hier sogar passender? Ich denke da an ein Lauschen und Träumen unter dem Baum oder Musik neben dem Geschenkeauspacken oder der Weihnachtsgans ... ich meine das nicht spöttisch, sondern ganz pragmatisch. Denn da drängt sich die Aufnahme mit Smetacek, die ich - wenn es sich wirklich um die MUSIK und nicht den ANLASS dreht - unbedingt empfehlen würde, wohl zu sehr in den Vordergrund.

    Die digitale Naxos-Aufnahme ist ordentlich. Das kleine Ensemble wird genügend räumlich und detailreich abgebildet.
    Das CD-Cover ist in der schlichten (alten) Naxos-Manier gehalten, der Text ist in Deutsch und Englisch.

    - - - - -

    Über ein Feedback (Bewertung JA oder NEIN, Kommentar - wie und welcher Art entscheiden natürlich SIE!) zu meinen Bemühungen des Rezensierens würde ich mich freuen! Lesen Sie gern auch andere meiner weit über 200 Klassik-Besprechungen mit Schwerpunkt "romantische Orchestermusik" (viel Bruckner und Mahler), "wenig bekannte nationale Komponisten" (z.B. aus Skandinavien), "historische Aufnahmen" und immer wieder Interpretationsvergleiche und für den Kenner bzw. Interessierten meist Anmerkungen zum Remastering
    Symphonie Nr.2 Symphonie Nr.2 (CD)
    07.08.2015
    Booklet:
    3 von 5
    Gesamteindruck:
    2 von 5
    Klang:
    2 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    5 von 5

    Aufführung 5 Sterne, Orchesterspiel 4 Sterne, aber leider für den Hänssler-Digitaltransfer 2 Sterne!

    Furtwänglers Zweite ist natürlch das Werk, auf das man hier gespannt ist. Eine Sinfonie in brucknerschen Dimensionen ... Nach mehrmaligem Hören entwickelt die viersätzige Sinfonie einen großen Sog und die Schönheit und Vielfalt wird ebenso wie die anspruchsvolle Architektonik erkennbar. Ein Werk, das mit Geduld erobert sein will - es dann aber m.E. lohnt!
    Zur Aufführung:
    Furtwänglers eigene Stuttgarter Aufführung (eine von 5 !!! Mitschnitten der Zweiten mit dem Komponisten als Dirigent) kann sich trotz klanglicher Einschränkungen (ein Mitschnitt halt, etwas weiter entfernt aufgenommen, was auch Vorzüge hat) weit oben behaupten. Vor der DG-Platte mit den BP hat sich Furtwängler selbst distanziert (sie klingt auch nicht wirklich gut), Hamburg ist sehr gut (Schnapp-Aufnahme! Am besten in der Ausgabe der Furtwänglergesellschaft SWF France oder - auch nicht schlecht - von Memories Reverence)) aber mit einem früheren Schluss des Finales, der Hessische Mitschnitt (war in Japan bei Delta sehr ordentlich veröffentlicht) auch gut aber (noch) problematischer im Orchester als Stuttgart, der ist Wiener Mitschnitt sehr trocken im Klangbild (von Orfeo etwas "stumpf" veröffentlicht) aber auch sehr gut. Der Hamburger Mitschnitt ist von der Aufnahme her am überzeugendsten, die Wiener die überzeugendste im Orchesterspiel. Die Stuttgarter Aufführung ist vielleicht seine Klangsinnlichste ...

    Der Digitaltransfer von Hänssler ist leider ausnahmsweise wirklich schlecht geraten. Ich hatte gehofft, dass das Label die Gelegenheit ergriffen hätte, der ersten (eben identischen) ungemein verhallten und in den Höhen beschnittenen Transfer von SWR-Media vergessen zu machen - aber anscheinend hat man ihn nur mit neuem Cover versehen. Die Aufnahme klingt ja schon etwas verhangen und unklar, der Transfer unterstützt das unglückseeligerweise nochmals mit Hall und "Ambientsound". Leider eine klare NICHT-EMPFEHLUNG für diese Hänssler-Ausgabe hier!

    So sollte man sich von der Stuttagrter Aufführung unbedingt die Ausgabe von ARCHIPEL zulegen (ohne Beethoven 1te, aber mit Müller-Kray Interview). Dieser Transfer ist sehr ordentlich. Seit August 2015 gibt es auch eine etwas teurere GRAN SLAM Überspielung aus Japan, zu der ich momentan nur sagen kann, dass sie bei HMV-Japan zu beziehen ist und mit Versand so ca. 28 Euro kostet. Mehr darüber demnächst ...

    An neuen Einspielungen würde ich unbedingt Barenboim mit dem CSO empfehlen, rundum überzeugend und ein "gefundenes Fressen" für dieses großartige Orchester, dass schwerste Partituren noch selbstverständlich, unangestrengt, unüberbietbar klar und "einfach" klingen lässt!
    2 Kommentare
    gemi:re Top 25 Rezensent
    28.07.2023

    So what?

    Der einzig bemerkenswerte Take an dieser SWR-Aufnahme ist weder Musik noch Klang, sondern das späte Interview.
    filiou
    15.10.2021

    Genau!!!

    Ja genau so ist der Klang muffig und verhangen,wie auch bei der 1.Schuricht Collection die 2 klingt dagegen super auch alle SWR Boxen mit Rosbaud.Aber solch Muffelklang wie hier ist furchtbar.
    Great Performances Great Performances (CD)
    07.08.2015
    Booklet:
    4 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    5 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    4 von 5

    Sibelius für die Ewigkeit!

    Der Sibelius-Enthusiast hat sie natürlich schon alle irgendwie ergattern können – was mehr oder weniger leicht war. Die Lieder mit Kirsten Flagstad waren zuletzt in der großen Decca Flagstad Box zu haben, der Collins-Zyklus bei Eloquence Australia in zwei Doppel-CDs (oder schon früher in der Beulah-Ausgabe), die 2te mit Monteux mehrmals (z.B. in der Historic-Reihe der Decca aus den 90zigern, bei Eloquence Australia und als japanische Decca), Die Lemminkäinen-Suite und die komplette Karelia-Suite mit Jensen war lange vergriffen, kam aber in der wunderbaren Box Decca Sound Mono Years 1944-1956 dieses Jahr (2015) ausgezeichnet remastert heraus – ebenso die 5te mit Tuxen und das Streichquartett mit dem Griller Quartet.

    Um es kurz zu machen: ALLE(!) diese genannten Einspielungen sind auf ihre Art (man kann es natürlich auch anders machen) unerreicht – ja, noch mehr: sie sind m.E. unerreichbar!

    - - - - - -

    CD 1 - 4:
    Ganz vornean der Sinfonie-Zyklus mit Anthony Collins, der an klarer Disposition und schlüssigem Verständnis, direktem Feuer und Leidenschaft, aber auch in Puncto Klangschönheit (trotz Mono und kleinerer hörbarer Bandmängel) alle (!!!) anderen Zyklen auf ihre Plätze verweist. Natürlich haben Barbirolli und Karajan einen komplett anderen Ansatz (ebenso wie Bernstein, Berglund und manch anderer hervorragender Zyklus), aber in JEDER Sinfonie den Kern in einer dem Werk jeweils immanenten frischen Dramatik, ein hörbar (!) strukturelles Verständnis und auch das Mysterium all dieser Werke zu zeigen gelingt keinem anderen so glücklich, intensiv und erfüllend. Sibelius ist hier vielleicht weniger der Grübler, aber dafür der leuchtende Sinfoniker mit Kraft und plastischer Inspiration. Heikelste Teile wie z.B. den große Bogen der 7ten vom Anfang bis zum ersten großen Höhepunkt klingen einfach und einleuchtend wie ein Kinderlied, ohne deshalb platt zu wirken oder an Spannung zu verlieren.
    10 Sterne für das großartige LSO. Ich liebe dieses Orchester sehr, aber DERART liebevoll inspiriert und „klangredend“ (dank subtilster Artikulation und immer vital-schlüssigen rhythmischer Umsetzung) habe ich es kaum je gehört! Das leuchtet, ist äußerst farbig und erzählt ohne je einen Moment nachzulassen – egal ob in einer still meditativen Passage, einem Scherzando oder einem dramatischen Furioso.
    Was für eine Klangschönheit und homogene Fülle der Streicher in der neuen Ausgabe zu hören ist, auch die Farben und somit die Intonation der Holzbläser sind durch den ganz ausgewogenen Frequenzgang nun völlig korrekt!
    Was das wohl für eine Probenarbeit war? DAS wüsste ich schon gern … Aber anscheinend war Anthony Collins auch ein Dirigent, der absolut im Hier und Jetzt sein konnte – ohne je abzuschweifen oder sich inneren Vorstellungen ohne Kontakt zum realen Echtzeitergebnis hinzugeben.
    Für mich gibt es absolut nichts(!), was mir in diesem Zyklus abgeht oder ich mir schlüssiger vorstellen könnte. Die monaurale Balance ist perfekt. In Stereo könnte es nicht ausgewogener und nicht mehr hörbar sein! Ach ja – für „Neulinge“ solcher Aufnahmen: Hie und da kann es mal kurzzeitig ganz minimal Rumpeln (U-Bahn?) …

    Die Tondichtungen zeigen ebenfalls, wo es langgeht – z.B. Die Auswahl der fünf (bei Eloquence waren es nur vier!) Sätze aus Pelleas und Melisande. Im Gegensatz zu Barbirolli steht Collins auch zu den Tänzerischen Aspekten, ohne welche Teile dieser Musik interessant und verstörend klingen, aber einfach nicht der Partitur gerecht umgesetzt sind.

    Collins war nicht nur Dirigent sondern auch Komponist von zwei Sinfonien und anderem. Während des zweiten Weltkriegs war er in Los Angeles, wo er als Filmkomponist tätig war. Collins Kompositions-Lehrer war Gustav Holst. Dessen Klarheit, Natürlichkeit der Empfindung und Schlüssigkeit in allen musikalischen Belangen ist auch bei Collins in jedem Moment seines Dirigierens zu hören.

    Übrigens: Die Einspielungen von Elgar, Vaughan-Williams und Walton, aber auch Tschaikowsky, Mozart (2 Klavierkonzerte mit Gulda, Klarinetten- und Fagottkonzert, Sinfonien 40 und 41), Strauss (Burleske mit Gulda), Paganini (1tes und 2tes Violinkonz. Mit Ricci) Rachmaninoff (3tes Klav.Konz. mit Lympany) sind Kostbarkeiten! Collins war ein exquisiter Begleiter von Solisten. Ganz besonders möchte ich auf Collins phantastischen Delius (ist zusammen mehr als eine CD-Länge) hinweisen.

    - - - - - -

    CD 5:
    Gleich auf den Sinfonie-Zyklus folgend die viersätzige Lemminkäinen-Suite: Jensen schafft mit dem Dänischen staatlichen Radio Sinfonieorchester ein veritables Wunder. Kurz gesagt – wie Collins bei den Sinfonien schafft Jensen mit der selten komplett gespielten Suite eine vollkommen erfüllte Einspielung. Trotz Ormandys großartiger Aufnahmen (in Mono und Stereo) ein unbedingtes Muss für jeden, der das Stück liebt oder noch nicht ganz im Zusammengang versteht, denn diesen erfasst und vermittelt Jensen m.E. unerreicht! Die dirigentische Vision des Stücks, das leidenschaftliche Spiel und dem Klang des Orchesters, die stimmig eingefangene Aufnahme … Auch hier lässt das Mono nichts vermissen!

    CD 6:
    Die 5te mit Tuxen ist eine ganz andere moderatere Welt als bei Collins. Aber auch diese Lesart mit dem verhangener klingenden Dänischen Orchester ist hörenswert. Die Finlandia mit Tuxen hatte ich bis dato auf CD von Decca herausgegeben von nicht gesehen. Da ist die Konkurrenz allerdings schon erdrückend.

    CD 7:
    Auf der CD 7 sind erstmals ein paar Stereo-Aufnahmen (die CD 1-6 sind durchweg Monaural): Finlandia und Valse triste mit dem Concertgebouw Orkest. Der Rest ist monaural: mit dem LPO En Saga, Tapiola und das Violinkonzert mit Jan Damen, Violine. Der Dirigent der ganzen CD ist Eduard van Beinum. Hörenswert sind die Orchester-Aufnahmen von 1952 aus London (mit dem Violinkonzert mit Damen werde ich nicht warm – bin da wohl einfach zu sehr von Heifetz verdorben *g*). En Saga mit viel Zeit und Ruhe am Anfang, nur die hohen flackenden Streicher verraten Kommendes. Bei aufgenommener Fahrt dann sehr klares Orchesterspiel mit deutlicher Artikulation wie mit dem Seziermesser. Wenn man vorher Colins gehört hat, wirkt das alles allerdings ein wenig berechnet und mit angezogener Handbremse. Das Spiel ist nicht so entfesselt wie bei dem Engländer. Die Schreckenswirkung des Höhepunkts bekommt Beinum aber auch auf diese Weise dank LPO beeindruckend hin.
    Collins hat für die EMI 1957 in Stereo Sibelius´ Tondichtungen En Saga, die Karelia-Suite, den Schwan von Tuonela und die Romanze in C aufgenommen. Das ist ein spannender Vergleich mit Beinum.
    Tapiola liegt dieser eher „zerklüfteten Ansatz“ besser. Er betont das Geheimnisvolle und das Nebeneinander der Ebenen der Komposition. Eine seltsame Bedrückung liegt über dem Ganzen.

    CD 8:
    Das der für die Deutsche Grammophon produzierende Rosbaud in die Box aufgenommen wurde freut mich ganz besonders. Er war ein Sibelius-Dirigent allererster Güte. Das obwohl 1957 so dennoch noch in Mono (wie alles andere auch) aufgenommene Tapiola zeigt in seiner Vision ein ganz anderes Bild als das Beinums. Wo bei Beinum disparate Entfremdung war, herrscht hier Trauer und Sehnsucht vor. Das mag Großteils auch am unterschiedlichen Klang des Orchesters liegen. Das LPO mit den glasigen grade Linien und Akkorden, bei Rosbaud die Berliner Philharmoniker mit gesanglichen Tönen.
    Rosbauds legt den Schwerpunkt auf das Lyrische. Somit bin ich mit der Finlandia nicht ganz glücklich, aber mit der Karelia-Suite, dem Schwan von Tuonela und eben Tapiola. Das Festivo

    CD 9:
    Das Violinkonzert mit Ricci hat Feuer und der Interpret spürt auch dem Rapsodischen nach, aber auch er verblast neben dem Feuer von Jascha Heifetz - sowohl in dessen Einspielung mit Beecham als auch der mit Hendl/CSO.
    Zu den Liedern mit Flagstad ein paar Worte bei CD 10

    CD 10:
    Die 2te mit Pierre Monteux ist ein Traum! Diese wichtige Überspielung war in solch guter Qualität in Deutschland lang nicht mehr (oder je?) zu haben. Die japanische Ausgabe klingt allerdings noch etwas kerniger und offener in der Höhe. Sei es drum, das Großartige der Interpretation Monteux und des Spiels des LSO (samt superber Aufnahmequalität der Decca/RCA-Einspielung) kommt gut rüber.
    Birgit Nilsson singt zum Teil die gleichen Lieder wie Flagstad, was sehr aufschlussreiche Vergleichsmöglichkeiten zum Nachspüren eröffnet. Beide sind bei aller Strahlkraft sehr verinnerlicht und intensiv, wobei die zur Zeit der Aufnahme wesentlich ältere Flagstad mehr klare Kühle der Stimme verbreitet (vielleicht ein wenig auch wegen nachlassender Flexibilität der Stimme). Beide Interpretinnen berühren mit diesen Liedern den Zuhörer ganz stark! Flagstad war mit Sibelius ja öfters veröffentlicht, die Nilsson meines Wissens sei Plattenzeiten nur als Download.

    CD 11:
    Auch die (mir bis dato unbekannte) Aufnahme der 5ten mit Gibson und dem LSO klingt nach sehr einem weiteren Gemeinschaftsprojekt der RCA (Equipment) mit Decca. Denn so gut wie hier haben die frühen Stereo-Aufnahmen der Decca eigentlich nicht geklungen … Wie so oft: Allein schon durch die fantastische Klanglichkeit der Platte ist auch die Interpretation packend. Sehr viele Schattierungen, ein hochkonzentriertes Spiel des LSO, perfekt eingefangene Orchesterbalance. Eine hörenswerte Alternative! Grade habe ich mal recherchiert: Zu ziemlich heftigen Preis (fast dem Preis der ganzen Box hier!) ist genau diese Platte hier (mit der Karelia-Suite) auch als Decca Legends zu haben.

    - - - - - -

    Warum sollte der Kenner und Sammler, der eben vielleicht schon fast alle diese Einspielungen hat, die Box kaufen?

    Die Neuüberspielung des Sinfonie-Zyklus und der Tondichtungen mit Anthony Collins rechtfertigt allein schon vollkommen den Erwerb diese Veröffentlichung! Beulahs Digitaltransfers hatten etwas „Anheimelndes“ – man spürte, dass da eine Vision, eine Aussicht auf etwas ganz besonders war, das aber klangtechnisch sich noch nicht ganz zeigen wollte.

    Die Ausgabe von Eloquence Australia zog dann die Patina von den perfekten Monoeinspielungen, aber leider in dem bei den VÖs des Labels meist üblichen etwas angestrengten und scharfen Klangbild. Dennoch ist und war das eine gute VÖ und in gewisser Weise ein Fortschritt zu Beulah.

    Nun die hier besprochene Neuausgabe, die den Namen absolut verdient! Die CD-Transfers der Collins-Aufnahmen sind eine Erfüllung: In den Höhen unbeschnitten, voll in den Bässen, klar und farbig in den Höhen – und nicht klingt scharf oder anstrengend. Natürlich war das Klangbild von Decca damals kristallklar und direkt (zu der Zeit bestimmt völlig ungewohnt), aber im Gegensatz zur Eloquence Autralia Ausgabe auch mit runder Fülle und Tiefe!
    In dieser Box hier erklingt der Zyklus noch präsenter, näher, farbiger und feiner in den Details als bei Eloquence. Zudem wurden kleinere Mängel, die noch die Eloquence Ausgabe „zierten“, gut eliminiert – z.B. das Problem mit der Tonhöhe in den ersten Sekunden des Final-Satzes der 1ten. Einen ganz großen Dank an Pascal Byrne, der die Chance des Hebens dieses einmaligen Schatzes für solch eine hervorragende Umsetzung auf CD genutzt hat!

    Die anderen VÖs sind keine Neuüberspielungen, wobei es dennoch irgendwelche Frequenzbearbeitungen zu geben scheint. Bei der 5ten mit Tuxen ist am Anfang in der ein paar Monate alten Ausgabe der schon erwähnten großen Decca-Box deutlich Bandrauschen zu hören, was in der hier besprochenen Ausgabe fast völlig eliminiert wurde. Mich persönlich hat das nicht gestört. Der Höreindruck ist mit dem eingesetzten Filter etwas weiter weg. Die Decca-Box klingt hingegen etwas rauer aber auch differenzierter. Aber die Unterschiede bewegen sich alle auf sehr hohem Niveau.


    PRÄSENTATION

    Eine optisch ansprechende sehr stabile Box – erfreulicherweise nicht mich Papierhüllen für die 11 CDs wie so oft bei Decca, sondern mit ausreichend stabilen Papphüllen mit Werk- und Trackangaben samt Künstlern. Spielzeiten und ausführliche Produzentenangaben finden sich im übersichtlich gestalteten Textheft. Zudem ein paar Künstlerfotos und fünf Seiten deutschen Text, auch mit einigen Worten zu Anthony Collins.

    FAZIT

    Wer die Aufführungen oder nur einen kleinen Teil davon nicht kennt und keine Scheu vor sehr gut klingendem Mono hat – unbedingt zugreifen!
    Wer den Collins-Zyklus noch nicht hat – unbedingt zugreifen!
    Wer bezüglich Decca-Sibelius „up to date“ ist, (z.B. die Decca-Box mit Monoaufnahmen hat), für den ist hauptsächlich die Sinfonien-Ausgabe wegen der hervorragenden Überspielung interessant.

    Wie auch immer: Allein die Vier Cs mit den sieben Sibelius-Sinfonien und ein paar Tondichtungen mit Collins, die Jensen CD mit der Lemminkäinen-Suite, die 2te mit Monteux und die seltene Nilsson sind die 50.-€ Anschaffungspreis allemal wert.
    Symphonien Nr.2,5,7,8 Symphonien Nr.2,5,7,8 (CD)
    04.07.2015
    Booklet:
    2 von 5
    Gesamteindruck:
    4 von 5
    Klang:
    3 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    3 von 5

    ein weiterer Schritt in der Rezeption von Hans Rosbauds Bruckner

    Von Hans Rosbaud wurden die letzten Jahre einige Schallplattenproduktionen und Rundfunkmitschnitte veröffentlicht - mit dem RSO Köln (WDR), aus Berlin und manche seine Aufführungen mit den SFW S.O. Baden-Baden (vorneweg bei „Hänssler“ und „ica“, aber auch „Archipel“ und beim semiprofessionellen, aber gute Quellen nutzenden französischen Labels „forgotten records“).
    Bei all diesen erfreulichen Aktivitäten: erst ein kleines Tor ist geöffnet. Allein mit dem SWF Orchester gäbe es eine Unzahl an großartigen Rundfunkproduktionen - z.B. einige Haydn Sinfonien und ein ganzer Brahms Sinfonien Zyklus).

    Bezüglich Bruckner mussten die Hörer lange auf ordentliche Veröffentlichungen warten, als Zusammenstellung im Grunde bis zu dieser Box hier. Die Zweite war noch gar nicht auf den CD-Markt und die Fünfte noch nicht gut klingend veröffentlicht. Die Achte gab es - „fassungslos“ machend! - in einer von Urania um 10 Minuten gekürzten (warum nur???) Ausgabe. Die Siebte gab es als sehr gute Stereo-Ausgabe (die Einspielung ist original in Stereo aufgenommen!) von Zyx, welche der hier vorliegenden (dennoch guten) vorhandene Mono-Ausgabe vorzuziehen ist.

    Es gibt beim SWR aber auch Aufzeichnungen der Dritten, Vierten, Sechsten und anscheinend auch Neunten, welche nicht in dieser Box enthalten sind. Insofern ist es zu hoffen, dass z.B. Hänssler mal eine Bruckner-Box mit allen Einspielungen Hans Rosbauds veröffentlicht, abgenommen von den originalen Rundfunkbändern …
    Hier eine Zusammenstellung:

    ROSBAUD DIRIGERT BRUCKNER - MIR BEKANNTE ERHALTENE TONDUKUMENTE

    Hier sind die Fassungen mit den Aufnahmedaten:

    Sinfonie Nr. 2 c-moll WAB 102 (Haas-Fassung 1938: Grundlage 1877-Fass. mit Teilen der 1872-Fass.)
    H. Rosbaud / SWF S.O. (Andromeda / 10+13.12.1956 Baden-Baden)

    Sinfonie Nr. 3 d-moll WAB 103 (Fassung 1889 <1888/89>, Ed.: L.Nowak 1959)
    H. Rosbaud / SWF S.O. (Arkadia - SWF / 17.12.1960)

    Sinfonie Nr. 4 Es-Dur „Romantische“ WAB 104 (1881 <1878/80>, Ed.: R.Haas 1936)
    H. Rosbaud / SWF S.O. (World Music Express / 20.5.1961)

    Sinfonie Nr. 5 B-Dur WAB 105 (Fassung 1878, Ed.: L.Nowak 1951 fast identisch mit Haas-Ausgabe)
    H. Rosbaud / SWF S.O. (Andromeda / 21.10.1953 Baden-Baden)

    Sinfonie Nr. 6 A-Dur WAB 106 (Fassung 1881, Ed.: Hass oder Nowak?)
    H. Rosbaud / SWF S.O. (Rundfunk / 1961)

    Sinfonie Nr. 7 E-Dur WAB 107 (Originalfassung 1885, Ed.: R.Haas 1944)
    H. Rosbaud / SWF-Orchester Baden-Baden (Andromeda / 27+30.12.1957 Loffenau)

    Sinfonie Nr. 8 c-moll WAB 108 (Mischfassung 1887/90, Ed.: R.Haas 1939)
    H. Rosbaud / SWF S.O. (Andromeda / 17.11.1955 Baden-Baden)

    Sinfonie Nr. 9 d-moll WAB 109 (Fassung ?)
    H. Rosbaud / SWF S.O. (diese existierende Aufnahme ist mir nicht bekannt)

    HANS ROSBAUD DIRIGIERT BRUCKNER

    Hans Rosbaud ist als Dirigent allem „Absichtsvollen“ abhold. Das schlägt sich auch in den verwendeten Tempi nieder, die tendenziell eher moderat sind. Die Achte ist mit 72:30 min auf der schnelleren Seite, die Siebte (63 min) und die Fünfte (fast 76 min) in der Wahl der Tempi moderat und die Zweite mit über 60 min Spielzeit deutlich bei den breiteren Lesarten. Ähnlich wie bei Eduard van Beinum entsteht auch bei Rosbaud im Zügigen nirgends das Gefühl von Hetze oder Unverständnis bezüglich der Proportionen der Musik.

    Der österreichische Dirigent, der sich so sehr für die neue Musik eingesetzt hat, findet zu Bruckner einen scheinbar ganz natürlichen Zugang. Die sublimierten Ländler liegen ihm genauso wie das Meditative oder Visionäre. Die Vorstellung über die Aussage des Werks ist ganz klar und manchmal sehr berührend, z.B. am Ende des Adagios der Zweiten, wo der Anfang des Satzes wieder erscheint.
    Natürlich gibt es Augenblicke, bei denen man die Grenzen des Rundfunkorchesters spüren kann, aber für Rosbaud spielt das SWF S.O. immer überzeugend, mit ganzem Einsatz und großer Liebe zur Musik.

    AUFNAHMETECHNIK MASTERINGS UND EDITORISCHES

    Das 24Bit/96KHZ-Remastering von Archipel ist durchaus akzeptabel bis gut gelungen. Der Klang der Aufnahmen ist erstaunlich wenig unterschiedlich (1953-57), was doch auf eine deutliche klangliche Bearbeitung der Quellen schließen lässt.
    Die 2te, 5te und 8te sind Rundfunkproduktionen des SWF, die 7te eine Schallplattenproduktion des Labels Vox. Der Klang ist monaural (wie gesagt – die Siebte ist eigentlich in Stereo produziert).
    Überall ist ein durchsichtiges Klangbild mit etwas (nicht störendem) Bandrauschen zu hören, im Frequenzgang eingeschränkt, aber ausgeglichen (z.B. kein Dröhnen von Pauken) und in guter Orchesterbalance. Die Rundfunkaufnahmen klingen ein wenig „eingesperrt“ und flach, aber nach ein zwei Minuten hat man sich ganz eingehört.

    Meiner Erfahrung nach würde aber eine autorisierte VÖ unter Verwendung der Originalbänder (falls noch vorhanden?) nochmal eine deutliche Verbesserung des Klangs bewirken. Angesichts der eher zügigen Spielzeiten ist keine der vier Sinfonien auf zwei CDs verteilt ist. Hänssler könnte einen "Fast-Zyklus" als 8-CD-Box „Rosbaud dirigiert Bruckner“ herausgeben …

    Die Jewelcase-Box ist in der schlichten Schwarzweiß-Aufmachung typisch für das Label Andromeda. Es gibt keine Text, aber ein Faltblatt mit Tracks, Spielzeiten der Sätze und Datum und Ort der Aufnahmen.

    FAZIT

    Die Andromeda 4 CD-Box ist zumindest ein weiterer Schritt zur Rezeption der des Dirigenten Hans Rosbaud, der ein ganz natürliches Gespür für Bruckner hatte. Schon Angesichts der herausragenden künstlerischen Qualität und des Preises von weit unter 20 Euro auf jeden Fall empfehlenswert. Den fünften Stern behalte ich mir aber einer offiziellen Veröffentlichung von optimalen Quellen durch ein autorisiertes Label vor, möglichst von allen erhaltenen Aufnahmen … : - )

    - - - - -

    Über ein Feedback (Bewertung JA oder NEIN, Kommentar - wie und welcher Art entscheiden natürlich SIE!) zu meinen Bemühungen des Rezensierens würde ich mich freuen! Lesen Sie gern auch andere meiner weit über 200 Klassik-Besprechungen mit Schwerpunkt "romantische Orchestermusik" (viel Bruckner und Mahler), "wenig bekannte nationale Komponisten" (z.B. aus Skandinavien), "historische Aufnahmen" und immer wieder Interpretationsvergleiche und für den Kenner bzw. Interessierten meist Anmerkungen zum Remastering!
    Leonard Bernstein Edition - Concertos & Orchestral Works Leonard Bernstein Edition - Concertos & Orchestral Works (CD)
    30.06.2015
    Booklet:
    2 von 5
    Gesamteindruck:
    3 von 5
    Klang:
    3 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    4 von 5

    Entscheidungshilfe - und einen Stern Abzug wegen des Remasterings

    Diese Besprechung soll dem Einsteiger und besonders Kenner bei der Entscheidung helfen, ob diese Box für ihn „notwendig“, „sinnvoll“ oder „überflüssig“ ist – und das unter verschiedenen Gesichtspunkten.

    FÜR UND WIDER

    Natürlich ist der Preis sehr verlockend!
    Natürlich sind einige der Aufnahmen ansonsten (z.T. schon lange) nicht mehr erhältlich - zumindest auf dem „ersten Markt“. Second-hand ist aber das meiste noch (zu sehr unterschiedlichen Preisen) zu bekommen.
    Natürlich hat man hier eine einheitliche optisch ansprechende Aufbereitung des ganzen sinfonischen Bernsteins – außer den Sinfonien und den großen Chorstücken – und seine Konzertaufnahmen als Begleiter und Solist.

    Aber es gibt auch Schwachstellen der VÖ:

    FORMAT UND UNTERBRINGUNG

    Ein meines Erachtens ganz „profanes“ Minus der Bernstein-box: Das Format der Verpackung!
    Natürlich können die Besitzer von LPs den „ganzen Konzert und Orchesterstücke Bernstein“ jetzt auf unglaubliche 7 cm Dicke ins Regal stellen und somit einen gefühlten Meter originale Schallplatten entsorgen. – aber wer tut das schon? Es wird auch nicht mehr allzu viele LP-Regale in Verwendung geben, um diese Box ordentlich zu patzieren …

    Übrigens: Diejenigen, welche LPs zum Vergleich herausziehen, weil sie wirklich wissen wollen, wie der qualitative Unterschied ist, werden diese vielleicht gar nicht mehr aussortieren wollen – dazu später bei MASTERING mehr …

    Platztechnisch befinden sich die CDs notgedrungen in Papphüllen. Diese sind schwarz und sehr stabil, mit farbiger wechselnder Schrift (so in etwa nach Epochen). Auch die „Rückenansichten“ (also die schmale Seite!) der quasi Mini-LPs sind gut zu lesen, was bei einem platzsparenden Einsortieren der einzelnen CDs entscheidend ist.

    Die Covers zieren schwarzweiße Fotos von Lenni, welche aus dem Zeitraum der Columbia-Aufnahmen stammen.
    Die Angaben auf den Rückseiten sind relativ spartanisch, aber ausreichend.

    Jetzt stellt sich die Frage: Wie die CDs einsortieren, dass man das schnell findet, was man sucht?
    Die Box mit dem (für mich abstoßend billig wirkenden) schwarzen Plastikeinsatz ist archivarisch ein Desaster!
    Ich will da gar nicht näher drauf eingehen. Jeder der das Teil in der Hand gehabt hat und z.B. das Poulenc Doppel-Konzert sucht, der weiß, von was ich spreche. Die Box dient tatsächlich nur als „Verpackung zum Verschicken“.

    Also: Wohin mit den CDs in den Papphüllen? Da der Rücken einigermaßen gut lesbar ist, bietet sich eine alphabertische Einsortierung ins Regal an. Jetzt tritt aber das Problem zu Tage, dass die Papphüllen wesentlich kürzer sind als normale Jewelcases – es kann also eine Bernstein-CD schnell sich nach hinten schieben und so verschwinden.
    Gut, man kann die Bernstein komplett lassen und sehen, ob man einen nicht verwendeten Schuber einer Groß-Box als Umhüllung hernimmt, der ins normale CD-Regal passt. Denn PASSEN tut die CD-Box von Sony eigentlich nirgend hin …

    Die vielen Worte über die Box und deren Unterbringung mögen dem einen oder anderen übertrieben erscheinen. Wenn diejenigen die Box selbst besitzen, werden sie anders darüber denken … : - )

    Apropos Mini-LP: Es handelt sich hier (leider - eine verpasste Chance!) nicht um Ausgaben mit originalen LP-Covers und auch nicht originalen Zusammenstellungen der Aufnahmen (dafür aber mit ehrhöhten Spielzeiten als bei den LPs, was die Anzahl der CDs deutlich verringert hat).

    REPERTOIRE

    Fast jegliche Aussage über „Bedeutung“ und „Wichtigkeit“ einer Interpretation ist ein verstecktes „mog isch“ oder „mog isch ned“ (Zitat Badesalz). Wenn man als empathischer Leser und aufmerksamer Mensch oft Rezensionen liest, dann kann man anhand des Vergleichs mit eigenen Einschätzungen bzw. Erfahrungen mit der Zeit schon ein Gespür dafür bekommen, was die persönliche Meinung eines Rezensenten für die eigene Einschätzung einer Aufnahme bedeuten könnte.
    Deshalb wage ich hier bei einem Teil der CDs eine Sternchenvergabe (pro CD und bisweilen auch bei Titeln).
    Diese „Wertungen“ beziehen sich AUSSCHLIESSLICH auf die originale Aufnahme, nicht auf das Remastering hier. Dazu später mehr. Die nicht bewerteten CD und Stücke sind mir zu einem kleineren Teil nicht bekannt, zum größeren Teil aber nicht unbedingt erwähnenswert. *** drei Sterne bedeutet übrigens ein sehr ordentlich, also empfehlenswert. Alles darunter habe ich weggelassen.

    **** CD 1: J. S. Bach: Konzerte BWV 1042, 1060R & 1052 - Vivaldi: Konzert RV 443
    **** CD 2: Barber: Violinkonzert - Bartók: Konzert für Orchester
    *** CD 3: Bartók: Klavierkonzert Nr. 2 & 3
    **** CD 4: Bartók: Konzert für 2 Klaviere, Percussion und Orchester - Violinkonzert Nr.2
    ***** CD 5: Berg: Violinkonzert "To the Memory of an Angel" u.a.
    CD 6: Beethoven: Klavierkonzert Nr. 1 & 2
    CD 7: Beethoven: Klavierkonzert Nr. 3 & 4
    CD 8: Beethoven: Klavierkonzert Nr. 3 & 5
    **** CD 9: Beethoven: Violinkonzert - J. S. Bach: Konzert für 2 Violinen
    CD 10: **** Berlioz: Harold en Italien - Chausson: Poeme - Ravel: Zigane
    CD 11: Brahms: Klavierkonzert Nr. 1
    CD 12: Brahms: Klavierkonzert Nr. 2
    CD 13: Brahms: Violinkonzert - Sibelius: Violinkonzert
    **** CD 14: Copland: Klavierkonzert - Schuman: Concerto on Old English Rounds u.a.
    CD 15: Liszt: Klavierkonzert Nr.1 - Ravel: Klavierkonzert in G-Dur u.a.
    CD 16: Mozart: Klavierkonzert Nr. 15 & 17
    CD 17: Mozart: Konzert für 2 Klaviere - Konzert für 3 Klaviere - Eine kleine Nachtmusik
    CD 18: Mozart: Klavierkonzert Nr. 25 - Schumann: Violinkonzert
    CD 19: Mendelssohn: Violinkonzert - **** Schumann: Cellokonzert
    **** CD 20: Nielsen: Flötenkonzert - Klarinettenkonzert - Hindemith: Violinkonzert
    CD 21: Rachmaninov: Klavierkonzert Nr. 2 - Prokofiev: Violinkonzert Nr. 2
    CD 22: **** Saint-Saëns: Klavierkonzert Nr. 4 - Debussy
    **** CD 23: Shostakovich: Klavierkonzert Nr. 1 & 2 - Poulenc: Konzert für 2 Klaviere
    CD 24: R. Strauss: Don Quixote - Stravinsky: Konzert für Klavier und Blasinstrumente
    CD 25: Tchaikovsky: Klavierkonzert Nr. 1 - Rachmaninoff: Klavierkonzert Nr. 2
    CD 26: Tchaikovsky: Klavierkonzert Nr. 1 - Dvorák: Klavierkonzert
    *** CD 27: Vivaldi: Die vier Jahreszeiten - Konzert RV 558 - ***** Oboenkonzert RV 454 u.a.
    CD 28: Tchaikovsky: Violinkonzert
    **** CD 29: Barber: Adagio for Strings - Bartók: Musik für Streicher, Percussion und Celesta u.a.
    CD 30: Beethoven: Leonore Nr. 3 - King Stephen - Fidelio - Egmont u.a.
    **** CD 31: Berlioz: Benvenuto Cellini: Overture - Le Carnival romaine - ***** Romeo und Julia (Auszüge)
    CD 32: Bernstein: The Age of Anxiety - Facsimile
    CD 33: Bernstein: The Age of Anxiety - Serenade
    ***** CD 34: Bernstein: Candide: Overture - Tänze aus West Side Story - Fancy Free u.a.
    CD 35: Bernstein: Prelude, Fuge and Riffs - Three Dance Episodes from On the Town u.a.
    CD 36: Bernstein: Dybbuk
    **** CD 37: Bizet: Carmen Suite Nr. 1 & 2 - L'Arlésienne Suite Nr. 1 & 2
    CD 38: Offenbach: Gafté Parisienne - Ouvertüren von Suppé, Hérold und Thomas
    CD39: Brahms: Festival Overture - Serenade Nr. 2 - Haydn Variationen u.a.
    **** CD 40: Britten: The Young Person's Guide to the Orchestra - Four Sea Interludes u.a.
    CD 41: Copland: Appalachian Spring - Billy the Kid - Fanfare for the Common Man
    CD 42: Copland: Music for the Theatre - Connotations for Orchestra u.a.
    CD 43: Debussy: Images pour orchestra - Pavane pour une infante défunte - Ravel: Ma mere l'Oye
    CD 44: Debussy: La Mer - Prélude a l'aprés-midi d'un faune - Jeux - Nocturnes
    CD 45:Dvorák: Carnival Overture - Slawische Tänze 1 & 3 - Smetana: Die Moldau
    CD 46: Chabrier: España - El amor brujo - De Falla: La vida breve: Interlude und Dance i.e.
    *** CD 47: Gershwin: Rhapsody in Blue - An American in Paris - Grofé: Grand Canyon Suite
    CD 48: Grieg: Peer Gynt Suite Nr. 1 & 2 u.a. - Sibelius: Valse triste - Finlandia u.a.
    *** CD 49: Hindemith: Sinfonische Metamorphosen i.e. - Honegger: Pacific 231 - Rugby u.a.
    CD 50: *** Holst: Die Planeten - Elgar: Pomp and Circumstance March No.1
    ***** CD 51: Ives: The Unanswered Question - Holidays Symphony - Central Park in the Dark u.a.
    CD 52: Mussorgsky: Bilder einer Ausstellung u.a. - Dukas: the Sorcerer's Apprentice
    CD 53: Prokofiev: Peter und der Wolf - Saint-Saëns: Karneval der Tiere - Danse macabre
    CD 54: Prokofiev: Peter und der Wolf (mit Erzählung)- Saint-Saëns: Karneval der Tiere (mit Erzählung)
    CD 55: Ravel: Boléro - Alborada del gracioso - La Valse - Rapsodie espagnole
    CD 56: Ravel: Boléro - La Valse - Rapsodie espagnole - Alborada del gracioso
    CD 57: Ravel: *** Daphne und Chloe - La Valse
    CD 58: Respighi: Pini die Roma - Feste romane - ***** Sibelius: Luonnotrar - ***** Pohjola's Tochter
    CD 59: Rimsky-Korsakov: Scheherazade - Capriccio espagnol
    CD 60: Rossini: Overture: Barbier von Sevillia u.a. - Franz von Suppé: Leichte Kavallerie u.a.
    CD 61: R. Strauss: Also sprach Zarathustra - Till Eulenspiegels lustige Streiche - Don Juan
    CD 62: J. Strauss II: An der schönen blauen Donau u.a. - J. Strauss: Radeztky Marsch u.a.
    CD 63: R. Strauss: Festival Prelude - Salome - **** Stravinsky: Pulcinella
    CD 64: Stravinsky: Le sacre du printemps – Petrushka (LSO)
    CD 65: Stravinsky: **** Le sacre du printemps (NYP) - L'Oiseau de feu
    CD 66: Tchaikovsky: Romeo und Julia - Capriccio italien - Francesca da Rimini u.a.
    CD 67: Tchaikovsky: Overture 1812 - Hamlet - Andante cantabile u.a.
    CD 68: Tchaikovsky: Nussknacker-Suite - Schwanensee - Eugene Onegin: Polonaise u.a.
    CD 69: Wagner: Musik aus "Der fliegende Holländer" - Lohengrin - Die Walküre u.a.
    CD 70: Wagner: Tannhäuser: Ouvertüre u.a. - Tristan und Isolde: Vorspiel und Liebestod
    CD 71: Russische Meister: Borodin - Mussorgsky - Schostakovich u.a.
    CD 72: Copland - Carter - Brubeck u.a.
    CD 73: Copland - Guarnieri - V. Williams - Milhaud u.a.
    *** CD 74: Ligeti - Feldman - Dallapiccola u.a.
    *** CD 75: Amerikanische Meister
    CD 76: Rhapsodien: Liszt - Brahms - Mozart u.a.
    CD 77: Ouvertüren: Mozart - Nicolai - J. Strauss II u.a.
    *** / **** CD 78: Ouvertüren: Mendelssohn - Schubert - Schumann u.a.
    CD 79: Tänze aus Opern: Gounod - Verdi - Tchaikovsky u.a.
    CD 80: Große Märsche: Meyerbeer - Mendelssohn - Verdi u.a.

    Man kann also sehen, dass - zumindest meines Erachtens - von der „Ausbeute“ her die Box einen ordentlichen Anteil an gelungenen, sehr gelungenen und exzellenten Aufnahmen enthält:

    Es gibt noch einen anderen Aspekt des Repertoires Leonard Bernsteins:
    Ein gewisser Teil der Einspielungen (für mich persönlich vielleicht 10 bis 20 Prozent) ist deutlich „weniger geglückt“ als seiner großen oder zumindest sehr guten Einspielungen. Natürlich ist auch DAS persönliche Geschmackssache, aber dennoch erwähnenswert. Bei den oben erwähnten Boxen von Monteux, Reiners, Boulez und Stokowski taucht dieses Problem nicht auf.

    MASTERING

    Das Kernstück jeder Widerveröffentlichung ist für den Sammler oder Kenner das Remastering von analogen (und mittlerweile auch digitalen!) Aufnahmen.

    Die Remasterings sind angesichts dessen, was Sony / RCA die letzten Jahre an sehr guten bis ausgezeichneten Überspielungen von historischen Aufnahmen (zu denen man die Bernstein Columbia Aufnahmen jetzt ja schon zählen muss) zustande gebracht hat, doch eher enttäuschend. Reiner, Monteux, Boulez, Stokowski sind in puncto liebevollem Digital-Transfer und auch Handling, Auffind-Möglichkeiten der Werke und Daten eine andere Liga!

    Folgende Editionen bzw. teil-Editionen sind mittlerweile auf dem CD-Markt erschienen:
    - Die erste Großausgabe auf CD war die „Royal Edition) – mit teils ordentlichen, teils schlechtem verhallten Remastering.
    - Mehrere Teilausgaben (Bernstein Century u.a.) um die Jahrtausendwende waren sehr ordentlich - m.E. bis jetzt die besten Veröffentlichungen im großen Stil.
    - Die aktuelle hier besprochene Gesamtausgabe ist im Ergebnis unterschiedlich – durchweg besser als der größere Teil der Royal Edition, aber manche Aufnahmen klingen wieder weniger transparent als die Ausgaben der späten 90ziger und frühen 2000er Überspielungen.

    Es wurde bei diesen Bearbeitungen (denn jegliche Remasterings sind effektiv „Bearbeitungen“ verschiedenen Grades – mal mehr mal weniger hörbar) nicht so sehr mit Hall wie bei der Royal Edition gearbeitet, aber leider sehr auf „modern“ rauschfreies Klangbild. Dadurch werden die Besonderheiten des NYP geglättet, Atmosphäre genommen und mehr räumliche Distanz geschaffen. Das oftmals problematische Klangbild der Columbia-Aufnahmen mit dem NYP wird so nicht besser – ganz im Gegenteil …

    Der Vergleich mit den LPs – auch deutschen Pressungen – fällt oft deutlich zugunsten der CBS- oder Columbia-Platten aus. Das ist eine klare Wahrnehmung und somit auch Aussage …

    TEXTHEFT

    Das großformatige Textheft ruft bei mir keine Begeisterungsstürme hervor. Neben der unpraktischen Box ist auch hier kein guter Weg gefunden wurden, alles übersichtlich zu Suche zu gestalten und alle wichtigen Angaben aufzufinden.
    Die Aufmachung ist mir zu „einfach“ – Schrift, Text … alles irgendwie auf „populär“ getrimmt …

    FAZIT

    Gefühlt die Hälfte der Columbia-Aufnahmen Bernsteins sind durchaus wichtig für die Schallplattengesichte und auch heute noch absolut hörenswert. Ein nicht ganz kleiner Teil ist allerdings auch aus verschiedenen Gründen entbehrlich. Die Remasterings sind von akzeptabel bis sehr gut – das ginge sicherlich besser.
    Dann ist da noch die Sache mit dem missglückten Konzept der Box.
    Die Anschaffung der hier besprochenen Box ist trotz des sehr guten Preises m.E. nur für Bernstein-Verehrer sinnvoll, die alle Columbia-Aufnahmen des Maestros hören wollen. Solange Sony sich nicht eines besseren besinnt, sollte man eher bei den Einzelausgaben zugreifen.

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    Über ein Feedback (Bewertung JA oder NEIN, Kommentar - wie und welcher Art entscheiden natürlich SIE!) zu meinen Bemühungen des Rezensierens würde ich mich freuen! Lesen Sie gern auch andere meiner weit über 200 Klassik-Besprechungen mit Schwerpunkt "romantische Orchestermusik" (viel Bruckner und Mahler), "wenig bekannte nationale Komponisten" (z.B. aus Skandinavien), "historische Aufnahmen" und immer wieder Interpretationsvergleiche und für den Kenner bzw. Interessierten meist Anmerkungen zum Remastering!
    Symphonien Nr.1-9 Symphonien Nr.1-9 (CD)
    28.06.2015
    Booklet:
    1 von 5
    Gesamteindruck:
    3 von 5
    Klang:
    3 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    3 von 5

    Gut und doch nicht ganz dem Mythos entsprechend - Mastering nicht optimal

    Der Name Wand ist in der breiten musikalischen Öffentlichkeit 'erst' in den 80ziger Jahren angekommen. Das ERST deshalb in Anführungszeichen, weil dieser Dirigent eigentlich schon seit der 50ziger Jahre hätte bekannt sein sollen. Günter Wand (1912-2002) war aber ein sehr bescheidener Musiker, den nur die Arbeit am Werk, aber nicht - salopp gesagt - der 'Rummel drum herum' interessiert hat.

    Wands erster Bruckner-Zyklus (eigentlich sein einziger, da die ersten zwei Sinfonien nicht nochmals eingespielt hat) entstand in der Jahren von 1974 bis 1981. Hier im Detail, mit genaueren Angaben als bei der neuen CD-Box (2010):

    DIE VERWENDETEN FASSUNGEN UND PRÄZISE AUFNAHMEDATEN

    Sinfonie Nr. 1 c-moll WAB 101 ('Wiener' Fass.1891, Bruckners eigene Revision, Ed.: G.Brosche 1980)
    G. Wand / Kölner RSO (WDR-S.O.) (RCA - HM / 11.12.1981 Sendesaal Köln)

    Sinfonie Nr. 2 c-moll WAB 102 (Haas-Fassung 1938: Grundlage 1877-Fass. mit Teilen der 1872-Fass.)
    G. Wand / Kölner RSO (WDR-S.O.) (RCA - HM / 5.12.1981 Sendesaal Köln)

    Sinfonie Nr. 3 d-moll WAB 103 (Fassung 1889 <1888/89>, Ed.: L.Nowak 1959)
    G. Wand / Kölner RSO (WDR-S.O.) (RCA - HM / 17.1.1981 Sendesaal Köln)

    Sinfonie Nr. 4 Es-Dur 'Romantische' WAB 104 (1881 <1878/80>, Ed.: R.Haas 1936)
    G. Wand / Kölner RSO (WDR-S.O.) (RCA - HM / 10.12.1976 Sendesaal Köln)

    Sinfonie Nr. 5 B-Dur WAB 105 (Fassung 1878, Ed.: R.Haas 1935 fast identisch mit Nowak-Ausgabe)
    G. Wand / Kölner RSO (WDR-S.O.) (RCA - HM / 7.7.1974 Sendesaal Köln)

    Sinfonie Nr. 6 A-Dur WAB 106 (Fassung 1881, Ed.: L.Nowak 1952)
    G. Wand / Kölner RSO (WDR-S.O.) (RCA - HM / 25.8.1976 Sendesaal Köln)

    Sinfonie Nr. 7 E-Dur WAB 107 (Originalfassung 1885, Ed.: R.Haas 1944)
    G. Wand / Kölner RSO (WDR-S.O.) (RCA - HM / 18.1.1980 Sendesaal Köln)

    Sinfonie Nr. 8 c-moll WAB 108 (Mischfassung 1887/90, Ed.: R.Haas 1939)
    G. Wand / Kölner RSO (WDR-S.O.) (RCA - HM / 28.5.+2.6.1979 Sendesaal Köln)

    Sinfonie Nr. 9 d-moll WAB 109 (Originalfassung 1894, Ed.: L.Nowak 1951)
    G. Wand / Kölner RSO (WDR-S.O.) (RCA - HM / 10.6.1979 Sendesaal Köln)

    TEMPI

    Wands Bruckner aus Köln ist durchaus zügig, aber nicht schnell oder verhetzt. Interessant ist der Spielzeiten-Vergleich mit dem zeitgleich entstandenen zweiten Zyklus von Jochum bei der EMI. Jochum galt und gilt immer noch als ein Dirigent, der bei Bruckner das 'Weihevolle' betonte und breite Tempi nahm - für mich beides ein kolportierter Mythos:

    SPIELZEIT-VERGLEICH VON WAND (RCA/HM) UND JOCHUM (EMI)

    Wand / Kölner RSO (RCA/HM) -- Jochum / Staatskapelle Dresden (EMI-Zyklus)

    1te 48:15 min - 47:05 min
    2te 58:57 min - 52:38 min
    3te 55:05 min - 55:13 min
    4te 64:22 min - 65:05 min
    5te 74:38 min - 77:28 min
    6te 53:27 min - 56:21 min
    7te 64:50 min - 69:27 min
    8te 76:05 min - 81:47 min
    9te 58:26 min - 61:00 min

    Interessant finde ich, dass Wand im Vergleich eher breit beginnt und zu den späteren Sinfonien hin gegenüber Jochum schneller wird (Ausnahme ist die Achte). Das sind aber Zahlen, die nur bedingt etwas über den Höreindruck aussagen.

    HISTORISCHE BEDEUTUNG

    Wie Jochums zwei Zyklen (besonders der erste der DG) liegt die Bedeutung des Zyklus mit Wand auch im Historischen. Es waren die einzigen deutschen Gesamtaufnahmen und ansonsten gab es auch nur Haitink mit Concertgebouworkest bei Philips. Die Sicht aller drei Dirigenten war - bei jedem auf seine Weise - modern und in sich geschlossen. Auch Klemperer, Schuricht und andere pflegten schon ein unromantisches Bruckner-Bild, aber man empfand sie noch als Dirigenten des Wandels und zudem spielten sie nicht alle Sinfonien ein. Die Zyklen von Inbal und Karajan kamen erst ein paar Jahre später und da war auch schon der Zauber des 'Neuen' vergangen. Inbal setzte als erster Dirigent einer ganz neuen Generation von Brucknerdirigenten sowieso in ganz anderer Weise einen Akzent: mit den Erstfassungen der Dritten, Vierten und Achten ' und einer ersten fertig gestellten Aufführungsversion des Finales der Neunten.

    TENDENZEN DER INTERPRETATION

    Wand sieht Bruckner als Sinfoniker. Punkt. Damit ist eigentlich schon das meiste gesagt. Alle 'Zusätze' waren für ihn 'Firlefanz'. Die Sichtweise eines Celibidache, Thielemann oder Tintner sind quasi das andere Ende der Wurst (wobei diese dann einige Enden haben müsste). Struktur, Linie, Zusammenhänge, der große Bogen, investive und auch dramatische Interpretation - das war sein Credo! Und das in ausgewogenen und eher zügigen Tempi'

    PRÄFERENZEN

    Persönlich würde ich folgende besondere Empfehlungen geben: Die Erste (auch wegen der Wiener Fassung), die Achte (ein Werk, dass Wand besonders lag) und die Neunte (dessen modernen Aspekte Wand besonders herausstellte).
    Die Zweite ist gut, hat aber doch auch in dieser Lesart mittlerweile manche Konkurrenz. Warum die Fünfte (die erste Einspielung dieses Zyklus) umgehend den Deutschen Schallplattenpreis erhalten hat, ist mir zumindest vom heutigen Stand aus nicht mehr nachvollziehbar. Eine gute klare und sehr bewusste Einspielung, ein sehr tänzerisches Scherzo ' zweifelsohne. Aber der langsame Satz hat nicht allzu deutliche Gestalt und man spürt im letzten Satz doch sehr die Grenzen der Kraft des Kölner RSO, besonders im Blech, das ein wenig 'plärrt' Möglicherweise ist es das, was manche mit 'scharfem Klang' und 'Bläserüberbetonung' meinen. Es ist aber nicht als der eben etwas unedle Klang dieser Gruppe bei besonders anstrengenden Stellen.
    Ich werde jetzt nochmal intensiv die 3te, 4te, 6te und 7te hören und evtl. Infos / Empfehlungen nachreichen.

    PARTITURTREUE

    Wand wird ein äußerst genauer Umgang mit der Partitur und den darin enthaltenen Spielanweisungen nachgesagt, was auch durchaus zutrifft. Dennoch bergen auch Wand Interpretationen durchaus Eigenwilligkeiten - meist in zusätzlichen dynamischen Veränderungen oder Zusätzen, um die Dramatik der Musik zu steigern. Hier möchte ich nur zwei Beispiele anhand des kurzen Scherzos der zweiten Sinfonie anführen, welche leicht aufzufinden und auch ohne Partiturstudium gut zu hören sind:
    Sinfonie Nr. 2, Scherzo Takt 46-47 ein starkes dem laufenden ForteFortissimo aufgesetztes zusätzliches Crescendo, Takt 73-74 ein starkes cresc. und decresc. in der von Bruckner nur mit Piano angegeben Dynamik.

    AUFNAHMETECHNIK

    Die Aufnahmen wurden vom WDR gemacht von der Harmonia Mundia als LP (und später als Sublabel der EMI als CD) veröffentlicht, dann wurde die Harmonia Mundi von der RCA übernommen und die Wand Einspielungen aus Köln fanden auf CD eine weitere Verbreitung (weiße und dann grüne Box). Mittlerweile ist die RCA von der Sony geschluckt, welche den Bruckner-Zyklus von Wand nochmals überarbeitete - und m.E. wie alle anderen Ausgaben der Billigreihe 'Masters' 'verschlimmbessert'.
    Die Aufnahmen an sich sind sehr ordentlich. Ich kann die Kritik mancher Rezensenten nicht nachvollziehen, die hier zu weit hervorgehobene Blechbläser oder eine übermäßige Schärfe des Klangs hören. So klang halt das Kölner RSO ' Vielleicht ist auch der eine oder andere von der 'flauschigen' Filterei vieler Digitalaufnahmen verdorben. Ich dachte die Karajan-Zeiten seien vorbei ' aber anscheinend kehrt alles wieder: Aufrüstung, Drachme, 'Watte-Klassik' '
    Ich höre auch keine Digitalisierungseffekte bei der grünen Box ' welche ich persönlich unbedingt favorisiere.

    VERGLEICH DER DREI VERÖFFENTLICHUNGEN DIESES ZYKLUS

    Der Vergleich der Ausgaben ist wichtig als Orientierung für den Käufer:

    Für Käufer, die ein weiches, ganz leicht verhangenes und etwas distanzierteres Klangbild wünschen, ist die weiße Box der Erstausgabe auf CD (1989) zu empfehlen (ASIN: B000026PLM). Alle Sinfonien (10 CDs) sind je auf einer CD ' außer der auf zwei CD verteilten Achten.
    Mit Textheften, in einzelnen Jewelscases und Pappschuber.

    Für Käufer, die es sehr klar und farbig möchten mir guter Ortung der Instrumente, aber auch etwas 'aggressiverem' Klang (welcher wohl dem aufgenommenen Orchester genau entspricht), der sollte die grüne Box (2002) nehmen ' leider nur noch relativ teuer (in Deutschland über 60.- Euro) zu haben (ASIN: B000063X5K). Alle Sinfonien (9 CDs) sind auf einer CD, außer der Achten, die hier zusammen mit der Neunten auf eine Doppel-CD verteilt ist.
    Mit Textheften, in einzelnen Jewelscases und Pappschuber.

    Wer weniger Geld ausgeben möchte und sich nicht an einem etwas sehr direkten Klangbild stört, der kann ruhig bei der sehr günstigen aktuellen Ausgabe (2010) zugreifen (ASIN: B0042U2HLY)
    Ohne Texte, in schmaler Pappbox, 9 CDs in Papphüllen. Eine eher 'billige' Aufmachung

    FAZIT

    Günter Wands (einziger) kompletter Zyklus der Brucknersinfonien ist - wie so vieles - eine Frage des persönlichen Geschmacks, der Platzes (bei der weißen Box), des Geldbeutels (bei der grünen Box) und der Notwendigkeit.

    Ich persönlich liebe den Zugang zu einem Werk über viele verschiedene Interpretationen - und da ist Wand bei den Zyklen ebenso ein 'Eckstein' wie Jochum, Skrowaczewski oder Tintner.

    Wer das Wesen jedes einzelnen der Werke mit langem Atem und intuitiv finden möchte, der kann es auch Stück für Stück mit sehr verschiedenen Einzelaufnahmen versuchen. Wand Sicht ist sehr absolut sinfonisch, durchaus modern, klar - und manchmal etwas direkt und nüchtern. Das ist per se weder gut noch schlecht, sondern eben EINE mögliche Sichtweise.

    - - - - -

    Über ein Feedback (Bewertung JA oder NEIN, Kommentar - wie und welcher Art entscheiden natürlich SIE!) zu meinen Bemühungen des Rezensierens würde ich mich freuen! Lesen Sie gern auch andere meiner weit über 200 Klassik-Besprechungen mit Schwerpunkt "romantische Orchestermusik" (viel Bruckner und Mahler), "wenig bekannte nationale Komponisten" (z.B. aus Skandinavien), "historische Aufnahmen" und immer wieder Interpretationsvergleiche und für den Kenner bzw. Interessierten meist Anmerkungen zum Remastering!
    2 Kommentare
    Anonym
    05.09.2021

    Bruckner Dirigenten

    Für weitere hervorragende Bruckner Dirigenten, würde ich noch Takashi Asahina und Hiroshi Wakasugi empfehlen.
    Anonym
    07.08.2020

    Bruckner Sinfonien Bewertung

    Ich bedanke mich sehr herzlich für die fundierten Ausführungen.Die Bruckner-Boxen werden zwar weniger, dennoch ist es schwer sich für die auf dem Markt verfügbarer Ausgaben zu entscheiden.
    Durch Ihre Bwertung fiel mir die Wahl sehr leicht !!
    Symphonie Nr.2 Symphonie Nr.2 (SACD)
    25.06.2015
    Booklet:
    5 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    4 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    5 von 5

    „für spätere Zeiten bestimmt“ – für heute?!

    Die Zweite c-moll ist chronologisch nach der Studiensinfonie“ f-moll, der Ersten (dem „kecken Beserl“) c-moll und der “Annullierten“ (Nullten) d-moll Bruckners vierte Sinfonie. Sie ist nach wie vor ein weit unterschätztes Werk und zudem das Werk Bruckners, dessen (hier vorliegende) phantastische Erstfassung das Publikum zuletzt kenne lernen konnte.

    Zu Beginn eine kleine Aufstellung von vier der Einspielungen (welche ich selbst besitze und somit kenne), die es mittlerweile von der Erstfassung der Zweiten Bruckner gibt:

    Sinfonie Nr. 2 c-moll WAB 102 (Urfassung 1872, Ed.: W.Carragan)

    G. Tintner / National Symphony Orchestra of Ireland (Naxos / 16+17.9.1996 Dublin)
    S. Young / Philharmoniker Hamburg (Carragan 2005) (Oehms / live 12+13.3.2006 Laeiszhalle Hamburg)
    G. Schaller / Philharmonie Festiva (live Profil / Juli 2011)
    Blomstedt / Gewandhausorchester Leipzig (Carragan 2005) (Querstand / 9+10.3.2012 Leipzig)

    Auch wenn es bei der Zweiten nicht so viele Einspielungen wie bei der Dritten und Vierten sind: Es wird hier dennoch deutlich, dass die Zeit des vorsichtigen Kennenlernens der stark abweichenden Erstfassungen vorbei ist (auch bei dieser eigentlich zuletzt entdeckten bzw. W.Carragan rekonstruierten Urfassung) und diese sich wachsender Akzeptanz und Beliebtheit erfreuen, auch unter Dirigenten.

    - - - - -

    Auch in der Zweiten (wie bei der Dritten) hält sich Blomstedt im Umgang mit den Tempi offensichtlich möglichst genau an Bruckners Angaben (außer einem vielleicht etwa sehr zügigen Adagio – aber durchaus noch im Rahmen). Tintner, Young und Schaller sind da im Kopfsatz wesentlich „moderater“ (also ungenauer) und somit im „Tempo-Ausdruck“ mehr bei der immer noch häufiger gespielten Zweitfassung.
    Denn: Bruckner favorisiert bei der Zweiten in der Erstfassung zügigere bis schnelle, in der zweiten Fassung eher gemäßigte bis langsame Tempi. Hier sind die Änderungen der hier eingespielten Erstfassung von 1872 zur zweiten Fassung von 1977, die nicht nur die Tempi, sondern sogar die Reihenfolge der Binnensätze betreffen:

    Kopfsatz: Aus „Allegro. Ziemlich schnell“ wird „Moderato“, also gemäßigt.

    Scherzo (mit langsamen Satz vertauscht): Aus „schnell“ wird „mäßig schnell“.

    Langsamer Satz (mit Scherzo vertauscht): Aus „Adagio. Feierlich, etwas bewegt“ wird „Andante. Feierlich etwas bewegt“

    Nur das „Finale. Mehr schnell“ des Finales bleibt bestehen.

    - - - - -

    DER KOPFSATZ . . .

    … ist einer der originellsten Kompositionen Bruckners – nicht nur wegen der eigentümlichen Generalpausen, welche die Themen gliedern und dem Werk den manchmal verwendeten Beinamen „Pausensinfonie“ gegeben haben. Wie in der davor entstandenen annullierten Sinfonie gibt es thematisch nicht gleich eine klare Aussage. Nur bei der „Nullten“ war Bruckner in Absicht einer Entwicklung der Musik „aus dem Nichts“ noch konsequenter, sodass der Dirigent Dessoff bei der Durchsicht des Werks die Frage stellte, wo denn das Hauptthema sei.
    Die vorbereitenden Klänge („Medium“), die außer bei der „Studiensinfonie“ f-moll in allen Sinfonien erscheinen, sind auch in der Zweiten vorhanden und setzen sich ähnlich wie bei der „Nullten“ konsequent in dem tastenden unstet suchenden Hauptthema selbst fort. Die Idee der organischen Entwicklung eines Werks scheint den Komponisten schon damals verfolgt zu haben.

    Blomstedt ergreift dieses „ziemlich schnell“ und dennoch gerät der Satz an keiner Stelle hektisch. Alle Facetten, Bögen und Spannungen sind neben der melancholischen und dennoch feurigen Grundstimmung erlebt.

    DIE REIHENFOLGE VON SCHERZO UND LANGSAMEN SATZ

    Hörer, die nur die häufiger gespielte zweitfassung kennen, werden beim „Track 2“ erst einmal ihren Ohren nicht trauen. In der Erstfassung sind zuerst das Scherzo und dann der langsame Satz zu hören! Die Vertauschung von Scherzo und Adagio (in der Zweitfassung Andante!) sind im Verständnis des Werks eine harte Nuss – ähnlich gravierend wie die Umstellung der Binnensätze in Mahlers Sechster. Wie auch hier scheint die Bedeutung des Finales ausschlaggebender Punkt gewesen zu sein. Beide Komponisten sind anscheinend an einem Punkt der Überlegungen überzeugt gewesen zu sein, dass die in beiden Sinfonien besonders meditativ und weltentrückt geratenen Adagio bzw. Andante dem Finale vorangestellt diesem noch mehr Gewicht, Bedeutung und „Durchschlagskraft“ geben. Mahlers endgültige Entscheidung dazu ist mittlerweile eindeutig geklärt: das „Andante moderato“ soll der zweite Satz sein! – auch wenn das durch die verwirrende Rezeptionsgeschichte immer noch mehrheitlich nicht befolgt wird und auch nicht jedem recht einleuchten will ...
    Von Bruckner gibt es keine Aussagen dazu, warum er zu der konventionellen Form mit Scherzo als dritten Satz zurückgekehrt ist. Vielleicht hat es doch etwas mit der Suche nach Akzeptanz zu tun (woran Mahler nicht viel Gedanken verschwendete) und somit der Vermeidung von „unnötigen“ Extravaganzen.

    Jedenfalls erscheinen durch die Umstellung der Binnensätze sowohl der Kopfsatz im „hörenden Rückblick“ als auch das Finale in der Folge auf den vorhergehenden Satz in anderem Licht. Interessant ist, dass sowohl bei Mahlers Sechster als auch bei Bruckners Zweiter das Finale nicht einfach beginnt, sonder bei Mahler eine deutlich gewichtige langsame Einleitung und bei Bruckner einen sehr langgezogenen steigernden Aufbau (im Gegensatz zur Ersten und Dritten) hat. In beiden Fällen ergibt das gefühlsmäßig sozusagen nochmal eine kurze „Verschnaufpause“ vor „finaler Aktion“.

    FINALE

    Den Kenner der Sinfonie ist am meisten vom Finale der Erstfassung fasziniert, da die Abweichungen zur Zweitfassung dort am größten sind. Carragans Rekonstruktion erschließt „neue“, also bis dato nicht bekannte Kompositionsteile, die teilweise verstörend modern klingen. Da hört man schon hie und da Hans Rott und Gustav Mahler …
    Das Finale der Erstfassung ist nochmal etwas umfangreicher als der schon gewichtige vierte Satz der Zweitfassung. (bei Blomstedt mit 18:25 min Dauer der längste Satz der Sinfonie!) Bruckner war spätestens von der Ersten an besonders an der Lösung des Finales als Ziel und Kulminationspunkt jeder Sinfonie bemüht. Das gelang ihm m.E. nicht immer gleich überzeugend, aber in der Zweiten, Fünften und Achten sehe ich das genial umgesetzt.

    Blomstedt erkennt alle Aspekte und Möglichkeiten des Finales und setzt sie mutig (auch im Tempo) und auch wirklich virtuos um. Dank des wunderbar aufspielenden Gewandhausorchesters Leipzig. Punkt.

    KLANG UND EDITORISCHES

    Der Klang der hybriden SACD des Labels „Querstand“ (Kooperation mit dem Sender MDR) ist besser als bei der Dritten, nämlich sehr gut bis hervorragend. Das Panorama ist groß, das Klangbild klar und unverfärbt, aber die Nähe zu dem Orchester ist besser gelungen als bei Bruckners „Wagnersinfonie“.

    Es handelt sich um eine SACD mit Pappklappe, die Aufmachung ist schlicht, die Schrift hie und da für ältere Semester nicht allzu leicht zu lesen. Es gibt neun Seiten informativen Text über die Zweite und zudem jeweils zwei Seiten über den Dirigenten Blomstedt und das Gewandhausorchester Leipzig.
    Unglaublich, aber wahr: alle Daten zur Aufnahme wie Techniker, Ort und Datum wurden vergessen! Ein Fehler der Seitenverteilung bei der Herstellung?

    FAZIT

    Die Erstfassung der Zweiten Bruckner liegt hier in einer maßstabsetzenden Einspielung vor. Blomstedts Interpretation ist meines Erachtens persönlicher und aussagekräftiger als bei der Dritten geraten. Möglicherweise liegt es auch an dem hier noch etwas präsenter eingefangenen Orchesterklang oder auch mit daran, dass die Dritte noch heikler zu gestalten ist. Eine großartige Referenzaufnahme der Zweiten von 1872 aus dem Jahr 2012 !

    - - - - -

    Über ein Feedback (Bewertung JA oder NEIN, Kommentar - wie und welcher Art entscheiden natürlich SIE!) zu meinen Bemühungen des Rezensierens würde ich mich freuen! Lesen Sie gern auch andere meiner weit über 200 Klassik-Besprechungen mit Schwerpunkt "romantische Orchestermusik" (viel Bruckner und Mahler), "wenig bekannte nationale Komponisten" (z.B. aus Skandinavien), "historische Aufnahmen" und immer wieder Interpretationsvergleiche und für den Kenner bzw. Interessierten meist Anmerkungen zum Remastering!
    Symphonie Nr.3 Symphonie Nr.3 (SACD)
    25.06.2015
    Booklet:
    4 von 5
    Gesamteindruck:
    4 von 5
    Klang:
    3 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    4 von 5

    Erstfassung aus konventioneller(?) Sicht

    Zu Beginn eine kleine Aufstellung von zehn der Einspielungen (welche ich selbst besitze und somit kenne), die es mittlerweile von der Erstfassung der Dritten Bruckner gibt:

    Sinfonie Nr. 3 d-moll WAB 103 (Urfassung 1873, Ed.: L.Nowak 1977)

    E. Leinsdorf / Chicago Symphony Orchestra (Lucky Ball priv / 8.12.1983 Orchestra Hall Chicago)
    R. Norrington / The London Classical Players (EMI / Sept 1995 Abbey Road Studio 1 London)
    G. Tintner / Royal Scottish National Orchestra (Naxos / 31.8.+1.9.1998 Glasgow)
    K. Nagano / Deutsches Sinfonie-Orchester Berlin (Harmonia Mundi / März 2003 Studio NIG Berlin)
    J. Nott / Bamberger Symphoniker (Tudor / 2-4.12.2003 Joseph-Keilberth-Saal Bamberg)
    S. Young / Philharmoniker Hamburg (Oehms / live 14-16.10.2006 Laeiszhalle Hamburg)
    R. Norrington / RSO Stuttgart (Hänssler SWR / 22.5.2007 Beethovensaal Liederhale Stuttgart)
    H. Blomstedt / Gewandhausorchester Leipzig (Querstand / 23-24.9.2010 Leipzig)
    J. Nott / Hochschulorch. Basel &Junge Philh. Zentralschweiz (Priv. / live 4.11.2011)
    R. Ballot Altomonte Orchester St.Florian (Gramola / live 23.8.2013 St.Florian)

    Es wird somit deutlich, dass die Zeit des vorsichtigen Kennenlernens der stark abweichenden Erstfassungen längst vorbei ist (übrigens auch bei der Zweiten, Vierten und Achten) und diese sich wachsender Akzeptanz und Beliebtheit erfreuen - auch unter Dirigenten.

    - - - - -

    Was nach zwei drei Minuten Höreindruck klar ist: Blomstedt betrachtet die Erstfassung (von 1873) der Bruckner Dritten als ein romantisches Werk. Damit ist keine Wertung verbunden – ich meine damit noch nicht einmal, dass sein Dirigat irgendeiner romantischen Attitüde huldigt. Aber anders als Norrington, Gielen oder Nott (jeder auf ganz eigene und unterschiedliche Weise), welche das Revolutionäre der ganz neuen Dimension dieser Sinfonie hervorheben, lässt Blomstedt die Musik sich so entwickeln, wie er empfindet, dass sie es allein aus sich heraus tun sollte. Das Ergebnis ist bei Ihm dann eben eine große Sinfonie mit romantischem Klang und romantischer Gefühlswelt (durchaus Begriffe auf sehr dünnem Eis). Und ist dies denn nicht das höchste Lob für einen Dirigenten: das selbstlose und uneitle Dienen gegenüber dem Werk?

    Wenn es sich um eine Sinfonie Mozarts, die Brahms Zweite oder Strawinskys Sinfonie in drei Sätzen handeln würde, dann würde ich voll zustimmen. Vielleicht auch noch bei der Zweiten Bruckner (die Blomstedt übrigens überragend gut gelungen ist!) – aber bei seiner Dritten, der „Wagnersinfonie“? Ich beantworte die Frage nicht sondern betrachte erst einmal die ganze Sinfonie unter dem Aspekt von Tempomodifikationen.

    ERSTER SATZ

    Der Kopfsatz entspinnt sich bei Blomstedt mit majestätischer Ruhe und kaum einem Drang nach vorne. Das kann gut mit Bruckners Angabe (alle meine Belege entstammen der vom Dirigenten verwendeten Nowak-Ausgabe von 1977) „gemäßigt, misterioso“ vereinbart werden. Außer dieser Angabe gibt es kaum eine Anweisung, die sich auf das Tempo bezieht – und ein „gemäßigt“ sagt auch nicht allzu viel aus… Im Takt 76 steht ein „ritenuto“ mit folgendem „Tempo I“, dann gibt es erst wieder im Takt 440(!) ein „ritardando“, gefolgt von „früheres Zeitmaß“ und kurz von Ende des Satzes bei Takt 705 „rubato“, bei Takt 710 für 11 Takte ein „langsamer“ (die erste wirkliche Tempoänderung!), gefolgt von „Tempo I“. Das ist in dem riesigen 746 Takte umfassenden Kopfsatz (der bei Blomstedt 23:06 min dauert) alles an Angaben!

    Blomstedt befolgt exakt das was in der Partitur steht, was der Musik die Ruhe eines reichen „Pflanzengartens“ gibt. Vielerlei Verzweigungen, Verwandlungen und Farben bei einer großen Konstanz des Ganzen.

    ZWEITER SATZ

    Das Adagio ist zu Beginn im 4/4 Takt mit „feierlich“ überschrieben, aber schon bei Takt 33 gibt es einen Taktwechsel in eine ¾ Takt mit der Angabe „Andante“. In diesen neuen Abschnitt (bis Takt 129) gibt es nun eine Wechsel zu „langsamer, Misterioso“ dann wieder zurück zu Andante. Ab Takt 129 (als zweiter Anlauf) dann wieder Adagio im 4/4 Takt, ab Takt 161 den „Andante“ ¾ Takt, ab Takt 225 (als dritter Anlauf mit dem Höhepunkt und ruhigem Schluss) wieder Adagio im 4/4 Takt bis zum Ende.
    Dieser Satz ist also (im Gegensatz zum ersten Satz) durchsetzt und gegliedert von Takt- und Tempowechsel.

    Blomstedt schafft es, diese sichtbaren Brüche (die aber eher Stimmungswechsel sind) „selbstverständlich“ erscheinen zu lassen, vielleicht eben dadurch dass er sie als geschlossenes und dergestalt notwendiges Ganzes versteht und so der Höreindruck auch dem entsprechend ist.

    DRITTER SATZ

    Das Scherzo hat die Überschrift „ziemlich schnell“, das Trio ist mit „gleiches Zeitmaß“ benannt. Es gibt jede Menge Akzente, Dynamikangabe und andere Spielvorschriften, aber keine einzige(!) Tempomodifikation!

    Diese Grundangabe „ziemlich schnell“ befolgt Blomstedt durchaus, wobei er das „ziemlich“ als „nicht ganz schnell“ liest, wo Solti und andere es als „deutlich schnell“ verstehen. Worte sind und bleiben einfach missverständlich …

    VIERTER SATZ

    Das Finale hat in der Erstfassung 764 Takte – also 20 Takte mehr als der Kopfsatz! Somit ist die Dritte durchaus als „Finale-Sinfonie“ geplant, was anhand der (verstümmelnden) dritten Fassung von 1890 kaum mehr nachzuvollziehen ist.
    Die Anfangs Angabe ist „allegro“, aber ich erspare Ihnen hier die Aufzählung der Fülle der Tempo-Angaben von „Adagio“ bis „sehr schnell“. Der Satz ist extrem zerklüftet und in jeder Hinsicht sehr vielschichtig, bis zu der Tatsache, das wie später auch bei Ives, auch mal zwei Musiken gleichzeitig erklingen: eine Polka und ein Choral …

    Bei Blomstedt scheint das Finale als großer Kulminationspunkt. Die bescheidene Zurückhaltung kann – dank der Partitur *g* - der Dirigenten aufgeben und das Orchester alle Facetten seines Könnens zeigen, samt großer Virtuosität. Es ist nun gut verständlich, warum die Wiener Philharmoniker das Werk in dieser Fassung als „unspielbar“ abgelehnt hatten.

    DIE GROSSE FRAGE

    Ich stelle die offen gebliebene Frage nochmals anders: Genügt es bei einem „Gesinnungswerk“ wie der Dritten Bruckner nur der Partitur zu folgen, ohne etwas aus den eigenen Erkenntnissen des Verständnisses eben dieser Partitur als Verdeutlichung mit einfließen zu lassen? Muss die Haltung des Dirigenten zu dem Stück (womit ich nicht Zustimmung oder Ablehnung meine) in der Aufführung spürbar werden oder nicht?

    Meine Antwort: Vielleicht liegt das einzig und alleine an der Stärke des Dirigenten. Und den Fähigkeiten des Orchesters. Und natürlich am Glauben der Interpreten an die Wahrhaftigkeit und Tragfähigkeit der gespielten Musik …

    Und dem Mut des Hörers, sich darauf einzulassen. Insofern können sie nur selbst für sich entscheiden, ob das Konzept dieser noblen Aufführung aufgeht.

    KLANG UND EDITORISCHES

    Der Klang der hybriden SACD des Labels „Querstand“ (Kooperation mit dem Sender MDR) ist sehr gut. Das Panorama ist groß, das Klangbild klar und unverfärbt. Ich persönlich mag die heutigen (hier angewandten) Aufnahmephilosophie nicht so sehr, bei der dem man quasi im Konzertsaal sitzt – denn der Höreindruck im Saal (umfangen vom Klang mit zusätzlichen Augen zum „Hören“) ist ein anderer wie zuhause vor der Anlage. Ich bevorzuge mehr die Nähe früherer Aufnahmen mit mehr Präsenz der Instrumentengruppen, gern auch einem leichten Herausheben von Solistischem usw.

    Es handelt sich um eine SACD mit Pappklappe, die Aufmachung ist schlicht, die Schrift hie und da für ältere Semester nicht allzu leicht zu lesen. Es gibt sechs Seiten zur Entstehung der Dritten, drei Seiten zum musikalischen Verlauf der Sinfonie und zudem jeweils zwei Seiten über den Dirigenten Blomstedt und das Gewandhausorchester Leipzig.
    Das Textheft beinhaltet alle Daten zur Aufnahme wie Techniker, Ort und Datum.

    FAZIT

    Diese Einspielung der Bruckner Dritten mit Blomstedt ist - so unscheinbar sie erscheinen mag - doch wichtig, gerade weil sie so ganz und gar ohne „Verfärbungen“ die Partitur in Klang darstellt.

    - - - - -

    Über ein Feedback (Bewertung JA oder NEIN, Kommentar - wie und welcher Art entscheiden natürlich SIE!) zu meinen Bemühungen des Rezensierens würde ich mich freuen! Lesen Sie gern auch andere meiner weit über 200 Klassik-Besprechungen mit Schwerpunkt "romantische Orchestermusik" (viel Bruckner und Mahler), "wenig bekannte nationale Komponisten" (z.B. aus Skandinavien), "historische Aufnahmen" und immer wieder Interpretationsvergleiche und für den Kenner bzw. Interessierten meist Anmerkungen zum Remastering!
    Symphonien Nr.1-9 Symphonien Nr.1-9 (CD)
    25.06.2015
    Booklet:
    2 von 5
    Gesamteindruck:
    4 von 5
    Klang:
    3 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    3 von 5

    historisch wichtig und musikalisch überzeugend!

    Am bekanntesten wurde Eugen Jochum (übrigens wie ebenso sein nicht weniger kompetent dirigierender Bruder Georg Ludwig) durch sein Engagement für die Werke Bruckners. Hier liegt sein erster Zyklus der Sinfonien (DG, 1964 bis 1967) vor ' es gibt noch einen zweiten Zyklus von der EMI mit der Staatskapelle Dresden aus den Jahren 1975 bis 1980 und eine große Zahl an Einzelaufnahmen (u.a. mit dem Concertgebouworkest), von denen ein paar ganz herausragend sind - u.a. die 5te und 8te mit dem Concertgebouworkest.

    DER JOCHUM BRUCKNER-ZYKLUS BEI DER DG

    Die 1te, 4te, 7te, 8te und 9te sind mit den Berliner Philharmonikern, die 2te, 3te 5te und 6te ist mit dem S.O. des BR. Jochum hat nur die 9 von Bruckner gezählten Sinfonien eigespielt - also nicht die "Annulierte" ("Nullte") und auch nicht die Studiensinfonie f-moll.

    Ich möchte hier nicht auf die Werke an sich eingehen und auch nicht jede Interpretation im Einzelnen besprechen. Hervorheben möchte ich aber besonders die Einspielung der 1ten (bisweilen geringgeschätzt ' was mir völlig unverständlich ist) und der 4ten, 7te und 9te - auch die 3te, 5te und 8te haben starke Meriten.

    Jochum wird oftmals ein weihevoller und statischer Umgang mit Bruckner nachgesagt. Das ist ein hartnäckiges Vorurteil und ein Irrtum, wie jeder anhand der hier wiederaufgelegten Aufnahmen selbst nachvollziehen kann: Flexible Tempi, viel Feuer (z.B. in der 1ten und 8ten), durchaus Dramatik und Empfindungen aller Art.

    SPIELZEITEN ALS BELEG

    Objektive Angaben wie Spielzeiten sagen zwar kaum etwas über den Inhalt und die Stimmigkeit von Interpretationen aus, aber sie können zumindest zu Nachdenken anregen und pauschale Vororteile aufweichen helfen. Dazu hier ein Vergleich der Gesamtdauer der Sinfonien in folgender Reihenfolge der Einspielungen:

    Jochum DG-Zyklus - Jochum EMI-Zyklus - Einspielungen gleicher Fassung, die nicht im Ruf des 'Weihevollen' stehen.

    1te 47:19 min - 47:05 min - 47:15 min (Barenboim / CSO), 47:04 (Solti)
    2te 51:48 min - 52:38 min - 59:02 min (Skrowaczewski), 55:50 min (Solti)
    3te 53:14 min - 55:13 min - 53:52 min (Wand / NDR), 55:20 min (Skrowaczewski)
    4te 64:35 min - 65:05 min - 70:32 min (Skrowaczewski), 66:31 min (Sawallisch / Philadelphia)
    5te 76:51 min - 77:28 min - 73:08 min (Harnoncourt), 79:30 min (Solti)
    6te 55:05 min - 56:21 min - 58:10 min (Solti), 56:53 min (Skrowaczewski)
    7te 67:56 min - 69:27 min - 68:36 min (Solti / CSO), 68:45 min (Skrowaczewski)
    8te 74:15 min - 76:05 min - 74:15 min (Solti / CSO), 82:00 min (Szell)
    9te 60:47 min - 60:44 min - 61:00 min (Solti), 61:00 min (Horenstein / BBC S.O.)

    Der Vergleich der beiden Zyklen Jochums zeigt, dass die Tempi 10 Jahre späte unmerklich ruhiger geworden sind, was die eine und andere hektische oder unklare Stelle (wie im ersten Zyklus vorhanden) vermeiden hilft. Von einer echten Verbreiterung oder Alterslangsamkeit kann keine Rede sein!

    Wie man anhand der Vergleichszeiten mit den anderen Dirigenten (die wahrlich nicht im Ruf stehen, einen weihevollen Bruckner zu zelebrieren!) unschwer sehen kann, bewegt sich Jochum in beiden Zyklen im durchschnittlichen Rahmen, oft sogar eher im kürzeren Bereich. Der Vergleich mit Celibidache, Ballot oder anderen 'Kathedralen-Tüftlern' ließe Jochum geradezu als 'Raser' erscheinen.

    Ich könnte mir sogar vorstellen, dass bei Jochum bisweilen der eine oder andere sogar eine innerlichere oder über das rein Musikalische hinaus erfahrbare Sichtweise vermisst, da dieser Dirigent nichts der absoluten Musik, was außerhalb dieser läge, hinzufügt.

    Jochum hat ein untrügliches Gespür für die Proportionen der Sinfonien Bruckners, für den logischen und dramatischen Aufbau, für die Thematischen Verflechtungen und die Vielfalt und (auch rhythmische) Kraft der Werke.

    Übrigens: Dass Jochum es mit Bruckners Glauben ernst ist, lässt sich an den drei eigespielten Messen, dem Te Deum und zehn Motetten leicht feststellen ' allerdings nicht in dieser Sinfonien-Box, sondern auf zwei Doppel-CDs der DG.

    DIE AUFNAHMEN

    Die (historische) Bedeutung dieser Aufnahmen liegt sowohl darin, dass es der erste Bruckner Zyklus auf Schallplatte war und - mindestens genauso bedeutend - erstmals alle Sinfonien in seriösen Fassungen ohne Fremdzusätze und frei von Romantizismen eingespielt wurden. Hier sind die Fassungen mit noch genaueren Aufnahmedaten als in der Box angegeben:

    Sinfonie Nr. 1 c-moll WAB 101 ('Linzer' Fassung, überarbeitet 1877, Ed.: L.Nowak 1953)
    E. Jochum / Berliner Philharmoniker (DG / 16-19.10.1965 Jesus-Christus Kirche Berlin)

    Sinfonie Nr. 2 c-moll WAB 102 (revidierte Fassung 1877, zweiter Druck: L.Novak 1965)
    E. Jochum / Sinfonieorchester des BR (DG / 29.12.1966 Herkules-Saal München)

    Sinfonie Nr. 3 d-moll WAB 103 (Fassung 1889 <1888/89>, Ed.: L.Nowak 1959)
    E. Jochum / Sinfonieorchester des BR (DG / 8.1.1967 Herkules-Saal München)

    Sinfonie Nr. 4 Es-Dur 'Romantische' WAB 104 (1886 <1878/80>, Ed.: L.Nowak 1953)
    E. Jochum / Berliner Philharmoniker (DG / Juni 1965 Jesus-Christus Kirche Berlin)

    Sinfonie Nr. 5 B-Dur WAB 105 (Fassung 1878, Ed.: L.Nowak 1951 fast identisch mit Haas-Ausgabe)
    E. Jochum / Sinfonieorchester des BR (DG / 8-15.2.1958 Herkules-Saal München)

    Sinfonie Nr. 6 A-Dur WAB 106 (Fassung 1881, Ed.: L.Nowak 1952)
    E. Jochum / Sinfonieorchester des BR (DG / 3.7.1966 Herkules-Saal München)

    Sinfonie Nr. 7 E-Dur WAB 107 (1885, Fassung mit einigen Änderungen Bruckners, pub. A.Gutmann)
    E. Jochum / Berliner Philharmoniker (DG / 10.10.1964 Jesus-Christus Kirche Berlin)

    Sinfonie Nr. 8 c-moll WAB 108 (Fassung 1890, Ed.: L.Nowak 1955)
    E. Jochum / Berliner Philharmoniker (DG / Jan.1964 Philharmonie Berlin)

    Sinfonie Nr. 9 d-moll WAB 109 (Originalfassung 1894, Ed.: L.Nowak 1951)
    E. Jochum / BR Sinfonie Orchester (DG / 22+23+27+28.11.1954)

    MASTERINGS UND EDITORISCHES

    Kurz gefasst: Die Digital-Transfers sind nicht herausragend, aber sehr ordentlich. Der Klang ist etwas "weiss" mit einem leichten Bandrauschen (tapehiss), aber dafür in der Höhe ganz offen. Keine der 9 Sinfonien ist auf zwei CDs verteilt.
    Die Box ist stabil, die Aufmachung schlicht mit einem m.E. sehr passenden SW-Foto aus St.Florian.

    FAZIT

    Verehrung für Eugen Jochums Kunst, Nostalgie, Neugierde auf ein Wiederhören mit den Entdeckungen der eigenen Vergangenheit, Überprüfen der Erinnerung, Interesse an der Rezeption Bruckners und den Aufnahmen dessen Sinfonien - Das sind gute Gründe, diese Box zu kaufen. Und - was mir am wichtigsten erscheint - das ehrliche Musizieren (ich verwende hier bewusst das verpönte Wort) mit Herz, Geist und Seele.
    Ein Kommentar
    Anonym
    28.07.2020

    Jetzt auch auf SACD

    Alle 9 Sinfonien dieses Zyklus' liegen nun in hochauflösender Form (SACD) vor:
    TowerRecords/PROC-2283/85 (Sinfonien 1-3)
    TowerRecords/PROC-2289/91 (Sinfonien 4-6)
    Sinfonien 7-9 liegen als SHM-SACD (Universal Japan) vor.
    (Vermutlich wird TowerRecords aber 7-9 auch selbst als 3. Volume, evtl. mit neuem Remastering der 7. Sinfonie, herausbringen.)
    Symphonien Nr.0-9 Symphonien Nr.0-9 (CD)
    24.06.2015
    Booklet:
    2 von 5
    Gesamteindruck:
    4 von 5
    Klang:
    3 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    3 von 5

    Barenboims „vergessener“ Bruckner in verbessertem Remastering!

    Georg Solti und das Chicago Symphony Orchestra – das verbindet der Klassik-Kenner umgehend mit Mahler und Bruckner. Bei Daniel Barenboim denkt man auch an Bruckner, aber mit dem CSO? - wohl doch eher mit den Berliner Philharmonikern … Und dennoch existiert schon seit Jahrzehnten ein Bruckner-Zyklus einschließlich „Annullierter“ (aber ohne f-moll Studien Sinfonie) mit Barenboim und dem CSO, 1972 bis 1980 von der Deutschen Grammophon (Di Dschi) aufgenommen!

    Warum so unbekannt? Wenig PR, damals war das CSO als absolutes Spitzenorchester in Deutschland noch nicht im allgemeinen Bewusstsein angekommen, Ressentiments gegen Barenboim als Dirigent (speziell als Bruckner-Interpret), einige Jahre später schon die Konkurrenz durch Solti mit dem CSO, noch später dann Barenboims eigene Konkurrenz mit den Berlinern zu seinen CSO-Einspielungen …

    Als der Zyklus bis 1981 Stück für Stück auf LP erschien, war ich zunehmend enttäuscht. Weniger wegen Barenboim und schon gar nicht wegen des wunderbaren Orchesterspiels, sondern wegen des von der DG „produzierten“ Klangs – auch und gerade bei den neueren Aufnahmen, von denen ich mir eher Verbesserungen erwartet hatte.

    Mein Höreindruck der meisten der LPs: Eher dünn mit blassen Bässen, kleiner Instrumentenklang (Mikeymouse-Sound), ohne „Blume“ (also ohne geschlossenem Orchesterklang - wohl mit aus dem Grund, weil 8 von den 10 Sinfonien in der damals extrem stumpf klingenden Orchestra Hall aufgenommen wurden) und mit wenig Dynamik.

    Die erste CD-Ausgabe als 10 CD Box (ASIN: B004RVKMO2) bestätigte (trotz leichte Verbesserungen in der Dynamik) den Eindruck, den die Platten auf mich hinterlassen hatten.

    Nun liegt hier der zweite Anlauf der DG einer CD-Box-Veröffentlichung vor – und siehe da: Noch immer klingen die problematischen der Sinfonien bei weitem nicht optimal, aber doch um so viel besser, dass man das Orchester, das da spielt, erahnen kann. Und das ist ja schon etwas …
    Der (kaum vorhandene) Raumklang ist präsenter, die Bässe sind klarer und runder und die Höhen klingen nicht mehr ganz so belegt. Die frühen Aufnahmen aus dem Medinah Temple (4te und 9te) klangen ja immer schon deutlich besser.

    DIE VERWENDETEN FASSUNGEN UND AUFNAHMEDATEN

    Hier sind die Fassungen mit den Aufnahmedaten (präziser als im Textheft!):

    Sinfonie Nr. 1 c-moll WAB 101 („Linzer“ Fassung 1866, überarbeitet 1877, Ed.: L.Nowak 1953)
    Barenboim / Chicago Symphony Orchestra (DG / Dez.1980 Orchestra Hall Chicago)

    Sinfonie d-moll „Annullierte“ WAB 100 (1869, Ed.: L.Nowak 1968)
    Barenboim / Chicago Symphony Orchestra (DG / März 1979 Orchestra Hall Chicago)

    Sinfonie Nr. 2 c-moll WAB 102 (Haas-Fassung 1938: Grundlage 1877-Fass. mit Teilen der 1872-Fass.)
    Barenboim / Chicago Symphony Orchestra (DG / März 1981 Orchestra Hall Chicago)

    Sinfonie Nr. 3 d-moll WAB 103 (Fassung 1878, Ed.: F.Oeser n. Stichvorlage 1880 - Scherzo ohne Coda)
    Barenboim / Chicago Symphony Orchestra (DG / Dez.1980 Orchestra Hall Chicago)

    Sinfonie Nr. 4 Es-Dur „Romantische“ WAB 104 (1881 <1878/80>, Ed.: R.Haas 1936)
    D. Barenboim / Chicago Symphony Orchestra (DG / Nov.1972 Medinah Temple Chicago)

    Sinfonie Nr. 5 B-Dur WAB 105 (Fassung 1878, Ed.: L.Nowak 1951 fast identisch mit Haas-Ausgabe)
    D. Barenboim / Chicago Symphony Orchestra (DG / 13.12.1977 Orchestra Hall Chicago)

    Sinfonie Nr. 6 A-Dur WAB 106 (Fassung 1881, Ed.: L.Nowak 1952)
    D. Barenboim / Chicago Symphony Orchestra (DG / Dez.1978 Orchestra Hall Chicago)

    Sinfonie Nr. 7 E-Dur WAB 107 (Fassung 1885, Ed.: L.Nowak 1954)
    Barenboim / Chicago Symphony Orchestra (DG / März 1979 Orchestra Hall Chicago)

    Sinfonie Nr. 8 c-moll WAB 108 (Mischfassung 1887/90, Ed.: R.Haas 1939)
    D. Barenboim / Chicago Symphony Orchestra ( DG / 9.12.1980 Orchestra Hall Chicago)

    Sinfonie Nr. 9 d-moll WAB 109 (Originalfassung 1894, Ed.: L.Nowak 1951)
    D. Barenboim / Chicago Symphony Orchestra (DG / Mai 1975 Medinah Temple Chicago)

    BARENBOIM FRÜHER BRUCKNER

    Barenboim hat schon Anfang der 70ziger als junger Dirigent bei der EMI Aufnahmen von Bruckners e-moll-Messe, der f-moll Messe und dem Te Deum eingespielt, die aber sehr umstritten waren und sind, da sie stark von einer extremen Sichtweise der geistlichen Chorwerke geprägt waren: stark wechselnde Tempi, eigenwillige Ritardandi und Accelerandi, Inhomogenität und wenig Stringenz von einzelnen Sätzen und Schwächen im Werkzusammenhang.
    Unter diesen „Anfangsschwächen“ leidet auch die eine oder andere der Sinfonien des DG-Zyklus, allerdings bei Weitem nicht mehr in dem Maße wie die Messen. In seinem (bisher) letzten Bruckner-Zyklus findet man n Barenboim einen sehr abgeklärten und versierten Bruckner-Dirigenten, der m.E. allerdings an schwer an Feuer und Vision eingebüßt hat. Bei dem Teldec-Zyklus finde ich übrigens die Zweite sehr gelungen.

    So gesehen ist der DG-Zyklus summa summarum vielleicht das Beste, was der Dirigent in puncto Bruckner auf Platte eingespielt hat. Das ist zum sehr großen Teil dem traumhaften Spiel des Chicago Symphony Orchestra zu verdanken, welches immer wieder (auch und gerade an ganz unverhofften Stellen!) völlig neue Klänge zaubert und eine bis dahin ungehörte Harmonik und Zusammenhänge verdeutlicht.
    Trotz der letztlich unbefriedigenden Aufnahmetechnik sind Farben im Zusammenklang und solistische Einzelleistungen zu hören, wie sie vielleicht nie mehr von einem Orchester erreicht werden …

    BRUCKNER MIT DEM CSO UNTER BARENBOIM UND SOLTI

    Soltis, der seinen Bruckner-Zyklus bei einer leichten Überschneidung quasi direkt im Anschluss an Barenboim einspielte, schaffte es nicht immer den Musikern die Finesse und Spielfreude wie Barenboim zu entlocken. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Ausnahmemusiker, besonders einige der Solisten (viele hatten noch unter Martinon, Reiner und manche wie der Tubist Jacobs und der Trompeter Herseth sogar noch unter Kubelik gespielt) nun langsam in deutlich gesetztes Alter kamen. Zudem ließ Solti den Streichern nicht die Liebe wie Barenboim angedeihen, was diese durchaus auch mit einem härteren und „drahtigeren“ Klang quittierten.

    Somit hat derjenige, der Ohren für das einmalige des CSO hat und auf CDs angewiesen ist, eine Möglichkeit: Innerlich beide Zyklen zu einem neuen vereinen – mit der Klangschönheit und der Phantasie der Musiker bei Barenboim und der klaren Struktur, der Stringenz und der Geschlossenheit der Anlage bei Solti …

    ODER: darauf hoffen, dass einst mal die paar unglaublich guten CSO Live-Bänder mit Solti (und auch Barenboim) auch auf Tonträger veröffentlicht werden!

    EDITORISCHES

    Die Box der Neuausgabe des DG-Zyklus von 2011 ist sehr stabil, die Aufmachung der Collectors Edition entsprechend. Die einzelnen CDs stecken in unbedruckten Papierhüllen.

    Es gibt zwei (!) Seiten deutschen Text mit einem Überblick von Christoph Schlüren und den Daten der Entstehung der Sinfonien. Auch hier wurde - wie bei Solti - die Stellung (im doppelten Sinne!) der „Annullierten“ zwischen der Ersten und Zweiten zumindest im Text richtig platziert wurde.

    Erfreulich: Keine der Sinfonien ist auf zwei CDs verteilt worden! Das Textheft beinhaltet alle Daten zur Aufnahme wie Techniker, Ort und Datum (Monat).

    FAZIT

    Barenboims Bruckner ist m.E. eine Alternative zu Solti, wenn man gern das CSO hört und dieselben Musiker 10 Jahre jünger erleben möchte : - ) … Ein Zyklus mit einigen Schwachstellen, aber auch sehr vielen Meriten!
    So gesehen wie bei Solti – und doch ganz und gar anders …
    Die hier besprochene Box ist 40 Euro durchaus wert – 50 Euro ist auch ok.

    - - - - -

    Über ein Feedback (Bewertung JA oder NEIN, Kommentar - wie und welcher Art entscheiden natürlich SIE!) zu meinen Bemühungen des Rezensierens würde ich mich freuen! Lesen Sie gern auch andere meiner weit über 200 Klassik-Besprechungen mit Schwerpunkt "romantische Orchestermusik" (viel Bruckner und Mahler), "wenig bekannte nationale Komponisten" (z.B. aus Skandinavien), "historische Aufnahmen" und immer wieder Interpretationsvergleiche und für den Kenner bzw. Interessierten meist Anmerkungen zum Remastering!
    Symphonien Nr.0-9 Symphonien Nr.0-9 (CD)
    24.06.2015
    Booklet:
    3 von 5
    Gesamteindruck:
    4 von 5
    Klang:
    3 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    3 von 5

    Eckstein der Brucknerinterpretation - besseres Remastering in den drei großen Korea-Boxen!

    Georg Solti und das Chicago Symphony Orchestra – das ist eine ca. 30 Jahre währende Erfolgsgeschichte, die in vielen Schallplatten-Einspielungen dokumentiert ist. Bis auf das Verdi-Requiem (RCA) sind alle diese Platten beim Label Decca entstanden, dem Solti Zeit seines Lebens treu blieb.
    Solti ist als Dirigent nicht unumstritten: Unbestreitbaren Vorzügen wie Stringenz, Kraft, Strukturbewusstsein und Klarheit (viele davon erreichen aber per se seine hervorragenden Orchester in London und besonders das CSO) stehen einer gewissen Fahrigkeit, Grobheit und manchmal auch wenig Poesie und Klangsinn (Streicher!) gegenüber.
    Decca unterstreicht in seiner Klangphilosophie einer eher direkten Tonabnahme mit vielen Mikrophonen noch zusätzlich das tendenziell Harte und Spitze seines Dirigats.

    SOLTI UND BRUCKNER – INTERESSANTES FÜR FANS UND KENNER

    Solti fand erst relativ spät zu Bruckner. Mitte der 60ziger ein erster Schallplattenversuch mit der 7ten und 8ten mit den Wiener Philharmoniker, dann erst wieder auf Platte (grade noch analog) die 6te mit Chicago Symphony Orchestra von 1979!
    Von 1965 existiert eine traumhafte Aufführung der 7ten als Gastdirigat bei dem CSO, ebenso mit diesem dann „seinem“ Orchester von 1978 live und unveröffentlicht die 7te aus Berlin, und nochmals die 7te live mit dem CSO aus der Royal Albert Hall (auf DVD). Die 6te gibt es ebenso aus der Orchestra Hall Chicago live von 1979 auf DVD.
    De weiteren existiert beim Rundfunk eine unveröffentlichte großartige live 5te (Gastspiel in NY – in Anwesenheit von Johannes Paul II) - und ebenfalls unveröffentlicht - die 7te von einem Gastspiel in Berlin anlässlich einer Europa-Tournee des CSO.
    Aus gleichem Anlass mitgeschnitten (und nicht veröffentlicht) wurden zwei Aufführungen der 4ten aus Salzburg – 1980 (als private VÖ bei sardana) und 1981.
    Ich selbst habe auf DAT 1993 die Dritte in Salzburg mitgeschnitten …

    WANDLUNGEN UND ECKSTEIN

    Soltis Beschäftigung mit Bruckner war also spätestens ab Ende der 70ziger intensiv und sein Interpretationsansatz entwickelte sich bis zu seinen letzten Aufführungen auch stetig. Ob einem diese Wandlung gefällt oder nicht – jedenfalls haben wir so eine Erste, „Annullierte“ und Zweite in einer zupackenden und dramatischen Sicht, wie sie – abgesehen von Volkmar Andreae - wohl kein anderer Dirigent je gewagt (oder gewollt) hat. Deshalb verwendete ich das Wort „Eckstein“, da es in diese Richtung tatsächlich nicht mehr weiter geht …
    Die Dritte ist m.E. in diesem aggressiven Ton misslungen, auch die Tontechnik hat hier leider keinen guten Tag gehabt.
    Die Achte ist eine echte Alternative. Die Vierte, Fünfte, Siebte und Neunte sind konventioneller interpretiert, aber ebenso mit klarer Struktur, die Sechste ist m.E. hervorragend gelungen.

    DIE VERWENDETEN FASSUNGEN UND AUFNAHMEDATEN

    Hier sind die Fassungen mit den Aufnahmedaten (präziser als im Textheft!):

    Sinfonie Nr. 1 c-moll WAB 101 („Linzer“ Fassung, überarbeitet 1877, Ed.: L.Nowak 1953)
    G. Solti / Chicago Symphony Orchestra (Decca / Febr.1995 Orchestra Hall Chicago)

    Sinfonie d-moll „Annullierte“ WAB 100 (1869, Ed.: L.Nowak 1968)
    G. Solti / Chicago Symphony Orchestra (Decca / live Okt.1985 Orchestra Hall Chicago)

    Sinfonie Nr. 2 c-moll WAB 102 (revidierte Fassung 1877, zweiter Druck: L.Novak 1965)
    G. Solti / Chicago Symphony Orchestra (Decca / Okt.1991 Orchestra Hall Chicago)

    Sinfonie Nr. 3 d-moll WAB 103 (Fassung 1877, Ed.: L.Nowak 1981 - Scherzo mit Coda)
    G. Solti / Chicago Symphony Orchestra (Decca / Nov.1992 Orchestra Hall Chicago)

    Sinfonie Nr. 4 Es-Dur „Romantische“ WAB 104 (1886 <1878/80>, Ed.: L.Nowak 1953)
    G. Solti / Chicago Symphony Orchestra (Decca / 27.1.1981 Orchestra Hall Chicago)

    Sinfonie Nr. 5 B-Dur WAB 105 (Fassung 1878, Ed.: L.Nowak 1951 fast identisch mit Haas-Ausgabe)
    G. Solti / Chicago Symphony Orchestra (Decca / Jan.1980 Medinah Temple Chicago)

    Sinfonie Nr. 6 A-Dur WAB 106 (Fassung 1881, Ed.: L.Nowak 1952)
    G. Solti / Chicago Symphony Orchestra (Decca / Juni 1979 Medinah Temple Chicago)

    Sinfonie Nr. 7 E-Dur WAB 107 (Fassung 1885, Ed.: L.Nowak 1954)
    G. Solti / Chicago Symphony Orchestra (Decca / Okt.1986 Medinah Temple Chicago)

    Sinfonie Nr. 8 c-moll WAB 108 (Fassung 1890, Ed.: L.Nowak 1955)
    G. Solti / Chicago Symphony Orchestra (Decca / Nov.1990 St.Petersburg)

    Sinfonie Nr. 9 d-moll WAB 109 (Originalfassung 1894, Ed.: L.Nowak 1951)
    G. Solti / Chicago Symphony Orchestra (Decca / Sept.+Okt.1985 Orchestra Hall Chicago)

    KLANG UND EDITORISCHES

    In der Einleitung habe ich schon manches Zum Decca-Klang und Solti gesagt. Die Streicher klingen auf diesen CDs manchmal etwas „vereinzelt“ oder dünn, das Blech (wie schon von anderen moniert) manchmal hart und äußerst direkt. Der Raumklang ist meist sehr schwach abgebildet.
    Alles diese Mankos sind zwar den Aufnahmen selbst inhärent, werden aber durch diesen Digital-Transfer hier nochmal verstärkt. Im Anhang versuche ich zu beschreiben, was bei den Koreanischen VÖs da deutlich besser gelungen ist.

    Die Box ist sehr stabil, die Aufmachung schlicht. Die einzelnen CDs stecken in Papierhüllen, die auf der Rückseite Werkangaben, Tracks und Gesamtspielzeit, aber keine Aufnahme-Daten zieren.

    Es gibt 11 Seiten deutschen Text mit ausführlicheren Angaben zu allen Sinfonien. Was mir persönlich sehr gefällt ist, dass die Stellung (im doppelten Sinne!) der „Annullierten“ zwischen der Ersten und Zweiten nun richtig platziert wurde.
    Die Fünfte ist leider unnötiger Weise (Spielzeit 79:30 min) auf zwei CDs verteilt worden. Das Textheft beinhaltet alle Daten zur Aufnahme wie Techniker, Ort und Datum (Monat).

    FAZIT

    Soltis Bruckner ist m.E. eine unverzichtbare frische Sicht (mit einer fast überall herausragenden Orchesterleistung) auf den österreichischen Meister, wenn auch nicht unproblematisch. Vieles ist sehr gelungen und wer die live-Aufnahmen nicht kennt (ist wohl kaum jemand!), der wird auch von der 4ten, 5ten, 6ten, und 7ten absolut überzeugt sein. Ich hoffe schon lange sehr darauf, die angesprochenen unveröffentlichten Mitschnitte mal offiziell herausgegeben und ordentlich remastert hören zu dürfen.
    Die hier besprochene Box ist mit 30 bis 40 Euro allemal ihr Geld wert – auch wenn es bezüglich Remastering eine Alternative gibt. Dazu nun mehr:

    - - - - -
    A N H A N G
    - - - - -

    DIE ALTERNATIVE: FÜR SNOBS ODER ABSOLUT VERRÜCKTE *g*

    Wer die Sinfonien Bruckners in optimalen Masterings hören möchte, der hat derzeit nur die Möglichkeit die drei in Korea veröffentlichten SOLTISSIMO-Boxen (Vol 2, 3 und 4) zu kaufen. Das ist eine echte Investition (knapp 150 CDs), die ihr Geld für den Verehrer von Soltis Kunst, der des CSO (vielleicht auch des LPO) aber in mehrerer Hinsicht wert ist:

    Es gibt hier alle sinfonischen Aufnahmen Soltis seit 1970, darunter den ganzen Beethoven (zweimal – analog und ca. 15 Jahre später digital) Brahms, Bruckner und Mahler mit dem CSO. Zudem Viel Haydn und Elgar mit dem LPO.

    Die Remasterings der analogen und digitalen (das scheint möglich!) Aufnahmen sind deutlich besser als bei allen vorausgegangenen Veröffentlichungen von Decca – dazu unten mehr.

    Wer Solti (und die originalen Cover und Zusammenstellungen der Platten) liebt, der kommt hier natürlich insgesamt am „platzsparendsten“ davon *g*

    Die Box „Soltissimo 2“ ist den analogen Aufnahmen 1970 bis 1979 gewidmet, „Soltissimo 3“ den digitalen Einspielungen von 1980 bis 1989 und „Soltissimo 4“ den restlichen von 1990 bis 1997. Alle drei bisher erschienenen Boxen enthalten ca. zwei Drittel CSO-Aufnahmen und ein Drittel andere, zumeist Londoner Produktionen.

    „Soltissimo 2“ ist meine Erachtens ein unbedingtes Muss für Menschen, die auf die ganz besondere Orchesterqualität des CSO hören. 90% der Analog-Digital-Transfers sind deutlich besser als das, was man von Decca und Europa und USA zu hören bekam. Zudem sind die Aufführungen die Spannendsten, das kann man im Groben so durchaus sagen.

    Hier die Zusammenstellung, was Bruckner anbetrifft – zudem in der chronologischen Reihenfolge der Aufnahmen:
    SOLTISSIMO 2 (58 CDs): 6te*****
    SOLTISSIMO 3 (57 CDs): 5te***, 4te****, 9te****, 7te****
    SOLTISSIMO 4 (39 CDs): 8te***, 2te****, 3te**, 1te,****

    DAS BESONDERE DER NEUEN DIGITAL-DIGITAL-TRANSFERS der Boxen „Soltissimo 3“ und „Soltissimo 4“

    Was ich in dieser Deutlichkeit nicht für möglich gehalten hätte: Auch wenn die Originale ja allesamt schon digital sind, so unterscheiden sich die Hörergebnisse der hier besprochenen koreanischen Transfers zumeist deutlich von allen anderen erhältlichen Ausgaben in Europa und USA.
    Ich habe ja eben die Aufnahmetechnik / Philosophie von Decca angesprochen, welche tendenziell eher isolierte Schall-Ereignisse zeigt und weniger ein homogenes Ganzes. Dies ist bei den koreanischen Transfers oftmals angenehm abgemildert. Es ist auffällig mehr Raumtiefe zu hören, welche schon per se einen homogeneren Klang erzeugt. Der Klangeindruck ist dunkler (Decca-Aufnahmen klingen ja im Mitten- und Höhenbereich sehr hell) und die hohen Streichen klingen runder und mehr als Klangkörper, nicht als wenige einzelne Geigen. Das halte ich für eine große Verbesserung der Aufnahmen - erreicht durch bessere Auflösung oder was auch immer… Übrigens sind auch die Bässe klarer und stabiler.
    Das kann natürlich nicht verhindern, dass an sich schon schlecht klingende Aufnahmen auch hier schlecht klingen - z.B. die Bruckner Dritte.

    - - - - -

    Über ein Feedback (Bewertung JA oder NEIN, Kommentar - wie und welcher Art entscheiden natürlich SIE!) zu meinen Bemühungen des Rezensierens würde ich mich freuen! Lesen Sie gern auch andere meiner weit über 200 Klassik-Besprechungen mit Schwerpunkt "romantische Orchestermusik" (viel Bruckner und Mahler), "wenig bekannte nationale Komponisten" (z.B. aus Skandinavien), "historische Aufnahmen" und immer wieder Interpretationsvergleiche und für den Kenner bzw. Interessierten meist Anmerkungen zum Remastering!
    2 Kommentare
    Anonym
    13.09.2016
    Danke für die informative Rezension, sie ist sehr hilfreich. Was mich aber sehr interessiert: Ist bei den drei in Korea veröffentlichten SOLTISSIMO-Boxen etwas über das Masteringverfahren vermerkt, oder vermuten Sie ein Mastering weil die Aufnahmen angenehmer klingen?
    Nochmals Danke und musikalische Grüße,
    Klaus
    Anonym
    27.06.2015

    unliebsame Wahrheiten

    Sorry - bei so einer Besprechung NICHT HILFREICH zu geben ist schlicht ohne Worte ... Wem die Aufnahmen nicht gefallen, der muss ja die CD-Box nicht kaufen. Ebenso muss nicht jeder meine Meinung oder meine Begeisterung teilen. Jedenfalls ist meine Besprechung engagiert, informativ, ausführlich und hoffentlich auch kompetent - und DARUM dreht es sich - nicht um eine persönliche Meinung!
    Hier scheint es sich ja um jemanden zu handeln, der einfach unliebsame Wahrheiten abstrafen will (die besseren Korea-CD-Transfers) - nur DAFÜR kann ich oder meine Rezension nichts .... :-)
    Was meinen Sie als Leser dazu? Sie können sich zumindest mit einen Klick oder einem Kommentar äußern.
    Eugen Jochum - The Symphonies Eugen Jochum - The Symphonies (CD)
    24.06.2015
    Booklet:
    3 von 5
    Klang:
    3 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    3 von 5

    Erinnerung und Neubewertung

    Zuerst einmal eine Korrektur: Die CD-Box „The Symphonies“ – Gesamtaufnahmen der DG von den Sinfonien Beethovens plus vier Ouvertüren, Brahms und Bruckner – mit dem Dirigenten Eugen Jochum und „seinem“ Sinfonieorchester des BR und den Berliner Philharmonikern umfasst nicht 17 CD wie bei Amazon angegeben, sondern 16 CDs.


    BRUCKNER

    Am bekanntesten wurde Eugen Jochum (übrigens wie ebenso sein nicht weniger kompetent dirigierender Bruder Georg Ludwig) wohl durch sein Engagement für die Werke Bruckners. Hier liegt sein erster Zyklus der Sinfonien (DG, 1964 bis 1967) vor – es gibt noch einen zweiten Zyklus von der EMI mit der Staatskapelle Dresden aus den Jahren 1975 bis 1980 und eine große Zahl an Einzelaufnahmen (u.a. mit dem Concertgebouworkest, besonders die 5te und 8te), von denen ein paar ganz herausragend sind.

    Die 1te, 4te, 7te, 8te und 9te sind mit den Berliner Philharmonikern, die 2te, 3te 5te und 6te ist mit dem S.O. des BR.

    Ich möchte (auch aus Platzgründen) hier nicht auf die Werke an sich eingehen und auch nicht jede Interpretation im Einzelnen besprechen. Hervorheben möchte ich aber besonders die Einspielung der 1ten (bisweilen geringgeschätzt – was mir völlig unverständlich ist) und der 4ten (trotz erdrückender Konkurrenz) - auch die 5te. 7te, 8te und 9te haben starke Meriten.

    Jochum wird oftmals ein weihevoller und statischer Umgang mit Bruckner nachgesagt. Das ist ein hartnäckiges Vorurteil und ein Irrtum, wie jeder anhand der hier wiederaufgelegten Aufnahmen selbst nachvollziehen kann: Flexible Tempi, viel Feuer (z.B. in der 1ten und 8ten), durchaus Dramatik und Empfindungen aller Art.
    Übrigens: Dass Jochum es mit Bruckners Glauben ernst ist, lässt sich an den drei eigespielten Messen, dem Te Deum und zehn Motetten leicht feststellen – allerdings nicht in dieser Sinfonien-Box, sondern auf zwei Doppel-CDs der DG.

    Die (historische) Bedeutung dieser Aufnahmen liegt sowohl darin, dass es der erste Bruckner Zyklus auf Schallplatte war und - mindestens genauso bedeutend - erstmals alle Sinfonien in seriösen Fassungen ohne Fremdzusätze und frei von Romantizismen eingespielt wurden. Hier sind die Fassungen mit den Aufnahmedaten:

    Sinfonie Nr. 1 c-moll WAB 101 („Linzer“ Fassung, überarbeitet 1877, Ed.: L.Nowak 1953)
    E. Jochum / Berliner Philharmoniker (DG / 16-19.10.1965 Jesus-Christus Kirche Berlin)

    Sinfonie Nr. 2 c-moll WAB 102 (revidierte Fassung 1877, zweiter Druck: L.Novak 1965)
    E. Jochum / Sinfonieorchester des BR (DG / 29.12.1966 Herkules-Saal München)

    Sinfonie Nr. 3 d-moll WAB 103 (Fassung 1889 <1888/89>, Ed.: L.Nowak 1959)
    E. Jochum / Sinfonieorchester des BR (DG / 8.1.1967 Herkules-Saal München)

    Sinfonie Nr. 4 Es-Dur „Romantische“ WAB 104 (1886 <1878/80>, Ed.: L.Nowak 1953)
    E. Jochum / Berliner Philharmoniker (DG / Juni 1965 Jesus-Christus Kirche Berlin)

    Sinfonie Nr. 5 B-Dur WAB 105 (Fassung 1878, Ed.: L.Nowak 1951 fast identisch mit Haas-Ausgabe)
    E. Jochum / Sinfonieorchester des BR (DG / 8-15.2.1958 Herkules-Saal München)

    Sinfonie Nr. 6 A-Dur WAB 106 (Fassung 1881, Ed.: L.Nowak 1952)
    E. Jochum / Sinfonieorchester des BR (DG / 3.7.1966 Herkules-Saal München)

    Sinfonie Nr. 7 E-Dur WAB 107 (1885, Fassung mit einigen Änderungen Bruckners, pub. A.Gutmann)
    E. Jochum / Berliner Philharmoniker (DG / 10.10.1964 Jesus-Christus Kirche Berlin)

    Sinfonie Nr. 8 c-moll WAB 108 (Fassung 1890, Ed.: L.Nowak 1955)
    E. Jochum / Berliner Philharmoniker (DG / Jan.1964 Philharmonie Berlin)

    Sinfonie Nr. 9 d-moll WAB 109 (Originalfassung 1894, Ed.: L.Nowak 1951)
    E. Jochum / BR Sinfonie Orchester (DG / 22+23+27+28.11.1954)


    BRAHMS

    Die vier Brahms Sinfonien wurden mit den Berliner Philharmonikern eingespielt. Brahms ist ganz Jochums Terrain. Hier sind sehr persönliche Einspielungen entstanden, die viel Klanglichkeit bieten und die herbstliche Grundstimmen des Brahms´schen Oeuvres gut einfangen. In der Zeit der 70ziger bis zur Jahrtausendwende, als die Musikwelt glaubte, dass die großen sinfonischen Werke noch viel besser interpretiert werden oder aus den Boxen tönen könnten als in der Vergangenheit (Karajan, Digitale Aufnahmetechnik, historisch informierte Spielpraxis), da schätze man viele Aufnahmen der frühen Stereozeit gering, weil sie nicht in das „neue“ Schema passten. Manche dieser Vorurteile wurden bis heute tradiert. Schön, dass man sich zu einem eher geringen Preis wieder ein eigenes Bild machen kann. Natürlich ist Jochums DG-Einspielung eher in einer moderaten Mitte angesiedelt, aber das empfinde ich für Brahms durchaus passen. Diese Sinfonien brauchen Konstanz, Übersicht, Verständnis für Struktur und Entwicklung - und all das bietet Jochum durchaus.


    BEETHOVEN

    Die 1te, 2te, 4te, 5te und 9te sind mit dem S.O. des BR, die 3te, 6te 7te und 8te sind mit den Berliner Philharmonikern eingespielt. Es gibt noch zwei Beethoven Zyklen mit Jochum - einen mit dem Concertgebouworkest und einen mit dem London Symphony Orchestra.
    Das zeigt deutlich, wie wichtig Jochum auch der Komponist Beethoven war. Und auch diese Interpretationen sind nicht so, wie es oft kolportiert wird. Nämlich nicht behäbig oder harmlos, sondern streng, intensiv und mit hohem Bewusstsein.
    Ich persönlich zöge als Orchester Concertgebouw oder LSO vor, aber auch die Aufnahmen hier haben höchstes Niveau.


    MASTERINGS UND EDITORISCHES

    Kurz gefasst: Die Digital-Transfers bringen keine neuen Erkenntnisse – solche kleine Wunder geschehen heute zumeist bei Masterings aus Japan. Aber die Überspielungen sind durchaus akzeptabel und die Aufnahmen klingen für die Zeit ihrer Entstehung sehr ordentlich. Am Rande erwähnt: Keine der 22 Sinfonien ist auf zwei CDs verteilt.
    Die Box ist sehr stabil, die Aufmachung ansprechend. Die einzelnen CDs stecken in ebenfalls ausreichend stabilen Papphüllen, die auf der Rückseite Werkangaben und Tracks, aber keine Aufnahme-Daten zieren.
    Die fünf Seiten Text sind sehr persönlich in Bezug auf Jochum gehalten, aber leider nur auf Englisch und Italienisch (es ist ja eine italienische CD-Ausgabe). Ansonsten beinhaltet das Textheft alle Daten zur Aufnahme wie Techniker, Ort und Datum.


    FAZIT

    Verehrung für Eugen Jochums Kunst, Nostalgie, Neugierde auf ein Wiederhören mit den Entdeckungen der eigenen Vergangenheit, Überprüfen der Erinnerung, Interesse an der Rezeption Bruckners, Brahms und Beethovens und die Aufnahmen derer Sinfonien … Das sind gute Gründe, diese Box zu kaufen.
    Ein Kommentar
    Anonym
    26.02.2017

    Korrektur

    Die 9te in der Box ist mit den Berliner Philharmonikern, nicht mit dem SO des BR.
    Übrigens eine ganz herausragende Interpretation.
    Die 9te mit dem SO des BR ist ein "Oldie", der nie in eine GA aufgenommen wurde.
    Symphonien Nr.1, 3, 6, 9 Symphonien Nr.1, 3, 6, 9 (CD)
    23.06.2015
    Booklet:
    5 von 5
    Gesamteindruck:
    4 von 5
    Klang:
    3 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    4 von 5

    Dem Vergessen entrissen

    Charles F. Adler (1889 London -1959 Wien) war einer der markanten und „unangepassten“ Dirigenten des 20ten Jahrhunderts. Er arbeitete noch mit Gustav Mahler zusammen und hinterließ auch Ersteinspielungen von dessen 3ten und 6ten, die heute noch Ihresgleichen suchen. Zudem war er Musikverleger und Gründer des SPA-Records-Labels, welches für damalige Zeit extrem mutig ein eher oder gänzlich unbekanntes Repertoire aufnahm: Bruckners damals eher unbekannte Werke (6te, Ouvertüre, 1te Messe), ebenso Mahlers 3te, 6te, 10te, Schnabel als Komponist, Ives, Antheil und viele andere amerikanische Komponisten.

    Diese 5CD-Box hier versammelt Bruckner-Aufnahmen Adlers, die noch nie offiziell auf CD veröffentlicht waren und allesamt als wichtige Tondokumente zur Rezeption Bruckners (schon allein wegen der Fassungen!) einzustufen. darüber hinaus aber auch nach wie vor in der Interpretation und dem „Wahrheitsgehalt“ überzeugen und herzlich ergreifen.

    Natürlich ist es heutzutage, wo wir die Vielschichtigkeit von Bruckners Absichten bezüglich seiner Sinfonien besser verstehen, nicht leicht, die überholten Fassungen ohne inneren Widerstand zu hören. Bei der Sechsten muss man an drei vier Stellen die Ohren etwas „anlegen“ und noch stärker erweisen sich die instrumentalen Eingriffe durch Loewe in der Neunten, die Bruckner so wohl nicht autorisiert hätte – zumindest bestimmt keinesfalls für die „Nachwelt“!

    Adlers Wahrhaftigkeit des Musizierens mach aber wieder viel wett. Wenn er auch die „Originalfassungen“ noch kennengelernt hat, so hat er im Gegensatz zu Furtwängler den Wandel zu diesen nicht vollzogen. Bedenken wir, dass er durch diese zweifelhaften Fassungen zu Bruckner gefunden hat und wir nicht wissen, was ihn bewogen hat nicht von diesen zu lassen…

    Die Erste ist ja in der Wiener Fassung durchaus interessant und die Dritte in der Version der vorliegenden Aufnahme zumindest des Nachdenkens wert, weil es eine interessante Mischfassung darstellt.

    Messe Nr.1 d-moll

    Unerreicht! Schon das Kyrie macht erschreckend betroffen. Wie ein Dirigent das Ganze (Solisten Chor Orchester) so zu einer Einheit an Wahrhaftigkeit und Empfindung bringen kann. Ganz selten gibt es solch eine Aufführung einer Messe, bei der der Sinn des Ganzen – der Glaube – im Vordergrund steht.
    Dagegen verblassen leichte Schwächen der Solisten (z.B. Schärfen des Tenor im Benedictus – aber überzeigender stark an Hans Hotter erinnernden Frederick Guthrie!) und die Tatsache, dass der Chor ein „ordentliches“ Vibrato pflegt (worauf ich sonst sehr allergisch reagiere).
    Was es hier Berührendes zu hören gibt: Kleine Übergänge, Modulationen - unerhörte harmonische Welten, die deshalb hervortreten, weil der Dirigent sie innerlich ganz klar hört. Adler gibt bezüglich der Tempi Raum, das sich alles so entfalten kann, dass man es als Hörer auch empfinden kann. Bis auf das Agnus Dei brauchen die Sätze mehr Zeit als bei Eugen Jochum, dessen Einspielung mir bisher am überzeugendstem erschien. Was steckt in dieser Komposition an Visionärem! Wer meint der frühe Bruckner wäre noch harmlos gewesen, der höre sich mal hier das „Resurrexit“ an!

    Die natürlich monaurale Aufnahme klingt gut (natürlich mit eingeschränkter Dynamik und wenig räumliche Tiefe – also einem etwas flachem Klang) und hat eine sehr gute Balance. Manchen mag vielleicht stören, dass der Chor sehr nah abgenommen ist, was sich besonders deutlich bei den Frauenstimmen zeigt. Dadurch ergibt sich aber trotz der ungeheuren Wucht mancher Stellen eine große Intimität, was das tief empfundene „Gebet“ noch verstärkt. Der Frequenzgang ist nicht unangenehm eingeschränkt und es gibt keinen störendes Rauschen usw.

    Ouvertüre g-moll

    Bruckner einerseits schon ganz und gar persönlich – und dennoch ganz in der Welt von der Romantik (z.B. Schumann). Von diesem wunderbaren leider selten gespielt Konzertstück Bruckner gibt es in wenigen Einspielungen. Die m.E. Interessantesten sind die von Matacic, Otterloo und Shapirra. Die vorliegende Adler-Aufnahme (SPA) klingt leider nicht so gut wie die erste Sinfonie (Unicorn). Wie bei vielen Einspielungen der Wiener Sinfoniker dieser Zeit klingen die Violinen doch recht kratzig, scharf und etwas zu direkt abgenommen. Die Interpretation Adlers favorisiert das „Große“ der Musik, bleibt aber dennoch straff in den Tempi und absolut klar in der Artikulation. Eine Einspielung mit Phantasie, Feuer. Der CD-Transfer ist wohl optimal, denn die Balance der Frequenzen stimmt (die Bässe kommen nicht zu kurz).

    Sinfonie Nr. 1 c-moll

    Heute beugt man im Allgemeinen nicht mehr die Tempi der verschiedenen Themen so stark, wie Adler es in der Ersten wagt. Doch was für ein Gewinn diese Aufführung daraus zieht: Ein stürmisch drängendes erstes, ein sehnsuchtsvoll retardierendes zweites und ein wahrlich majestätisches drittes Thema. Bei den meisten Dirigenten würde so etwas willkürlich wirken, nicht so bei Adler. Bei allen Aufnahmen Adlers die ich kenne wirken solche Temporückungen aus einer starken inneren Stringenz. Ein wirklich großes Adagio und ein raffiniert farbiges äußerst abwechslungsreiches Scherzo. Ein visionäres Finale in kompromissloser vielschichtiger Gestaltung, das die Wiener Sinfoniker (auf der originalen LP „Wiener Sinfonie Orchester“ genannt) bis an die Grenzen (und kaum darüber hinaus) fordert.
    Spannend ist hier auch die Hynais-Ausgabe (im Grunde die „Wiener Fassung“) der Sinfonie, 1893 von Doblinger herausgegeben. Die Abbado-Einspielung der letzten Jahre ist eine spannende Alternative, weil sie ganz andere Aspekte des Werks zeigt. Wenn bei Adler stark das Phantastische der „Linzer“ Erstfassung durchkommt (gewürzt mit der unglaublich verfeinerten Orchestrierungskunst des späten Bruckner), so hört man bei Abbado tatsächlich mehr den späten Bruckner.
    Der Klang der Aufnahme überzeugt noch mehr als bei der Messe. – eine wunderbar klingende Mono-Aufnahme von 1955 (Unicorn, die Remastering-Quelle ist das Masterband) in bestem „österreichischen Klang“.

    Sinfonie Nr. 3 d-moll

    Dies ist die Studioaufnahme Charles F. Adlers der „Wagner-Sinfonie“ Bruckners. Es gibt auch einen Livemitschnitt vom 8.4.1953, (ebenfalls bei M&A, gekoppelt mit der Studioaufnahme der Zweiten Mahler - ASIN: B009CZB062).
    Die hier vorliegende Studioaufnahme ist für SPA-Records entstanden. Die Quelle für das Remastering ist ebenso wie bei der Neunten eine LP. Somit ist der Klang minimal dünner und „unschärfer“ als bei der ersten Sinfonie, aber für die Tatsache eines LP-Transfers dennoch ausgezeichnet.
    Hier ein Vergleich der Spielzeiten der Studioaufnahme (S) mit dem Livemitschnitt (L):
    1.Satz: S 21:22 / L 18:59 – 2.Satz: S 13:25 / L 12:01 – 3.Satz: S 6:43 / L 6:07 – 4.Satz: S 12:49 / L 12:07
    Unschwer ist zu erkennen, dass die Studioaufnahme der Sinfonie mehr Zeit und die Liveaufnahme wesentlich gedrängter ist. Das grenzt an ein anderes Konzept.
    Zu hören ist beides Mal die Rättig-Ausgabe, die gegenüber der heute immer noch so häufig gespielten letzten Fassung doch ein paar Vorzüge hat. Auch sie basiert auf Bruckners letzter Überarbeitung (besser „Zusammenstreichung“) von 1889, behält aber ein wenig von der meiner Meinung nach sehr gelungenen zweiten Fassung von 1877-78 bei.
    Auf der Schallplatte gibt es einige magische Momente des Stillstands und „Fernhörens“, ein „runder“ eher abgeklärter Bruckner.
    Bei der Liveaufnahme von 1953 ist die Streicherbewegung zum Hauptthema sehr unruhig und aufgeregt (beim ersten Mal auch etwas durcheinander). Die Musik ist etwas mehr auf „Sprache“ angelegt und betont mehr das experimentell Phantastische des ehrgeizigen Werks. Beide Sichtweisen überzeugen gleichermaßen, wobei mir das manchmal eckig Widerspenstige der Liveaufführung sehr zusagt. Hier gelingt eine immer wieder beeindruckende Klangrede mit viel rhythmischen Schwung an den richtgien Stellen.

    Sinfonie Nr. 6 A-Dur

    Dies ist der Livemittschnitt (wohl 1952, da laut Textheft das erste Brucknerdirigat Adlers mit den Wiener Sinfonikern) Adlers der Sechsten Bruckner in der Loewe-Ausgabe - also wieder eine Besonderheit, was das verwendete Notenmaterial angeht. Es gibt auch eine Studioaufnahme von 1952, (bei Tahra, gekoppelt mit der Studioaufnahme der Ersten Mahler - ASIN: B00000662J).
    Der hier vorliegende Livemittschnitt wurde vom Österreichischen Rundfunk mitgeschnitten. Der Klang der Aufnahme ist ausgezeichnet. Weder die Balance, Klangfarben (Frequenzspektrum), Unsauberkeiten im Orchesterspiel, noch irgendwelche Nebengeräusche lassen eine Rundfunkproduktion erahnen. Wenn ich den Text recht verstanden habe, handelt es sich ja auch um keine Liveaufführung mit Publikum. Neben der Ersten ist dies die am rundesten klingende Aufnahme. auch die Streicher hört man hier als homogene Einheit. Eine starke Alternative zu der ebenfalls gut und äußerst klar, aber auch etwas schärfer klingenden Studioaufnahme. Hier wieder der Vergleich der Spielzeiten des Livemittschnitts (L) mit dem Studioaufnahme (S):
    1.Satz: L 16:17 / S 16:04 – 2.Satz: L 17:16 / S 17:02 – 3.Satz: L 10:46 / S 10:38 – 4.Satz: L 14:22 / S 14:17
    Dieser Livemitschnitt weicht also hier bei weitem nicht so sehr in den Spielzeiten von der Studioaufnahme ab wie im Fall der Dritten. Eine schöne, natürliche tief empfunden Aufführung, die ganz oben im Feld einiger bemerkenswerter bis ausgezeichneter Aufnahmen und Mitschnitte mitspielt (G.L. Jochum, Andreae, Swoboda, Rosbaud, Keilberth, Klemperer, Steinberg, 2x Solti, Blomstedt / San Francisco). Die auffälligen Besonderheiten der Löwe-Ausgabe sind manche „p-f Crescendi“ anstelle „subito f“ (Kopfsatz), also das Abmildern mancher Brüche und die Abänderung des Schlusses des Trios des Scherzos. Größere Eingriffe wie in der Neunten gibt es hier nicht, aber eine Anzahl kleinerer Modifikationen (auch im Tempo), u.a. auch Retuschen von Adler.

    Sinfonie Nr. 9 d-moll

    Auch hier wieder eine heute nicht mehr gespielte Fassung (Loewe 1903) mit so manchen Retuschen. Vor 25 Jahren hätte mich so etwas sehr gestört, heute bin ich da milder gestimmt. Ich sehe den Wahrheitsgehalt der Musik wie meist bei Adler auch in dieser Aufführung in allererster Linie der Hingabe, Überzeugung und Vision des Dirigenten vom Stück. Und es ist durchaus Bruckner, den man hier hören kann! Eine Aufnahme der extremen und abgründigen Stimmungen.
    Der Kopfsatz lässt mich ein Phänomen erleben, das ich schon bei der dritten Mahler im ersten Satz hatte: Die Musik wirkt äußerst lebendig, abwechslungsrech, rhythmisch (mit äußerst drängenden Passagen), Welten entstehen und vergehen – und dennoch sind es die zeitlich breitesten aller Aufnahmen (hier 29 min für den ersten Satz - na klar, Celibidache braucht mit den Münchenern natürlich 32 min … ). Wie gerne hätte ich die Katastrophe des ersten und letzten Satzes mit Adler und einem englischen oder amerikanischen Orchester gehört, sodass das innere Erleben Adlers sich auch ganz und gar in physischem Klang entladen könnte. Auch gut - so bleibt halt die Sehnsucht ungestillt…
    Im Scherzo hat Löwe doch ein bisschen viel „arrangiert“ und Bruckner ein wenig von der Modernität weggenommen. Warum Adler bei den Aufnahmen nicht zu der Orel-Ausgabe gegriffen hat? Manche Geheimnisse bleiben eben bestehen… Sehr flexible freie Tempi im Trio (ein sehr langsamer Teil im „ziemlich schnell“). Aber wieder wirkt nichts „gewollt“ oder aufgesetzt, sondern ganz und gar extrem empfunden. Hier kann ich auch verstehen, warum es die Löwe-Ausgabe sein musste.
    Das Adagio voller Wärme, Sehnsucht, Visionen und grässlicher erschreckender Klänge. Neben Klemperer war Adler vielleicht DER Dirigent für solche (Dis)Harmonien. Wie in der Mahler Dritten mit Adler „klingen“ auch hier Töne und Akkorde weiter, die gar nicht da sind. Die letzte Steigerung, das Ticken der Uhr, der Puls, der in die Apokalypse führt… So groß und überwältigend (aber natürlich auch anders) habe ich das nur bei Klemperer / New Philharmonia Orch. und Guilini / CSO gehört. Aber bei Adler muss man halt auch immer wieder manchen kleinen Loewe-Schock ertragen …

    Manchmal minimale Schleifgeräusche (Kopfsatz), aber ganz offene Überspielung mit sehr gutem Klang. Auch hier wieder der Klang der Wiener Sinfoniker dieser Zeit: Klar, aber auch etwas scharf (auch durch sehr direkte Violinen).

    Die Aufmachung ist wie viele der letzten M&A CD-Boxen: Solider flacher Karton, CDs in weißen Hüllen (warum nur mit Laschen verklebbar? Das ist doch überflüssig…) und ein sehr informatives englischsprachiges Textheft. Dazu gleich mehr am Ende. Eine Sache erstaunt doch sehr:
    Außer der vagen Angabe 1955 (laut bearac reissues BRC-3220 ist es der 25-26. April 1955) für die Entstehung der Ersten und 1952 für die Sechste gibt es keinerlei zeitliche Aufnahmehinweise. Da steht nur pauschal 1952-1956 auf dem Deckblatt. Wenn die Angaben nicht vergessen einfach wurden, dann sind sie anscheinend nur (noch) so vage bekannt.
    Aber dafür sind Dank Aaron Snyder und dem Label Music&Arts nach jahrelangen Bemühungen um bestmögliche Quellen und deren Restaurierung nun diese wichtigen Tondokumente Charles F. Adlers mit Werken Bruckners dem Vergessen entrissen …

    FAZIT: Eine Veröffentlichung ganz besonders für Brucknerkenner. Nicht nur wegen des (akzeptabel bis gut klingenden) Mono, sondern eben wegen der in Vergessenheit geratenen Fassungen.
    Lieder eines fahrenden Gesellen Lieder eines fahrenden Gesellen (CD)
    22.06.2015
    Booklet:
    3 von 5
    Gesamteindruck:
    4 von 5
    Klang:
    5 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    5 von 5

    nicht Vorstufe, sondern faszinierende Tondichtung!

    Angesichts des Hypes der letzten Jahrzehnte um Gustav Mahler ist es doch erstaunlich, wie selten die „Todtenfeier“ (1888, hier auf der CD angepasst als „Totenfeier“ geschrieben) im Konzert gespielt oder auf Tonträger aufgenommen worden ist. Aufnahmen gibt es von Lopez-Cobos (1983 Erstaufnahme), Rickenbacher (1989 oder 1990), Zender (1990), Segerstam (1990-91), Boulez (1999), Paavo Järvi (2007/08) – und jetzt eben Jurowski mit dem „Orchestra of the Age of Enlightenment“ (2011). Dieses Orchester ist Barock-Kennern bestens bekannt und besticht auch bei dieser Musik des ausgehenden 19ten Jahrhunderts in punkto angemessener Spielpraxis.

    WERK UND INTERPRETATION

    Der Beginn ist schon äußerst drängend und die ganze Einspielung sehr klar und eher zügig – nichts von einem gemessenen dahin schreiten Hamburger Honoratioren (kommt mir grade so als ein Bild, weil Mahler doch die Anregung zum letzten Satz der Sinfonie durch die Beerdigung Hans von Bülows bekam). Viele kleine Details in der Komposition erscheinen von Anfang an anders, aber nichts Fundamentales: Liegenbleibende Fundamentstimmen, eine andere Dynamik und vielleicht auch andere tempoangaben – leider habe ich die „Todtenfeier“ nicht als Partitur und kann somit nicht über mehr zu Details und Spielvorschriften angeben.

    Das fahle Licht des Seitenthemas (ab ca. Min 5') nach der ersten großen Marschsequenz war so noch nicht zu hören, weil sich noch kein Dirigent traute diese „Zwielichtstelle“ ganz ohne Vibrato spielen zu lassen.

    In der „Durchführung“ dann tatsächlich immer wieder Ungewohntes und vor Min 11' ein kleiner ganz anderer Teil, den Mahler in der Sinfonie dann verkürzt in eine schlichte abfallende Linie gewandelt hat.

    Unglaublich berührend finde ich in dieser Interpretation mit Jurowski das Zurückfinden in den Trauermarsch (ca. von Min 17 ' bis Min 19'). Das stille klare Spiel der Streicher, die verlorene Stimmung und die ungewohnten fremden „Frühtöne“ der ersten Fassung und das ganz besondere des Orchesterspiels.

    Wie bei der Erstfassung der Ersten Sinfonie (die aus der fünfsätzigen Tondichtung „Titan“ entstand) gibt es auch hier noch Anklänge an die Welt von „Das klagende Lied“, Mahlers erstem eigenständigen (und gleich auch riesigen) Orchesterstück mit Chor.

    Die „Geschichte“ der „Todtenfeier“ ist farbiger, vielschichtiger, mit mehr Stimmungswechseln und „Handlungssträngen“ versehen als der Sinfoniesatz – dadurch gibt es mehr „Urwald“ und weniger die Zielstrebigkeit als im Kopfsatz der zweiten Sinfonie. Die Entsprechung zur Entstehung der Ersten Sinfonie aus dem „Titan“ ist sehr deutlich.

    Mahlers Wandels der Tondichtung hier zum Kopfsatz seiner zweiten Sinfonie ist übrigens genial gelungen. Er hat instinktsicher (oder einfach schon unglaublich versiert) der Tondichtung genau das genommen, was diese an Freiheit und „Fantasieren“ haben durfte, was aber der Sinfonie ihre Stringenz genommen hätte.

    - - - - -

    Die „Lieder eines fahrenden Gesellen“ werden manche erst mal als unvermeidbare Dreingabe sehen, aber das hellhörige Dirigat Jurowskis und das völlig ungewohnte Spiel des Orchesters lassen auch hier ein ganz neues Werk entstehen. Viele(!) noch nie so gehört Farben, Zusammenhänge und besonders Stimmungen werden erlebbar (.z.B. bei „wenn ich in den Himmel seh'“ – aber da könnte man viele Stellen erwähnen).

    Die Mezzo-Sopranistin Sarah Connolly singt erfüllt, hat aber ein relativ kleines Spektrum an Farbe und stimmlicher Variabilität zur Verfügung. Angesichts des Zaubers im Orchester ist das einerseits verkraftbar, aber natürlich auch schade. Gut abgestimmt aufeinander sind beide auf jeden Fall – da ist genau geprobt worden und Connolly hört sehr genau in den Gesamtklang hinein. Das ist ganz hervorragend. Leicht störend finde ich nur, dass sie so stark mit Vibrato arbeitet – also genau das tut, was das Orchester ja vermeidet … : - )
    Ich sehe diese Einspielung des Zyklus auf jeden Fall als echte Bereicherung an!
    Symphonien Nr.1-9 Symphonien Nr.1-9 (CD)
    19.06.2015
    Booklet:
    5 von 5
    Gesamteindruck:
    4 von 5
    Klang:
    3 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    4 von 5

    zwischen lau und ausgezeichnet . . .

    Die Entscheidung zwischen drei oder vier Sternen war schwer, aber die letzten drei Sinfonien haben dann doch den klaren Ausschlag gegeben …

    ZÄHLWEISEN DER SINFONIEN

    Schubert ist als Sinfoniker so richtig erst in den letzten Jahrzehnten auf der Welt angekommen – jetzt aber mächtig!
    In der Digitalzeit ist die Anzahl der Gesamteinspielungen der Sinfonien Schuberts immens gestiegen – zumeist die offiziell gezählten 1 bis 6 und dann mit unterschiedlichen Zählweisen für die letzten beiden, die h-moll „Unvollendete“ hatte früher eindeutig die Nummer 8 und mittlerweile hie und da Nr. 7, die „Große C-Dur“ wurde früher mit Nr. 9 oder auch Nr. 7 (auf alten LP-Ausgaben zu sehen) bezeichnet und mittlerweile ziemlich häufig mit Nr. 8.

    WEGE ZU SCHUBERTS SINFONIEN

    Die Schubert-Dirigenten der „ersten Stunde“ (was Aufnahmen betrifft) sahen in Schubert oft deutlich den Vorläufer der ganz großen Sinfonik von Bruckner und Mahler – was sicher auch nicht verkehrt ist. Das zeigt sich in den Tempi, der Behandlung der Instrumentation in den Farben, dem Gewicht der Aussagen: Furtwängler, Barbirolli, auch noch Jochum oder Böhm. Beecham war da von Anfang an eher eine Ausnahme.

    Heute wendet sich der Blick meist in die andere Richtung – in die, woher Schubert kam. Das geht Hand in Hand mit den Erkenntnissen der historisch informierten Aufführungspraxis. Ein schlankeres Orchester, kleinere Besetzungen, stark charakteristische Farben bei den Holzbläsern, ebenso (und weniger Lautstärke) bei den Blechbläsern.

    Die Sinfonien Schuberts vertragen all diese Strömungen, wenn nur nicht deren Aussage auf der Strecke bleiben – und diese zu finden bleibt die heikle Aufgabe eines jeden Dirigenten, egal welche Strömung er vertritt …

    TENDENZEN

    Bei den Einspielungen der Schubertsinfonien der letzten 50 Jahre lassen sich ganz grob drei Tendenzen feststellen: ein klassisch-apollinischer Ansatz wie hier bei Zender, eine sehr gemäßigt romantisch geprägte Sichtweise wie bei Böhm und die letzten 20-30 Jahre neue von der historisch informierten Aufführungspraxis dominierte Aufnahmen, die sich nochmals in solche unterteilen, die dies auf heutigen Instrumenten umsetzen und solchen, die die Sinfonien auf historischen Instrumenten wagen (z.B. Immerseel). Die echten „Romantiker“ wie Furtwängler haben von Schuberts Sinfonien keine Gesamteinspielung hinterlassen.

    HANS ZENDER

    Wenn ich den Namen Hans Zender höre, denke ich zuerst einmal an den Komponisten und dann gleich an dessen „komponierte Interpretation“ der Winterreise Schuberts für ein kleines Ensemble (mit den „verrücktesten“ Instrumenten) und Gesangsstimme. Der originale Notentext ist übrigens nur an wenigen Stellen wirklich verändert. Allein damit hat sich der Musik-Denker (was ich nicht im einem abgehobenen Sinne meine) schon unsterblich gemacht.

    Hans Zender kennt und spürt „seinen“ Schubert auch in den Sinfonien ganz genau. Die Stimmungsabgründe und deren Grauzonen und ebenso die an Bruckner gemahnenden Sequenzen sind ihm selbstverständlich. Zender glaubt felsenfest daran, dass die Musik ganz aus sich selbst heraus ohne äußeres Zutun am besten wirkt. In der Tat wirkt da bei ihm in der „Understatement-Form“ manches stärker als bei „Fingerzeige-Aufführungen“, besonders in den feinen, manchmal changierenden oder grauen Bereichen.

    - - - - -

    Die Sinfonien im Einzelnen:

    SINFONIE D-DUR D 82 *** (wegen des schönen langsamen Satzes)

    MAßVOLL beginnt die Adagio-Einleitung. Und diese Haltung bestimmt eigentlich die ganz erste Sinfonie: Die Abgründe sind zu erahnen, aber der Wunsch nach apollinischer Klassizität, also auch Ausgewogenheit prägt die ganze Musik.
    Das Allegro vivace zeigt mehr Blaues als einen mit Wolken und Wölkchen kräftig durchmischten Himmel. Allegro – ja, heiter und tendenziell fröhlich, vivace – doch eher weniger, ebenso im letzten Satz. Gegensätze werden nicht verdeckt, aber auch nicht gezeigt. Was vielleicht am überzeugendsten gelingt:
    Zender fängt den Zauber des zweiten Satzes wunderbar ein. Ein fließendes, leicht wiegendes und zart verhalten – immer mit einem Staunen über das Geheimnis, das Unaussprechliche, das nicht angetastet wird …
    Auch im Trio scheint sich der Traum des zweite Satzes in anderer Form fortzuspinnen. Das Scherzo selbst ist wie das Allegro des Kopfsatzes sehr zurückgenommen. Das Feine überwiegt eindeutig gegenüber dem diesem Satz auch innewohnenden Derben. Die Bauern tragen quasi beim Tanz höfische Tracht.
    Das Finale lässt kaum etwas von einem selbstbewussten Kehraus eines Sechzehnjährigen stürmischen Jungen ahnen.
    Beechams Mono-Einspielung (Sony) finde ich sehr gut in der Balance von klassisch und romantisch - und auch dem ehrgeizigen jugendlichen Anspruch.

    SINFONIE B-DUR D 125 ** bis ***

    Auch in der zweiten Sinfonie bleibt Hans Zender sehr dem feinen, durchsichtigen („luzide“ passt hier wirklich gut) und hellwachen Spiel verpflichtet. Alles wird beachtet, z.B. auch die Akzente im Kopfsatz, aber mehr angedeutet als expressiv ausgespielt. Das geschieht auch hier zugunsten der Klarheit und Verständlichkeit der Musik. Alles schwingt leicht, klingt unangestrengt, aber nicht oberflächlich abgespielt.
    Der zweite Satz mit den Variationen atmet sehr viel Haydn. Für mich hier nicht ganz so reich umgesetzt wie bei der Ersten. Das Scherzo mit moderatem Tempo, auch das Finale jederzeit „angemessen“, aber wo ist das Verrückte, ja Manische dieses Satzes mit den panischen und verstörenden Stellen geblieben?

    Was bei der Ersten noch als sympathische Schüchternheit durchgehen mag, ist mir bei der Zweiten dann doch deutlich zu wenig an Exaltiertheit, die diese so wenig beachtete großartige und abwechslungsreiche Sinfonie braucht. Für mich zählt sie neben der anderen B-Dur (5te) und der großen C-Dur zu den drei (auch im Plan) ausgereiftesten Sinfonien.
    Meine Lieblingseinspielungen sind nach wie vor die zwei(!) exaltierten Munch-Aufnahmen mit dem BSO.

    SINFONIE D-DUR D 200 ** bis ***

    Für mein Empfinden schwächer als die Erste und auch die Zweite. Aber diese dritte Sinfonie ist auch besonders heikel und es gibt wirklich nur sehr wenig Einspielungen, die den Spagat hinbekommen, der dieses vielschichtige Werk erfüllt gelingen lässt. Klassische, romantische und besonders italienische Aspekte unter eine Hut zu bekommen ist schon eine große Herausforderung.
    Zender ist hier besonders „nüchtern“ und zeigt wenig „Italianità“. Möglicherweise tut die hier besonders kompakte Klanglichkeit der Sinfonie, die eher helle Luftigkeit braucht, auch nicht gut. Bei dieser Aufnahme aus dem Konzerthaus Freiburg ist ein eher enger Raum mit dunkler Klangfärbung zu hören, der bei einem Forte schon sehr Kompakt wird und trocken klingt, was im Piano wenig Blume des Klangs erlaubt.
    Beecham finde ich für dieses Stück schon sehr angemessen, von Carlos Kleiber kenne ich nur den Konzertmittschnitt mit dem CSO, aber nicht die DG-Platte.

    SINFONIE C-MOLL D 417 ** bis ***

    Die Vierte ist ernst und streng und scheint Zender von der Anlage her besser zu legen als die Dritte. Sehr eigenwillig ist eine deutliche Stretta am Ende des Kopfsatzes, die nirgend in der Partitur (Urtextausgabe) vermerkt ist. Meine Ohren hören im zweiten Satz harmonische Verständnisprobleme (damit meine ich nicht Intonationsprobleme) im Holz… Ist aber sehr heikel. Wo ist aber die unendliche Traurigkeit und Melancholie der Stellen bei den „Zurück ins Andante-Stellen“ und dem Andante? Ein widerborstiges Scherzo, etwas statisch geraten. Aber mit der Vierten beginnen die Sinfonien, die auch in dieser schlanken und sehr klaren Spielweise manche Konkurrenz haben. Ich denke da nur mal an den feurigen Markevitch.

    SINFONIE B-DUR D 485 *** bis ****

    Die Fünfte ist sehr gelungen. Vielleicht weil hier Zenders Ideal für Schubert am besten zum Werk passt. Das klassisch Ausgewogene ist hier ja Programm – und dann noch mit Inhalt erfüllt. Zender meistert alle Klippen und gibt allen Sätzen Noblesse, ohne fade oder langweilig zu werden. Die Tempi sind auch ausgewogen und absolut angemessen, auch das Andante con moto, bei dem der Zusatz ernst genommen wird..
    Natürlich gibt es von dieser zu Recht überaus beliebten Sinfonie manche Einspielung, die noch mehr Zauber schafft.

    SINFONIE C-DUR D 589 ****

    Eine sehr gute Aufführung der Sechsten! Das Klangbild wirkt hier auch freundlicher als bei manch anderer Einspielung hier. Auffällig ist, dass das „piu moto“ ab Takt 340 zu einer rasanten Stretta gerät, aber warum auch nicht. Letztlich dreht es sich ja um das Leben, nicht um die Wissenschaft… Abgesehen davon, dass Schubert hier eine Tempoangabe gemacht hat, so wirkt dieser Effekt auch wesentlich motivierter als der an ähnlicher Stelle im Kopfsatz der Vierten verwendete.
    Der zweite Satz mit seinem insistierenden Pochen wirkt auf mich wie ein Augenzwinkern zu Beethoven – leicht und geistreich ausgeführt. Ein gute pointiertes Scherzo, auch dieses durchaus „Beethoven'sch“ (mit Gruß an Herrn J. Kaiser *g*) zupackend …
    Das Finale hat Geist, Witz, Spielfreude und ein Tempo giusto – diese Sinfonie ist mit das Beste in dieser Box !

    SINFONIE H-MOLL D 759 ****

    Wieder eine sehr gute, ja hervorragende weil diesmal auch extrovertiertere Aufnahme! Schön und m.E. wichtig, dass Zender 5-saitige Kontrabässe zur Verfügung stehen, denn für das anfängliche Motto und der Übergang zur Durchführung kann der Klang gar nicht dunkel und „abgründig“ genug sein! Auf alles ist geachtet. Dynamik, sich überlagernde Dissonanzen, die Schockwellen der Durchführung, die abartigen harmonischen Wege.
    Das Tempoverhältnis von erstem zu zweitem Satz ist vorhanden – soll heißen: man merkt dass es zwei verschiedene Sätze sind, was nicht bei jeder Aufführung bzw. Aufnahme der Fall ist … *g* Die gute Balance zwischen Melos und rhythmischer Struktur, das Überhängen von Phrasenenden – also das „Nachklingen“ von Melodien ist ganz klar erfühlt – samt dem sehr entrückten Schluss. In dieser Einspielung empfinde ich das Spiel und Verständnis des Orchesters (auch und besonders der Holzbläser) ganz ausgezeichnet! Die Aufnahme klingt ebenso erfreulich wie bei der Sechsten.
    Dass es von der „Unvollendeten“ eine Unzahl an ausgezeichneten Einzelaufnahmen gibt, ist selbstverständlich.

    SINFONIE C-DUR D 944 **** bis *****

    Auch die „Große C-Dur“, die letzten fertiggestellte Sinfonie Schuberts, hört man hier in einer – ja: großartigen Aufnahme. Manchmal etwas weniger Härte und anderenorts etwas mehr lächelndes Flair hätte der einen oder anderen Stelle im Kopfsatz gut angestanden. Aber das ist eine ganz persönliche Sicht und diese Spielweise stellt sich im weiteren Verlauf des Hörens spätestens beim Finalsatz als beabsichtigt und sinnvoll heraus. Die hörbare Nähe zu Beethoven steht dem Werk durchaus an! Der Kopfsatz ist in den Temporelationen sehr gut gelungen, z.B. der Übergang vom Andante der „Einleitung“ in das Allegro ma non troppo, auch wenn der Spannungsaufbau etwas darunter leidet. Das Seitenthema hat ein sehr lebendiges und klares Profil. Am Ende des Satzes leugnet Zender nicht die Traditionen der Spielpraxis. Das Andante con moto de zweiten Satzes hat m.E. ein ideales Tempo für diese Sicht auf das Werk. Der Satz federt durchwegs und ist dennoch echt bedrohlich in dem Umschlagen von „seelenvollen Wandern“ ins „Marschieren in die Lebensschlacht“.
    Der Scherpunkt des Scherzos liegt auf dem Widerborstigen, den vielen Akzenten und Sforzati, die auch immer wieder auf unbetonten Taktteilen erscheinen. Unbegreiflich, dass manche diese so weich nehmen, denn hier ist die Nähe zu Beethoven greifbar und der Satz verliert so seine „Gemütlichkeit“. Wunderbar, was die Holzbläser da an Kapriolen und witzigen Feinheiten hörbar machen (Vorschläge), zudem ausgezeichnet von der Technik eingefangen Ganz großartig gelungen ist auch das Trio in dem leicht drängenden Fluss, das nie an Spannung verliert oder zu lang erscheint. Ganz großartig!
    Das Finale kann nochmal eins draufsetzen, auch das Orchester übertrifft sich selbst an Spiellaune (z.B. das Holz!) – einfach toll und erfüllt! Was für ein Feuer dieser Satz hat – Schubert Zender und dem SWT S.O. sei Dank! Für dieses Finale gibt’s von mir MEHR als fünf Sterne!
    Die letzten drei Sinfonien sind für mich die gelungensten Einspielungen dieses Zyklus mit Hans Zender. Dazu trägt auch die deutlich besser gelungene Aufnahmetechnik bei, besonders auch hier in der letzten Sinfonie.

    AUFNAHME UND EDITION

    Der prinzipielle Klang des Aufnahmekonzepts des SWR bei Hänssler ist durchaus bekannt durch viele Aufnahmen der letzten zwei Jahrzehnte (z.B. Beethoven Sinfonien mit Gielen) bekannt. Die Aufnahmen stammen aus dem Konzerthaus Freiburg (1te, 2te, 3te, 5te, 6te, 7te) und dem Hans-Rosbaud-Studio Baden-Baden (4te, 8te).
    Die letzten drei Sinfonien klingen sehr gut bis ausgezeichnet und das nun folgende bezieht sich ausschließlich auf die Sinfonien Eins bis Fünf.
    Das (übrigens sehr gute) SWF Sinfonieorchester klingt (so etwa bis zur sechsten Sinfonie) etwas verhangen und „in Watte gepackt“. Man könnte auch sagen, dass die Höhen etwas gedämpft und dadurch etwas scharf klingen (was kein Widerspruch, sondern eine Konsequenz daraus ist!) was durch die nicht luftige Akustik noch verstärkt wird.
    Der Klang des Hans-Rosbaud-Studios ist mit der angewandten Aufnahmetechnik nicht wesentlich anders als in Konzerthaus Freiburg, außer dass der Raum minimal größer klingt. Generell wäre mir persönlich eine etwas nähere Mikroaufstellung und weniger Filterei (ist vielleicht auch nur der Höreindruck eben durch die Mikropostierung) in der Höhe angenehmer gewesen.
    Zusammenfassend und kurz gesagt: Klarheit und Farbigkeit JA, Klangschönheit NEIN …
    Jammerschade, dass bei Eins bis Fünf klangtechnisch nicht glücklich sind – besonders weil man bei Sechs, Sieben und Acht hört, dass es durchaus anders geht – in beiden Räumen!

    Das Textheft mit einem Interview mit Zender (mit hochinteressanten persönlichen Gedanken) und Anmerkungen zu den Sinfonien ist ausgezeichnet! Die vier CDs stecken in papierhüllen mit Klebebänder (was ja nicht sehr sinnvoll ist), die Box ist stabil im typischen Hänssler-Design.

    FAZIT

    Eine Gesamtaufnahme der „offiziellen“ Sinfonien, die viele (die meisten?) anderen in den Schatten stellt. Von wenigem Abgesehen, sehr genaues Musizieren am Urtext. Die Zender-Einspielung mit dem SWR.S.O. könnte ganz vorne mit dabei sein, wenn der Dirigent sich wie manch anderer Kollege mit dieser noblen Einstellung hie und da einen m.E. zu strengen Maßstab an Zurückhaltung mit Persönlichem (was ja nicht Werkverfremdend sein muss!) auferlegen würde.
    Davon sind für mein Empfinden etwas die Erste, deutlich stärker die Zweite und Dritte betroffen. Die Vierte verliert für mich im Verlauf des Stücks, die Fünfte und besonders die Sechste sind sehr gut, die Unvollendete und die „Große C-Dur“ hervorragend.

    Durchaus eine Kaufempfehlung, wenn man den Zyklus komplett haben möchte und in Kauf nimmt, das drei der Sinfonien nur „ordentlich“ – soll heißen: ohne groß erkennbares Profil interpretiert sind. GANZ KLAR: Das ist nur meine persönliche Sicht, aber die sollte in einer Rezension (möglichst in Begründungen ausgeführt) auch mitschwingen.

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    HIER LEIDER NICHT EINGESPIELT - DIE SINFONIE-FRAGMENTE

    Die Sinfonie E-Dur D 729 (in der Struktur wie bei Mahler Zehnter klar und noch mehr Substanz, aber von Schubert nicht ganz fertiggestellt), die großartige letzte Sinfonie D 936 A (über deren Fertigstellung Schubert gestorben ist), das viersätzige Fragment D 708 A oder der Einzelsatz D 615 sind meines Wissens nur in der GA von Marriner enthalten, ansonsten in ein paar Einzelaufnahmen, von denen besonders die mit Mackerras (Bearbeitung: Brian Newbould) und Peter Gülke (eigene Bearbeitung) erwähnenswert sind.

    - - - - -

    Über ein Feedback (Bewertung JA oder NEIN, Kommentar - wie und welcher Art entscheiden natürlich SIE!) zu meinen Bemühungen des Rezensierens würde ich mich freuen! Lesen Sie gern auch andere meiner weit über 200 Klassik-Besprechungen mit Schwerpunkt "romantische Orchestermusik" (viel Bruckner und Mahler), "wenig bekannte nationale Komponisten" (z.B. aus Skandinavien), "historische Aufnahmen" und immer wieder Interpretationsvergleiche und für den Kenner bzw. Interessierten meist Anmerkungen zum Remastering!
    76 bis 100 von 271 Rezensionen
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