5 von 5
Chalco
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Alter:
25 bis 34
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Geschlecht:
Männlich:
14. Februar 2011
Gesamteindruck:
4,0 von 5
Künstlerische Qualität:
5,0 von 5
Repertoirewert:
4,0 von 5
Unaufdringliche Romantik
Ich staunte nicht schlecht, als ich las, dass Reineckes Violinkonzert seit der Uraufführung nie wieder gespielt wurde. Wie konnte man dieses Werk vergessen?
Die Antwort dürfte in einer Gesamtbetrachtung von Reineckes Schaffen liegen. Carl Reinecke, der ein erfülltes Leben als Komponist und Dirigent lebte und ein enormes kompositorisches Repertoire an den Tag legte, galt und gilt teilweise immer noch als überholter, wenig innovativer und deshalb wertloser Durchschnittskomponist des 19. Jahrhunderts. Diese Auffassung tut ihm auf ganzer Linie unrecht. Ja, Reineckes Tonsprache ist konservativ, manches hat Längen, manches ist mittelmäßig, weniges ist brilliant. Doch sollte man Reinecke an seinem eigenen Anspruch messen, die Musik der Klassik mit romantischen Formen weiterzuentwickeln. Und vieles ist auf jeden Fall hörenswert! (Das gilt in ähnlicher Form auch für seinen Schüler Max Bruch). Deshalb bin ich froh, wenn mehr und mehr von Reineckes Schaffen eingespielt und veröffentlicht wird.
Die vorliegende CD habe ich mir vor allem wegen des Violinkonzerts angeschafft. Ich kenne Reineckes Klavierkonzerte, sein Flöten- und sein Harfenkonzert und schätze diese Werke als melodiöse, angenehm zu hörende und vor allem die Stärken der jeweiligen Soloinstrumente wunderbar herausarbeitende Kompositionen. Ich wurde auch hier nicht enttäuscht.
Der erste Satz des Violinkonzerts folgt einem sehr klassischen Schema: Das Orchester stellt das Kopfthema voran, die Sologeige entwickelt es weiter. Für diesen klassischen Aufbau ist man als Hörer schnell dankbar. Der Solopart ist anspruchsvoll, teilweise virtuos, aber gerät nicht aus den Fugen (etwas, das mir etwa bei Tschaikowski nicht gefällt). Sologeige und Orchester geben sich den Melodien und der Form des Werkes hin. Ich fühle mich beim Hören dieses ersten Satzes gelegentlich an Mendelssohn erinnert.
Der zweite Satz hat ein herrliches Kopfthema und schlägt lyrische, verträumte Stimmungen an. Auch hier kommt Reinecke bei der Ausarbeitung immer wieder auf die Themen zurück, so dass auch dieser Satz einen logischen Aufbau hat. Sehr schön ist hier der "Dialog" von Violine und Orchester ausgearbeitet und von den Beteiligten auch mit dem nötigen Maß Zurückhaltung interpretiert. Teilweise fühlt man sich beim Hören entrückt.
Den dritten Satz möchte ich als Schwächsten des Konzerts bezeichnen. Man möchte hier ein triumphales Finale oder zumindest, wie bei vielen anderen Reinecke-Konzerten, einen Klimax zu den vorangegangenen Konzerten erwarten. Doch weit gefehlt. Allein die Satzbezeichnung "Moderato con grazia" sagt es: gemäßigtes Tempo und grazile Melodien, geprägt von Doppelgriffen auf der Violine. Ehrlich gesagt gefällt mir das Hauptthema dieses Satzes nicht so gut wie in den vorangegangenen Sätzen. Welche Spannung dabei aufgebaut wird, merkt man erst bei den Orchestereinwürfen, die den Satz im eigentlichen Sinne vorantreiben. Wirkliche Stärken entwickelt der Satz dann doch noch in der Durchführung. Der Schluss ist aufgebäumt, aber nicht triumphal.
Trotz dieser kleinen Schwächen am dritten Satz ist das Werk in jeder Hinsicht hörenswert. Hier zeigt sich Reineckes Hingabe an Melodik und, wenn ich das als Amateurgeiger mal hinzufügen darf, Verneigung vor der klanglichen Schönheit der Violine.
Die beiden Violinromanzen sind äußerst gelungene Stücke. Auch hier überwiegt jeweils ein ruhiger, unaufdringlicher Unterton, gepaart mit einer melodieverliebten Ausarbeitung. Im besten Sinne romantische Musik.
Zur Sinfonie fällt es mir schwer, ein wirkliches Urteil abzugeben. Meiner Meinung nach ist Reineckes erste Sinfonie auch seine schwächste. Das sah seinerzeit bereits das Premierenpublikum so. Vielleicht lässt es sich so zusammenfassen: Aus der ganzen Sinfonie ist es kein Thema, kein Satz, keine Wendung, die wirklich in Erinnerung bleibt. Allenfalls das Scherzo setzt sich von den drei anderen Sätzen etwas ab.
Fazit:
Der Kauf dieser CD lohnt vor allem wegen des Violinkonzerts und sicher auch wegen der beiden Violinromanzen. Die Einspielung von Ingolf Turban und dem Berner Symphonie-Orchester ist hervorragend gelungen und schließlich das, was den positiven Gesamteindruck abrundet. Der Ton ist kristallklar, die zurückhaltend komponierten Werke harmonieren mit der puren Schönheit der in ihr verwendeten Instrumente. Ein großes Lob an die Beteiligten, dass sie sich so auf Reineckes Stil eingelassen haben.
Nicht Reineckes beste Werke, aber auf jeden Fall hörenswerte und dankbare Musik eines vergessenen Meisters!
Unten angefügt: meine Lieblingswerke des Komponisten in den m.E. besten Interpretationen