Das ist, wie in der Presse bei Erscheinen mehrfach besprochen und bejubelt, oft "kompromissloser" Beethoven.
Korstick arbeitet die Kontraste in Beethovens Klaviermusik heraus, bis es zum Teil "brutal" klingt, manchmal fast weh tut.
Er hält z.B. die (in den schnellen Sätzen) noch oft besonders hohen Tempi konsequent durch, kaum (Atem-) Pausen, Verlangsamungen, keine Erholung -
und die spröde Akustik tut das ihre dazu:
dieser Beethoven will nicht gefallen!
Man bekommt den Eindruck, die meiste Zeit habe Beethoven wohl Wut, schlechte Laune oder Kopfschmerzen gehabt - und Korstik lässt uns daran teilhaben...
Dabei spielt Korstik offenbar (ich hab die Partituren nicht danebengelegt) die Sonaten wirklich gemäß Beethovens Vorgaben - berufenere Experten als ich bestätigen ja seine Texttreue.
Leider geht dabei für mich manchmal ein wenig Beethovens Seele (oder die der Musik) verloren... -
wenig Freudiges, Leichtes, Gelassenes, wenig Humor, in einem Wort: wenig "Freude" findet man in diesen Darstellungen.
Die "alten Meister" Kempff, Solomon, Arrau, Brendel, Gilels, auch viele Jüngere (Goode, der junge Barenboim, Perl, Lewis, ...) klingen da "menschlicher" (Entschuldigung für das große Wort - ich hoffe, man versteht, was ich meine).
Wenn Korstik hier "korrekt" klingt, klingen (ganz subjektiv für mich!) die meisten der Genannten dagegen "richtig".
So. -
Aber dann hat ja (fast) jede von Beethovens Klaviersonaten auch einen langsamen Satz.
Und hier wird Korstik oft plötzlich ganz anders:
meist sogar langsamer gespielt als üblich, atmet die Musik hier plötzlich, nimmt Korstik sich Zeit, wird sein Ton milde - und er berührt zutiefst!
(Ein kleines Wunder z.B. der langsame Satz der Sonate Nr. 7 opus 10/3 (als Hörbeispiel die dritte CD, Stück 8) -
hier wünscht man sich, die Musik möge nie enden...).-
Und dann ist da ja noch die Hammerklaviersonate.
Die Version von Korstik muss man eigentlich gehört haben (und dann will man die Aufnahme auch besitzen!): insbesondere was er aus dem langsamen 3.Satz (Adagio sostenuto) macht, ist bislang "unerhört" und wirklich atemberaubend - allein das extrem langsame Tempo, das trotzdem immer "richtig" klingt. In der britischen Klassik-Zeitschrift Gramophone wird gerne zitiert, was irgendein Berühmter mal dazu assoziiert hat - und nie passte es besser als bei Korstik: "wie das eisige Herz eines entfernten Bergsees" (oder so ähnlich). Und allein nach dem Hören des Schlusssatzes kann man sich so erschöpft fühlen, als hätte man sie selbst gespielt... -
Tja. Und bevor man sich jetzt die Einzelaufnahme von Korstiks Hammerklaviersonate kauft, empfehle ich, etwa die gleiche Summe (knapp 20 Euro im November 2018 - und 12,80 Euro im August 2021!) auszugeben für eine Gesamtaufnahme, die zum Teil verstören kann - die auch nicht die Einzige sein sollte, die man hat, sonst besteht Gefahr, viel zu wenig den gelassenen, humorvollen, freudigen, begeisternden - und in seinem Selbstbewusstsein gelegentlich ein wenig "verrückten" Beethoven zu sehen - eine Gesamtaufnahme, die aber einen bislang ungekannt konzentrierten Blick auf Beethovens harte, kompromisslose Seite wirft. -
Nach ein paar Jahren habe ich nun auf fünf Sterne erhöht (vorher 4) - wegen der wunderbaren Ernsthaftigkeit und Größe, die Korstick in dieser Musik findet, seinem Mut zur Langsamkeit und "Bedeutung".
Inzwischen meine Lieblings-Gesamtaufnahme. :-)