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Kai Holm
30. Mai 2017
Schönes Teil
In Zeiten von Streaming, Download und MP3 fällt es der Musikbranche immer schwerer, Tonträger zu verkaufen. Als erfolgreich erweisen sich aber mehr und mehr Neuauflagen von Klassikern in opulenter Aufmachung, oft mit bislang nicht veröffentlichten Aufnahmen erweitert. Hier werden Fans und Sammler gleichermaßen angesprochen.
Aktuell liegt das Album „The Joshua Tree“ der irischen Band U2 zum 30-jährigen Jubiläum als Neuauflage in verschiedenen Versionen vor. Erstmals erschienen 1987 und von vielen Fans als bestes U2-Album geschätzt, nicht nur wegen der darauf enthaltenen Superhits „With Or Without You“, „Where The Streets Have No Name“ sowie „I Still Haven’t Found What I’m Looking For“. Das Album mit ursprünglich 11 Songs festigte den Status der Stadion-Rockband und gilt musikhistorisch als Meilenstein. Danach gingen die Iren um den charismatischen Sänger Bono durch diverse Experimentierphasen und irritierten damit einige alte Anhänger nachhaltig, gewannen allerdings auch neue Fans hinzu.
Bereits vor zehn Jahren wurde „Joshua Tree“ zum 20-jährigen wiederveröffentlicht. Angemessen remastered plus eine Zusatz-CD mit 14 Session-Outtakes sowie B-Seiten war es in 2007 Argument genug für viele Fans, erneut das Werk zu erwerben. Eine limitierte Box mit seinerzeit zusätzlicher DVD besitzt heute hohen Sammlerwert.
Jetzt kommt es Anfang Juni 2017 noch opulenter: Ein 4-CD-Paket mit dem Originalalbum, einem Livekonzert von 1987 (MSG New York), 6 neuen Remixen (u. a. von Flood, Steve Lillywhite und Daniel Lanois) und nunmehr 15 Outtakes/B-Seiten. Dazu ein kleines Buch sowie einige Farbdrucke . Für U2-Anhänger ein echter Leckerbissen und von der Band durch eine exklusive Joshua-Tree-2017-Konzerttour begleitet. Vinyl-Fans können sich die Sammlung als 7-LP-Box mit digitalem Download-Gutschein zulegen und bekommen Buch plus Drucke in Großformat - aber auch zu einem stolzen Preis von rund 140 Euro.
Zur Musik: Das Originalalbum war und ist soundtechnisch durch Brian Eno sowie Daniel Lanois produktionstechnische Referenz, ein aktuelles Remaster macht hier nichts kaputt (Stichwort „Loudness War“ ). Übrigens fremdelte Gitarrist und Komponist The Edge lange mit dem äußerst erfolgreichen Album, obwohl er hier doch einige zeitlose Klassiker verewigt hat. Klassische Gitarrenläufe, Gesangspathos, Nachdenklichkeit, Anklage, Spiritualität, druck- und manchmal gefühlvolle Rhythmussektion - alles und mehr vereint sich zum abwechslungsreichen Hörgenuss.
Outtakes und B-Seiten beweisen, dass die Band seinerzeit vor Kreativität strotzte und keineswegs Ausschuss produzierte. Sicher etwas sperriger als die bekannten Titel, aber textlich wie kompositorisch dem Album ebenbürtig und damit unverzichtbare Ergänzung zum Gesamtüberblick über die Aufnahmesessions 1987.
Das Konzert im Madison Square Garden bietet neben vielen Joshua-Tree-Songs diverse Hits wie „Pride“, „Sunday Bloody Sunday“ oder „New Years Day“ in bester Spiellaune der 4-Mann-Band. Die 2017er-Remixe bleiben Geschmackssache, mir sind die Originale lieber - mag aber am Alter liegen.
In den angeblich so oberflächlichen 80ern war „The Joshua Tree“ das Statement für die Sehnsucht nach einer besseren Welt, einem besseren Amerika ( der ursprüngliche Albumtitel sollte „The Two Americans“ lauten ) und ein klares Bekenntnis gegen die seinerzeitige Bush-Regierung. Angesichts der jetzigen Lage irgendwie nicht unaktuell.