Spannendes Alterswerk des enigmatischen Vocalakrobaten und Klangkünsters
Hammil-Longplayer begleiten mich seit der Pubertät - und die ist deutlich länger her, als die Rente vor mir liegt. Manche habe ich Hundert-fach gehört, andere weniger oft. Bei manchen verabschiedete ich mich für eine Reihe von Veröffentlichungen, fand irgendwann den Wiedereinstieg und hörte mir hinterher das Verpasste an, nicht ohne Entdeckungen zu machen und meinen ersten Eindruck zu korrigieren.
Das Frühwerk steht für mich einsam da wie ein unbezwingbarer Monolith, doch auch in den letzten Dekaden passierte hin und wieder Großes. Den meisten der letzten Veröffentlichungen konnte ich hingegen nicht allzu viel abgewinnen - das gilt auch für die Van Der Graaf Generator-CDs oder Hammills Live-Auftritte mit unterschiedlichen Besetzungen, VDGG oder solo.
Woran lag es? Reagierte ich allmählich allergisch auf Hammills Manierismen - oder nahm ich mir nicht mehr die Zeit, die seine Werke verdienen? Ich weiß es wirklich nicht genau. Nach seinem stellenweise erfrischenden Duo mit Gary Lucas, nun also wieder Hammill solo: Ein Mann, seine Stimme, alle möglichen Instrumente und ein paar Kästchen mit Elektronik. Diesmal gar wahlweise als Einzel- oder Dreier-Set mit unterschiedlichen Varianten der CD: Einer instrumentalen, einer songorientierten und einer, die beide Welten vereint. Wahrscheinlich wird er sich irgendwas dabei gedacht haben - doch da ich finde, dass die Musik für sich stehen sollte, habe ich vorerst drauf verzichtet, mir die erklärenden Texte dazu durchzulesen, da ein Kunstwerk, und das ist diese CD (bzw. der Set) ja schließlich, für sich selbst sprechen sollte.
Wie schon seit einiger Zeit bei PH üblich, ist auch dieses ein ruhiges Werk geworden. Die Zeit, als er nach jedem "Sturm"-Album eines der "Stille" ankündigte, sind vorbei. Hammills Klangkosmos scheint sich immer mehr ins Transzendentale zu verflüchtigen: Songs, die oft nur als Schraffur oder Fragment angedeutet werden, tauchen zwischen merkwürdigen Klanggebilden auf, dann wieder verirren sich einzelne Töne in Soundscape-Lanschaften, Gitarrenklirren paart sich mit dahin getupften Tiefenbässen und der Mann, der "für die Stimme das leistete, was Hendrix für die Gitarre tat" singt mit sich selbst im Chor und erzeugt so eine fast sakrale Stimmung.
Auch wenn sich nur wenige Songs richtig festsetzen (die dann aber richtig), übt "All that Might Have Been" für mich einen fast hypnotischen Reiz aus, denn hier sind die meisten Hammill-Qualitäten wieder vereint, ohne dass man das Gefühl hat, er würde nur auf Autopilot fahren. Immer wieder sind kleine Störmomente in die Kompositionen verwoben, so dass es sicherlich hilft, diese Veröffentlichung als Klanginstallation zu betrachten und weniger als Sammlung von Songs. Auf jeden Fall als Gesamtkomposition, die man nur konzentriert hören und für die man sich Zeit nehmen sollte: Eine Art abstarkte Ambient-Musik mit Gesang, die sich teilweise Richtung moderner Klassik öffnet. "Musik am Rande der Stille" nannte man das (so glaube ich mich zu erinnern) in den "Klanghorizonten" des Deutschlandfunks.
Teilweise erinnert mich "All That Might..." entfernt an die Spätwerke von David Sylvian, der sich (auf seine ihm eigene Weise) auch immer mehr von der traditionellem Art, Songs zu komponieren und zu instrumentieren, entfernte. Auch wenn Hammills Methode, einen melancholischen Soundtrack seiner Seelenlandschaften zu kreieren, natürlich ganz andere Qualitäten und Eigenwilligkeiten besitzt. Ein Bewohner des Elfenbeinturms, dessen unvergleichliche Stimme mich immer wieder in seinen Bann zieht, so dass es mich auch nicht stört, dass sie altersbedingt in etwas tiefere Lagen abgerutscht ist. Kurzum: Er hat mich wieder am Wickel.
Mehr als sonst scheint Hammill diesmal an der Produktion gefeilt zu haben, denn alles klingt unglaublich transparent: Die Songs selbst scheinen langsam ein- und auszuatmen, die Spannungsbögen werden behutsam aufgebaut und lösen sich nicht (so wie früher) in brachialen Ausbrüchen, sondern in Wellenbewegungen auf. Ich weiß, das waren jetzt eine ganze Menge arg verquasteter Metaphern, aber ich kann es nicht anders beschreiben... (und falls jetzt jemand auf dumme Gedanken kommt: Nein, ich schreibe in meiner Freizeit keine Gedichte).
Fazit: Auf jeden Fall ist dies' für mich ein stimmiges und spannendes Spätwerk des enigmatischen Vocalakrobaten und Klangtüftlers, dass ich jedem empfehlen kann, der sich darauf einlassen möchte. Ob es unbedingt das Dreier-Set sein muss? Wer gerne limitierte Boxen mit Sammlerwert im Regal stehen hat, der schätzt vielleicht auch den ästhetischen Mehrwert der verschiedenen Varianten - bei mir hingegen läuft vorrangig der "The CINÉ"-Mix - und der ist mit der regulären Einzel-CD identisch.