Wie ein Dolly-Parton-Album aus den 80ern, nur nicht so artig
Schon vor seiner Veröffentlichung sorgte das 7. Studioalbum MAN'S BEST FRIEND von Sabrina Carpenter für Furore. Bei der Vorbestellung erblickte man ein Cover, auf dem SC eine kniende Hundehaltung vor einem Mann einnimmt. Sie mimt den "besten Freund des Mannes", wenn man den Albumtitel wörtlich übersetzen würde (in Deutschland wäre sie eben des Menschen bester Freund). Jedenfalls hat SC damit eine eigene Diskussionskultur heraufbeschworen, deren Argumentationskette entweder mit der erfüllenden Selbstermächtigung vor dem ach so mächtigen Mann oder mit der bloßen Degradierung der Frau zum Sexobjekt endet.
Kurze Zeit später kam das Musikvideo zum leicht zugänglichen Discosong TEARS, welches, typisch für SC, einen angeblich so hohen Gewaltgehalt enthielt, dass es in der Tötungsszene des ehemaligen Lovers nachträglich abgeändert werden musste, um bei YouTube seinen Bestand zu behalten. Des Weiteren enthält der Funk von TEARS die sexuelle Anspielung, dass das lyrische Ich bei verantwortungsbewussten Typen anfängt, im Hüftbereich zu weinen. Selten eine so schöne Umschreibung für die sexuelle Erregung einer Frau gehört!
Auf dem Zenit ihrer Karriere durch den weltweiten Sommerhit 2024 mit ESPRESSO ausgelöst, versucht Sabrina Carpenter also mit Kalkül weiterhin im Gespräch zu bleiben und zeigt sich dabei von ihrer besten Seite: kokett und dabei immer das Heft in der Hand habend. Das hat SC bei SHORT N' SWEET etabliert, als man sie noch nicht kannte, auf MAN'S BEST FRIEND verfeinert sie ihr Gespür für Emanzipation. Sie ist eben nicht so eine, sagen die einen, "Pick-Me-Girl" bei den Machos, sagen die anderen. Kennen wir das nicht von einer der Größten, mit gezielten Skandalen und einer Attitüde von "Kunst darf nicht ruhig sein" zu polarisieren? Wer weiß, vielleicht möchte Sabrina wirklich die nächste Madonna werden. Der Pop dazu stimmt schon einmal, denn MAN'S BEST FRIEND mit seinem zynischen Titel ist fein, auch wenn der Pop diesmal (wahrscheinlich durch weniger penetrantes Marketing der Plattenfirma) aktuell noch weniger Singlehits abwirft. Das große Ding von ESPRESSO und TASTE lässt sich schwer reproduzieren, aber Sabrinas Moment im Lampenlicht ist noch längst nicht erloschen. Alles andere als artig Pfötchen gebend, macht sie sich einmal mehr über toxische Männer lustig, die beim Dating denken, immerzu die Zügel in der Hand zu haben. HOUSE TOUR (Anspieltipp) als Absacker, wenn man einen Hottie nach dem Dinner mit zu sich nimmt, fängt jenen knöchernen Upbeat-Geist einer Paula Abdul von ihrem Hitalbum FOREVER YOUR GIRL ein. Aber nicht nur bei HOUSE TOUR erklingen die hellen 80er-Synthies; MY MAN ON WILLPOWER hat ein Stakkato-Intro wie die Titelmelodie von MIAMI VICE; bei GO GO JUICE könnte man meinen, dass Chappell Roan mitsingt, zumal MANCHILD irgendwie Elemente von Chappells GOOD LUCK, BABE! wiederverwertet. Über allem schweben dann noch Banjos, sowas wie Dixie und Country von Dolly Parton aus den 80ern (nur mit Kraftausdrücken versehen), als sie Sachen wie POTENTIAL NEW BOYFRIEND gemacht hat (wunderschön entrückt in diesem Zusammenhang und 2. Anspieltipp durch den rege marschigen Blechbläsereinsatz zum Schluss: "forgive my French but eff you, tata" GOODBYE).
Der beste Freund des Menschen scheint wirklich urig-amerikanisch und ästhetisch schön zu sein, wenn man Sabrina Carpenter und ihrer erneut von Hitmaker Jack Antonoff (Taylor Swift, Lana Del Rey, Florence + the Machine) mitgefertigten Musik Glauben schenken darf. Auf Albumlänge macht MAN'S BEST FRIEND durchaus Sinn und greift durchaus die Kohärenz von SHORT N' SWEET als perfektionierter Nachfolger auf.
Die hellblaue LP präsentiert sich in einer Klapphülle und gleich zwei Beilegern mit mehr Fotos der charismatischen Sängerin, aber wieder einmal ohne Liedtexte. Auch die Titelliste glänzt durch Abwesenheit, eine Art Corporate Identity der Künstlerin auf ihren Vinylausgaben seit ihrem Album EMAILS I CAN'T SEND von 2022, als das einstige Disney-Sternchen eine erwachsene Richtung eingeschlagen hat. Gefällt mir persönlich weniger, man muss schon auf die Labels der Platte gucken, um die Titelnamen in Erfahrung zu bringen. Dafür klingt das Ding phantastisch: den reichen, fast 40minütigen Instrumenteneinsatz aus Gitarren, Banjos, Keyboards, Streichern und Blechbläsern kann man wirklich genießen. Keine "Inner Groove Distortion" wie noch bei SHORT N' SWEET, aber aber kleine Abzüge in der Pressung (das Mittelloch meines Exemplars musste noch geweitet werden und am der Rand der Platte hingen Pressrückstände) lassen des Menschen bester Freund ganz gut gehorchen.