Licht und Schatten
Die Ankündigung einer exklusiven Ersteinspielung einer Graun-Oper in prominenter Besetzung hat in mir große Erwartungen erweckt, die aber leider nur zum Teil erfüllt wurden.
Angekündigt war, dass die Aufnahme „2024 im Rahmen der Potsdamer Musikfestspiele“ entstand, nicht aber, dass es sich dabei um eine veritable Liveeinspielung handelt- und zwar mit einigen ziemlich störenden Bühnengeräuschen!
Wie ein Blick auf die im Internet problemlos auffindbare Partitur Grauns offenbart, wurden dabei zwei große Arien ganz gestrichen und bei den meisten anderen die Dacapos und/oder Mittelteile weggelassen. Merkwürdigerweise wurde der Rotstift bei den oft langatmigen Seccorezitativen nicht so rabiat angesetzt. Ebenfalls schwer nachvollziehbar ist, dass die Oper nicht kostengünstiger auf zwei Scheiben untergebracht wurde, was problemlos möglich gewesen wäre.
Was in einer Live-Situation mit ablenkenden Aktionen, Kostümen und Bühnenbildern noch angehen mag, wird leider bei einer jederzeit wieder abspielbaren Audio- Aufnahme zum Problem: So z.B. die mit nur 10 Streichern sehr klein besetzte orchestrale Grundformation, die auch durch gelegentliche Verstärkung durch Flöten, Oboen und Hörner (teils von Graun vorgeschrieben, teils von der Dirigentin eigenmächtig hinzugefügt) und sehr aktiver Continuo-Gruppe nichts von ihren scharfen und wenig tragfähigen Dünnheit verliert. Gottseidank hat sich Dorothee Oberlinger diesmal mit der Verwendung von unhistorischem Schnickschnack zurückgehalten, auch wenn in der Sinfonia Pauken dröhnen und ein Schellentamburin befremdlich klingelt.
Doch viel entscheidender für den insgesamt recht durchwachsenen Gesamteindruck ist m.E. die große Uneinheitlichkeit der gesanglichen Leistungen. Valer Sabadus in der einen Ganzton tiefer transponierten und damit zum Mezzo mutierten Titelrolle vermag mit seinem in den letzten Jahren deutlich nachgedunkelten Timbre nur im Lyrischen zu überzeugen, während die beiden genuinen Sopranisten Bruno del Sà (einer der begabtesten Vertreter seines Fachs) und Federico Fiorio technisch erstklassige und emotional tief berührende Momente höchst individueller Gesangskunst liefern.
Keri Fuge als Seconda Donna singt auf ähnlich hohem Niveau, während Tenor Daniel Tricou große stimmliche Probleme mit seiner heiklen Partie offenbart. Wie ein Fremdkörper wirkt der früher so schöne, jetzt aber scharf und leider oftmals regelrecht schief intonierende Sopran von Roberta Mameli.
Grauns Musik offenbart wie immer eine Überfülle melodischer und harmonischer Schönheiten, die allerdings ein homogen exzellentes Gesangs- und Instrumentalensemble erfordern. Adriano in Siria wurde im Karneval 1745/1746 immerhin von einigen der damals berühmtesten und teuersten italienischen Gesangsstars aufgeführt.
Erfreulich ist, dass der gesungene Text auch in deutscher Übersetzung vorliegt, während das Booklet sich ansonsten nur sehr knapp und allgemein präsentiert. Um etwas mehr über die durchaus politischen Hintergründe der Uraufführung zu erfahren, muss man schon das Internet bemühen.
Immerhin lernt man jede Menge herrlicher Musik und einige herausragende gesangliche Einzelleistungen kennen, was aber nichts daran ändert, dass eine wirkliche Referenzaufnahme dieser wertvollen und historisch interessanten Oper, mit der einst die siegreiche Heimkehr Friedrichs des Großen aus dem 2. Schlesischen Krieg sinnfällig begangen wurde, wohl b.a.w. Desiderat bleibt.
Wer eines der reifen Berliner Meisterwerke Carl Heinrich Grauns ungekürzt kennenlernen möchte, sollte vielleicht zuerst zu der ausgezeichneten Gesamteinspielung von „Silla“ (CPO, 2023) greifen.