Vokales Feuerwerk!
Der Sommer 2025 bringt nun mit Giacomellis „Cesare in Egitto“ nach Grauns „Adriano“ und Wilhelmine von Bayreuths „Argenore“ schon die dritte Ersteinspielung einer Opera seria der Zeit um 1740, was zu sehr interessanten Vergleichen der Werke und Interpretationen einlädt. Ganz ähnlich wie die beiden zuletzt erwähnten Opern besteht dieses mit Händels berühmtem gleichnamigen Meisterwerk nahezu inhaltsgleiche Dramma per musica fast ausschließlich aus Dacapo-Arien im Wechsel mit Secco-Rezitativen.
Giacomelli, den Viele sicherlich von seiner berühmten Nachtigallenarie kennen dürften, die Farinelli dem depressiven spanischen König Abend für Abend vorzusingen hatte, verwendet interessanterweise die sparsamsten orchestralen Mittel (nur von Streichern begleitete Arien, gelegentliche unselbständige Oboen und nur bei einer Nummer begleiten Hörner), verfügt aber kompositorisch über die größte Raffinesse. Man nimmt hier beglückt einen überaus reichen, fantasievollen und so bei italienischen Komponisten dieser Zeit im Detail noch nie gehörten differenziert- kontrapunktischen Orchestersatz wahr, zu dem die Singstimmen manchmal nur als primus inter pares hinzutreten. Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass sich Giacomelli bei der Komposition mehr an Kenner denn an Liebhaber gewandt hat. Ist das ganze Stück deshalb eine auch noch im 21. Jahrhundert lebensfähige Oper? Leider nein, denn so schön und kunstvoll die einzelnen Arien auch daherkommen, so wenig psychologische Feinheit und emotionale Tiefe vermögen sie zu vermitteln. Interessant ist dabei, dass die überwiegende Mehrzahl der 25 Solonummern in Dur steht, ein schnelles Tempo hat und einen extrovertiert-kämpferischen Grundcharakter vorweist.
Bei zweieinhalb Stunden Gesamtdauer ist das zu wenig, zumal wenn man die nie langweilig werdenden Schattierungen von Händels zeitlosem Meisterwerk im Ohr hat, gegen die Giacomellis auf Dauer ermüdende vokale Pyrotechnik klar den Kürzeren zieht.
Die sechs annähernd gleich anspruchsvoll gestalteten Partien werden von dem 2024 sehr professionell live in Innsbruck aufgenommenen Ensemble unter O. Dantone außerordentlich beachtlich bewältigt. In puncto Virtuosität und vokaler Dauerbelastung dürfte diese Partitur eine der ambitioniertesten ihrer Zeit sein. Herausragend war für mich Sopranist Federico Fiorio als Lepido, der m.E. die interessantesten Arien zu singen hat. Dieser junge Sänger, der übrigens vor kurzem in Salzburg den Sesto in Händels Cäsar in einer ansonsten haarsträubenden Inszenierung wunderbar verkörpert hat und bei „Adriano“ in einer kleineren Rolle angenehm aufgefallen ist, bringt alle stimmlichen und gestalterischen Fähigkeiten mit, die ihn für eine glanzvolle internationale Karriere qualifizieren. Einziger Schwachpunkt ist der meist recht enge und teils blasse Tenor von V. Cotaldo als Tolomeo, der allerdings in seiner im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubenden Bravourarie im zweiten Akt, die wundervoll bildhaft einen schäumenden Wildbach schildert, dann doch noch zu beachtlichem Format findet. Die vier Damen im Ensemble lassen kaum Wünsche übrig, auch wenn man allen im dritten Akt anmerkt, dass die Kondition etwas nachlässt- kein Wunder bei der Fülle der in den zwei vorangegangenen Stunden zu bewältigenden Schwierigkeiten.
Das Beiheft enthält zwar das vollständige Libretto mit englischer Übersetzung, präsentiert sich ansonsten aber eher spartanisch. Ärgerlich ist, dass die Oper nicht auf zwei Scheiben untergebracht wurde, was in der heutigen Zeit problemlos möglich gewesen wäre.
Insgesamt kommt man als Fan spätbarocker Opern an diesem „Cesare“ nicht vorbei, auch wenn sich das anspruchsvolle Werk trotz seiner zahlreicher Schönheiten mit großer Wahrscheinlichkeit wohl nicht auf der Opernbühne behaupten können wird.