5 von 5
EdlerTropfen
14. August 2015
Gesamteindruck:
5,0 von 5
Künstlerische Qualität:
5,0 von 5
Repertoirewert:
5,0 von 5
Sturm und Drang
Die Beethovenschen Klaviersonaten gibt es inzwischen in einer ganzen Flut von Einspielungen mit modernen Konzertflügeln. Und obwohl Haydns und Mozarts Solowerke schon seit Jahrzehnten auf historischen Hammerflügeln eingespielt wurden, fehlte bisher doch eine Gesamteinspielung der Beethoven-Sonaten von berufener Stelle.
Ronald Brautigam hat diese eklatante Lücke im Katalog endlich gefüllt. Und der Serkin-Schüler hat nicht nur ein Faible für historisches Instrumentarium, mit dem er sich bereits dem Schaffen Haydns und Mozart genähert hat. Er ist vor allem auch ein Künstler von beeindruckender Eigenständigkeit, die seinen Zyklus auch in interpretatorischer Hinsicht zu einem Ereignis macht.
Zugegeben, unerfahrene HörerInnen (wie ich es war) müssen sich zunächst an den Klang der historischen Nachbauten gewöhnen. Weniger Sustain und eine sehr unmittelbare Ansprache stellen die Hörgewohnheiten bisweilen auf eine extreme Probe. Dazu kommt der energetischer Drive, mit dem Brautigam durch die schnellen Sätze stürmt, dass es einem manchmal schwindelig wird (z.B. Kopfsatz op. 2/1).
Was dieser Zyklus wirklich jedem/jeder Beethoven-LiebhaberIn bietet, ist eine gänzlich neue Sicht auf die Sonaten. Und daran haben die drei verwendeten Tasteninstrumente, die Paul McNulty nach historischen Vorbildern aus Wiener Werkstätten des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts angefertigt hat, einen wesentlichen Anteil. Und Brautigam ist sich der besonderen Eigenschaften der Klaviere voll bewusst und spielt ihre Stärken voll aus: Die frühen Sonaten klingen auf der leichtgängigen Tastatur besonders stürmisch, Akzente springen einen unvermittelt an, Läufe und Akkordzerlegungen strahlen wie Perlenketten und die Triller, die besonders in den späten Sonaten so wichtig werden, sind im Gesamtbild viel stärker gewichtet.
So gibt es eine ganze Reihe erstaunliche Erkenntnisse, die man beim Hören dieser Aufnahmen gewinnen kann, beispielsweise der Anfang der Waldsteinsonate, der doch sonst immer diffus-grummelig klingt, unter Brautigams Fingern aber lebedig pulsierend und klar durchhörbar ist. Und in der Appassionata reißt der forte-Abgang am Ende der Einleitung regelrecht das Tor zur Hölle auf, so krass erscheint der Unterschied zwischen den pianissimo-Passagen und dem plötzlichem Ausbruch auf dem Hammerklavier.
So konsequent wie Brautigam beim Instrumentarium und Interpretation der Sonaten verfährt, so hat BIS auch bei der Edition gewirkt: In kristallklarer SuperAudio-Qualität aufgenommen und versehen mit einem umfangreichen und sehr informativen Booklet (152 Seiten, englisch-deutsch-französisch) bekommt diese Veröffentlichung auch den äußerlichen Glanz, den sie in jeder Hinsicht verdient.
Die 32 Sonaten, die Beethoven mit Opus-Nummern versehen hat, sind auf 8 CDs zu finden, CD 9 ergänzt das Kompendium mit den "inoffiziellen" Sonaten und Sonatinen, darunter die durchaus beachtenswerten "Kurfürstensonaten". Eine Gesamtaufnahme also, die ihren Namen tatsächlich verdient – und die man in jeder Hinsicht unbedingt empfehlen muss! Der im Vergleich zur Konkurrenz etwas höhere Preis wird durch seinen außerordentlichen diskografischen Wert und wertvolle Edition unbedingt gerechtfertigt.