4 von 5
blackbird
Top 50 Rezensent
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Alter:
45 bis 54
-
Geschlecht:
Männlich:
14. März 2016
Gesamteindruck:
4,0 von 5
Künstlerische Qualität:
4,0 von 5
Repertoirewert:
4,0 von 5
Dacapo Kaufmann
Für meinen Geschmack ist es eine Geringschätzung des Orchesters und des Dirigenten, wenn während der Ouvertüre oder sonstiger einleitender Orchestermusik ständig dazwischen gequatscht, der Lebenslauf des Komponisten erzählt und auch noch Foto- und Filmmaterial aus der damaligen Zeit gezeigt wird. Umso schlimmer ist es, wenn der Erzähler der Star des Abends selbst ist! Ob er es so toll finden würde, wenn während seines "Nessun dorma" jemand die Lebensgeschichte des Jonas Kaufmann erzählt? Für solch einen informellen Teil eines Konzertes gibt es auf DVDs eine Bonus-Abteilung!
Das war aber auch fast schon alles, was mir zu dieser Produktion negativ aufgefallen ist.
Das Konzert zeigt einen Tenor von Format und Weltklasseniveau. Ganz chic und etwas schlaksig kommt er daher, perfekt gestylt und doch irgendwie lässig, lächelt scheu, verneigt sich ehrfurchtsvoll und ist dabei doch der Sonnyboy, den die Mailänder kennen und lieben. Nur der ergraute Wangenbart verrät sein Alter. LE VILLI und EDGAR gibt es zum Einsingen, MANON LESCAUT (1. Akt) scheint ihm auch noch leicht aus der Kehle zu strömen, im 3. Akt geht's dann aber schon richtig zur Sache, und da beweist er Stehvermögen, überwältigt mit schierer Kraft. "E lucevan le stelle" aus TOSCA ist eine Darbietung für die einsame Insel, das Diminuendo einzig überboten von Franco Corelli am 21. Januar 1967 in Parma. Der reguläre Teil des Konzertes endet natürlich mit "Nessun dorma" - anstrengen muss er sich dabei schon, denn seine Stimme hat zu wenig Metall, um völlig mühelos über das Riesenorchester der Scala zu kommen. Dieser Klangkörper verzaubert den Hörer zwischen den vokalen Höchstleistungen mit orchestraler Musik von Puccini, besonders hervorzuheben, weil zum Dahinschmelzen schön, das Intermezzo sinfonico aus MANON LESCAUT. Die 5 (!) Zugaben enthalten dann auch "Recondita armonia" aus dem 1. TOSCA-Akt und das bis dahin vermisste "Ch'ella mi creda" aus der FANCIULLA. Mit dem unverwüstlichen "Non ti scordar di me" gibt Kaufmann dem Affen noch mal ordentlich Zucker - und das sollte es dann eigentlich gewesen sein, jeder neuerliche Gang zur Rampe scheint etwas schwerfälliger, das Lächeln etwas bemühter, die Mimik nicht mehr so strahlend. "Addio fiorito asil" aus der BUTTERFLY wäre jetzt ein passender Abschluss angesichts des Blumenmeeres, das ihn umgibt ("Che gelida manina" aus LA BOHEME hat übrigens auch gefehlt...), aber der Star und der Dirigent Jochen Rieder einigen sich auf ein nochmaliges "Nessun dorma" (wie könnte man einschlafen beim Klang dieser Stimme?). Nachdem Rieder etwas umständlich dem Sänger bei der Entledigung eines Teils seiner Garderobe behilflich war, rüstet dieser befreit und gar nicht mehr zugeknöpft zum neuerlichen "Vincero!" - und da passiert dann doch noch ein kleines Missgeschick, eine falsche Abstimmung, eine Konzentrationsschwäche, aber er nimmt es mit Humor, denn er hat alles gegeben an diesem 14. Juni 2015, und die Mailänder sehen und hören das genauso und bereiten dem Deutschen Standing ovations - und dann ist es wieder da: das breite Lächeln, die Handküsse, seine Körpersprache, die so sympathisch wirken wie seine Kunst. Muss man gesehen und gehört haben! Sehr zu empfehlen!