4 von 5
jommelli
Top 50 Rezensent
15. Dezember 2019
Gesamteindruck:
4,0 von 5
Künstlerische Qualität:
4,0 von 5
Repertoirewert:
5,0 von 5
Hörenswerte Alternative
Gounod´s Faust zählte bislang zu den Opern, auf die ich gut und gern verzichten konnte. Doch die Tatsache, dass sich ein ausgewiesener Alte-Musik-Spezialist wie C. Rousset diesem Stück widmete, machte mich dann doch neugierig. Und tatsächlich funktionieren historische Instrumente (nur 15 Violinen- wie bei Rameau!) mit ihrem zarteren, aber auch schärferen Klang hier fabelhaft: Erst durch diese neu gewonnene Durchsichtigkeit konnte ich den sonst meist als belanglos und unoriginell wahrgenommenen Orchestersatz wertschätzen. Ebenfalls sehr günstig wirkt die Erstaufnahme der „Urfassung“ von 1859 (nicht wirklich alle Quellen dazu lassen sich 100% genau rekonstruieren), die gesprochene Dialoge und kurze Melodramen statt der später nachkomponierten Rezitative enthält. Dadurch nimmt man das Werk deutlich als Vertreter der im Vergleich zur Grand Opéra leichtgewichtigeren Gattung der Opéra-comique wahr. Für diese sehr verdienstvolle Edition wurden auch zahlreiche Varianten zum ersten Mal eingespielt, dafür fehlen naturgemäß etliche Nummern, die man aus der späteren Version kennt, u.a. die brillante nachkomponierte Ballettmusik. Leider sucht man in dem sonst wie immer bei den Bru-Zane-Editionen sehr liebevoll gestalteten Beibüchern vergeblich eine vergleichende Übersicht der verschiedenen Fassungen (1859, 1864, 1869) und ihrer instrumentatorischen Details, die einen direkten Vergleich ermöglichen würden.
Was die Sänger anbelangt ist mein Urteil leider nicht durchweg positiv. Der größte Pluspunkt ist der strahlende, lyrische Tenor von Benjamin Bernheim in der Titelrolle. Schöner kann man den Faust kaum singen. Sehr problematisch finde ich die Besetzung der Marguerite mit der 52-jährigen Veronique Gens, der man zwar Professionalität und Erfahrung, aber eben auch zahlreiche altersbedingte stimmliche Schwächen anhört. Obwohl die Wahl dieser eher dunkel timbrierten, reifen Stimme genau mit Gounod`s angeblichen Wünschen begründet wird, hätte ich eine Besetzung mit einer jugendlicheren und schlankeren Stimme für diese Rolle als wesentlich angemessener empfunden.
Nicht optimal wirkt auf mich auch der sehr gut geführte, helle und schlanke Bariton von A. Foster-Williams, der allerdings in der Tiefe schwächelt und die Abgründigkeit des Mephisto, wie sie viele „schwarze“ Bässe eindrucksvoll verkörpert haben, vermissen lässt. Die kleineren Rollen sind ordentlich, aber unspektakulär besetzt, wobei mir J. Mars als Siebel mit ihrem starken Tremolo zu fraulich klang.
Klangtechnisch hat mich bei dieser mit zahlreichen Nebengeräuschen durchsetzten Liveaufnahme sehr gestört, dass die Singstimmen stark nach vorne gezogen wurden, wodurch der wunderbar filigrane Orchestersatz manchmal zu stark in den Hintergrund gerät- und gerade das luftige Spiel der „Talents lyriques“ ist neben Bernheim der Hauptgrund, weswegen man diese Einspielung kaufen sollte.
So ersetzt die vorliegende Edition mit ihren Stärken und Schwächen die zahlreichen Aufnahmen der späteren Fassung nicht, beleuchtet das populäre Erfolgsstück aber in erfreulicher neuer Art und Weise. Man darf gespannt sein, wann sich C. Rousset Bizet´s Carmen vornehmen wird.