4 von 5
gemi:re
Top 25 Rezensent
04. Oktober 2021
Gesamteindruck:
4,0 von 5
Künstlerische Qualität:
4,0 von 5
Repertoirewert:
3,0 von 5
Harnoncourts Abschied von Zürich
Man kann sich schon fragen, warum dieses "Legendäre Farewell Konzert" 2011 aus Zürich erst jetzt nach zehn Jahren überarbeitet auf den Markt kommt. Da raunt das Schicksal von all den gefühlten Wahrheiten, natürlich anonym, von Tränenrührung bei der Serenade, und die "Fünfte", die so unerhört klingt, wenn ein Harnoncourt dem Schicksal in den Rachen greift.
Sieht man einmal von dessen bekannt eigenwilliger Agogik und seinen Artikulationsobsessionen ab, wie all die Zäsuren im musikalischen Fluss, kann man schon von aussergewöhnlichen Darstellungen (z.T. allzu) bekannter Werke sprechen.
Die Serenade in B, die erste der drei letzten, grossen Serenaden (KV 361-375-388), die sog. 'Gran Partita', stammt noch aus 1781er Münchner 'Idomeneo'-Zeiten, eingedenk der dortigen vorzüglichen Bläser(-Paare), wurde in Wien vollendet und ist von höchstem Klangreiz der wechselnden vier Hörner und doppelten Bläser-Soli-Tutti mit original Kontrabass - eine grossartig arrangierte Gebrauchsmusik für den öffentlichen Anlass und Ort.
Die Zürcher Solisten spielen alles subtil abgestimmt und alle Wiederholungen, was bisweilen (Menuette) auch etwas langatmig wirkt, bei aller hörbaren Bläserkunst.
Furtwängler hat das in seiner berühmten EMI-Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern ohne Wiederholungen flüssiger und zugleich noch tiefsinnig-sinnlicher eingespielt.
Beethovens 'Fünfte' ist kaum so akribisch durchartikuliert und formuliert worden wie hier. Die Streicherzäsuren im dritten Allegro-Satz werden mit Wiederholungen genau beachtet, wie nur noch bei Reiner in Chicago, allerdings geht's Harnoncourt m.E. doch etwas zu schnell an, ist ja kein Scherzo!
Das berühmte Oboensolo im ersten con brio-Satz löst sich leicht und wirklich schwebend delikat in den akustischen Raum. Chapeau. Insgesamt eine ausdrucksstarke, definitive Darbietung der sog. Philharmonia Zürich, nur fehlt mir bisweilen der ungehemmt mitreissende Schwung, der ungebremst-gesteigerte Fluss in den Jubel des Finales. Posthum ein allemal erstklassiges Harnoncourt-Dokument mit aufwändigem Bildband, das es sogleich auf die Bestenliste 4/21 der Deutschen Schallplattenkritik in Berlin geschafft hat.