Einfach toll!
Was ich an Jodi Picoult besonders schätze ist, dass es der Autorin immer gelingt, komplizierte Problematiken, in denen Menschen verstrickt sein können, präzise und nachvollziehbar darzulegen.
In ihren Romanen widmet sie sich meist einem oder zwei größeren Hauptthemen - in diesem Falle sind es die Eugenik und der Glaube an das Übersinnliche - in die Menschen zunächst hoffnungslos verstrickt scheinen und beleuchtet diese mitsamt all ihren vielen Facetten für den Leser verdaubar und man taucht aus ihren Romanen immer ein wenig schlauer und um einige Erfahrungen reicher wieder auf als man vorher war.
Eigentlich war ich bei dem Buchtitel zunächst etwas skeptisch, denn durch meine Erziehung, die eher in der Richtung ging, das fast alles naturwissenschaftlich erklärbar ist, sträubte sich innerlich etwas in mir, ein Buch über übersinnliche Phänomene zu lesen. Nur die guten Lese-Erfahrungen, die ich mit Büchern der Erfolgsautorin bereits hatte, zogen mich dann doch zu diesem Roman zurück.
Und es ist keine leichten Stoffe, die sich die Autorin da zur Aufarbeitung vorgenommen hat:
Ross Wakeman ist seit dem tragischen Unfalltod seiner über alles geliebten Verlobten traumatisiert und leidet sowohl unter eigener Todessehnsucht als auch unter Selbstvorwürfen, ihren Tod nicht verhindert zu haben, sondern sich stattdessen für eine andere am Unfall beteiligte Person als Retter aufgespielt zu haben. Von dem Gefühl geleitet, dass der Geist seiner Verlobten Aimée nicht zur Ruhe gekommen ist und mit ihm Kontakt sucht, begibt er sich selbst auf die Suche nach Begegnungen mit der jenseitigen Welt, einerseits um eigene Vermutungen rational bestätigt bzw. wiederlegt zu bekommen oder endlich Klarheit zu erlangen, kurz: Er möchte endlich loslassen können und doch endlich wieder mit Aimée vereint sein.
Da bekommt er den Auftrag, herauszufinden, ob es auf einem Baustellengrundstück, bei dem unklar ist, wem das Areal einerseits gehört und was sich in der Vergangenheit dort an unaufgeklärten Verbrechen abgespielt hat, tatsächlich spukt. Verwoben mit diesem Handlungsstrang sind nicht nur die Probleme, mit denen sich Ross' eigene Schwester Shelby konfrontiert sieht. Ihr Sohn leidet seit seiner Geburt an einer schrecklichen Krankheit, die es ihm unmöglich macht, sich der Sonne mit ihrer UV-Strahlung aussetzen zu dürfen. Da gibt es auch noch die Ärztin Meredith, die mit Hilfe von Invitro-Befruchtung und Vorabselection der gesunden Embryos, Eltern helfen möchte, Kinder ohne Erbkrankheiten zur Welt zu bringen.
Und um das Ganze noch ein wenig schwerverdaulicher zu machen, legt Jodi Picoult zudem den Finger auf ein Kapitel der kanadischen Geschichte, welches die Kanadier selber mit Sicherheit nicht gerade mit Stolz erfüllen dürfte: die Zeit um 1930, in der Wissenschaftler und Ärzte genau wie in Deutschland versuchten, Herrenrassen zu züchten bzw. sogenanntes "unwerte, degenerierte" Leben und Weitervererben desselben zu verhindern.
Insgesamt also Stoff genug, um gleich mehrere Bücher zu füllen und zeitweise ist man als Leser dieses wirklich guten Romans auch versucht, der Autorin genau das geraten zu haben, weil ein Buch alleine damit auf den ersten Blick zu vollgepackt zu sein scheint. Aber Jodi Picoult schafft es wieder einmal, die zunächst verzwickt und unzusammenhängend erscheinenden Handlungsstränge präzise zu sortieren und ein solides, spannend und vielschichtiges Geflecht daraus zu wirken, das dem Leser einerseits ermöglicht, eigene Resumées zu ziehen und ganz sicher nichts für Lesefreunde der seichten, oberflächlichen Unterhaltungsliteratur ist.
Chapeau vor einer ausnehmend hübschen Autorin, die zudem auch noch über ein sehr kluges und äußerst talentiertes Köpfchen verfügt!