DOTA liefern mit "Springbrunnen" verlässliche Qualität ab und bieten ihren Fans genau das, was sie erwarten dürfen.
Dota Kehr als Solo-Künstlerin und DOTA als Gruppe sind seit Anfang der 2000er Jahre nicht mehr aus der deutschsprachigen Pop-Musik wegzudenken. Sie bilden eine wohltuende Alternative zu der Heerschar von schlagerhaften Singer-Songwritern, die sich bei näherem Hinsehen oft als berechnende Marketingprodukte ohne eigenes Profil herausstellen. Bei DOTA sind im Gegensatz dazu sowohl die Musik als auch die Texte selbstgemacht, gleichwertig und wertbeständig.
Die letzten Arbeiten von DOTA beschäftigten sich unter anderem mit der Vertonung von Texten der Dichterin Mascha Kaléko ("Mascha Kaléko", 2020 und "In der fernsten der Fernen - Mascha Kaléko 2", 2023). Auf beispielhafte Weise verbanden die Künstler die fremde Prosa mit eigenen Melodien so organisch, als ob sie aus einem Guss wären. 2024 gab es darüber hinaus noch eine Konzert-Aufnahme mit dem Filmorchester Babelsberg und ein gemeinsames Album von Dota Kehr mit dem brasilianischen Komponisten, Gitarristen und Sänger Danilo Guilherme. "De Repente Fortaleza" erschien damit 21 Jahre nach "Mittelinselurlaub", der ersten Zusammenarbeit der beiden.
Am 27. Juni 2025 folgte nun mit "Springbrunnen" die erste Platte mit neuer DOTA-Lyrik seit "Wir rufen Dich, Galaktika" aus 2021. Die aktuellen Lieder (13 auf der regulären CD und 11 auf der Bonus-CD) entstanden zwischen 2022 und 2025 mit der Stammbesetzung, bestehend aus Dota Kehr (Gesang und Gitarre), Jan Rohrbach (E-Gitarre), Patrick Reising (Keyboards), Janis Görlich (Schlagzeug) und Alex Binder (Bass). Manchmal gibt es noch Bläser-Zuspielungen und zweimal verdichtet der "Kammerchor Jeunesse Berlin" den Sound.
Zum Konzept und über die Titelwahl hat Dota Kehr folgende Erklärung parat: "Ich glaube, das Album spiegelt die Zerrissenheit dieser Zeit. Zwischen flapsigem Unernst und Weltuntergang, zwischen Überforderung, Empowerment und Sehnsucht. Das Thema „Manipulation und Social Media“ kommt viel vor - in lustigen und ernsten Facetten. Wir haben lange nach einem Titel gesucht und dann schien uns der Springbrunnen passend: erquickend, ein Treffpunkt für alle im öffentlichen Raum. Zwar nicht überlebensnotwendig, aber erfrischend und mit dem Anschein von Unerschöpflichkeit - obwohl es immer das gleiche Wasser ist (mit dem alle kochen)."
Bei "Der Frühling" geht es um "die Sehnsucht nach der Erneuerung in der Welt und in sich selbst." DOTA entwerfen als Vertonung zu dieser Utopie einen feingesponnenen, psychedelischen Jazz-Folk-Kokon mit "Pet Sounds"-Aura, der aufgrund seiner Reinheit, Originalität und Transparenz den zarten ECM-Jazz-Veröffentlichungen von Ralph Towner oder Gary Burton gleicht.
Die Ernsthaftigkeit von "Der Frühling" wird durch die ulkigen Sprüche in "Im Springbrunnen baden mit nackten Milliardären" torpediert und abgelöst, welche in der Tradition des Humors von Joachim Ringelnatz formuliert sind: "Dr. Freud sag, was bedeutet das?! Dieser Drang nach reichen Greisen, die im öffentlichen Raum entgleisen." Die verwendeten Effekte, Sounds und Stilmittel sind der Neuen Deutschen Welle, dem Hip-Hop und der Exotica entliehen und ergeben in Summe einen flotten Pop-Song ohne musikalischen Tiefgang.
"Das wogende Meer" ist ein klassisches Beziehungslied, allerdings ohne Herz-Schmerz-Schmalz, sondern mit klarer Problemstellung. Nämlich dem "Wunsch nach Geborgenheit und danach, dass da ein Mensch sein möge, der einem Halt gibt." Die zentrale Zeile lautet: "Keiner kann immer nur Felsen sein, mal ist jeder das wogende Meer". Der federleichte Folk-Rock, der viel von der sanften Melancholie des Bossa Nova in sich trägt, steht der Gruppe gut, denn es gelingt ihr, die sensible Spannung durch dekorative Dynamikabstufungen souverän hochzuhalten.
Der Text von "Einfach zu abgelenkt" beschäftigt sich mit den alltäglichen Überlastungen, die zu Konzentrationsschwächen, Erschöpfung und allgemeinem Desinteresse führen können. Die elektronischen Klänge wirken in diesem um einen geschmeidigen Groove bemühten Umfeld gekünstelt und steril. Weniger Effekthascherei wäre hier bekömmlicher gewesen und hätte wahrscheinlich dazu geführt, dass den in den Hintergrund gedrängten eindringlichen Aktionen nicht der Weg versperrt worden wäre.
Wir machen es uns oft zu leicht. Selbst wenn wir Defizite aufdecken, arrangieren wir uns oft mit der Situation, anstatt alles daranzusetzen, die Missstände abzustellen. "Wenn dir das reicht. Ist zu befürchten, dass es alles so bleibt. Wenn dir das reicht, machst du´s dir vielleicht zu leicht", heißt es entsprechend in "Wenn dir das reicht". Der im Prinzip mitreißende Power-Pop weist hinsichtlich des Einsatzes von elektronisch erzeugten Tönen die gleichen Defizite auf, die bei "Einfach zu abgelenkt" negativ aufgefallen sind. Sie wirken billig, aufgesetzt und fehl am Platz.
"Die andere Seite" beinhaltet laut Dota einen "rätselhaften, märchenartigen Text" von Manfred Maurenbrecher, den sie in ein persönliches musikalisches Chanson-Gewand gesteckt hat. Das Lied bekommt durch einen milden Swing mit karibischem Flair eine exotische Note, und der Chor, der teils sphärisch, teils hymnisch agiert, setzt unerwartete Ausrufezeichen. Und wenn die Keyboards hier ab und zu kindlich-naiv quaken, dann trägt das in dieser homöopathischen Verdünnung zur bereichernden Abwechslung bei.
"Ich und er" ist eine poetische Abhandlung über eine Lebensabschnittsbeziehung, die "ein Sich-Festklammern ohne Zukunftsaussicht" in unterschiedlicher Beleuchtung darstellt. Der Satz "Es ist alles einmalig, aber nichts in speziell" stellt eine präzise Bewertung der Qualität der Bindung dar. Die langsame Erzählweise und die schleppend-intime Melodie werden von delikaten Tönen, die den Song atmen lassen, flankiert. Eine sehr geschmackvolle Angelegenheit!
"Milliardäre Reprise" ist ein 30 Sekunden langer Übergang, der aus Ideen von "Im Springbrunnen baden mit nackten Milliardären" gespeist wird.
Mit "Ein gutes Buch" geht es musikalisch zurück zur Neuen Deutschen Welle der 1980er Jahre. Der Track ist aufputschend, lustig, gutgelaunt und "eine erfrischende, gelassene, selbstironische Antwort auf die Überforderung der Gegenwart".
"Kettenkarussell" vermittelt authentisch das Vergnügen, das mit solch einer rasanten, fast schwerelosen Fahrt verbunden ist. Man kann sich dabei vom Kribbeln im Bauch berauschen oder die Seele baumeln lassen und den Alltag ausblenden. Dieses beschwipst-unbekümmerte Ablenkungsgefühl transportiert das fröhlich hüpfende Lied auch klanglich. Das ist ein schönes Beispiel für das Talent von DOTA, Inhalt und Töne gleichnamig und partnerschaftlich zusammenzubringen.
Die Musik für "Alles glänzt / Die Hoffnung" stammt vom DOTA-Schlagzeuger Janis Görlich. Das Stück dockt atmosphärisch an den Opener "Der Frühling" an, ist also grazil und gedämpft instrumentiert worden. Seine Zerbrechlichkeit weckt Schutzinstinkte und sein Einfallsreichtum hat die hohe Schule der Pop-Komponierkunst absolviert. Nicht nur die Musik ist intelligent und empfindsam, sondern auch die Thematik zeugt von einem wachen Geist, Empathie und systemischem Denken: "Hoffnung finden und Hoffnung aufrechterhalten [...]. Vielleicht ist es allgemein ein Thema unserer Zeit. Zumindest für alle Menschen, die Artensterben und Klimakrise ernst nehmen und für alle, die an eine offene und solidarische Gesellschaft glauben." Die Poesie zu diesen Ideen ist einfallsreich, humanistisch und tiefgründig: "Ein Geist, der wirklich frei ist, wie der Mut von echten Helden. Helden ohne Gewalt, echte Helden - mit einer Hand am Asphalt." Klimaaktivisten sind nämlich keine Terroristen!
Die Auswirkungen des Endes des Urlaubs-Sommers werden für "Alle sind zurück in der Stadt" skizziert. DOTA fahren die gesamte Instrumentierung auf: Die volle Band-Besetzung + Chor + Bläser geben diesem kurzen, beschwingten, aufbauenden Big-Band-Pop optimistische Konturen. Das ist wichtig, denn der nächste kalte, trübe Winter kommt bestimmt.
Zusammen mit "Der Frühling" und "Alles glänzt / Die Hoffnung" bildet der raffinierte Dream-Pop "Ein gutes Versteck" ein überaus künstlerisch visionäres Trio ab. Man stelle sich vor, das gesamte Werk würde aus solch reifen, anregenden Songs bestehen: dann wäre "Springbrunnen" ein Vorzeige-Album des deutschsprachigen Art-Pop geworden. Aber wahrscheinlich hatten DOTA gar nicht diesen Anspruch, sonst hätten sie ihn wohl realisiert. So ist die Platte eine bunte Tüte voller sympathischer Lieder geworden, die von spaßig bis ernsthaft eine breite Palette von Emotionen abdecken.
Dota Kehr ist außerdem eine herausragende Texterin. Ihre kritischen Analysen sind nie belehrend, sondern geben kluge Denkanstöße. Und ihre amüsanten Beiträge sind nie zotig oder platt, sondern nehmen es durchaus mit den großen Humoristen wie Heinz Ehrhardt oder (wie schon erwähnt) Joachim Ringelnatz auf, was ihre schelmische Weisheit angeht.
Bei ihren Alben sind DOTA um Abwechslung bemüht. Neben nachdenklichen Stücken gibt es immer auch gutgelaunte Lieder, um nach Möglichkeit das ganze Spektrum menschlicher Gefühlsregungen abzudecken. Das ist verständlich, weil dadurch ein Konzert-Kontrastprogramm entstehen kann, bei dem für jeden etwas dabei ist. Dieses Ziel erfüllt "Springbrunnen" jedenfalls voll und ganz!