Der Sound von Amadou & Mariam ist von Liebe durchflutet.
Amadou & Mariam sind als das "blinde Paar aus Mali" weit über die Grenzen des westafrikanischen Staates hinaus bekannt geworden. Amadou wurde 1954 in Bamako geboren und verlor sein Augenlicht, als er 15 Jahre alt war, aufgrund von angeborenem Grauen Star. Mariam kam 1958 auch in Bamako zur Welt und erblindete im Alter von 5 Jahren wegen unbehandelter Masern. Im Jahr 1975 lernten sich die beiden an einer Blindenschule kennen und fühlten sich sofort intensiv verbunden, sodass sie bereits 1980 heirateten, erstmalig öffentlich auftraten und ihr erstes Album aufnahmen.
Einer ihrer ersten prominenten Bewunderer war Stevie Wonder, was auch dazu beitrug, dass die Popularität des Paares stetig zunahm. 1998 erschien mit "Son Ni Tile" das erste international veröffentlichte Werk und 2003 führte die Zusammenarbeit mit Manu Chao für "Dimanche à Bamako" zum endgültigen kommerziellen Durchbruch. Auftritte auf großen Festivals wie "Coachella", "Lollapalooza" oder in "Glastonbury" festigten ihren Ruf als herausragendes Konzertereignis. Es folgten unter anderem Arbeiten mit Damon Albarn, David Gilmour und Herbert Grönemeyer für die Hymne der Fußballweltmeisterschaft 2006 ("Celebrate The Day" / "Zeit, dass sich was dreht"). Bei der Eröffnungsfeier dieser Sportveranstaltung waren sie dabei. Ebenso bei der Verleihung des Friedensnobelpreises an Barack Obama am 11. Dezember 2009 in Oslo und bei der Abschlussfeier der Paralympischen Spiele 2024 in Paris. Nach Tourneen auf dem gesamten Globus und etwa einem Dutzend Studioalben später fand das wahr gewordene Märchen der vom Schicksal benachteiligten Musiker mit dem Tod von Amadou am 4. April 2025 ein jähes Ende.
Die Musik von Amadou Bagayoko & Mariam Doumbia zeichnet sich grundsätzlich durch einen geschmeidigen, stimulierenden Groove und einen zart fließenden, warmen Flow aus. Blues, westafrikanische Folklore, Funk, Soul, Pop, Rock - das sind die auffallendsten Musik-Stile, die in den Kompositionen herauszuhören sind und in der westafrikanischen Sprache Bambara oder auf Französisch vertont wurden. Aber die bunte, schillernd-variable Mischung der Klänge macht den eigentlichen Reiz und die besondere Anziehungskraft aus.
Zum Auftakt ihres letzten gemeinsamen Werkes "L’amour à la folie" bringt "Bienvenue à la maison" (= Willkommen zu Hause) rauschhafte Töne mit wiegenden Rhythmen, satten Bässen, verdichtetem Akustik-Gitarren-Picking und kristallklaren, schillernden und erhabenen E-Gitarren-Akkorden beschwingt und scheinbar mühelos zusammen. Amadous Stimme klingt entschlossen, richtungsweisend und seriös. Umwerfend stimulierend! Das Lied ist eine Ode an die (Gast)-Freundschaft, die Liebe und die daraus resultierende Verbundenheit, die dabei hilft, viele Schranken und Grenzen zu überwinden.
Bei "Sonfo" gibt es gesangliche Unterstützung durch den kongolesischen Rumba-Sänger, Tänzer und Produzenten Fally Ipupa Nsimba. Dessen Beitrag sorgt auch dafür, dass der Song eine moderne, urbane Neo-R&B-Färbung erhält. Die Zusammenarbeit gelingt ohne qualitative Einbußen am ursprünglich konzipierten, folkloristisch-gediegenen, kontrolliert optimistischen Sound. Genauso wie "Bienvenue à la maison" hat der Song einen unwiderstehlichen Vorwärtsdrang, der von Amadous grandioser, virtuos und passgenau eingebundener E-Gitarre angeheizt wird. Von dem Stück gibt es am Ende des Albums noch eine alternative Version, bei der die im wahrsten Sinne elektrisierende Gitarre noch mehr im Mittelpunkt steht. Klasse!
Die Lieder "Nakan" und "La vie est belle" (= Das Leben ist schön) integrieren einen dumpf-monotonen Beat, über dem sich die Percussion-Instrumente genussvoll räkeln und winden. Beide Tracks lassen hinsichtlich ihres Aufbaus an Minimal-Art- oder Electronic-Dance-Music-Strukturen denken, obwohl sich der Einfluss von künstlichen Synthesizer-Klängen in Grenzen hält. Der Ablauf ethnischer Tanzmusik weist manchmal Ähnlichkeiten zu modernen Club-Sounds auf, und die Kombination beider Bestandteile führt hier zu einem wirbelnden Ergebnis, bei dem rhythmisch aktive Welten erregend und geschmackvoll kollidieren!
Für "Mogolu" teilen sich Amadou & Mariam mit freundlich-prickelnder Wirkung den Lead-Gesang und sind bestrebt, mit diesem aufmunternd-belebenden "Afro-Disco-Klang" die Tanzflächen zu füllen.
Durch das Knistern am Anfang vermittelt "L'amour à la folie" (= Wahnsinnige Liebe) zunächst den Eindruck einer Außenaufnahme auf einer alten Schallplatte. Das ist aber nur ein Gimmick, denn fortan geht es flott und sauber produziert zur Sache. Eine sprudelnde, positiv aufgeladene Rock-Energie steht im Mittelpunkt dieses Tracks, der für ordentlich Bewegung und Druck sorgt.
Für "Généralisé" (= Allgemein) treffen instrumentale Virtuosität, kompositorische Raffinesse und interessant gestaltete Arrangements anspruchsvoll aufeinander. Der Verlauf des Tracks ist nicht unbedingt vorhersehbar und deshalb verblüfft das Lied als ungewöhnliche Ballade, die meisterlich mit einigen klugen Wendungen und spannenden Ecken und Kanten ausgestattet wurde. Die Musik trägt die Hörerschaft an unterschiedliche Gegenden, mal an mystisch verklärte Orte, mal an belebt-aufregende Plätze. Faszinierend! Das Paar engagiert sich politisch. Sie rufen zur Disziplina auf: "Wenn jeder seine Pflicht tun würde. Die Welt wird ein guter und viel besserer Ort sein." Und klagen Missstände an: "Weit verbreitete Anarchie. Weit verbreitete Armut. Weit verbreitete Korruption. Weit verbreitete Unsicherheit. Weit verbreitete Heuchelei. Weit verbreitete Demagogie."
Die Rhythmus-Figuren für "Kɛlɛ kɔ" schäumen vor Lebenslust und verbinden traditionelle und moderne Takt-Ideen originell miteinander. Die ethnischen Percussion- und Streichinstrumente vermitteln unterdessen den Eindruck, man sei bei einer geheimnisvollen, jahrhundertealten Zeremonie dabei. Dazu kommt der monoton-beschwörende Gesang, der die hypnotische Wirkung noch verstärkt. Die homogen eingebundene, flirrende E-Gitarre am Ende des Stücks holt einen dann wieder taufrisch in die Gegenwart zurück.
"Saabujugu" ist durch seine eingängigen Refrains eine mitreißende Pop-Nummer geworden. Die unverblümten Reggae-Aromen und milde, kreative Art-Rock-Ausflüge vermitteln darüber hinaus noch einen exotischen und eigentümlichen Charme.
"Furu" verdeutlicht einmal mehr, welch exzellenter, einfühlsamer Gitarrist Amadou war. Der Track entpuppt sich als hinreißend herzhafter Westcoast-Rock oder auch als psychedelischer Wüsten-Blues. Man kann sich unter dem Eindruck von "Furu" lebhaft vorstellen, auf was für abenteuerliche Gitarrenexkursionen sich Amadou zum Beispiel mit Richard Thompson, Tom Verlaine oder Neil Young begeben hätte können. Schade, dass es nicht dazu gekommen ist.
Natur- und Umweltgeräusche vermitteln am Anfang von "On veut la paix" (= Wir wollen Frieden) eine winzige Vorstellung der beeindruckenden Landschaft und der Lebensumstände in Mali. Einem Weltkulturerbe von unermesslichem Wert! Das Stück wurde stilecht folkloristisch ausgerichtet, es wird aber nicht gänzlich auf elektronisch erzeugte Töne verzichtet. Was zur Eigenständigkeit des Songs beiträgt.
"Tanu" schlägt in die gleiche Kerbe, wobei das Tempo gegenüber dem Vorgänger zurückgenommen wird. Dadurch scheinen die Klänge sanft über das Gelände dahinzuschweben. Ausgeglichenheit, Würde und die Kraft alter Traditionen machen sich breit.
Die Musik auf "L’amour à la folie" hat erneut eine aufrechte, hoffnungsvolle Ausstrahlung und ist ein stabiles, fruchtbares Vermächtnis von Amadou & Mariam, die sich mit Leib und Seele ihrer Kunst verschrieben haben. Sie drücken mit jeder Note ihre Liebe zueinander, zum Leben und zur afrikanischen Natur und Kultur aus. Dieser Zauber wird die Zeit überdauern, denn Qualität setzt sich immer durch und ist unvergänglich. Die pulsierende Musik-Szene von Mali hat mit Amadou Bagayoko einen wichtigen Kultur-Botschafter verloren. R.I.P., Amadou!