5 von 5
MichaelS
12. Januar 2014
Grundsolide mit einigen bemerkenswerten Glanzpunkten
Das Album wird seit Tagen kontrovers diskutiert. Manche Kritiker geben volle Punktzahl, andere verreissen es komplett und möchten Bruce am liebsten ins Altersheim stecken.
Man muss nicht immer vor bald 40 Jahren gepflanzte Bäume ausreissen um dem ewigen Kreis der Erneuerung gerecht zu werden. Manchmal kann oder muss man sich auch diesem Zwang einfach verweigern und bereits etablierte Tugenden pflegen. Bruce kann dies sogar ohne altbacken zu klingen oder sich selbst zu kopieren. Zum Beispiel in dem man bereits von Konzerten bekannte Stücke neu interpretiert und auf Platte presst. Wenn einem dann noch Tom Morello zur Seite steht, eröffnen sich ganz neue Perspektiven, Springsteens Spätwerk zu betrachten. Sofern man überhaupt von Spätwerk sprechen kann.
Dem Album wird immer wieder die wenig komplexe Komposition angekreidet, was ich so einfach nicht stehen lassen kann. Gerade das Einfache in Songwriting und Produktion machen Songs wie "American Skin (41 Shots)" oder das Cover "Dream Baby Dream" so eindringlich, so bemerkenswert. Dadurch können sie ihre Intention klar und unverhüllt transportieren, verstecken sie trotz großer Produktion nicht. Man spürt einerseits die Resignation vor der Realität, gleichzeitig legt einem Springsteen aber auch die Hand auf die Schulter und flüstert einem "auf geht's, wir schaffen das trotzdem" ins Ohr.
Dazu gesellt sich in (hoffentlich richtig gezählten) 8 von 12 Songs wie bereits erwähnt Tom Morello. Und wer die auf High Hopes veröffentlichte Fassung von Springsteens eigentlichem Folk-Song "The Ghost of Tom Joad" hört, wird ohnehin vor seiner Anlage niederknien. Nicht nur, dass der Song durch die lautstarke Neuinterpretation noch einvernehmender mit eigenem Charakter wurde, hier spielt auch Morello zu ganz, ganz großer Form auf. Seine Soli sind wahrlich außergewöhnlich, schon fast ein Statement für die Ewigkeit. Muss man einfach gehört haben, anders kann ich es nicht schreiben. Mich haben die letzten drei Minuten des Songs wirklich an die Wand geblasen.
Dazwischen tummeln sich natürlich allerhand Arena-kompatible Percussionrocksongs in bewährter Springsteenart, die in sich jedoch munter ohne Rücksicht auf Musikkonventionen winden. In "Heaven's Wall" zum Beispiel wechseln sich Fidel-unterstützter Springsteen Arenarock mit Gospel-artigen Chören, Bongos und Morellos Rocksoli ab. Mitreissend.
Nein, Springsteen liefert keinen über jeden Zweifel erhabenen Meilenstein ab, den jeder Musikfan unbedingt im Regal stehen hat. Davon hat der 20malige Grammy-Preistäger auch schon genügend im Backkatalog. Es ist aber ein mehr als grundsolides Studioalbum, das durchaus eigene Höhepunkte setzt und seinen berechtigten Platz in Bruce' Lebensgeschichte wie auch im Jahresrückblick 2014 finden wird. 5 Sterne sind ein halber zu viel, 4 ein halber zu wenig.
Wer kann, sollte natürlich wie immer zu Vinyl greifen.