Big Star: Keep An Eye On The Sky (Box) auf 4 CDs

Es gibt Bands, deren andauernder Einfluss in groteskem Unverhältnis steht zur Anzahl ihrer (nicht) verkauften Platten. The Velvet Underground? Klar. Doch gleich dahinter haben sich Big Star ihren Platz im Olymp des (Power-)-Pop gesichert – mit gerade mal drei Alben. Selbst in ihrer Heimatstadt Memphis hat der Mann auf der Straße Anfang der 70er-Jahre bei der Erwähnung des Namens eher an die gleichnamige Supermarktkette gedacht, nach der sich die Gruppe um den charismatischen Alex Chilton tatsächlich benannt hatte. Doch nur eine Dekade später standen Songs wie „The Ballad Of El Goodo“, „In The Street“ und „September Gurls“, die melodiösen Feinschliff mit rotziger Blue Collar-Intensität verschmelzen, ganz hoch im Kurs bei den Bangles, R. E.M. u. v.a.

Während die „Chicago Tribune“ sogar von „the most influential group in pop music...outside the Beatles“ schrieb. Bis heute ist dieser Weg von der obskuren Memphis-Band zur wegweisenden Leuchte für die Alt-Indie-Pop-Generation nie ganz nachgezeichnet worden. Es war also höchste Zeit für den definitiven Blick auf die definitive Power-Pop-Band und dieses Box-Set. Die vier CDs kreisen um die drei Studio-Alben „#1 Record“, „Radio City“ und „Third / Sister Lovers“, reichern diese aber aufschlussreich an mit Ausflügen in die Vorgeschichte (Icewater, Rock City), unveröffentlichten Demos, Alternativ-Versionen, Solo-Exkursionen sowie einem Konzertmitschnitt aus dem Jahre 1973.

Als Alex Chilton Mitte 1971 aus New York nach Memphis zurückkehrte, lag bereits eine imposante Karriere hinter ihm. Schon 1967 hatte er den Blue-Eyed-Soul „The Letter“ als Lead-Stimme der Box Tops an die Spitze der US-Charts gesungen. Doch seine Kreativität als Songschreiber konnte sich in dem hitfixierten Ensemble kaum entfalten. Mit dem sensiblen Chris Bell, den er noch aus High School-Bands kannte, fand Chilton einen kongenialen Partner. Einer der ersten war „Try Again“, hier sogar in einer frühen Rock City-Version zu hören. Auch Songs wie u. a. „The Ballad Of El Goodo“, „Thirteen“ und „When My Baby’s Beside Me“ sind in Alternativ-Versionen vertreten. Dazu komplettieren als Raritäten „Country Morn“ (im Original eine Fanzine-Flexidisc), ein Demo für „I Kinda Got Lost“ und das bisher unveröffentlichte Chilton-Demo von Loudon Wainwrights „Motel Blues“ die erste CD der Box. Nach „# 1 Record“ verließ Chris Bell Big Star. Ohne ihn klang die Band auf „Radio City“ rauher, nervöser, näher an der Bühne, während sich Bassist Andy Hummel mit Songs wie „Back Of A Car“ und „Way Out West“ als (Co-)Autor profilieren konnte. Das Glanzstück des Albums ist aber immer noch Chiltons „September Gurls“, die perfekte Quintessenz aus Byrds und Kinks.

Drei Demos - “There Was A Light,” “What’s Going Ahn“ und “Life Is White” – eröffnen Disc 2 der Box, gefolgt von der Original-Sequenz von „Radio City“, gemischt allerdings aus Album- und Alternativ-Versionen. Dazu gibt's unveröffentlichte Demos von „She’s A Mover“ und „Mod Lang“ sowie Chris Bells hochgelobte Single “I Am The Cosmos” aus dem Jahre 1978. Tragischerweise kam Bell nur wenige Monate nach der Veröffentlichung bei einem Autounfall ums Leben. Erst 1978 - vier Jahre nach den Sessions - kam auch „Third / Sister Lovers“ heraus, ein Umstand, der den Mythos des legendären, dritten Big Star-Albums zusätzlich nährte. Das heißt: Es war – nach dem Ausstieg von Andy Hummel – eigentlich ein Alex Chilton-Album. Dazu gesellten sich der treue Trommler Jody Stephens, gestandene Memphis-Musiker wie Gitarrist Steve Cropper (Booker T. & The MG’s) sowie als Produzent Jim Dickinson (Ry Cooder etc.).Heraus kam eine ebenso zerbrechliche wie dynamische und verstörende Musik, die Chilton mit Songs wie „Thank You Friends“ und „Holocaust“ als freundlichen Zyniker und bleichen Apokalyptiker präsentierte. CD 3 von „Keep An Eye On The Sky“ versammelt gleich sieben Demos der Album-Songs sowie – bisher unveröffentlicht - „Lovely Day“, das später mit anderem Text als „Stroke It, Noel“ aufs Album fand.

Kurz nach dem Ausstieg von Chris Bell spielten Big Star als Trio Anfang 1973 drei Sets im Lafayettes Music Room in Memphis. Das Beste daraus hören wir auf der letzten Box-CD, darunter auch einige Songs, die später für „Radio City“ eingespielt wurden (etwa ein schwer rockendes „She’s A Mover“) sowie einen bunten Cover-Strauß : Todd Rundgrens “Slut”, „Baby Strange“ (T. Rex) und „Come On Now“ (Kinks), „Hot Burrito #2“ von den Flying Burrito Brothers. Ziemlich genau 20 Jahre später fanden Alex Chilton und Jody Stephens in Columbia, Missouri wieder für ein Konzert zusammen, Erst kürzlich spielten die neuen Big Star sogar im Londoner Hyde Park. Über die späte Anerkennung macht sich auch Jody Stephens in den ausführlichen Linernotes der mit vielen raren Fotos bestückten Box seine Gedanken. „Klar, wäre es schön gewesen, wenn wir schon damals groß gewesen wären, aber hier sind wir, 30 Jahre später, Big Star spielen immer noch, unsere Musik taucht in Soundtracks auf und junge Leute finden es immer noch aufregend die Platten zu entdecken. Ich meine, wenn das kein Erfolg ist, dann weiß ich auch nicht.“