Watch genius and genius watch you back
Trotz ernstzunehmender Konkurrenz zeichnet sich Home Box Office (HBO) immer noch mit Abstand als innovativste und mutigste Serienschmiede aus. Vor allem in der Kategorie "Drama" ist der Sender das Maß aller Dinge. Die lange Liste phantastischer TV-Produktionen wird bestenfalls von der der gewonnenen Emmy Awards übertroffen.
Stellt sich die Frage, ob nicht inzwischen jede Geschichte längst erzählt ist? Bekommen wir nicht fortlaufend neue Variationen alter Konstellationen geboten? Bedienen sich Autoren nicht seit Jahrtausenden aus einem zeitlosen Bausatzkasten und entwerfen Dramen nach bewährtem Muster in abgewandelten Kulissen und modern Stil- und Hilfsmitteln? Bilden nicht seit jeher - mal mehr oder weniger geistreich arrangierte - Montagen aus Superbia, Avaritia, Luxuria, Ira, Gula, Invidia und Acedia die Essenz für Tragödie und auch Komödie?
Wenn das Rad also nicht mehr neu erfunden werden kann, was unterscheidet dann einen außergewöhnlichen Spielfilm von einem durchschnittlichen, was hebt eine Serie vom riesigen Angebot entscheidend ab?
Die Antwort lautet: eine Komposition aus dichter Atmosphäre, authentischer Charakterzeichnung, überzeugenden Schauspielern, glaubwürdigen Dialogen, Leidenschaft, Tempowechseln und einer raffinierten Erzählstruktur, die den Zuschauer fesselt und anrühren. All das trifft auf diese erste Staffel von "True Detectives" so bedingungslos zu, als sei es eine Selbstverständlichkeit. Wie von Kritikern und anderen Rezensenten schon hinlänglich gelobt, wird die Serie von den beiden Hauptdarstellern getragen, die beide wahrlich beeindruckend agieren. Vor allem Matthew McConaughey hat momentan einen fabelhaften Lauf, schon in "Mud" und "Dallas Buyers Club" lieferte er ein überragendes Schauspiel ab, übertrifft sich jedoch in der Rolle des zwielichtigen Detective Rustin Cohle noch einmal selbst. Aber auch Woody Harrelson als Cohles Partner Martin Hart spielt umwerfend. Was die Serie auszeichnet und so besonders macht, ist nicht unbedingt die wendungsreiche Story (mit einem vielleicht etwas zu dick aufgetragenen Showdown), sondern das ambivalente Verhältnis der beiden Protagonisten zueinander, die grundverschiedenen Charakter, die eigentlich auf Konfrontationskurs angelegt sind. Es ist diese spannungsgeladene Ungewissheit, wie sehr die beiden Polizisten selbst in den Fall verstrickt sind, mit der die cleveren Drehbuchschreiber eine unfaßbare Eigendynamik entfachen. Geschickt wird die Mordermittlung aus verschiedenen Perspektiven mit Rückblenden und Gegenwart zusammengepuzzelt. Auch das Tempo, in dem sich die komplexe Dramatik langsam hochschraubt, hat mir sehr gefallen. Keine hektischen Schnitte, keine rasanten Kamerafahrten - statt dessen bekommen wir bemerkenswerte Einstellungen und Bilder von Louisiana geboten, die manchmal wie Kunstwerke wirken. Auf hohem Niveau zeichnet die Serie ein soziopathisches Bild von Cohle und vollbringt das seltene Kunststück, dass man diesem Exzentriker gleichermaßen mit Argwohn als auch Sympathie begegnet.
Meine absolute Lieblingsszene ist der Cliffhanger am Ende der dritten Episode, die man ruhig beschrieben kann, ohne großartig zu spoilern. Dieses perfekte Arrangement aus Monolog, Schauspielkunst, Schnitt, Geräuschkulisse und Kameraeinstellungen hat mich restlos begeistert und veranschaulicht möglicherweise meine Euphorie.
Während Cohle mit bedächtigen Handbewegungen aus Bierdosen Männchen bastelt, werden immer wieder Fotos von den Mordopfern eingeblendet, an die sich der Polizist mit ruhiger Stimme erinnert:
"In der letzten Nanosekunde haben sie erkannt, was sie gewesen sind, dass unser Ich nie etwas anderes gewesen ist, als ein brüchiges Konstrukt aus Anmaßung und blindem Willensdrang und dass man einfach loslassen kann." (...) "Sie haben eingesehen, dass das ganze Leben, all die Liebe, all der Haß, all die Erinnerung, all der Schmerz im Grunde alles nur eins war,... - es war alles ein einziger Traum. Ein Traum, den man in einem verschlossenen Raum erlebt hat. Der Traum, dass man so etwas wie ein Mensch war." Und hier zeigt er uns sein Blechbüchsenmännchen, um anschließend desillusioniert fortzufahren: "Und wie in so vielen Träumen, taucht am Ende ein Monster auf..."
Ja, und dann bekommen wir es zu sehen, das Monster!
Und dieser Augenblick ist so viel größer als alle Saw-Filme zusammen.