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    2. Alle Rezensionen von SisterDew bei jpc.de

    SisterDew

    Aktiv seit: 19. Februar 2016
    "Hilfreich"-Bewertungen: 317
    47 Rezensionen
    My Songs Sting
    My Songs (CD)
    31.08.2020
    Klang:
    3 von 5
    Musik:
    1 von 5

    I lost my faith

    Seien wir ehrlich: der Komet "Sting" kokelt seit vielen Jahren traurig vor sich hin und verglüht so langsam am Pophimmel. Seine Solokarriere war einst ein Befreiungsschlag: weg vom New Wave und nervigen "De Do Do Do, De Da Da Da", hin zum wirklich klugen und anspruchsvollen Crossover aus Pop, Jazz und Weltmusik, scharrte er fantastische Musiker um sich und scherte sich nicht um den vorherrschenden Mainstream, um schließlich den neuen Mainstream zu kreieren. Großartige Alben entstanden durch diese Mischung aus Kreativität, Freigeist, Idealismus, Inspiration und musikalischer Souveränität. Zeitlose Songs (viele davon findet man auf keinem der zahlreichen Best-Of-Alben) hat Sting mit talentierten Weggefährten geschrieben, doch spätestens seit "Sacred Love" ist es vorbei mit seiner Innovation und Strahlkraft. Gerne verzieh man ihm seine extravaganten Unabhängigkeitsprojekte (Konzeptalben wie "Songs from the Labyrinth"), in denen er auf mehr oder weniger schrägen Abwegen wandelte und allen das Schild "Ich mach nur noch, was ich will!" demonstrativ entgegenstreckte, die sich über den unerwarteten Stilbruch wunderten.
    Diese Gesinnung hat sich allerdings nach und nach aufgelöst, inzwischen hält er sich offensichtlich selbst für eine Art Jukebox, denn er erklärte jüngst in einem Interview, dass er sich seiner Anhängerschaft verpflichtet fühle und er es als seine Aufgabe ansehe, den Leuten genau das zu geben, was sie hören wollen. Und so wurden einfältige Alben wie "57th & 9th" oder das furchtbar peinliche "44/876" eingespielt. Kein einziger Sting-Track der letzten 15 Jahre würde es auf ein Mix-Tape schaffen, wenn man so was heutzutage noch machen würde. Meine Playlist an belanglosen oder geradezu miserablen Sting-Songs des selben Schaffenszeitraums wäre demgegenüber jedoch ellenlang.
    Was allerdings besonders unangenehm auffällt, ist die enorme Gewinnmaximierung durch seine Hits, die kaum ein anderer Künstler so penetrant betreibt wie Sting. Neben den zahlreichen Greatest-Hits-Kompilationen, die regelmäßig veröffentlicht werden, arrangiert und mischt Sting seine Erfolge immer wieder gerne auf verschiedenen Live- und Remix-Editionen neu... womit wir bei "My Songs" angekommen sind: ein Album, von dem ich mir persönlich viel versprochen hatte, denn ich sah vor drei Jahren auf der Berliner Waldbühne einen völlig uninspirierten Sting, dem man förmlich anhörte, dass ihn seine eigenen Songs allmählich selbst gehörig langweilten. Das Konzert war eine gnadenlose, durchchoreografierte Demonstration an Selbstgefälligkeit, bei dem wirklich nichts passierte, was nicht vorher einstudiert wurde und keine Emotion der Musiker authentisch wirkte. Insofern ging ich davon aus, dass Sting jetzt "seine Lieder" tatsächlich radikal auf den Kopf stellt, schon allein, um auf der anstehenden Tournee nicht schon beim Gedanken, gleich zum zigtausendsten Mal "Every Breath You Take" in der traditionellen Form darbieten zu müssen, zu erbrechen. Doch leider ist "My Songs" alles andere als der große Wurf. Im Gegenteil: einzige Intention war es, die Songs mit dem heutigen Mainstream zu harmonisieren. Und so wurde gesampelt und remixt was das Zeug hielt, so dass Klassiker, die in der Originalversion großartig waren, nun völlig entstellt wurden. Hört man beispielsweise das Cheering-Sample und den synthetischen Beat am Anfang von "If You Love Somebody" möchte man am liebsten in den Tisch beißen. Wie etliche andere Songs hätte "Desert Rose" schon seit jeher dringend einer Überarbeitung bedurft, aber die neue Fassung ist nicht minder unerträglich und kaum von der ursprünglichen Variante zu unterscheiden. Überhaupt: nicht wenige der neuen Arrangements fallen wirklich auf, große Mühe wurde in die aktuellen Interpretationen augen- oder vielmehr ohrenscheinlich nicht investiert. Das Album ist kleinmütig und durchweg enttäuschend, ich wüßte nicht einen einzigen Titel, der sich durch die Neuerung deutlich anders anhört. Ein Armutszeugnis für einen Künstler, der einst grandios und couragiert war. "My Songs" wirkt unangenehm profitorientiert, - man hat nicht den Eindruck, dass die Produktion irgend jemanden Spaß gemacht haben könnte.
    Nicht dass wir uns mißverstehen: ich hätte es klasse gefunden, den einen oder anderen Titel wirklich originell und überraschend interpretiert zu hören. Die Lieder mal ohne dogmatische Rücksicht auf die ursprüngliche Kompositionen neu eingesungen und mit völlig anderen Instrumenten arrangiert, würde den Kauf dieses Albums womöglich rechtfertigen. Warum nicht "Every Breath" als Brass-Nummer? Warum nicht "If You Love Somebody" mit einen vorlauten Kinderchor? Warum nicht ein verstimmtes Jazzpiano in "Demolition Man" einsetzen? Warum nicht mal ein bißchen gesanglich variieren? Auch würde sicherlich so mancher Klassiker als Duett funktionieren. So viele Sting-Lieder (nicht (nur) die, die auf dem Album gelandet sind!) böten eine breite Spielwiese für Kreativität und musikalischen Esprit, aber nur die Drum-Machine anzuschmeißen und elektronische Klangspielereien in die Songs zu frickeln, ist armselig. Statt sich dem Zeitgeist anzubiedern und sich mit Leuten wie Shaggy und Dave Audé zu umgeben, wäre der 67jährige Poprentner mit genreübergreifenden Vollblut-Musikern wie zum Beispiel Jamie Cullum sicher besser beraten gewesen, um seinen Songs tatsächlich neue Ideen und einen anderen Blickwinkel einzuhauchen. "NDR Info" stellte die CD übrigens kürzlich im Radio vor und der Moderator verzichtete auf eine Kostprobe, weil das Album nichts wirklich Hörenswertes zu bieten hätte und spielte statt dessen "Masoko Tanga" von Police. Das ist auch ein Statement.
    Ein Kommentar
    Kind of Blue
    12.11.2024

    Endlich mal wahre Worte…

    Bravo! Das ist mit großem Abstand das allerbeste, was ich seit sehr langer Zeit über den ehemaligen Künstler (in musikalischer Hinsicht) Sting gelesen habe. Als großer Fan von Police und darauf folgend Sting kaufte ich damals die „Sacred“-CD und wußte beim ersten Hören, daß hier etwas passiert war, nur nichts Gutes. Eine völlig uninspirierte und langweilige CD, die ich bis heute keine fünf Mal gehört habe, weil ich jedes Mal beim Hören dachte, oh nein, bitte nicht. Um mit Hildegard Knef zu sprechen: Von nun an gings bergab. In Deiner Rezension kann ich jeden einzelnen Satz unterstreichen, gerade, was diese „neue“ CD angeht. Voller Neugierde reingehört und mit jedem Lied wuchs die Frage: Was soll das denn? Enttäuschung pur und für mich die deutliche Bestätigung Deiner These mit dem kokelndem Kometen. Über diese so treffende Formilierung habe ich herzlich gelacht, weil sie so genau ins Schwarze trifft und mein damaliger Hero Sting sich nach seiner ausgeprägtem Arroganzphase als Lachschlager entpuppt. Schade, schade, aber das ist wohl der Lauf der Zeit.
    Es ist auch deshalb so entspannend, Deine Kritik zu lesen, weil sie sich wohltuend vom lobhudelnden Einheitsbrei willfähriger oder ertaubter Musikjournalisten abhebt. Danke dafür.
    Deutschstunde (2019) Christian Schwochow
    Deutschstunde (2019) (DVD)
    15.04.2020
    Bild:
    4 von 5
    Extras:
    1 von 5
    Ton:
    3 von 5

    Wäre Siegfried Lenz mit dieser Verfilmung einverstanden?

    "Deutschstunde" ist für mich Siegfried Lenz' Meisterwerk, dessen sprachliche und atmosphärische Dichte auch heute noch begeistert und die NS-Zeit aus einer ganz besonderen Perspektive beleuchtet. Christian Schwochows respektlose Interpretation hingegen ist ein prima Beispiel für mißlungene Romanverfilmungen. Nicht, weil es unbestreitbar schwierig ist, präzise Sprache in Bilder umzusetzen, sondern weil hier die Drehbuchautorin Heide Schwochow sich anmasst, die Geschichte besser schreiben zu können als Lenz selbst. Natürlich lassen sich 600 Seiten mitreißende Literatur nur bedingt in zwei Stunden erzählen, aber was in diesem Film unter "Verdichtung" und "dramaturgischer Freiheit" gehandelt wird, ist oft eine Zerrbild von Lenz' Figuren und Aussagen. Der Roman lebt von so viele Konflikten und Ungerechtigkeiten, die den Leser packen und in die Geschichte ziehen, so dass sich die Frage aufdrängt, warum sich die Drehbuchautorin noch weitere, sadistische Szenen ausdenken musste. Es ist beispielsweise völlig daneben, wenn der Vater dem Sohn eine Hand an einer glühenden Herdplatte für eine Tat verbrennt, die im Buch überhaupt nicht vorkommt, im Film aber eine entscheidende Rolle spielt. Mit der Fokussierung auf den obsessiven Polizisten verliert der Film den Subtext des Romans aus den Augen. Dagegen bleiben wesentliche Motive (und deren Tragweite) der literarischen Vorlage auf der Stecke. Zeitliche Abläufe werden ungünstig verändert und verschiedene Protagonisten nur angedeutet oder erhalten (wie zum Beispiel Siggis Mutter) durch die Schwochows geradezu gegensätzliche Charaktere.
    Die Leistungen der DarstellerInnen sind (für deutsche Verhältnisse) solide, die Kameraarbeit mag sogar gelungen sein, - aber das Drehbuch macht aus einem großen Buch ein banales Drama ohne die Komplexität, die den Zeitroman zu einem der bedeutensten Werke der deutschen Nachkriegsliteratur gemacht hat. Ich empfehle Peter Beauvais' Zweiteiler von 1971.
    My Songs (Limited Deluxe Edition) My Songs (Limited Deluxe Edition) (CD)
    04.06.2019
    Klang:
    2 von 5
    Musik:
    1 von 5

    I lost my faith

    Seien wir ehrlich: der Komet "Sting" kokelt seit vielen Jahren traurig vor sich hin und verglüht so langsam am Pophimmel. Seine Solokarriere war einst ein Befreiungsschlag: weg vom New Wave und nervigen "De Do Do Do, De Da Da Da", hin zum wirklich klugen und anspruchsvollen Crossover aus Pop, Jazz und Weltmusik, scharrte er fantastische Musiker um sich und scherte sich nicht um den vorherrschenden Mainstream, um schließlich den neuen Mainstream zu kreieren. Großartige Alben entstanden durch diese Mischung aus Kreativität, Freigeist, Idealismus, Inspiration und musikalischer Souveränität. Zeitlose Songs (viele davon findet man auf keinem der zahlreichen Best-Of-Alben) hat Sting mit talentierten Weggefährten geschrieben, doch spätestens seit "Sacred Love" ist es vorbei mit seiner Innovation und Strahlkraft. Gerne verzieh man ihm seine extravaganten Unabhängigkeitsprojekte (Konzeptalben wie "Songs from the Labyrinth"), in denen er auf mehr oder weniger schrägen Abwegen wandelte und allen das Schild "Ich mach nur noch, was ich will!" demonstrativ entgegenstreckte, die sich über den unerwarteten Stilbruch wunderten.
    Diese Gesinnung hat sich allerdings nach und nach aufgelöst, inzwischen hält er sich offensichtlich selbst für eine Art Jukebox, denn er erklärte jüngst in einem Interview, dass er sich seiner Anhängerschaft verpflichtet fühle und er es als seine Aufgabe ansehe, den Leuten genau das zu geben, was sie hören wollen. Und so wurden einfältige Alben wie "57th & 9th" oder das furchtbar peinliche "44/876" eingespielt. Kein einziger Sting-Track der letzten 15 Jahre würde es auf ein Mix-Tape schaffen, wenn man so was heutzutage noch machen würde. Meine Playlist an belanglosen oder geradezu miserablen Sting-Songs des selben Schaffenszeitraums wäre demgegenüber jedoch ellenlang.
    Was allerdings besonders unangenehm auffällt, ist die enorme Gewinnmaximierung durch seine Hits, die kaum ein anderer Künstler so penetrant betreibt wie Sting. Neben den zahlreichen Greatest-Hits-Kompilationen, die regelmäßig veröffentlicht werden, arrangiert und mischt Sting seine Erfolge immer wieder gerne auf verschiedenen Live- und Remix-Editionen neu... womit wir bei "My Songs" angekommen sind: ein Album, von dem ich mir persönlich viel versprochen hatte, denn ich sah vor drei Jahren auf der Berliner Waldbühne einen völlig uninspirierten Sting, dem man förmlich anhörte, dass ihn seine eigenen Songs allmählich selbst gehörig langweilten. Das Konzert war eine gnadenlose, durchchoreografierte Demonstration an Selbstgefälligkeit, bei dem wirklich nichts passierte, was nicht vorher einstudiert wurde und keine Emotion der Musiker authentisch wirkte. Insofern ging ich davon aus, dass Sting jetzt "seine Lieder" tatsächlich radikal auf den Kopf stellt, schon allein, um auf der anstehenden Tournee nicht schon beim Gedanken, gleich zum zigtausendsten Mal "Every Breath You Take" in der traditionellen Form darbieten zu müssen, zu erbrechen. Doch leider ist "My Songs" alles andere als der große Wurf. Im Gegenteil: einzige Intention war es, die Songs mit dem heutigen Mainstream zu harmonisieren. Und so wurde gesampelt und remixt was das Zeug hielt, so dass Klassiker, die in der Originalversion großartig waren, nun völlig entstellt wurden. Hört man beispielsweise das Cheering-Sample und den synthetischen Beat am Anfang von "If You Love Somebody" möchte man am liebsten in den Tisch beißen. Wie etliche andere Songs hätte "Desert Rose" schon seit jeher dringend einer Überarbeitung bedurft, aber die neue Fassung ist nicht minder unerträglich und kaum von der ursprünglichen Variante zu unterscheiden. Überhaupt: nicht wenige der neuen Arrangements fallen wirklich auf, große Mühe wurde in die aktuellen Interpretationen augen- oder vielmehr ohrenscheinlich nicht investiert. Das Album ist kleinmütig und durchweg enttäuschend, ich wüßte nicht einen einzigen Titel, der sich durch die Neuerung deutlich anders anhört. Ein Armutszeugnis für einen Künstler, der einst grandios und couragiert war. "My Songs" wirkt unangenehm profitorientiert, - man hat nicht den Eindruck, dass die Produktion irgend jemanden Spaß gemacht haben könnte.
    Nicht dass wir uns mißverstehen: ich hätte es klasse gefunden, den einen oder anderen Titel wirklich originell und überraschend interpretiert zu hören. Die Lieder mal ohne dogmatische Rücksicht auf die ursprüngliche Kompositionen neu eingesungen und mit völlig anderen Instrumenten arrangiert, würde den Kauf dieses Albums womöglich rechtfertigen. Warum nicht "Every Breath" als Brass-Nummer? Warum nicht "If You Love Somebody" mit einen vorlauten Kinderchor? Warum nicht ein verstimmtes Jazzpiano in "Demolition Man" einsetzen? Warum nicht mal ein bißchen gesanglich variieren? Auch würde sicherlich so mancher Klassiker als Duett funktionieren. So viele Sting-Lieder (nicht (nur) die, die auf dem Album gelandet sind!) böten eine breite Spielwiese für Kreativität und musikalischen Esprit, aber nur die Drum-Machine anzuschmeißen und elektronische Klangspielereien in die Songs zu frickeln, ist armselig. Statt sich dem Zeitgeist anzubiedern und sich mit Leuten wie Shaggy und Dave Audé zu umgeben, wäre der 67jährige Poprentner mit genreübergreifenden Vollblut-Musikern wie zum Beispiel Jamie Cullum sicher besser beraten gewesen, um seinen Songs tatsächlich neue Ideen und einen anderen Blickwinkel einzuhauchen. "NDR Info" stellte die CD übrigens kürzlich im Radio vor und der Moderator verzichtete auf eine Kostprobe, weil das Album nichts wirklich Hörenswertes zu bieten hätte und spielte statt dessen "Masoko Tanga" von Police. Das ist auch ein Statement.
    2 Kommentare
    Anonym
    07.06.2019

    Aus der Seele gesprochen...

    Ohne nach Selbstlob zu lechzen und übertreiben zu wollen: Ich habe mich über die letzten Jahrzehnte sehr intensiv mit Sting/The Police beschäftigt und dieser Kommentar spricht mir wirklich aus dem Herzen! Es gibt so unendlich viele tolle Police/Sting-Songs, die auf eine Sting/Police-Kollektion gehören würden. Sind wir mal ehrlich - die erste Sting/Police-Best-of-CD hatte bereits dieselben Songs und auch live werden die immergleichen Hits bis zum Erbrechen gespielt. Es ist enttäuschend, dass Sting seit Jahrzenhnten nicht wie z.B. Peter Gabriel oder Tori Amos unbekannte Songs neu veröffentlicht bzw. dem Mainstream-Publikum vermittelt, sondern immer wieder CDs mit mehr oder weniger denselben Welthits auf den Markt bringt, was den Eindruck vestärkt, dass es hier ein um Geldmache geht...Sehr enttäuschend!
    Kind of Blue
    12.11.2024

    So wahr…

    Bravo! Das ist mit großem Abstand das allerbeste, was ich seit sehr langer Zeit über den ehemaligen Künstler (in musikalischer Hinsicht) Sting gelesen habe. Als großer Fan von Police und darauf folgend Sting kaufte ich damals die „Sacred“-CD und wußte beim ersten Hören, daß hier etwas passiert war, nur nichts Gutes. Eine völlig uninspirierte und langweilige CD, die ich bis heute keine fünf Mal gehört habe, weil ich jedes Mal beim Hören dachte, oh nein, bitte nicht. Um mit Hildegard Knef zu sprechen: Von nun an gings bergab. In Deiner Rezension kann ich jeden einzelnen Satz unterstreichen, gerade, was diese „neue“ CD angeht. Voller Neugierde reingehört und mit jedem Lied wuchs die Frage: Was soll das denn? Enttäuschung pur und für mich die deutliche Bestätigung Deiner These mit dem kokelndem Kometen. Über diese so treffende Formilierung habe ich herzlich gelacht, weil sie so genau ins Schwarze trifft und mein damaliger Hero Sting sich nach seiner ausgeprägtem Arroganzphase als Lachschlager entpuppt. Schade, schade, aber das ist wohl der Lauf der Zeit.
    Es ist auch deshalb so entspannend, Deine Kritik zu lesen, weil sie sich wohltuend vom lobhudelnden Einheitsbrei willfähriger oder ertaubter Musikjournalisten abhebt. Danke dafür.
    Twin Peaks Season 3 (A Limited Event Series) David Lynch
    Twin Peaks Season 3 (A Limited Event Series) (DVD)
    30.05.2019

    Verdammt mieser Kaffee

    David Lynch hat in seinem Wohnzimmer eine 2x4 Meter große weiße Leinwand aufgehängt und immer wenn er Gäste zu Hause empfängt, tut er ganz geheimnisvoll und zeigt auf die Leinwand. Er sagt, dass dies wunderbare Gemälde nur Menschen mit hoher Intelligenz und großem Kunstverständnis sehen können, Schwachköpfe und Einfaltspinsel hingegen sähen nichts. Und so loben die Besucher das Bild und fallen vor dem Künstler auf die Knie. Nie zuvor hätten sie so ein progressives Werk gesehen, nie zuvor hätten sie solch eine surreale Harmonie und beeindruckende Illusion der Tiefe erfahren. Manche von diesen Leuten glauben das wirklich, die meisten jedoch sehen nur die weiße Leinwand, aber weil sie nicht als schwachsinnig und einfältig gelten wollen, jubilieren sie und behaupten, Lynch hätte sich selbst übertroffen und ein Meisterwerk epochaler Reichweite erschaffen. Und während die Gäste mal hier, mal dort auf das Bild deuten und den genialen Dadaismus bewundern, entschuldigt sich Lynch, verdrückt sich in den Keller, schließt die Tür hinter sich und lacht und lacht und lacht.


    Ich will aber auch ein paar Gründe nennen, warum ich diese „Fortsetzung“ für völlig überschätzt halte. Ich kenne alle Filme von David Lynch und bis (einschließlich) "Mulholland Drive" war ich meistens auch begeistert, insofern ist die "weiße Leinwand" keine Metapher für sein Gesamtwerk, sondern bezieht sich ganz speziell auf die dritte Staffel von "Twin Peaks", die für mich eine maßlose Enttäuschung ist und den überragenden Ruf der Serie nachhaltig demontiert.
    Diese neuen Folgen waren nämlich für mich weder spannend noch aufwühlend und schon mal gar nicht "witzig". Die einzigartige Atmosphäre, die mich einst mitriß, die mich mit den Protagonisten mitfiebern ließ und mich neugierig auf die nächste Folge machte, ist einer synthetischen Kälte gewichen. Im Grunde ist der Name "Twin Peaks" nur das Vehikel für eine medienwirksame Kampagne, denn was in der neuen Staffel passiert, wirkt gezwungen und hat nur oberflächlich mit der ursprünglichen Serie zu tun. Twin Peaks, so wie wir es von früher kennen, findet weder als Ort noch als Sinnbild statt. Die Figuren/Darsteller der ersten beiden Staffeln spielen bis auf wenige Ausnahmen dümmliche Rollen mit keinerlei Bezug auf den rudimentären Plot (falls es den überhaupt gab). Überhaupt wirkt diese dritte Staffel wie ein Sammelsurium von unausgegorenen Ideen. Und ja, natürlich waren darunter dann auch ein paar (wenige) gelungene Szenen, so wie in einem Kurzgeschichtenband meistens auch eine oder zwei Stories hervorstechen. Doch reicht das wirklich für eine achtzehnteilige Fortsetzung einer legendären Serie?
    Während andere hochbegabte Showrunner und Regisseure im Laufe einer Staffel die Puzzleteile nach und nach zu einem Bild zusammenfügen, verläßt sich Lynch auf seine Entourage, die ihm wieder mal Genialität bescheinigen wird, obwohl er in Wirklichkeit schlicht und ergreifend leider nicht mehr in der Lage ist, eine komplexe Geschichte zu erzählen. Kaum auszudenken, was Leute wie Nic Pizzolatto, Tom Perrotta oder meinetwegen David Fincher Phantastisches aus "Twin Peaks" gemacht hätten.
    Lynch und Frost hatten wohl verschiedene Szenarien für Coopers Serienfortsetzung entwickelt und konnten sich offensichtlich für keine Variante entscheiden, was zu einem konzept- und hilflosen Bemühen führte, all diese herumirrenden Coopers irgendwie zu vereinen. Ich kann kaum glauben, dass es Leute gibt, die die ersten beiden Staffeln von "Twin Peaks" mochten und sich trotzdem über den grenzdebilen Dougie Jones amüsieren können, denn der "neue" slapstickartige "Humor" bewegt sich auf ziemlich niedrigem Niveau. Wer das lustig findet, lacht auch über den Tortenmann. Unverständlich ist mir zudem, warum diese Folgen so unglaublich teuer waren, denn sie sind (abgesehen von den erzählerischen Schwächen) auch noch handwerklich äußerst billig in Szene gesetzt. War Bob oder Windom Earle vor 25 Jahren noch furchteinflößend, so wird in den aktuellen Episoden jeder unheimliche Moment dadurch zerstört, dass man ihn einfach viel zu lange wirken läßt. Gefühltes minutenlanges Starren auf eine Zimmerecke, ist langweilig und kann mitunter nervtötend sein.

    Von mir aus kann man sich ja darüber streiten, ob diese Staffel eine künstlerische Ästhetik besitzt, - eins ist sie jedoch ganz gewiss nicht und zwar: "Twin Peaks".
    Picket Fences - Tatort Gartenzaun (Komplettbox) Michael Pressman
    Picket Fences - Tatort Gartenzaun (Komplettbox) (DVD)
    02.12.2017
    Bild:
    3 von 5
    Extras:
    1 von 5
    Ton:
    3 von 5

    Profitmaximierung statt Qualität

    Als der "Filmverlag Fernsehjuwelen" (Alive) vor fast zwei Jahren die DVD-Veröffentlichung von "Picket Fences" angekündigt hatte, hatte ich die Firma gefragt, warum die Serie nicht gleich in einer Gesamtbox erscheinen würde und die Geschäftsführung von "Fernsehjuwelen" hat mir daraufhin im Januar 2016 geantwortet, dass man "Picket Fences" sehr gerne als Komplettbox gebracht hätte, aber oho, dies würden die Rechteinhaber nicht erlauben, da jede Staffel andere Kreativköpfe hat, die einzeln abgerechnet werden müssten. Aber selbst wenn es eine Gesamtausgabe geben würde, wäre sie auch nicht günstiger als die vier Staffelboxen...

    Und nun kommt die "Komplettbox" doch. Und alle, die sich (wie ich) die einzelnen Staffeln zeitnahe zu den jeweiligen Veröffentlichungen gekauft haben und so insgesamt rund 140 Euro daür auf den Tisch legen mussten, staunen nun über die Habgier und Verlogenheit dieses Unternehmens.

    "Picket Fences" ist eine schöne Serien für TV-Nostalgiker. Die Geschichten sind allerdings nicht zeitlos und wirken manchmal altbacken, aber sie haben auch ihre skurrilen und bewegenden Momente.
    Die Bild- und Tonqualität ist annehmbar. Wenn man sich jedoch ansieht, was beispielsweise aus dem Material einer ähnlich alten Serie wie "Ausgerechnet Alaska" noch "herausgeholt" werden konnte, unterstelle ich mal, dass "Alive" bei der Veröffentlichung bestmögliche Qualität der Profitmaximierung geopfert hat. Das passt ins Gesamtbild.
    Nobody But Me Michael Bublé
    Nobody But Me (CD)
    29.10.2016
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    2 von 5

    Everybody like him

    Michael Bublè wird ja gerne als Premium-Marke gehandelt, doch mit dem aktuellen Album beweist er ein weiteres Mal, dass er in der Regel nur Grabbelware liefert. Seine musikalischen Plagiate sind überwiegend einfältig interpretiert und die restlichen Songs bieten geradezu unerträglicher Pop-Mainstream. Äußerst unangenehm fällt hier das Duett mit Meghan Trainor auf, dicht gefolgt von der peinlichen HipHop-Nummer "Nobody like Me". Während Trainor mindestens zwei Oktave zu hoch trällert, um wirklich mit dem Kanadier zu harmonisieren, wirkt der Rapper Black Thought wie ein maligner Fremdkörper im Bublé'schen Kosmos.

    Vom Opener bis zum letzten Song werden in Holzfällermanier alle abgelatschten Musikpfade durchtrampelt und ein pathetisches Potpourri angerichtet. "I Believe in You" könnte auch ein Ronan-Keating-Song sein und was Bublè mit Brian Wilsons Meisterwerk "Only God Knows" macht, ist in meinen Augen schon Blasphemie. Wenn man sich an solchen Klassikern abarbeitet, sollte man seiner Interpretation auch eine belebende Idee einhauchen und sie nicht mit Langeweile ersticken. Bestenfalls das gefällig arrangierte "I Wanna Be Around" hebt sich ein wenig vom schwachen Niveau dieses Albums ab.
    Verwesung Simon Beckett
    Verwesung (Buch)
    16.10.2016

    Verwesung oder: Ein ganz schrecklicher Unfall

    So nicht!

    Wir haben auf der einen Seite das scheußliche Ungeheuer, das mutmaßlich mordend durchs Moor watet. Und auf der anderen Seite den Gutmenschen David Hunter, der uns mit seinem verkrampften Bemühen um moralische Aufrichtigkeit ganz gehörig auf den Senkel geht. Dann - Überraschung! - ist alles doch ganz anders, als wir dachten. Diesmal steht kein langjähriger Rollstuhlfahrer plötzlich aus seinem Gefährt auf. Diesmal wird es noch um einiges wahnwitziger. Obwohl "witzig" ist das nicht wirklich mehr...

    Wir haben mit "Verwesung" einen weiteren nicht lesenswerten Beckett-Roman, der sich bestenfalls auf dem schwachen Niveau von "Obsession", "Flammenbrut" oder "Voyeur" bewegt.

    Enttäuschend! Fast schon bemitleidenswert konstruiert Beckett eine Geschichte, die an Logikfehlern und Doofheit strotzt. So muss für die - David-Hunter-typische - "völlig unerwartet Wendung" diesmal der dumpfe Erstverdächtige hinhalten. (Achtung Spoiler bis Ende des Absatzes:) Nicht genug, dass er ein asoziales, ungebildetes, gewalttätiges Monster ist (unschwer zu erkennen, weil Beckett ihn nervend oft "Verdammte Scheiße!" fluchen läßt!), - nein, er ist auch noch dermaßen dämlich, dass er tatsächlich die unfreiwillige Opferrolle des Mädchenmörders jahrelang angenommen hatte. Aus welchen bescheuerten Gründen auch immer, ist nun sein einziges Bestreben, die Gräber der Leichen zu finden, die er gar nicht auf dem Gewissen hat. Der wahre Täter ist natürlich wieder ganz nah...

    Die Dialoge sind eine Katastrophe. Die Motive der einzelnen Personen für deren irrsinniges Verhalten bleiben oft suspekt. Und entweder ist das Buch ganz mies übersetzt oder der Autor tatsächlich ein lausiger Erzähler. Sein weicher Stil nervt irgendwann jedenfalls ungemein. Das größte Rätsel dieses Buches ist insofern die Tatsache, dass immer noch viele Liebhaber der ersten drei Hunter-Fälle auch diese absurde, unterirdische Story mit Bestnoten adeln. Waren die ersten drei Hunter-Romane noch über weite Strecken interessant, spannend und (mehr oder weniger) nachvollziehbar, ist diese Fortsetzung wirklich in jeder Beziehung ein einziges Unfall. Und da fällt mir ein schöne Metapher ein, die ich in einem ähnlichen Kontext vor Jahren in der taz las, denn Verwesung "zu lesen, ist wie an einem Autounfall vorbeizufahren: eine Erfahrung, die man nicht unbedingt wiederholen möchte, die einen noch eine ganze Weile beschäftigt und die einige Fragen aufwirft. Wie konnte das passieren? Tut es sehr weh? Wie schwer sind die Verletzungen? Ist die Polizei schon da? Wer zahlt den Schaden?"

    Vielleicht fällt meine Kritik nur deswegen so vernichtend aus, weil ich zuvor Jonathan Franzens "Freiheit" gelesen haben, ein fantastischer, unheimlich geistreicher Roman, der sprachlich in der Champions-League spielt, während "Verwesung" irgendwo in der Regionalliga herumstolpert.
    Tiere Tiere (Buch)
    16.10.2016

    Die Truhe der Pandora (ist hoffentlich jetzt leer)

    Ich finde "Tiere" echt total toll, denn solche total außergewöhnlichen Bücher bekommt man schließlich nicht oft zu lesen. Normalerweise hätten solche total verrückten Geschichten nämlich gar keine Chance veröffentlicht zu werden. Hätte zum Beispiel ich das selbe Manuskript dem Rowohlt-Verlag zugeschickt, hätten es mir die Leute dort bestimmt links und rechts um die Ohren gehauen oder mich total ausgelacht. Ganz bestimmt hätten sie mir dafür keinen Scheck ausgestellt. Aber da nicht ich "Tiere" geschrieben habe, sondern das Britische, das ja in den letzten Jahren total erfolgreich ein paar total spannende Abenteuer mit einem total sympathischen Superhelden ausgeheckt hat, hat der Rowohlt-Verlag auch diese total irre Geschichte von einem komischen, jungen Mann gedruckt, der total von der Rolle ist und in dessen Leben plötzlich alles total drunter und drüber geht. Eigentlich ist der komische Kerl echt total fies, weil er das Rote und das Dicke quält und mit Hundefutter füttert, aber es ist auch voll traurig, weil seine Eltern schon früh gestorben sind und er jetzt voll einsam in einer alten Kneipe wohnt. Aber er bekommt auch dauernd Besuch von total seltsamen Leuten. Einer davon ist total ekelig drauf. Mir ist schon in anderen Büchern aufgefallen, dass das Britische einen total genialen Trick anwendet. Wenn es nämlich eine Person total asozial und ungebildet erscheinen lassen will, läßt es sie ständig "Verdammte Scheiße!" sagen. Uiii... das ist echt voll unsympathisch. Manchmal kommt in dem Buch auch ziemlich schlüpfriger Schweinkram vor und ab und zu glaubt das Britische, dass es sich auch ein paar total lustige Situationen und Dialoge ausgedacht hat, aber es ist nur deshalb total witzig, weil es so total peinlich wirkt.

    Naja, man muss aber bedenken, dass das Britische diese Geschichte vor ungefähr 100 Jahren geschrieben hat, als es noch total unbekannt war und etwa so alt wie ich (ich gehe übrigens in die 2. Klasse, - ...naja, eigentlich wäre ich schon in der 3., aber Sie können sich bestimmt denken, was passiert ist...) und dann hat es die Geschichte total tief in einer alten Truhe im dunklen Keller versteckt, weil es sich doch schon ein bisschen für diesen total tollen Quatsch geschämt hat, aber als der Rowohlt-Verlag ihm gesagt hat, es solle mal gucken, ob es nicht noch irgendwo irgendwas findet, was man unter dem Namen des Britischen veröffentlicht kann, hat es nicht lange gefackelt und die Truhe aufgemacht und dann das total unreife Geschreibsel auch nicht erst überarbeitet, sondern einfach ab die Post! Und dann hat der Rowohlt-Verlag ihm dafür auch noch total viel Geld in die Hand gedrückt, weil nämlich total viele Leute, die die neueren Bücher vom Britischen total gut finden, sich auch diese alten Schinken kaufen.

    Komisch, wenn ich jetzt darüber nachdenke, finde ich "Tiere" doch gar nicht mehr so toll. Eigentlich fühle ich mich sogar ein bißchen hereingelegt, schließlich habe ich mein ganzes Taschengeld für dieses Buch hingelegt und brauchte auch Stunden, um mich durch die total dämliche Geschichte zu quälen. Und nun bleibt nur der total ekelige Nachgeschmack, Geld und Zeit vergeudet zu haben. Aber ich bin auch irgendwie selbst Schuld, weil ich nämlich schon die drei anderen total putzigen Bücher gelesen habe, die das Britische für den Rowohlt-Verlag aus der verstaubten Kellertruhe gekramt hat und die nach und nach in dem letzten Jahr veröffentlicht wurden. Und ehrlich gesagt, "Tiere" ist auch nicht viel schlechter als "Voyeur", "Obsession" oder "Flammenbrut". (Ausgleichenderweise ist dafür das neuste, total spannende Abenteuer ("Verwesung") von dem total sympathischen Superhelden auch nicht viel besser. Dort gibt's übrigens auch wieder einen total fieser Typen, der dauernd "Verdammte Scheiße!" sagt... kicher!). Meine Mama hat gesagt, das Britische sei total geldgierig und würde nur den Hype um seine Person ausnutzen, aber so könne man sich halt auch den Ruf ruinieren. Was sie damit meint, habe ich nicht richtig kapiert. Aber immer, wenn ich in den total kindischen Frühwerken von dem Britischen gelesen habe, hat mein Papa mich angebrüllt, ich solle nicht so einen Schund lesen, sonst würde ich noch total blöd im Kopf. Das habe ich zwar kapiert, aber trotzdem weitergelesen. Naja, bis jetzt ist ja noch nichts passiert...
    Weiter weg Weiter weg (Buch)
    16.10.2016

    Auch nur ein Mensch..

    Zunächst möchte ich vorausschicken, dass ich Jonathan Franzen für einen der brillantesten Romancier unserer Zeit halte. Seine Roman sind Meisterwerke, seine Formulierungen bestechen.

    "Weiter weg" liest sich flüssig, oft geht es direkt oder indirekt um Literatur. Lesenswert und mir aus dem Herzen gesprochen fand ich vor allem "I just called to say I love you", ein virtuoses Essay über die Tyrannei des Mobilfunks, das gelungen den Bogen über 9/11 spannt und in der bewegenden Trauer über den Verlust der Eltern endet. (Schon allein wegen dieser paar Seiten hat sich der Kauf des Buchs für mich gelohnt!)
    Und dennoch haben mir etliche Aufsätze des Buchs nicht gefallen, - nicht, weil sie nicht gut geschrieben wären, sondern weil sie den Autoren in einem unvorteilhaften, bigotten Licht abbilden, das meinen Eindruck von dem Menschen hinter den Zeilen bislang widersprach. Nach Lektüre einiger Essays wirkte Jonathan Franzen auf mich wie ein Narziss und gutmütiger Blender. Gesegnet mit einem außergewöhnlichen Intellekt, fehlt ihm offensichtlich doch eine gewisse Selbstreflektion. Natürlich findet man in „Weiter weg“ jede Menge interessanter Gedanken, doch oft genug gelingt Franzen die Verknüpfung grundverschiedener Motiv nur holprig. Ich denke hier vor allem an den Titel-Text, in dem er seine Expedition auf eine unwirtliche Vulkaninsel mit der literarischen Aufarbeitung von Defoes Robinson Crusoe und der Trauer um seinen verstorbenen Freund David Foster Wallace zu verbinden versucht.

    Richtig unangenehm fallen jedoch die Passagen auf, die den Autoren recht (selbst)unkritisch geradezu beiläufig „herauszurutschen“ scheinen. In dem Essay „Der leergefegte Himmel“ empört sich der Vogelkundler Jonathan Franzen zu Recht über die illegale Jagd auf Zugvögel verschiedener Mittelmeerstaaten. Er hat Malta, Zypern und Italien bereist und begegnete Naturfreunden, die sich gegen die grausamen Praktiken der Traditionalisten mutig entgegenstellen. Bei einer dieser Wanderungen kam es zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit Wilderern, die die Vogelschützer brutal verprügelten. Jonathan Franzen schlug sich dabei in die Büsche und beobachtete aus sicherer Distanz, wie mehrere Wildhüter verletzt wurden. Ich werfe dem Autoren nun nicht vor, Angst um seine Gesundheit gehabt und seinen Begleitern nicht geholfen zu haben. Nicht jeder ist zum Helden geboren, doch er beschreibt seine feige Flucht so selbstgefällig und unreflektiert, wie man es eigentlich von einem Intellektuellen nicht erwarten dürfte. Anschließend bedauert er zwar die Opfer, nicht aber seine fehlende Zivilcourage. Kein Wort verliert er über dieses Versagen, das seinen moralischen Ansprüchen nicht genügen kann, als sei jede andere Reaktion abwegig gewesen. Der Vogelfreund entrüstet sich statt dessen über das europäische Unvermögen, das millionenfache Abschlachten von Singvögeln zu verhindern (mit einem zornigen und - wie ich meine - deplazierten Seitenhieb, dass Europa, dieser vermeintliche Umwelt-Besserwisser, die USA und China bezüglich Kohlendioxid-Emissionen belehren würde), schließt den Artikel jedoch mit dem ungeheuerlichen Geständnis, selbst an einem Ambelopoulia (dem traditionellen, zypriotischen Gericht aus gebratenen Zugvögeln) teilgenommmen und - mehr oder weniger widerwillig - Mönchsgrasmücken und Drosselrohrsänger verspeist zu haben.

    Dass Jonathan Franzen nur bedingt als Umweltaktivist taugt, zeigt auch ein weiteres Essay dieses Buches, in dem er beschreibt, wie er kurzentschlossen nach China jettet, um Mißständen nachzugehen, die bereits wesentlich professioneller durch versierte NGOs recherchiert wurden. Diese Reisen nach Europa und Asien wirken eher wie die eines gelangweilten Gutmenschen. Der Autor vergeudete dabei viel Geld, Zeit und Kohlendioxid, kratzt oft nur an der Oberfläche des Problems, läßt sich von den Verantwortlichen um den Finger wickeln und leider fehlt ihm sogar die nötige Courage, all zu offensichtliche Bestechungsgeschenke abzulehnen.

    In einem anderen Essay versucht er abstrakt den autobiographischen Einfluss eines Autors auf jedes neue Buch zu erklären, beteuert jedoch, dass in seinen Romanen kaum Autobiographisches zu finden sei. In „Die Korrekturen“ übernimmt eine Romanfigur allerdings ein gutartige Schrulle seines älteren Bruders. Lange hat er mit sich gerungen, ob er diese private Familienangelegenheit in seinem Buch verwenden darf. Meines Erạchtens sind solche Bedenken auch durchaus berechtigt, denn Freunde des Bruders, die diese Eigenart wiedererkennen, werden womöglich auch andere Besonderheiten der Romanfigur bei dem Bruder vermuten und suchen. Doch nicht ein klärendes Gespräch mit dem Bruder (das wohl erst nach Beendigung des Manuskripts stattgefunden hat) bewog Franzen zur Verwendung, sondern die Maßregelung einer angeblich klugen Freundin: „Glaubst du, das Leben deines Bruders dreht sich um dich? Glaubst du nicht, dass er ein erwachsenes Leben führt, voll von Themen, die wichtiger sind als du? Glaubst du, deine Macht ist so groß, dass etwas, was du in einem Roman schreibst, ihm schaden kann?“ Sie unterstellt ihm Narzissmus, stempelt aber gleichzeitig einen Freifahrtschein für seine Selbstverliebtheit ab. Möglicherweise hatte diese kluge Freundin damals seine schriftstellerische Genialität und die Bedeutung seines Romans nur noch nicht erkannt, denn spätestens mit dem großen Erfolg von "Die Korrekturen" besitzt der Autor fraglos Einfluß auf seine Familie und Umwelt. Und selbstverständlich weiß das auch der Narziss Franzen, wenn er heute mit seiner Unwichtigkeit kokettiert und sein literarisches Gewicht herunterspielt, - auch wenn er schließlich sinngemäß ergänzt, dass ein Schriftsteller halt tut, was ein Schriftsteller tun muss, um sich selbst treu zu bleiben, auch wenn er den Preis unter Umständen später im Privaten teuer zu bezahlen habe. Wie so oft in "Weiter weg" muss Liebe für diese Eitelkeit herhalten, denn solange er Persönliches mit Liebe ausdrückt, könne er gar keine Grenze überschreiten oder Gefühle verletzen.

    Es ist nicht eine mangelnde Qualität der Texte, die mich zu dieser Rezension bewegt, sondern der neue Eindruck, den ich aus diesem Buch vom Autoren gewinne und der mir nicht so recht gefallen mag. Letztendlich machen diese unfreiwilligen, verräterischen Widersprüche aber einen privilegierten Intellektuellen einfach nur menschlich. Jedem Franzen-Roman (inklusive "Die Unruhezone") gäbe ich ohne zu zögern die Bestnote, - und diesen Essay-Band mit weniger als drei Sternen zu bewerten wäre unredlich, würde es doch dadurch auf das bedauerliche Niveau eines frühen Simon Beckett (z.B. „Tiere“) herabgezerrt, was „Weiter weg“ nun wirklich nicht verdient hätte.
    Momentum Jamie Cullum
    Momentum (CD)
    16.10.2016

    Pop For $ale

    Enttäuschung war das Gefühl, das bei mir nach dem Kauf von "Momentum" (in der Deluxe-Edition) überwog. Und auch nach mehrmaligem Hören, konnte ich keinen versöhnlicheren Eindruck von dem neuen Album gewinnen. Ich bin keine versierter Jazz-Kenner, mochte aber stets Jamie Cullums erfrischenden Crossover, so dass dieser unerwartete Exkurs zum kommerziellen Mainstream-Pop einfach zu plump auf mich wirkt.

    Ist Jamie Cullum die Fahnenflucht zum Pop vorzuwerfen?

    Nicht unbedingt, denn dass Cullum auch dieses Genre anspruchsvoll bedienen kann, hat er bereits mit vorherigen Veröffentlichungen bewiesen. Beispielsweise Elton Johns "Rocket Man" oder "The Wind Cries Mary" (Jimi Hendrix) hat er unverkennbar und kongenial interpretiert und mit "Gran Torino" selbst einen wunderbaren Popsong geschrieben. Gerne hätte ich eine Jamie-Cullum-Version von "Standing Still" auf "Momentum" gehört, - den Song, den er 2012 für Roman Lob (Eurovision Song Contest) komponierte.
    Jamie Cullum kann also Pop, - und doch enttäuscht das neue Album, weil er sich so sehr der Heavy-Rotation anbiedert und belanglose Plastikmusik vorherrscht, die manchmal nervt ("Love For $ale" feat. Roots Manuva) und sehr oft trivial ("Everything You Didn't Do") und berechnend ("The Same Things") klingt.
    Ein begnadeter Songwriter und Multiinstrumentalist versucht mit der Brechstange die Charts zu stürmen und vergrault gleichzeitig viele seiner Fans, die mit aktueller Popmusik rein gar nichts anfangen können (oder wollen).

    Doch auch wenn mir kaum ein Track des Albums wirklich gefällt, sind die Songs (dank Cullums sagenhafter Stimme) trotz allem meilenweit von den schwülstigen und seelenlosen Missgeburten entfernt, mit denen z.B. "Bruno Mars" oder "The Black Eyed Peas" (um zwei der scheußlichsten Vertreter moderner Popmusik zu nennen) Nerds wie mich in den Wahnsinn treiben.
    "Momentum" ist sauber produziert und arrangiert, - dem Album fehlt einfach der Drive, eine gewisse Originalität und musikalische Gewitztheit, die ich auch von einen Thirtysomething erwarte.

    Keine Frage: Künstler müssen sich weiterentwickeln, um sich treu zu bleiben. Keine Schublade ist für einen Vollblutmusiker wie Jamie Cullum groß genug, - auch nicht das Genre Pop. Das macht Hoffnung für die Zukunft. Vorausgesetzt Cullum neigt nicht zur Klaustrophilie.
    Inferno Dan Brown
    Inferno (Buch)
    16.10.2016

    Ab damit ins Fegefeuer

    Wenn man sich den Urlaub so richtig verhunzen will, dann packt man Dan Browns "Inferno" mit in den Koffer, denn wenn man dann an einem lauen Sommerabend an einem Ufer sitzt und in diesem Buch liest, übermannt einem zwangsläufig irgendetwas Unangenehmes zwischen Sodbrennen und Migräne.

    Schon "Das verlorene Symbole" war eine uninspirierte Zumutung und auf diesem äußerst schwachen Niveau setzt Dan Brown seinen literarischen Niedergang fort.
    Ich möchte überhaupt nicht auf den Irrwitz der Geschichte herumreiten, nur so viel: die Uhr tickt mal wieder gnadenlos und Robert Langdon eilt verletzt (und mit einem ordentlichen Dachschaden) innerhalb eines Tages durch Feindesland und Weltgeschichte, - ein enormes Sightseeing, für das vermutlich selbst unversehrte Ortskundige, die nicht von gewissenlosen Widersachern verfolgt werden, eine Woche benötigen. Aber Langdon findet selbstverständlich immer einen Weg in oder aus bestimmten Bauwerken, Ortschaften und Notlagen. Um seinem Helden den Kragen zu retten, verzichtet Dan Brown nicht mal auf Mottenkistentricks wie "Guckt mal, da oben!". Und alle schauen hoch, während Robert Superschlau sich klammheimlich verdrückt. Das haben sich (wahrscheinlich) nicht mal die Autoren der "Drei ???" getraut - und die schreiben für Kinder.

    Der Plot ist hanebüchen und wenn uns die Herren Brown, Beckett & Co. mal wirklich in Erstaunen versetzen wolten, dann würden sie endlich ihre Vernarrtheit in (angeblich) "überraschende Wendungen" ablegen und sich mal zur Abwechslung eine anspruchsvolle Geschichte ausdenken, bei der ein halbwegs intelligenter Leser nicht unentwegt mit den Kopf schütteln muss (und die nicht auf dies billige Blendwerk angewiesen ist). Da man aber inzwischen die recht einfältige Masche kennt (und leid ist), weiß man, dass Gegenspieler plötzlich zu Verbündete werden (und umgekehrt). Das nervt und langweilt langsam gewaltig.
    Wie erbärmlich dieses Karussell funktioniert, erkennt man gegen Ende von "Inferno", wenn nämlich der schattenhaften Ich-Erzähler, der immer wieder geheimnisvolle Sätze spinnt und von dem wir Leser annehmen sollen, dass er der Unheilsbringer ist, sich als gröbste und widersinnigste Schwachstelle des Romans entpuppt. Das hätte kein guter Lektor einem unbekannten Schriftsteller durchgehen lassen.

    Das Buch ist (abgesehen von der unfreiwilligen Komik) vollkommen humorlos geschrieben, sprachlich liefert Dan Brown eine bedauerliche Arbeit ab. "Inferno" mutet an, als habe ein Kreativ-Lehrer einem Neuntklässler eine bestimmte Anzahl an Fachbegriffen vorgegeben, die er allesamt in einem Aufsatz verwursten soll. Dieser fiktive Lehrer hätte bei der Korrektur jedoch etliche Rotstifte benötigt, denn kaum ein Absatz käme ohne Kommentar aus. Zu lieblos sind die Zeilen dahingeschmiert. Der schlichte Satzbau, ständige Wortwiederholungen und die Verwendung von einfachsten Verben machen die Lektüre zu einem fragwürdigen Vergnügen und stehen im krassen Kontrast zu den vielen spezifischen Termini, so dass man kaum den Eindruck gewinnt, der Autor wüßte wirklich, was er da erzählt. Überhaupt stellt sich beim Lesen des Buches sehr bald das Gefühl ein, dass Dan Brown beim Schreiben vor allem auf eine kulissenreiche Hollywood-Verfilmung seines Stumpfsinns schielte. Einzig der Aspekt der Überbevölkerung, die als eine maligne Entartung des Planeten dargestellt wird, besitzt einen leidlich interessanten Ansatz, wird aber in der Geschichte auch zur Farce.

    Ich warne und mahne also vor "Inferno" als (Urlaubs-)Lektüre!
    Zum Glück gibt es da ja noch alternativ Joanne K. Rowling, die mich als Nicht-Harry-Potter-Leser mit ihrer meisterlichen Erzählkunst wahrlich begeistert. Mit "Ein plötzlicher Todesfall" hat sie eine wunderbare und geistreiche Milieustudie zusammengepuzzelt, die sprachlich besticht, deren Humor zwischen den Zeilen hervorblitzt und die vor Reife nur so strotzt.
    Qualitäten, die Dan Brown vollends vermissen läßt.
    Newsroom Season 1 Newsroom Season 1 (DVD)
    16.10.2016

    Newsroom ist nicht die großartigste Serie der Welt

    "Newsroom" startet fulminant mit einer wirklich hervorragenden Pilotfolge, die geradezu provokant Amerikas "Way of Life" und die Manipulation der Berichterstattung durch Medienunternehmer und konservative Politiker ins Fadenkreuz nimmt. Doch schon mit der zweiten Episode verflüchtigte sich meine anfängliche Begeisterung, weil das Niveau leider rapide abflachte. Grundsätzlich verfolgt "Newsroom" mit der journalistischen Aufbereitung aktueller Themen und den Einblick hinter die Kulissen der "Welt der Nachrichten" einen wirklich interessanten Ansatz. Der fiktive US-Kabelsender ACN (dessen Logo übrigens sehr dem vom HBO ähnelt) versucht ein Nachrichtenformat zu etablieren, das auf den üblichen Sensationsjournalismus verzichtet und nicht zur Verbreitung reaktionärer Weltanschauungsmuster missbraucht wird. Allerdings verfranzt sich dieser rote Faden zunehmend durch die Beziehungsdramen des "Newsroom"-Teams, die sehr bald einen klischeehaften, überzeichneten Charakter annehmen, mitunter pubertär und albern wirken. Die kontroverse Schärfe der ersten Folge ("Amerika ist nicht das großartigste Land der Welt"), die sich so erfrischend von patriotischen US-Serien wie z.B. "Falling Skies" abhebt, verliert ihre Brisanz indem die privaten Konflikte der Protagonisten immer mehr in den Vordergrund rücken. So verkommt eine ambitionierte Dramaserie Folge um Folge zum ermüdenden Mainstream-Klamauk. Die Ironie daran ist, dass in der Serie ja genau dies angeprangert wird, - nämlich, dass nötige Ernsthaftigkeit (die durchaus unterhaltend sein kann!) dem quotenbringenden Boulevard geopfert wird. Für eine HBO-Produktion finde ich diesen gezollten Tribut ungewöhnlich und enttäuschend.

    Meiner Meinung besitzt die Serie viel Potential (das sie aber in der ersten Staffel nicht ausschöpft), gerade wenn sie rückblickend Nachrichten-relevante Ereignisse wie "Deepwater Horizon" oder die Tötung von Osama bin Laden thematisiert, erkennt man ihre Stärke und Originalität. Überzeichneter Herzschmerz unter Kollegen und Afterwork-Geschwätz haben wir hingegen in unzähligen Comedy-Shows und Spielfilmen zu Genüge gesehen.

    Dass diese Mischung aus Politik, investigativen Journalismus und problematischen Liebesbeziehungen auch anspruchsvoll und spannend gelingen kann, beweist hingegen eine Genre-ähnliche Serie aus Dänemark: "Gefährliche Seilschaften (Borgen)", auf deren dritte Staffel ich mich persönlich schon sehr freue.
    Six Feet Under Staffel 1 Six Feet Under Staffel 1 (DVD)
    16.10.2016

    Six Stars Above

    Im Mittelpunkt dieser Ausnahme-Serie steht die Familie Fisher und ihr Bestattungsinstitut.
    Nun sollte man sich aber nicht von diesem morbiden Motiv abschrecken lassen, es dient nämlich nur als Vehikel für eine phantastische TV-Serie mit hohem Anspruch, Humor und unkonventionellen Stilmitteln.
    Ähnlich wie beispielsweise "Ausgerechnet Alaska" spielt auch "Six Feet Under" unterhaltsam mit Traumsequenzen, Psychologie, Agnostizismus, Kunst und der Frage nach dem Sinn des Lebens. Und dies, ohne problematische Themen auszuklammern.

    Die Serie ist einfach wunderbar erzählt, läßt sich Zeit.
    Die Charakter sind glaubwürdig und exzellent besetzt. Die Qualität der Handlungsstränge halten über sämtliche Staffeln ihr hohes Niveau und die Geschichten strotzen nur so vor Einfallsreichtum.

    Bis in die kleinste Nebenrolle sind die Figuren liebevoll und äußerst vielschichtig gezeichnet, deren Komplexität sich mit jeder Episode weiterentwickelt. Es gibt keinen Protagonisten ohne Fehl und Tadel. Durch seine philanthropische Art gewinnt der "Einbalsamierer" Federico beispielsweise auf Anhieb Sympathie, wird aber erst durch seine Selbstgerechtigkeit und Homophobie richtig authentisch. Überaus unterhaltend fand ich übrigens auch den Sonderling Arthur Martin und seine bizarre Beziehung zu Ruth Fisher.

    Bei vielen Serie nimmt man den Leuten die Trauer oder Betroffenheit häufig ja nicht wirklich ab, aber "Six Feet Under" traf recht oft meinen Nerv. Ich denke hier zum Beispiel an die Episode, als Rico die Trauerfeier eines Säuglings begleiten musste, - und die Art und Weise wie (bzw. bis) Nate Fisher vor einer Operation im Schoss seiner Mutter (Ruth) zusammenbricht, ist ganz große Schauspielkunst und unheimlich emotional. Nach so mancher Folge grübelt man noch einen Augenblick darüber, was die Serie gerade mit einem gemacht hat.

    Aber "Six Feet Under" begeistert (auch) durch seinen schwarzen Humor und den vielen unterschwelligen Bonmots. Wenn nämlich ein Sanitäter ein Sack Leichenteile in den Fisher-Transporter verklappt, die Tür zugeknallt und dann mit der flachen Hand noch drei Mal zum Abschied aufs Dach donnert, entbehrt das nicht einer gewissen Komik. Gelungen fand ich auch den (Unglücks-)Bus, der wie eine Art makaberer Running-Gag immer wieder in der Serie kurz auftaucht und mulmige Gefühle auslöst.

    Bei aller Wehmut: der einen oder anderen Serie (z.B. "Deadwood" oder "Carnivale") hätte ich noch eine Fortsetzung gewünscht, - bei "Six Feet Under" bin ich jedoch der Meinung, dass man den perfekten Zeitpunkt (mit einem brillanten Finale) zum Ausstieg gefunden hat.

    Die Serie wurde von Oscar-Preisträger Alan Ball, dem Drehbuchautor von "American Beauty", produziert und teilweise auch geschrieben. Sie wurde mit etlichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem erhielt die Serie sieben Emmys und drei Golden Globes sowie eine Vielzahl von Nominierungen.

    Wenn "Ausgerechnet Alaska" die Serie für Menschen um die 30 ist (oder war), dann ist "Six Feet Under" die Fortsetzung für die nächsten Lebensdekade! Eine phantastische Serie.
    Kokowääh (Blu-ray) Kokowääh (Blu-ray) (BR)
    16.10.2016
    Bild:
    4 von 5
    Ton:
    1 von 5

    Cadavre au Vin

    Mein Name ist Dr. Albert Rosenfield, ich bin Pathologe an der Filmakademie Berlin und habe den traurigen Auftrag, diesen bedauerlichen Kadaver von einem Zweiteiler hier zu sezieren...

    Auf geht’s, - schauen wir uns „Kokowääh“ doch mal etwas genauer an!
    Äußerlich haben wir hier eine Beziehungsklamotte aus dem Setzbaukasten. Todesursache war mutmaßlich ein unerträgliches Maß an Einfältigkeit und Berechenbarkeit. Zudem besteht der Verdacht auf missbräuchlichem Einsatz von Botulinumtoxin (Botox). Am ganzen Körper lassen sich Narben und Auswirkungen von ästhetischer Chirurgie im großen Umfang entdecken, die nur semiprofessionell durchgeführt wurde und ebenfalls das Ableben herbeigeführt haben könnte.

    Nach Eröffnung des Schädels, fällt schon makroskopisch das völlig degenerierte, winzige Hirn auf, das bei einem ausgewachsenen 2-Stunden-Film mindestens die zehnfache Größe hätte haben müssen. Einzig der visuelle Cortex scheint ungewöhnlich entwickelt, die Komödie besticht mit einer Hochglanzoptik, die allerdings sehr bald im Zusammenspiel mit anderen Anomalien einen eher aufdringlichen Charakter annimmt. Der auditorische Cortex beispielsweise besteht aus wahllos und oft geradezu deplaziert wirkender Top-Plazierungen der (zur Zeit der Entstehung des Films) aktuellen Single-Charts. Histologisch betrachtet, erkennt man in diesen Songs eine maligne Manipulation, da sie sich oft in mehrminütiger Symbiose mit an Pop-Videos erinnernden Bildern verklumpten.

    Ich führe nun den Y-Schnitt durch. Aus den Schnittstellen quillt sofort eine ekelerregende Menge an Product-Placement hervor. Diese mitnichten dezente Werbeintegration beeindruckt dadurch, dass sie durch sämtliche Industriezweige kontaminiert und das Austreten erst durch massiven Einsatz von Absaugvorrichtungen einzudämmen ist. Ich löse die Verwachsungen an den Lungen, die durch den in Familienfilmen ungewöhnlich häufig dargestellten Nikotinabusus entsprechend auffällig verändert sind. Der übermäßige Einsatz von Tabakwaren in „Kokowääh“ dürfte wiederum eine direkte Folge der bereits beschriebenen hochinfektiösen Produktplazierung sein.
    Da wir ja ein Exemplar der „romantischen Komödie“ obduzieren, erwartete ich eigentlich ein gesundes, durchtrainiertes Herz vorzufinden. Tatsächlich besitzt „Kokowääh“ aber nur einen seelenlosen, steinharten Muskelknoten aus Plattitüden, Schlüpfrigkeiten und minderdurchbluteten Partnerwechsel-Krampfadern, die dem relativ jungen Alter der Leiche nicht entsprechen und die man bereits bei unzähligen Spielfilm-Autopsien sehen musste.

    Wenn ich mich der Schambeinregion nähere, fällt mir eine äußerst widerliche Missbildung auf. An mehreren Stellen wird eine Acht- bzw. Zehnjährige zur Schau gestellt, die frivol gekleidet, angemalt und gestylt wurde. Laut Anamnese befand sich „Kokowääh“ diesbezüglich offensichtlich bereits seit 2011 in hausärztlicher Behandlung, fatalerweise wurde dieser Abnormität jedoch eine harmlose „Niedlichkeit“ attestiert und eine Bachblütentherapie initiiert. Doch die Symptome nahmen zu und breiteten sich altklug, vorlaut, nuschelnd und hopsend aus. Tragisch ist dabei nicht unbedingt, dass der Hausarzt nicht die chirurgische Entfernung der relativ leicht zu diagnostizierenden Talentfreiheit (im medizinischen Fachjargon auch "Morbus Schweiger" genannt) erwog, sondern die Darstellung einer Grundschülerin in derart kokettierender Ausrichtung übersah, die mir selbst bei einem fünf oder sechs Jahre älteren Mädchen unangemessen erscheint. Durch diesem missbräuchlichen Einsatz von vorpubertären Reizen mit latent sexuellem Beigeschmack konnten sich karzinogene Sequenzen im ganzen Organismus ausbreiten und haben (in Form von plumpen Musikvideos) erhebliche Areale des Films befallen. Szenen, in denen dem Mädchen der Träger eines behelfsmäßigen Nachtgewands beim Zähneputzen von der Schulter rutscht, ein blonder Junge sich eine Schildkröte in den Schlüpfer steckt und eindeutig zweideutig daherredet, die kleine "Lolita" räkelnd und hüftschwingend (wie ein Bond-Girl) an Bord eines Bootes gegen den Sonnenuntergang gefilmt wurde oder Zehnjährige eine Traumhochzeit (inklusive gefühlsbetonten Vermählungskuss) nachspielen, lassen sicher so manches Pädophilenherz höher schlagen. Auch dürfte dieses unnatürliche, aufgesetzte Verhalten der Jungdarsteller auf gleichaltrige Zuschauer assimilierenden Einfluß besitzen.

    Nur an den kleineren, verzichtbaren Organen wie Milz und Thymus fanden sich keine gravierenden Deformationen oder Entartungen. Sehr vereinzelte Slapstick-Einlagen, die ich unter erschwerten Bedingungen mit Skalpell und Elektronenmikroskop freilegen konnte, luden zum kurzzeitigen Schmunzeln ein und dennoch kann auch die gewisse Selbstironie, die „Kokowääh“ in einigen Zellstrukturen aufweist (alles, was jedoch über Matthias Schweighöfer gesagt wird, trifft meiner Meinung auch tatsächlich zu!), nicht über den bedauerlichen Zustand des sezierten Kadavers hinwegtäuschen.

    Abschließend noch ein kurioser Befund, den ich bei der Analyse des körpereigenen Immunsystems entdeckte. Um den fortgeschrittenen "Morbus Schweiger" zu kaschieren, hat der Organismus nämlich massenweise Membranproteine gebildet, die an den Makrophagen andocken und somit verhindern, dass wirksam JG-Mehrzeller zerstört werden konnten. JGM (Jasmin-Gerat-Metabionta) sind schlichte Ubiquistinnen der unterentwickelten Klasse VI, die ein intaktes Abwehrsystem leicht identifiziert und ausschaltet. Diese abnormen Membranproteine sorgten jedoch dafür, dass „Kokowääh“ von minderbegabten Mehrzellern geradezu überschwämmt wurde, was wiederum die schauspielerischen Defizite angestammter Protagonisten relativierte. Durch diesen pathophysiologischen Trick wirkt der "Morbus Schweiger" auf dem ersten Blick nicht so erschreckend. Im Klartext bedeutet dies, dass sich Schweiger'sche Zellen gerne mit noch schwächeren Kapazität umgeben, um die eigene Unzulänglichkeit zu verbergen.

    Unfassbar!!! Soeben erreicht mich eine skandalöse Verfügung vom Amtsgericht Potsdam. Obwohl nach meinen Berechnungen die Leichenstarre schon vor Kinostart des zweiten Teils eingesetzt haben musste und entgegen dem mutmaßlichem Willen des verschiedenen Patienten, erwirkten die engsten Angehörigen die sofortige Reanimation und künstliche Beatmung des Leichnams zwecks Fortsetzung der Filmreihe im nächsten Jahr. Diese gottlose Entscheidung verstößt meines Erachtens gegen jede ethische Konvention und dient ausschließlich der kommerziellen Ausbeutung und Gewinnmaximierung. Der - durch die bereits entnommenen Organe entstandene - Hohlraum des Untoten, soll nun durch noch mehr Product-Placement und den bewährten Füllsel (überzeichnetes Beziehnugskonstrukt nach Schema F, glotzäugige Model-(Möchtegern-)Schauspielerinnen, Mainstream-Pop-Balladen, gefühlsduselige Postkarten-Bilder, IKEA-Katalog-Wohnung, frühreifes Kindergefasel) ausgestopft werden...

    Herrje, hoffentlich landet anschließend dieses gruselige Frankenstein-Ding nicht wieder auf meinem Tisch!!!
    The Paperboy The Paperboy (DVD)
    16.10.2016

    Tolles Buch, verunglückte Verfilmung

    Wie so oft, enttäuscht auch diese Literaturverfilmung auf weiter Strecke. Wer den hervorragenden Roman von Pete Dexter gelesen hat, wird mir da sicher zustimmen. Weder konnte die wesentlich düstere Atmosphäre der Buchvorlage eingefangen werden noch transportiert die Spielfilm-Adaption die abstoßende Unmenschlichkeit der Van Wetters oder die unsägliche Leidensfähigkeit von Ward Jansen/James. Und offensichtlich war dies von den Drehbuchschreibern auch gar nicht beabsichtigt. Während nämlich Nebensächlichkeiten übernommen wurden, veränderte man die entscheidenden Details (Vater-Sohn-Beziehung, Rassenproblematik, Wards Leidensgeschichte, Achemans Karriere (und Hautfarbe) und so einiges mehr) und ich frage mich warum, denn ein Happyend ist weder im Buch noch im Film zu erwarten. Warum die Geschichte plötzlich aus der Sicht der schwarzen Haushälterin der Familie erzählt wird, die im Buch nur eine (im doppelten Wortsinn) weit untergeordnetere Rolle spielt, bleibt mir ein Rätsel, - der dadurch hin und wieder aufheiternde Aspekt wirkte auf mich jedenfalls unpassend. Der Vater bleibt blaß, seine prägende Leidenschaft zum handwerklich einwandfreien Journalismus, die eigentliche Triebfeder des Romans, wird kaum angedeutet.

    Natürlich ist Pete Dexters brillante Sprache kaum visuell und atmosphärisch umzusetzen und es liegt wohl in der Natur der Dinge, dass es Literaturverfilmungen stets schwer haben. Doch willkürlich und ohne Not eine großartige Geschichte zu verschlimmbessern, sollte eigentlich unter Strafe stehen. Ich vermute zudem, dass Leute, die den Film sehen, ohne vorher das Buch gelesen zu haben, Schwierigkeiten bekommen, in die Geschichte einzutauchen, da die Szenen oft arg zusammengeschnitten wirken.
    Gefallen hat mir an der Verfilmung neben der soliden Schauspielerleistung der meisten Protagonisten, dass die Van Wetters nicht so aggressiv abweisend gegenüber den helfenden Reportern dargestellt wurden. Im Roman fand ich persönlich die Ablehnung und verweigerte Kooperation gelegentlich zu heftig, so dass ich als Leser kaum verstanden habe, warum die Journalisten nicht einfach die Recherche einstellten.
    Dexter Season 6 Dexter Season 6 (DVD)
    16.10.2016

    Des Stumpfsinns fader Bruder

    "Heilige Frankenstein-Scheiße!" (Debra Morgan)
    Bisher hatte ich mich wirklich auf jede neue Dexter-Staffel richtig gefreut, doch bereits während der fünften Staffel hatte ich das Gefühl, dass so langsam das Potential aus der Serie gelutscht ist. War die vierte Staffel mit dem "Trinity-Killer" für mich noch der Serien-Highlight, so empfinde ich die sechste Staffel als die bisher schwächste und als eine ganz und gar verunglückte Fortsetzung. Was man auch immer von "Dexter" hält, die bisherigen Staffeln waren stets qualitativ hochwertig und aufwendig produziert. Mit dieser Staffel gleitet die Serie jedoch endgültig auf bitteres, knallbuntes Soup-Niveau ab. Die Geschichte um den "Doomsday-Killer" enttäuscht sowohl inhaltlich als auch handwerklich. Viele Figuren (die m.E. schon zuvor arg überzeichnet waren) wurden unglaubwürdig weiterentwickelt. Schlampig und plump versucht man in den ersten neun Episoden die Zuschauer aufs Glatteis zu führen.

    Um meinen Eindruck einigermaßen plausibel zu erklären, komme ich wohl nicht drumherum, Handlungselemente der Staffel zumindest anzudeuten und spreche also hiermit eine Spoilerwarnung aus!

    Zwei wesentliche Dinge haben mir den Spaß an den Folgen gehörig verhagelt: die Art und Weise der Zuschauermanipulation und... Dexter. Nie zuvor ging mir sein Verhalten so sehr auf die Nerven wie in dieser Staffel. Zwar war sein Charakter schon immer recht inkonsequent ausgearbeitet resp. wurde dieser dem Plot der jeweiligen Staffel entsprechend "modifiziert", doch was die Drehbuchautoren in der sechsten Staffel mit der Figur veranstalteten, läßt Fingerspitzengefühl und ein gerüttetes Maß an Realitätsbewußtsein vermissen. Ständig verabschiedet er sich tage- und stundenlang von der Arbeit, um "private Dinge zu erledigen", sein Handeln ist häufig absolut unlogisch und Kohle verdient ein Forensiker in Miami offensichtlich auch in Unmengen, denn Dexter pflegt einen verschwenderischen Lebensstil. Krampfhaft versucht man ihn als sorgenden Vater zu präsentieren, obwohl sich rund um die Uhr das Kindermädchen (die auch immer verfügbar ist) um den Sohn kümmern muss. Vor allem "Die Reise nach Nebraska" (erste Folge der dritten DVD dieser Box) ist eine einzige Zumutung für jeden, der mit dem bisherigen Dexter sympathisierte. Diese ganze Folge wirkt wie ein deplaziertes, überflüssiges Füllsel, um die Staffel auf zwölf Episoden zu strecken.

    Zudem ist der rote Faden der Staffel ("Doomsday Killer") wirklich ganz furchtbar gestrickt. Entgegen einiger Rezensenten, bin ich jedoch der Meinung, dass nicht unbedingt die "Kühltruhe" der Knackpunkt ist, sondern die Tatsache, wie der "Inhalt der Kühltruhe" aktiv in die Geschichte eingreift oder vielmehr eingegriffen hat. Grundsätzlich finde ich die Idee des imaginären Mittäters vollkommen okay, - und wie man Zuschauer elegant auf den Holzweg schickt, haben Filme wie "Sixth Sense" oder "Angel Heart" glänzend vorgemacht. Eine ähnlich geschickte Manipulation hätte ich auch von dieser Dexter-Staffel erwartet, doch die Drehbuchschreiber haben sich dem schwachen Niveau der letzten beiden Romane des Dexter-Erfinders Jeff Lindsay angepaßt und eine Geschichte konstruiert, die auf langer Strecke richtig bescheuert wirkt. Um diese einigermaßen glaubwürdig zu erzählen, hätte (der imaginäre) Professor nämlich niemals Dinge (für den Zuschauer sichtbar) bewegen dürfen. Ich fand es auch überflüssig und übertrieben, dass Dexter Travis angekettet in der Kirche auffindet. Dass Prof. Gellar nicht (beratend oder anweisend) wie Dexters Vater in Erscheinung tritt, war jedoch eine durchaus bewußte Entscheidung der Drehbuchautoren, um so den Überraschungseffekt noch zu steigern. Bei mir hat sich diese Strategie allerdings ins Gegenteil verkehrt.

    Mich langweilen diese Psychothriller (Buch, Spielfilm, Serien), in denen Morde wie Kunstwerke inszeniert werden, eh inzwischen ganz ungemein. An jedem "Doomsday-Tableau" haben sicherlich stundenlang ein Dutzend Requisiteure mit großem Aufwand und schwerem Gerät gebastelt, uns (Zuschauern) wird der blutige Quatsch dann verkauft, als könne ein einzelnes, labiles Männlein diesen Schauplatz heimlich und in kurzer Zeit so aufwendig präparieren.

    Ich muss gestehen, das ich den Kauf dieser DVDs bereue und sehe den letzten beiden Staffeln dieser Serie skeptisch entgegen.
    Schau in den Lauf Hase Die Höchste Eisenbahn
    Schau in den Lauf Hase (CD)
    16.10.2016
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    In vollen Zügen genießen!

    Musik ist natürlich immer Geschmackssache. Ich persönlich bin jedenfalls mit der modernen Popmusik - gelinde gesagt – überfordert. Oder um es anders auszudrücken: wenn meinen Eltern die Musik, die ich vor fünfundzwanzig Jahren hörte, ähnlich auf die Nerven ging, wie mir heute Lady Gaga, Bruno Mars oder Black Eyed Peas, dann habe ich nachträglich großes Mitleid und Respekt für deren Toleranz...

    Schon die "Unzufrieden"-EP machte neugierig und große Lust auf den Longplayer. "Die höchste Eisenbahn" hat sich allerdings ein bißchen (kreative) Zeit gelassen und traf verspätet ein, - aber das Warten hat sich wirklich gelohnt. Selten hat mich in den letzten Jahren eine Platte so mitgerissen und begeistert. Dass die Musiker ihr Handwerk verstehen, beweisen sie mit jedem Lied aufs Neue. Songwriting und Lyrik sind vom Allerfeinsten. Die Tracks sind liebevoll arrangiert, die Texte oft wunderbar doppelbödig und clever. Es ist kein ICE, der da durch die Boxen braust, - mal fährt der Zug balladesk vom Kleinstadtbahnsteig ab und nimmt dann elegant Fahrt auf, um uns "Raus aufs Land" zu bringen, mal hört man anfangs die Gleise unter sich klackern, bis der Refrain überschnappt und man den Takt verliert. Jede Reise mit der "höchsten Eisenbahn" ist ein Erlebnis.

    Die "Süddeutsche" zieht den Vergleich zu Nils Koppruch, den auch ich sehr vermisse und doch unterscheidet sich "Schau in den Lauf Hase" vom viel zu früh verstorbenen "Vogelmann", dessen verrätselte Poesie sein künstlerisches Markenzeichen war. "Die höchste Eisenbahn" formuliert zwar ähnlich brillant und amüsant, aber in der Regel ohne fehlende Puzzleteile. Die CD ist poppiger, als Koppruch es je war, aber zeitlos schön. Der Trend zur elektronischen (Stimmen-)Verzehrung wird konsequent verweigert. Abwechslungsreichtum, immer wieder überraschende musikalische Kapriolen, ehrliche Handarbeit und das smarte, augenzwinkernde Wissen, was man da tut, machen dieses Album zu meiner persönlichen Lieblings-CD des Jahres. Ich denke, es ist nicht zu früh, das zu behaupten.
    Ender's Game Gavin Hood
    Ender's Game (DVD)
    16.10.2016

    Gnade

    Geht's Harrison Ford und Ben Kingsley wirklich so mies, dass sie sich jetzt schon für so einen billigen SciFi-Käse verpflichten?!

    Dieser Film hat offensichtlich viele Freunde, die ihre euphorischen Rezensionen und beleidigten Kommentare mit dem Hinweis auf Tiefgang und Charakterzeichnung begründen. Ich stehe persönlich total auf Tiefgang und Charakterzeichnung, aber (die Verfilmung von) "Ender's Game" ist diesbezüglich eine herbe Enttäuschung. Die angeblich komplexe Handlung begnügt sich in der (nicht sonderlich cleveren) pseudopsychologischen Manipulation eines eher durchschnittlichen Jungen. Indirekt will der Film natürlich auch den Zuschauer auf den Holzweg schicken, was ihm jedoch nur holprig gelingt. Die Figuren bleiben blass und über den dramaturgischen Plot sollte man besser keine Sekunde nachdenken. Zudem ist der moralische Showdown vollkommen unglaubwürdig. Möglicherweise bieten die Romanvorlage den Protagonisten mehr Zeit sich zu entwickeln, in der Verfilmung wird die irrsinnige "Ausbildung" eines pubertierenden Kadetten zum Oberbefehlshaber (!) hingegen in einem unbekömmlichen Tempo vorangetrieben. Auch die technische Umsetzung fand ich bei den heutigen Möglichkeiten eher bescheiden. Bei meinem Kinobesuch hatte ich den Eindruck, eine Art "Full Metal Jacket" in einer zeitgemäßen, weichgespülten Kinderversion zu sehen. Erwachsene sollten diesen Film lieber meiden!

    Abschließend noch ein Wort an all die Schlauberger, die jede negative Rezension persönlich nehmen und den Urhebern die intellektuelle Fähigkeit absprechen, einen Film wie "Ender's Game" begreifen zu können, denn bei diesem mißglückten Streifen handelt es sich mitnichten um ein vielschichtiges Meisterwerk, dessen Botschaft großartig kodiert ist. "Ender's Game" ist vielmehr leichte Kost mit überschaubarem Anspruch. Ich denke, dass jede Astrid-Lindgren-Figur wesentlich mehr Tiefgang (Seele) und Charakterzeichnung (Profil) besitzt
    Der Ruf des Kuckucks Robert Galbraith
    Der Ruf des Kuckucks (Buch)
    16.10.2016

    Brillanter Roman

    Es ist ja kein Geheimnis, dass sich hinter dem Pseudonym "Robert Galbraith" niemand anderes als die Erfolgsautorin J.K. Rowling verbirgt, - und obwohl ich kein einziges Harry-Potter-Abenteuer gelesen haben, erwies sich "Ein plötzlicher Todesfall" für mich tatsächlich als ein äußerst erfreulicher Glücksfall, denn sowohl die raffinierte Geschichte als auch die kluge, humorvolle Erzählstruktur der Autorin haben mich gleichermaßen überrascht als auch begeistert. Und auch "Der Ruf des Kuckucks" ist ein phantastisches Buch. Ich empfinde großen Respekt vor der Autorin, die sich in keine Schublade stecken läßt und mit dieser komplexen Kriminalgeschichte ihre außerordentliche Vielseitigkeit beweist. Nicht nur, dass der Roman auf lässige Art und Weise das Privatdetektiv-Genre parodieren, das Buch bietet zudem einen nonchalanten Blick in die Glamour-Welt der Schönen und Reichen und es drängt sich hin und wieder der Eindruck auf, ob Rowling nicht vielleicht auch unterschwellig mit dem Boulevardjournalismus abrechnen wollte. Wie schon in "Ein plötzlicher Todesfall" beeindruckt mich, wie liebevoll und facettenreich sie ihre Protagonisten ausarbeitet, wie glaubwürdig sie diese reden, fühlen oder handeln läßt. Kaum ein Dialog wirkt gestelzt, nichts erinnert an die konstruierten Wendungen eines Simon Beckett. Diese Leistung ist gar nicht laut genug hervorzuheben, da sich Rowlings beziehungsreiche Romane stets in allen Gesellschaftsschichten bewegen und ihr offensichtlich kein Milieu fremd ist. Immer trifft sie den richtigen Ton und verstreut wohl dosiert britischen Witz und Scharfsinn. Im Gegensatz zu etlichen aktuellen Bestsellern wird der Leser von "Der Ruf des Kuckucks" nicht durch humorlosen, schlichten Satzbau gequält, sondern von J.K. Rowlings reifen Sprache großartig unterhalten. Und das ist auch die Stärke des Buchs: nicht eine atemlose, irrsinnige Dan-Brown-Schnitzeljagd durch London, sondern eine clever zusammengepuzzelte Geschichte, die brillant formuliert ist und deren zahlreiche Handlungsstränge sich am Ende zu einem wirklich gelungenen Finale verknüpfen.

    Abschließend noch ein riesengroßes Lob für die Hörbuchfassung, die von einem der besten deutschen Synchronschauspieler gesprochen wurde. Was Dietmar Wunder mit dem Roman macht, ist ganz große Kunst. Er liest die Geschichte so lebendig und abwechslungsreich, dass man schon nach wenigen Kapiteln tief in den Fall eingetaucht ist und sich mit den Helden richtig anfreundet hat. Es ist einfach klasse, wie WUNDERbar der Sprecher den vielen Romanfiguren jeweils eine eigene, markante Stimme verleiht. Wer sich übrigens noch gerne an die TV-Serie "Ausgerechnet Alaska" erinnert, kann sich auf ein Wiederhören mit Doktor Fleischman freuen, dessen unverwechselbarer, manchmal überschnappender Charakter sich (in der Person des John Bristow) auch ins Hörbuch geschlichen hat.
    House of Cards (1990) (Komplette Mini-Serien Trilogie) (Blu-ray) House of Cards (1990) (Komplette Mini-Serien Trilogie) (Blu-ray) (BR)
    16.10.2016

    Ich mag das so sehen, Sie dürfen es kommentieren!

    Ich war sehr gespannt auf die hochgelobte BBC-Vorlage, die nach dem erfolgreichen US-Remake von "House of Cards" unlängst auf DVD/BluRay erschienen ist. Ich schätze viele europäische (v.a. britische und skandinavische) Serien- und Spielfilm-Produktionen und wundere mich oft über die völlig überflüssigen und mitunter minderwertigen Neuauflagen für das xenophobe amerikanische Publikum. Doch nachdem ich nun die ersten beiden Teile ("Ein Kartenhaus" und "Um Kopf und Krone" mit jeweils 4 Episoden) der britischen Trilogie gesehen habe, muss ich eine gewisse Ernüchterung bei mir feststellen. Als vor Jahren nämlich das Remake angekündigt wurde, lobte man das Original als Meisterwerk. Seinerzeit gewann die Serie ja auch etliche renommierte Preise, - allerdings sieht man der Produktion ein Vierteljahrhundert später ihr Alter doch an. Technisch wurde das Material zwar für die BluRay ordentlich aufgearbeitet, aber die Serie wirkt insgesamt trotzdem recht angestaubt. Natürlich ist es durchaus interessant und unterhaltsam, dem Marionettenspieler Francis Urquhart bei seinen hinterhältigen Intrigen zu beobachten, richtig mitreißend war das für mich jedoch nicht. Was möglicherweise 1990 noch progressiv an der BBC-Serie war, macht heute leider nur noch einen ziemlich harmlosen Eindruck. Mal abgesehen vom überholten Styling (Garderobe, Make-up, Frisuren) des Ensembles, den man einer 90er-Jahre-Produktion schwerlich vorwerfen kann, ist auch der ganze Drehstil auffällig antiquiert. Von linearer Erzählstruktur bis zur Kameraführung wurde hier handwerklich simpel gearbeitet. Auch das, was womöglich viele Zuschauer amüsant finden, nämlich Urquharts direkte, süffisante Ansprache ans Publikum, verleiht der Serie in meinen Augen einen schwächenden Comedy-Charakter. Und wenn regelmäßig Ratten durchs Bild huschen, wirkte diese Allegorie auf mich eher plump und unbeholfen. Nun mag es unfair sein, "Ein Kartenhaus" mit den aktuellen Topserien dieses Genre zu vergleichen, denn mit Michael Dobbs schrieb ein echter Polit-Insider am Drehbuch mit und ich kann mir gut vorstellen, dass der Plot nicht ausschließlich auf Fiktion beruht. Aber auch wenn die Serie inhaltlich wegweisend für andere Spielfilme und Serien war, fehlt ihr die dramaturgische Reibung, die ihr auch mehr Spannung verliehen hätte. Zynismus ist ja ganz nett, aber wenn Pläne stets aufgehen und niemand ernsthaft auf Augenhöhe opponiert, wenn Störfaktoren mühelos ausgeschaltet werden und die graue Eminenz entkommt, bevor sie buchstäblich mit dem Rücken an der Wand steht, vermisse ich als Liebhaber guter Drama-Serien das Salz in der Suppe.

    Ein zeitgemäßes Remake wäre also durchaus opportun gewesen, doch leider wurden die von mir empfundenen Schwächen des Originals von David Fincher und Kevin Spacey (in der ersten Staffel) übernommen. Sowohl das BBC-Original als auch das US-Remake von "House of Cards" haben als Blick hinter die politischen Kulissen unterhaltsamen Wert, überragend schätze ich sie jedoch nicht ein, weil ich in beiden Fällen das spannende, bedrohlich konkurrierende Element vermisse.
    Homefront Gary Fleder
    Homefront (DVD)
    16.10.2016

    Den "Italian Stallion" reiten, bis er zusammenbricht

    Wofür Til Schweiger in Deutschland steht, dafür steht Sylvester Stallone in Amerika: nämlich für einfach gestricktes Mainstream-Kino nach stets bewährtem Muster. Während Schweiger seine mäßig unterhaltenden Familienkomödien in einer berechenbaren Reihenfolge aus Kinderniedlichkeit, Modelschauspielerinnen, Fäkalwitz und Partnerwechsel baut, schmurgelt Stallone nach altbackener Rezeptur seine Hochglanz-Action-Imitate. Beide verwenden ausgediente Schablonen, durch die sie ihre beschränkten Geschichten pressen.

    Keine Frage, "Homefront" ist aufwendig produziert und mit Jason Statham in der Hauptrolle top besetzt. Doch leider ging mir der Aufbau der Story, die plumpe Zuschauer-Manipulation und die offenkundige Botschaft des Films schon nach kurzer Zeit ganz gehörig auf die Nerven. Stallones verkrampfte Handschrift ist unverkennbar, seine urzeitgemäße Schwarz-Weiß-Malerei macht weder Spaß noch bietet sie dramaturgische Finesse. Statt dessen folgt die Struktur des Films einem strengen Action-Kodex, den man bereits aus ungezählten (Stallone-)Streifen kennt. Gleich am Anfang wird uns unmißverständlich in einer adrenalingeschwängerten Eingangssequenz der tollkühne Heldenmut der Zentralfigur eingebläut , - anschließend reduziert sich die Schlagzahl auf ein romantisches Tempo, um eine emotionale Bindung herzustellen. Wie so oft, muss hierfür ein Kind herhalten, das sich tapfer mit dem Leben eines Halbwaisen arrangiert und vom Vater liebevoll umsorgt wird. Hier patscht der Drehbuchschreiber von einem Fettnäpfchen ins nächste: affektiert die Mimik, schwulstig der Dialog. Wen dieser gefühlsduselige Kitsch wahrhaftig anrührt, muss Amerikaner sein. Während nun die aparte Lehrerin schicklich zarte Bande zur Kleinfamilie knüpft, platzt - o weh - plötzlich das Böse in das gemütliche Leben der Guten und das Böse zieht noch viel Böseres aus der Vergangenheit mit sich, so dass nun die Notwendigkeit des "Stand Your Ground" außer Frage steht. Auf dem blutigen und explosiven Pfad zur Gerechtigkeit bleiben natürlich der unvermeidliche, gutmütige Kumpel und ein liebgewonnenes Kuscheltier auf der Strecke. Was am Ende bleibt, ist die schale Erkenntnis, dass ein Einfaltspinsel wie Sylvester Stallone auch mit der x-ten Wiederverwertung seines reaktionären Weltbilds sein Publikum offensichtlich immer noch bestens unterhalten kann. Nichts überrascht an "Homefront", steif und humorlos erzählt Stallone eine Geschichte aus dem Action-Setzbaukasten.
    Ein Kommentar
    MHess Top 100 Rezensent
    31.05.2017
    Das ist genau das, was der Actionfilm-Fan möchte...
    Ray Donovan Staffel 1 (Blu-ray) Ray Donovan Staffel 1 (Blu-ray) (BR)
    16.10.2016

    Weil du aber lau bist und weder kalt noch warm, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde...

    Das Schlimmste, was ein Showrunner einer Serie antun kann, ist, nicht zu wissen, was sie eigentlich sein soll. "Ray Donovan" ist von der ersten Sekunde ein vollkommen desorientierter Mutant, der vom Drama ins Comedy stolpert und letztendlich im belanglosen Trash strandet. Die Episoden sind überladen mit langweiligen und überdrehten Handlungssträngen, die stets um Humor bemüht sind, ihr Ziel aber in der Regel meilenweit verfehlen. Paradebeispiel für diese mißglückte Heiterkeit ist die Rolle des Mickey Donovan, dessen Charakter dermaßen überzeichnet ist, dass einem vor lauter Fremdscham jede Lust auf eine weitere Folge vergeht. Die Serie wirkt wie ein Popvideo mit Überlänge: hektische Schnitte, Hochglanzoptik, nervöse Kameras. Der Titelheld ist blaß - und das Hamstergesicht Liev Schreiber spielt diesen Unsympathen zudem in einer erschreckend einfältigen Weise. Überhaupt wurde offensichtlich viel Wert darauf gelegt, ausschließlich den primitiven Proll mit Identifikationsfiguren und Inhalten zu bedienen, um ihm reichlich Gelegenheit für sein niederträchtiges "Höhöhöhö!" zu bieten.

    Schon allein die ersten drei Episoden sind vollgepfropft mit den Konflikten drei Dutzend anderen Serien, aus denen die Drehbuch(ab)schreiber eine wirklich unappetitliche Rezeptur kreierten. Man nehme also zwei gestörte Brüder (der eine als Kind mißbraucht, der andere mit Parkinson gestraft), eine zerrüttete Familie, ein paar übergeschnappte Problem-Rapper und einen retardierten Juden, würzt das ganze mit einer Prise Blow-Jobs und Seitensprünge und köchelt den Murks dann auf niedrigem Niveau mit einer Handvoll FBI-Intrigien und einem infantilen Vater, dem kein Tabu-Bruch zu blöd ist. Abgeschmeckt wird mit einem Haufen Gewalt, Drogen, Homophobie und absurden Dialogen. Fertig ist eine ganz und gar ungenießbare Serie, die weder spannend noch witzig, weder interessant noch in irgendeiner Beziehung sehenswert ist. Abgesehen von einer aufwendigen Produktion ist sie auf jeder Ebene (Schauspielerleistung, Erzählstruktur, Machart, Plot und Subtext) minderwertig. Bon appétit!
    Das rote Haus Das rote Haus (Buch)
    16.10.2016

    Superschlechte Tage (oder die sonderbare Lektüre eines einschläfernden Buches)

    Tagelang habe ich mich durch die Seiten dieses Romans gequält, anfangs habe ich mir noch Mut gemacht, dass ich mich irgendwann in den unkonventionellen Stil hineinfinden werde oder der Roman doch noch in einen gewohnten Fluss übergeht, doch das Buch lasen sich auch nach zweihundert Seiten zäh. Zwei Familien machen Ferien in einer ländlich geprägten Grafschaft und es passiert... - nichts. Zumindest nichts, was das Füllen von über 330 Seiten rechtfertigt. Wie der unangenehme Onkel unterm Weihnachtsbaum holt Mark Haddon aus und erzählt unerbittlich von familiären Disharmonien und pubertären Wirrungen, die auch als Kurzgeschichte nur bedingt taugten. Dabei schweift der Autor nicht selten ins Rätselhafte und Surreale ab. Aber es ist nicht der Plot an sich, der die Lektüre des Romans so anstrengend macht, sondern die Art und Weise, wie Mark Haddon sein Drama strukturiert. Absatz für Absatz wechselt der Autor die Perspektive, ständig muss man als Leser spekulieren, wer denn jetzt überhaupt spricht, denkt oder handelt und ob die Person dies auch tatsächlich macht oder sie es sich nur vorstellt. Auch behindern die scheinbar willkürlich kursiv gesetzten Textpassagen den Lesefluß und das Verständnis. Und wenn man glaubt, endlich das Problem eines Protagonisten erfasst zu haben und sich ein wenig mit dessen Situation vertraut gemacht hat, das Interesse also geweckt wurde, zerschneidet der Autor diesen fragilen Faden wieder und wendet sich einer anderen Figur zu. Dieses destruktive Prinzip und Haddons mißglückte Erzählkunst unterdrücken jegliche Bindung oder Sympathie zu all den beschädigten, traurigen Menschen. Die Konflikte sind banal, die Dialoge gestelzt. Zerfahren und sprunghaft vergehen die Tage im roten Haus: die Urlauber kehren von Einkäufen und ereignisarmen Ausflügen heim und der Leser wird manchmal seitenlang mit unmotiviert eingeworfenen Gedanken, Zitaten und Allegorien konfrontiert, die deplaziert wirken und ohne erkennbaren Zusammenhang in die Geschichte eingewebt zu seien scheinen.

    Hier ein Beispiel: Direkt nachdem sind Louisa aus kleinkarierten, nicht unbedingt nachvollziehbaren, Gründen über ihren Mann ärgerte, folgt diese ausufernde Konfusion ohne Bezug auf Disput und das verwickelte Ehepaar:
    "Marja, Helmand. Der Heckenschütze liegt weit genug vom Fenster entfernt, dass sein Objektiv die Sonne nicht reflektiert. Knall und Rückstoß. Ein Marine bricht unter seinem frischem Knopfloch zusammen. Morgenlicht über den Wildpferden der Khentil-Berge. Huddersfield. Braune Zuckerbläßchen auf einem vergilbten Löffel. Schildkröten ertrinken in Öl. Das Surren von Binärzahlen, eine Trillion Einsen und Nullen. Anleihen und Zukünfte werden weggespült. Reckitt Benckiser, Smith & Nephew. Gräden und Magmakammern. Eyjafjallajökll raucht wie ein Hexenkessel. Müdigkeit mischt die Ereignisse des Tages wie ein Kartenspiel. Kelche und Münzen. Der Magier. Der Verräter. Pfeilspitzen und Reilröcke zerschmettert und verstreut in Geisterstädten. Der Klimawandel. Cadmium, Arsen, Benzol, Baby, please. Eine Ranch steht in der Prärie in Flammen, Brando und Hepburn tigern durch ihre Silberkäfige, wieder und wieder. Ein jeder Geist im Zentrum von Raum und Zeit. Der funkelnde kleine Stern des Jetzt. Spatzen fliegen durch den Bankettsaal, wo man in den Wintermonaten sitzt, um mit seinem Lehnsherren und Beratern zu speisen. Die Hand des Stiefvaters über dem Mund des Kindes. Mein irisch Kind, wo weilst du? Ein Blauwal taucht durch die abgründtiefe Kälte. Viperfisch, Fangzähne, Pilikanaal. Eine Burlington Northern verläßt den Bahnhof von Fort Benton mit Waggons voller Korn. Wolkenblitze über Budapest, Gezeitenwechsel der Themse. Mit Arklow Surf zum White Mountain, mit der Cymbeline nach Ford's Jetty." Und so geht das noch eine halbe Seite weiter...

    Das alltägliche Drama wird in den besten Romanen thematisiert und Autoren wie beispielsweise Stewart O'Nan oder Jonathan Franzen machen aus diesen Geschichten lesenswerte Literatur, weil sie eine meisterliche Sprache besitzen, die fesseln kann. Auch Mark Haddon hat bereits bewiesen, dass er schreiben kann, doch das Experiment mit "Das rote Haus" ist in meinen Augen auf ganzer Linie gescheitert.
    F Daniel Kehlmann
    F (Buch)
    16.10.2016

    Wenn Qualität über Lautstärke triumphiert...

    Wer versucht, "F" zu rezensieren, begibt sich auf dünnes Eis, denn in Anbetracht von Daniel Kehlmanns Scharfsinn und Sprache, läuft man schnell Gefahr, einzubrechen.

    "F" machte mich von der ersten Sekunde süchtig. Einen derart komplexen Roman in solch einer nonchalanten Diktion zu schreiben, ist in meinen Augen eine Meisterleistung, die ich bisher selten erlebt habe. Kehlmann versteht es, die großen Themen "katholische Kirche", "Finanzwelt" und "Kunstbetrieb" und deren grotesken Metaebenen gekonnt und humorvoll zu verknüpfen. So raffiniert wie der Roman abgebaut ist, verliert er nie an Dynamik und Spannung. Selten schweift Kehlmann in übersinnliche und bizarre Momente ab, ohne jedoch das Gefüge der Geschichte zu beschädigen. Kundig bewegt sich der Autor in den verschiedenen Milieus der Protagonisten und formuliert listig und für jedermann verständlich die Absurdität ihres Versagens. Möglicherweise bedienen die drei Brüder oberflächlich viele Stereotypen ihrer jeweiligen Branche, doch das wirklich Entscheidende jedes Charakters, liegt in ihren individuellen Geheimnissen, die sie um jeden Preis verbergen wollen. Und was "F" zu einem literarischen Hochgenuß werden läßt, ist sein loriot'eske Humor, der in zahlreichen Dialogen und Situationen aufblitzt. Der Roman besitzt unzählige interessante Denkanstöße und Ideen, die Kehlmann scheinbar lässig aus dem Ärmel zu schütteln vermag und die auf so manchen mittelmäßigen Schriftsteller demotivierend wirken dürften. Allein die Abstraktionen über die eineiigen Zwillinge Eric und Iwan bieten oft ein amüsantes Gedankenspiel.

    Ich verzichte ganz bewußt auf konkrete Beispiele und Handlungsabläufe, denn dies würde den Lesespaß deren mindern, die sich glücklich schätzen können, das Buch das erste Mal lesen zu dürfen. "F" zeichnet ein cleveres Spiegelbild einer korrupten, bigotten Gesellschaft. Der Roman stellt immer wieder die Frage nach dem Einfluß von Religion, Determinismus und Metaphysik auf unser Leben und illustriert virtuos, dass sich jede kulturelle Errungenschaft früher oder später pervertiert.

    Die (auch) hier in sternenarmen Kritiken gelegentlich formulierten Vorwürfe, der Roman sei zu konstruiert und hätte über unsere Gegenwart nicht viel mehr zu erzählen, als einer Folge "Lindenstraße", machen auf mich einen mißgünstigen und unlauteren Eindruck. Ein Blick auf die Bestseller-Listen genügt, um schrecklich dumme Romane mit unangenehm schlichten Satzbau zu identifizieren, - "F" gehört mit Sicherheit nicht dazu. Und Rezensenten, die dieses Buch mit weniger als vier Sternen bewerten, sollten sich im Klaren sein, auf welches traurige Niveau sie diesen außergewöhnlichen Roman herabzerren. Man muss "F" ja nicht mögen, die intellektuelle Leistung des Autoren ist jedoch unbestritten und der eines Dan Brown oder Simon Beckett um Lichtjahre überlegen... und entsprechend zu würdigen.

    Zu loben bleibt abschließend noch die hervorragende Hörbuchfassung. Burghart Klaußner trifft den Ton des Romans ganz wunderbar. Obwohl der Wunsch vermutlich ein frommer bleiben wird, hoffe ich einfach, dass niemand auf die irrwitzige Idee kommt und diese Geschichte verfilmen will. (Und wenn's schon sein muss, bitte nicht noch einmal Detlev Buck!)
    Die Vermessung der Welt Detlev Buck
    Die Vermessung der Welt (DVD)
    16.10.2016

    Vermessen

    Puhhh... mit der unvermeidlichen Kinoverwertung von Daniel Kehlmanns Welterfolg hat sich Detlev Buck nun wirklich übernommen und eine weitere mißglückte Literaturverfilmung geschaffen, die die Welt nicht braucht.
    Ich halte Kehlmann für einen der geistreichsten Autoren unseres Breitengrads, der mit "F" eins der großartigsten Bücher geschrieben hat, die ich kenne. "Die Vermessung der Welt" fand ich persönlich zwar nicht ganz so überragend und es ist auch schon ein Weilchen her, dass ich das Buch gelesen habe, aber kaum eine Handlung des Films kam mir in der dargestellten Form bekannt vor, andere Szenen fehlten.
    Am schwersten wiegt jedoch die erschreckende schauspielerische Qualität des Films. Komplexe, hervorragend geschriebene Romane gleichwertig zu verfilmen, ist nahezu ein Ding der Unmöglichkeit, allerdings dürfte man (bei einem Budget von über zehn Millionen Euro) vom kompletten Ensemble ein bißchen mehr erwarten, als mittelmäßiges Freilichtbühneniveau. Nebendarsteller leiern ihre Texte so uninspiriert herunter, als läsen sie Fürbitten in der Jugendmesse vom Blatt und auch Albrecht Schuch und - der generell völlig überschätzte - Florian David Fitz werden von ihren Rollen geradezu erdrückt. Zudem inszenierte der Rubbeldiekatz-Regisseur den Film in einer erbarmungslosen Gute-Laune-Stimmung, die wir leider aus zu vielen anspruchslosen Komödien kennen. Ein wenig mehr Ernsthaftigkeit und überzeugendere Akteure hätten der Verfilmung sicherlich gut getan.
    1 bis 25 von 47 Rezensionen
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