"Die Natur schuf das Pferd für die Freiheit" (Th. Rocholl)
Inhaltliche Zusammenfassung
Als die Gutsherrin Maria Kaltenbach von dem Springreit-Landestrainer den ungestümen Hengst Ostwind kaufen will, wird sie folgenschwer verletzt, weil dieser die Gelegenheit nutzt und ins Freie stürmt. Unterstrichen von der Titelmusik geht es nun fast fliegend über endlose Berg- und Gipfelweiten auf grenzenlose Freiheit zu. Solche Traumvisionen hat jedenfalls die Quartanerin Mika in der U-Bahn, bis sie von ihrer Freundin Fanny geweckt wird. Denn vorerst sind beide noch auf dem Hinweg zu ihrem letzten Schultag vor dem Sommer.
Ihr Klassenlehrer ist ein affiger Typ und so link, dass er, ohne Mika vorgewarnt zu haben, ihr ein Sitzenbleibe-Zeugnis gibt. So darf sie dann auch nicht mit Fanny in das Feriencamp an die Nordsee, was vielleicht Erholung von der Frankfurter Großstadtenge und der demotivierenden Schule versprochen hätte. Ihre Eltern, beide Theoretische Physiker, schicken sie stattdessen zu ihrer Oma aufs Land nach "Hessisch Sibirien", wo sie büffeln soll. Dort kommt sie an einem winzigen Haltepunkt namens Holzhausen an, wo weit und breit niemand ist außer einer Kuh, die auf einem Weidepfosten döst. Dass Kühe hier noch Hörner tragen dürfen, fällt ihr wahrscheinlich kaum auf. Sie sagt der Kuh mürrisch muh und macht für Fanny ein Foto mit dem Titel "Willkommen in der Pampa".
Mäßiges Handynetz empfängt sie erst auf dem Traktor, mit dem sie vom Gestüts-Lehrjungen zum Gut Kaltenbach abgeholt wird. Dort hält ihre befürchtete Langeweile dann aber gar nicht sehr lange an. Denn sie lernt Ostwind kennen, den ihre Großmutter trotz der schlechten Erfahrung wirklich gekauft hatte. Damit befinden sich nun zwei auf dem Hof, die genau gleich ticken: Mika verbringt mit Ostwind immer mehr Zeit. Bald entfacht sie das erste Malheur, wobei er ausbüxt. So droht ihm dann wieder der Verkauf, und zwar an einen berüchtigten Ungarn, von dem man lieber gar nicht wissen will, was er eigentlich mit den Pferden macht. Vor dieser Gefahr will Mika Ostwind unbedingt bewahren, und obwohl anfangs absolut ahnungslos von Pferden, will sie dafür nun sogar reiten lernen, und das mit diesem Wildfang. Mit ihrer analytischen Schläue gelingt es ihr tatsächlich, dafür den alten Springtrainer herumzukriegen, der von Kaltenbach gefeuert wurde und seither gemütlich in einem alten Bauwagen bei den Pferdekoppeln haust. Die heimlichen Reitstunden sind so erfolgreich, dass am Ende alle nur staunen können. Ostwind ist so nun auch vor Verkauf sicher. Ab jetzt sind Mika und Ostwind endgültig unzertrennlich, denn ihnen ist klar, dass keiner von beiden die gewonnene Freiheit ohne den anderen behalten kann. Nur zusammen sind sie frei. Es bewahrheitet sich nun sogar Mikas U-Bahn-Traum, und das geträumte Gipfel-Panorama wird zur Realität. Von ganz hier oben blicken nun Mika und Ostwind gemeinsam ihrem Reitlehrer über die Schulter ins Tal hinunter, so wie einst Caspar David Friedrich seinem Wanderer, und lassen alle Horizonte unter sich liegen, so wie ein federtragender Indianer auf dem Berggrat. Hier oben wird Mika nun auch die Last ihrer einsamen Gewissensentscheidung bewusst, ob man sich schon zutrauen darf, morgen an dem entscheidenden Springturnier teilzunehmen.
Doch aufgrund der Sabotage einer Konkurrentin führt das Turnier in eine Katastrophe, und alles Erkämpfte ist mit einem Mal wieder zunichte. Ostwind droht wieder der Verkauf an den unheimlichen Ungarn. Mika sieht nun keinen anderen Ausweg, als mit Ostwind zu Fanny an das See-Camp zu flüchten. Das bedeutet allerdings, einen dramatischen Marathon-Trip durch halb Deutschland anzutreten, die Polizei im Nacken, über Felder, Wälder und sogar Autobahnen. Im Camp mehr tot als lebendig angekommen, bricht dadurch über Ostwind das nächste Unglück herein, und Mika muss mit schwerem Schock in die Notaufnahme. So ist Ostwind nicht mehr zu schützen, die Situation spitzt sich zu. Als Mika die ursprüngliche Sabotage durchschaut, flieht sie in einer Taxi-Blitzfahrt aus dem Krankenhaus zum Gestüt, um dem Ungarn noch zuvorzukommen. Doch sie findet Ostwinds Stall nur noch leer vor: Das ist der absolute Nullpunkt, Ostwinds Schicksal besiegelt. Im leeren Stall schrumpft Mika zu einem Klümpchen Elend. Zerbrochen und ohne Perspektive lässt sie sich schließlich lethargisch mit ins Auto laden, um mit ihren Eltern den Weg nach Hause anzutreten. Doch niemand außer Mika konnte intuitiv ahnen, dass Ostwinds Freiheitsgeist stärker sein könnte als der massivste Pferdetransporter des Ungarn...
Detaillierte Wertung und mehr
Das höchst berührende und spannende Drama und sein nimmermüder Ruf nach Freiheit, die sowohl dichte als auch schlüssige Handlung, die hohe und manchmal traumhafte Bildkraft, die Authentizität der organischen Landschaftskulisse sowie eine Reihe gut platzierter Pointen und leicht ironischer Spitzen liegen in ihrer Gesamtwertung so hoch über der formal möglichen Maximalpunktzahl, dass durchaus nötige Abzüge nicht bis unter die Bestmarke durchschlagen können. Es bleibt dabei, trotz stilbrüchiger und lästiger Musikparts, die das Erlebnis stören, und trotz der Enttäuschung, dass das treffende Rot des Haars nicht echt sein soll. Besonders schade ist es auch um die rührigen Etappen des Marathon-Trips an die See, deren Abfolge völlig durcheinander geraten ist. In derselben Weise stört, dass an die Freiflugszene am Filmende noch eine Turnierszene angehängt wurde und also das steigende Pferd vor dem Gipfel nicht den absoluten Schluss bildet.
Zu leichteren Abzügen führen die etwas ausrutschende Gestik und Sprache der Großmutter, der allzu linke Lehrer, Fannys unglaubwürdige Feuerzeugidee, die deplatzierte Quantenmechanik, der zu lange gehaltene Wasserschlauch, die Wiederholung des Daumenschnipsens, die rätselhaft gestarrte Meeresbrandung, der 300-km-Einsatz des Tierarztes und Mikas ebenso lange Rückfahrt zur heimischen Notaufnahme, die Autoschlange in nur einer Richtung, welche für die Pampa außerdem zu lang ist, sowie eine Reihe weiterer logischer Schwächen und Merkwürdigkeiten.
Merkwürdig scheint auch die Freigabe FSK-0 des Films, dessen dramatische Tiefpunkte mehrfach bis auf die Knochen gehen, was zwar durchaus ein Pluspunkt ist, was aber dann zum Beispiel auch kleinen Mädchen zu ertragen zugemutet wird.
Dass Mikas Eltern beide Theoretische Physiker sind, ist halbwegs vorstellbar, und dass sie ihre Bücher nach der Einbandfarbe ordnen, kann gerne als origineller Witz akzeptiert werden. Dass sie aber ihrer Tochter Quantenmechanik aufdrücken, ist absurd. Es wäre schon ohnehin abwegig, aber Mika lässt sich ja noch nicht einmal auf die Mathe der siebten Klasse ein. Ihr linker Lehrer soll dabei sicher eine Überspitzung sein, aber vielleicht auch nicht.
Im Ganzen wirkt die Handlung plausibel und recht realistisch, und manchmal greift sie sogar auf konkret Reales zurück. So sei Ostwind ein Urenkel der legendären Halla, die ihren schwer verletzten und halb ohnmächtigen Reiter zum Olympiasieg getragen habe. So erzählt es jedenfalls Mikas Oma, wie andererseits laut Mika ja auch Ostwind alles allein gemacht habe. Die reale Historie dahinter: Der Reiter bei dem legendären Sieg von 1956, Hans Günter Winkler, hatte sich im ersten Umlauf einen Muskelriss der Leiste zugezogen, wurde aber dennoch für den zweiten Umlauf wieder aufs Pferd bugsiert, unter drastischen Schmerzdrogen, die dann aber bei den Sprüngen doch versagten. Eigentlich undenkbar also, dass beide dennoch ins Ziel kamen, zudem als einzige fehlerfrei und in Bestzeit. Die Recherche zeigt: Die Hessenstute Halla war ein störrischer Wildfang von außergewöhnlicher Intelligenz, Winkler nannte sie irre und genial. Er war nach allen gescheiterten Reitern vor ihm der erste, den sie akzeptierte, er hatte den Druck weggenommen. Und warum sollte dann Hallas fiktiver Urenkel nicht denselben Charakter haben! Etwas weniger pathetisch: "Ein Weltklasse-Mann ritt unter großen Schmerzen und Aufbietung letzter Willenskräfte ein Weltklasse-Pferd fehlerfrei ins Ziel", so formulierte es Horst Stern. Sein Name verweist unmittelbar auf das allgemeine Thema Wertschätzung der Kreatur, und diese Haltung kommt auch im Film deutlich als Leitlinie herüber. Neben Mika, die laut ihrer Großmutter von Pferden "gar nichts" verstünde, ist es gerade auch der alte Springtrainer, der diese Leitlinie verkörpert und deswegen von Frau Kaltenbach gefeuert wurde.
Noch vor dieser Leitlinie steht aber der Freiheitsgedanke, wie schon im Film-Untertitel zu lesen. Für diesen Anspruch auch die passende Landschaftskulisse zu finden, wenigstens dem Anschein nach halbwegs naturnah und frei, ist hierzulande längst problematisch und im Offenland fast unmöglich, zumal in den alten Bundesländern. Bilder wie die stille Pferdekoppel mit ihrer leicht maroden Planken-Umzäunung sind selbst im ländlichen Raum schon lange kein prägendes Bild mehr. Noch weniger ein Zaun wie der vor dem Bauwagen, auf den sich Mika setzt und der dicht von Kraut und Blüten umwuchert und von Schmetterlingen umspielt ist. Bei Bildern wie diesen kommen Verlustempfindungen auf. Und sollte der Film einen melancholischen Nachklang hinterlassen, dann muss das nicht am Drama selbst liegen, das ja eher positiv endet, sondern vielleicht gerade an seiner Kulisse, hier als gravierender Pluspunkt gezählt.
Das immer sterilere Offenland ist längst uninteressant, in Waldgebieten zu suchen viel sinnvoller. Dieser Film entstand, abgesehen von der Frankfurter Handlung und dem Nordsee-Abstecher, im nordhessischen Reinhardswald (hessisches Oberweserbergland) sowie dessen naher Umgebung. Wenige Ortsnamen wurden abgeändert bzw. verschoben, vielleicht weil die Handlung nicht unbedingt auch genau hier verortet werden soll. Durch die Rede des Landestrainers wird sie zumindest auf Hessen festgelegt, womit allerdings die fiktive ostwestfälische Postleitzahl des Gutes Kaltenbach in Widerspruch ist.
Die Koppel, auf der Ostwind herumtollt und wo Mika mit ihm spielt und reiten lernt, ist aus zwei getrennten Orten zusammengesetzt: Die uralten und im Film teils erkletterten Eichen stehen nahe dem bekannten Urwald Sababurg, genau genommen auf der Beberbecker Hute. Beberbeck hat lange Pferdegeschichte und war einst ein Hauptgestüt Preußens. Der andere Koppelabschnitt mit dem Bauwagen und dem fiktiven Verbindungsweg nach Kaltenbach ist ein paar Kilometer weiter an einem Bach aufgenommen, an dem der bekannte Schlachten- und Pferdemaler Theodor Rocholl (1854-1933) einmal ein sich darin abkühlendes Pferd gemalt hatte. Die halbwilden Beberbecker Pferde und die bizarren Eichen in diesem Wald waren seine Passion, und einem Bild gab er den Titel: "Die Natur schuf das Pferd für die Freiheit". Mika hätte ihn umarmt, und der Kreis schließt sich.
Diese Bestwertung klingt zugegeben nicht sehr objektiv, es geht aber nicht anders, und deshalb wurden oben Plus- und Minuspunkte einzeln aufgeschlüsselt. Vor allem bleibt einzuräumen, dass der Hauptteil der Filmkulisse, die "Pampa", für den Rezensenten Heimspiel ist. Zudem ging er vor einem halben Jahrhundert tausendemal durch dieselbe Tür, aus der Mika das brennende Auto erblickt. Gleichzeitig soll dieses Erklärung für Frankfurter sein, warum sie Mikas Frankfurter Gymnasium nicht erkennen werden, wohingegen viele tausende Kasseler Schüler ihren "Eimer" wiedererkennen werden.