4 von 5
Riccardo Berg
03. April 2022
Fahrt durch seichte Gewässer
Auf diesem Album mit bekannten Stücken des American Songbook wollte Brönner offenbar seinem Idol Chet Baker nacheifern. Nun war der schon nicht berühmt für innovative Virtuosität oder herausragende Sangeskunst (eher das Gegenteil), hat der Nachwelt nur Interpretationen, keine Werke hinterlassen. Aber in seinem Spiel spiegelte sich all der Weltschmerz, all die Qualen, die er selbst bis zur völligen Selbstzerstörung und dem tragischen Ende in einem Amsterdamer Hotel durchlebte. Das macht Baker so einzigartig, so unmittelbar und sehr direkt fühlbar. Gerade in seinen späteren Aufnahmen fließt pure Ehrlichkeit und seelische Nacktheit aus seinem traurigen Horn. Jeder Hauch sorgt für Gänsehaut. Und genau das macht ihn so trotz fehlender echter Kreativität zu einem der wichtigsten und wahrhaftigsten Interpreten des Jazz.
Das alles hat Brönner nicht. Sein Trompetenspiel ist sauber, exakt und clean - aber genau das ist seine Schwäche. Wie bei Wynton Marsalis wirkt sein Spiel akademisch korrekt und aaglatt, keine transportierten echten Emotionen, keine Innovationen. Ihm fehlt der echte Soul, der die Werke so vieler Jazzmusiker prägt. Er beschreibt dieses Album als "Blick in meine Seele". Baker offenbarte bei jedem einzelnen gehauchten Ton seiner Trompete die traurige und zerstörte Tiefe seiner Seele, ließ den Hörer teilhaben. Das hab ich hier bei keiner einzigen Note.
Über den schmalen Gesang erspare ich mir jede Kritik. Ich mochte schon den singenden Baker nicht sonderlich, über Brönners Versuche hülle ich lieber den Mantel des Schweigens.
Zur Veröffentlichung selber: die in Leinen gefertigte Box der Limited Edition ist sehr hochwertig und sieht im Regal großartig aus. Das Buch enthält ebenso großartige und stimmungsvolle Portraits und Konzertaufnahmen des zurecht berühmten Fotografen Andreas Bitesnich, sowohl in Farbe als auch S/W und in sehr guter Druckqualität auf dickem Papier. Die Fotos haben deutlich mehr Seele und Ausdruckskraft als die Songs des Portraitierten.
Die LP ist sauber gepresst, nicht ganz geräuschlos bei einigen Passagen, aber mit einem vollem Klangbild. Eine CD und ein Download-Code liegen bei.
Ich hatte zwei Boxen bestellt und in beiden fehlte der exklusive Photo-Print. Verschmerzbar bei dem überaus fairen Preis, den JPC hier aufruft.
Also ist das Ganze nun empfehlenswert?
Wer auf unkomplizierten Jazz als Background für lauschige Sofa-Abende oder gediegene Dinner steht, wird hier gut bedient, Jazz-Enthusiasten, die endlich mal ein richtig überzeugendes Jazzalbum von Brönner erwarten, werden mit einer Fahrt durch seichte Gewässer enttäuscht.
Aber die Box ist sehr schön und eignet sich wunderbar als Geschenk, das richtig was hermacht.