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    KlpB Top 100 Rezensent

    Aktiv seit: 29. Dezember 2010
    "Hilfreich"-Bewertungen: 646
    106 Rezensionen
    Arme Leute Minna Canth
    Arme Leute (Buch)
    27.04.2025

    Engagierter, tabuloser Text der finnischen Kämpferin gegen Armut und Unterdrückung

    Der Titel dieser 1886 original auf Finnisch veröffentlichten zweiteiligen Erzählung – von der Autorin selber als Roman bezeichnet – verweist mitten ins Zentrum des Geschehens. Eine bettelarme Familie, Vater, Mutter, vier kleine Kinder, das ältere der Mädchen auf einem Auge erblindet, das jüngste todkrank. Nach dem Ableben der Kleinen verliert die Mutter ihre letzten Kräfte und muß in einen Verschlag im Armenhaus gebracht werden, wo sie, "unheilbar verrückt", Schreie ausstößt, in denen "alle Angst der Natur zum Ausdruck" kommen. Der gutmütige, aber nicht sehr lebenstüchtige Ehemann findet Arbeit als Tagelöhner beim Eisenbahnbau, eine betuchte Nachbarin kümmert sich halbherzig um die Knaben.
    Die nach dem Tod ihres Mannes selber mit sieben Kindern mittellose Minna Canth begriff, wovon sie schrieb. Selten wurde das Hereinrutschen eines über die Hungergrenze hinaus gepeinigten Menschen in die Depression so plastisch geschildert wie beim Porträt der ausgezehrten Familienmutter Mari. Maris Lage verdüstert sich noch aufgrund ihres Glaubens an die christliche Schuldtheologie. Canth, die selber über Nacht durch ein Erfolgsbuch der Armutsfalle entging, bringt diesen Zusammenhang und auch Optionen, wie dem Gesellschaftsphänomen Armut durch Umverteilung zu begegnen, in einem bezwingenden Dialog auf den Punkt. Einige der Anwürfe des beteiligten Arztes gegen den konsternieren Pfarrer sorgen noch heute für heiße Kontroversen oder werden, wie in alten Zensurzeiten, tabuisiert.
    Ein hochengagierter, schnörkellos zur Sache kommender Text, vorzüglich übersetzt und herausgegeben von Nadine Erler!
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    Psyché - Poème symphonique für Chor und Orchester (Klavierauszug) Psyché - Poème symphonique für Chor und Orchester (Klavierauszug) (Noten)
    02.12.2024

    Trotz historisch bedingter Fehler eine eminent wichtige Ausgabe - zweihändige Version des Klavierauszugs


    Von Francks fast einstündigem Meisterwerk Psyché gibt es neben dem eigenhändigen Klavierauszug für zwei Pianisten diesen alternativen aus der Hand von Gustave Sandré, einem jüngeren Zeitgenossen, Komponisten und späteren Konservatoriumsdirektor. Dieser Auszug hat den großen Vorteil, dass es zu seiner Darstellung keines zweiten Pianisten bedarf und man sich unabhängig auch von Tondokumenten ein Bild vom Ablauf der Komposition machen, ggf. aber andererseits überprüfen kann, woran es bei diversen bestehenden Gesamtaufnahmen mit großem Orchester und Chor hapert. Die von B-Note angekündigte und von Franckkennern jeher sehnsüchtig erwartete große Partitur wird hoffentlich bald erscheinen.
    In den Audio-Einspielungen hängen die Sätze "Psyche und Amor" und die Beschreibung von "Psyches Leiden" trotz unverändert höchster kompositorischer Spannkraft und Dichte fast immer durch. Das kann man im Eigenversuch nachkontrollieren und unschwer jetzt richtigstellen: in "Psyche und Amor" schleppen die Dirigenten – außer wenn sie nicht, wie Willem van Otterloo, das ganze Werk übereilen –, während sie bei "Psyches Leiden" annehmen, die strukturierten Sechzehntelketten und Kanons innerhalb der scheinbaren Nebenstimmen bis zur Unkenntlichkeit in den Hintergrund drücken und verhetzen zu sollen. Mittlerweile gibt es Aufnahmen, die die feierlich ausgestaltete Choralbearbeitung des Schlusses ("Apotheose") als flotten Rausschmeißer missverstehen. Das Werk ist harmonisch wie kontrapunktisch mit das Ungewöhnlichste und Großartigste, was je ein Komponist zu Papier brachte.
    Sandré hat Francks hochkomplexe Melodienschichtungen selbstredend nicht so abbilden können, wie es Francks vierhändige Übertragung versucht – es wäre von einer Person allein schlechterdings nicht spielbar; aber er fand einen geschickten Weg, wenigstens eine Illusion vom Reichtum der Komposition zu vermitteln. (Ausnahme: die gelegentliche Reduktion motivisch differenzierter kleinnotiger Gegenstimmen in bloße Tremoloakkorde.) Leider unterliefen ihm aber – im Gegensatz zu Francks perfekt redigiertem eigenen Klavierauszug in den in die Chorsätze übernommenen Passagen – einige Fehler. Francks Orchester sieht etliche transponierende Instrumente vor, so Klarinetten und Flügelhörner in A, Trompeten und Hörner in E, Hörner aber auch in F, Bassklarinette in B, Englischhorn, das sowieso immer eine Quinte tiefer klingt.
    Insgesamt über 30 von mir erkannte Fehler entstellen den Text und sollten handschriftlich korrigiert werden, ehe man in die Auseinandersetzung einsteigt. Da es sich um eine Reprintausgabe handelt, sind Änderungen der Grunddatei vermutlich nicht machbar. Hier meine Errata-Liste zu dieser eminent wichtigen Edition mit Angabe von Seite, Akkolade und Takt:

    7 – 2 – 1: 2. Note rechte Hand (rH) recte ais’’

    8 – 3 – 1: rH vor 1. Stimme # streichen (recte e’’), vor 2. Stimme # ergänzen (recte his’)

    9 – 2 – 1: 2. Note lH recte es

    9 – 4 – 2: rH auf 1 erg. b; lH Unterstimme auf 5 erg. Auflösung (recte h)

    9 – 5 – 2: lH auf 1 obere Stimme erg. b (recte fes)

    10 – 1 – 2: lH auf 4 erg. b (recte fes; die Stammnote f wurde wohl undeutlich in e übermalt)

    11 – 1 – 2: letzte Note 2. Stimme rH recte c’ statt cis’

    11 – 4 – 1: lH auf 4 vor unterer Note erg. Auflösung (recte g statt gis)

    13 – 2 – 2: rH vor 2. Note b str.!

    14 – 2 – 3: rH letzte 16tel-Note keine Auflösung, sondern #

    letzte Note von S. 14: erg. b (recte ces’’)

    15 – 1 – 3: 7. Note rH erg. Auflösung

    16 – 3 – 2: rH vor 1. Note 2. Stimme erg. #

    viertletzter Takt S. 17 vor der letzten 16tel nicht Doppel-, sondern nur einfaches b (recte b’’ statt heses’’)

    letzte Note S. 19 und zweite Note S. 20 recte ais’ statt a’

    23 – 4 – 2: rH erg. Auflösung vor d’’ auf 4 und lH lösche Auflösungszeichen vor d auf 4+

    24 – 5 – 1: lH auf 1 fehlt 4tel f’

    24 – 5 – 2: lH auf 1 ges ersetzen durch es’

    41 – 1 – 3: rH auf 3 fehlt 4tel gis’

    42 – 4 – 2: vor letzter 8tel lH fehlt b (recte es)

    43 – 4 – 3 und 44 – 1 – 1: Vorschlagsnote lH erg. #

    44 – 5 – 3: lH auf 3 in Mittelstimme # erg. (recte his) und in Unterstimme # str. (da ja sowieso gis)

    47 – 4 – 3: Oberstimme lH auf 3 recte aufgelöst c’

    47 – 5 – 3: 2. Note lH recte ces’

    48 – 1 – 3: letzte Note 2. Stimme rH recte ais’ statt cis’’

    48 – 5 – 3: lH 1. Note (Vorschlagsnote) recte cis statt A

    59 – 1 – 4: lH auf 1 erg. Halbe cis

    59 – 3 – 1: lH vor unterer Note auf 4 erg. # (recte dis statt d)

    62 – 4 – 2: lH auf 4 erg. Auflösung vor d’

    64 – 1 – 3: rH auf 1 und lH auf 4 vor oberer Note Auflösung str. (muss cis’’’ bzw. cis’ lauten)

    65 – 1 – 2: letzte Note lH recte b statt as

    65 – 2 – 1: letzter Zweiklang rH recte mit as’ statt mit g’

    67 – 4 – 1: rH auf 2 beide Stimmen recte f’ statt e’

    73 – 3 – 1: Note auf 4 recte es statt e

    73 – 3 – 2: rH Oktave auf 4+ recte fis’ – fis’’ statt e’ – e’’

    76 – 3 – 1: rH obere Note recte cis’’’ statt e’’’

    (78 – 1 – 2: es empfiehlt sich rH die Ergänzung des Zweiklangs auf 1 durch es’’ – als bei Franck vorgesehene Abschlußnote hinter dem Viertel fes’’)

    78 – 1 – 2: rH auf 2 vor oberster Note fehlt b (recte as’’ statt a’’)

    78 – 2 – 1: rH auf 4 vor zweitoberster Note b str. und Auflösung erg. (der Zweiklang Oberstimme lautet recte g’’/a’’)

    78 – 2 – 2: mittlere Note dritte Triole recte cis’’ statt ces’’
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    • César Franck Klauspeter Bungert
      César Franck (Buch)
    Hulda (Oper in 5 Akten / Deluxe-Ausgabe im Buch) Hulda (Oper in 5 Akten / Deluxe-Ausgabe im Buch) (CD)
    29.11.2023
    Booklet:
    5 von 5
    Gesamteindruck:
    4 von 5
    Klang:
    5 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    5 von 5

    Zweitaufnahme bestätigt den Wert einer verschollenen Oper - Freiburger Aufnahme interpretatorisch empfehlenswerter

    Eindreiviertel Jahre nach der Freiburger Ersteinspielung erscheint Hulda erneut auf dem CD-Markt – und bestätigt den Eindruck eines musikalischen Meisterwerks. Meine Begeisterung über die erste Inszenierung 2019 an einem staatlichen Theater überhaupt, für die ich dreimal anreiste, und die nachfolgende Naxos-Einspielung war nicht der Seltenheit des Ereignisses geschuldet, sondern dem sensationellen Eindruck, den das Werk bei mir hinterließ. Daß dieser Eindruck keine Einzelmeinung war, sondern damals schon in Rezensionen der Theaterpremiere zum Ausdruck kam, wird in dem üppigen Begleitbuch der Lütticher Neuaufnahme von mehr als einem Beiträger erhärtet. Die Autoren des Buchs, das die drei CDs in eingeklebten Kartonschubern mit sich trägt und mit zwei Lesebändchen ausgestattet ist, lassen Hulda als eines der bedeutendsten musikalischen Kunstwerke, die es gibt, erscheinen. Und sie vermuten, daß es einer starr festgehaltenen Darstellung d'Indys und seiner Mitstreiter zuzuschreiben sei, daß ihr Lehrmeister Franck nicht als der auch in diesem Genre weit Bedeutendere gewürdigt wurde, sondern vorzeitig in der Ecke des musikdramatisch dilettierenden Gutmenschen und Organisten verschwand. (Ein Verdacht, den ich auch schon in meiner Werkmonografie über Franck aufwarf.) Mir fällt definitiv kein anderes Musikstück dieser Größenordnung ein, das von Masche zu Masche mit derartiger Konzentration und Planung gewirkt worden wäre. Im kleinen wie im großen folgt ein Kontrast auf den anderen, nie hält der Komponist zu lange an einer Facette fest, und alles bleibt zugleich einem sinfonischen Plan untergeordnet, der satzartige, über die gesamte Zeitstrecke von 2 ¾ Stunden spannend zu verfolgende Großabschnitte herausbildet.


    Gergely Madaras überzieht das Tempo leider über weite Strecken zugunsten einer gleichförmig voranschreitenden Forschheit. Die feinen Übergänge, die behutsamen rhythmischen Akzente, die fein ausgehörten Orchesterfarben, die Phrasierungskunst, die Ausarbeitung der satztechnischen Überlappungen, das Herausarbeiten des ständigen Rückbezugs auf wenige elementare, variantenreich modifizierte Grundelemente, die man von Fabrice Bollon kennt, sucht man bei Madaras vergebens. Seine ungeachtet energischem Temperament vielfach nur trockene Wiedergabe schädigt den Eindruck bis in den dritten Akt hinein. Erst ab dem Liebesduett steigt die Aufmerksamkeitskurve. Am Opernende vermag Madaras die Wucht der Musik sogar besser umzusetzen, als dies mit den bescheideneren Kräften in Freiburg gelang. Stimmen mit enormer Durchschlagskraft, dramatisch und unverbraucht, ein bedeutend größerer Streicherapparat – rein physikalisch erweist das Lütticher Ensemble, was eine dickere Besetzung ausmacht. Aber um wieviel inniger erklangen in Freiburg der erste Akt, der Eröffnungschor und die Totenklage in Akt II, die Orchesterintroduktion des dritten Aktes, die Trauermusik am Anfang des Epilogs. Der Hörer möchte sich einen Moment zurücklehnen und versenken können und nicht permanent von einer mahnenden Stimme gestört werden: „Voran, voran, nur nicht schleppen, nicht nachgeben!"


    Lüttich verpflichtete zum 200. Geburtstag des Komponisten eine große Riege bedeutender Sänger. Die Hulda von Jennifer Holloway und ihre weiblichen Mitstreiter seien an erster Stelle genannt, es wäre aber undankbar, auf einige enge Töne des Eiolf von Edgaras Montvidas hinzuweisen. Bereits vor Jahren machte mich ein Opernsänger darauf aufmerksam, daß die Partie sich in Bruchlage bewege und für die meisten Tenöre schwierig sei. Der Kammerchor aus Namur, am Theater Lüttich immer wieder in Aktion, bringt aufs reinste eine der ausgiebigsten und schönsten Chorpartien der Operngeschichte zur Geltung.


    Man steht bei Hulda staunend vor einer gewaltigen Baumeisterleistung. Daß dieses in konzentriertester Arbeit über sechs Jahre entstandene Riesenwerk eines der größten Komponisten bis vor kurzem so unbekannt war, gehört zu den rätselhaften Ungeheuerlichkeiten der Musikgeschichte. Es wäre so, wie wenn man jahrelang unterm Ulmer Münster oder dem Eiffelturm vorbeiliefe, ohne sie zu bemerken. Die engagierte Stiftung Bru Zane unterstützte das Lütticher Unternehmen mit beträchtlichen Mitteln, die großzügige und originelle Ausstattung des Begleitbuchs inbegriffen. Dessen Verweise auf Verdi laufen übrigens ebenso ins leere wie die Hinweise im Freiburger Programmheft auf eine mutmaßliche Wagner-Nähe Francks. Sie beweisen nur die Absurdität von Versuchen, eine so unbeirrbar eigenwüchsige Kunst auf Vorbilder zurückzuführen.
    Klauspeter Bungert


    PS: Bei soviel neumodischer „Werktreue“ in der belgischen Produktion wirken zwei Modifikationen am Notentext befremdlich: um dem einzigen h‘‘ der Titelpartie (und sämtlicher Gesangspartien) wenigstens zwei weitere Spitzentöne hinzuzufügen, wurden zwei as‘‘ in ces‘‘ (entsprechend h‘‘) harmonisch fragwürdig umkorrigiert.
    Dann bleibt anzumerken, daß der Hinweis im Buch auf angeblich fehlende Abschnitte in der Freiburger Aufnahme nicht zutrifft. Kleine Striche dort betrafen lediglich die vorangegangene Inszenierung.
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    • Hulda (Oper in 5 Akten) Hulda (Oper in 5 Akten) (CD)
    Orgelwerke Orgelwerke (CD)
    19.03.2023
    Booklet:
    3 von 5
    Gesamteindruck:
    3 von 5
    Klang:
    5 von 5

    Ziemlich durchwachsen und manieriert

    Der auf dieser Seite geäußerten Lobeshymne - sie regte mich zum Kauf der Kassette an - vermag ich leider nicht zu folgen. Würde Olivier Penin in allen Stücken die beredte musikalische Wärme entfalten wie im Gebet op. 20, der Fantasie op. 16, Präludium, Fuge und Variation op. 18, würde ich gerne zustimmen. Leider zieht er aber fast bei allen Noten, die zwei Balken tragen, gern schon bei Achteltriolen, dermaßen extrem das Tempo an, teilweise sogar bei mit largamente oder sostenuto eigentlich ins Verbreitern weisenden Stellen, daß es ein Graus ist, die formale Organik flötengeht und das übliche Gehetze wieder beginnt. Neben den genannten Gesamtwerken überzeugt mich Penin noch im Anfangsteil des 2. Chorals, der Introduktion der Sinfonie op. 17 und streckenweise der Pièce héroique. Mit der wundervollen Fantasie A-Dur/a-Moll weiß er anscheinend nicht viel anzufangen, das Cantabile gerät ihm zur staubtrockenen Adagio-Studio, kaum lebendiger das Andante von Opus 17.
    Die Orgel gibt evtl. nur bedingt die Klangverhältnisse von Francks Zeiten als Clotilden-Organist wieder - sie wurde mehrfach überarbeitet, das kurze Beiheft (Verfasser: der Organist) vermittelt darüber keine Klarheit. Sie könnte aber schon in den Jahren von Francks Wirken "oboig" geklungen haben. Andere, ebenfalls klar zeichnende Instrumente kommen den Kompositionen oft besser entgegen.
    Streichquartette Nr.1 & 5 Streichquartette Nr.1 & 5 (CD)
    16.03.2023
    Booklet:
    5 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    5 von 5

    Ein versteckter Riese unter den Quartettkomponisten ...

    Nun ich alle acht Streichquartette Joachim Raffs in ansprechenden Aufnahmen vorliegen habe und mir den Luxus erlauben kann, sie in chronologischer Abfolge durchzuhören, ist meine Achtung noch gewachsen. Seit Joseph Haydn hat kein Komponist meines Wissens besser für die Formation geschrieben, nicht einmal Schumann mit seinem Triptychon op. 41. Wie Raff die Stimmen mit Leben erfüllt und sie über das Klangspektrum verteilt, ohne - wie Beethoven, Brahms oder später Magnard oder Berg - das Ohr mit scharfen Höhenballungen zu strapazieren, ist einzigartig und zeigt, wie klug und selbstbewußt - Tradition stellte für ihn keinen Schatten dar - er kompositorische Aufgaben anging. Der Altersgenosse Bruckners und César Francks plante wie ein Ingenieur, gepaart mit dem mitreißenden Temperament, der rhythmischen Vitalität, der nimmer nachlassenden Freude an kontrapunktischen Kabinettstücken eines verspielten Tausendsassa.
    Das fünfte Quartett G-Dur war bislang nicht eingespielt und erscheint jetzt fast gleichzeitig mit dem Leipziger Parallelunternehmen. Es beginnt fast wie ein Rokokostück, entfaltet aber binnen kurzem eine fast erschlagende Fülle an satztechnischen Finessen und sogar, für Raff eher selten und nicht im Zentrum seines sonstigen Interesses, an blühenden melodischen Wendungen, die lange im Ohr nachklingen. Die CD liefert mit dem thematisch kaum greifbaren Adagio des Pendantstücks dazu ein gutes Gegenbeispiel.
    Die Mannheimer musizieren auch in der zur Hälfte gegenüber den früheren Aufnahmen veränderten Besetzung klangschön, unforciert und mit stilsicherem Gewichten der bei Raff so aufgewerteten Mittelstimmen. Beim ersten Quartett d-Moll fehlen mir bei aller Wertschätzung das dramatische Gewicht und die Wucht der etwas breiteren und rauheren Vergleichsaufnahme mit dem Quartetto di Milano von 2004. Von diesem bevorzuge ich auch die Interpretationen des sechsten und siebten Quartetts, sonst bilden die Mannheimer für mich erste Wahl.
    Erneut steuerte der Raff-Spezialist Matthias Wiegandt eine instruktive Einführung bei, die Raff noch deutlicher als zuvor als einen der wichtigsten und hörenswertesten Komponisten des 19. Jahrhunderts herausstellt. Dies betrifft nicht alle Werkgruppen gleichermaßen, die Quartette und Sinfonien aber obenan.
    Streichquartette Nr. 2-4, 8 Streichquartette Nr. 2-4, 8 (CD)
    16.03.2023
    Booklet:
    5 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    5 von 5

    Referenzaufnahme

    Sauber intoniertes, klangschönes, unforciertes, stilsicheres Quartettmusizieren, wie man es gar nicht so oft erlebt. Und Werke, die ihrem immer wieder durchscheinenden Maßstab Beethoven nicht auf dem Niveau eines Plagiats oder einer Imitation, sondern - das darf ohne Bedenken behauptet werden - auf Augenhöhe begegnen. Raff übernimmt nicht Beethovens Pathos, aber durchaus sein Klangspektrum, dankenswerterweise ohne die Höhenschärfen, und läßt sich von ihm und dem anderen Monument der Quartettkunst, Joseph Haydn, nichts vormachen. Der am meisten an Beethoven anklingende Satz, das Variationenadagio des Quartetts in e-Moll, stellt ohne Frage einen absichtlichen und geglückten Verbesserungsversuch von Beethovens "Dankgesang an die Gottheit" aus Opus 132 dar.
    Raff schlägt in den hier vereinigten vier Werken "seriösere" Tonlagen an als sonst oft und schafft eine Werkgruppe, die es mit seinen Sinfonien aufnimmt.
    Einen Sonderbonus verdient die cpo-Produktion durch die verständige Einführung von Matthias Wiegandt, der sich Jahre nach seiner teilweise noch Raff-skeptischen Dissertation zu einem umfassenden Kenner des Werks dieses zeitweise vergessenen Großen wandelte.
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    13.12.2022
    Booklet:
    5 von 5
    Gesamteindruck:
    4 von 5
    Klang:
    5 von 5

    Eindruck unter Vorbehalt

    Persönlicher Hintergrund: nach Jahren glühender Beethovenverehrung spielte und hörte ich den Komponisten lange nicht mehr. Inzwischen versuchte ich mehrfach neue Annäherungen. Nach überschwenglichen Reaktionen auf die vorliegende Edition sämtlicher Werke für Klavier solo griff ich zu und nahm mir Stichproben vor in der Hoffnung, einem Funken alter Begeisterung wiederzubegegnen.
    •
    • Martino Tirimo wählt meist angenehm zu hörende übersichtliche Tempi, nimmt sich Freiheiten bei Einfädelungsprozessen, spielt Einzelheiten liebevoll aus, will niemandem "etwas beweisen", aber dennoch, der Funke blieb aus. "Offenbarungen" begegnen selten. Einer schon: im Kopfsatz der Waldsteinsonate. Den Seitenthemenkomplex hörte ich mit solcher lyrischen Wärme zuletzt auf einer langverschollenen LP. Im Rondofinale hält der Pianist die Trillerketten vorbildlich im Hintergrund und entfaltet das Hauptthema darüber zauberhaft. Aber die Couplets spielt er in bekannter Manier recht mechanisch und bleibt gegenüber der Erbarmungslosigkeit der bandwurmlangen Refrainwiederholungen machtlos. Andere "Offenbarung": Kopf- und Mittelsatz der Pathetique. Das hat Atmosphäre und Feierlichkeit. Die Appassionata gerät dagegen fast und das vielstrapazierte Charakterstück Für Elise gänzlich trocken.
    •
    • Auf die Hammerklaviersonate war ich besonders gespannt. Sie beginnt hier mit hörerfreundlichem Augenmaß statt des verbreiteten Abgerackers an den überzogenen Beethovenschen Metronomangaben. Das Scherzo gleitet ins Konfuse ab, das Adagio zieht sich über ermüdende 19 Minuten hin. Die berüchtigte Fuge wird unter den souveränen Händen des demnächst 80jährigen Zyprioten zur akkuraten, mit tänzerischen Farbtupfern aufgefrischten Transparenzstudie und einem kaum erreichbaren Beleg langer unnachgiebiger Beschäftigung. Ich gebe zu, daß der Live-Mitschnitt einer eigenen Aufführung von 2002 mir dennoch größere Freude bereitet. Ich begann den Kopfsatz damals ebenfalls gemäßigt, ging in seinen lyrischen Passagen noch mehr zurück, drehte in den Satzteil-Kodas aber mächtig auf. Stau mit anschließender Rakete – als dramaturgisches Muster trug dies über das gesamte Werk und erzeugte eine Spannung, die mir bei Tirimo fehlt. Das Tonleiterthema der Fuge nahm ich zum Anlaß einer Art musikalischen Kometenschweifregens – der unter Musikern unter der Hand oft als schlicht mißlungen bezeichnete Satz ist als Gegenstück zu überzeugenden akademischen Fugen auch kaum tauglich. Wann freilich hätten Solisten auf größeren Podien solche Gestaltungsfreiheit und könnten ohne Renommeeverlust ihr Normenkorsett ablegen? Zu diesem gehören ja auch die ermüdenden großen Satzteilwiederholungen bei Beethoven, auch in der vorliegenden Kassette zigdutzend Male exerziert.
    •
    • Die Edition will aber nicht unbedingt Abtrünnige zurückgewinnen. Sie ist und bleibt eine einzigartige Gelegenheit, das gesamte Schaffen Beethovens für Klavier zu zwei Händen kennenzulernen. Selbst fortgeschrittene Musikkenner ahnen nicht das Ausmaß an Variationszyklen, Bagatellen und Gesellschaftstänzen, die der Meister um seine 32 Sonaten herum produzierte.
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    Symphonien Nr.1-4 Symphonien Nr.1-4 (CD)
    05.10.2022
    Booklet:
    1 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    5 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    5 von 5

    Überblick über Ives' Orchesterschaffen

    Bis auf die Robert-Browning-Ouvertüre enthält die Kassette m.W. annähernd alle zweifelsfrei vom Komponisten selber abgeschlossenen Orchesterwerke. Beim ersten Anhören kamen mir die Aufnahmen der modernen Stücke gegenüber den geschätzten Einspielungen Bernsteins und Stokowskis etwas weichgespült, europäisiert, "unamerikanisch" vor (was immer das sei). Bei der vierten Sinfonie gebe ich dem spontaneren, rauheren Zugriff Stokowskis weiterhin den Vorzug, aber konzentriertes mehrfaches Hinhören lohnt auch hier und bringt Details zutage, die so noch kaum zu erkennen waren. Bei den beiden frühen Sinfonien (die erste von den beiden anderen Dirigenten nicht eingespielt) gebührt Michael Tilson Thomas ein Extrapreis. Die erste, Ives studierte noch, wird unter seinem schlanken Dirigat zu einer fröhlichen Selbstvergewisserung eines seiner Sache sicheren jungen Mannes. Die zweite steigert sich nach assoziationsreichen "Landschaftseindrücken" immer turbulenter hin zum passend schrägen Schlußakkord. Hier, bei Bernstein mehr wie ein Pflichtstück absolviert, bekommt man Appetit aufs baldige Dacapo. Bei den berühmten Stücken The Unanswered Question und Central Park in the Dark werbe ich für Bernstein, bei der dritten und der Holiday-Symphonie bieten beide Dirigenten hochwertige Alternativen.
    Symphonien Nr.1-4 Symphonien Nr.1-4 (SACD)
    05.10.2022
    Booklet:
    4 von 5
    Gesamteindruck:
    2 von 5
    Klang:
    5 von 5
    Künstlerische Qualität:
    3 von 5
    Repertoirewert:
    3 von 5

    Schumann oder Mozart?

    Exquisite Ausgabe mit einem riesigen Booklet und einem interessanten Interview mit dem Dirigenten, einem virtuosen Orchester, vorzüglicher Aufnahmetechnik, aber leider einem befremdlichen Zugriff. Ausgehend von der fragwürdigen These, in Schumanns Sinfonien verrieten einen fragilen, hyperempfindsamen Charakter, verschlankt Michael Tilson Thomas Klang und Dynamik in Bereiche, die eher auf Mozart hinweisen denn auf diese mit dickem Strich gemalten, überaus robusten Finalsinfonien, in denen Schumann zeigt, wie planvoll und gezielt er Monumentalität erzeugt. Obwohl MTT die Größe des Orchesters mit 80 Spielern angibt (was einer mittleren Schumann-Besetzung entspräche), reduziert er die Streicher in gefühlt drei Vierteln der Partituren. Die Bläser besetzt er nur einfach, was leider heute wieder die Regel ist, wo doch schon ältere Aufnahmen mit den Berlinern oder dem Philadelphia Orchestra zeigten (Furtwängler, Karajan, Lewine, Kubelik), wie triumphal diese Werke mit leuchtend durchdringenden verstärkten Bläsern klingen. (Im Aufnahmeprotokoll Furtwängler 1953 werden die Berliner mit "104 Herren" angegeben.)
    Die Es-Dur-Sinfonie schleppt in der Tat, wie mein Vorredner meinte, grau dahin, jedoch sind langsame Tempi keineswegs die Regel bei dieser Kassette. Nach den eindrucksvollen Ives-Aufnahmen MTTs war ich neugierig auf seinen Schumann, rate nach dem Durchhören aber ab.
    Hulda (Oper in 5 Akten) Hulda (Oper in 5 Akten) (CD)
    06.10.2021
    Booklet:
    5 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    5 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    5 von 5

    Raritärensensation mit Weltpotential - feuriges Plädoyer für den unbekannten Opernkomponisten César Franck

    Die Studioaufnahme von Francks Oper Hulda aus dem Freiburger Konzerthaus gleich hinter dem Freiburger Theater erreichte mich bereits gestern, 17 Tage vor dem angekündigten Erscheinungsdatum, und ich habe sie, nach Lesen des ausgezeichneten Vorworts des Freiburger Musikdramaturgen Heiko Voss, auch gleich aufgelegt. Was schon bei der Inszenierung des Werks 2019 zu erkennen war (obwohl Bühnengeräusche manche Musikstelle übertönten und ein paar Umstellungen und Kürzungen an der Partitur vorgenommen waren), bestätigt sich hier: das Werk ist mehr als kennenlernenswert, und der Komponist und Dirigent Fabrice Bollon, der wußte, warum er sich so lange für eine deutsche Erstinszenierung 133 Jahre nach Vollendung der Oper einsetzte, dirigiert mit Feuer und einem heute selten, ja selten in der gesamten Geschichte der Tonaufzeichnungen zu erkennenden Verständnis für Franck. Ich bin sehr beeindruckt und empfehle diese Raritätensensation jedem Freund des Musiktheaters, César Francks und überhaupt der Musik, denn diese machtvolle Komposition hört sich spannend bis zur letzten Note an, selbst wenn man von der Handlung wenig weiß. (Und übrigens auch bei Französischkenntnissen vermutlich nicht alles versteht – die Artikulation mehrerer der Mitwirkenden könnte man als eines von wenigen Kriterien kritisch anbringen.)

    Die Handlung wird perfekt im dreisprachigen Booklet zusammengefaßt. Die auf CD 2 und den Tracklisten angegebene Akteinteilung ist inkorrekt: der vierte Akt beginnt bereits auf CD 2 bei Track 8. Preis und Ausstattung der Kassette sind sensationell, eine deutsche Rohübersetzung des Librettos ist online herunterzuladen.

    Heiko Voss liest die Handlung (die auf ein frühes Werk immerhin des späteren Nobelpreisträgers und langjährigen Konkurrenten Henrik Ibsens, Bjørnstjerne Bjørnson, zurückgeht) in einer aktualisierenden Weise, die mir sehr entgegen- und ganz sicher dem nahekommt, was der Komponist tatsächlich dachte. Ich glaube allerdings nicht, daß Franck „einer der größten Orgelvirtuosen des Jahrhunderts“ war (wohl Improvisator) und Wagner „so sehr bewunderte“. Dafür gibt es in der Biografie keine eindeutigen Hinweise. Beim Anhören der Hulda sollte man Wagner eher ausblenden. Fast ungeniert, jedoch durch latente Bänder verbunden (für die man die drei CDs mehrmals hören muß) bedient sich Franck konventioneller und neuartiger Elemente im Wechsel: konventionelle für die gesellschaftliche Schauseite der Handlung mit ihrer umfangreichen Chorpartie und einem eingelagerten, säuberlich in Einzelnummern untergliederten Ballett, und neuere für die verstörten, durch Menschenraub, Mord, Zwangsverheiratung und Rachegedanken aus dem Gleichgewicht geratenen Individuen. Diese Ebenen wechseln – eklatanter Gegensatz zu Wagner – so zügig und vielgestalt aufeinander, daß es mir wenigstens so erging, daß ich nicht eher pausieren wollte, ehe ich die 2h43m Spieldauer durchgehört hatte.

    Voss läßt keinen Zweifel daran, daß Hulda das Werk eines Meisters ist und keineswegs an den Tücken eines minderwertigen Librettos, wie immer wieder zu lesen stand, scheiterte. Ganz im Gegenteil lassen sich kolonialismuskritische Züge erkennen, die auf eine gezielte, hoch politische Textwahl deuten und erklären würden, warum der Mensch und Künstler César Franck zeitlebens auf Distanz zu den einflußreichen Schichten seiner Zeit und also auch ihren Theatergewohnheiten ging. Menschenfreundlich in seinem Verhalten gegenüber dem einzelnen, blieb der freiheitsliebende aber bescheiden lebende Künstler unangepaßt im Hinblick auf die politischen Entwicklungen und ein harter Kritiker der Konsumgesellschaft. Dies bestätigt auch ein Blick auf die der Hulda vorausgegangenen Oratorien. Eine Ausnahmestellung bildet nur die aus einer Wutsituation im belagerten Paris erklärliche gleichnamige Ode patriotique, auf die Voss dankenswerterweise in diesem Zusammenhang hinweist. (Dieses wertvolle zehnminütige Orchesterstück mit Gesang durfte ich vor zwei Jahren im Hamburger Canticus-Musikverlag erstmalig edieren und, wegen des zu situationsgebundenen Textes, mit dem Angebot einer alternativen Besetzung der Gesangsstimme mit Saxophon oder Alternativen verbinden.)

    Die mehr als manche ausführliche Biografie über Franck verratende Einführung trifft in dem einen Punkt nicht ganz zu, daß die Komposition der zweiten reifen Oper des Komponisten, Ghiselle, kompositorisch nicht mehr abgeschlossen worden sei. Dies betrifft nur die Instrumentation, die nach seinem Tod von seinen Schülern geradezu verblüffend gut vervollständigt worden ist. Da ich durch den niederländischen Konzertmitschnitt das Werk inzwischen in dieser Gestalt studieren durfte, bietet sich ein Vergleich an: Gegenüber dem abgerundeten, Wünsche nach einem emotional ausatmenden Ende befriedigenden Musikdrama Ghiselle endet die Musikdrama und Grande opéra verknüpfende Hulda schroff, beinahe abgeschnitten. Dieser Eindruck mag durch das mir hier zu rasch angezogene Tempo Fabrice Bollons gefördert werden, könnte aber auch im Konzept Francks grundgelegt sein: Der Komponist wollte die in der Handlung angelegten Verstörungen und Verwüstungen nicht mit einem runden Schluß bedienen. Die Handlung ist beherrscht von wechselseitiger Zerstörung und endet in einem Akt der Selbstzerstörung – Zeichen des Krieges, des Kapitalismus und des Kolonialismus – und spiegelt sich in einer Musik, die beinahe auseinanderfällt. Hier haftet diesem unglaublich spannenden Werk vielleicht ein Rest Experimentalcharakter an. Mehrfaches Wiederhören mag zur Klärung je nach Geschmackslage beitragen. Franck wäre ein halbes Jahrhundert später vielleicht in die Atonalität übergegangen. Selbst bis zu den sinnverwandten Schlüssen bei Salome oder Elektra einige Jahrzehnte später war noch ein Weg zurückzulegen, aber der Mangel kann, was bei Franck-Interpretationen leider öfter passiert, an dem arg scharf genommenen Tempo liegen.

    Mit dieser erstrangigen Veröffentlichung geht mir persönlich ein seit den 1970er Jahren gehegter Wunsch in Erfüllung. Die exzellente Erstproduktion der ursprünglichen Hulda, aufgenommen und herausgegeben im vollen Bewußtsein ihrer repertoiregeschichtlichen Verantwortung, hat eine enorme Verbreitung verdient. Das Werk sollte, nach der aktuell immer noch anhaltenden Zwangspause und einer hoffentlich einmal wieder möglichen Renaissance der freien Theaterkultur, an allen großen Häusern die Runde machen.

    Klauspeter Bungert
    Trier, den 23. September 2021

    ________________________

    Nachtrag (4. Oktober 2021)
    Nach mehrfachem Anhören des Werks bestätigt sich für mich ein weiteres Mal, daß Franck zu den Komponisten gehört, die ihren Kritikern wohl doch immer überlegen bleiben. Mich faszinieren die Klarheit der Schreibweise, die Integrität der Ausführung. Jeder minimalste Übergang ist aufs erlesenste gelöst, jeder Augenblick erweist die proportional richtige Entscheidung.

    Kennzeichnend für die formale Anlage der Hulda ist das immer wiederkehrende Zurückfallen des thematischen Materials zum Ausgangspunkt sowohl innerhalb kleiner Motivzellen wie getrennt über mehrere Takte. Die Füllung der Zwischenräume erfolgt durch drehthematische Wendungen. Ununterbrochen entstehen mit schier unerschöpflichem Einfallsreichtum Varianten dieser beiden Elemente. Franck arbeitet unablässig mit seinem minimalen Material, in einer Ökonomie und Dichte, die ohne idiomatischen Anklang an der durchbrochenen Arbeit Haydns und Beethovens anknüpft.

    Das proportional schwankende Wechselspiel der Kontrastelemente durchzieht alle Ebenen der Partitur und läßt sie umso einheitlicher erleben, je mehr man sie kennt. Das zurückfallende Element ist, in Begriffen des Librettos, konnotiert mit „Schicksal“, das drehthematische mit „Liebe“. Das zurückfallende symbolisiert die gesellschaftliche Konvention, das drehthematische den individuellen Protest.

    Gesellschaft und die ihr entgegenstehende Gefühlswelt alternieren zunächst in leicht unterscheidbaren, harmonisch entwickelten Großabschnitten. Das gesellschaftliche Element krönt im Ballet allégorique mit seinen deutlich abgesetzten Einzelsätzen und regelmäßigen Melodieperioden. Hiernach aber setzt, unter strenger Wahrung des subthematischen Ausgangsmaterials, eine Art formaler Selbstdemontage, bewußt herbeigeführten Kohärenzverlustes ein. Die nach dissonanzenreichen Entwicklungen konventionell einlenkenden Bestätigungen der neuen Tonart c-Moll in den abschließenden 60 Sekunden betonen den Rückfallmodus: die Gesellschaft behält das letzte Sagen. Nach einem kurzen Schreckensmoment zeigt sie unbeirrt ihre starren Mauern.


    2 Kommentare
    Anonym
    04.10.2021

    Statt eines Nachtrags

    Nach mehrfachem Anhören des Werks bestätigt sich für mich ein weiteres Mal, daß Franck zu den Komponisten gehört, die ihren Kritikern wohl doch immer überlegen bleiben. Mich faszinieren die Klarheit der Schreibweise, die Integrität der Ausführung. Jeder minimalste Übergang ist aufs erlesenste gelöst, jeder Augenblick erweist die proportional richtige Entscheidung.

    Kennzeichnend für die formale Anlage der Hulda ist das immer wiederkehrende Zurückfallen des thematischen Materials zum Ausgangspunkt sowohl innerhalb kleiner Motivzellen wie getrennt über mehrere Takte. Die Füllung der Zwischenräume erfolgt durch drehthematische Wendungen. Ununterbrochen entstehen mit schier unerschöpflichem Einfallsreichtum Varianten dieser beiden Elemente. Franck arbeitet unablässig mit seinem minimalen Material, in einer Ökonomie und Dichte, die ohne idiomatischen Anklang an der durchbrochenen Arbeit Haydns und Beethovens anknüpft.

    Das proportional schwankende Wechselspiel der Kontrastelemente durchzieht alle Ebenen der Partitur und läßt sie umso einheitlicher erleben, je mehr man sie kennt. Das zurückfallende Element ist, in Begriffen des Librettos, konnotiert mit „Schicksal“, das drehthematische mit „Liebe“. Das zurückfallende symbolisiert die gesellschaftliche Konvention, das drehthematische den individuellen Protest.

    Gesellschaft und die ihr entgegenstehende Gefühlswelt alternieren zunächst in leicht unterscheidbaren, harmonisch entwickelten Großabschnitten. Das gesellschaftliche Element krönt im Ballet allégorique mit seinen deutlich abgesetzten Einzelsätzen und regelmäßigen Melodieperioden. Hiernach aber setzt, unter strenger Wahrung des subthematischen Ausgangsmaterials, eine Art formaler Selbstdemontage, bewußt herbeigeführten Kohärenzverlustes ein. Die nach dissonanzenreichen Entwicklungen konventionell einlenkenden Bestätigungen der neuen Tonart c-Moll in den abschließenden 60 Sekunden betonen den Rückfallmodus: die Gesellschaft behält das letzte Sagen. Nach einem kurzen Schreckensmoment zeigt sie unbeirrt ihre starren Mauern.
    Klauspeter Bungert, 4. Oktober 2021 (www.klauspeterbungert.de)
    KlpB Top 100 Rezensent
    29.11.2023

    Nachtrag des Verfassers nach zwei Jahren

    Nach wiederholter Gegenüberstellung mit der jüngeren belgischen Gesamtaufnahme fällt mein Plädoyer klar für diese NAXOS-Aufnahme aus. Und zwar wegen des wunderbaren Dirigats. Fabrice Bollon, nicht nur engagierter Propagandist wertvoller Raritäten der französischen Musik, sondern auch selber Komponist, versteht sich ungleich besser als sein Konkurrent Gergely Madaras nicht nur auf satztechnische Feinheiten, rhythmische Übergänge, die Abmischung der Orchesterfarben, sondern auch auf Francks unvergleichbare Regie über den Bau dieser stolzen Partitur und, wenn so etwas nachweisbar sein soll, den dramatischen Ausdruck. Versuche im Beihefttext, das Werk in die Nähe Wagners zu rücken, führen übrigens ebenso ins leere wie das Herbeizitieren von Verdi beim Lütticher Konkurrenzunternehmen. Bollon liefert eine der leider so seltenen angemessenen Franck-Interpretationen.
    Psyche Psyche (CD)
    23.09.2021
    Booklet:
    3 von 5
    Klang:
    5 von 5
    Künstlerische Qualität:
    2 von 5
    Repertoirewert:
    5 von 5

    Lasche Interpretation

    Psyché: Was die Rezensenten immer mit Wagner haben, wenn sie Franck hören und eigentlich nichts mit dem Gehörten anzufangen wissen! Es stimmt, daß die vorliegende Aufnahme einige berückend schöne Klangmomente vorweist, es ist die bisher mit den modernsten Möglichkeiten aufgenommene Version dieses Meisterwerks. Leider ist es aber auch eine der spannungslosesten und beliebigsten. Das fängt an mit der völlig indiskutablen Zusammenziehung des ersten und zweiten Satzes, setzt sich fort mit dem Verschlafen großer Spannungsaufbauten und krönt in der ratlos machenden Art, wie der Dirigent den hochexpressiven Cellokontrapunkt in der Apotheose zu einer quasi im doppelten Tempo heruntergespulten Etüde degradiert. Welch ein Gegensatz zu der sensationellen Ersteinspielung von Francks Meisteroper Hulda!
    Hier sollte man lieber tiefer in die Tasche greifen und die seit Erscheinen zuverlässig erhältliche Einspielung unter Otaka erwerben. Sie ist nicht optimal, aber immerhin näher am Gemeinten.
    Die beiden kürzeren Einspielungen ringen um einen Geschwindigkeitsrekord, die von "Les Éolides" immerhin mit Charme.
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    Klaviersonaten Nr.21-23 Klaviersonaten Nr.21-23 (CD)
    06.10.2020
    Booklet:
    5 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    5 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    4 von 5

    Der Titel ist Programm

    Die brandneue CD des Hamburger Pianisten und Musikprofessors Mathias Weber vereint die drei mittleren Klaviersonaten Ludwig van Beethovens, opera 53, 54 und 57, die Waldstein-Sonate op. 53 allerdings erweitert durch deren ursprünglichen Mittelsatz, den Beethoven später ohne Opuszahl getrennt veröffentlichte (Andante favori). Das CD-Format bietet optimale Möglichkeiten, eigene Varianten dieser Sonate auszuprobieren und die Diskussion, die der Pianist anreißt über die bestmögliche Fassung, selbsttätig fortzusetzen: Webers Fassung: 1 bis 4; ursprüngliche Fassung: 1/2/4; veröffentlichte Fassung: 1/3/4; denkbare nur aus den umfangreichen Ecksätzen bestehende Fassung: 1 und 4.
    Die nachkomponierte Introduzione (Track 3) überzeugt mich vom Kompositorischen mehr als 2 (Andante grazioso con moto), bei dem bei aller Sanglichkeit des Hauptthemas der frühe Beethoven mit allerlei Spielkram doch noch oft durchschlägt (besonders zwischen Minute 1:45 und 2:10, dazu einige wenig überzeugende Rückleitungen zum schematisch eingehaltenen Refrainmodus). Sie wirkte auf mich jedoch immer etwas wie ein Fremdkörper inmitten der entscheidenden Ecksätze und ergab mit diesen zusammen nie so recht überzeugende Proportionen. Die Ecksätze allein wiederum wollen auch kein Ganzes ergeben. Bei der viersätzigen Fassung finde ich – bei späterem Wiederhören mag sich der Eindruck relativieren – die sich wiederholende Rondostruktur von Andante und Rondo beeinträchtigend für die Gesamtwirkung. Auf jeden Fall bringt Weber eine interessante Diskussion ingang, die nicht so schnell abzuschließen sein dürfte.
    Die geistige und pianistische Leistung: schlechterdings sensationell! Unterstützt von einem Instrument, das die tiefen Register klar zeichnet ohne jedes Gebrummel. Ein Instrument voller Klarheit und Fülle, erbaut von dem französischen Pianisten, emeritierten Professor, Klavierkonstrukteur und Instrumentenbauer Stephen Paulello. Beethoven wäre begeistert gewesen!
    Dem besonnenen Spiel Webers, das dennoch spieltechnische Risiken mühelos integriert, etwa bei dem nicht jedem Pianisten anatomisch zugänglichen Oktavenglissando im Prestissimo Waldstein, merkt man auf Schritt und Tritt die wissende Perspektive des Komponisten an, der spannungsvoll aufs Ziel hin disponiert. Ein so überzeugendes, kluges Beethoven-Spiel ist mir selten begegnet. Mit kleinsten Verzögerungen setzt er wichtige spannungsfördernde Akzente (wie bei den überraschenden Änderungstönen bei den Fermaten im Kopfsatz Waldstein). Auch den Kopfsatz der zweisätzigen F-Dur-Sonate op. 54, dem ich immer aus dem Wege ging, weil er mir zu schematisch erschien, weiß Weber hierüber spannend zu gestalten.
    Auch satztechnisch stellt er Beethoven vielfältiger – und sorgfältiger – dar, als man ihn gemeinhin kennt: die Oberstimme erhält interessante Konkurrenz. Absolut herausragend, ein wundervoller Beitrag zum ja weitgehend ins Corona-Wasser gefallenen Beethoven-Jahr!
    Zwei Kleinigkeiten gibt es auch, die ich anders gestaltet hätte: auf der drittletzten Note in der Triller-Variante des Rondothemas Waldstein, beim Einklang also, fehlt mir ein Akzent. Umgekehrt ist mir der Akzent auf der zweiten Sechzehntel im dritten Takt Allegrettothema op. 54 zu scharf.
    Und last but not least die Appassionata op. 57 – vielgespielt und von abgenutztem Dauergetöse bedroht, läßt Weber sie neu hören, wie eine Sinfonie, bei der der Dirigent jeder Spur neu nachgeht und jedem Instrumenteneinsatz seine Frische zurückgibt.
    Kongenial zum Pianistischen gelang auch der essayistische Beitrag. Die Aufnahmetechnik (Guido Hahnke) transportiert einen reinen warmen Klang – eine Publikation, die den Hörer (und Leser) zum denkenden Mitvollzug und interessanten Blick in Beethovens Kosmos verführt.
    Klauspeter Bungert, Trier
    Der Aufstand der Tiere - die große Wende Sigrid Ertl
    Der Aufstand der Tiere - die große Wende (Buch)
    04.09.2020

    Zurück zu (mehr) Natur – ein kurzweiliges Buch für alle Altersklassen

    Der kategorische Imperativ Immanuel Kants – volkstümlich: „Was du nicht willst, daß man dir tu, das füg auch keinem andern zu!“ – sollte aller Zivilisation voranstehen. Aber ist es der Fall? Erfährt der Satz nicht täglich seine Einschränkung: auf die Menschen des eigenen Kulturkreises, der eigenen Schicht, der eigenen Sippe? Und kann er einen Zustand erzeugen, der den Namen gerecht verdient, wenn er, in schlechter Tradition, alle nichtmenschlichen Mitgeschöpfe ausschließt?
    Sigrid Ertl wirft in ihrem hinreißend erzählten kleinen Roman die Frage auf: Was wäre, wenn die Tiere eine gemeinsame Sprache fänden und sich gegen ihre Schinder solidarisierten? Sie nimmt die Herausforderung an. Und sogleich purzeln dem Leser die Schandtaten entgegen, nein: fliegen ihm um die Ohren, die der Mensch sich durch sein vandalisches rohes Verhalten hat zuschulden kommen lassen.
    Dennoch schrieb Ertl kein trauriges Buch. Es gibt eine Lösung. Und bis es dahin kommt (nach einer sabotierten Jagd, einer Schlachthoferstürmung, einer Besetzung des Internets und anderem) , erfreut es den Leser mit Darstellungen von Sonderlingen und witzigen Charakteren. Es ist eine Kritik an immer beherrschender werdendem Digitalismus und immer mehr das menschliche Leben inzwischen selber bedrohender Naturferne. Es ist Zeitkritik, Satire, Parabel und Utopie zugleich, spannend für Leser aller Altersgruppen vielleicht ab 12, wenn sein Anspielungsreichtum auch erst vom Erwachsenen erfaßt werden dürfte.
    Das bekannte „Zurück zur Natur“ ertönt heute eindringlicher, vordringlicher und wortwörtlicher als zu Rosseaus Zeiten. Sigrid Ertl kennt sich im Zusammenwirken von Flora und Fauna aus und weiß, was die Stunde geschlagen hat. Bei aller Betroffenheit, Empörung und Wut gelingt es ihr, den deutlich erkennbaren Appell ohne Belehrung und Predigt zu vermitteln. Sie schreibt mit leichter, beschwingter Hand, mit Wärme und Freundlichkeit und belohnt den Leser auf jeder Seite mit spannenden Wendungen. Bezaubernd!
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    Adventlied op.71 (Weltersteinspielung) Adventlied op.71 (Weltersteinspielung) (CD)
    21.06.2018
    Booklet:
    4 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    4 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    5 von 5

    Eindrücklich

    Ich bevorzuge bei Schumann große, ja sehr große Besetzungen und tue mich generell schwer, seine originalen Chor-Orchesterkompositionen wie hier mit kaum 50 Spielern und knapp 30 Choristen ausgeführt zu hören. Damit sind extreme dynamische Entwicklungen kaum darstellbar, wie sie zu Schumann ebenso unverzichtbar dazugehören wie die aparten Rücknahmen. Aber die hier vorliegenden Interpretationen sind so liebevoll, so sorgfältig ausziseliert, so treffend in der Tempowahl, daß ich konzentriert lausche und trotz des etwas fasrigen Klangbilds voller Spannung dabeibleibe. Das Adventlied, sicher nicht Schumanns spektakulärster Vertreter seiner kleinen Serie geistlicher Werke, aber in seiner Frische durchaus kennenlernenswert, liegt hier zum ersten Mal mal überhaupt auf CD vor. Schumanns Zusätze von Klarinette und Hörnern bei der Bach-Kantate - sehr "Bach-gerecht" musiziert - wirken geschmackvoll und würden ein häufigeres Aufführen der "romantischen" Bearbeitung rechtfertigen. Die Ballade ist vollends ein Prachtstück und liegt hier überdies differenzierter ausgeführt vor als in der einzigen mir bekannten Alternativaufnahme.
    Sehr empfehlenswert!
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    Ein Kommentar
    Anonym
    07.08.2018

    Zwei Alternativaufnahmen der Ballade

    Die Ballade vom Pagen und der Königstochter gibt es bei EMI mit dem Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf und den Düsseldorfer Symphonikern, bei Chandos mit dem Danish National Symphony Choir und dem Danish National Symphony Orchestra. Die letztere Einspielung ist auf CD vergriffen (ich besitze sie), aber weiterhin als Download erhältlich.
    Symphonie Nr.1 "An das Vaterland" Symphonie Nr.1 "An das Vaterland" (CD)
    23.01.2018
    Booklet:
    5 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    4 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    5 von 5

    Meisterwerk mit Abstrichen, die keine sind

    Die erste, das Preisträgerstück einer Ausschreibung Anfang der 1860er Jahre, ist mit 70 Minuten Aufführungsdauer zugleich die längste der elf Sinfonien Joachim Raffs. Sie folgt einem Programm, das in den Entstehungsjahren die Gemüter bewegt zu haben scheint und die vaterländischen Themen erklärt - volkstümliche Weisen, die heute ähnlich vergessen sind wie die meisten der Studentenlieder, die Brahms in der Akademischen Festouvertüre verwendete. Die Simplizität, das Gassenhauerhafte dieser volkstümlichen Abschnitte sind es auch vielleicht, die einen heutigen Hörer von der brillanten Proportionierung des Gesamtwerks und seinen phänomenalen melodischen Kombinationskünsten ablenken mögen. Bereits im ersten, fast 18minütigen Satz entspinnt sich aus einem unscheinbaren Anlaß eine ausgedehnte Fuge mit fulminanten Engführungen. Im weiteren Verlauf gibt es analoges wieder und im vierten der fünf Sätze sogar eine längere Passage, in der zwei Hauptstimmen derart unabhängig voneinander musizieren, als wären hier zwei fremde Musikstücke zufällig passend zusammengeratene . Ähnliches findet man m.W. nur bei einigen avantgardistischen Kompositionen César Francks (ebenfalls 1822er Jahrgang) und dann wieder in der Moderne des frühen 20. Jahrhunderts, Carl Nielsens Aladdin-Suite etwa und den Collagen des Amerikaners Charles Ives.
    Manche behaupten, Raff habe keinen eigenen Stil entwickelt. Wer mehrere Kompositionen von ihm kennt und von ihrem Feuer und rhythmischen Imlpus erfaßt wird, erkennt spätestens an solchen kontrapunktischen Kabinettstückchen, woher der Geist weht. Auch die - in Anbetracht des Themas fraglos beabsichtigten - Anspielungen an Variationsformeln in Beethovens 9ter und an sinfonische Dichtungen des anfänglichen Förderers Franz Liszt bleiben Anspielungen, sind keine Kopien.
    Die mit zyklischen Querverbindungen abgedichtete Form erschließt sich kaum ganz beim ersten Hören. Entdeckungen sind beim Neuauflegen der gut kommentierten Scheibe garantiert. Die vorliegende Interpretation unter Samuel Friedman trifft ohne Unter- oder Übertreibung das Maß dieser ausgetüftelten und dennoch natürlich strömenden Musik ausgezeichnet.
    Symphonien Nr.1-4 Symphonien Nr.1-4 (CD)
    11.08.2017
    Booklet:
    4 von 5
    Gesamteindruck:
    4 von 5
    Klang:
    4 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    4 von 5

    Eine immer noch anregende Gesamteinspielung

    Mein Eindruck im einzelnen:
    1. Sinfonie: wunderbar aufgebauter erster und zweiter Satz, differenziert und organisch, im Klang auffallend Brahms-nah; Scherzo: atemlos; Finale, nicht ganz so verhetzt, aber immer noch eine Spur zu pauschal flott, um das bis in Satz 1 und 2 Entwickelte überzeugend zu krönen; man höre hier zum Vergleich Norrington / Stuttgart:
    2. Sinfonie: hätte ideal gelingen können, wenn der Maestro aus den Ecksätzen Tempodruck herausgenommen hätte;
    3. Sinfonie: Kopfsatz eine Spur helltönend "klassisch", die Mittelsätze sehr schön, das oft nur so mitlaufende "Nicht schnell" geradezu ideal; im Finale mindert die das polyphone Stimmengeflecht reduzierende Gegenüberstellung von Violin-dominierten und Blechbläser-dominierten Passagen die große Steigerungswirkung, die von diesem Finale ausgehen kann (vgl. Levine oder Bernstein);
    4. Sinfonie: in beiden konzeptionell und zeitlich nur wenig differierenden Einspielungen (Berlin 1971 Studio, Wien live 1987) grandios, insbesondere durch die große Verbreiterung im Durchführungsabschnitt des Finales schlüssige, keine Sekunde nachlassende Sicht auf das Werk.
    Von diesem Atem und persönlichen Engagement des Dirigenten profitiert auch die konkurrenzlos gut eingespielte Sinfonietta "Ouvertüre, Scherzo und Finale".
    Karajan läßt Schumanns Sinfonien absolut angemessen von mindestens 100 Musikern musizieren. Das hat Tradition bei Furtwängler, der nach einer Notiz des Aufnahmestudios im Mai 1953 mit den Berliner Philharmonikern in der Formation von "104 Herren" zu seiner berühmten Einspielung der Vierten antrat. Im Unterschied zu Bernstein besetzt Karajan nicht nur alle Holzbläserstimmen doppelt, sondern auch die Trompeten, eine der drei Posaunenstimmen, die (nur) zwei Hornstimmen der zweiten, anscheinend aber auch die vier in der vierten Sinfonie in der Berliner Version. Entsprechend stockt er bei den Streichern auf (bei Bernstein 60, 64 geringfügig mehr). Mit diesen zusätzlichen Reserven stellt Karajan Schumanns Tetralogie als extreme "Finalsinfonien" heraus, was sie fraglos - und gänzlich konträr zu jenem in die Jahre gekommenen Bild des Komponisten als eines labilen Temperaments - sind. In der 4ten gelingt Karajan dies darzustellen wie kaum einem anderen, in den anderen geht sein Kalkül aus unterschiedlichen Gründen nur mit Abstrichen auf.
    Vom Timbre ist mir Karajans Schumann nicht immer unabhängig genug vom tänzerisch Treibenden seiner Haydn-Beethoven- am einen und seidigen Glanz seiner Brahms-Auffassung am anderen Ende. Schumann bewahrt gewiß von jenem etwas und greift diesem oft voraus, aber seine Musik geht nie darin auf. Es ist spannend zu verfolgen, wie der große Dirigent sich zwischen zwei Klangwelten, die ihm wie die Muttersprache vertraut sind, seinen Weg zu Schumann sucht.
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    10.08.2017
    Gesamteindruck:
    2 von 5
    Klang:
    2 von 5
    Künstlerische Qualität:
    2 von 5
    Repertoirewert:
    5 von 5

    Übervorsichtig

    Anfangs davon angetan, daß der zweite und dritte Satz ausnahmsweise nicht in überhetzten Tempi erklingen, stört mich die betuliche Vorsicht und die schmalbrüstige Beleuchtung der angeblichen "Nebenstimmen" der Sinfonie, die selten so fad und vorsichtig erklingt wie hier.
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    17.04.2017
    Booklet:
    4 von 5
    Gesamteindruck:
    4 von 5
    Klang:
    4 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    5 von 5

    (Fast) unbekanntes Meisterwerk

    Extremer als im Fall der mehrsätzigen sinfonischen Dichtung mit Chor "Psyché" von César Franck klaffen Wert und Bekanntheitsgrad eines Werks selten auseinander. Neben "Les Béatitudes" beansprucht vielleicht kein anderes Stück des Komponisten derart mächtig einen ersten Platz in dessen Oeuvre - ja: innerhalb der gesamten Musikgeschichte. Selten anderswo verbinden sich eine derartige Komplexität mit einer derartigen Klarheit, eine derartige Strenge mit einer derart fulminanten Ekstase zu einer Partitur, deren Vollkommenheit den Abgebrühtesten das Staunen lehrt. Und wie so oft bei diesem überaus selbstkritischen, immer noch von vergleichsweise wenigen Kennern in seiner Kraft und Größe erkannten Meister der großen Form scheint er auch im Fall der "Psyché" das Maß dessen überzustrapazieren, was Kräfte normalerweise zu leisten vermögen.
    Die längere Zeit einzige wirklich vollständige Einspielung der 50minütigen Komposition auf dem Markt wird getragen von einem eminenten Ernst gegenüber der Partitur. Der gerinnt unter der Hand mitunter zu einer gewissen Steifheit. Man wünscht sich ein größeres, sehr viel größeres Orchester, einen geschmeidiger in den raffinierten, "skrjabinschen" Alterationen changierenden Chor, eine entschiedener schwelgerische Note, doch dürfte in absehbarer Zeit kaum eine Wiedergabe erscheinen, die die großartige Kontrapunktik und dramaturgische Balance dieses Tongebäudes gewissenhafter und durchhörbarer nachzeichnen wird.
    Die relativ populäre Tondichtung vom "Verwunschenen Jäger" in Ergänzung der CD sollte wohl deren Kauf befördern, bringt interpretatorisch gegenüber einigen Konkurrenzaufnahmen aber wenig Zugewinn.
    Wie bei vielen Franck-CDs muß man den Lautstärkeregler höher stellen. Dynamischer Ausschlag und oft kompaktes Klangbild machen offensichtlich ein vorsichtiges Einpegeln bei der Aufnahme erforderlich. Bei durchschnittlicher Abhörlautstärke bekommt man die Facetten wenig mit, die Höhepunkte bleiben zu leise, die leisen Stellen mager.
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    Booklet:
    5 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    5 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    5 von 5
    Eine der ungeachtet ihrer vergleichsweisen Unbekanntheit schönsten lateinischen Trauermusiken der Musikliteratur in der neben der unter Sawallisch gelungensten Aufnahme, eine noch viel unbekanntere, wohl überhaupt erst einmal zuvor aufgenommene hörenswerte Chorballade und das Nachtlied op. 108 als drittes Juwel dieser Veröffentlichung laden hier zum genauen Hinhören ein. Kompositionen und Interpretation beeindrucken stark. M.E. einziger Schwachpunkt: der Tenor, der wie ein manchmal mühsam hochgezogener Bariton klingt und seltsam unzusammenhängend phrasiert. Toitoitoi haben der fantastische Chor und das Orchester in dieser Zusammenstellung das hauptsächliche Sagen. Glückwunsch!
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    Booklet:
    4 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    5 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    4 von 5

    Hinreißende Erste

    Strahlender Höhepunkt dieser Einspielung der gezählt drei ersten und der Urfassung der gezählt vierten Sinfonie: die erste bzw. "Frühlings"-Sinfonie. So leuchtend farbig, erzählend schlüssig, anhaltend frisch und ausgefeilt hört man sie selten. In der zweiten wirken bei sonst angemessenen Tempi das erste Scherzo-Einschiebsel und das Adagio zunächst zu leichtflüssig, in der dritten der Mittelsatz und die Kleindynamik in beiden zu verhalten, um einen begeisternden Eindruck zu hinterlassen. Aber man sollte vorsichtig folgern. Dies sind Interpretationen zum mehrfachen genauen Hinhören, Einzelheiten-Nachspüren. Norringtons Versionen sind etwas ganz Besonderes, sie zeigen einen fast "privaten" Blick auf die hinter den Werken stehende Person.
    Die d-Moll-Sinfonie erklingt in der (mutmaßlichen?) Fassung von 1841. Schumann hat das Werk später überarbeitet, erfolgreich aufgeführt und veröffentlicht. Die Detailunterschiede geben dem Schumann-Kenner reizvolle Vergleichsmöglichkeiten an die Hand, das Werk ist ähnlich frisch und zupackend musiziert wie die erste.

    Einige sehr filigran klingende Stellen im Mittelsatz der "Rheinischen" (Nr. 3) entspringen vermutlich weniger einer periodischen Reduktion des Streicherapparats als besonderen Pianoreserven aus der vibratolosen Spielweise, die Norrington dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart abverlangt. Das spielt insgesamt in durchaus opulenter großer Besetzung auf. Brahms-Besetzung mit wenig oder ganz ohne Vibrato vermittelt lohnende Alternativeindrücke.
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    Booklet:
    4 von 5
    Gesamteindruck:
    4 von 5
    Klang:
    4 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    5 von 5

    Mit herausragenden Raritäten, Interpretation gediegen

    Der österreichische Dirigent Christian Arming scheint etwas gegen orgiastische Steigerungen und monumentale Architektur zu haben - keine idealen Voraussetzungen, um die Musik des großen César Franck zu ihrer vollen Wirkung zu bringen. Der mittlerweile im dreistelligen Bereich verfügbaren Anzahl von Einspielungen der Sinfonie fügt er eine kaum von deren Mehrheit unterscheidbare Variante bei. Und die schon wieder unhinterfragt befolgte Aufführungstradition sieht für Mittel- und Schlußsatz viel zu schnelle Tempi vor, im Mittelsatz werden wie meistens erneut die ausdrücklich vorgeschriebenen Modifikationen übergangen, von den nicht ausdrücklich vorgeschriebenen, aber logisch aus dem Kontext abzuleitenden zu schweigen. Das führt wie immer dazu, daß der Mittelsatz neutraler, als er ist, und das Finale wie ein zwar logisches, aber eben halt Rechenexempel daherkommt. Die Erinnerungsmotive werden sozusagen mal flott wie alte Bekannte von der Haltestelle abgeholt. Die gewiß intendierte triumphale Wirkung würde da ganz andere Differenzierungen und Gewichtungen erfordern. Leider traut sich das keiner, obwohl es eigentlich längst aufgefallen sein müßte, daß Teil II und III dieser stolzen und perfekt proportionierten Sinfonie in der Regel bloß abgewickelt werden. Übrigens stelle ich mir für dieses Werk und generell César Franck erheblich sattere Orchesterbesetzungen vor, 60 Streicher als Untergrenze, mindestens verdoppelte Bläser etc.
    In echte Repertoirelücken springen dagegen Francks bereits vor Liszts Weimarer Epoche entstandene erste Sinfonische Dichtung (1846) und die Orchestersuite aus dem Ballett der Oper Hulda (1879 - 85). Von Ce qu'on entand sur la montagne ist es meines Wissens die zweite Einspielung weltweit. Gegenüber der ersten 1986 unter Brian Priestman wirkt diese feiner und intonationssauberer, aber auch konventioneller und weniger vollblütig. In diese Tendenz passend, sind einige dort ungewöhnlich erscheinende, aber vom avantgardistischen Komponisten sicher beabsichtige Reibungen zugunsten konventioneller Durchgänge "bereinigt". Trotzdem vermittelt auch diese Annäherung an eine mehr als sträflich vernachlässigte Zentralkomposition des 19. Jahrhunderts ein anziehendes Bild von ihrer stil- und formgeschichtlichen Ambitioniertheit. Es ist ein riesiger themenpluralistischer Satz, bei dem melodische und nichtmelodische Elemente gleichrangig gegenübertreten und eine neue Dimension des Polyphonen schaffen. Auch praktiziert Franck hier bereits die für sein berühmtes Quintett später, Les Eolides, die A-Dur-Fantasie, die Grande pièce symphonique und weitere Werke charakteristische Verkürzung der "Reprise" zu einem gegenüber der vielgeteilten "Exposition" prismatischen Zusammenschau.
    Die Ballettsuite aus Hulda wurde in der Orchestergestalt wohl noch nie auf CD eingespielt. Im Zusammenhang der Oper - einem Grand Opéra, Musikdrama, Sinfonie und avantgardistische Strukturen verschmelzenden Dreistundenereignis - würden Platz und Funktion dieser scheinbar so gar nicht nach Franck klingenden Einzelstücke klar, doch bis zu einer Rehabilitation des Komponisten von Hulda und Ghiselle wird man sich mit dieser 18-minütigen Kostprobe noch eine Weile begnügen müssen. Auch dies ein Beleg für, übervorsichtig ausgedrückt, ungerechte Entscheidungen der Kulturgeschichte. Aus dem Zusammenhang der Oper gerissen, fallen die fast schematische Gliederung der Musik in tänzerfreundliche Kurzphrasen einerseits, die schier moderne Harmonik, Stimmführung und Instrumentation andererseits als unerklärte Gegensätze auf. Ein Widerspruch, der sich aus dem Zusammenhang der Hulda lösen würde, in der gesellschaftliche Norm und Individualität des einzelnen bis in strukturelle Details gekennzeichnet, gegeneinander abgesetzt und in Zwangsverbindung miteinander gesetzt werden.
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    Die spiritistische Sitzung Minna Canth
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    04.01.2016

    Volksbühnentauglich

    Reizendes Volkstheaterstück der in Finnland als Autorin und Vorkämpferin für die Rechte der Frauen gefeierten Autorin, liebevoll übersetzt und herausgegeben von Nadine Erler. Canth geht hier nicht ihre "großen" Themen an, bewegt sich gleichwohl mit aufklärerischem Impuls in den Gefilden geistreichen Boulevards.
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    Die Familie des Pfarrers Minna Canth
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    04.01.2016

    Ibsen-nah, doch optimistischer

    Minna Canth, in ihrer finnischen Heimat als Autorin und Vorkämpferin für die Rechte der Frauen gefeiert,, ist bei uns wenig bekannt. Eine Begegnung lohnt sich aber. In einer kleinen Reihe des Verlags 28 Eichen übersetzte und edierte Nadine Erler mehrere ihrer Werke.

    Canth bezieht sich in ihrem vieraktigen Drama von 1891 auf die Gesellschaftsdramen des eine halbe Generation älteren Ibsen, schwächt dessen Pessimismus aber entschieden ab. Soviel sei verraten: diese Geschichte eines Zerwürfnisses zwischen einem Pfarrer, der die Säulen seiner Religion gefährdet sieht, und seinen andersdenkenden Kindern endet versöhnlich, geradezu wie der prophetische Entwurf eines den Faktor gegenseitiger Liebe nie mißachtenden Umgangs miteinander. Die Freiheit sei immer die Hauptsache, meint der aufrührerische Sohn. "Nicht doch, Jussi", relativiert die ältere Tochter und nimmt ihn bei der Hand, "die Hauptsache ist immer die Liebe."

    Bedenkenswerte Einsichten einer frei denkenden Autorin, die ihr weibliches Mitgefühl dem Kampf um Meinungsfreiheit und uneingeschränkte Selbstbestimmung nicht zum Opfer bringt. Bemerkenswert auch die im Stück verarbeiteten Einsichten in Funktion und Spielräume der Presse. Der Text ist liebevoll übersetzt unter Berücksichtigung einiger anscheinend landestypischer Anredeformen.
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    16.12.2015
    Booklet:
    5 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    5 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    5 von 5

    Liederabendkonzept der Extraklasse

    Kein Liebhaber klassischer Musik sollte behaupten, daß er mit dem Genre Kunstlied nichts anfangen könne, ehe er diese CD gehört hat. Sie bricht gleich mit mehreren Vorurteilen, und sie zeigt, wie vielfältig das Genre ist. Auch der eingefleischteste Skeptiker stößt hier leicht auf die eine oder andere Vertonung, die ihn vielleicht anregt, sich weiter mit der Gattung oder einem speziellen Komponisten zu befassen. Wenn man die, zugegeben, immer etwas melancholischen Schubert-Vertonungen den zwar ebenfalls ausdrucksvollen, aber doch distanzierteren eines Schumann oder den szenischen Miniaturen Liszts gegenüberstellt, dann mag es kommen, daß man sich neben Schumann plötzlich auch für Liszts kühnen Beitrag zum Kunstlied interessiert. Und daneben feststellt, daß auch eine Fanny Hensel und ihr kompositorisch etwas glatterer Bruder Felix Mendelssohn schwungvolle Sätze hinlegten. Aus der Gegenüberstellung zweier textgleicher Lieder einmal von ihr und Schubert darf man getrost heraushören, daß der Ehefrau und Mutter mehrerer Kinder ein Gefühl vertraut war, das Schubert als etwas Unerreichbares aus der Ferne besang.

    Es beschreibt einen besonderen Reiz der Zusammenstellung dieser CD, daß der gleiche Text in Vertonungen zweier, dreier, bei Goethes berühmtem Achtzeiler “Wanderers Nachtlied” sogar vier Vertonungen nebeneinander steht. Diese Bündelung nimmt dem Hörer die bei Programmen dieses Umfangs oft beschwerliche Mühe ab, sich ständig auf neue Aussagen einzustellen. Zugleich regt sie zu mannigfachem Vergleichen und Reflektieren darüber an, was Vertonungen leisten können und was sie über das Verständnis der Komponisten aussagen oder auch nicht.

    Zwei verhalten moderne Akzente – sieht man von der Neutöner-Schreibweise der Liszt-Beiträge ab – entstehen durch einen frühen Alban Berg und eine überraschende Vertonung von Goethes genanntem Nachtlied des Amerikaners Charles Ives, der freilich, kleines Versehen im gemeinsam von den Interpreten hinführend geschriebenen Beiheft, mit den Lebensdaten Mendelssohns zu früh und zu kurz ausgewiesen ist.

    Hinführend geriet den beiden Interpreten vor allem aber das gemeinsame Musizieren, der Umgang mit dem Text bzw. seiner tonmalerischen bzw. tonsymbolischen Einkleidung. Frei vom sterilen Akademismus musikalischen Standards erzeugt der Pianist Mathias Weber auf dem historischen Flügel der französischen Firma Érard von 1858 Klänge, die zum Assoziieren verführen. Der sauber geführte Tenor Knut Schochs liefert dazu in selten so gehörter Text- und Sinnverständlichkeit die Inhalte. Das ist paritätisches Musizieren auf höchstem Niveau.
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    Rodney Stone Sir Arthur Conan Doyle
    Rodney Stone (Buch)
    05.12.2015

    Von der Faszination des Sports

    Rodney Stone heißt der Erzähler dieser Geschichte, die Doyle im malerischen Südostengland Anfang des 19. Jahrhunderts spielen läßt.

    Er entfaltet darin ein üppiges Panorama der frühen, von Verboten bedrohten Epoche des modernen Boxsports. Er gibt Einblick in eine den Standesdünkel des beschäftigungslos gewordenen Adels nicht mehr akzeptierende Gesellschaft, und er analysiert die Verfaßtheit einer sportfixierten Nation zuzeiten der Bedrohung durch den übermächtigen Napoleon.

    Die Zähigkeit, Leidensbereitschaft und Entschlossenheit der Preisboxer wird in Beziehung gesetzt zu den englischen Soldaten, denen es nach jahrelangen Rückschlägen zu Land erst zu Wasser gelingen sollte, den Imperator von der Insel fernzuhalten und sich die Vorherrschaft über die Meere zu sichern. Der Held von Trafalgar, Admiral Nelson, bekommt ein eigenes Kapitel.

    Über diese äußeren Marker hinaus erklärt der Roman die Faszination des Schriftstellers Doyle und wohl aller Sportbegeisterten bis heute für den Leistungssport. Körperliche Schönheit, geschlechtsunabhängig (unabhängig von sexuellen Orientierungen übrigens auch), und die Verkörperung der Grenzen dessen, was die Gattung Mensch physisch und moralisch zu leisten vermag, bilden darin die Mitte.

    Doyle muß beim Schreiben ähnliche Strategien verfolgt haben wie seine Preisboxer: mit Ausdauer Thema und Form taxieren, vorausschauend reagieren, das Ziel auf bestmöglichem Weg erreichen.

    Ob er mit der Wahl der Krimi-Schauer-Nebenhandlung, die gegen Ende zwei lange Rückblenden erzwingt und wie Opernstoffen des frühen 19. Jahrhunderts entnommen wirkt, optimal beraten war, darf allerdings hinterfragt bleiben.

    Ungeachtet dieser Einzelheit trägt die von Standesdünkel unbeeindruckte Freundschaft des Erzähler Rodney zu Jim, dem sportlichen, aus einfachem Hause stammenden Schmiedegehilfen und Pflegling von Box-Exchampion Jack Harrison, auf hinreißende Weise über das ganze Buch.

    Übrigens war der Sport, das zeigt das an historischen Tatsachen orientierte Buch, bereits in dieser uns entrückt vorkommenden Zeit von kriminellen Machenschaften durchsetzt. Noch nicht vonseiten der Sportler selber, aber vonseiten manch eines, der sein Vermögen auf sie verpfändete. Zu den anrührend charmanten Episoden des Romans gehört die leider eher utopische Szene, in der der 17jährige Jim die dem Suff verfallene Exschauspielerin Polly Hinton vom Alkohol befreit. Wie ein grundsätzlich friedensfixierter Mensch wie Rodney Wehrertüchtigung als ein unverzichtbares Element einer Gesellschaft legitimiert, erhält in der angespannten Situation zu Beginn des 21. Jahrhunderts dagegen eine eher beunruhigende Aktualität.

    Die mustergültig redigierte deutsche Erstübersetzung entstand als Teamarbeit im Rahmen der berufsbezogenen Praktikumsseminare der Heinrich-Heine-Universität im Europäischen Übersetzerkollegium Straelen unter Mitwirkung und Leitung von Heike Holtsch. Es bleibt zu hoffen, daß von dieser Kooperation einer Uni mit einem Belletristikverlag eine Schubwirkung ausgeht für eine ausgedehntere Rezeption Doyles auch im akademischen Rahmen. Beim Niveau dieser Literatur ist das lange überfällig.
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