Von der Freiheit, jemand anderes zu sein und ihrem Preis
Daniela Dröscher erzählt in diesem Roman die Geschichte des George Psalmanazar, einer faszinierenden, rätselhaften Figur, die im London des 18. Jahrhunderts als angeblicher „Formosaner“ zu Ruhm gelangt. George taucht an der schottischen Küste auf, wirkt fremd, wild, spricht eine seltsame Sprache und erzählt von einem exotischen Land, das niemand kennt. Seine Geschichte wird von der Gesellschaft begierig aufgenommen – je unglaublicher seine Erzählungen, desto größer die Aufmerksamkeit, die ihm zuteilwird.
Die Autorin nähert sich ihrer Hauptfigur mit großer Feinfühligkeit. Indem sie George als jungen Mann schildert, entgegen den historischen Fakten, verleiht sie ihm eine Verletzlichkeit, die berührt. Es geht weniger um historische Genauigkeit als um die Frage, was einen Menschen dazu bringt, sich selbst neu zu erfinden – in Sprache, Aussehen, Herkunft und Rolle. Dabei bleibt George nie bloß ein Hochstapler, sondern wird zu einem Sinnbild für die Sehnsucht nach einem anderen Leben.
Frau Dröscher schreibt in einer klaren, poetischen Sprache, die Bilder schafft, ohne überladen zu wirken. Ihre Beschreibungen von Stadt, Büchern, Meer und Menschen sind feinfühlig und atmosphärisch. Der Roman entfaltet dabei eine besondere Mischung aus historischer Kulisse und literarischer Leichtigkeit.
Was mich beim Lesen besonders bewegt hat, war diese ständige Spannung zwischen Faszination und Beklommenheit. George zieht einen in seinen Bann, doch je länger man ihn begleitet, desto spürbarer wird die innere Müdigkeit seiner Lüge. Es gibt leise Momente der Nähe, etwa mit Lucy, der Tochter des Gelehrten Johnson – zarte, unsichere Augenblicke, die etwas sehr Menschliches freilegen. Immer wieder entsteht der Eindruck, dass unter all der Maske ein einsamer, suchender Mensch steckt.
"Der falsche Japaner" ist ein stiller, eindringlicher Roman über Identität, Fantasie und das Bedürfnis, gesehen zu werden. Er hat mich nachdenklich gemacht – über die Macht von Sprache, über Rollen, die man spielt, und über die feine Grenze zwischen Wahrheit und Wunsch. Es ist ein Buch, das leise nachhallt. 4 Sterne und eine Leseempfehlung.