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    LittleWalter Top 25 Rezensent

    Aktiv seit: 03. September 2010
    "Hilfreich"-Bewertungen: 1166
    486 Rezensionen
    Daddy's Home

    St. Vincent
    Daddy's Home (CD)

    5 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern
    14.05.2021
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    "Daddy`s Home" vermittelt übersprudelnden Ideenreichtum.

    Annie Erin Clark wurde 1982 in Tulsa, Oklahoma geboren und als sie sieben Jahre alt war, zogen ihre Eltern in die Einöde von Texas. Schon früh wurde das Mädchen vom Künstler-Virus infiziert, denn sie lernte bereits mit 12 Jahren Gitarre zu spielen und hatte das Privileg, als Teenager mit ihrem Onkel Tuck Andress vom Jazz-Duo Tuck & Patti auf Tournee gehen zu dürfen. Nach dem Abitur studierte das strebsame Talent an der Berklee School Of Music und nahm 2003 zusammen mit anderen Studenten unter dem Namen Ratsliveonnoevilstar eine EP auf. 2004 war es verlockender, sich dem ausgeflippten Chor The Polyphonic Spree als Gitarristin und Sängerin anzuschließen, als auf der Uni zu bleiben. Nach Stationen bei Glenn Branca, Arcade Fire und Sufjan Stevans war es Zeit für eine eigene musikalische Identität und für einen passenden Künstlernamen. Das Pseudonym St. Vincent wurde sowohl von der Großmutter wie auch vom Namen des New Yorker Hospitals inspiriert, in dem der Poet Dylan Thomas starb.

    Innerhalb weniger Jahre nach Veröffentlichung des ersten Longplayers "Marry Me" in 2007 hat sich St. Vincent dann vom Insider-Tipp über einen Kritiker-Liebling zu einer etablierten, festen Größe im Alternative-Rock gemausert. Dazu beigetragen hat sicherlich auch die Unterstützung renommierter Musiker wie David Byrne, mit dem sie 2012 die Platte "Love This Giant" aufnahm. Eine besondere Ehre wurde ihr jetzt durch Paul McCartney erwiesen, der sich persönlich für ihren Remix von "Women And Wives" auf "McCartney III Imagined" bedankte. Bei soviel Wohlwollen und Anerkennung ist die Erwartungshaltung an das neue Werk, welches am 14. Mai 2021 erschienen ist, besonders hoch.

    St. Vincent geht bei ihrem sechsten Solo-Album "Daddy`s Home" mit großem Selbstbewusstsein zu Werke und vertraut voll auf ihre Erfahrungen sowie den zahlreich erworbenen Fähigkeiten. Die neuen Schöpfungen wurden entsprechend zielsicher mit unverbrauchter Energie und großen Gesten ausgestattet. Der Titel der Platte spielt auf den Sachverhalt an, dass Annies Vater 2010 wegen Wirtschaftskriminalität inhaftiert wurde und nach dem langen Gefängnisaufenthalt wieder nach Hause kam. Die lange andauernde Verarbeitung der surrealen Situation, plötzlich eine enge Bezugsperson verloren zu haben und die Überlegungen, was eine Vaterrolle eigentlich ausmacht, inspirierten sie zu dem aktuellen Werk. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit hat auch Erinnerungen an die Musik zurückgebracht, die sie als Kind hörte und auch diese Eindrücke haben Spuren bei "Daddy`s Home" hinterlassen.

    Los geht es mit "Pay Your Way In Pain", wo nach einem Vaudeville-Intro kokette, kräftige Funk-Merkwürdigkeiten im Stil von "Come" (vom gleichnamigen Prince-Album) die Regie übernehmen. Oder sind hier etwa Streiflichter der Funk- und Disco-Pioniere aus den 1970er Jahren eingeflossen, die womöglich durch die Räume und Flure des Elternhauses von Annie hallten? Auf jeden Fall geistern David Bowies Ausflüge in schwarze Musik - und hier besonders der Song "Fame" von "Young Americans" (1975) - durch die Komposition. Der Bass pumpt kräftig und der Groove wird durch einige Breaks abgelenkt, was den Track in die Jetztzeit befördert. In dem Lied geht es um die tägliche Bewältigung des Alltags, die ohne Kampfeswillen nicht zu meistern wäre. Eindeutig retro-orientiert ist auch "Down And Out Downtown". Hier gibt es psychedelischen, harmonisch swingenden Jazz-Folk zu hören, wie er ab Mitte der 1960er Jahre von Fred Neil, Tim Buckley oder Pentangle entworfen und kultiviert wurde. Annie Clark trägt den Song voller Leidenschaft mit Würde und einer großen Portion Optimismus vor.

    Lasziver Nachtclub-Jazz hat den Track "Daddy's Home" geprägt. Das Stück verbreitet den distanziert-erwartungsvollen Charme einer Schleichkatze und die Frivolität einer Burlesque-Show. Eine lässige Eleganz - wie sie von Steely Dan`s "Gaucho" bekannt ist - umschlingt und umweht die Noten und bringt noch eine coole Cleverness mit ein, die den Song zu einem besonders raffinierten Kleinod werden lässt. Der perfekte Easy-Listening-Pop der Carpenters stand Pate für die zuckersüße Verpackung des zeitlupenhaften "Live In The Dream". Aber St. Vincent wäre nicht St. Vincent, wenn ihr nur diese eine Assoziation für die Gestaltung eines Songs reichen würde. Und so gibt es auch noch ein kurzes Gitarren-Solo, das sehr gut auf "Wish You Were Here" von Pink Floyd gepasst hätte.

    Country-Rock, Joni Mitchell-Referenzen, Space-Rock, spirituelle Gesänge und Fleetwood Mac-Pop-Harmonien sind nur ein paar Zutaten, die für "The Melting Of The Sun" zu einem betörenden Art-Pop-Gebilde zusammen geführt wurden. Der Song ist als Liebeslied an starke Künstlerinnen gedacht und symbolisiert unter anderem, dass edler Sanftmut wahre Stärke bedeutet.Das Chanson "The Laughing Man" wirkt mondän, souverän, ausgeglichen und frivol. St. Vincent zeigt sich als verführerische Dame von Welt, die alle um die Finger wickeln kann und die Gestaltungs-Fäden fest in der Hand hält. Das Lied ist also sexy, geheimnisvoll und entspannt zugleich.

    Der Disco-Funk "Down" wirkt euphorisierend und wurde angenehm vertrackt gestaltet. Es soll sich hier eigentlich um eine Rache-Phantasie handeln. Annie Clark versteht es aber, durch differenzierte Rhythmus-Linien zu überzeugen, statt wild aufzutrumpfen. Sie muss nicht klotzen, um leidenschaftliche Töne zu erzeugen, sie erschafft diesen Effekt schon alleine durch das gezielte Setzen von markanten Ausrufezeichen. Der Country-Folk-Pop "Somebody Like Me" weist Dream-Pop-Tendenzen auf, geht aber aufgrund seiner entwaffnenden Natürlichkeit zu Herzen. Die Krönung vollbringt hier Greg Leisz mit seiner hinreißenden, jauchzenden Pedal-Steel-Guitar-Einlage. "Liebe ist eine einvernehmliche Täuschung. Das ist für mich sehr poetisch und sehr romantisch.", sagt St. Vincent zum Inhalt des Textes.

    "My Baby Wants A Baby" ist ein klassischer Pop-Song, der von Wohlklang-Spezialisten wie den beinahe vergessenen Künstlern The Zombies, The Left Banke, Emitt Rhodes oder Seals & Crofts ersonnen worden sein könnte. Ist er aber nicht. Es ist ein Original von St. Vincent. Der Funk-Jazz-Pop "At The Holiday Party" wäre neben einigen anderen Songs auf dem Album in einer besseren Welt ein Radio-Hit. Das Lied hat alles, was ein Sympathieträger benötigt: Einen Gesang mit Wiedererkennungswert, eine einprägsame Melodie, einen Ohrwurm-Refrain und Ecken und Kanten, die den Track lange interessant und spannend halten.

    "Candy Darling" war eine transsexuelle Schauspielerin aus dem Umfeld von Andy Warhol. Diese Hommage an sie ist genauso einfühlsam wie wehmütig und schon nach kurzer Zeit vorbei. Wie das Leben der Protagonistin, die mit nicht einmal 30 Jahren in New York an AIDS starb. Auf dem Cover-Foto von "Daddy`s Home" zeigt sich Annie Clark in ähnlicher Kleidung und mit ähnlichem Haarschnitt wie die Warhol-Ikone. Um die vielen Eindrücke zu verwischen und Verwirrung zu stiften, werden an Position 6, 9 und 14 kurze, atmosphärisch verwehte Einspieler unter dem Namen "Humming (Interlude 1-3)" eingeblendet, die dem Werk eine geheimnisvolle Aura verpassen.

    Wird Annie Clark nur von ihrer Vergangenheit eingeholt oder hat sie den richtigen Zeitpunkt gewählt, um auf Spurensuche zu gehen und Bewährtes aus der Pop-Historie mit Umsicht, Feingefühl und kreativem Bewusstsein aufzuarbeiten? Egal, jedenfalls passt alles wundersam zusammen, denn "Daddy`s Home" ist das vielseitigste, stilistisch offenste Werk geworden, welches St. Vincent bisher veröffentlicht hat. Die intelligente Künstlerin wuchert mit Versatzstücken, die nicht unbedingt von tatsächlich existierenden Vorlagen entliehen sein müssen, aber zumindest den Eindruck hinterlassen, sie kämen aus dem kollektiven Bewusstsein der Pop- und Rock-Historie. Was das Album so stark macht, ist sein übersprudelnder Ideenreichtum, der nicht als Selbstzweck dasteht. Er wird vielmehr genutzt, um Songs ins Leben zu rufen, die überraschend sind, aber für den langjährigen Musikhörer etliche Referenzen bereithalten, so dass sie sofort heimisch und vertraut klingen, dabei aber originell und unverbraucht klingen. Das ist eine große Kunst, die nicht viele Musiker beherrschen. Chapeau!

    Das Album hat das Zeug dazu, auch noch am Jahresende so zu beeindrucken, dass es in den Bestenlisten von 2021 ganz weit oben steht. Zeitlose Brillanz und spannendes Songwriting kommen hier wie Nitro und Glyzerin zusammen, um ein Feuerwerk an Einfällen abzubrennen.
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    Slow Travels

    Liv Solveig
    Slow Travels (CD)

    5 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern
    14.05.2021
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Liv Solveig kombiniert beschwingten Pop, Singer-Songwriter-Ästhetik, Klassik und Jazz miteinander.

    Die Eltern von Liv Solveig Wagner kommen aus Norwegen und Deutschland. Sie wohnte als Kind und Jugendliche unter anderem in Tübingen und Stuttgart, hat in Karlsruhe Geige und in New York Jazz-Gesang studiert und lebt jetzt in Berlin. Auf ihrem Debüt "Slow Travels" verarbeitet die Musikerin unter anderem beschwingende Einflüsse aus Pop, Singer-Songwriter-Ästhetik, Klassik-Motive und Jazz-Themen. Die Jazz-Gesang-Ausbildung kommt in seiner ursprünglichen Form allerdings nicht so sehr zur Geltung. Der Titel des Werkes ist sinnbildlich für die lange Reise anzusehen, die bei Liv Solveig zu einer musikalischen Definition geführt hat, die sie selber als "Sinfonic Scandinavian Indie" bezeichnet.

    Alle Songs des Albums wurden übrigens schon 2017 fertig gestellt und damals mit einem Folk-Background versehen. So richtig zufrieden war Liv Solveig dann aber doch nicht mit den Aufnahmen. Deshalb überarbeitete sie die Songs und hat dabei noch entscheidende Änderungen vorgenommen. Die Corona-Einschränkungen gaben ihr die Muße, mit Abstand Zusammenhänge zu hinterfragen und aus den gewonnenen Erkenntnissen neue Schlüsse zu ziehen. So kam es, dass zum Beispiel akustische mehrmals durch elektrische Gitarren ersetzt und Songs gekürzt wurden. Letztlich kamen alle Details auf den Prüfstand und wurden abermals auf ihre Tauglichkeit hin untersucht.

    Dennoch sind grundsätzliche Prägungen geblieben: Die endlosen Landschaften Norwegens mit ihren Wäldern, Seen und Fjorden finden in den Liedern weiterhin ihren kühlen, bedächtigen, weitläufigen Widerhall. Entschleunigung und Achtsamkeit, haben bei der Entwicklung der Kompositionen eine große Rolle gespielt. Genauso wie Einflüsse, die aus der Beschäftigung mit klassischer Musik heraus entstanden sind. Da ihre Mutter Kirchenorganistin war, liefen Werke von Vivaldi und Bach im elterlichen Haus, waren aber auch bei der Geigen-Ausbildung wichtig. Dabei lernte sie nebenbei, welche wichtige Funktion Disziplin bei der Erlernung eines Instrumentes bedeutet. Beim Jazz-Gesang-Studium kam dann die Improvisation dazu. Neben einer guten Technik war jetzt auch Fantasie gefragt. So kamen Pflicht und Kür zusammen. Eine Paarung, die sich wie Yin und Yang ergänzen und sich bei der Erforschung von Grenzen und Unterschieden als nützlich erweisen. Dieses Rüstzeug lässt die Musik sowohl ernst wie auch verspielt erscheinen.

    Ein weiteres Bestreben von Liv Solveig ist es, Gegensätze harmonisch vereinen zu wollen: Lead- und Hintergrund-Stimmen sorgen bei "Cold Heart" für Anmut und Andacht, bevor Schlagzeug, E-Gitarre und Piano weltlichen Schwung und Ausgelassenheit verbreiten. Die Geige verbindet dann die konträren Emotionen zu einer Einheit und sorgt somit für den Klebstoff in dem sich dynamisch steigernden Song, während die Trommeln weiter unnachgiebig voran preschen. Für "Sleepless With Endless Thoughts" wird beschaulicher Folk in kräftigen Folk-Rock transformiert. Aus Lagerfeuer-Romantik wird somit ein weitläufiges, cooles Spaghetti-Western-Feeling abgeleitet. Schwüle, schleppend-hypnotische Voodoo-Percussion-Einschübe verleihen dem Stück zeitweise eine mysteriöse, fremdartige Stimmung.

    Die Piano-Ballade "Why Were You Smiling" ist zwischen nachdenklich und aufmunternd angesiedelt. Die Komposition verbindet also traurige Tonlagen mit positiv-optimistischer Pop-Leichtigkeit und generiert daraus demütige Anmut und eigentümliche Reize. "Words" taucht in dunkle Gefilde ab, die trübe und geheimnisvoll erscheinen. Die E-Gitarre flirrt eruptiv und dröhnt bedrohend, während die Rhythmus-Instrumente stetig die Atmosphäre aufwühlen. Im Hintergrund lodert flankierend eine beängstigende Untermalung auf. Liv Solveigs Lead-Gesang ist aber bemüht, sich nicht über Gebühr in eine Verunsicherung treiben zu lassen.

    "Start Again" ist ein zuversichtlich klingender Titel, die Musik dazu zeigt sich jedoch bedrückt, introvertiert und feinfühlig. Die teils gegen den Strich gebürsteten Streicher klingen wie zu Tönen gewordene Eiszapfen, überhaupt ist die Stimmung eher frostig als warm. Aber der Gesang transportiert zumindest eine tröstende, hoffnungsvolle Klang-Farbe und erscheint dadurch wie ein Licht am Ende des Tunnels. Das Licht wird mit "How Far" erreicht. Es geht voran, Tauwetter ist angesagt, die Natur erwacht, Aufbruchstimmung macht sich breit. Alle diese Assoziationen verbreitet dieser Pop-Song mit dem einprägsamen Refrain "How Far Is The Ocean? How Far Is The Moon? Can I Reserve A Place In Your Heart?"

    "Heartbeat Of Shibuya" verarbeitet Eindrücke, die Shibuya, ein Stadtbezirk von Tokyo, hinterlassen hat. In Shibuya liegt die berühmte Fußgänger-Straßenkreuzung, die oft in Reiseberichten zu sehen ist. Mit über 36 Meter diagonaler Länge ist sie die größte ihrer Art, bei der 5 Straßen aufeinander treffen. Je Grün-Phase wird die Kreuzung von durchschnittlich 3.000 Personen überquert, zu Spitzenzeiten können es sogar 15.000 Menschen sein. Der hektische Großstadt-Dschungel kommt hier Tag und Nacht nicht zur Ruhe. Diese Intensität wird in dem auf- und abschwellenden Lied vertont, welches sowohl Begeisterung für die fremde Kultur, wie auch Verwunderung über die gehetzten Abläufe ausdrückt.

    Ist "You" ein Liebeslied? Wenn ja, ein sehr persönlich empfundenes, inniges Stück voller überfließender, in Moll gegossener Emotionen. Ein Wehklagen, das dankbare Erfüllung oder auch verzweifelte Sehnsucht ausdrückt. Je nach Perspektive. Das Lied wird mit mitfühlenden Bläsern und klagenden Geigen gefüllt, so dass es zusammen mit dem von wohligem Schmerz erfüllten Gesang vor Dramatik überzulaufen droht. So intensiv, so berührend, so schön. "One Morning In Harlem" handelt davon, wie es ist, wenn man einschläft, während die Stadt erwacht. Die Nacht wurde zum Tag gemacht und nun fordert der strapazierte Körper seinen Tribut. Jetzt ist eine Art Wiegenlied hilfreich, um angenehm in die Zwischenwelt zu gelangen. Und so etwas ähnliches wird hier praktiziert, aber mit Niveau und nur für Erwachsene.

    Musik braucht Weite, sagt Liv Solveig und diese steckt ganz besonders im abschließenden "Slowly, Travels", das nochmal ein Füllhorn an Stilen, Stimmungen, Solo-Aktivitäten und laut/leise-Abstufungen in viereinhalb Minuten unterbringt. Der abgeklärte Gesang verströmt zudem die Altersweisheit einer Marianne Faithfull. Es wird eine sakrale, sanfte Atmosphäre erzeugt. Die Solo-Geige erzählt dazu eine phantasievolle Geschichte, wie man sie zuletzt so bewegend bei "White Bird" von It`s A Beautiful Day im Jahr 1968 gehört hat (aber hier gibt es sie in Kurzfassung). Das lockt auch die Rhythmus-Abteilung, die Blasinstrumente und den Synthesizer aus der Reserve, die zum Schluss noch mal aufdrehen wollen, aber ihre Bemühungen verhallen unvollendet.

    Liv Solveig ist auf der Suche nach einem individuellen Weg. Vielleicht hat sie ihn ja auch schon gefunden. Die Zusammenarbeit mit And The Golden Choir, Get Well Soon, Alin Coen und Balbina erweiterte ihren Horizont und versetzte sie in die Lage, die Arbeiten der Kolleginnen und Kollegen mit ihren Vorstellungen abzugleichen. Deshalb brauchte "Slow Travels" wohl auch eine lange Reifezeit, damit so viele musikalische Anregungen wie möglich einfließen und qualitativ überprüft und bearbeitet werden konnten.

    Es empfiehlt sich, "Slow Travels" zuerst über Kopfhörer zu hören und erst dann über die Anlage laufen zu lassen. Dann prägen sich die wichtigen Details besser ein, die eventuell sonst einem verwehten Klangbild zum Opfer fallen würden. Denn es sind die ineinander laufenden Instrumente und die bedeutenden Einzelheiten, sowie die kurz eingestreuten Zwischen-Töne oder die im Hintergrund ablaufenden leisen Sequenzen, welche in den Arrangements raffinierte Überraschungen erzeugen. Mit diesen Zutaten werden aus sehr guten die ganz besonderen Kompositionen. Was Liv Solveig auszeichnet, ist ihr behutsamer, aber wirkungsvoller Umgang mit Einflüssen und Vorlieben. Dadurch können Abgrenzungen zwischen Unterhaltsmusik und ernster Musik ad absurdum geführt werden, denn durch Stil-Fusionen erfolgt eine Konservierung von schönen und anregenden Klängen. Aus konträren Stimmungslagen entstehen feinfühlige, sich innerlich reibende Ton-Muster. Dafür braucht es aber keine Zuordnungs-Schublade. Gute Musik spricht nämlich für sich selbst.
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    Ein Kommentar
    Anonym
    17.10.2023

    Großen Respekt...

    ... vor dieser eindrücklichen und objektiven und vor allem sehr umfangreichen Rezession! Das Album hat schon das gewisse Extra und ist in der Tat nicht so schnell umschrieben.
    Motivational Speaking

    Old Sea Brigade
    Motivational Speaking (CD)

    5 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern
    14.05.2021
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Americana-Sound, der weder eindeutig Folk noch Country zugeordnet werden kann.

    "Ode To A Friend" - das erste Album von Old Sea Brigade aus dem Jahr 2019 - war vom Selbstmord des besten Freundes von Ben Cramer beeinflusst. Ben Cramer ist das Gesicht hinter Old Sea Brigade. Der Singer-Songwriter und Multiinstrumentalist stammt aus Atlanta, lebt aber in Nashville und saugt dort alle Spielarten des Americana auf, um zu untersuchen, welche Bestandteile für sein Verständnis von seelenvoller, ergreifend-schöner, geschmeidig ablaufender Musik in Frage kommen und was in seinem Sinne umgewandelt werden sollte.

    "Motivational Speaking" möchte Veränderungen im Leben und den Umgang mit der Vergänglichkeit beleuchten. Schwere Kost, könnte man meinen. Aber die Platte strömt bei aller thematischen Belastung eine Wärme, Durchlässigkeit, Gewandtheit und innere Ruhe aus, die sie aus der Masse der Singer-Songwriter-Veröffentlichungen hervorstechen lässt. Ihre Komplexität und Harmonie haben die Lieder gewissermaßen der Corona-Pandemie zu verdanken, denn Ben Cramer hatte das Album eigentlich schon mit Hilfe einiger Freunde fertiggestellt, als der Lockdown die Musiker zu einer Auszeit zwang. Deshalb nahm er sich die Aufnahmen noch einmal vor und kam zu dem Entschluss, dass noch eine Überarbeitung nötig täte. Nicht, um die Musik perfekt erscheinen zu lassen, sie also aufzupolieren, sondern um mit ein wenig Distanz das Beste aus den Kompositionen herauszuholen. "How It Works" setzt sich mit den Mechanismen der Musik-Industrie auseinander, die oft nicht zum Wohle der Musiker eingesetzt werden. Trotzdem ist keine Aggression oder Frustration in diesem Song zu spüren. Im Gegenteil, locker groovend, mit markantem Bass und Schlagzeug-Takt zieht er seine sanften Bahnen und Ben Cramer versorgt das Lied durch seine weiche, liebevolle Stimme mit friedvollen Schwingungen.

    "Day By Day" ist laut Aussage des Old Sea Brigade-Chefs der lauteste, chaotischste Song, den er bisher für sich selber geschrieben hat. Dann muss der Musiker wirklich ein sehr ausgeglichener Typ sein. Es gibt zwar einen monoton getakteten Rhythmus und treibende Gitarren, aber alles bleibt trotz dynamischer Steigerung in einem für Rock-Verhältnisse gemäßigtem Rahmen. Für "Salt" gab es eine Ausweitung des Instrumenteneinsatzes, denn es ist der erste Old Sea Brigade-Song mit Banjo. Aber deshalb ist das Lied nicht zu einem Hinterwäldler-Folk geworden, sondern wird als romantischer Pop-Song mit eigentümlicher Begleitung wahrgenommen, die aus akustischen und elektronischen Elementen besteht. Und das Banjo ist in diesem Zusammenhang kaum als solches zu erkennen. Die Ballade "Nothing Clever" macht kurze Abstecher in Jazz-Gefilde, ist aber im Kern ein Barock-Folk mit Art-Pop-Kern. Sehr ausgewogen und behutsam verbindet Ben Cramer die verschiedenen Einflüsse miteinander.

    "American Impressions" lässt sich als elegant flimmernder Folk-Rock mit ausdrucksstarken Folk-Jazz-Ambitionen definieren. Oder als lockerer Soft-Rock mit Soul-Groove. Alle diese Zuordnungen macht das offen gestimmte Stil-Fusions-System von Old Sea Brigade möglich, ohne störende Nahtstellen aufzuweisen. Auch "Caroline" ist milde gestimmt und bevorzugt eine einfache, von Gitarre, Bass und Schlagzeug bestimmte Roots-Rock-Struktur, die den Song eher wie eine spontane Übungsraum-Aufnahme und nicht wie eine ausgeklügelte, aufwändig überarbeitete Song-Idee erscheinen lässt. "Mirror Moon" vermittelt zunächst einen unspektakulären Eindruck: Der Rhythmus läuft gleichförmig im Vordergrund ab, die Gitarren knurren dagegen im Hintergrund vor sich hin und der Gesang möchte sich nicht unbedingt dominant in Szene setzen. Die Melodie plätschert scheinbar unaufgeregt dahin, zieht die Zuhörer jedoch trotzdem auf unaufdringliche Weise in ihren Bann.

    "High Times" ist ein knackig-cooler Folk-Rocker, der anders arrangiert auch als moderner Electro-Pop durch gehen würde und eine ganz andere Klientel ansprechen könnte. So erfreut er alle Fans von z.B. Tom Petty, den Rolling Stones oder R.E.M. an dem unkomplizierten, angenehmen Sound. Eine bedächtige Drum-Machine bestimmt das schleppende Tempo von "Walls". Der Song erhält zwischendurch eine Keyboard-Begleitung, die ihn wie eine aufgeplusterte Komposition von Vangelis klingen lässt, obwohl es sich sonst um eine melancholische Alternative-Rock-Nummer handelt. Durch die sakral anmutende Klang-Umgebung bekommt "Still" ein spirituelles Gospel-Feeling verordnet, das durch frisch durchblutete Drum-Takte und spritzige E-Gitarren-Akkorde in die Realität zurück geholt wird.

    "Come Tomorrow" zeigt, wie klare Strukturen reinigend, betörend und anregend zugleich sein können. Der Pop-Folk lässt sich Zeit, seine sympathische Wirkung zu entfalten, protzt nicht mit Effekten und Spielereien, sondern setzt auf ehrlich empfundene, einfach strukturierte und umgesetzte Werte. Die ergreifende Schönheit des ruhigen Art-Pop-Stückes "4th Of July" erinnert danach an die Elegien von Blue Nile aus Schottland. Die Sprache der Musik ist eben universell und wird von sensiblen Menschen überall auf der Erde verstanden und ähnlich gedeutet.

    Die Musik von Old Sea Brigade rückt vom üblichen Americana-Schema ab: Es gibt ein anders zusammengesetztes Instrumentenspektrum und stilistisch ist das Ergebnis weder dem Folk noch dem Country zuzuordnen. Die Songs besitzen eine Feinmotorik, wie sie auch von Hiss Golden Messenger oder The Low Anthem angewendet wird, um die Kreationen besonders sensibel erscheinen zu lassen. Das bewährt sich auch hier und nutzt sich nicht ab, sondern holt auch noch das letzte Quäntchen Empathie aus den Songs heraus. Die Lieder wirken stets aufbauend und tröstend, auch bei gedämpfter Tonlage. Dazu trägt besonders der Gesang von Ben Cramer bei, der alle negativen Schwingungen eliminiert und so auch zur Deeskalation bei schwierigen Themen beiträgt. Das Album soll als Ablenkung vom Chaos in der Welt dienen. Ben Cramer möchte, dass es sich wie eine Reise anfühlt, an dessen Ende man sich erfrischt fühlt. Das kann gut nachvollzogen werden.

    Der Kultursender Bremen Zwei wirbt für sein Musikprogramm mit dem Slogan "Lässige Singer- Songwriter und Pop für die Seele". Demnach wäre "Motivational Speaking" genau für diese Radio-Welle zugeschnitten worden.
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    Hinüber

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    4 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Inaktiver Stern
    04.05.2021
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Deutschsprachige Pop-Musik mit Haltung, Witz und Poesie.

    Mine wurde am 19. Januar 1986 als Jasmin Stocker geboren und wuchs in der Nähe von Stuttgart auf. Schon als Kind genoss sie eine Musikerziehung und nahm an Gesangswettbewerben teil. Mit 20 Jahren studierte sie Jazz-Gesang und absolvierte anschließend ihr Master-Studium an der Pop-Akademie Baden-Württemberg im Fach Producing und Composing. Unter ihrem Spitznamen Mine fand dann 2013 die erste Tournee statt und es erschien simultan die EP "Herzverleih". Daneben gab es auch Auftritte im Vorprogramm von z.B. Lukas Graham, Dear Reader oder Enno Bunger.

    2014 brachte sie mit "Mine" ihr erstes Solo-Album raus und 2016 folgte mit "Das Ziel ist im Weg" der Nachfolger. 2017 gab es eine gemeinsame Aufnahme mit dem Rapper und Schauspieler Fatoni unter dem Namen "Alles Liebe Nachträglich". 2018 wurde der Konzert-Mitschnitt ("Mine und Orchester (Live in Berlin)") als Crowdfunding-Aktion veröffentlicht und 2019 kam ein neues Studioalbum ("Klebstoff") auf den Markt. Im März 2021 räumte Mine den Deutschen Musikautorenpreis der GEMA in der Kategorie "Text Chanson/Lied" ab. Das ist eine beachtliche Auszeichnung und die Aufzählung des Tonträger-Werdegangs zeigt eine konsequente Verfolgung der eigenen Karriere. Sowas geht nicht ohne Durchhaltevermögen und Talent.

    Mine setzt sich bei ihrer Platte "Hinüber", die am 30. April 2021 erscheint, stilistisch offenbar zwischen alle Stühle. Sie gehört weder eindeutig der Fraktion der aktuellen Schlager-Stars oder Electro-Popper, noch einem Neue Deutsche Welle-Retro-Trend oder der Liedermacher-Szene an. Obwohl es kleine Schnittmengen zu diesen Genres gibt, sind es vor allem die Künstler, die sich ihre Individualität bewahren wollen und alternative Ausdrucksformen suchen, die als Anregung geltend gemacht werden können. Wie zum Beispiel Sophie Hunger (die einen Gastautritt hat), Balbina, Dota, Karl die Große, Lydia Daher, Cäthe oder Alligatoah.

    Für “Hinüber” wurden zehn Lieder verfasst, die ihre Inspiration aus dem HipHop, dem Electro-Pop, dem Kunstlied oder der alternativen Folk-Bewegung ziehen und als Ganzes den Eindruck vermitteln, dass die Suche nach einem persönlichen Ausdruck bei Mine noch nicht vollständig abgeschlossen ist. Genau deshalb zelebriert die professionelle Künstlerin für uns ein quirliges Sammelsurium an Eindrücken, Stimmungen, Experimenten und Nichtigkeiten, die zwar nicht zusammen passen wollen, aber eine Bandbreite von Möglichkeiten aufzeigen, die von Mine erforscht und kreativ gestaltet werden. Ihre Lyrik scheint konkrete Sachverhalte anzusprechen, bleibt aber oft in der Mitte stehen. Es werden Gedanken angerissen, ohne Lösungen bereit zu stellen. Der wache Geist der Hörer und Hörerinnen ist gefordert, damit ein Weiter- und zu Ende denken stattfinden kann.

    Den Anfang macht der Track "Hinüber" mit der Gleichgesinnten Sophie Hunger als Gesangs-Unterstützung. Dunkel gefärbte Streicher vermitteln Ernsthaftigkeit, dröhnende Bässe sorgen für Dramatik und rhythmisch vertrackte Schlaginstrumente verpassen dem Stück eine mächtige, dominante Komponente. Dieses rätselhafte, stilistisch diffuse Chanson setzt ein anspruchsvolles, attraktives Ausrufezeichen. Thematisch geht es um große Probleme unserer Zeit, wie die Umweltzerstörung ("Das Meer ist aus Plastik..."). Denn wenn nicht endlich ein Umdenken in Richtung qualitatives, statt quantitatives Wachstum geschieht, dann ist sowieso bald alles hinüber. Mit dem nötigen Engagement können wir uns aber auch gemeinsam in eine Welt hinüber retten, in der eine humane Gesellschaft nach ökologischen Grundsätzen in Frieden lebt.

    Ein hüpfender, elektronisch erzeugter Takt muntert "Bitte bleib" auf, das als Kontrast dazu von überwiegend melancholisch veranlagtem Gesang getragen wird. Der Text zeigt zunächst in die falsche Richtung: "Bitte bleib, bitte bleib" lässt eine verzweifelte Trennungs-Situation vermuten, aber dann folgt: "Bitte bleib nicht wie Du bist" und so wird aus dem vermeintlichem Klammern ein Aufruf, über die eigenen Unzulänglichkeiten nachzudenken.

    "KDMH" ist die Abkürzung für "Kannst Du mich halten?". Diese Frage wird auch prompt mit "Kannst Du nicht" beantwortet. Das ist ein Zeichen dafür, dass Geborgenheit gesucht und vermisst, aber nicht gefunden wird. "Ich habe keinen Boden, keinen Grund, keinen Grund zu gehen", sind die um Hilfe rufenden Worte der Protagonistin. Anscheinend fehlt die Zuversicht, eine stabile Zukunft erwarten zu können. Die Textinhalte spiegeln also Aussichtslosigkeit wider. Als Untermalung dazu dienen stumpfe, monotone Beats, die die emotionale Ausnahmesituation drastisch aufbereiten. Weitere Textpassagen lassen vermuten, dass ein Suizid(versuch) beschrieben wird. Die Musik blüht dazu üppig auf und wird spannungsgeladen aufgebauscht. Dann bricht sie abrupt ab. Es bleibt das Schlimmste zu befürchten...

    Die ausgebildete, stabile, ausdrucksstarke Stimme von Mine klingt bei "Mein Herz" traurig, sehnsüchtig, wütend und betörend. Sie bleibt jedoch bei jeder Regung voluminös, beweglich und klar. Die sentimentale Ballade zieht alle Register, um den Wehmut einer gescheiterten Beziehung aus Sicht der verlassenen, gekränkten Person so nahbar und authentisch wie möglich erscheinen zu lassen.

    Was ist ein "Audiot"? Nach der Auffassung dieses provokanten Liedes ist das offensichtlich jemand, der ständig von Musik, Podcasts, Hörbüchern und anderen audiophilen Reizen umgeben ist und sich davon über Gebühr lenken und verzaubern lässt. Aber wenn eine Meinung zum Dogma wird, kann das zu einer intoleranten Haltung führen. Die Rapper Dexter und Crack Ignaz geben ihren Senf zu diesem Thema dazu und machen aus diesem HipHop-Pop mit Jazz-Grooves quasi ein Mini-Hörspiel.

    Ist "Eiscreme" wirklich ernst gemeint oder handelt es sich bloß um eine Parodie des Songs "Like Ice In The Sunshine" von Beagle Music Ltd., mit dem in den 1980er Jahren der Verkauf von Speise-Eis einer bestimmten Firma in den Kinos angekurbelt werden sollte? Genauso sonnig-naiv wie der damalige Werbe-Jingle ist nämlich auch hier der Refrain gestrickt. Unbekümmert und einfach rauscht dieser Electro-Pop vorbei, ohne anspruchsvolle Spuren zu hinterlassen. Es muss auch mal was Positives raus in die Welt, mag sich Mine gedacht haben, als sie dieses leichte Lied erfunden hat. Diese Einstellung gilt wohl auch für "Lambadaimlimbo". Das Stück erinnert aufgrund seiner seichten, unspezifischen Urlaubsatmosphäre an den Neue Deutsche Welle-Hit "Carbonara" von Spliff - der ehemaligen Begleit-Band von Nina Hagen - aus dem Jahr 1982.

    Auch "Elefant" klingt nach den 1980er Jahren. Nämlich nach einer Produktion von Trevor Horn, der gerne einen peitschenden Beat nach vorne gemischt und den Sound durch allerlei Klangfarben bunt ausgefüllt hatte. Und ein packender Refrain musste auch noch eingebaut werden. So wie es bei "The Lexicon Of Love" von ABC um Martin Fry 1982 praktiziert wurde. "Elefant" ist ein netter Electro-Pop fürs Radio geworden, der auch zur Untermalung von Sport-, Spiel- und Freizeitaktivitäten geeignet ist. Unkompliziert, aber nicht unsympathisch.

    Mit ordentlich Wumms in den Bässen geht es dann bei "Tier" weiter, wobei dieses Stück tiefschürfende Gedanken aufgreift: "Der Unterschied zwischen mir und einem Tier ist, dass ich fragen kann, was will ich hier. [...] Und ich sehe, was mir durch die Hände fällt und ich frag mich, was mich noch am Leben hält. Ist es nur die Sucht am Leben selbst?". Aktuelle Sinn-Fragen kollidieren im Folgenden mit Ratschlägen, die im Rahmen der Erziehung verinnerlicht wurden, was zu Konflikten führt. Diese Ballade wird durch tröstende Streicher und sakrale Orgelklänge gestützt, so dass die pumpenden Bässe in diesem Zusammenhang wie ein unruhiger, von Unsicherheit begleiteter Herzschlag klingen.

    Mit "Unfall" präsentiert Mine ein Lied, das akustische und elektronische Elemente attraktiv miteinander ausbalanciert und gegeneinander verbiegt. Es findet ein dynamischer Prozess statt, der sich sowohl sperrigen Folk-Rock, Drum & Bass-Hektik, Science-Fiction-Soundtrack-Flirren und Klassik-Seriosität einverleibt. Der Track macht indirekt darauf aufmerksam, dass aufgrund der derzeit vorherrschenden Pandemie-Nachrichtenlage viele andere Probleme nicht ins richtige Licht gesetzt werden können.

    Immer dann, wenn Mine musikalische Welten kollidieren lässt und sich dabei Schwierigkeiten vornimmt, ist sie am wirkungsvollsten. Dann blühen ihre erlernten und wahrscheinlich inzwischen verinnerlichten Producing- und Composing-Künste voll auf und erstrahlen in schillernd leuchtenden Farben, zeigen sich in verblüffenden Formen und erhellen die Ohren mit phantasievollen Klang-Lichtern. Einfacher strukturierte Sachen wie "Eiscreme" oder "Lambadaimlimbo" fallen dagegen ab, wenn eine homogene, ernsthafte Darstellung der Musik erwartet wird. Sie stören zumindest den Fluss eines durchgängig anregenden und dabei sensiblen Ablaufs.

    Die konträren Gestaltungsebenen unterstützen die eingangs getätigte Vermutung, dass sich Mine noch auf der Suche nach dem alles erleuchtenden Musenkuss befindet. Aber sie sorgt schon heute erfreulicherweise dafür, dass sich ihre vielfältige deutschsprachige Musik nicht zu stromlinienförmig bewegt. Und wenn ihr sprudelndes Talent mit einem künstlerisch wertvollen Konzept zusammentrifft, entstehen poetisch nachhaltig wirkende Lieder, die sich in einem musikalisch umtriebigen Umfeld ihren Weg durch struppiges Gelände bahnen. Es bleibt spannend, in welche Richtung(en) sich die Musikerin in Zukunft entwickeln wird, denn sie hat ihr Potential noch lange nicht ausgeschöpft.
    Meine Produktempfehlungen
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    Better Angels

    Adam Douglas
    Better Angels (CD)

    5 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern
    23.04.2021
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Flexible Roots-Music-Klänge von einem Amerikaner, der in Norwegen lebt.

    Die Lebensumstände in den USA und in Norwegen sind für viele musikalische und persönliche Inspirationen, die Adam Douglas geprägt haben, verantwortlich. Der 40jährige Singer-Songwriter verbrachte nämlich seine Jugend in Oklahoma, das im mittleren Westen liegt und lebt seit 2007 (hauptsächlich der Liebe wegen) in Harestua, das 46 Kilometer nördlich von Oslo zu finden ist. Zwischen diesen Stationen war er viel unterwegs, mit Haltepunkten in Chicago und Minneapolis. Einige Roots-Music-Spielarten kreuzten dabei seinen Weg: Folk, Country, Rhythm & Blues, Soul oder Gospel. Natürlich auch Rock & Roll und Jazz. In Norwegen fühlt er sich wohl und zuhause, hier ist sein beständiger Lebensmittelpunkt. Künstlerisch hat ihn die Zugehörigkeit zu zwei Ländern zu einem relativ unkonventionellen Grenzgänger reifen lassen. Seine Songs lassen sich nämlich keinem Stil direkt zuordnen, sie entstehen vielmehr aus den oben skizzierten Vorlieben, ergeben sich aus den erworbenen Erfahrungen und schöpfen aus den geschärften Instinkten für einen interessanten Klang und eine gute Melodie. Alle diese Zutaten werden für die Kompositionen zusammen geschüttet, umgerührt, verkostet und individuell verkettet.

    "Better Angels" ist nun nach "I May Never Learn" (2015) und "The Beauty & The Brawn" (2018) der dritte Longplayer des vielseitigen Musikers. Beim Eröffnungs-Track "Joyous We’ll Be" findet die Begeisterung des Gospel, die rhythmische Frische der Karibik, die respektvolle Seriosität des Big-Band-Jazz und die flirrende Grazie des von Lowell George geprägten Little Feat-Sounds ihren Widerhall.

    Der schlaksige Jazz-Funk von "Into My Life" bekommt durch den gelenkigen Soul-Gesang von Adam Douglas und die verspielten Geigen, die sich wie gewandt fliegende Schwalben in der Abendsonne bewegen, ein samtenes Gegengewicht. Der Groove wird für "Build A Fire" knackig und zackig herausgestellt. Die Bläser fallen mit feurigen Attacken in den federnd-swingenden Sound ein, so dass das Lied dadurch an Schärfe, Konturen und Kraft gewinnt. Der Gesang wirkt sehnsüchtig und bringt sexuelle Aufladung ins Spiel. Mit einem saftigen E-Gitarren-Solo zeigt Adam seine individuelle Klasse auf diesem Instrument. Außerdem tritt dabei eine wilde, natürlich aggressive Seite zu Tage, die ihm sehr gut steht und die er noch ausbauen sollte. Der dynamische Sound fährt in die Glieder und setzt sich in den Ohren fest. Das ist ein heimlicher Hit!

    Mit "So Naive" wird die erste Pop-Ballade eingestreut. Mr. Douglas bewegt sich als Schnulzensänger auf dem schmalen Grad zwischen Kitsch und Kunst, kann sich aber aufgrund des ausgereiften Song-Materials souverän behaupten. Auch "Change My Mind" schwelgt in innig-romantischen Gefühlswelten, rührt in sentimentalen Momenten zu Tränen und kann sich mit den bekanntesten Rock-Balladen hinsichtlich schmachtender Hingebung messen. Der Track wurde durch die Zustände im vom Krieg gezeichneten und vom Flüchtlingselend gebeutelten Beirut beeinflusst. Das dazugehörige Video sendet bei allem zu vermutenden Leid auch viel Lebensfreude und Zuversicht aus, weswegen es wie ein vorbildliches, Mut spendendes Mahnmal erstrahlt.

    Das erfrischende "Where I Wanna Be" verbindet unverbraucht und homogen Elemente aus Pop, Rock, Jazz, Funk und Soul. Als Gesangspartnerin fungiert hier die großartige Jazz-Pop-Musikerin Beady Belle, die sich ausgezeichnet in das luftig-belebende Klang-Bild einfügt. Das schwüle, bluesige "Blue White Lie" scheint aus den Südstaaten der USA zu stammen, so erdig und vom Southern Soul durchdrungen kommt es aus den Lautsprechern. Aber das Stück ist genau wie die anderen Aufnahmen im hohen Norden Norwegens entstanden. Adam Douglas kann seine US-amerikanischen Wurzeln jedoch wieder einmal nicht verleugnen. Mit Würde und erhobenem Kopf knüpft er an die Roots-Rock-Errungenschaften solcher Kollegen wie John Hiatt an und präsentiert sich als erlesener White-Soul-Interpret.

    T. Rex, ZZ Top, die Neville Brothers und Tony Joe White haben ihre Spuren beim Glam-Funk-Boogie "A Whistle To Blow" hinterlassen. Das ausgeprägte Pop-Geschichtsbewusstsein von Adam Douglas lässt ihn solch wertige Einflüsse anzapfen, ohne als Plagiator dazustehen. Gegen diese Vorgehensweise ist gar nichts einzuwenden, denn Adam ist ein Sammler. Ein Sammler von Eindrücken, Ausdrücken, Gefühlsäußerungen, Zitaten und Sounds, die ins kollektive Bewusstsein gelangt sind. So gibt es bei "Both Ways" Streiflichter, die Klänge aus der British Invasion der mittleren 1960er Jahre aufflackern lassen und auf diese Weise an The Kinks oder The Rolling Stones erinnern. Und das, obwohl das Lied eher ein melodischer Pop-Song und kein harter Rocker ist. Das spricht für einen universellen Überblick und unverkrampften Umgang mit Vorlagen. Adam Douglas knüpft mit seinem Fingerspitzengefühl einen illustren Klangteppich aus Erinnerungen und Vorlieben, der sich Kategorisierungen entziehen möchte. Ist übrigens ein feiner, griffiger, sympathischer, angenehm anzuhörender Song geworden, dieses "Both Ways".

    Al Green und Graham Parker & The Rumour kommen in den Sinn, wenn "Just A Friend" läuft. Der weiche Rhythm & Blues wird von beseeltem Gesang flankiert und führt den Hörer fast unmerklich von einer nachdenklichen Stimmung zu einer aufbauenden, aufbegehrenden und lichtdurchfluteten Sichtweise. "Lucky Charm" lässt sich dann noch einmal tief ins Herz blicken und beschwört die Kraft der sinnlich-sanften Töne herauf, wobei der Bogen zur süßlich-sentimentalen Betonung überspannt wird. Weniger Schmalz hätte wahrscheinlich für mehr Authentizität gesorgt. "Dying Breed" macht dann auf gute Laune und versucht, durch einen swingenden Folk-Rock einen optimistischen Ausgleich und Ausklang zu schaffen. Das ist nicht zielführend, weil Adam Douglas eher als melancholisch veranlagter Singer-Songwriter überzeugend ist.

    Das Album "Better Angels" beschwört die Werte der US-amerikanischen Verfassung herauf, die Abraham Lincoln in seiner Antrittsrede verkündet hatte. Er wollte den Instinkt der vernünftigen, anständigen Menschen als Leitlinie ansetzen, wenn es Konflikte zu bewältigen gibt. Diese Maxime ist heute aktueller denn je, denn auch Präsident Joe Biden gab zu bedenken, dass es an der Zeit sei, die "besseren Engel" im amerikanischen Volk zu Wort kommen zu lassen. Optimismus, Vernunft und Menschlichkeit sind Grundwerte, die auch über die Musik von Adam Douglas transportiert werden sollen - zum Nutzen für alle Menschen.

    Künstler wie Adam Douglas fallen oft durchs Wahrnehmungsraster, weil sie häufig spontan mit anderen Musikern verglichen und dann vorschnell als mögliche Nachahmer gebrandmarkt werden. So könnten z.B. Paul Weller oder Elvis Costello als Verweis einfallen, aber das schmälert die dargebrachte Leistung des Exil-Amerikaners in keiner Weise. Was ihn auszeichnet, ist die Suche nach musikalischen Herausforderungen, an denen er wachsen möchte. Er besitzt nämlich den Ehrgeiz, sich ständig verbessern zu wollen. Grade hat er auch seine Flexibilität demonstriert, als er bei seiner Pop-Kollegin Rikke Normann bei "Don`t You Worry" von "The Art Of Letting Go" (veröffentlicht am 19. März 2021) im Duett gesungen hat.

    Der privat schüchterne, aber auf der Bühne ausgelassene Musiker hat seine speziellen Eigenarten dazu verwendet, eine reife Midlife-Analyse abzuliefern. Seine Stil-Fusionen sind ausgewogen, klingen zumeist tröstend oder hoffnungsvoll und werden von seinen norwegischen Begleitmusikern und Gästen wie Jeff Wassermann und Cory Chisel vollmundig, voluminös und emotional tiefgründig umgesetzt. Der Gesang ist so flexibel, dass er sich bei niemandem anlehnen muss und die Songs sind so ideenreich, dass sie sich nicht gegenüber anderen großartigen Liedern verstecken müssen. "Better Angels" ist ein schönes, clever organisiertes Werk geworden, das allen Leuten, die Interesse an undogmatischer Roots-Music haben, empfohlen werden kann.
    Meine Produktempfehlungen
    • I May Never Learn Adam Douglas
      I May Never Learn (CD)
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    Music

    Benny Sings
    Music (CD)

    5 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern
    09.04.2021
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Pop für Genießer.

    Der Niederländer Tim Berkestijn - der hinter dem Namen Benny Sings steckt - gehört zu der Garde von jungen Musikern, für die Pop-Musik nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit trendigen, kommerziell orientierten Sounds ist. Das gilt zum Beispiel auch für so unterschiedliche, aber im Geiste verwandte Künstler wie Joel Sarakula, Mayer Hawthorne, Young Gun Silver Fox oder Zervas & Pepper, die auffällig melodisch, dabei aber auch raffiniert und spannend klingen. Und bei all diesen Namen kommt immer wieder die Gruppe Steely Dan um die innovativen Soundtüftler Donald Fagen und Walter Becker als Einfluss in den Sinn. Deren elegante, ausgeklügelte Songs dienen immer noch vielen Musikern als sinnvolle, wichtige und geistreiche Fixpunkte und sind somit eine nicht enden wollende Quelle an Inspirationen für kluge, wendige, attraktive und dabei in sich geschlossen wirkende Kompositionen.

    "Music" ist seit 2003 bereits das achte Album, dass unter dem Pseudonym Benny Sings erschienen ist. Tim Berkestijn macht Musik, die man sich ins Radio wünscht. Gleich der Opener "Nobody’s Fault" gibt das Credo des Nachfolgealbums von "City Pop" aus 2019 wieder: Spielerische Leichtigkeit darf durchaus auch mit komplexen und verwinkelten Momenten gespeist werden. Solange dadurch nicht der milde, weltoffene Charme, die elastischen Tonfolgen oder der lässige Groove verloren gehen. In diesem Sinne ist "Nobody’s Fault" ein Musterbeispiel an unterschwellig ausgedrückter Leidenschaft mit nobler Ausdrucksweise geworden. Das Lied beinhaltet sowohl Heiterkeit wie auch überlegene Souveränität. Die ausgelassene Stimmung bekommt eine kunstvolle Füllung aus stabiler Rhythmik und anspruchsvoller Instrumentierung verpasst.

    Für "Here It Comes" wird das Temperaments-Level mindestens einen Gang zurück geschaltet, was dem Track eine gewisse Unscheinbarkeit zu verleihen scheint. Aber weit gefehlt: Die sich behäbig dahin schleppenden Töne finden zwar nur langsam, dafür aber effektiv ihren Weg, der sie tief in die Gehörgänge führt. Dort sorgen sie für einen ständigen Widerhall. Ein unverhoffter Ohrwurm ist geboren. Der "Sunny Afternoon" wird nicht ausgelassen gefeiert, sondern besonnen und leicht beschwingt genossen. Benny Sings bietet einen lässigen Sound an, bei dem gegen Ende froh gestimmte Geigen einen zusätzlichen Lichtblick generieren.

    Bei "Rolled Up" singt Benny im Duett mit Mac DeMarco. Beide setzen sich gesanglich gegenüber stolpernden, unsicheren Takten durch und erzeugen so das merkwürdige Gefühl, das sich ergibt, wenn man sich grundlos niedergeschlagen fühlt. Die Stimmen versinken jedoch nicht in Selbstmitleid, sondern schaffen es mit Hilfe von Zweckoptimismus, die schlechte Laune zu überlisten. Sie begegnen sich dafür im Call & Response-Modus und ergänzen sich in ihrer unterschiedlichen Stimmfarbe wirkungsvoll.

    "Lost Again" läuft zuversichtlich und optimistisch ab. Wie beim sprichwörtlichen Pfeifen im Walde werden hier die trüben Gedanken durch muntere Klänge vertrieben. Musikalisch kann man von einer Fake-Swing-Imitation sprechen, bei der vor dem geistigen Auge das Rat-Pack um Frank Sinatra, Sammy Davis jr. und Dean Martin erscheint, nur eben in einer aktuellen Variante. "Break Away" nutzt danach die Methoden des Philly-Soul, um dessen unverbindliche Vergnüglichkeit als Kompensation für die grundsätzlich ernste Gemütslage einzusetzen.

    "Kids" ist ein beliebter Titel für einen Song geworden. So wurde er z.B. 2007 von MGMT und 2020 von Young Gun Silver Fox verwendet. Hier entstand er in Zusammenarbeit zwischen Tim Berkestijn und dem Rapper KYLE aus Los Angeles, der die zweite Sing-Stimme bei diesem, mit dem HipHop verwandten Pop-Song übernimmt. Das Lied "Run Right Back" federt so jazzig-gepflegt, dass es sich wie ein Outtake des Wunderwerks "Gaucho" (1980) von Steely Dan anhört. Das ist cool und clever umgesetzt und nachempfunden worden! Die Chorstimmen von Emily King und Peter Cottontale von The Free Nationals aus Los Angeles erzeugen dann für "Miracles" ein erbauliches und gleichzeitig schwungvolles Gospel-Feeling. Dadurch bekommt das Stück Kraft, Sicherheit und Vertrauen verliehen.

    „Wenn die Sache Dir zu nahe geht, wenn Dein Herz in Schutt und Asche liegt, ist da immer noch, immer noch die Musik“. Davon wusste schon Niels Frevert auf seinem Album "Putzlicht" (2019) zu berichten. Genau dieselbe Ansicht vertritt auch Benny Sings mit dem mild groovenden Soft-Rock-Track "Music" und eigentlich gilt diese Einschätzung für das ganze Album: „Es passiert so leicht in der heutigen Welt, dass man mit zu vielen Reizen überschüttet wird“. „Wir brauchen Licht und Luft… wir brauchen etwas, das uns Energie gibt.“ „Ich werde für immer fasziniert sein von dieser magischen Kraft der Musik: Wie da etwas entstehen kann, das einfach so alles transzendiert.“ So lässt sich Tim Berkestijn zum Konzept seiner aktuellen Platte zitieren.

    Benny Sings ist mit seiner Pop-Musik auf der Höhe der Zeit, verleugnet aber auch nicht die Segnungen der Vergangenheit. Die Klänge suchen das Harmoniezentrum des Gehirns auf, streicheln auf diese Weise die Seele und sorgen durch ihre reichhaltigen, gefühlvollen, intelligenten und professionellen Arrangements für eine angenehme Atmosphäre. Das ist populäre Musik, die im engeren Sinne unterhaltsam ist, dabei aber auch anspruchsvoll erscheinen möchte. Das gelingt nahezu auf ganzer Linie und somit sei diese Platte allen Menschen empfohlen, für die auch eingängige Musik gewisse Qualitätskriterien erfüllen muss und nicht nur bloße Berieselung bedeutet.
    Meine Produktempfehlungen
    • Gaucho Steely Dan
      Gaucho (CD)
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    • Canyons Young Gun Silver Fox
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    Live At Montreux

    Live At Montreux (CD)

    3 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Inaktiver Stern Inaktiver Stern
    01.04.2021
    Klang:
    3 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Ausschnitte aus Montreux-Konzerten von 1975 - 1985

    Der irische Ausnahmegitarrist Rory Gallagher live beim Jazz-Festival in Montreux. Die Aufnahmen umreißen eine Spanne von 1975 bis 1985, wobei 1979 mit 5 Songs den größten Anteil einnimmt.

    Rory Gallagher ist ein Malocher des Blues-Rock. Er reibt sich an seinen Gitarren-Soli förmlich auf und singt engagiert und mit Hingabe. Die CD zeigt ihn bis auf 2 Songs in seiner elektrischen Variante mit Bass- und Schlagzeug-Begleitung, teilweise auch mit Tasten-Verstärkung. Nur 2 Stücke von 1979 ("Out On The Western Plain", "Too Much Alcohol") wurden Solo mit akustischer Gitarre eingespielt. Sie demonstrieren seine Fingerfertigkeit noch deutlicher.

    Rory ist natürlich ein genialer Gitarrist, was aber im Verlauf der CD manchmal stört, ist die Selbstverliebtheit in sein Instrument. Er ist der Star, steht im Vordergrund und spielt deshalb nicht immer songdienlich, sondern übertreibt es dann mit der Demonstration seiner brillanten Technik. Dieser Makel zeichnete auch schon andere große Gitarristen - wie z.B. Carlos Santana - aus, so dass sie sich dadurch manchmal selbst im Weg standen und die Songs nicht die Wirkung erzielen konnten, die ihnen langfristig gut getan hätten.

    Seine elektrischen Boogie-Blues-Nummern ("Laundromat", "Toredown", "Bought And Sold") haben aber Pfeffer unterm Hintern und gefallen durch ihre zeitlose Dynamik.

    Fans dürfen sich bei "Live At Montreux" über zusätzliche Live-Aufnahmen in ordentlicher, jedoch nicht überragender Tonqualität freuen. Einsteiger erhalten dennoch einen recht guten Überblick über das Können des Mannes.

    Diese Songs sind auf der CD "Live At Montreux" enthalten:

    01. "Laundromat" (1975) [from Rory Gallagher] - 7:49
    02. "Toredown" (1975) [from Blueprint-Sessions]- 4:53
    03. "I Take What I Want" (1977) [from Against the Grain] - 5:59
    04. "Bought And Sold" (1977) [from Against the Grain] - 5:47
    05. "Do You Read Me" (1977) [from Calling Card] - 5:48
    06. "The Last Of The Independents" (1979) [from Photo-Finish] - 5:59
    07. "Off The Handle" (1979) [from Top Priority] - 8:27
    08. "The Mississippi Sheiks" (1979) [from Photo-Finish] - 5:30
    09. "Out On The Western Plain" (1979) [from Against the Grain] - 5:23
    10. "Too Much Alcohol" (1979) [from Irish Tour 1974] - 5:02
    11. "Shin Kicker" (1985) [from Photo-Finish] - 7:05
    12. "Philby" (1985) [from Top Priority] - 8:16
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    • Rory Gallagher Rory Gallagher
      Rory Gallagher (CD)
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    A Lantern And A Bell

    Loney Dear
    A Lantern And A Bell (CD)

    5 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern
    26.03.2021
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Ehrfürchtig-spirituelle Lieder von Loney Dear aus Schweden.

    Dieser intime, kultivierte Ausdruck. Diese hohe, sensible Stimme. Diese gediegene, melodramatische Atmosphäre. "A Lantern And A Bell" - das siebente Album von Loney Dear - verbreitet den Klang der Sehnsucht und Vergänglichkeit. Aber auch den der Zuversicht, der die Kraft der Liebe und die Freude am Leben lobpreist. Mitunter treten diese Gefühle nicht offensiv in den Vordergrund, sie sind aber Bestandteil, Inhalt sowie Ausgangspunkt und Zentrum der neun neuen Lieder.

    Als Inspiration für die inhaltliche und musikalische Ausgestaltung müssen immer wieder Symbole rund um das Meer herhalten. So zeigt das Cover des Werkes die internationale Flagge für in Seenot geratene Schiffe. Das ist als Sinnbild für den Zustand zu verstehen, in dem sich der Schwede Emil Svanängen, der sich Loney Dear nennt, zu Beginn der Arbeit an dem aktuellen Album befand. In dieser Zeit - die sich anfühlte wie der Blick in den Abgrund - sorgte die Musik dafür, dass die Dunkelheit ihre Schrecken verlor und das Lachen wiederkehrte.

    Für das einleitende "Mute / All Things Pass" erzeugt Loney Dear sakrale Momente und erzählt in verzweifelter Stimmlage davon, dass alles einmal zu Ende sein wird. Hier tropfen bittere Tränen aus den Noten. Die Tristesse wird von einem in Moll gestimmten Piano, übermächtigem Bass-Brummen und einer Kirchenorgel, die Unheil herauf beschwört, getragen. "Habibi ist eine symbolische Person für alle Menschen, die Zuflucht in der Welt suchen. Für alle Menschen ohne Zuhause", erklärt Emil. Der Soundtrack dazu ("Habibi (A Clear Black Line)") bietet eine kurze, zu Herzen gehende Piano-Ballade an, die instrumental bis aufs Skelett entblößt wurde und in dieser Form auch von Randy Newman stammen könnte.

    "Trifles" erhöht die instrumentale Dichte und sorgt dadurch für eine dezent vibrierende Umgebung. Das Stück türmt zunächst Dramatik auf, wird dann zwischendurch federleicht, um die innere Spannung im weiteren Verlauf wieder bis zum überraschenden Ende zu steigern. Durch die wallenden Gefühlswogen gerät der Hörer unwillkürlich in eine abhängig machende Strömung, die leider unerwartet abreißt und ihn dadurch aus seiner versunkenen Gedankenwelt aufschreckt.

    Das Piano sucht bei "Go Easy On Me Now (Sirens + Emergencies)" zunächst vorsichtig tastend nach einer Konstante, bevor der Track durch andächtige, innig und theatralisch gesungene Töne, die sich wie ein Gebet und nicht wie ein Pop-Song anhören, aufgefangen wird. Salbungsvoll werden auch die Klänge für "Last Night / Centurial Procedures (The 1900s)" in einem wohlig warmen Sound-Kokon aufbereitet, der sich schon nach eineinhalb Minuten wieder auflöst. Wie schade!

    Der Physiker Robert Oppenheimer war einer der Väter der Atombombe und Namensgeber für das Lied "Oppenheimer". Emil erklärt das so: "Es ist schwer, meine Faszination dafür zu verstehen, aber ich denke, es hat natürlich mit Leben und Tod zu tun und sich die Freiheit zu nehmen, andere und ihr Schicksal zu kontrollieren ... Die Atombombe war die Zukunft und es war Populärkultur. Und die Tatsache, dass der Bikini das neueste Modeprodukt war und sie ihn nach dem Ort benannten, an dem sie eine Bombe gesprengt haben! Es sagt uns einfach so viel über diese Zeit." Ist das die Faszination für das Unbegreifliche im Schrecklichen, was aus diesen Worten spricht? Der Track selber spiegelt zumindest eine Stimmung wider, die zwischen Furcht, Grausen und dem Suchen nach dem Licht am Ende des Tunnels liegt.

    Feierlich und emotional stark bewegt präsentiert sich im Anschluss "Darling", das durchaus mit einer Zeitmaschine aus einer längst vergangenen Epoche - wie Rokoko oder Romantik - zu uns gelangt sein könnte. "Interval / Repeat" klingt wie die Definition der Geschwindigkeit der Einsamkeit. Das ist eine Beschreibung, die von einem John Prine-Song entliehen ist ("Speed Of The Sound Of Loneliness", 1986) und wie die Musik für eine neue Gesellschaft von nachdenklichen, bekümmerten und kreativen Menschen. Das ist eine Formulierung, die John Cale für eines seiner inbrünstigen Alben gewählt hat ("Music For A New Society", 1982). Das Lied wird entrückt gesungen und nur von einem sparsam gespielten Klavier und ätherisch-schwebenden Orgelklängen begleitet, was für eine weltabgewandte Stimmung sorgt. "A House And A Fire" hinterlässt den Eindruck einer Tragödie, aus der man gestärkt hervorgeht. Das Stück erscheint würdevoll, wobei der erhebende Gesang für Hoffnung sorgt und für Vertrauen wirbt. Was für ein zuversichtlicher Ausblick zum Abschluss!

    Eine Laterne und eine Glocke: Beides wird benötigt, um sich zu orientieren und sich bemerkbar zu machen, also um Kontakt aufzunehmen. Und Kontakt braucht man, um schwere Zeiten zu überwinden. In diesem Sinne dienten die Aufnahmen als eine Art Therapiearbeit, die Emil Svanängen und sein Produzent Emanuel Lundgren in einem Stockholmer Studio gemeinsam erlebt und durchgestanden haben. Auf "A Lantern And A Bell" klingt der Klassik- und Jazz-Fan Loney Dear wie ein Sprachrohr der verlorenen Seelen und der Betrübten, deren Schmerz er als Geleichgesinnter lindert, indem er Verständnis aufbringt und dadurch sowohl Trost wie auch Kraft spenden kann. Als derjenige, der die Pein schon durchlitten hat, kann er Vorbild, Freund und Ratgeber sein. Seine Stärke besteht aus inniger Glaubwürdigkeit und betörender Intensität, was über eindringliche Schwingungen vermittelt wird. Keine halbe Stunde dauert das Werk, aber es ist dennoch so drastisch aufwühlend, dass es erst einmal emotional verdaut werden muss. Ganz große Gefühle werden hier verdichtet und leidenschaftlich nahegebracht. Das ist die hohe Kunst der absoluten Hingabe für die Musik!

    Peter Gabriel nannte Loney Dear nicht nur "Europas Antwort auf Brian Wilson", sondern nahm ihn auch gleich für sein Real World Records-Label unter Vertrag. Gabriels Einschätzung ist durchaus nachvollziehbar, denn der schwedische Singer-Songwriter, der seine Kompositionen gerne mit diffusen maritimen Eindrücken umgibt, entwickelt spezifische Song- und Arrangement-Formen. Er denkt sich unter die Haut gehende Lieder aus, die lange nachhallen und sich im Unterbewusstsein anreichern. Die Musik hat einen ehrfürchtigen, spirituellen Charakter, auch wenn es sich hier nicht um Gospel-Musik im engeren Sinne handelt. Emil Svanängen singt die Lieder, als würde er sich in einer Heiligen Messe befinden. Er zelebriert sie wie ein gefallener Engel, der inbrünstig über Schuld und Sühne berichtet. Damit steht er in der Tradition solcher Künstler wie Townes van Zandt, Tim Hardin, Elliott Smith, Nick Cave, Rufus Wainwright, José González (Junip), Nick Drake oder Songs Of Boda.
    Meine Produktempfehlungen
    • For The Sake Of The Song / Out Mother Mountain For The Sake Of The Song / Out Mother Mountain (CD)
    • Hang On To A Dream-The Verve Recordings Hang On To A Dream-The Verve Recordings (CD)
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    • Idiot Prayer: Nick Cave Alone At Alexandra Palace Nick Cave & The Bad Seeds
      Idiot Prayer: Nick Cave Alone At Alexandra Palace (CD)
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    • In Our Nature In Our Nature (CD)
    • Made To Love Magic (Digisleeve) Nick Drake
      Made To Love Magic (Digisleeve) (CD)
    House Music

    Bell Orchestre
    House Music (CD)

    4 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Inaktiver Stern
    19.03.2021
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Instrumentale Musik mit Charakter und Eigensinn.

    Instrumental-Musik umgibt häufig eine Aura der komplizierten Kopflastigkeit, der abgehobenen Intellektualität oder der unnahbaren Eliten-Kunst. Dabei ist es egal, ob es sich um Bereiche der Klassik, des Jazz oder der Minimal-Art handelt. Zwanglose Unterhaltung verbindet kaum jemand mit Tönen, zu denen nicht gesungen wird und nicht getanzt werden kann. Auch die sechsköpfige Formation Bell Orchestre gehört einer Gattung von ernsthaften Künstlern an. Das Kollektiv erschafft mit ihren Improvisationen Klanglandschaften, die zum Eintauchen und Zurückziehen einladen und trotzdem anregend und ungewöhnlich klingen. Es gibt etliche Etiketten, die dieser Musik angeklebt werden könnten: Post-Rock, Neue Musik, Ambient, Jazz, Avantgarde oder Weltmusik. Aber keines passt wirklich, es steckt vielmehr von Allem etwas drin. Bei den zehn Stücken des ersten Werkes seit 10 Jahren gibt es jedenfalls keinen eindeutigen Stil-Favoriten.

    Die "House Music" wurde in 10 Phasen unterteilt, welche aufeinander aufbauen oder untereinander für Kontraste sorgen. Diese Errungenschaft kam spontan zustande, wobei die Ideen individuell weiterentwickelt wurden. So knallt uns das 30 Sekunden lange "I: Opening" panisch und unzusammenhängend als Mix aus natürlichen sowie verfremdeten Geräuschen und stilistisch nicht einzuordnenden Tönen um die Ohren. Für "II: House" wird das monotone Bass-Riff aus "I: Opening" nahtlos als Basis übernommen. Darüber gleiten silbrige Steel-Gitarren-Töne hinweg. Wie Vögel, die sich fast schwerelos von der Thermik treiben lassen. Erst nach über 2 Minuten setzen sowohl ein unruhiger Schlagzeug-Rhythmus wie auch eine galoppierende Geige ein, die das Stück zum Stolpern und Traben bringen. Bass und Steel-Gitarre lassen sich davon jedoch nicht in ihrer Ausgeglichenheit verunsichern.

    Die schon aus "II: House" bekannte und am Square-Dance-Schwung orientierte Geige übernimmt bei "III: Dark Steel" spontan die Leitung. Sie wird später allerdings von dramatisch-weihevollen Bläser-Sätzen übertönt. Das Stück lässt langsame und schnelle Ton-Spuren mit- und gegeneinander ablaufen und erzeugt so eine lebhafte Atmosphäre, die von Anstrengung und Dominanzstreben geprägt ist. Schrille sowie dunkle, sich überlagernde Bass- und Percussion-Töne verursachen bei "IV: What You’re Thinking" ein geordnetes Chaos, das sich gegen Ende des Tracks in entfernt stattfindenden Explosionen entlädt und anschließend allmählich neu gestaltet wird.

    Diese neue Ordnung formt sich aber erst im Verlauf von "V: Movement" zu einer vollständigen, meditativen, aber dennoch beweglichen Gestalt zusammen. Eine gestopfte Trompete übernimmt hier neben der obligatorisch weinenden Steel-Gitarre zwischendurch eine führende Rolle, wobei auch andere kurze Solo-Aktionen gewichtige Klangbestimmungen erlangen. Kurz rauscht sogar ein altes Broadway-Musical wie eine im Hinterkopf versteckte und frisch aktivierte Sound-Erinnerung vorbei. Und Stimmen sind zu hören, die wortlos wie ein versöhnlich verzierendes Instrument agieren.

    "VI: All The Time" geht den grade eingeschlagenen Weg weiter. Der Track bekommt jedoch noch weitere exotische und eigentümliche Klangfarben verliehen, die ihn fremdartig erscheinen lassen. Wie Insekten summen, surren, schwirren und brummen verschiedene Töne in "VII: Colour Fields" herum, bevor wendig-schlaksige Schlagzeug-Takte, blubbernde und sirrende Synthesizer-Klänge und Breitwand-Bläser-Sätze das Stück stimmungsmäßig in schwindelnde Höhen entführen.

    Die 7minütige Tondichtung "VIII: Making Time" lässt zunächst die hypnotische Bass-Figur aus "II: House" wieder aufleben. Der Track bleibt insgesamt undurchsichtig, unheimlich und undefinierbar. Die verwirrenden Klänge lassen mal an einen Alb- und dann wieder an einen Tagtraum denken. Die Instrumente wechseln sich in ihrer Wichtigkeit ab und Stimmen murmeln dazu in einem Lücken füllenden Singsang, so dass ein wogender Klangteppich entsteht. "IX: Nature That’s It That’s All" besinnt sich auf die Kraft der langsam fließenden, sich nur wenig ändernden Schwingungen, die in dieser Konstellation zu einer konzentrierten Ruhe führen können. Immer wieder treten Töne an die Oberfläche, die in moderater Lautstärke neue Eindrücke vermitteln und so schlängelt sich der Klang-Strom rücksichtsvoll auf- und abschwellend durch eine Landschaft von bizarrer Beschaffenheit dahin. "X: Closing" läuft nahezu in sich gekehrt ab und sorgt so für einen entrückt wirkenden, versöhnlichen Ausklang der Platte.

    Die Einspielungen für "House Music" entstanden während einer zweiwöchigen Isolation im Haus der Arcade Fire-Geigerin und -Sängerin Sarah Neufeld. Ihre Musiker-Kollegen Richard Reed Parry (Bass, Gesang, auch von Arcade Fire), Pietro Amato (Horn, Keyboards, Elektronik), Michael Feuerstack (Pedal-Steel-Gitarre, Keyboards, Gesang), Kaveh Nabatian (Trompete, Gongoma, Keyboards, Gesang) sowie Stefan Schneider (Schlagzeug) wurden in dem mehrstöckigen Haus auf mehrere Zimmer und Etagen verteilt, wobei der Toningenieur Hans Bernhard für die Verständigung und den guten Ton sorgte.

    Obwohl die Musiker jeden Tag ihre Ideen aufnahmen, basiert das 45-minütige "House Music"-Album auf einer 90-minütigen Improvisation, die behutsam bearbeitet und zu einem möglichst organisch fließenden Werk verdichtet wurde. So entsteht der Eindruck, es handele sich insgesamt um ein einziges Stück mit verschiedenen Klangmustern, die intuitiv ausgearbeitet wurden. Die Musiker haben sich erstaunlich gut untereinander abgestimmt. Und das, obwohl sie sich bei den Aufnahmen nicht sehen konnten. Dafür ist schon ein gutes Gespür füreinander nötig. Herausgekommen sind Sounds, die wie eine klassische Symphonie Beweglichkeit, Dynamik und Überraschungselemente so miteinander verbinden, dass am Ende ein schlüssiges Ganzes entsteht. Das hat auf beachtliche und erstaunliche Weise funktioniert und zu verschachtelter Musik mit speziellem Charakter geführt. Ganz in der Tradition solcher Bands wie Magma, Tortoise oder Penguin Cafe (Orchestra).
    Meine Produktempfehlungen
    • Retrospektiw I-II-III (Digipack) Retrospektiw I-II-III (Digipack) (CD)
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    Distractions

    Tindersticks
    Distractions (CD)

    4 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Inaktiver Stern
    10.03.2021
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Umbruch trotz oder wegen Corona: Der Lockdown als kreative Findungsphase.

    Corona ohne Ende. Auch die Tindersticks um Stuart A. Staples haben ihre Lehren aus der Pandemie gezogen. Der Lockdown sei definitiv ein Teil von "Distractions" aber nicht eine Reaktion darauf, lässt sich Staples zitieren. Aber die Gruppe brauchte Ablenkungen und bei dieser Gelegenheit habe man eine offene, frei fließende Form bei der Umsetzung ausprobiert, wobei jedes Bandmitglied seine Musikalität anders als bisher ausrichten konnte. Nur zwei Monate nach der Veröffentlichung von "No Treasure But Hope", also schon im Januar 2020 kam es zu ersten Überlegungen über die Gestaltung von zukünftiger Musik. Wegen des Lockdowns wurden dann auch bald Aktivitäten für das dreizehnte Studio-Album der Band aus Nottingham aufgenommen, dessen Fertigstellung sich bis zum September 2020 hinzog.

    Um unmittelbar Intensität aufzubauen, beginnen die Tindersticks das Album mit dem 11minütigen, monotonen "Man Alone (Can't Stop The Fadin')". Statt jedoch einen hypnotischen Rausch mit Hilfe von Krautrock-Referenzen im Can-Gedächtnis-Stil hervorzurufen, wartet das Stück mit nervtötenden Wiederholungen auf. Das klingt übertrieben in die Länge gezogen, so wie viele der 12inch-Maxi-Single-Remixe aus den 1980er Jahren, wo den Songs mit endlos ausgewalzten Gimmicks das Leben ausgehaucht wurde. Ein klassischer Fehlstart.

    Das sich anschließende, geflüstert-leise, merkwürdig-intime, klirrend kalt erscheinende "I Imagine You" macht den anfangs gewonnenen, zwiespältigen Eindruck zum großen Teil wieder wett. Die Arrangements wurden hier kreativ mit Tönen ausgestattet, die sich wie eine Glasharfe und eine singende Säge anhören. Staples erklärt das Stück kryptisch, aber auch poetisch: "Ich denke, es ist ein Lied von der Rückseite eines Sofas, das dort unten verschwindet und die Verbindung zur Welt verliert". Eine herrlich verschrobene Beschreibung.

    Richtig stark wird es mit dem folgenden Cover-Versionen-Trio. Da wäre zunächst "A Man Needs A Maid" von Neil Young, das im Original als teils intime, teils orchestral ausgeschmückte, ergreifende Ballade das Album "Harvest" aus 1972 ziert. Die Tindersticks interpretieren den Song als dunklen, melancholischen Electro-Pop mit gleichmäßig tickendem Rhythmus, dem auch Gina Foster als Duett-Gesangspartnerin keinen Sonnenschein einhauchen kann. Es entsteht eine kristallklare, behagliche Tristesse für Fortgeschrittene, die aus den Schattenseiten des Lebens Kraft schöpft.

    Dory Previn war die Ehefrau des Klassik- und Jazz-Pianisten, Komponisten und Dirigenten André Previn. Sie trat als Schriftstellerin und Musikerin ins Licht der Öffentlichkeit. In ihrem Leben gab es oft Konfrontationen mit psychischen Krankheiten, sowohl wegen ihres paranoiden Vaters wie auch wegen eigener Probleme: André Previn verließ sie 1970 wegen Mia Farrow. Ihren Schmerz verarbeitete sie auch in ihren Songs, in denen sie zur Kompensation drastische Themen unterbrachte. "Lady With The Braid" von 1971 erzählt die Geschichte einer einsamen, verunsicherten Frau, die einen männlichen Gast dazu bewegen möchte, über Nacht zu bleiben, wobei sie sich emotional an ihn klammert. Musikalisch handelt es sich um eine traditionelle Country-Folk-Ballade im Merle Haggard-Stil mit romantischen, lieblichen Streichern, die von Dory mit klarer, angenehmer Stimme offen und unvoreingenommen gesungen wird. Stuart A. Staples & Co. erhöhen das Tempo und lassen den Song jazzig swingen, wobei der Gesang gedankenvoll-sinnierend hinterher zu hinken scheint. Das Lied wird nach sieben Minuten ausgeblendet. Es entsteht aber der Eindruck, dass die Musiker noch mehr zu sagen hatten und der Track in Wirklichkeit viel länger ausgefallen ist.

    Die Television Personalities wurden 1977 in London von Sänger Dick Treacy gegründet und waren sowas wie das fehlende Glied zwischen Punk und psychedelischem Folk-Rock. Die britischen Underground-Helden erlangten zumindest durch den Song "I Know Where Syd Barrett Lives" Insider-Kult-Status. Sie wussten damals tatsächlich, wo sich der verschollene Pink Floyd-Gründer aufhielt. Er lebte nämlich abgeschieden in Cambridge bei seiner Mutter. "You'll Have To Scream Louder" stammt vom 1984er-Album "The Painted Word" und ist ein schlampig-dreckiger Rocker mit Pop-Füllung, die sich aber im Gewirr des E-Gitarren-Geschrammels und der zersetzenden Echo-Effekte verliert. Bei den Tindersticks kommt das Lied im Gegensatz dazu mit karibisch anmutenden, tanzbaren Rhythmen beinahe freundlich rüber.

    Song Nr. 6 und 7 sind dann wieder Eigenkompositionen: Das traurige Piano-Chanson "Tue-Moi" verbreitet eine gedrückte Stimmung, denn es ist dem Terroranschlag auf das Bataclan in Paris im Jahr 2015 gewidmet. Die Aufmerksamkeit wird hier ganz und gar auf das leicht erregte Timbre des lyrisch-bedeutsamen Gesanges gelenkt. Friedliche Frühlingsgeräusche leiten dann das abschließende "The Bough Bends" ein. Besänftigend gesprochene Worte passen sich in die harmonische Klanglandschaft ein, bevor der Track ganz langsam Fahrt aufnimmt, aber sich trotz knurrend-rumorenden und hell schillernden E-Gitarren in ruhigem Fahrwasser aufhält.

    Es ist löblich, dass sich die Musiker für "Distractions" bemühen, sich selbst und ihren Sound weiterzuentwickeln. Aber diese Schritte sollten ausgereift, sinnvoll und nachvollziehbar sein und nicht - wie bei "Man Alone (Can't Stop The Fadin')" - in einem unausgegorenen Experiment enden. Um das zu vermeiden, hilft es oft Ideen von Künstlern aufzunehmen, die bisher noch nicht im Dunstkreis der handelnden Personen aufgetaucht sind, statt im eigenen Saft zu schmoren. Die Kritik an dem Stück soll darstellen, wie schnell man sich verrennen kann und künstlerisch in die Sackgasse gerät, wenn Ideen herausgegeben werden, die nicht das gewohnte Niveau halten. In diesem Falle wird teilweise genau das erreicht, was vermieden werden sollte: Ein Qualitätsverlust. Aber die Tindersticks haben ansonsten nur interessante Tracks abgeliefert. So ist unterm Strich ein lohnendes Album herausgekommen, aber eben kein Meisterwerk.
    Meine Produktempfehlungen
    • No Treasure But Hope Tindersticks
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    4 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Inaktiver Stern
    06.03.2021
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    "Electrically Possessed" ist der 4. Teil der Vergangenheitsbewältigung von Stereolab.

    Der Sound des Projektes Stereolab ist für den Zufallshörer kaum zu fassen oder einzuordnen, zu unterschiedlich sind die Stücke gestrickt. Der Schwerpunkt kann dabei sowohl auf Lounge-Pop, Bossa Nova und Electro-Pop, wie auch auf Minimal-Art, Jazz oder Chanson liegen.

    Stereolab formierten sich 1990 in London aus den Resten der Gitarren-Band McCarthy mit den Ideengebern Tim Gane (Gitarre, Keyboards) und Laetitia Sadier (Gesang, Keyboards, Gitarre). Sie benannten sich nach einem Sublabel von Vanguard Records, für das solch wegweisende, unabhängige und einflussreiche Künstler wie Sandy Bull, Larry Coryell, Odetta und auch Joan Baez aufgenommen haben. Schnell fanden Stereolab im pulsierenden London eine Lücke zwischen Post-Rock, Mutant-Disco, Minimal-Art, Bossa Nova und Kraut-Rock, die sie kreativ ausfüllen konnten. Bei ihnen lernt die Elektronik seitdem das Swingen und Grooven, sie reihen Pop-Traditionen in avantgardistische Ausflüge ein, sie verschmelzen brasilianische Klänge mit Kraut-Rock und das Swinging London der 1960er Jahre lebt wieder neu auf. Alle diese Ingredienzien treiben in sich ständig wandelnder Form seltsam-frische Blüten und tragen so zu einer stilvollen und anspruchsvollen Unterhaltung bei.

    Im Jahr 1992 haben die Musiker damit begonnen, ihre Vergangenheit aufzubereiten, indem sie seltene Tracks und bisher unveröffentlichte Outtakes sichteten und klangtechnisch überarbeiteten. Dabei kamen dabei bisher die Werke "Switched On" (1992), "Refried Ectoplasm" (1995) und "Aluminum Tunes" (1998) heraus. Mit "Electrically Possessed" wurde jetzt die Zeit zwischen 1997 bis 2008 durchforstet und mit 25 handverlesenen Tracks nachgebildet.

    Die ersten sieben Kompositionen stammen vom Minialbum "The First Of The Microbe Hunters" (2000): Bei "Outer Bongolia" werden wiederkehrende, monotone Rhythmen sehr ernst und konsequent eingesetzt. Und das alles unter dem Feuer lateinamerikanischer Rhythmen. Kunst trifft auf Klischee! Das Vibraphon spielt von Anfang an die selben Töne, über die die anderen Instrumente improvisieren und fantasieren. Dabei entstehen dann Fusionen aus psychedelischen und suggestiven Sounds, Jazz-Grooves und lateinamerikanische Disco-Klänge. Das Stück ist ein Trip, der im Nirgendwo endet und das Gehirn unterwegs zum Expandieren bringt. Ein gewagtes Experiment mit ungewissem Ausgang. Skurril, abgedreht und unter Umständen an den Nerven zerrend. Zehn Minuten bis zur Ewigkeit oder Minimal-Art als Psycho-Droge.

    "Intervals" setzt die Stimme von Laetitia Sadier ins rechte Licht. Anmutig wie Astrud Gilberto ("The Girl From Ipanema") oder bisweilen herausfordernd wie Flora Purim ("Light As A Feather") präsentiert sie sich als souveräne Lenkerin von bedeutenden Stimmungen und spontanen Einfällen in diesem anziehend-verspielten Bossa Nova-Chanson. Der kühle Anteil im Gesang verweist auf Nico, die auf "Velvet Underground & Nico" (1967) und ihrem ersten Solo-Album "Chelsea Girl" (1967) einen unnahbaren Gesang beisteuerte. Später sang sie dann noch frostiger, aber das ist eine andere Geschichte. Bei Laetitia geht die Sonne bei den von ihr hervorgebrachten Lauten jedenfalls nie ganz unter. Die Musiker setzen auf Gegensätze, mit denen sie das Stück beweglich halten: Billig wirkende Synthesizer-Klänge geben sich mit gesellschaftsfähigen, feinen Marimbaphon-Klängen ein Stelldichein und der Rhythmus simuliert Tanzmusik. Aber die Tempowechsel durchbrechen den Schwung stets zu Gunsten der inneren Einkehr.

    Der Beat von "Barock-Plastic" wühlt sich wuchtig und konstant durch einen Dschungel von Brasilectro-Klängen. Dieser jugendliche Überschwang verleiht dem Stück auch sein Selbstbewusstsein und seine Originalität. Es überholt alles, was zu behäbig nach alten Regeln abläuft und schafft so neue Sound-Tatsachen. Frechheit siegt (manchmal). Auch "Nomus Et Phusis" zapft sowohl Weltmusik wie auch die Errungenschaften der elektronischen Musik an. Daraus entsteht ein fremdartiger Pop-Song oder verfremdeter Latino-Track. Ganz wie man will. Was mit dezenten Trommeln beginnt, wechselt in ein absurdes Ton-Geleier und dann in einen künstlich-kitschigen Chill-Out-Sound. Im Reich der Klang-Illusion ist eben alles erlaubt.

    Die Luft auf einem anderem Planeten ("I Feel The Air (Of Another Planet)") stellt sich Stereolab als stakkato-hafte Vokal-Übung vor, die nur wenige Veränderungen mit sich bringt. Diese Tonfolgen durchziehen weite Teile des 8 Minuten langen Stückes. Das ist ein bizarrer Science-Fiction-Soundtrack und ein exzentrisches Chanson in einem. Oder eine Hommage an Laurie Anderson - die mit "O Superman" wahrscheinlich die Vorlage für die verwendete Stimmband-Akrobatik lieferte - und Lou Reed, der für knorriges Songwriting mit Herz und Seele steht. Eine Ausprägung, die am Ende der Komposition nach einem Stilbruch in Richtung Kammermusik dann auch die Oberhand gewinnt.

    "Household Names" lässt an Sonne und Strand denken, obwohl das Lied eindeutig zu munter zum Entspannen ist. Easy Listening für Fortgeschrittene! "Retrograde Mirror Form" hypnotisiert durch verschiedene eindringliche instrumentale Wiederholungen, die Echo-artig zwischen dem linken und rechten Ohr hin und her geschickt werden. Eine intensive Übung in Zeitdehnung und Konzentration. Das ist nichts für nervöse, stressgeplagte Individuen, wenn sich auch genau deren Situation hier akustisch widerspiegelt.

    Die Tracks auf "Electrically Possessed" wurden nicht chronologisch angeordnet, sie folgen vielmehr einer subjektiven Dramaturgie der Erschaffer. So werden auch gemeinsam veröffentlichte Songs manchmal quer über die Tonträger verteilt. Die Single "Solar Throw-Away" (A-Seite) / "Jump Drive Shut-Out" (B-Seite) stammt aus 2006. Die A-Seite gibt es in zwei Versionen, die beide hier zu hören sind. Die "Original Version" präsentiert psychedelischen Beatles-Pop der "Magical Mystery Tour"-Phase, der auf flotte kubanische Rhythmen trifft. Die andere Fassung klingt eher wie die sich am Rokoko orientierende Film-Musik aus den Miss Marple-Krimis der 1960er Jahre, bevor der exotische Rhythmus wieder zugesteuert wird und sich das Umfeld elektro-poppig verändert.

    Die B-Seite beherbergt ein Instrumental-Stück, das eine Stimmungslage zwischen beschaulich und vergnügt ausdrückt. Hier wird Kraut-Rock mit romantischer Film-Musik gekreuzt. Das ist musikalisch nicht unbedingt zwingend, aber ganz nett anzuhören. "Pandora's Box Of Worms" ist ein Outtake aus den "Dots And Loops"-Sessions von 1997, das nach einer unstrukturierten Schüler-Indie-Rock-Band im Übungskeller klingt. Das Ton-Dokument demonstriert zwar die stilistische Breite von Stereolab, ist aber musikalisch überflüssig. Außerdem hat der Take bei einer Minute und elf Sekunden einen derben Aussetzer. Die Tour-Single "Explosante Fixe" (A-Seite) / "L'exotisme Interieur" (B-Seite) erschien 2008. Die A-Seite fühlt sich im locker groovenden Mod-Jazz wohl und "L'exotisme Intérieur" ist ein positiv gestimmtes Lied, das Hippie-Folk und Soul-Pop destilliert und frisch aufbereitet.

    Im Jahr 1999 gab es eine 7"-Vinyl-EP mit vier Titeln, die auf 33 Umdrehungen pro Minute lief, "The Underground Is Coming" hieß und auf der damaligen Tournee verkauft wurde: "The Super-It" schafft es, im Grenzbereich zwischen Brasil-Jazz und Folk-Pop gleichzeitig zurückhaltend-entspannt wie auch beschwingt-nachdenklich zu erscheinen. Die Instrumental- und Gesangs-Versionen von "Fried Monkey Eggs" sind im Vergleich dazu etwas vitaler ausgefallen und im Umfeld des Space-Age-Pop zuhause, denn sie wurden für das "Charlie`s Angels In Space"-Videospiel aufgenommen. Space-Age-Pop ist ein Genre, das besonders in den 1950er Jahren gediegene, fremdartige Lounge-Musik hervorbrachte.

    "Monkey Jelly" sitzt als ruhige Electro-Pop-Ballade, die mit wortlosem Gesang und Percussion-ähnlicher Elektronik auf sich aufmerksam macht, wieder zwischen allen Stühlen. Nicht auf der EP war die gesanglose Beats-Variante von "Monkey Jelly". Das ist nämlich ein bislang unveröffentlichter Outtake aus dieser Zeit. Nicht unbedingt notwendig, aber eben selten. 1998 kollaborierte Stereolab mit dem Künstler Charles Long für eine (Klang)-Installation mit dem Namen "B.U.A (Burnt Amber Assembly): An Entanglement Of Wholes". Die Musik dafür ist nicht etwa experimentell-verworren, sondern zugänglich-nüchtern ausgefallen und steht jetzt erstmals offiziell auf Tonträgern zur Verfügung. Laetitias Gesang lässt Engel sprechen und die Elektronik blubbert, pfeift, knurrt und scratched, als wolle sie eine unbekannte Star Wars-Episode erzählen. Pop-Art, so bunt wie die Bilder von Roy Lichtenstein.

    "Free Witch And No Bra Queen" (A-Seite) und "Speck Voice" (B-Seite) waren auf einer auf 2.000 Stück limitierten Tournee-Single vom August 2001 enthalten. Beide Kompositionen sind mit dem Jazz-verwandt, wobei die A-Seite das Experiment neben den Groove stellt und die B-Seite den Jazz nach Brasilien holt und deshalb luftiger ausgefallen ist. "Heavy Denim Loop Pt 2" ist ein Outtake von den "Mars Audiac Quintet"-Album Sessions aus 1994, der Garagen- und Kraut-Rock zusammen bringt. Die dröhnenden Riffs stammen aus der Garage und der unerbittlich harte, monotone Rhythmus wurde in deutschen Klanglaboren der 1970er Jahre geboren.

    "Variation One" wurde für den Soundtrack von "Moog" zu Ehren von Dr. Robert Moog entwickelt, der 1964 den ersten Synthesizer erfand. Es handelt sich hierbei um eine druckvoll-kompakte, voluminös produzierte Komposition mit Retro-Analog-Synthesizer-Solo, der sich für die Tanzfläche eignet und direkt hinter "Blue Monday" von New Order gespielt werden sollte. Oder vor "Dimension M2", das über weite Strecken auch gut in die Beine geht und plötzliche Brüche aufweist. Zu diesem Track, der 2005 auf der CD-Compilation "Disko Cabine" veröffentlicht wurde, gibt es folgenden (gekürzten) Kommentar von Tim Gane: "Nach der Entstehung der Platte "Dots & Loops" (1997) [...] kauften wir uns einen Apple-Desktop-Computer, eine MOTU-Soundkarte und die Software Logic 2 und begannen, sehr einfache Tracks zu produzieren, wobei wir hauptsächlich Samples als Inspiration nutzten und diese mit etwas Gitarre, Keyboards und oft auch wortlosem Gesang überlagerten, den Laetitia und Mary Hansen hinzufügten. Ich persönlich mochte das Schneiden und Zerhacken von Sounds und Rhythmen und versuchte, kleine, pulsierende Songs zu machen [...]. Die meisten dieser Stücke landeten entweder auf Tour-Singles oder auf Compilations. [...] Ich wollte etwas Peppiges und Partymäßiges machen und "Dimension M2" war so nah dran, wie ich an so etwas herankommen konnte - allerdings immer noch ein bisschen kühl und distanziert."

    "Calimero" mit Brigitte Fontaine als verführerische, rätselhafte Lead-Sängerin wurde etwa zur gleichen Zeit wie die Tracks für die "The Underground Is Coming"-EP geschrieben und erschien auch 1999 als Vinyl- und CD-Single. Der Song hat alles, was anspruchsvoller und unterhaltsamer Art-Pop benötigt: Thriller-Jazz-Spannung, eine rauchig-erotische Stimme, überraschende Wendungen, einen federnden Rhythmus und phantasievolle Solisten. Leider fand die tolle B-Seite "Monade" - die wieder vom Gesang von Madame Sadier verziert wurde - keine Berücksichtigung bei der Kopplung der Songs für diese Sammlung.

    Die Auswahl für "Electrically Possessed" mag kontroverse Meinungen auslösen, beinhaltet aber keine Sammlung von Ausschuss. Sie klingt zwar mitunter unzusammenhängend, schöpft aus diesen Gegensätzen aber auch ihre Reize. Es liegt in der Natur der Sache, dass bei dem Vorhaben, die Vergangenheit aufzuarbeiten, nicht alles Gold ist, was glänzt. Schließlich gibt es in der Diskografie von beinahe jeder Band auch unausgegorene Ideen. Aber interessant sind die meisten Ausgrabungen allemal. Denn es ist aufschlussreich zu hören, wie sich die Musiker weiter entwickelt haben und was alles ausprobiert wurde. Stereolab ist eine Formation, die sich enorme Freiheiten gestattet, um ihren Weg konsequent zu gehen. Sie biedern sich nicht an Trends an, scheuen nicht das Risiko und sind trotzdem erfolgreich mit ihren Forschungen. Noch ist die Pop-Kultur also nicht verloren!
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    Wrestler

    The Entrepreneurs
    Wrestler (LP)

    3 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Inaktiver Stern Inaktiver Stern
    06.03.2021
    Klang:
    3 von 5
    Musik:
    3 von 5
    Pressqualität:
    4 von 5

    Die dänischen Noise-Rocker spielen Punk, Grunge, Post-Rock u. psychedelischen Garagenrock.

    In Zeiten wie diesen...so fangen derzeit viele Erfahrungsberichte und Ratschläge an. Ja, in Zeiten der Isolation braucht man auch mal ein Ventil, um aufgestauten Tatendrang rauszulassen, aus sich heraus zu gehen und den Kopf frei zu bekommen. Was hilft da besser und ist befreiender als krachende, dreckige Rock-Musik mit Haltung? Da kommt das dänische Trio The Entrepreneurs mit ihrem zweiten Album "Wrestler" grade richtig.

    Wie die Band ihre Musik selber einordnet, beschreibt sie auf ihrer Facebook-Seite: "Wir spielen Noise-Rock. Manchmal machen wir es schnell und grandios, ein anderes Mal langsam und mit tiefgründiger Kontemplation, für Ihren Seelenzustand, weil wir einfach nicht anders können. Ästhetisch reiche und experimentelle Variationen über einige der wichtigsten Subgenres des Rock ist der Sound der dänischen The Entrepreneurs." Mathias Bertelsens Gesang will sich zunächst gar nicht in dieses Umfeld einfügen lassen, da er eine feminine Ausstrahlung besitzt, die zwischen sachlich und ärgerlich schwankt, selten aggressiv erscheint und von daher im Noise-Rock nicht oft anzutreffen ist.

    Der Opener "A Good Year To Go Across The Country" klingt wie ein verschollener Velvet Underground-Track, der in einer hellerer Stimmlage dargeboten wird, wie sie ähnlich vom jungen Neil Young bekannt ist. Die E-Gitarre raspelt dazu zunächst monoton-verloren und einsilbig. Wenn dann das Rhythmus-Duo einsetzt, wandelt sich das Bild allmählich zu einer in Feedback getränkten Krach-Orgie, bei dem der nun auch mal rauschhaft in den Hintergrund tretende Gesang der einzige ruhende Pol bleibt.

    "Sweet" lässt dann bei ähnlicher Ausrichtung mehr Geschwindigkeit zu und hat ordentlich Dampf auf dem Kessel. Es schwirrt und surrt stimulierend, dass es eine Freude ist. Dinosaur jr. um J Mascis lassen grüßen. "What's Up With Your Head?" erinnert durch die trocken-holprige Bass/Schlagzeug-Kombination an Sonic Youth. Hinzu kommen noch harte Garagenrock-Riffs, Power-Pop-Melodie-Schnipsel und eine experimentell geprägte Leerlaufphase, die auch gerne als Stilmittel von der New Yorker Avantgarde-Rock-Band um Kim Gordon und Thurston Moore genutzt wurden.

    Das Titelstück "Wrestler" präsentiert sich als langsamer, düster-gespenstischer Psychedelic-Folk-Rock mit Alice Coltrane-Gedächtnis-Harfe. Die drogenschwangere Atmosphäre lässt an Quicksilver Messenger Service in der Dino Valenti-Phase von "Just For Love" von 1970 denken. Eine gelungene Zeitreise! Das sich anschließende "Cinnamon Girl" ist keine Cover-Version des Neil Young-Tracks, sondern wurde vom Sänger Mathias Bertelsen für seine Tochter geschrieben. Das Lied handelt von den einschneidenden Veränderungen, die das Leben als Vater mit sich bringt. Musikalisch schalten die Entrepreneurs einen Gang zurück und lassen den Gitarren-Krach nicht klangbestimmend sein, sondern nur wie ein zusätzliches Instrument als raumfüllendes Element mitschwingen. Ansonsten zeigen sich die Noise-Spezialisten hier eher als moderne Art-Rocker, die Melodie und Rhythmus gleichberechtigt austarieren.

    "Mess" geht als Ballade durch, obwohl die Komposition wesentlich mehr laute, störende Geräusche und Sound-Eskapaden beinhaltet, als dies sonst bei langsamen Liedern üblich ist. Und genau das zeichnet das Stück aus. Die Musiker nutzen einen ähnlichen Effekt, wie ihn auch The Jesus And Mary Chain verwenden: Durch kreischende Feedback-Gitarren, die mit einer zuckersüßen Melodie gefüttert werden, gelingt die Quadratur des Kreises in Form einer Verschmelzung von Pop und Experiment. "What`s So Fucking Strange About My Idea" ist eine freche, überschwängliche Classic-Rock-Parodie mit Bass- und Gitarren-Soli, die von Frank Zappa entliehen sein könnten. Bei "Gonzo" tobt sich die Band dann noch mal richtig aus: Allerlei Effekte, versetzte Takte und eine im Hintergrund mit Echo bearbeitete Stimme sorgen für Verwirrung und lassen das Stück bizarr und unnahbar erscheinen.

    Die Dänen geben eine Leistungsschau davon ab, was so alles zwischen Punk, Grunge, Post-Rock und psychedelischen Garagenrock möglich ist und lassen dabei viele Erinnerungen an bekannte Vorbilder aufflackern. Die von ihnen ausgedrückte musikalische Zerrissenheit passt natürlich als Lebensgefühl in den derzeitigen Zeitgeist, aber mit unter 30 Minuten Laufzeit ist das Werk dann doch zu kurz geraten, um als vollwertiges Album durchzugehen. Die Platte enthält ein paar gute Ansätze, es fehlen jedoch noch weitere prägende Songs für einen rundum bemerkenswerten Höreindruck. In Zeiten wie diesen benötigen wir pralle, starke, vor Energie und Mut überschäumende, phantasievolle Musik, an der wir uns festhalten können.
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    Düsseldorf - Tokyo

    Love Machine
    Düsseldorf - Tokyo (CD)

    4 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Inaktiver Stern
    06.03.2021
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Love Machine sind unkonventionell in dem, was sie singen und spielen. Und das ist gut so.

    Love Machine erzählen auf ihrem vierten Album "Düsseldorf-Tokyo" laut eigenem Bekunden von ihrer Heimatstadt Düsseldorf als eine schmuddelige und irrsinnige Stadt. Es geht um Abgründe und üble Schicksale mit Geschichten über Sucht, Absturz, Ausnüchterung und Freundschaft. Das soll alles im örtlichen Spannungsfeld zwischen Mondänität und Trash am eigenen Leib erlebt worden sein, wie die Musiker Marcel Rösche (Gesang), Noel Lardon (Schlagzeug), Richard Eisenach (Bass), Jan Lammert (Keyboards) und Hendrik Siems sowie Felix Wursthorn (beide Gitarre) versichern. Die Künstler hinterlassen optisch einen verwegenen Eindruck, so als wären sie in den 1960er Jahren Begleitmusiker von Frank Zappa gewesen.

    Aber man liegt nicht unbedingt richtig, wenn man vom Äußeren auf die Musik schließt. Diese Love Machine ist überwiegend zugänglich orientiert. Es gibt konventionelle Elemente, die an Achim Reichel erinnern, manche dadaistischen Anspielungen lassen dagegen an Kiev Stingl denken. Dieser wegweisende Musiker wirbelte ab Mitte der 1970er Jahre auch durch Anschub von Herrn Reichel die Deutschrock-Musikszene durch rotzig-kraftvolle Töne ganz schön durcheinander. Er ist heute aber leider etwas in Vergessenheit geraten. Beim Quintet Love Machine nimmt der dunkle Bariton von Marcel Rösche den Hörer oft als hervorstechendes Merkmal besänftigend und freundschaftlich mit auf poetisch-skurrile Gedankenspiele, bei denen die deutsche und englische Sprache gemischt und gleichberichtigt berücksichtigt wird. Das hat eine gewisse dekadent-hinterhältig-belustigend-charmant-naive Ausstrahlung, schert sich also nicht unbedingt um Konventionen.

    Die Verbindung zwischen Düsseldorf und Tokyo scheint eine lockere und harmonische zu sein, zumindest lässt der das Album eröffnende, gemächlich trottende Easy Listening-Shuffle "Düsseldorf-Tokyo" so etwas vermuten. "Golo Mann" schwenkt dann um und präsentiert die Musiker als sehnsüchtige Southern-Rocker mit Hang zum schwelgenden Country-Rock. Dieses Gebräu wird von einem zärtlich-gefühlvollen, sanft brummenden Gesang untermalt, dem man einfach verfallen muss.

    Die Love Machine ist überwiegend mit intimer Leidenschaft unterwegs. Die nächsten fünf Balladen legen Zeugnis darüber ab: "Hauptbahnhof" ist von ernsthafter Sinnlosigkeit geprägt und wird dazu kurioserweise von ergreifenden Klängen umspült. Mit der Aussage: "Hauptbahnhof, hier wollte ich eigentlich gar nicht hin", beginnt diese putzige Moritat, aber erhellender wird die Geschichte danach auch nicht mehr. Ist das die hohe Kunst des Blödsinns, wie ihn auch Trio ("Da Da Da") praktizierten?

    "100 Jahre Frieden" als Kuschel-Rock zu bezeichnen, wäre eine Beleidigung. Aber zumindest begegnen sich hier auf übertrieben seriöse Weise Schlager-Trivialität und Rock-Gitarren. Das liebliche "Lieblingsbar" suggeriert auch Ernsthaftigkeit, kann aber auch als ironischer Humor verstanden werden. Eine eindimensionale Orgel sorgt beim traurig-introvertierten Folk-Jazz "Gunst der Dinge" für Behaglichkeit und "Swimmingpool der Welt" ist ein bewegend-ausschweifender Song, der durch eine dynamische Melodielinie besticht. Alle diese Lieder werden von wehmütigem Gesang getragen, wie ihn Freddy Quinn in seinen Seemannslieder verbreitet hat. Aber auch der Heilige Zorn von Unheilig deutet sich zwischendurch stimmlich an.

    Das betont als altmodischer, trockener Country getarnte "Gemeinsam einsam" schlurft gemütlich dahin und kann sowohl als Parodie wie auch als charmanter Retro-Beitrag gedeutet werden. Der nüchterne Gesang sagt jedenfalls nichts Eindeutiges über die wahre Absicht der Musiker aus. "That Mean Old Thing" dreht dann den harmlosen Spieß um und lässt bewährte Trieb-Mittel aus Boogie-, Glam- und Hard-Rock kraftvoll sprechen. Der Track spiegelt die Unnachgiebigkeit von Status Quo, den Glamour von T. Rex, die gespielte Coolness von Boss Hoss und den verruchten Dreck von Motörhead wider und bringt das Stück damit auf Trab.

    Bei "The Animal" spielen die Musiker mit einem halbwegs wilden Rock & Roll-Klischee und schrecken allerdings auch nicht vor süßlichen Passagen zurück. So sind sie nun mal: Unberechenbar und nicht zu greifen. Es ist auch nicht sofort einzuschätzen, ob nun Kitsch oder Kunst fabriziert wird.

    Love Machine scheinen aus einer Zwischenwelt zu kommen: Sie sind zu unkonventionell, um als Schlager- oder Chanson-Verwalter durchzugehen, zu liebevoll, um als Rocker anerkannt zu werden und zu vielseitig, um der Roots-Music eindeutig zugerechnet werden zu können. Aber sie haben von allem etwas und die Mischung der Formen und Stile macht den großen Unterschied zum derzeit vorherrschenden Mainstream aus. Die verschwurbelt naiven Texten sind so sympathisch-absurd, dass sie nicht als am Reißbrett entstandene Gehirnblähungen gedeutet werden können, was häufig bei den grade angesagten deutschsprachigen Musikern vorzufinden ist. Die Gruppe fällt - wenn sie Pech hat - aufgrund ihrer kuriosen Eigenarten und selbstverständlich erscheinenden Umgangsformen durch alle Raster, weil sie eben nicht einer Schublade zuzuordnen ist. Das kann davon kommen, wenn man originell und nicht stromlinienförmig agiert, ist aber ein Qualitätsmerkmal.
    Meine Produktempfehlungen
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    • Das Beste Achim Reichel
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    Freeze Where U R

    Freeze Where U R (CD)

    5 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern
    06.03.2021
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Harmonischer Pop mit Substanz und Widerhaken ist das gelungene Konzept von "Freeze Where U R".

    "Freeze Where U R" zeigt auf, was möglich ist, wenn Seelenverwandte zur richtigen Zeit zusammen finden, um gemeinsam ihre losen Ideen zu fertigen Songs zu formen. Dann können aus Rohdiamanten Edelsteine entstehen. Dieses Phänomen gelang Brisa Roché & Fred Fortuny auf beeindruckende Weise. Getrennt voneinander bewiesen sie schon ihr Talent, als Duo schwingen sie sich zu ungeahnten Möglichkeiten auf. Die beiden Musiker trafen sich bereits vor zehn Jahren, verloren sich danach zwar nie gänzlich aus den Augen, fanden aber erst jetzt Zeit, um ihre Entwürfe zu einem Werk zu fusionieren: Die Stücke sorgen für wohltuende Assoziationen, bringen Vergangenes zum erstrahlen, lassen die Gegenwart glänzen und auf eine schillernde Zukunft hoffen. Die Künstler demonstrieren mit ihren Kompositionen eine schöpferische Reife auf Basis langjähriger Erfahrungen und statten ihre Lieder originell und geschmackvoll aus.

    Aber wer sind die Protagonisten hinter diesem stimmigen Pop-Album? Brisa Roché wurde 1976 in einem Haus am Strand von Nord-Kalifornien geboren. Ihre Hippie-Eltern zogen in die Berge, als sie 13 war und dort musste sie ohne Strom und fließendes Wasser klar kommen. Mit 16 ging sie von zuhause fort und erlebte in Seattle die Grunge-Welle. Danach zog es sie nach Paris, wo sie den Jazz und das Chanson aufsaugte und 2005 ihr erstes Album auf dem renommierten Blue Note-Label einspielte. Im Anschluss pendelte sie immer wieder zwischen Kalifornien und Frankreich, wodurch die Singer-Songwriter der 1970er Jahre, die sie durch ihre Eltern kennen gelernt hatte, präsent blieben.

    Diese Prägungen bestimmen grundsätzlich das Verständnis vom Songaufbau, von Harmonie und von sensibler Dynamik. Brisas Potential war schon früh - selbst auf dem unausgegorenen "Invisible 1" von 2016 - zu erkennen, aber längst noch nicht formschön ausgeprägt. Seitdem kam es jedenfalls zu einer enormen künstlerischen Entwicklung, weshalb "Freezy Where U R" jetzt in seiner anspruchsvollen und abwechslungsreichen Schönheit erstrahlen kann. Aber Brisa hat auch noch ein anderes Anliegen umsetzen können: „Ich habe über Momente und Themen aus unterschiedlichen Abschnitten in der Lebensgeschichte einer Frau geschrieben – betrachtet durch die emotionale Linse meines aktuellen Lebens, meines Daseins im Hier und Jetzt. Emanzipation, nostalgische Gefühle für längst vergangene Liebschaften, Wut auf Männer, Trennung und Unabhängigkeit in der Arbeit, immer neue Kapitel, die man anfängt, das Auflehnen gegen die Sklaverei, die der technologische und virtuelle Fortschritt mit sich bringen.…“ Diese Inhalte werden in den neuen Songs behandelt und sorgen auch im poetischen Bereich für ein zuverlässig hohes Niveau.

    Genau so wichtig für dieses Projekt ist Fred Fortuny als gleichberechtigter Partner, der zwar aus dem Hintergrund zu agieren scheint - wie auch das Cover-Foto der Platte suggeriert - aber in seiner Rolle des spirituellen Direktors mindestens so entscheidende und richtungsweisende Impulse lieferte, wie es George Martin für die Beatles tat. Außerdem hat er als Arrangeur, Komponist, Musiker, stilistisches Gegengewicht und Seelsorger einen erheblichen Anteil am Gelingen von "Freeze Where U R". Bisher ist der zurückhaltende Künstler allerdings relativ selten in Erscheinung getreten. Von Ende der 1980er Jahre bis hinein in die 1990er Jahre war er als Bassist, Gitarrist und Keyboarder Mitglied der französischen Power-Pop-Band Love Bizarre, die offensichtlich von den Beatles, den Kinks und Big Star beeinflusst war. Zuletzt arbeitete er oft mit dem französischen Autor, Komponisten und Performer Da Silva zusammen.

    Fred hörte in einem Urlaub auf Mallorca im Jahr 2000 zum ersten Mal "Tapestry" (1971) von Carole King, was für ihn eine Offenbarung war. Dieser Sound ist jetzt oft ein leitendes Licht, das "Freeze Where U R" bevorzugt erhellt. Seit diesem Urlaub träumt Fortuny davon ein Album aufzunehmen, das vom Laurel Canyon-Sound solcher Künstler wie The Byrds oder The Mamas & The Papas und von erfahrenen Songwritern wie Jimmy Webb beeinflusst ist. Diesem Ziel ist er nun sehr nahe gekommen.

    Das Album beginnt kurioserweise mit dem "Last Song". Warum sollte man ein Pferd nicht auch mal von hinten aufzäumen? Inhaltlich geht es um die Verarbeitung einer zerbrochenen Beziehung. Es werden sozusagen letzte Worte gesprochen und Bewältigungsstrategien ausprobiert, bevor das Thema zu den Akten gelegt werden kann. Das Lied wurde reich und detailverliebt instrumentiert, treibt schwelgerische Gefühle auf die Spitze, verwendet zwischendurch ruhige Sequenzen zur Spannungssteigerung und seltsame, hohe Chorstimmen zur Betonung der Extravaganz. Der Gesang drückt dazu feierliche Eleganz und ein individuelles Jubeln aus, wie es Joni Mitchell gerne als Stilmittel benutzt. Ganz große Klasse! Auch "You Were Mine" ist fantasievoller, anspruchsvoller Pop für Erwachsene, der als Bezugspunkt ausdrucksstarken Gospel-Folk-Jazz-Gesang präsentiert, wie er von Laura Nyro ("Wedding Bell Blues") kultiviert wurde.

    "Tempted Tune" und "Blue Light" wurden maßgeblich von den amerikanischen Musicals der 1940er und 1950er Jahre - wie "Showboat" - beeinflusst, die bei der musikalischen Sozialisation von Fred Fortuny eine große Rolle spielten. Diese kurzen, romantischen Retro-Vaudeville-Nummern stützen sich voll und ganz auf die sympathische Wirkung einer ausdrucksvollen Stimme in Verbindung mit einem einfühlsamen Piano. Sie verbreiten eine Behaglichkeit aus einer guten alten Zeit, die es so wahrscheinlich nie gegeben hat. Und "Blue Light" klingt zusätzlich noch wie eine demütige Verneigung vor Billie Holiday.

    "Don't Want A Man" scheint dafür gemacht worden zu sein, groß inszeniert zu werden. Ein üppiges Bühnenbild, allerlei Tänzer und diverse Musiker erscheinen vor dem geistigen Auge, wenn dieser ausladende Show-Pop der besseren Sorte ertönt und mit hymnisch-würdevollem und lustvoll-verzücktem Lead-Gesang bestückt wird. Der Track "Freeze Where U R" bekommt Anregungen von der experimentellen Phase der New Wave- Szene aus den End1970er Jahren verliehen, als schräge Samples ausprobiert wurden und die suggestiv-monotone Elektronik des Kraut-Rock ein Revival erhielt. Bei Brisa Roché stehen Can und ganz besonders deren 20minütiges "Yoo Doo Right" vom "Monster Movie"-Album aus 1969 nämlich hoch im Kurs. Für die Komposition "Freeze Where U R" werden dröhnende, perkussiv verfremdete Maschinenklänge zu Gehör gebracht. Sie klingen so übermächtig, als hätten Roboter die Weltherrschaft übernommen. Genau die gleichen Effekte benutzte übrigens das Art-Rock-Genie Peter Hammill für sein "A Motor-Bike In Afrika", das auf "The Future Now" aus 1978 zu finden ist.

    Über diesem Gerumpel hinweg singt Brisa ungerührt, ausgeglichen und ruhig. Sie sorgt so für ein Sound-Bild, das zwei völlig unterschiedliche Seiten enthält, als würde Yin mit Yang um Vorherrschaft kämpfen. "Woman With A Star" und "Window Gun" sind stilvolle Übungen in Harmonielehre. Mit Hilfe von Soft-Rock- und Folk-Pop-Elementen entstanden diese Lieder, die so leicht daher kommen, als könnten sie in Milch schwimmen. Wobei sie durch ihre prägnanten Melodien ohne Weiteres einen Ohrwurm auslösen können.

    So verdreht, wie das Wortspiel "I Yove Lou" ist, ist auch die Musik zu diesem Track. Hier werden Tonfragmente zufällig zusammengefügt, die aus der Betätigung des Sendersuchlaufs eines Radios zugesteuert zu sein scheinen. Das ist eine Übung in alternativer Aufmerksamkeitssteigerung, die dem Ablauf eine unruhige, aber anregende Brisanz verleiht. Die optimistisch gestimmte Ballade "I Do Not Need Repair" zapft sowohl Late-Night-Jazz wie auch barocke Klassik und coolen Rhythm & Blues an. Deshalb klingt das Stück auch so eigenständig, intelligent und ungewöhnlich.

    Das kunstvoll verschnörkelte "The Pattern" sendet Morse-Signale ins All und lässt exotisch-surreale Klang-Landschaften entstehen. Dennoch wirkt das Stück zutraulich und nahbar. Art-Pop für Hirn und Seele. Das hat was von der sensiblen Pop-Avantgarde von Julia Holter. Das feinfühlige "Quite Clean" verströmt hingegen Reinheit, Offenheit und ausgeglichene Gelassenheit, so dass der fragil-spartanisch instrumentierte Song sowohl zerbrechlich-verletzliche wie auch ernsthaft-beharrliche Momente besitzt. Schönheit entsteht eben auch aus Bescheidenheit heraus.

    Deuten die bislang verwendeten Beschreibungen und Formulierungen etwa auf Lobhudelei, Übertreibung und Fehleinschätzung hin, wo doch die anderen Werke der Künstler nicht diese vollständige Überzeugungskraft besaßen? Wohl kaum, denn die individuelle Art der Präsentation und die kreative Umsetzung der Ideen von Brisa Roché & Fred Fortuny lassen keinen Zweifel an ihrer professionellen, überlegten und überlegener Vorgehensweise zu.

    Die Mischung macht die überzeugende Wirkung aus. "Freeze Where U R" ist deshalb so unterhaltsam und interessant, weil das Album als Gesamtkunstwerk mit facettenreicher Mosaik-Technik zu betrachten ist. Eingängige, einnehmende Pop-Songs stehen neben provokativ ausgerichteten Stücken. Der Pop ist dabei nicht zu süßlich und die Wagnisse sind nicht zu kopflastig ausgefallen. Ausgewogenheit ist das Gebot der Stunde, Anregung der Sinne trotzdem eine Pflicht. Brisa Roché & Fred Fortuny haben sich als Traumpaar des anspruchsvollen Pop profiliert, wobei der Anspruch darin besteht, bewährte Konstellationen und innovative Kreationen so zu fusionieren, dass beim Hörer nie der Eindruck entsteht, aufgewärmte Retro-Kost oder sinnentleerte Fingerübungen serviert zu bekommen. Das ist vollauf gelungen. Vielleicht ist "Freeze Where U R" schon jetzt eines der Pop-Alben des Jahres.
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    American Standards

    Ian Fisher
    American Standards (CD)

    5 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern
    06.03.2021
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Ian Fisher setzt nicht nur Standards, sondern auch die Messlatte hoch.

    Jetzt ist es schon wieder fünf Jahre her, seit der vielseitige Singer-Songwriter Ian Fisher einen "Koffer" in Berlin hatte und dies auch auf deutsch besungen hat. Seitdem ist er aber nicht untätig gewesen, sondern hat "Nero" (2016), die "Italian EP" (2018), "Idle Hands" (2018) sowie "Cherry Orchard" (2019) veröffentlicht. "Idle Hands" wurde sogar vom ROLLING STONE als "halb Americana und halb Abbey Road-würdiger Pop" bezeichnet.

    Der Künstler aus dem US-Bundesstaat Missouri, der aktuell in Wien lebt, ist ein Vollblutmusiker und Workaholic: Er soll schon über anderthalbtausend Lieder geschrieben haben und hat Hunderte von Konzerte in Europa, Nordamerika, Afrika und Europa gespielt, sowie an einer Handvoll von Theaterstücken in Wien und München teilgenommen. Bei Ian Fisher ist aber nicht nur die Quantität seiner Arbeit beeindruckend, sondern immer wieder auch die Qualität seiner abwechslungsreichen Kompositionen.

    Für "American Standards" wählte Ian Fisher zusammen mit dem Lead-Gitarristen und Produzenten René Mühlberger und den Musikern und Co-Arrangeuren Ryan Thomas Carpenter (Keyboards), Andreas Laudwein (Bass) und Camillo Jenny (Schlagzeug) aus 300 Demo-Versionen zehn Songs aus. Diese wurden zusammen mit fünf atmosphärischen Bonus-Tracks, die als kurze Übergänge zwischen den Stücken eingestreut werden, in einem malerisch gelegenen österreichischen Studio eingespielt.

    "American Standards" enthält also keine allseits bekannten Klassiker, sondern strebt den ehrgeizigen, selbstbewussten Anspruch an, die eigenen Kompositionen als kommende Evergreens zu präsentieren. Und tatsächlich hinterlässt das Werk einen im besten Sinne abgehangenen, durchdachten, abgerundeten Eindruck, bei dem die Stücke eine spezielle altersweise Patina aufweisen. Das kommt in besonderem Maße bei den ausdrucksstark interpretierten Liedern "Three Chords & The Truth" und "Winterwind" zum Tragen, die sich wie Country Folk-Urgesteine aus den 1960er und 1970er Jahren anhören. Als Vergleich fallen Künstler wie Jesse Winchester, Steve Young, Michael Dinner oder Eric Anderson ein. Diese in ihrer Schönheit unangreifbar erscheinenden Tracks nehmen eine unumstößliche Position ein, die keinen Widerspruch duldet und diesen auch unnötig erscheinen lässt.

    Aber auch die anderen Lieder haben es in sich: "Maybe A Little More" fängt eine melancholische Stimmung ein, die zwischen Bangen und Hoffen angesiedelt ist. Die Stimme taucht in eine Zwischenwelt ein, die sowohl Schmerz wie auch Verlangen ausdrückt. Gesanglich lässt das an den wehmütigen Ausdruck von Morrissey (ex-The Smiths) im verregneten London denken. "AAA Station" wird vom schwirrenden, kurzen "Endless Drive Thru" eingeleitet und atmet bald darauf weitläufige Country-Luft, kann aber auch seine elektrisierende Folk-Rock- und aufmunternde Power-Pop-Wurzeln nicht verleugnen. Der Song beinhaltet einen verwegenen, kreativen Stil-Mix, bei dem sich Ian Fisher als Bruder im Geiste von Daniel Romano präsentiert.

    Fishers Stimme vermittelt zwischendurch eine coole, leicht nasale Note, die eventuell auch als arroganter Ausdruck gedeutet werden kann und im Übrigen auch beim kraftvollen, selbstbewussten Song "American Standards" für Aufsehen sorgt. Das Lied fällt außerdem noch durch einen unwiderstehlichen Refrain, ein aufwühlend-treibendes Piano und leidenschaftlich lodernden Gesang auf. Das ist konstruktives Songwriting der Güteklasse A! Das instrumentale Zwischenspiel "Early Morning Haze" wird von einer singenden Pedal-Steel-Gitarre und wolkigen Keyboards in den Weltraum befördert. Bei dem sich anschließenden, demütigen, zu Tränen rührenden Country-Folk "Be Thankful" spielt die Pedal-Steel-Gitarre wieder eine Hauptrolle, weil es ihr gelingt, die Seele sanft zu streicheln. Wer hier nicht dahin schmilzt, hat ein Herz aus Stein. Ein Schnipsel der Folk-Song-Demo-Aufnahme "In Front Of Another" bildet dann den Übergang zum elegant groovenden, elektronisch verstärkten, hymnischen, Gitarren-verzierten Pop von "One Foot".

    "Melody On Tape" ist eine elektronisch-akustische Spielerei als Vorgeschmack zu "Melody In Nashville". Diese romantische, beatlesque Ballade lässt die Gitarre sanft weinen. Ian singt dazu zuckersüß, als wäre er ein Schüler von Roy Orbison gewesen. Mit "It Ain’t Me" präsentiert sich der Allrounder dann als am Rock & Roll geschulter Boogie-Man und füllt den hämmernden Rhythm & Blues mit einer großen Portion Soul-Pop auf. Bei "Only Church With A God I Pray To" spricht Mr. Fisher mit sphärischer Untermalung über seine Auffassung von Spiritualität, bevor mit dem sechseinhalb Minuten langen "Ghosts Of The Ryman" der ausführlichste und eindringlichste Song der Platte beginnt. Das Ryman Auditorium ist sowas wie der Tempel der Country-Music in Nashville. Hier fand von 1943 bis 1974 die legendäre Radio-Show Grand Ole Opry statt und Ian verbeugt sich mit dem Song vor diesem Auftrittsort in seinem Geburtsort. Und das nicht etwa mit traditionellen Mitteln, sondern mit einem Konglomerat aus Gospel-Country, Art-Pop, "Wish You Were Here"-Pink Floyd und Space-Jazz. Aber dennoch respektvoll und angemessen, sowie intellektuell durchdacht.

    Ian Fisher fühlt sich vom "White Album" der Beatles und von Neil Young`s "Harvest" inspiriert, weil diese Alben sowohl spartanisch instrumentierte wie auch üppig arrangierte Songs enthalten und trotzdem einen kompakten Eindruck hinterlassen. Eigentlich ist "Koffer" im Vergleich zu "American Standards" ein Werk, bei dem viel versucht und riskiert wurde. Damit nahm der Musiker bewusst in Kauf, auch scheitern zu können. Konzeptionell handelt es sich also eher um sein "White Album". Das aktuelle Werk erscheint trotz unterschiedlicher Ansätze insgesamt ausgeglichener und geordneter, wurde demnach eher wie "Harvest" gestaltet. Ian hat im Laufe seiner Karriere schon viel ausprobiert. So veröffentlichte er 2014 zusammen mit dem Berliner Musiker und Produzenten Fabian Kalker unter dem Namen Junior zwei Platten mit gediegenem Electro-Folk-Pop ("Junior Vs. Shakespeare EP" und "Self Fulfilling Prophets"). Seitdem wurde er immer sicherer und souveräner in seiner Kunst.

    "American Standards" ist übrigens auch der Name einer amerikanischen Toiletten-Marke. Der Mann hat einen feinen Sinn für doppeldeutigen Humor! Für die neue Song-Sammlung kanalisiert Ian Fisher seine Ideen in Sounds, nicht in Stil-Schubladen und erlangt dadurch einen höheren Grad an künstlerischer Freiheit. Das macht seine Kreationen so wertvoll und eigen. Spätestens jetzt sollte er eine breitere Öffentlichkeit ansprechen, denn er ist schon längst in der ersten Liga der wegweisenden Musiker angekommen.
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    Wyvern Lingo

    Wyvern Lingo
    Wyvern Lingo (CD)

    5 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern
    28.02.2021
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Sinnkrise als Kreativitäts-Schub: Die drei Frauen von Wyvern Lingo machen vor, wie das geht.

    Wenn man beinahe 30 Jahre alt ist, dann ist wahrscheinlich die richtige Zeit gekommen, um inne zu halten und sowohl zurück wie auch nach vorne zu schauen. Was habe ich bisher aus meinem Leben gemacht und welche Weichen habe ich gestellt? Was sollte ich korrigieren und wie soll mein Leben in 10 Jahren aussehen? Die ungestüme Jugend ist vielleicht in diesem Alter grade vorbei, aber die noch vorhandene Energie lässt jeglichen Stillstand unmöglich erscheinen. In dieser Phase befinden sich grade die drei irischen Jugend-Freundinnen Karen Cowley, Caoimhe Barry und Saoirse Diane, die als Wyvern Lingo ihr zweites Album "Awake You Lie" fertig gestellt haben.

    Von gegenseitigem Trost ist die Rede, der nötig tat, um die geschilderte Sinnkrise nicht nur einordnen sondern auch bewältigen zu können und die Erkenntnisse in die Lebensplanung einfließen zu lassen. Musikalisch setzt das Trio auf Vielseitigkeit. Als Einflüsse geben sie Classic-Rock-Acts wie Thin Lizzy oder Led Zeppelin sowie Singer-Songwriter wie Joni Mitchell oder Simon & Garfunkel an, die sie über die Platten-Sammlungen ihrer Eltern kennen gelernt haben. Außerdem fließen eigene R&B-Vorlieben für Destiny's Child, Solange, Beyoncé oder Rhianna als Sound-Vorstellungen in ihre Songs mit ein. Unvereinbare Gegensätze? Nicht für Wyvern Lingo!

    Zwischen den drei Frauen wird Harmonie groß geschrieben. Sie gehen offen und ehrlich miteinander um und kennen sich so gut, dass sie wie eine geschlossene Einheit agieren können. Ihr Handeln ist so aufeinander abgestimmt, dass individuelle Gesichtspunkte bestimmend bleiben, die Musikerinnen dabei jedoch ihre Kenntnisse konzentriert zum Wohle der Kompositionen einsetzen. Der Auftakt "Only Love Only Light" drückt dies alles aus: Würde, verführerischer Überschwang, rhythmischer Trotz sowie stimmliche Eigenarten und gleichgesinnter Einklang.

    Die Ballade "Rapture" verbindet Folk und Soul so miteinander, dass sowohl sinnliche wie auch romantische Gefühle betont werden. Beim selbstbewussten, soft-rockigen "Don't Say It" spielen sich die Damen nach und nach frei. Sie entwickeln dabei eine aktiv-bewegliche Strömung, die das Lied organisch vorwärts trägt und zum Schluss in Überschwang münden lässt.

    Die Lieder "Sydney" und "Aurora" profitieren von den Classic-Rock-Kenntnissen der irischen Frauen, weil sie dadurch genau wissen, wie sich ein spannendes Gitarren-Solo anhören muss: Zwingend, derbe, melodisch grundiert und möglichst nicht zu lang sollte es sein. Dann kann das Stück auch noch gerne in eine charmante Soul-Umgebung eingebunden werden. Also: Alles richtig gemacht! Das perlende E-Piano verheißt bei "There's A Place" empfindsame, genüssliche Leichtigkeit. Der Gesang suggeriert erwartungsvolle Verlockungen und der Rhythmus vermittelt heftiges Herzklopfen. "Things Fall Apart" wuchert danach mit Dynamiksprüngen, Intimität, Kraft, Durchsetzungsvermögen und Individualität, dass es eine Freude ist. Mit Frische, ungewöhnlichen Einfällen und warmherzigen Gesängen erobert der Track das Gehör im Sturm.

    Der Folk-, Pop- und Rock-Einfluss von "Ask Away" wird mit dezenten Funk-Rhythmen angefüttert, die den leidenschaftlich gesungenen Track treu begleiten und ihn vor ausufernden Gefühls-Auswüchsen beschützen. Was als soulige Piano-Ballade beginnt, führt bei "Full Height" zu einem übermütigem Pop-Chanson mit sehnsüchtigem Gesang und aufgewühltem Temperament bei flehender Emotionalität. Eine drängende Gefühlslage wird hier komprimiert dargestellt, was sehr intensiv rüber kommt.

    Auf einem jazzig swingenden Untergrund gleitet "In Colour / On The Mend" geschmeidig dahin und beschwört die beseelte Spiritualität der Gospel-Musik, die Kraft spendenden Geister des Folk-Rock und die meditative Ruhe von Space-Sounds herauf. Heraus kommt ein origineller, weltoffener Track mit ungewöhnlichen Wendungen, die erstaunlicherweise Sinn ergeben und gut zusammen passen.

    War der Erstling "Wyvern Lingo" (was soviel wie "Spezialsprache der zweifüßigen Drachen mit Flügeln" heißt) aus 2018 schon ein überzeugendes Album, so ist "Awake You Lie" hinsichtlich Kompaktheit und Ideenreichtum ein weiterer Schritt nach vorne in Richtung unsterblicher Pop-Musik. Bunte Sound- und Stil-Verwirbelungen sorgen weiterhin für unterhaltsame Attraktivität. Das Trio verfügt über eine ausgeprägte Musikalität mit einem untrüglichen Gespür für stilistisch breit angesiedelte Kompositionen, die Anspruch und Hingabe sowie Tradition und Moderne unvoreingenommen zusammen bringen.

    Die Musikerinnen haben noch eine Botschaft zu ihrem zweiten Album parat: "Ein wiederkehrendes Bild während des Schreibprozesses dieses Albums war das Licht, der Mangel daran und der Wunsch, die Dinge klarer zu sehen, für uns selbst und andere. Wir haben das Album „Awake You Lie" genannt, weil es ein Bild der Nacht heraufbeschwört, wenn jemand schlafen sollte, es aber nicht kann, weil er unruhig ist oder sich Sorgen macht. Im Licht des Tages sind die Dinge immer klarer." "Awake You Lie" macht Mut - nicht nur in Pandemie-Zeiten.
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    Glowing In The Dark

    Django Django
    Glowing In The Dark (CD)

    5 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern
    12.02.2021
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Bei "Glowing In The Dark" wird POP ganz groß geschrieben.

    Wie nähert man sich dem Sound des 2008 in London gegründeten Quartetts Django Django an, wenn isoliert betrachtet die aktuelle, vierte Platte "Glowing In The Dark" im Fokus stehen soll?

    Vielleicht erst einmal, indem verdeutlicht wird, dass diese Formation stilistisch vor nichts zurückschreckt. Betrachtet man deren Zusammenstellung aus der "Late Night Tales"-Serie, dann wurde dort das Akustik-Gitarren-As Leo Kottke neben dem Minimal-Art-Künstler Philip Glass und den Trip-Hoppern von Massive Attack angeordnet. Aber auch James Last mit seiner Version des "Inner City Blues" von Marvin Gaye und eine eigene Cover-Version des "Porpoise Song" der Teeny-Pop-Band The Monkees aus dem Jahr 1968 wurde ausgewählt. Die Band drückt das so aus: "Django Django`s "Late Late Tales" nimmt Sie mit auf eine psychedelische Reise aus Blues, Jazz, Leftfield-Rock, Hip Hop und Electronica". Was für eine Bandbreite, die unter anderem auch noch Blues, harten Indie-Rock und Soul beinhaltet.

    Entsprechend der mannigfaltigen Erfahrungen und Interessen lassen Django Django für "Glowing In The Dark" ein Feuerwerk an Assoziationen aufleuchten und jede Menge ungewöhnliche Ideen von der Kette. Der Opener "Spirals" symbolisiert mit seinen sich abenteuerlich beschleunigenden, elektronisch erzeugten Akkorden die gedrehte DNA-Struktur. Somit den Strudel des Lebens und die Essenz des Seins. Der Song handelt davon, dass uns als Menschen mehr miteinander verbindet, als uns trennt. Der Song wirbt also um Toleranz. Der coole, an New Order orientierte Bass bringt den Track zusammen mit dem galoppierenden Schlagzeug auf die Tanzfläche. Der konzentrierte Gruppengesang sowie das energisch-optimistische Surf-Rock-Gitarrensolo sorgen daneben für stabilisierende, sympathische Schwingungen, während die Keyboards die vorhandenen Lücken mit kitschig-wolkigen Orchestral Manoeuvres In The Dark-Klang-Nebeln ausfüllen. Das hat großes Hit-Potential!

    An diesen Adrenalin-Kick dockt das muntere "Right The Wrongs" mit leicht schrägem New Wave-Sound direkt an. Hat da jemand Devo gerufen? Gar kein schlechter Vergleich! Wie bei einem Staffellauf wird der Stab mit den Inhaltsstoffen aus dem Vorgängerstück an "Got Me Worried" weitergegeben. Im Klartext: Devo treffen auf die Monkees, deren gut gelaunte Stimmung es bis nach Brasilien geschafft hat, wo sie mit Samba-Zutaten angereichert wird. Der 60s-Pop fühlt sich hörbar wohl am Zuckerhut!

    Für die angenehm leichte und frische, aufs Lustzentrum abzielende Mid-Tempo-Nummer "Waking Up" trägt Charlotte Gainsbourg erotisch angereicherten Gesang bei. Sex sells! "Free From Gravity" bedient sich bei den Eingangs-Sequenzen des Southern Soul-Songs "I Can't Stand The Rain" von Ann Peebles und lässt sich danach auf einen Ablauf ein, bei dem der eingängige Refrain zu Tode genudelt wird. Schade drum, denn da wäre bei weniger Wiederholungen mehr Spannung drin gewesen. Eine vertane Chance!

    "Headrush" geht da direktere Wege, lässt druckvollen Schwung aufkommen und bietet melodisch differenzierte Formate an, die aus dem Gewöhnlichen das Besondere machen. Der zielgerichtete Weg ist manchmal auch der attraktivere! Das Instrumental-Stück "The Ark" wildert in der Erfahrungslandschaft, die Brian Eno und David Bowie 1977 für "Low" ersonnen haben: Elektronische Spielereien, die auf Kraut-Rock-Erfahrungen beruhen, führen zu einem kruden Science-Fiction-Soundtrack. Zurück in die Zukunft!

    Der Boogie-Blues "Night Of The Buffalo" trifft auf nostalgische Harmonien, wie sie von The Zombies oder The Association in den 1960er Jahren ins Leben gerufen wurden. Ein organisch eingebundenes, orientalisch anmutendes Zwischenspiel und ein kammermusikalisches Streicher-Outro sorgen neben dem weit gefassten Umfang des eingesetzten musikalischen Geschichtsbewusstseins für weiteres Erstaunen. Die ehrwürdigen Geister der Vergangenheit werden aus der Flasche gelassen! Und schon wieder ein Richtungswechsel: Stilecht wird "The World Will Turn" als romantischer, mehrstimmiger Country-Folk aufgeführt. Und zwar so überzeugend, als wäre das Lied ein Outtake von den Milk Carton Kids. Das ist Qualität jenseits von Zeit und Raum!

    "Kick The Devil Out" lässt dann den Funk in den Pop einziehen, wobei beide Stile etwa zu gleichen Anteilen vorhanden sind: Der Funk bestimmt den Rhythmus und der Pop die Melodieführung. Eine demokratische Gestaltung, wenn man so will! Der Track "Glowing In The Dark" ist von Electronic Dance Music geprägt. Harte Beats und repetierende Refrains erzeugen ansteckendes Futter für den Tanzboden. Das Funkeln im Dunkeln ist das Laser-Licht!

    "Hold Fast" benutzt hypnotische, sich wiederholende Takte, wie sie ähnlich bei der Gamelan-Musik aus Bali üblich sind, um trance-artige Zustände zu simulieren. Dieses Konstrukt wird allmählich in eine weiche Umgebung eingebunden, so dass die gleichförmige Taktfrequenz besänftigt wird und ein beschwingtes, lieblich-optimistisch wirkendes Stück entsteht. Fernöstliche Traditionen verschmelzen mit westlichem Dynamik-Verständnis! Zwischen Supertramp ("The Logical Song"), Neu! ("Für immer") und Peter Frampton ("Show Me The Way") ist "Asking For More" angesiedelt. Das ist Unterhaltungs-Musik, die sowohl den Mainstream-Konsumenten wie auch den verwöhnten Art-Pop-Gourmet anspricht. Gelobt sei, was Spaß macht!

    Bei "Glowing In The Dark" wird POP ganz groß geschrieben. Sowohl Pop als Unterhaltungsansatz wie auch als Kulturgut. Es geht nicht darum, die Hörer mit modischen Attributen abzuspeisen oder das zu reproduzieren, was grade angesagt ist und die Charts flutet. Musik wird als eine umfassende Errungenschaft betrachtet, deren wertvolle Bestandteile gehegt, gepflegt und erhalten werden müssen. Vincent Neff (Gesang und Gitarre), David Maclean (Schlagzeug und Produktion), Jimmy Dixon (Bass) und Tommy Grace (Keyboards) bewegen sich souverän zwischen Kunst und Kitsch und erheben dabei ihre Kompositionen zu einer universellen Klangsprache mit Niveau und individuellem Ausdruck, die ein breites Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten abdeckt. Völlig ohne Scheuklappen gelingen so Kombinationen, die aus historischen und aktuellen Tonmustern zeitlos relevante Songs entstehen lassen.
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    Saft

    Saft (CD)

    5 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern
    12.02.2021
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    "SAFT" ist reifer, nachdenklicher, erkämpfter. Meinen die Botticelli Baby-Musiker.

    Sandro Botticelli war ein italienischer Maler, der der Renaissance zuzurechnen ist und vom 1. März 1445 bis zum 17. Mai 1510 lebte. Zu seinen bekanntesten Werken gehört die "Geburt der Venus", welches um 1485 herum entstanden sein soll. Auf dem Gemälde ist jedoch nicht die Geburt der Göttin Venus, sondern deren Landung auf der Insel Zypern dargestellt. Vortäuschung falscher Tatsachen? Vielleicht, aber niemand wird deshalb von dem Bild enttäuscht sein, denn die Kraft und Fantasie, die es ausstrahlt, spricht für sich. So verhält es sich auch mit der Musik des Septetts Botticelli Baby aus Essen: Der Name der Gruppe, ihre Herkunft und die Zuordnung innerhalb der Stile ist nicht von Bedeutung, sondern nur die Wirkung, Energie und Eindringlichkeit ihrer Musik zählt.

    "SAFT" kann gesund und heilsam sein, was für die Formation Botticelli Baby als Metapher für den Albumtitel reicht. Ihre Konzerte bezeichnen die Künstler als Saftpartys, nämlich als "eine von Botticelli Baby durchgeführte Veranstaltung, die zur Vermittlung eigener Seinszustände und Ideen zum Weltgeschehen, durch musikalischen und vokalen Vortrag zum Mitmachen und Räsonieren animiert". Aber genug der Theorien und den absichtlich im Nebel gehaltenen Beschreibungen, Einschätzungen und Zuordnungen der Botticelli Baby-Musik. Halt, eins noch, das möchte die Gruppe noch zu ihrem dritten Album loswerden: ""SAFT" ist reifer, nachdenklicher, erkämpfter. Die Soli erzählen mehr Geschichten, die Texte sind poetischer. Die Party zum Leben fehlt jedoch keines falls. Vielschichtig ist dieses Album und facettenreich, wie immer..."

    Was gesagt werden muss, muss gesagt werden. Da drucksen die Botticelli Baby-Männer nicht unnötig rum. Von ausgedehnter Weiterentwicklung und von ausgelassener Party-Stimmung ist die Rede. Das macht neugierig. Die Einleitung ("Prelude") zu "SAFT" lässt den Hörer aber weiterhin darüber rätseln, wohin die Klang-Reise gehen soll. Sind Botticelli Baby etwa eine verkappte Zirkuskapelle oder stammen die Musiker eventuell vom Balkan?

    "The Inner Hulk" räumt dann mit diesen Annahmen vollständig auf. Der Bass wummert druckvoll, brachial, dominant und trocken, als würde das Herz bis zum Hals schlagen. Die Bläser-Fraktion sorgt mit klug hingetupften sowie raumfüllenden Show-Band-Einlagen für Stil-Verwirrung und glänzt zwischendurch mit inspirierten Solo-Einlagen, die dem Track einen Sinn stiftenden Anstrich verleihen. Der Gesang folgt dieser scheinbar ins Nichts führenden Mischung konstant auf gleichmütige Art und Weise. Die Gruppe liefert damit eine geschmackvolle Visitenkarte ab, die die Grenzen zwischen Lied und Lautmalerei neu bestimmen.

    "Joy Passed By" swingt und rockt im gediegenen Retro-Sound. Feurig umgarnen sich die Musiker und sorgen mit Teamgeist und Elan für Spaß. Das ist der Stoff, der seit ewigen Zeiten Tänzer anlockt und diese dazu animiert, aus sich heraus zu gehen. Das ist auch der Urschleim, aus dem Jazz, Rhythm & Blues und Rock & Roll gekrochen sind. "Kiss Me" hinterlässt den Eindruck einer kraftvoll-süffigen Brass-Band, die genauso gerne Funk- wie Jazz-Grooves verarbeitet. Und sogar Marschmusik steckt da als zusätzlicher, kurzzeitiger Animateur drin. Auch hitzig-beklemmender Thriller-Jazz klingt an. Brodelnd und spritzig zeigt der musikalische Kompass hier nach New Orleans, wo der Mardi Gras auf diese Kapelle wartet.

    Beschaulich-ausgleichend legt sich für "Vagabond In A Dandy Suit" ein Bläser-Teppich über den unruhig-nervösen Rhythmus. Der Song wird mutig vorwärts gepeitscht und von abenteuerlichen Solo- und Ensemble-Exkursionen durchzogen. Die kleine Big Band sorgt mit unvorhersehbaren Wendungen für große Überraschungen. Sowohl zupackend, elegant und verspielt, als auch sanft perlend erscheint "Follow Me". Die Musiker lassen dabei in knapp viereinhalb Minuten hymnisch-intimen Jazz, coolen Smooth-Funk und psychedelischen Rock ineinander laufen. Suggestiv-hypnotisch fordert die Stimme: "Follow me, I`m fallin`" und die Musik gerät dazu in einen verheißungsvoll-rätselhaften Strudel.

    Trauer und Wut liegen manchmal dicht beieinander. So auch bei "Yes". Hier tropfen die Noten zunächst schwer belastet zu Boden. Sie ordnen sich dann zu einem zähen Schwall und zerbersten schließlich unter lautem Getöse mit Unterstützung von heftigem, bösem Gesang. Danach tritt Zufriedenheit ein. Punk und Jump-Blues stellen die Inhaltsstoffe zur Verfügung, aus denen das flotte "Plant Pot" und das rasante "Crash Test Dummy" gebastelt wurden. Die Rhythmus-Fraktion treibt die Stücke an und die Bläser greifen den Schwung auf, um ihn zu konservieren. Kurze Verschnaufpausen sorgen bei dem hohen Tempo dafür, dass sich die euphorisierten Akteure sammeln und neu orientieren können.

    "1:30" ist zwei Minuten lang und reflektiert mit seinem schwindelerregenden Tempo und seiner aufbrausenden Dynamik das wilde, ausschweifende Nachtleben der 1920er Jahre. Ein Einsatz des Tracks in der Serie "Babylon Berlin" ist deshalb nicht ausgeschlossen. "New Year Chez Les Vikings" steigert sich von lyrisch-ruhigen Momenten über saft(!)ige Fanfaren bis hin zu ekstatisch-eruptive Free-Jazz-Ausbrüche und "Ballerspring" fördert zum Schluss weitere kreative Ideen von Marlon Bösherz (Gesang, Bass), Alexander Niermann (Trompete), Jörg Buttler (Gitarre), Lucius Nawothnig (Piano), Maximilian Wehner (Posaune), Jakob Jentgens (Saxophon) und Tom Hellenthal (Schlagzeug) zu Tage. Die Gemeinschaft bringt das dynamisch in alle Richtungen ausschlagende Stück mit Energie, Fantasie, Übersicht und jeder Menge Spontanität über die Ziellinie.

    Der Gesang und die Instrumente hinterlassen bei "SAFT" den Eindruck, als wäre die Musik nicht komponiert worden, sondern würde erst als logische Folge aus der Gedankenwelt des Sängers spontan entstehen. Es ergibt sich quasi eine fruchtbare Allianz als Call & Response Situation zwischen den Schwingungen der Stimmbänder und denen der Instrumente. Der Gesang von Marlon Bösherz hält den bunten Kosmos von Klängen und Emotionen dabei mit Übersicht zusammen. Er dirigiert, spaltet sich ab, verstärkt und besänftigt - alles um die elektrisierende Wirkung der Kompositionen zu erhalten. Ohne Stimm-Beitrag wäre die Gruppe "nur" ein exzellentes Crossover-Ensemble. So besitzt sie ein individuelles Alleinstellungsmerkmal, aufgrund dessen sie in keine Schublade passt. Die Musik überzeugt ohne Etikett durch traumwandlerisches Timing, solistische Sahnestücke sowie je nach Bedarf, entweder druckvollem oder sensiblem Zusammenspiel.
    For The First Time

    Black Country, New Road
    For The First Time (CD)

    5 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern
    07.02.2021
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Anstrengend und anregend, so klingt das erste Album von Black Country, New Road.

    Nach zwei Singles aus 2019 liegt ab dem 5. Februar 2021 das erste Album "For The First Time" mit 6 Tracks vor, das es auf eine Länge von etwa 40 Minuten bringt. Die einzelnen Stücke sind dabei zwischen fünf und zehn Minuten lang. Kein Radio-Format also, aber die Musik ist sowieso nicht für den oberflächlichen Konsum im Mainstream-Segment geeignet. Hier geht es zur kraftvoll-wild zur Sache, kunstvoll arrangierte Elemente kommen aber auch nicht zu kurz. Als grobe Orientierung lässt sich die Musik als Art-Punk einordnen.

    Mächtige Bässe und heftig-schneller Trommelwirbel leiten das Album mit einem "Instrumental" ein. Eine stoisch piepsende Orgel und melodisch wiederkehrende E-Gitarren-Akkorde sowie fidele Klezmer-Sounds folgen. Dieses bunte Treiben, das Weltmusik, Minimal-Art und Jazz resolut und seltsam miteinander vermengt, schafft schon eine gewisse Vorstellung davon, wie sich die Gruppe auf der Bühne präsentiert, um ihr Publikum zu fordern und ihm ordentlich einzuheizen.

    Kreiselnde, unrund erscheinende E-Gitarren werden bei "Athens, France" von einem harten Beat gestützt. Ein Wechselbad der Gefühle beginnt: Allmählich taumelt das Stück in schwebend-fragile Traumgefilde hinein. Die zunächst zornig-leidende Stimme geht in diesem Zusammenhang in einen erklärend-desillusionierten Sprech-Gesang über, bevor sich aggressive und kompromissbereite Töne immer wieder abwechseln.

    Die E-Gitarren werfen Splitterbomben, wie einst Jimi Hendrix beim Woodstock-Festival. Aber nur kurz. "Science Fair" gerät danach in eine abwartende Phase, in der sich Sänger Isaac Wood immer mehr in Rage redet. Die Gitarren wüten erneut und die Konstruktion scheint auseinander zu fallen. Das Saxophon steuert dazu freiesten Free-Jazz bei, bevor sich die Stimmung leicht beruhigt, aber stetig am Kochen gehalten wird. Aber es kommt doch noch zum Punk-beschleunigten Sound-Orgasmus: Alles klirrt, kracht, schreit und dröhnt. So in etwa muss sich die Apokalypse anhören. Was für ein heiliger Krach.

    Als gäbe es nicht schon genug Chaos, verzerren die Gitarren auch für "Sunglasses" die Töne atonal. Aber das ist nur das Vorspiel für einen beinahe konventionell ablaufenden Art-Rock, der von seiner dynamischen Steigerung profitiert. Es kommt auch hier zum Showdown und Zusammenbruch des Systems. Aber die abgewrackte Song-Kreatur erholt sich wieder und macht sich angeschlagen und trotzig auf einen von Krisen geschüttelten Weg.

    Bei "Track X" siegt eindeutig die Ordnung gegenüber der Zersetzung. Die Komposition setzt auf sich stetig wiederholende Akzente zur Intensivierung des Höreindrucks. Zusätzlich werden harmonische Zwischentöne eingebaut, wodurch der Song neben seiner intellektuellen Erscheinung noch eine volkstümliche Note erhält.

    "Opus" bildet dann die Klammer über das bisher Gehörte und bezieht alle verwendeten Ideen ein: Klezmer-Folk, Free-Jazz, Art-Rock und Post-Punk begegnen sich hier nochmal ausgelassen und unkonventionell.

    Was May Kershaw (Keyboards), Charlie Wayne (Schlagzeug), Luke Mark (Gitarre), Isaac Wood (Gesang und Gitarre), Tyler Hyde (Bass), Lewis Evans (Saxophon) und Georgia Ellery (Violine) hier fabrizieren, ist wahrlich nichts für schlichte Gemüter. Man muss musikalisch schon in Abgründe geschaut und das gemocht haben, um an dieser schräg wirkenden Musik Vergnügen zu haben. Das Ensemble hat die Platte innerhalb von sechs Tagen unter Live-Bedingungen aufgenommen, was der Vermittlung von unmittelbarer Leidenschaft gut getan hat. Die Formation wirft mit Dreck, provoziert, lässt der Energie freien Lauf und kreiert originelle Fantasie-Gebilde, dass es eine Freude in Form eines reinigenden Gewitters ist. Die Musik elektrisiert, macht Spaß, schockiert, rüttelt auf und ist auf angenehme Weise durchgedreht. Was will man mehr?
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    A Common Turn

    Anna B. Savage
    A Common Turn (CD)

    5 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern
    29.01.2021
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Die Lieder von Anna B Salvage sind spannend, ungewöhnlich und bewegend.

    Es gibt Künstler, die provozieren einfach nur, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Und dann gibt es welche, da gehört die Provokation zum Konzept, nämlich um verkrustete Zustände aufzubrechen, Denkanstöße zu liefern oder Hörgewohnheiten in Frage zu stellen. Auch Anna B Savage aus London fiel schon vor "A Common Turn" mit scharfen, herausfordernden Thesen zum Thema Lust und Selbstbestätigung der Frau auf. Aber kann sie diesen klaren Worten auch überzeugende Taten in Form von bahnbrechender Musik folgen lassen? Oder war der Aufruhr bloß ein Marketing-Trick, um von den Medien wahrgenommen zu werden?

    Der Titel, der schon vorab für Wirbel gesorgt hatte, war "Chelsea Hotel #3". Das Chelsea Hotel im New Yorker Stadtteil Manhattan ist in den 1960er Jahren als Künstlerhotel bekannt geworden. Größen wie Salvador Dali, Nico, Bob Dylan oder Jimi Hendrix haben dort übernachtet. Leonard Cohen schrieb den Song "Chelsea Hotel #2" über eine dort stattgefundene amouröse Liaison mit Janis Joplin. Anna B Savage erzählt nun von einer eigenen schlüpfrigen Begegnung, bei der der Cohen-Song eine Rolle spielt und fertig ist der (Beinahe)-Skandal. Das unheimlich schlingernde, zerrissene "Chelsea Hotel #3" bleibt lange im bloßen Erzählmodus, bevor sich melodische Hard-Rock-Gefüge herausbilden. Im Lied geht es um sexuelle Befreiung und das ist alles andere als billige Selbstdarstellung.

    Kann ein Drogenrausch in Töne umgewandelt werden? Daran haben sich unter anderem schon Tim Buckley ("Lorca", 1970) und The Stooges ("Fun House", 1970) versucht. Das eineinhalbminütige "A Steady Warmth", das "A Common Turn" eröffnet, versucht mit halluzinogenen und fiebrigen Klängen ähnliche Wege zu gehen. Aber schon das folgende "Corncrakes" schlägt einen etwas konkreteren Kurs ein. Der sinnestrügende elektrische Folk-Rock nimmt Jazz-Einflüsse auf. Er spielt mit verdrehten Melodien, spannungsgeladenen Brüchen und einem Gesang, der ein sanftes Tremolo und durchdringende Erregung aufzuweisen hat, was zu beschwörender Intensität führt. Das Stück transportiert verwinkelten West-Coast Hippie-Rock, der das Gehirn auf komplexe Hör-Abenteuer schickt. Die E-Gitarren lauern in Angriffsstellung, begnügen sich aber mit lässiger Rhythmus-Begleitung. Der Bass füllt die Lücken, die der Background- und Lead-Gesang noch übrig lässt, so dass ein relativ dichter Sound-Teppich entsteht. Anna irritiert den Hörer noch zusätzlich, indem sie mit Tempo-Varianten spielt und dem Song so ein gewisses Eigenleben einhaucht.

    "Dead Pursuits" ist stimmlich von Drama durchzogen. Von verletzlich über traurig bis hin zu verzweifelt wird eine beklemmende Gefühlspalette abgegriffen. Aber die Musikerin jammert nicht, sie klagt sich vielmehr selber an, denn sie ist zutiefst betrübt über ihre belastenden Unsicherheiten. Musikalisch finden sich bei diesem wogenden, tragischen Chanson trotz allem immer wieder Anhaltspunkte für Optimismus. Für "BedStuy" werden bei aller angemessenen Zurückhaltung auch brachial treibende Elemente der Electronic-Dance-Music verwendet, ohne dass der Track dadurch tanzbar erscheint. Dennoch bewegt er sich vom Schatten ins Licht und überwindet dabei eine gewisse emotionale Zerrissenheit. Die wortreiche Ballade "Baby Grand" ist im Vergleich dazu beinahe sanft, wenn auch nicht weniger intensiv. Dieses Liebeslied beschreibt prägende Momente, die mit der ersten vergangenen, aber nicht verarbeiteten großen Liebe verbunden sind.

    Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt sind zwei Gemütszustände, die die Psyche tüchtig durcheinander rütteln können. So verhält es sich auch mit "Two": Zeitlupenhafte Tristesse-Schauer stehen dicht neben Maschinengewehr-artigen Rhythmus-Gewittern und erschüttern die Wahrnehmung bis ins Mark. Die E-Gitarren-Akkorde scheinen am Anfang sogar dafür zu sorgen, dass die Luft zersplittert. Der Gesang ist voller Leid, reflektiert eine gequälte Seele und erinnert so an die schwarze Folk-Ikone Odetta. Mit Erscheinen der Rhythmus-Befeuerung erhält die Stimme Rückendeckung und zeigt wieder Kampfgeist. Der Song "A Common Tern" (nicht Turn) baut mächtigen Druck auf, so als würde ein Flugzeug starten. Der Track strotzt vor neu erlangtem Selbstvertrauen, denn er erzählt vom Entkommen aus einer als toxisch bezeichneten Beziehung. Und so wird aus einer gemeinsamen Wende (= A Common Turn) eine Fluss-Seeschwalbe (= A Common Tern) als Symbol für Freiheit. Musikalisch liegt das Lied zwischen intelligentem Folk- und strammem Art-Rock und überzeugt auf ganzer Linie durch seine Kraft und Raffinesse.

    So lieblich, wie es der Musikerin nur möglich ist, agiert sie im Sinne der zerbrechlichen Ballade "Hotel". Aber süßliche Überzeichnung ist nicht ihr Ding und so wird der Song zu einem ähnlich entblößenden Gesangsereignis wie die Art-Pop-Arien von Anohny. "One is the loneliest Number" sang Harry Nilsson 1968 so treffend wie auch unnachahmlich prachtvoll und der Track wurde 1999 wunderbar von Aimee Mann gecovert. Dieses "One" ist keine Cover-Version, sondern der aufgeräumte, zuversichtliche Abschluss einer mutigen, eigenwilligen Platte einer außergewöhnlich beachtlichen Künstlerin. Auch wenn den Liedern eine gewisse Morbidität nicht abzusprechen ist, so verkörpern sie bei aller Komplexität ein Bekenntnis zur Liebe. Das ist keine leichte Kost, aber eine Demonstration mit reinigender Wirkung. Hier singt jemand mit Lebenserfahrung zu uns, damit wir wissen, dass wir mit unseren Fehlern, Gewissensbissen und gemischten Gefühlen nicht alleine sind.

    Die Musik auf "A Common Turn" ist eigenwillig und stark wie die von Tim und Jeff Buckley. Sie verzückt wie manches von Joni Mitchell, zeigt sich sperrig wie vieles von PJ Harvey und psychedelisch berauscht wie einiges von Jefferson Airplane. Die besten Referenzen also für diese im positiven Sinne verrückten, bizarren Klänge. Anna B Savage hat schon mit diesem ersten Longplayer eine individuelle, markante Ausdrucksform gefunden. Die Art der kompromisslosen, durchdringenden Vortragsweise erinnert an David Keenans Meisterwerk "A Beginner`s Guide To Bravery" aus dem letzten Jahr. Die beiden Künstler könnten Geschwister im Geiste sein.

    Ist die Musik nun ein Therapieansatz oder ein Reifezeugnis oder ein Ausdruck der Persönlichkeit einer offenen, verletzlichen und mutigen Künstlerin? Vielleicht ist von allem was drin, denn Anna hat schon früh gelernt, dass sich mit Hilfe der Kunst Dinge ausdrücken lassen, die abseits davon gar nicht oder nur ungenau offen gelegt werden können. Ihre Eltern waren Klassik-Sänger und so verbrachte das Mädchen die Kinder-Geburtstage im Green Room der Royal Albert Hall. Eine gewisse Vorprägung war also unvermeidbar. 2015 brachte die Singer-Songwriterin dann ihre erste 4-Track-EP heraus, die von Father John Misty wahrgenommen wurde, woraufhin er Anna mit auf Europa-Tournee nahm. Doch die Anerkennung überforderte die junge Frau, führte zur Schreibblockade und zu psychischen Störungen. Von da an musste sie sich neu ordnen und fing vor drei Jahren wieder an, Songs zu schreiben, die ihr Inneres nach außen kehren. Dabei sind diese spannenden, ungewöhnlichen und bewegenden Lieder herausgekommen, die "A Common Turn" zu einem nachhaltig beeindruckenden Hör-Erlebnis machen.
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    The Future Bites

    Steven Wilson
    The Future Bites (CD)

    5 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern
    29.01.2021
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Das sechste Solo-Werk des Allrounders Steven Wilson wurde überwiegend entschlackt gestaltet.

    Der Mann will in die Charts! Warum sonst sollte er einen dermaßen eingängigen Pop-Song wie "12 Things I Forgot" aufnehmen, wo er doch eigentlich als Progressive-Rock-Musiker, Produzent (z.B. für Anja Garbarek und King Crimson) sowie Ton-Techniker (z.B. Remix-Arbeiten für Jethro Tull und Yes) bekannt geworden ist? Verrat rufen die Einen, nachvollziehbare musikalische Entwicklung die Anderen. Betrachten wir mal, was das sechste Solo-Album des Porcupine Tree-Gründers so zu bieten hat.

    "The Future Bites" gehört zum Typus eines Konzeptalbums, weil sich ein bestimmtes Thema durch die Song-Sammlung zieht. Nämlich der Umgang der Menschen mit dem Einsatz von Kommunikations- und Unterhaltungs-Technologien. Deren Nutzung birgt die Gefahr, dass sich Abhängigkeiten ergeben, aber die technischen Hilfsmittel können genauso zur Unterstützung der persönlichen Entwicklung dienen. Sie sind also Fluch und Segen zugleich. Wilson erklärt außerdem, dass wir nicht mehr von Politikern, sondern von Menschen, die Algorithmen schreiben und die unser Online-Verhalten manipulieren, regiert werden.

    Zu Beginn des Albums werden die Gegensätze unselbständig und selbständig kontrastreich als intim-schüchternes "Unself" sowie rockig-selbstbewusstes "Self" dargestellt. Es schließt sich das mächtig wummernde "King Ghost" an. Die Stimme führt abwechselnd entweder nüchtern erzählend oder zurückhaltend-melancholisch oder im leidenden Falsett durch das märchenhaft verschnörkelte Stück. Das schon erwähnte "12 Things I Forgot" krempelt die Stimmung dann von düster auf sonnig um und zeigt ein Faible für erwachsene Song-Intelligenz, wie sie die Beatles und XTC vorlebten. Das ist großer, harmonisch anspruchsvoller Pop mit verführerischen Melodie-Linien in Ohrwurm-Qualität.

    Bei "Eminent Sleaze" ist dann Schluss mit lustig. Die Komposition wildert ernsthaft und schweißtreibend im Soul- und Funk-Umfeld. Auf diese Weise kommt mit Hilfe eines klatschenden Chain-Gang-Taktes, frech wallenden Philly-Soul Geigen, einem extrovertierten Gitarren-Solo und frisch auftrumpfenden Chor-Sängerinnen ein mitreißender Schwung zustande. Das wuchtige, mit Referenzen an "Sign O` The Times" von Prince ausgestattete "Man Of The People" würde in Händen eines weniger versierten Musikers wahrscheinlich peinlich und aufgeblasen klingen. Wilson kriegt aber die Kurve und bewahrt das Stück vor einem operettenhaften Kitsch-Kollaps.

    Die Konsumkritik des zentralen Song "Personal Shopper" orientiert sich in seinen beinahe 10 Minuten Laufzeit an einem aufgeweckten elektronischen Groove. Wenn dann als Mahnung eine Einkaufsliste vorgelesen wird, agiert dieser allerdings auf Sparflamme. Dem Track schadet die Über-Länge nicht, weil viel Dynamik, Abwechslung und Bewegung drin steckt. Der spritzige Rocker "Follower" gewinnt durch wildernde Synthesizer und eruptive E-Gitarren-Ausbrüche an Schärfe und erhält durch den abwartenden, seriösen Mittelteil eine erhabene Reife. Die sensibel-ausdrucksstarke Ballade "Count Of Unease" hinterlässt danach einen mysteriösen Eindruck. So als würde sie frei schwebend vorgetragen werden.

    Das ursprüngliche, sperrige Progressive-Rock-Korsett ist Steven Wilson längst zu eng geworden. Er nutzt die dort angesiedelten Möglichkeiten zur vielfältigen dynamischen Gestaltung und Abstufung allerdings immer noch gerne für seine Kompositionen, um ihnen Fülle und überraschende Wendungen zu verpassen. Diese Exkursionen werden jedoch verträglich, kompetent und mit Seitensprüngen in diverse Stilrichtungen vorgenommen, so dass sich das Ergebnis einer eindeutigen Kategorisierung entzieht. Seinen Hang zum Pathos hat Wilson jetzt noch wirkungsvoller als beim Vorgänger "To The Bone" von 2017 unter Kontrolle gebracht.

    Gut so, denn auch deshalb bleibt der Künstler unberechenbar und kann seinen Wirkungskreis weiter ausdehnen. Grade im Pop-Bereich hat Steven enorm dazu gelernt, vielleicht auch wegen der Zusammenarbeit mit Tim Bowness bei No-Man. Das beste Beispiel dafür ist das schon ausführlich gelobte, exzellente "12 Things I Forgot". Das Stück ist enorm aufbauend sowie erfrischend und bohrt sich tief und nachhaltig in die Gehörgänge, dass es eine Freude ist. Aber auch Fans von komplexen, verschnörkelten Strukturen kommen auf ihre Kosten. Schließlich sollte Progressive-Rock dem Namen nach fortschrittlich sein und Fortschritte hinsichtlich seiner musikalischen Ausrichtung hat Steven Wilson definitiv gemacht.

    Jedenfalls haben die Songs weiter an Durchschlagskraft gewonnen und präsentieren sich überwiegend entschlackt und griffig. Ob Wilson nun in Richtung (Art)-Pop oder Groove tendiert, ist im Prinzip egal, denn das Ergebnis in Form von guten Songs zählt. Und in dieser Hinsicht gibt es auf "The Future Bites" keinen Mangel. Und als Arrangeur und Produzent ist der Engländer sowieso eine Klasse für sich. Entsprechend hervorragend klingt die Platte. Sie ist eine runde Sache geworden, bei der die stilistischen Ausflüge Sinn machen, durchdacht sind und nicht nur kommerziellen, sondern auch künstlerischen Gesichtspunkten dienen.
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    3 Kommentare
    Ohle
    03.02.2021

    Danke

    Wirklich tolle Rezension!
    Anonym
    02.07.2021

    Ich bin taub ??

    Wahnsinn was Du in diesem langweiligem Projekt hörst und jeden Song in seine Einzelteile zerpflückst. Ich werde demnächst den Ohrenarzt aufsuchen müssen ...mich hat die CD komplett amüsiert. Wenn das ein Angriff auf die Charts und den Kommerz sein soll Herr Wilson ... muß ich Sie enttäuschen. Beim Hören werden alle einschlafen und von den unheilvollen 80ern Träumen ....
    Anonym
    30.08.2023

    Laber-Rhabarber

    Die Bewertung des Albums zu lesen benötigt bald mehr Zeit wie das Anhören des Albums. In der Kürze liegt die Würze. Nicht so viel persönliches einbringen, kurz und knapp objektiv bewerten und gut is!
    Tripping With Nils Frahm

    Nils Frahm
    Tripping With Nils Frahm (CD)

    4 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Inaktiver Stern
    29.01.2021
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Nils Frahm stellt auf der Bühne sein Werk "All Melody" vor.

    "Tripping..." zeigt Nils Frahm auf der Bühne des Funkhaus Berlin, die er 2019 viermal erklomm. Dieses Ereignis war der Abschluss einer Tournee mit über 180 Shows, die hauptsächlich das damals aktuelle Album "All Melody" vorstellte. Der Filmemacher Benoit Toulemonde hielt die Auftritte in bewegten Bildern fest und der entstandene Konzertfilm - für den unter anderem auch Brad Pitt als Geldgeber gelistet wird - ist seit dem 3. Dezember 2020 auf der Streaming-Plattform MUBI zu sehen.

    Die Audio-Version mit der Essenz aus den Funkhaus-Auftritten gab es zeitgleich in digitaler Form und ab dem 29. Januar 2021 sind die Stücke auch als CD und LP zu bekommen. Die CD beginnt mit "Enters" und man hört erst einmal 20 Sekunden lang gar nichts. Und das bei einer Live-Aufnahme vor Publikum. Das zeigt, wie gespannt und konzentriert die Besucher auf das Konzert reagiert haben. Behutsam angeblasene, sich in der Lautstärke steigernde, beruhigend rauschende Harmonium-Töne erzeugen zur Einstimmung eine sakrale, andächtige Atmosphäre.

    Auch "Sunson" wird vorsichtig entwickelt und aufgebaut. Vom Piano angetriebene, wallende Tonschwaden sorgen für die Bildung einer weitläufigen Klang-Landschaft, bevor rhythmische Bass-Tropfen und exotisch-künstliche, Urwald-ähnliche Geräusche die Situation beleben. Das Mellotron sorgt begleitend für eine phantasievolle, gleitende, besänftigende Untermalung. "Fundamental Values" ist auf "All Melody" knapp unter vier Minuten lang, hier hat das Stück eine Laufzeit von über 14 Minuten erhalten. Der hypnotisch-kultivierte Charakter der Komposition wird in der Verlängerung stärker betont und effektvoll herausgearbeitet. Frahm steht alleine auf der Bühne mit all seinen Sequenzern, Modulatoren, Synthesizern und anderen Tasteninstrumenten. Und es klingt wie eine große Besetzung, ist aber eine One-Man-Show.

    Die Piano-Balladen "My Friend The Forest" und "The Dane" (von "All Encores") nehmen sich gefühlt alle Zeit der Welt, um den Hörer in eine friedvoll-melancholische Stimmung zu versetzen. Die Tracks "All Melody" und "#2" trumpfen dagegen rhythmisch aktiv auf, lassen die Noten hüpfen und bewegen sich tänzelnd. "Ode - Our Own Roof" stammt ursprünglich aus dem Soundtrack des Films "Victoria" und stellt zum Ende der Veranstaltung Sanftmut und Romantik in den Vordergrund.

    Das Bedürfnis nach kunstvollen, schwelgerisch-schwebenden Klängen, die das Kopfkino aktivieren, wurde in den 1970er Jahren im erweiterten Pop-Bereich von solchen Künstlern wie Klaus Schulze, Keith Jarrett, Bo Hansson, Mike Oldfield oder Tangerine Dream befriedigt. Heute übernehmen z. B. Max Richter oder Nils Frahm diese Aufgabe und erobern sich damit ein Publikum, das sowohl romantische Klassik, wie auch modernen Jazz, intelligente Ambient-Klänge und gediegene Chill-Out-Sounds zu schätzen weiß.

    Der Titel "Tripping With Nils Frahm" ist gut gewählt, denn die Musik des anerkannten Pianisten, Produzenten und Komponisten kann im positiven Sinn ganz ohne Drogen bewusstseinserweiternd sein, wenn man sie völlig auf sich einwirken lässt. Muss aber trotzdem noch ein Live-Album mit vielen bekannten Stücken her? Nun ja, der Mehrwert ergibt sich aus der veränderten Zusammensetzung und der gelegentlichen Streckung der Tracks. Der ab und zu eingeblendete Applaus stört da eher die Konzentration. Für Fans ist das Werk wahrscheinlich trotzdem unverzichtbar. Wer den Künstler jedoch neu für sich entdecken möchte, sollte eher mit "All Melody" beginnen und "Tripping..." bei Gefallen als Ergänzung anschaffen. Denn was lässt sich schon gegen einen weiteren funktionierenden akustischen Trip einwenden?
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    Home

    Rhye
    Home (CD)

    5 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern
    22.01.2021
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Rhye stellen das Easy Listening-Erlebnis auf neue Füße und sorgen für harmonische Intelligenz.

    Viel näher kann man mit männlichem Gesang einer femininen Ausstrahlung kaum kommen, als es Michael Milosh fertig bringt. Und dabei klingt bei ihm alles natürlich, sauber und unverkrampft. Der gebürtige Kanadier leitet seit 2010 als Sänger, Multi-Instrumentalist und Komponist die Geschicke der Formation Rhye, deren Besetzung den jeweiligen Gegebenheiten angepasst wird. Schönheit und Eleganz sind Qualitätsmerkmale, die bei der Entstehung der Musik eine besondere Rolle spielen. Der entweder entrückte oder rhythmisch betonte Sound wird sowohl von elektronischen wie auch mit akustischen Instrumenten gestaltet. Er wird dabei von Eckpunkten bestimmt, die sowohl im raumgreifenden Ambient-Klang wie auch im eleganten Smooth-Jazz und kuscheligen Soul-Pop zu finden sind.

    "Home" beginnt mit einem "Intro" aus ätherisch-gregorianischen Gesängen, die sich anhören, als wären sie in einer Kathedrale aufgenommen worden. Das setzt überirdisch-spirituelle Akzente frei. "Come In Closer" bedient dann mit einem milden Disco-Beat weltliche Ambitionen. Der dafür vorgesehene platschende Takt führt ein Eigenleben und orientiert sich nicht an der sinnlichen Stimme, die zunächst ein langsames Tempo vorlegt, später aber dem Weckruf der aufblühenden, gut gelaunten Kaffeehaus-Geigen folgt. Insgesamt entsteht dadurch eine mondäne Aura. Das lyrische, sanfte Werben um eine schöne Frau steht im Mittelpunkt des lässigen, gepflegten "Beautiful", wobei der erotisch-sehnsüchtige Gesang den lasziven Charakter dieses sowohl schmeichelnden wie auch stramm getakteten Electro-Pops noch zusätzlich betont. Musikalisch tritt das Stück in ähnliche Fußstapfen wie das provokante "Sexy Boy" von Air.

    "Safeword" wirkt luftig und leicht, ohne dabei belanglos zu klingen. Daran zeigt sich, dass diese Art von Easy Listening eine Kunstform und nicht nur eine unverbindliche Methode zur akustischen Berieselung ist. Der Titel vermittelt eine Unbeschwertheit, die ihn in die Nähe einiger Bossa Nova- oder Samba-Songs rückt. Dazu kommt gegen Ende noch der Einsatz von kribbeligen Geigen, die den Sound dezent auffrischen. Dagegen klingt "Hold You Down" klotzig und grob, auch wenn der Gesang zurückgenommen und distanziert eingesetzt wird. Rhye ist eben ein Verfechter von gegensätzlichen, sich reibenden Zuständen, wie immer wieder deutlich wird. Kitschig-billige, manchmal grelle 1980er Jahre-Synthesizer-Klänge erschaffen dann und wann künstlich erscheinende Töne, die sich gegen die engelsgleichen Chorstimmen absetzen. Das sind bizarre Momente, die bei diesem Track für kontroverse Innenansichten sorgen.

    Der Gesang bekommt beim tieftraurigen "Need A Lover" eine zu Herzen gehende, zerbrechliche Ausprägung und wird in ein genauso intim-introvertiertes, manchmal orchestrales Folk-Gerüst eingebunden. Die Akustik-Gitarren-Töne tropfen wie Tränen herab und das Piano ist der Freund, der in dieser Situation zu trösten versucht. Der Soul von "Helpless" hat dagegen eine moderne Fassade bekommen, saugt seinen emotionalen Nektar aber aus der Tradition des Southern-Soul der USA. So kann neben dem effekthaschenden, brachialen Rhythmus auch Gospel-ähnliches Flehen ausgemacht werden, was den Song vor einem sterilen Pro-Tools-Produktions-Tod rettet.

    Mit einem ähnlich kräftigen Takt geht es bei "Black Rain" weiter. Wieder einmal gibt es einen deutlichen Kontrast zwischen dem kühlen, tanzbaren Elektronik-Einsatz und dem schmachtenden, gefühlsbetonten Gesang. Das Lied hört sich beinahe wie ein vergessener Track von Marvin Gaye`s Schlafzimmer-Soul-Album "Midnight Love" aus dem Jahr 1982 an. Das frivole Knistern der aufgedonnerten Stimmung hätte wahrscheinlich auch Prince gefallen.

    Rhye verarbeitet auf dem neuen Album vermehrt Soul-Einflüsse. Bei "Sweetest Revenge" gibt es sogar Funk-Anklänge zu hören, die ganz stilvoll und nur da, wo sie einen Mehrwert an Erstaunen versprechen, eingesetzt werden. Da bleibt sogar noch Raum für romantische Ausflüge. "My Heart Bleeds" verfügt über einen harten Beat, der davon ablenken soll, dass der Track davon abgesehen weitestgehend in Kummer und Leid badet. Das Lied erzählt laut Milosh vom kollektiven Schmerz des Jahres 2020 und entsprechend monoton, abwartend und gedrückt ist die Grundstimmung.

    "Fire" kann als hypnotisch-trockene Ballade bezeichnet werden, die sich bei aller Gleichförmigkeit doch in den Gehörgängen einnistet, weil der innige Gesang und das einsame Klavier eine suggestive Sogwirkung ausüben. Swing-Rhythmen, Krautrock-Mechanik und der 49köpfige Danish National Girl`s Choir durchziehen dann das düstere, undurchsichtige "Holy". Dieses Geschehen geht in ein "Outro" über, welches den andächtigen Faden weiter spinnt und durch sakrale Gesänge Diesseits und Jenseits miteinander verbindet.

    Die Titel der Alben von Rhye bestanden bisher immer nur aus einem zentralen Begriff: "Woman" (2013), "Blood" (2018) und nun ist "Home" der Schlüsselbegriff. Ein Zuhause bedeutet für Michael Milosh das Zentrum von Kreativität und Gemeinschaft. Lange Zeit war er allerdings ständig unterwegs und konnte dieses Gefühl nicht ausleben. 2019 fand er jedoch im Westen von Los Angeles - einem Landstrich, der von Bergen umgeben ist und an den Pazifischen Ozean grenzt - ein Haus, welches sich im Sinne seiner Erwartungen als perfekt herausstellte.

    Nichtsdestotrotz hätte das neue Werk auch "Sex" heißen können, so verlockend-erotisch wurde es gestaltet. Die Musik lebt allerdings nicht nur vom Ansprechen körperlicher Reize und den Einflüssen aus Ambient, Pop, Jazz und Soul, sondern auch von extremen Kombinationen: Ausflüge in die geistliche Welt stehen neben dröhnenden Dancefloor-Bässen und leise Sequenzen neben stampfenden Takten. Einzige Konstante ist die durchdringend-sensible Stimme von Michael Milosh, die es schafft, jede musikalische (Ausnahme)-Situation auf sich zu lenken.

    Das Album bietet somit vielfältige, anregende Pop-Musik, die sowohl versunken-beherrscht, wie auch verführerisch-tiefgründig oder zupackend-energisch sein kann. Das Ergebnis ist stets genüsslich-intensiv und reiht "Home" als ein Referenzwerk im Umfeld der Easy-Listening-Ambient-Electro-Pop-Musik ein, weil es unversöhnlich erscheinende Aspekte harmonisch und intelligent zusammen fügt.
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    Lowest Heights

    Lowest Heights (CD)

    5 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern
    22.01.2021
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    5 von 5

    My Little White Rabbit fühlen sich im Psychedelic- und Garagen-Rock sowie Power-Pop hörbar wohl.

    Es ist schon clever und geschickt, wie My Little White Rabbit ihre musikalischen Möglichkeiten einsetzen, um in einem festgesteckten Rahmen möglichst variabel zu agieren. Die Hamburger Formation ist seit ihrer Gründung vom Trio zum Quintett angewachsen und legt jetzt mit "Lowest Heights" ihr zweites Album vor.

    Ein auffallendes Merkmal im Gefüge des kompakten Garagen-Punk-Pop-Sounds ist der Lead-Gesang von Rike Pfeiffer, der mühelos und glaubwürdig zwischen frech und lieblich hin und her schaltet. Damit zeigt sie eine große stimmliche Bandbreite und lässt sich nicht auf den Begriff "Rockröhre" reduzieren. Die ihr zur Seite stehende instrumentale Begleitung ist stets kraftvoll, dabei differenziert und abwechslungsreich. Das ist im Rockbereich eher ungewöhnlich und deshalb herausstechend.

    Aber mal der Reihe nach: "Bat In My Livingroom" pendelt rasante Ohrwurmqualitäten mit griffigen Riffs zu einem flotten Rocker mit gelegentlichen Hippie-Klang-Einlagen aus. "Rusty Nail" tobt sich anschließend im Punk-Umfeld aus, scheut sich nicht vor einem Metal-Einschub und vermittelt reichlich Power-Pop-Schwung. Beide Songs bewegen sich energetisch im oberen Level, punkten mit abgeschichteten Melodien und können neben einem massiven Rhythmus-Geflecht mit Gitarren aufwarten, die nicht nur krachen, sondern auch psychedelische Exkursionen anbieten.

    "Hello Mister" ist eine dichte, relativ gut gelaunte Mid-Tempo-Nummer mit Funk-Reggae-Takten, die sich fürs Radio eignet, aber auch ihre Ecken und Kanten nicht verleugnet. Hier stehen harmonisch-verspielte Bubblegum-Pop-Akkorde im Vordergrund, die von einer wuchtigen Wand aus elektrisch wuchernden Tönen nebst zackiger Rhythmus-Begleitung getragen werden. "Cloud Of Clover" wird von schwirrenden, experimentellen, rauschhaften Space-Sounds eingeleitet, entpuppt sich dann aber als exotisch-verspielter, drogenschwangerer Pop mit mild gestimmter, friedvoller Melodieführung, bei der der bewusstseinserweiternde Aspekt halbwegs unter Kontrolle ist. Da stellt sich nebenbei die Frage, ob der Bandname vom Song "White Rabbit" von Jefferson Airplane aus dem Jahr 1967 abgeleitet wurde. Das würde zumindest den Psychedelic-Rock-Einfluss erklären.

    Den harten Synthesizer-Spuren von "The M-Word" wurden neben druckvollen Funk-Grooves auch sensible Sequenzen beigemischt, so dass sich der Track einer eindeutigen Kategorisierung wirkungsvoll entzieht. Mit Hochgeschwindigkeit läuft die Punk-Nummer "Anybody Seen My Brain" ab und macht so den Ramones nicht nur hinsichtlich des Tempos Konkurrenz. Auch "Moneymaker" zeigt sich dreckig und aufgeputscht, gönnt sich aber mit Hilfe einer atmosphärisch dichten Gitarreneinlage zwischendurch eine Verschnaufpause.

    "Moorgnivil Ym Ni Tab" ist nichts anderes als ein rückwärts abgespielter Auszug von "Bat In My Livingroom". Und schon hört sich die Variation durch etwas Bearbeitung fremdartig, nach Weltraum und Orient an. Die elektrisierte Ballade "The Bird & Me" kreuzt optimistischen Folk- mit düsterem Indie-Rock und sorgt so abwechselnd für lauschige und angespannte Momente. "Lucky People" erinnert dann aufgrund der ungestümen Vorgehensweise sowohl an die frühen Blondie wie auch an die Buzzcocks und bietet somit zeitlosen, tanzbaren Power-Pop mit hohem Unterhaltungswert. "Slow Down Mister" lässt das Album instrumental ausklingen und wirft nochmal ein Potpourri von verschiedenen Eindrücken in die Waagschale: Unter anderem haben The Police, genauso wie Pink Floyd ihre Spuren hinterlassen.

    Corona-bedingt lief der Entstehungsprozess der Platte anders als geplant ab. Die Band konnte nur einmal miteinander proben, bevor sich die Musiker erst drei Monate später für eine Woche in den Schalltona Studios in Hamburg verschanzten, um die Songs einzuspielen. Diese für die Gruppe neue Art der Spontanität hat den Aufnahmen aber offensichtlich nicht geschadet. Ganz im Gegenteil: Sie ist ihnen vielleicht sogar entgegen gekommen, weil so jegliche Form der Überproduktion vermieden werden konnte.

    Die Musiker überzeugen mit Talent, Überblick und unverbrauchter Frische. Sie kennen sich in der Pop- und Rock-Historie aus und haben sinnvolle Elemente herausgepickt, um damit ihren spezifischen Sound anzureichern. Zu den Haupteinflüssen zählen sie: "Blues, Psychedelic Rock und Sixties Pop von Vorbildern wie Led Zeppelin, Kula Shaker und Tame Impala." Stilistisch verhält sich das Team kompromissbereit, ohne dabei die Linie und den Überblick zu verlieren oder sich einem Trend anzubiedern. Außerdem vertreten die Künstler noch politisch-soziale Themen, wie den Feminismus ("Hello Mister") und das Tierwohl ("Lucky People"). So ist aus "Lowest Heights" ein durchweg stimmiges Rock-Paket aus spannenden Klängen mit einer aufrechten Haltung geworden.
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    All The Unknown

    Grandbrothers
    All The Unknown (CD)

    3 von 5 Sterne Aktiver Stern Aktiver Stern Aktiver Stern Inaktiver Stern Inaktiver Stern
    18.01.2021
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    3 von 5

    Das Tüftler-Duo Grandbrothers erweitert sein Klangspektrum auf dem dritten Album.

    Das Ungewöhnliche und Unbekannte hörbar machen, das sind nur zwei Komponenten, die bei der Musik des Pianisten Erol Sarp und des Produzenten und Software-Entwicklers Lukas Vogel eine Rolle spielen. Mit Hilfe von präparierten, verfremdeten Klavieren und diversen Misch- und Sound-Gestaltungs-Techniken haben sie mit Entdeckergeist ihr Klangspektrum für das gemeinsame dritte Album "All The Unknown" gegenüber den Vorgängern erweitert und sind deshalb ihrem bisherigen Prinzip, keine Elektronik bei der ursprünglichen Entstehung der Klänge einsetzen zu wollen, untreu geworden.

    Zwei Flügel und ein Piano bilden die instrumentale Basis der Kompositionen. Dazu kommen jetzt noch Samples und Loops, die die Möglichkeiten des Duos erweitern, besonders im rhythmischen Bereich, wie der Sound-Tüftler Lukas Vogel betont. Die Klänge werden oft von Minimal-Art- und Klassik-Elementen durchzogen, wie schon der Opener "Howth" klar macht. Sich gegenseitig lockende, obendrein auftürmende und abschwellende Ton-Kaskaden sowie romantische Melodielinien verleihen dem Stück einen cineastischen Charakter, so dass man sich das Stück gut zur Untermalung von Naturfilmen vorstellen kann.

    Durch seinen geschmeidig tropfenden Rhythmus wirkt "What We See" wie ein Soft-Krautrock, der mit moderner Klassik geimpft wurde. Seitens der Schöpfer besteht eine Erwartungshaltung, wie mit dem Track umgegangen werden soll: ""What We See" ist eine Aufforderung, nicht immer dem ersten Eindruck den Vorrang zu geben, sondern sich auch Zeit zu nehmen für das, was zuerst verborgen liegen mag", gibt das Duo als Anregung mit auf den Weg.

    "Umeboshi" ist ein knapp einminütiges Intermezzo, das atmosphärisch durch Space-Sounds nach den Sternen greift und "All The Unknown" verarbeitet kraftvoll-entschlossene Akkord-Wiederholungen, die dynamisch variiert und zugleich rhythmisch verstärkt werden. Dadurch tricksen die Künstler sozusagen die subjektiv wahrgenommene Zeit aus.

    Das zweite Intermezzo "The Goat Paradox" basiert auch auf Minimal-Art-Abläufen, die sich ineinander zu verzahnen scheinen und "Four Rivers" bezieht belebend-hypnotische Einflüsse in den als Ausgangspunkt dienenden, unverfänglichen Pop-Rahmen ein. Der Track konserviert außerdem locker verspielten Jazz, wie er vom Tingvall Trio bekannt ist und hört sich deshalb an, als würde er Ausblicke in eine schillernde, erlebnisreiche Zukunft ermöglichen. Das hat die Wirkung von positiv gestimmter Corona-Bewältigungs-Musik, die gedämpft frohe Erwartungen zulässt.

    "Shorelines" bewegt sich mit swingender elektronischer Grundierung frei schwebend über blühende Landschaften hinweg. Direkt in den Sonnenauf- oder -untergang hinein. Je nach Neigung. Das Stück dringt unaufgeregt und leicht fließend ans Ohr. Die Töne gleiten nahezu unbeschwert dahin, sie prickeln erfrischend leicht wie Soda-Wasser und haben gleichzeitig eine ausgleichende Wirkung. Das ist Gebrauchsmusik für eine friedvolle, aber nicht einschläfernde Untermalung. Durch Manipulationen wird das Klavier für "Auberge" teilweise zum Saiteninstrument umfunktioniert. Wolkige Klangwände sorgen dafür, dass die experimentellen Einlagen nur ein Nebenschauplatz bleiben und das Hauptaugenmerk auf eine phantasievolle Traumreise gelegt wird.

    Bei "Organism" sind perkussive Elemente dazu da, um eine aufmunternde Stimmung zu unterstützen. Das Stück baut seine Dynamik letztendlich durch laute und leise sowie schnelle und langsame Passagen auf, die sich ständig abwechseln. Der Name ist bei "Silver" Programm: Flirrend blinken und klirren silbrige Piano-Akkorde, die von Bass-Spuren geerdet und im ständigen Taumel der scheinbar kontinuierlich wiederkehrenden Töne durch eine optimistische Haltung voran getrieben werden.

    Der Begriff Schwarzer Frost stammt aus der Seefahrt. Er bezeichnet die völlige Vereisung von Schiffen durch Nebel oder Nieselregen. Dieser Zustand kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass ein Boot kopflastig wird und kentert. Ob der Track "Black Frost" dieses Phänomen akustisch nachbilden möchte, ist nicht überliefert, er beinhalt aber zumindest Tonfolgen, die kalt und frostig klingen.

    Bedrohlich und Unheil ahnend beginnt "Unrest", bevor ein mächtiger Bass die Situation klärt und dominant Macht demonstriert. Die Tasteninstrumente glätten danach die Wogen zugunsten eines kraftvollen, energischen Ablaufs, schaffen aber auch die Möglichkeit für besinnliche Momente. Der Raum scheint zu atmen, wenn "Mourning Express" ertönt. Pumpende Klänge verleihen der Komposition Leben und Bewegung. Die Keyboards verzieren ausgleichend und schwelgerisch, beeinflussen die sonstigen organisch anmutenden Anordnungen aber nicht wesentlich.

    Für die Grandbrothers bedeutet "All The Unknown" in technischer und musikalischer Hinsicht ein gewichtiger Entwicklungsschritt. Im Rahmen der Pop-Historie ergeben sich allerdings einige Vergleichsobjekte: Die Sounds von Vangelis, Mike Oldfield, Pink Floyd oder Terry Riley liegen als Inspirationsquelle bewusst oder unbewusst in der Luft, finden aber in dieser Zusammensetzung einen neuen Nährboden.

    "All The Unknown" scheint ein Übergangsalbum zu sein, welches den Grandbrothers zwar alternative Möglichkeiten, aber noch keinen konkreten Leitfaden für die Zukunft aufgezeigt hat. Die Musik versucht einen Spagat zwischen Geduld fordernder und anregender Minimal-Art sowie süffig produzierten Klangobjekten, die angenehme, verträumte Gefühle auslösen. Dieses Vorhaben wird keine der beiden erwähnten Erwartungen gänzlich befriedigen, aber die individuelle Klasse der Musiker führt dazu, dass letztlich auch niemand von "All The Unknown" enttäuscht sein wird.
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