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    LittleWalter Top 25 Rezensent

    Aktiv seit: 03. September 2010
    "Hilfreich"-Bewertungen: 1112
    472 Rezensionen
    Windflowers Efterklang
    Windflowers (CD)
    25.12.2021
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    5 von 5

    "Windfowers" erzeugt eine Anziehungskraft, die einer aparten Stimulation entspricht.

    "Windflowers" badet in Wohlklang. In kunstvollem, leidenschaftlichem Wohlklang wohlgemerkt. Die erzeugten Töne sind jedoch nicht als Kalkül zur Erzielung von kommerzieller Gewinnmaximierung gedacht, sondern als populäre Kunstform zu verstehen. Es sind herzerwärmende Klänge, die mal romantisch verspielt, mal pittoresk verschlungen und auch druckvoll-hypnotisch dargeboten werden. Oft vermitteln sie eine zartschmelzende Pop-Sensibilität, wobei aufmunternde Rhythmen entweder unauffällig zur Unterstützung der komplexen Schwingungen dienen oder sie bringen einfach nur das Herz zum hüpfen. Dieses Konstrukt passt sehr gut zum beginnenden Herbst. Die Tage werden kürzer und statt einer wohligen Sonneneinstrahlung können jetzt oszillierende Sounds die Funktion eines Gemüt-Schmeichlers übernehmen. Herbstmusik muss nicht zwangsläufig grau und traurig klingen, denn auch im goldenen Oktober gibt es nicht nur trübe, sondern auch noch warme Tage.

    Frei vom Druck eines Veröffentlichungstermins schuf das Kern-Trio der dänischen Efterklang, bestehend aus Casper Clausen (Gesang), Mads Brauer (Tasteninstrumente) und Rasmus Stolberg (Gitarre), über siebzig Song-Vorlagen, aus denen das siebte Volle-Länge-Studioalbum seit "Tripper" aus 2004 entstand. Die Kompositionen wurden im Studio je nach Gefühlslage durch wenige Gäste begleitet, die als Stimmen, Rhythmus-Ergänzung oder Streicher- und Bläser den Ausdrucks-Rahmen erweiterten. Efterklang spielen Musik, die sowohl Balsam für die Seele, soundmalerische Klangtapete, rhythmische Herausforderung oder auch zugängliches Experiment sein kann. Das mag eigenartig klingen, sofern man nicht bereit ist, Pop als Kunstform anzuerkennen. Wenn diese Einstellung jedoch keine gedankliche Hürde darstellt, dann ist die eben getroffene Zuweisung selbstverständlich. Durch die Reihenfolge der Tracks ergibt sich eine symphonische Tondichtung mit einem speziellen Flow, der wie bei einem Mix-Tape aus dem Gesamtgebilde ein neues musikalisches Wesen erschafft.

    Die Hi-Hats klickern hell und schnell, der Bass rumst heftig dazwischen und der Synthesizer lässt leise Schwebe-Sounds anklingen. Casper Clausen singt "Alien Arms" mit Empathie und formt die Töne dabei bedächtig und wohlüberlegt. Er lässt sie gedeihen und wehen, so dass sie lange nachhallen. Dieser Klang-Zauberkasten hält noch weitere ungewöhnliche künstliche und akustische Töne bereit, so dass der Song durch seine sphärischen Klänge in Kombination mit den Jazz-Grooves einen ganz eigenen, wertig-eingängigen Future-Pop-Charme verbreitet.

    "Beautiful Eclipse" nähert sich zunächst beruhigenden Ambient-Klängen an, erfährt dann aber eine Wendung hin zu romantischem Art-Pop, wobei der Synthesizer unablässig Hilfe suchende Signale funkt. Die Instrumente arbeiten mit unterschiedlichen Tempi, so dass sich verschachtelte Ebenen ergeben, die aber dennoch nicht wirr, sondern anregend-harmonisch ihre Sogwirkung entfalten. Der Sound vermengt Kammermusik mit etwas Balkan-Folk zu einem Minimal-Art-Science-Fiction-Soundtrack-Eindruck.

    Eine hohe Stimme, kurz vor dem Falsett, holt die Hörer(-innen) bei "Hold Me Close When You Can" ab und entführt sie in eine melancholische, elegische Zwischenwelt, wobei nur schwer zu unterscheiden ist, ob die geschilderte Liebesbeziehung nur Wunschdenken ist, sich an einem Sehnsuchtsort abspielt oder einen Teil eines Traum-Gebildes darstellt. "Lady Of The Rocks" greift diese neblig-melancholische Stimmung auf und trägt sie als märchenhaftes instrumentales Intermezzo weiter.

    Manipulierte, Roboter-artige Stimmen und ein monotoner Drum-Machine-Takt drücken "Dragonfly" einen künstlich-kühlen Stempel auf. Clausens sensibler Gesang löst die distanzierte Haltung zunächst wieder auf. Weitere monotone, technisch klingende Zutaten sorgen aber immer wieder für Reibung und einen gewollten Kontrast zwischen Mensch und Maschine.

    Der elegante Hypno-Pop "Living Other Lives" bekommt durch einen flotten, gleichbleibenden Takt seinen unwiderstehlich groovenden Schwung verpasst. Raffiniert positionierte, unterschwellige Afro-Beat-Klänge sorgen daneben noch für ein fremdartiges Gewürz in der Ton-Suppe. Der liebliche, zum Chor erweiterte Gesang hält dieses lebhaft pulsierende Etwas verlässlich zusammen.

    Ein Xylophon setzt leuchtend-blinkende Eckpunkte und der automatische, kraftvoll klackende Rhythmus symbolisiert die Eintönigkeit langer Autobahn-Fahrten, was bei "Mindless Center" zu einem Minimal-Art-Trance-Sound führt, der an "Music For 18 Musicians" von Steve Reich denken lässt. Die vertraut-einfühlsamen Gesänge versöhnen mit dem stoischen Ablauf und entlohnen mit Eintracht und Sinnlichkeit. Der schwermütige Electro-Pop-Song "House On A Feather" verbindet danach schwirrende Streicher mit einer künstlichen Vocoder-Stimme, was in Summe zu einer niedergeschlagen-entrückten Space-Age-Ballade führt. Der Titel des Abschluss-Songs "Åbent Sår" bedeutet "Offene Wunde". Das Lied wird von dem schwedischen Ambient-Techno-Produzenten Axel Willner, der sich The Field nennt, mit schwebenden, tropfenden und pochenden Klängen in Szene gesetzt. Ambient trifft hier tatsächlich auf Techno.

    Die ersten Blumen, die den dänischen Waldboden im Frühling bedecken, sorgen für Aufbruchstimmung, diese Pracht ist aber nur von kurzer Dauer. Dieses Naturphänomen wird Windblumen genannt. Die Efterklang-"Windflowers"-Art-Pop-Sammlung ist nicht schnell vergänglich, aber ähnlich bunt und berauschend für die Sinne. "Windflowers" ist nicht so wagemutig-abenteuerlich und angriffslustig wie "Better Way", das Solo-Werk von Casper Clausen vom Januar 2021, aber dafür kombiniert die Platte die selten eingesetzten Gegensätze Eingängigkeit und Komplexität zu einem nachhaltig bewegenden Hörgenuss.
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    In Translation Peter Hammill
    In Translation (CD)
    19.12.2021
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Die Kunst der kreativen Übersetzung.

    Ein Mann der Superlativen! Seit 1969 erschienen bisher 52 Solo-Alben und 16 Werke mit Van Der Graaf Generator. Nun veröffentlicht Peter Hammill mit "In Translation" seine - wenn ich mich nicht verzählt habe - 53. Platte unter eigenem Namen und seine erste, die ausschließlich Fremdkompositionen enthält. Peter "übersetzt" seine Lieblingsstücke, die eigentlich nicht in den Dunstkreis des Musikers zu passen scheinen, in eine individuell angepasste Welt- und Kunst-Sicht. Er entlockt den Vorlagen ihre Geheimnisse, stützt sich auf deren Qualitäten, sediert die Besonderheiten und interpretiert die Kernaussagen der Originale auf eigentümliche Weise. Ist das Ergebnis dann noch als Cover-Version zu bezeichnen oder handelt es sich schon um eine Transformation in ein anderes Kulturgut?

    Obwohl Hammills Musik von jeher höchsten qualitativen und kreativen Ansprüchen genügte, ist sie bisher über den Status eines Insidertipps nicht herausgekommen. Außer in Italien. Vielleicht trägt der englische Musiker aus Bath auch deshalb als Dank und Würdigung eine Sportjacke mit der Aufschrift "Italia" auf dem Cover-Foto seines aktuellen Werkes. Die Platte "Pawn Heart" von Van Der Graaf Generator aus 1971 war nämlich in Italien ein Nummer 1-Hit. Die Band wurde daraufhin empfangen und hofiert wie Pop-Stars. Aus heutiger Sicht unfasslich, denn der innovativ-freie Art-Rock ist alles andere als Massen- und Charts-tauglich.

    Aber zurück zu Hammill: Fünfzig Jahre nach dem Erscheinen seiner ersten Solo-LP "Fools Mate" kam am 14. Mai 2021 ein Werk heraus, das von März bis Dezember 2020 unter Corona-Bedingungen entstanden ist. Die Krisenstimmung hatte negative Auswirkungen auf das Verfassen eigener neuer Songs, aber was aus Beschäftigungsdrang entstand, wurde zu einer ausgedehnten Suche nach Einflüssen und Prägungen, die allesamt außerhalb des Art-Rock-Universums des Künstlers angesiedelt sind. Eine spannende Arbeits-Erfahrung begann sich zu manifestieren, die allerdings umfangreiche Vorarbeiten benötigte. So haben nur drei Songs im Ursprung einen englischen Text, alle anderen wurden von Peter übersetzt. Dann mussten Arrangements ausgedacht und alleine im eigenen Heimstudio eingespielt werden. "Ich habe mein Bestes getan, um den ursprünglichen Autoren und Interpreten treu zu bleiben und gleichzeitig meine eigene Art von Platte zu machen. Zumindest meiner Meinung nach sind sowohl die Thematik dieser Songs als auch ihr emotionaler Tenor stark mit der Zeit verbunden, in der wir gerade leben", schätzt Peter seine Arbeit ein.

    Zu jedem Song hat er Anmerkungen im Booklet hinterlassen, die Hintergründe zur Auswahl erläutern und die im folgenden Text bei passender Gelegenheit zitiert werden. Beinahe schüchtern und unsicher tastet er sich an "The Folks Who Live On The Hill" aus dem Musikfilm "High, Wide, And Handsome" aus dem Jahr 1937 heran. Im selben Jahr wurde die sentimentale Ballade von Bing Crosby aufgenommen, sie erlangte aber besondere Beachtung in der anmutig-sensiblen Version von Peggy Lee, die 1957 erschien.

    Für Hammill ist die Begegnung mit dieser Musik eine Kindheitserinnerung, die gemischte Gefühle auslöste. Denn die zur Schau gestellte "gemütliche Vertrautheit" der Peggy Lee-Version wird sowohl durch Vorfreude auf ein schönes Leben wie auch von Zukunftsängsten begleitet. Beruhigend-wehmütige Streicher-, Bläser- und Harfen-Töne hüllen den Text dazu in einen wohlig-weichen Kokon ein. Peter Hammill greift für seine Interpretation diese wolkig-melancholische Stimmung auf und reichert sie durch eine nüchterne, gezupfte halbakustische Gitarre, schwirrende Synthesizer-Töne und ein würdevolles Piano an. Die widersprüchliche Gefühlslage des Songs drückt Hammill durch seine flexible Stimmlage aus, indem er sowohl melodramatisch wie auch vertrauensvoll agiert.

    Es ist also nicht nur an der Trainingsjacke mit der Aufschrift "Italia" - die Hammill auf dem Cover-Foto trägt - zu erkennen, dass er eine Liebe zur italienischen Lebensweise entwickelt hat. Die Auswahl der Song-Autoren aus Italien zeigt zudem, dass ihm auch die Kultur des Landes am Herzen liegt. 1979 wurde der italienische Chansonnier Fabricio de André entführt und vier Monate lang festgehalten. Nach seiner Freilassung komponierte er "Hotel Supramonte" im Stil eines ruhigen Leonard Cohen-Liedes.

    Die aktuelle Fassung berücksichtigt den Horror der Gefangenschaft durch gespenstische Hintergrund-Klänge. Die Dankbarkeit, mit dem Leben davon gekommen zu sein, wird durch optimistisch-unbeugsamen Gesang und eine kraftvolle E-Gitarre ausgedrückt.

    Der Ursprung von Astor Piazzolas "Oblivion" ist ein instrumentaler Tango, der durch dessen gefühlvolles Akkordeon-Spiel aber dennoch irgendeine traurige Geschichte erzählt. Hammill baut seinen hinzugefügten Text auf das Vergessen als böswilliges Wesen auf, das darauf wartet, unsere Erinnerungen und damit eigentlich auch unsere Persönlichkeit auszulöschen. Für die Übersetzung eines adäquaten musikalischen Ausdrucks des Kidnapping-Horrors setzt er dabei auf verzweifelten Gesang, der sich in einem schwindelig-schwankendem Chanson-Noire windet und quält.

    "Ciao Amore" vom italienischen Singer-Songwriter Luigi Tenco hat einen sehr bitteren Nachgeschmack erhalten: Das Lied war 1967 für den renommierten San Remo Festival-Preis nominiert, ging aber leer aus. Am Morgen danach fand man Luigi Tenco tot in seinem Hotelzimmer. Es gab zwar einen Abschiedsbrief, die genaue Todesursache konnte jedoch nicht geklärt werden, denn es blieben noch Fragen offen. "Das Lied selbst handelt von der Reise eines contadino (Bauern) von seinem Bauernleben auf der „weißen Straße“ in die entfremdende Welt der Großstadt - eine Reise, die viele in Italien, vor allem von Süden nach Norden, unternommen haben. In der Metropole angekommen, wird der Protagonist von der seltsamen Moderne der Welt entfremdet, weiß aber, dass er nicht zurück kann, nicht zu seinem alten Leben, nicht zu seiner alten Liebe. Die Originalversion ist merkwürdig optimistisch, da sie für den Erfolg im Songwriting-Wettbewerb und in den Charts ausgelegt war. Hier habe ich mir erlaubt, den Refrain dramatisch zu verlangsamen und an dem Punkt, an dem die Hoffnung verloren ist, in eine Moll-Tonart zu schicken", erläutert Hammill die inhaltlichen Zusammenhänge und seine Vorgehensweise.

    Auch die Erinnerungen an "This Nearly Was Mine" aus dem Broadway-Musical "South Pacific" von 1949 reichen in die Kindheit zurück, denn die Plattensammlung von Peters Eltern bestand zu einem großen Teil aus Musicals. Hammill überführt die süßliche Theatralik in eine von Keyboards getragene Ballade, die zwar auch eine gehörige Portion Überschwang mitbringt, diesen aber so ausgestaltet, dass er sowohl als Parodie wie auch als traditionsbewusstes Stilmittel angesehen werden kann.

    „Après un rêve“ ist ein klassisches Lied für Solostimme und Klavier von Gabriel Fauré, das im Jahr 1878 veröffentlicht wurde. Es geht darin um die Sehnsucht des Träumers, nach dem Erwachen wieder in den Schoß der Scheinwelt zurückkehren zu wollen. Aus der - wie Peter sich ausdrückt - "etwas zu stark parfümierten" Vorlage wird das leicht störrische Kunstlied "After A Dream", das ansatzweise bei den Brecht/Weill-Moritaten der 1930er Jahre zuhause ist.

    "Das Gefühl von direktem Fatalismus kommt hier voll zur Geltung, und ich habe mein Bestes getan, um in diesen Geist einzutreten, obwohl meine eigenen Tage mit Whisky und Zigaretten jetzt weit hinter mir liegen. Ich hoffe, ich habe diesem Stück die nötige stolze Intensität verliehen", erklärt der britische Art-Rock-Künstler seinen Umgang mit "Ballad For My Death" von Astor Piazzolla (Originaltitel: "Balada para mi muerte (1968)). Hammills Interpretation kommt wahrscheinlich dem nahe, was auch Nick Cave aus der Ursprungs-Idee gemacht hätte: Eine brennende Ballade mit brachialer Dramatik, unnachgiebig starkem Ausdruck und aufopferungsvoller Hingabe.

    Peter Hammill berichtet, dass er schon mal als "die Shirley Bassey des Undergrounds" bezeichnet wurde. Da passt es ins Bild, dass er das ursprünglich italienische Chanson "I Who Have Nothing", welches die walisische Pop-Diva der 1960er und 1970er Jahre bereits 1963 aufnahm, jetzt neu verfasst hat. Peter betont "die Tatsache, dass es sich wirklich genauso um das Lied eines Stalkers wie eines verlassenen oder verlorenen Liebhabers handeln kann", weswegen er nicht die opulente Oberfläche, sondern den unheimlichen Charakter des Stückes darstellen wollte. Das gelingt sogar, ohne den attraktiven Pop-Appeal des Originals zu vernachlässigen.

    "Il Vino" von Piero Ciampi aus 1971 habe eine "Fellini-artige Ästhetik", meint Hammill und findet, dass dieses Aroma auch "In Translation" "als Ganzes durchdringt". Vorbildfunktion hatten dabei Hal Willners Nino Rota-Interpretationen auf "Amarcord". Das Trinklied "Il Vino" fällt schon deshalb in der aktuellen Darstellung aus der Rolle, weil sowohl instrumental wie auch vokal der Zustand des betrunken seins als Stilmittel verwendet wird, was den Song wanken und stolpern lässt.

    "Kunst ist das Einzige, was man braucht, um sich zu erhalten, das einzig Wichtige im Leben für einen Ästheten wie den Sänger", erklärt der Van Der Graaf Generator-Vordenker die Überzeugung, die seinem Wirken zu Grunde liegt. "Lost To The World" (im Original: "Ich bin der Welt abhanden gekommen") von Gustav Mahler war der Ausgangspunkt für die Idee, "In Translation" zu realisieren. "Die Geschichte des Rückzugs aus der Welt ist natürlich passend für diese Zeit", findet Peter und überträgt das traurig-schöne Ursprungs-Beispiel in ein exzentrisches, verschrobenes Art-Pop-Stück.

    "In Translation" erschließt ein neues Level in der langen Karriere von Peter Hammill. Zum ersten Mal ist er hauptsächlich Beobachter, Analytiker und Übersetzer und nicht in erster Linie der erschaffende Künstler. Diese Rolle füllt er mit derselben Vehemenz und Überzeugungskraft aus, wie die des individuellen Ton-Dichters. Somit ist das Album ein weiteres Highlight in der an Meisterwerken nicht armen Diskographie des mittlerweile 73jährigen Art-Rock-Veteranen.
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    Ein Kommentar
    Anonym
    02.11.2023

    TOP-Rezension.........

    .......lieber Heino! ! ! ! !
    ich komm trotz vieler Versuche nicht richtig klar mit diesem Album......warum?????

    mein pH ist der mit ,,A Louse is not a Home''....!

    Old R.
    Frank Popp Ensemble Presents: Under Covers Frank Popp Ensemble Presents: Under Covers (CD)
    08.12.2021
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Musiker unterschiedlicher Stilrichtungen verwirklichen ihre Vorstellung eines Frank Popp Ensemble-Tracks und tragen mit individuellem Charme zu der bunten Mischung und einer spannenden Würdigung bei.

    Man soll die Feste feiern wie sie fallen! Das hat sich auch das Frank Popp Ensemble gedacht, dessen zweite Single "Hip Teens Don`t Wear Blue Jeans" am 12. November 2001 erschien, dann 2003 im Rahmen der Verwendung für eine Coca-Cola-Werbung ein veritabler Radio-Hit war und nun sein 20jähriges Ersterscheinungs-Jubiläum begeht.

    Zu diesem Anlass hat Frank Popp persönlich 21 Formationen dazu eingeladen, einen Titel aus dem Popp-Universum zu covern, was zu recht unterschiedlichen Betrachtungsweisen geführt hat: Der ehemalige Teenage Fanclub-Sänger und Bassist Gerry Love eröffnet die Hommage-Show mit dem sinnlich-coolen Latin-Psychedelic-Soft-Rock "The World Is Waiting", der stellvertretend für Eleganz, Rausch und Erotik steht.

    Die unverwüstlichen The Posies haben als glühende Big Star-Verehrer so einige Power-Pop-Evergreens entworfen. Sie sind seit 1986 im Geschäft und "Live Wire" zeigt sie wieder in bestechender Form. Ein hämmerndes Piano macht Druck, kurze, hart angeschlagene E-Gitarren-Riffs zerreißen die Luft, polternde Bass/Drums-Kaskaden lassen den Rhythmus brodeln und der Lead-Gesang bleibt bei aller Energie überlegen und gelassen. Melodie und Refrain werden zu einer unwiderstehlich harmonisch kribbelnden Bubblegum-Pop-Versuchung kombiniert.

    Das Damen-Trio 24/7 Diva Heaven ist ein Newcomer am Riot-Girl-Firmament, denn grade erst im März 2021 erschien ihr Debüt-Album "STRESS". Eine dröhnende Rhythmus-Kombination - wie sie in ähnlicher Form auch bei den White Stripes nicht ihre aufpeitschende Wirkung verfehlt - wird zur Erkennung von "Magic Birds" und lässt bei entsprechender Lautstärke die Därme vibrieren. Nach verhaltenem Anfang erscheinen dann zwar nicht magische, aber wilde Raubvögel am Firmament. Es kracht, quietscht und scheppert, was das Zeug hält und der so entstandene Hard-Rock-Punk klingt zusätzlich wie eine Verneigung vor den Runaways um Joan Jett.

    Die Hardcore-Punks von Hammerhead aus Bonn spielen schnell und aggressiv auf, so dass "Gettin' Down" wie ein Schlag ins Gesicht wirkt. Aber dennoch bleibt der Song so differenziert, dass er eigentlich als Rock & Roll mit Stacheldraht ums Herz durchgeht. Mit Hammerhead als Einheizer gibt es zumindest keine Energiekrise.

    Love Machine aus Düsseldorf haben in diesem Jahr das herrlich skurrile Album "Düsseldorf-Tokyo" herausgebracht und im Rahmen der Popp-Verneigung nehmen sie sich den Hit "Hip Teens Don't Wear Blue Jeans" vor. Nur: Wiedererkennen kann man ihn kaum. Höchstens dann, wenn man textsicher ist oder auf den Refrain achtet. Dieser Funk-Space-Rock sprengt alle Erwartungen und ist wohl auch deshalb so erfrischend und positiv verrückt geworden.

    Als "A Dark Disco Project" bezeichnet sich Maria Ghoerls aus Berlin. Die Formation verstärkt sich für "Leave Me Alone" um Aydo Abay, dem Gründer der Alternative-Rock-Bands Blackmail und Ken. Aber was heißt hier eigentlich Formation? Hinter dem Synonym Maria Ghoerls versteckt sich niemand geringeres als Frank Popp persönlich. Gothic-Wave-Vibes im Herzschlag-Rhythmus bestimmen den schleppenden Groove und New Order-Gitarren sowie Kraftwerk-Synthesizer sorgen für eine 80er Jahre-Retro-Verzierung. So entstand ein Klang, der bekannte Muster bedient, aber in dieser Zusammensetzung dennoch neu erscheint.

    Wow! Der HipHop-Rock von "Scarecrow Kids" der Fünf Sterne Deluxe geht trotz bremsender Rap-Einlagen mächtig ab, so dass der Titel die Tanzfläche zum Kochen bringen kann. Erobique alias Carsten Meyer lässt es da mit "Enough" gediegener und gesitteter angehen. Sein gelöster Bossa Nova-Easy Listening im Stil von Esquivel oder Sergio Mendes kommt gepflegt und sauber daher.

    Auch die Acid-Jazz-Jünger von Corduroy Industries wissen, wie man elegant unterhält. "Belly Bossanova" reiht sich ansatzlos hinter Erobique ein und verbreitet ein genauso charmant-gelassenes Brasilien-Flair. Eine weitere Variante des Titels kommt vom Duo Cobra Killer aus Berlin, die eine Möglichkeit sahen, ihren harten Electro-Hardcore-Punk mit Bestandteilen von lieblichem Pool-Bar-Sound zu verfremden. Beide Komponenten neutralisieren hinsichtlich der Wirkungsweise, so dass eine undefinierbare Masse übrigbleibt.

    Der Ska-Sound der Liga der Gewöhnlichen Gentlemen erinnert stimmungsmäßig an die gutgelaunten Madness und so wird "Hurry Up" zum spaßig-unbeschwerten Zwischenspiel. "Breakaway" ist im Original ein hinreißender, orchestral arrangierter, cool groovender, schmachtender Mid-Tempo-Soul-Track. Der Alternative-Pop-Musiker Nathan Joseph White aus London nennt sich Whitey und macht daraus ein von psychedelisch-sakralen Orgel-Klängen unterlegtes, dunkles, tapsendes Chanson.

    BTM zerlegen dasselbe Stück in seine Einzelteile und setzen es als fieses Metal-Punk-Monster mit wütend-rotzigem Gesang wieder zusammen. "Hey Mr. Innocent" der vierköpfigen Frauen-Punk-Band Östro 430 konserviert die Neue Deutsche Welle in der Phase, als sie noch nicht trottelig-albern war. Monotone Drums, ein fetter Bass, billige Synthie-Fills und freche Stimmen vermitteln das unbekümmerte Gefühl von Do-It-Yourself-Dance-Punk.

    Das Stück "High Voltage" wurde im Film "Password: Swordfish" (mit Halle Berry und John Travolta) verwendet. Die US-amerikanische Electro-Pop-Künstlerin Angie Reed lässt den Track nicht so heftig rhythmisch überkochen wie es bei der Vorlage des Frank Popp Ensembles der Fall war. Ihr Ansatz besteht darin, die geheimnisvolle, Angst schürende Komponente hervorzulocken und mit spleenig-unberechenbaren Elementen zu verknüpfen.

    Hinter Ascii Disko verbirgt sich der Hamburger Produzent und DJ Daniel Holc. Der ursprünglich frankophile, erotisch aufgeladene Easy Listening-Song "Foncé Dans Le Coeur" wird von ihm lediglich mit einem Dance-Beat und Sound-Effekten unterlegt. Außerdem streckt er ihn von fünf auf über acht Minuten. Das bringt alles allerdings keinen wesentlichen Mehrwert. Den ehemaligen Motown-Soul-Klang von "You've Been Gone Too Long" verwandelt der Entertainer Bernd Begemann auf seine ureigene, freundlich-eingängige Weise in einen leichtfüßig-sympathischen Pop-Swing.

    Hypnotische Trommeln, unnachgiebig schmirgelnde E-Gitarren, dezente Fake-Bläser und elektronische Space-Klänge sorgen bei "A Lifetime In A Day" mitsamt dem lasziven Gesang bei Suzan Körcher's Suprafon für eine beschwörende Stimmung. Im Original kam der Song als nicht minder eindringlicher, verführerischer Psychedelic-Pop daher. "Nothing To Gain" hat Power-Pop-Qualitäten, die sowohl in den 1960er Jahren Hit-Chancen gehabt hätten (zum Beispiel in einer Version von The Monkees), wie auch ins Repertoire der New Wave-Helden Blondie passen würden. Zeitloser Goodtime-Teenage-Pop eben.

    Splinter aus den Niederlanden (nicht das englische Duo gleichen Namens, das in den 1970er Jahren von George Harrison für sein Dark Horse Label unter Vertrag genommen wurde), tritt in dieselben Fußstapfen, fügt eine quengelnde E-Gitarre hinzu, flirtet mit kurzen Funk-Riffs und hebt das Energielevel noch etwas an. So wird eine schützenswerte Musik-Tradition schwungvoll am Leben gehalten. Space Chaser aus Berlin verwandeln den tanzbaren R&B-Beat von "Mullet King" in einen aggressiven Thrash-Speed-Metal, der atemlos hetzt und unbarmherzig dafür sorgt, dass klanglich keine milden Zugeständnisse gemacht werden.

    Exotischen, effekthaschenden Easy-Listening Sound bietet "The Thing Demands" vom Frank Popp Ensemble. Die Progressive-Rocker von The Cosmic Dead aus Glasgow ändern den Klang und erschaffen ein neunminütiges Space-Rock-Monster, dessen ausufernde Ton-Tentakel sie nur schwer unter Kontrolle halten können.

    Frank Popp ist ein Ausbund an schöpferischer Intelligenz. Unglaublich, welche stilistische Bandbreite er abdeckt! Vom Mod-Sound der Swinging Sixties über Soul-Pop-Grooves und Power-Pop bis hin zu psychedelischen Klängen finden sich etliche Schattierungen in seinen Liedern wieder. Und wenn man dann noch weiß, dass er im legendären Düsseldorfer Punk-Schuppen Ratinger Hof auflegte und auch als Hardcore-Punk- und Metal-Band-Veranstalter gearbeitet hat, dann verwundert es nicht, dass auch diese Klänge Einzug in den Tribute-Sampler gefunden haben. In Anlehnung an das berühmte "Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band"- Cover der Beatles gestaltete der gelernte Grafik-Designer und DJ die Verpackung der aufklappbaren Doppel-CD und gibt in einem 6seitigen Booklet Kommentare zu den ausgewählten Songs und Künstlern ab.

    Es ist kaum anzunehmen, dass alle Interpretationen für jeden Fan den gleichen Stellenwert haben werden, aber letztlich kommt es doch immer auf die Intensität und den Einfallsreichtum bei der Umsetzung an. Diese Zusammenstellung ist ein Musterbeispiel an ungebremster Spielfreude und ausgelassenem Spielwitz. Trotz unterschiedlichen Ausrichtungen demonstriert die vorliegende Würdigung des Frank Popp Ensemble einen reizvollen Flow mit vielen Überraschungen, der dafür sorgt, dass es richtig Spaß macht, alles nacheinander durchzuhören, weil man stets gespannt auf die nächste Idee ist.
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    • Ride On Ride On (CD)
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    Triggerwarnung Sarah Lesch
    Triggerwarnung (CD)
    08.12.2021
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Es lebe der Protestsong, es lebe die Poesie!

    Jede menschenfreundlich denkende Person könnte sich fragen: Feminismus, muss das denn überhaupt sein? Die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau ist ja wohl selbstverständlich! Aber leider sieht die Realität anders aus, denn etliche Leute sind evolutionstechnisch noch in der Steinzeit hängen geblieben und benötigen diesbezüglich Nachhilfe. Die kommt inhaltlich für ewig Gestrige und Ignoranten unter anderem von Sarah Lesch.

    In Form einer Fabel wird bei "Die Löwin" von einem tapferen, lebenserfahrenen Tier berichtet, das durch zahlreiche Kämpfe zwar angeschlagen, aber längst nicht wehrlos geworden ist. Wenn es Dinge gibt, für die es sich zu kämpfen lohnt, kann sie immer noch ungeahnte Kräfte freisetzen. Auf sanft gleitenden Pfoten bewegt sich "Die Löwin" filigran-kunstvoll vorwärts, lässt sich nicht in die Karten schauen und weiß neben delikaten Country-Jazz-Momenten auch mit hoffnungsvollen, erwachsenen Pop-Harmonien zu gefallen.

    Mit einem aufmunternden Country-Twang schwingt sich "Es schläft ein Lied" zu einem unsentimentalen Love-Song mit offensichtlich traurigem Ausgang empor ("Es schläft ein Lied in mir, das liebt den Moment. Und es hält nicht sein Wort. Es stirbt mit mir im Augenblick. Und es lebt in Erinnerung fort"). Zwischenzeitlich ziehen tatsächlich zwei über grüne Wiesen tanzende, unbekümmerte Menschen in Gedanken vorüber, genauso wie es blumig im Text dargestellt wird ("Als wir einst tanzten im goldenen Garten. Als wir so taumelnd und träumend und wartend. Voll Übermut und voll Gefühl. Und die Angst vor dem Abschied blieb still").

    Wie bei einem uralten Country & Western-Song, der ergreifend-schwermütig und schicksalhaft von Land & Leuten berichtet, wird bei "Unten am Fluss" der Tod eines Menschen feinfühlig in tröstende Worte gefasst. Die Mundharmonika vermittelt Einsamkeit, der Rhythmus hält die getragenen Gefühle auf verhaltene Weise zusammen, die Geige weint bittere Tränen und der Chor verstärkt diese süße Schwere durch wohlig ergriffene Ton-Schauer. Sarah Lesch wirkt gefasst, ist von Dankbarkeit durchflutet und kann deshalb trotz des traurigen Anlasses mit fester Stimme singen.

    "Licht" beleuchtet klug und poetisch persönliche und gesellschaftliche Verhaltensmuster, um dabei ohne erhobenen Zeigefinger geschickt formulierte Lösungen anzubieten, die ebenso logisch wie auch weise sind. Ganz aktuell sind dabei zum Beispiel diese Aussagen: "Wo alle Schuld sind, ist es keiner und wo keiner eine Schuld will, muss es einer sein – zum Trost gibt’s dann Applaus. Und wer weiß, wem sie dann helfen, wenn es eng wird auf Station. Und wer hier Gott spielt für ´nen schlechten Stundenlohn?". Oder: "Wir zieh’n uns Werte an wie Kleidung, doch wie werden Werte wahr? Und wo ist Frieden nur ein goldnes Accessoire? Wer die Geschichte nicht erinnern will, der muss sie wiederholen. Solang bis alles wieder früher besser war". Hier gibt es jede Menge lebensnahe Lyrik zum Anfassen, die täglich im Radio gehört werden sollte. Der stimmungsvoll begleitende, unaufgeregte Country-Folk-Pop ist wie gemacht als Vehikel für die nachdenklich stimmenden Statements.

    Ganz harter Tobak wird bei "Schweigende Schwestern" geboten. Nämlich eine eindringlich, gruselig-realistische Geschichte über sexuelle Gewalt und männliche Überheblichkeit, die tief unter die Haut geht. Eine Form von Late-Night-Jazz nach "Swordfishtrombones"-Vorbild von Tom Waits bildet den schmuddelig-abgründigen Hintergrund zu diesem hochbrisanten Thema, das schon viel zu lange zu wenig Aufmerksamkeit erlangt hat.

    Vielleicht geht es bei "Ich trag dich nach Haus" um Verständnis und Hilfe für eine liebenswerte, depressive Person, vielleicht aber auch um einen sehr sensiblen Menschen, der seinen Geistesverwandten gefunden hat. Egal, was der Kern der Lyrik ist, man spürt jedenfalls jede Menge Einfühlungsvermögen, Vertrauen und Anerkennung. Das alles drückt Sarah mit ihrem bedingungslos die Sinne öffnenden Gesang aus und so wird aus dem Barock-Folk-Pop - auch wegen des entschlossen formulierten Refrains - eine suggestive, fesselnde Ballade.

    Mit Unterstützung von munteren Ska-Rhythmen gibt es bei "Drunter machen wir’s nicht" ordentlich gepfefferte Kritik an eingefleischten Geschlechterrollen: "Und wie schön, dass du auf dieser Welt bist. Ja, du hast dein Geschlecht nicht gewählt. Aber du hast Verantwortung für dein Verhalten. Hat Mami dir das schon erzählt?". Klartext mit Niveau, der nicht nur im Feminismus-Bereich Gültigkeit besitzt, sondern generell Anwendung finden sollte.

    Eine kecke Gypsy-Swing-Untermalung steht bei "Löwenzahn im Wind" als Synonym für die Befreiung von gedanklichem und konditioniertem Ballast, um ein neues, beschwingt-befreites Leben zu beginnen: "Wie lang lass ich mich noch klein halten. Und wieviel lass ich mir noch nehmen? Bis ich lächelnd die Zahl meiner Wünsche sage, ohne mich dafür zu schämen".

    Diskriminierung und Gewalt gibt es auf vielen Ebenen und sie richten sich je nach politischem und sozialem Umfeld gegen unterschiedlichste Bevölkerungsgruppen. Besonders verbreitet ist sie gegen Personen, die schon aufgrund ihres Aussehens nicht ins herkömmliche Erscheinungsbild passen, wie zum Beispiel die Drag Queens. "Die Geschichte von Marsha P. Johnson" handelt von solch einem Menschen, der nur wegen seiner Auffälligkeit sein Leben verlor. Die Gesellschaft ist erst dann eine bessere, wenn man nicht mehr über Gleichberechtigung sprechen muss und wenn sexuelle Gewalt geächtet wird. Zeit wird`s! Die dem Text folgenden Klänge verbinden geschmeidig New-Orleans-Funeral-Jazz-Melancholie mit intimer Folk-Besinnlichkeit.

    Für das wortlose "Aus dem Staub" können die Instrumentalisten nochmal beweisen, wie dynamisch und dabei ausdrucksstark und feinfühlig sie agieren können. So wurde auch aus diesem Stück eine überzeugende Ton-Landschaft, die gut und gerne als Wirkverstärker für einen romantischen Film eingesetzt werden könnte, ohne dabei kitschige Klischees zu bedienen.

    Der Begriff "TRIGGERWARNUNG" kommt aus der Trauma-Theorie und bezeichnet die Auslösung von bestimmten Reizen, die bei einem traumatisierten Patienten wieder die schrecklichen Situationen ans Licht bringen, die er erleiden musste. Sarah Lesch setzt solche Trigger-Punkte ein, um Aufmerksamkeit für Missstände hervorzurufen. Sie geht dabei bei aller Brisanz oft behutsam vor, sie überzeugt mit Fakten und Belegen, statt stumpf anzuklagen. Sie sucht und verarbeitet emotionale Bezugspunkte, statt ihre vorhandene Wut rauszuschreien. Sie setzt auf Lichtblicke für Gegenwart und Zukunft, statt sich der Vergangenheit zu ergeben. Sie appelliert an die eigene Stärke, statt sich denunzieren zu lassen.

    Sarah Lesch wurde 1986 in Thüringen geboren, wuchs im schwäbischen Tübingen auf und lebt jetzt in Leipzig. Die Musikalität kommt nicht von ungefähr, denn ihr Vater ist auch Musiker, wenn auch eher im Schlager- und Volksmusik-Metier tätig. Aber da der Apfel bekanntlich nicht weit vom Stamm fällt, trat sie zumindest von der künstlerischen Neigung her in seine Fußstapfen und veröffentlichte 2012 unter dem Künstlernamen Chansonedde ihr erstes Solo-Album "Lieder aus der schmutzigen Küche", gefolgt von drei weiteren Veröffentlichungen zwischen 2015 und 2020. Für das sechsminütige Lied "Testament", dass sie für ihren Sohn schrieb, gewann sie 2016 den Protestsongcontest in Wien. Im selben Jahr erlangte sie den 2. Platz beim von Udo Lindenberg initiierten Panikpreis.

    Ihre Motivation zieht Sarah Lesch unter anderem daraus, dass sie ohne vorgegebenes Ziel die Dinge ausdrücken möchte, die sie beschäftigen und aus ihr raus müssen. Die Themen sollen dann nach Möglichkeit musikalisch individuell und neuartig verpackt werden. Intuition und Kreativität gehen also bei "TRIGGERWARNUNG", das am 19. November 2021 erschien, Hand in Hand. Die vielseitige Musikerin kultiviert ihren gediegenen, universellen Americana-Chanson-Sound mit weitsichtigen, humanistischen deutschen Texten. Aber Worte sind ein scharfes Schwert. Bei Sarah Lesch trennen sie zwischen Lüge und Realität. Die Song-Poetin ist also - ganz im Geiste von Reinhard Mey - als vorurteilsfreie Beobachterin unterwegs. Das Land braucht mehr solcher anständig-intelligenten Dichter(innen) und Denker(innen), die veraltete, verkrustete Weltbilder aufbrechen und ad absurdum führen!

    Das klingt dann auch musikalisch absolut überzeugend und zeigt sich in einem flexiblen, wahrhaftigen und klaren Sound, der zum Beispiel an die Cowboy Junkies erinnert, was als großes Kompliment und nicht als Plagiatsvorwurf gemeint ist. Die Lieder auf dem fünften Werk "TRIGGERWARNUNG" zeichnen sich durch eine schlüssige Beobachtungsgabe, eine filigrane, der emotionalen Sachlage angepasste Instrumentierung und einem unaufgeregten, souveränen, themenabhängig angepassten Gesang aus. Mit anderen Worten: Hier wird gute und anspruchsvolle Unterhaltung geboten!
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    Time Flies Ladyhawke
    Time Flies (CD)
    19.11.2021
    Klang:
    3 von 5
    Musik:
    3 von 5

    Ladyhawke, die Unentschlossene. Findet sie nun mit "Time Flies" ihre eigentliche, endgültige künstlerische Identität?

    Es ist wie es ist, machen wir uns also nichts vor: Madonna, Cher, Miley Cyrus, Rihanna und Britney Spears haben ihren kreativen Höhepunkt längst überschritten und spielen in der Landschaft der nimmersatten Chart-affinen Konsumenten keine herausragende Rolle mehr. Ihre Vormachtstellung als Vorzeige-Pop-Queens haben sie verloren und sie wurden von frischen, frechen und talentierten Ladys wie Billie Eilish, Dua Lipa, Taylor Swift und Lana Del Rey entthront.

    Neues Futter braucht das Hit-Radio! Da kommt Ladyhawke grade rechtzeitig, um sich ihre Pfründe zu sichern. Aber hat sie es wirklich ausschließlich auf hohe Chart-Positionen abgesehen oder will sie künstlerisch mehr erreichen als die vielen anderen Retorten-Sängerinnen, die im Hinblick auf schnelles Geld dem Mainstream-Publikum zum Fraß vorgeworfen werden und ihre Seele verkaufen?

    Ladyhawke wurde als Philippa Margaret Brown 1979 in Neuseeland geboren und hat ihren Künstlernamen aus dem Film "Ladyhawke" (gespielt von Michelle Pfeiffer) von Richard Donner aus 1985 entliehen. Von 2001 bis 2003 spielte Philippa als Pip Brown Leadgitarre und sang im Background der Wellingtoner Punk-Band Two Lane Blacktop, die sich an The Stooges, MC5 und The Clash orientierten. 2004 trat sie der Art-Pop-Band Teenager bei, die bis 2007 hielt. Danach zog sie nach London und nannte sich fortan Ladyhawke, was auch der Name ihres ersten Solo-Albums von 2008 war, das hauptsächlich vom 1980er Jahre-New Wave-Sound und Synthie-Pop dominiert wurde.

    Der Nachfolger "Anxiety" (2012) zeigt ein anderes Gesicht, er ist massiver und verleibt sich den elektronischen Alternative-Rock der 1990er Jahre ein. 2013 folgte ein Umzug nach Los Angeles und 2016 kam mit "Wild Things" das dritte Werk heraus, das einen eingängigen, wieder elektronischeren, druckvollen Pop-Sound präsentiert.

    Nach der Geburt ihrer Tochter und überstandener Hautkrebs-Erkrankung übergibt Ladyhawke am 19. November 2021 "Time Flies" mit elf Songs dem Licht der Öffentlichkeit: Wird die sich anschmeichelnde, eingängig-unkomplizierte, aber Ohrwurm-taugliche Ballade "My Love" noch durch einen kräftigen Beat aus der Melancholie gezogen, so führt der erbarmungslose, überbetonte Bass bei "Think About You" dazu, dass die ergänzende, platziert gesetzte Rhythmik etwas zu kurz kommt und die im Grunde genommen attraktive, abwechslungsreiche Melodieführung durch Gimmicks verharmlost wird. Weniger Pomp, Glimmer und Effekte und ein eher akustisches Arrangement hätten diesem Song besser zu Gesicht gestanden.

    Der Song "Time Flies" klingt wie ein Mid-Tempo-Folk-Song, der in ein Electro-Pop-Gewand gesteckt wurde und "Mixed Emotions" schafft es auf den Tanzboden. Pop-, Funk- und Disco-Elemente bilden eine Klammer, die den Track zu einem Allrounder für unterschiedlichste Radio-Formate macht. Für "Guilty Love" wird ein harter, stampfender Rhythm & Blues-Groove einbezogen, dem kurze, verzerrte E-Gitarren-Akkorde zur Seite stehen. Nach ein paar Verschnaufpausen wird der Track immer wieder saftig und kräftig hochgefahren.

    Bevor die Ballade "Take It Easy Mama" zu süßlich zu werden droht, bekommt sie einen ordentlichen Tritt in den Hintern, gönnt sich aber auch Auszeiten, die melodisch fein gestrickt werden. Im Gegensatz dazu bietet "Loner" nur biedere Hausmannskost: Die Melodie ist fade, der Gesang eintönig und die billigen Synthie-Töne, die für schmückendes Beiwerk sorgen sollen, klingen wie aus einer 80erJahre-Mottenkiste. Aus dieser Dekade scheint auch "Adam" zu kommen: Romantischer, eintöniger Synthie-Pop, der damals den New Romantics wie Spandau Ballet oder Duran Duran zugerechnet worden wäre.

    Im Spannungsfeld zwischen Ballade und Power-Pop scheint sich Ladyhawke sehr wohl zu fühlen, denn "Reactor" balanciert beide Seiten ausgewogen aus und kann dadurch als dynamisch abgestufter Pop-Song gefallen. Der Refrain von "Walk Away" klingt wie ein Abzählreim, passt aber trotzdem gut zu dem flotten, rhythmisch agilen Lied, das eine Party-Stimmung durchaus anheizen kann. "Love Is Blind" zeigt auf, dass Ladyhawke auch ernsthafte Pop-Musik überzeugend auskleiden kann. Der Song erfüllt noch nicht die höchste Qualitätsstufe, zeigt aber einen alternativen Weg für sie auf.

    Ladyhawke sollte sich entscheiden: Möchte sie auf Teufel komm raus in die Charts, dann sollte sie sich einen angesagten Produzenten suchen, der sie punktgenau auf Mainstream-Format zuschneidet. Dann bleibt natürlich ihr zweifellos vorhandenes Talent auf der Strecke, weil sie unter diesen Bedingungen etliche Kompromisse eingehen müsste. Möchte sie sich künstlerisch weiterentwickeln, dann sollte sie sich einen Produzenten suchen, der sie mit anspruchsvollen Songs ins rechte Licht rückt und auf einen effektbeladenen, künstlich aufgedonnerten Sound verzichtet. Oder möchte sie vielleicht einen Weg zwischen Kunst und Pop suchen, dann sollte sie sich einen Produzenten ihres Vertrauens mit ganz viel Einfühlungsvermögen finden, der ihr den Sound verpasst, der ihre Persönlichkeit individuell herausstellt.

    Philippa Margaret Brown hat schon viele Genres ausprobiert, war aber bisher wankelmütig, was das Herauskehren eines eigenen Stiles angeht. Ihr Karriereweg verläuft im Zickzack, ist nicht kontinuierlich und weist auf kein eindeutiges Ziel hin. Aber noch ist alles möglich: Zwar ist "Time Flies" ein neuer Gehversuch mit ansprechenden Ansätzen, der sich unspezifisch zwischen allen Stühlen bewegt und deshalb offen lässt, wo es eigentlich künstlerisch hingehen soll. Aber bei einem erneuten Anlauf könnte es gelingen, mit verinnerlichten Werten zu einem spezifischen Sound zu finden.
    Retrospect In Retirement Of Delay: The Solo Recordings Retrospect In Retirement Of Delay: The Solo Recordings (CD)
    19.11.2021
    Klang:
    3 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Hasaan Ibn Ali: Ein visionär-virtuoser Piano-Hexer zwischen Tradition und Improvisation.

    Die Veröffentlichung von Hasaan Ibn Alis "Retrospect In Retirement of Delay: The Solo Recordings" deckt Aufnahmen von einer fast vergessenen, überaus talentierten Persönlichkeit des Jazz auf, die aufgrund einer Verkettung von unglücklichen Umständen nicht den Bekanntheitsgrad und Ruhm erlangen konnte, die es verdient gehabt hätte. Solche tragischen Geschichten gibt es immer wieder im Musik-Business, man denke nur an die Folk-Musiker Jackson C. Frank und Phil Ochs, deren Karrieren auch in Katastrophen endeten.

    Der etwa 1949 zum Islam konvertierte Hasaan Ibn Ali wurde 1931 als William Henry Langford jr. in Philadelphia (Pennsylvania, USA) geboren und wuchs als Sohn einer Hausfrau und eines Kochs auf. Das Klavierspielen brachte sich William als Kind selber bei. Als Vorlage dienten ihm einige Boogie-Woogie-Platten. Schon mit 15 Jahren hatte der eifrige Musiker seinen ersten Auftritt in einer Big-Band. Er stürzte sich in die Verbesserung seines Spiels, probte wie besessen und konnte mit seinem unorthodoxen Konzept, bei dem melodische Fetzen mit freiem Spiel zu einem gefühlvoll aufwühlenden Klang verbunden werden, sogar John Coltrane, Sonny Rollins und McCoy Tyner beeinflussen.

    Zu Lebzeiten wurde nur das Album "The Max Roach Trio featuring The Legendary Hasaan" im Jahr 1965 veröffentlicht. Das Jahr 2021 brachte jetzt ein Revival des Jazz-Pianisten zutage. Zuerst wurde das lange als verschollen geglaubte zweite Studio-Album aus 1965 veröffentlicht, das damals aufgrund von Hasaans Verurteilung wegen Drogenbesitzes nicht auf den Markt kam. Das in Quartett-Besetzung eingespielte Werk wurde im März unter dem Namen "Metaphysics: The Lost Atlantic Album" im März herausgebracht.

    Am 19. November erscheint nun "Retrospect In Retirement of Delay: The Solo Recordings". Das ist eine Sammlung von Probe-Aufnahmen, die zwischen 1962 bis 1965 an der University of Pennsylvania oder in verschiedenen Wohnungen mitgeschnitten und vom Institut Of Jazz Studies, einem Spezialarchiv der Bibliotheken der Rutgers University am Newark Campus, für eine Veröffentlichung zur Verfügung gestellt wurden.

    Es gibt bei dieser Ausgrabung 14 Fremd- und 7 eigene Kreationen zu hören. Bei den Fremdkompositionen bediente sich Hasaan ausgiebig beim "Great American Songbook". So hat er unter anderem "Falling In Love With Love" und "Lover" von Richard Rodgers & Lorenz Hart, einem Broadway-Songwriter-Team aus den 1920er und 1930er Jahren ausgewählt. "Falling In Love With Love" findet sich unter anderem auch im Rat-Pack-Repertoire wieder. Mal schwungvoll (Sammy Davis jr, 1963) und mal verliebt schmachtend (Frank Sinatra, 1946) dargeboten.

    Ibn Ali nähert sich zunächst der ruhigeren Variante an, lässt die Melodie erkennbar, aber eigenwillig anklingen, um dann über harte und schnelle Tastenschläge eine leicht exzentrische Demontage zu erreichen. Diese eingängigen und provokanten Passagen wechseln sich über die 7 Minuten Laufzeit hinweg ab. "Lover" wurde unter anderem von Peggy Lee Anfang der 1950er Jahre als eine rhythmisch aktive Ballade interpretiert. Hasaan lebt sich in seiner 15minütigen Fassung umfangreich aus. Das Prinzip von Zuckerbrot (= melodische Tupfer) und Peitsche (= rasende Attacken) wird wirkungsvoll stimulierend angewendet, wobei die Töne mächtig aufgebauscht voran preschen. Der Cecil Taylor-artige Geschwindigkeitsrausch überwiegt allerdings gegenüber der Harmonie.

    Außerdem gibt es noch zwei Vertonungen von Irving Berlin-Songs. Berlin ist der Verfasser von solchen Gassenhauern wie "Cheek To Cheek" oder "Puttin` On The Ritz". Hier gibt es jedoch "They Say It’s Wonderful" aus dem Musical "Annie Got Your Gun" zu hören. Diese rührselige Ballade wurde unter anderem auch von Frank Sinatra (1946), Doris Day (1960) und Johnny Hartman mit John Coltrane (1963) vertont. Die Ibn Ali-Variante stammt aus 1962 und greift die Romantik der Vorlage immer wieder auf, lässt sich aber nicht auf Gefühlsduselei ein, sondern sucht einen Ausweg daraus durch Dynamiksprünge. Das zweite Berlin-Lied heißt "How Deep Is The Ocean" und wurde zum Beispiel 1946 von Billie Holiday als swingender Blues und 1961 vom Bill Evans Trio als verspielter Bar-Jazz umgesetzt. Hasaan respektiert den Ursprung der Komposition, durchzieht sie indessen mit dramatischen Ausbrüchen und flinken Akkorden, so dass sie ein unruhig-aufgeregtes Antlitz erhält.

    "Yesterdays" ist eine Schöpfung von Jerome Kern (Musik) und Otto Harbach (Text) aus 1933. Hasaan spürt der Nostalgie nach, die tief im Original steckt, findet aber immer wieder Wege hinaus aus der Melancholie. Die Ballade "It Could Happen To You" von Jimmy Van Heusen (Musik) und Johnny Burke (Text) aus 1944 geriet zur Steilvorlage für etliche Künstler, die ihr Repertoire um eine ruhige, cool swingende Nummer erweitern wollten. Dazu zählen Miles Davis und Chet Baker genauso wie Chic Corea und Keith Jarrett oder Frank Sinatra und Robert Palmer. In über 13 Minuten zelebriert Hasaan eine Sichtweise, die weit über süßliche Vergangenheitsverherrlichung hinaus geht. Und das, obwohl seine Töne sehr wohl vergangene Zeiten aufleben lassen, weil sie von Klängen gespeist werden, die an frühe Jazz-Aufnahmen erinnern. Dennoch entledigt er sich immer wieder dem Verdacht, musikalisch rückwärts orientiert zu sein, weil seine Interpretation einfach zu widerspenstig ist.

    Zu den weiteren Cover-Versionen gehört der aufsässige Big-Band-Track "Off Minor" (1957) von Thelonious Monk, mit dem Hasaan Ibn Ali oft verglichen wird. Diese Version ist gegenüber dem Original kaum wiederzuerkennen, weil sie stürmischer und vertrackter ausfällt. "Cherokee" von Ray Noble and his Orchestra aus Großbritannien ist ein Swing-Tanz-Titel aus 1938. Hasaan nimmt dem Track seine harmonische Beschaulichkeit und überführt ihn in eine nervös-aufgeladene, störrische Welt, die so gar nicht zum Tanzen einlädt. Auch "Body And Soul" von Johnny Green aus dem Jahr 1930 ist eine Jazz-Standard-Ballade, die zuerst von Louis Armstrong aufgegriffen wurde. Das Lied wird bis heute häufig interpretiert, wie von Billie Holiday (1940), John Coltrane (1960) und Tony Bennett & Amy Winehouse (2011). Die hier aufgeführte Fassung hört sich wie die lebendige Untermalung zu einem Stummfilm an, bei dem sich die Ereignisse überschlagen.

    "On Green Dolphin Street" von Bronislaw Kaper (Musik) und Ned Washington (Text) wurde 1947 für das verfilmte Historien-Drama "Green Dolphin Street", das auf einer Novelle von Elizabeth Gouge beruht, entwickelt. Die berühmteste Interpretation des Stückes dürfte die Version von Miles Davis auf der Bonus-Disc von "Kind Of Blue" aus 2008 sein, welche 1959 entstand. Hasaans Fassung stammt aus 1964 und ist aufschäumend und über 10 Minuten lang. Der harte Anschlag erinnert an McCoy Tyner und die lyrische Gelassenheit der Miles Davis-Nummer fehlt hier vollständig.

    "Bésame Mucho" (= Küss mich oft) ist ein 1941 von der mexikanischen Komponistin Consuelo Valesquez geschriebener und gesungener sentimentaler Bolero, der sich zum Evergreen gemausert hat. Erwartungsgemäß hat Ibn Ali nicht so eine romantisch-harmonische Sicht auf den Song, er spielt ihn dramatisch, was an den russischen Komponisten Rachmaninow erinnert. Aber auch ein gewisser sprudelnder Improvisationsspaß kommt dabei nicht zu kurz. Der Foxtrot "Sweet And Lovely" von Gus Arnheim, Charles Daniels und Harry Tobias aus dem Jahr 1931 hat damals die Menschen in Scharen auf die Tanzböden gelockt. Das vermag Hasaan Ibn Ali nicht. Zu extravagant und fernab des Foxtrots agiert der Pianist, so dass aus der stimmungsvollen Nummer nun ein wunderliches, der Avantgarde nahestehendes Stück geworden ist.

    Schon aus 1929 stammt das bluesige Jazz-Stück "Mean To Me" von Fred Ahlert (Musik) und Roy Turk (Text), das nicht nur in kleiner Besetzung, sondern auch mit großen Orchestern vertont wurde, wie zum Beispiel von Judy Garland (1957) oder von Ella Fitzgerald & Nelson Riddle (1961). Bleibt anfangs die Melodie erkennbar, wird es bei Hasaan bald darauf ruppiger und es wird auch noch aufs Tempo gedrückt.

    Zeitlich noch weiter zurück geht es mit dem gefühlvoll-süßlichen "After You’ve Gone" von Turner Layton (Musik) und Henry Creamer (Text), denn das Lied stammt aus dem Jahr 1918 und wurde im selben Jahr von Marion Harris, der ersten weißen Frau, die Jazz und Blues sang, aufgenommen. Es ist klar, dass das Lied bei Hasaan Ibn Ali ganz anders klingt, obwohl auch eine gewisse kitschige Versponnenheit mitschwingt. Es fehlen aber auch hier nicht die eiligen Tonfolgen, die Brüche und die Dynamik- und Tempowechsel, so dass das Original im Laufe der siebeneinhalb Minuten immer weniger wiederzuerkennen ist.

    Von seinen eigenen Stücken (wobei "Arabic Song" ein kurzer, wortloser Singsang und "Extemporaneous Prose-Poem" die Rezitation eines Gedichtes ist) fällt das zweiteilige "True Train" als besonders vielfältig hinsichtlich der abgebildeten Stimmungen auf. Von besinnlich bis wild ist alles dabei. "Atlantic Ones" setzt ganz auf Geschwindigkeit und erhöhte Thriller-Spannung. "True Train" und "Atlantic Ones" sind jeweils in zwei unterschiedlichen Takes auch auf "Metaphysics: The Lost Atlantic Album" in energiegeladenen, kreativ umtriebig agierenden Quartett-Besetzungs-Variationen zu finden. Beim moderat lyrischen "Off My Back Jack" wird Hasaan von Alan Sukoenig, dem Kurator dieser Wiederentdeckung, erst wieder daran erinnert, wie der Titel eigentlich abläuft und "Untitled Ballad" wird seinem Namen beinahe gerecht. Hier singt der Pianist sogar ein paar Worte zu der spritzig-emotionalen Komposition.

    1972 brach in Hasaans Elternhaus ein Feuer aus, bei dem seine Mutter verbrannte und sein Vater aufgrund der Brandfolgen nicht wieder das Bewusstsein erlangte. Hasaan verkraftete den Verlust nicht, deshalb verbrachte er seine letzten Jahre in einer Nervenheilanstalt, wo er 1980 starb. Zum Glück sind trotz aller Widrigkeiten in Hasaans Leben wenigstens ein paar Aufzeichnungen seiner variationsreichen Musik erhalten geblieben. Freunde und Musiker-Kollegen sprachen davon, dass es noch viel mehr Aufnahmen gab, die aber durch das Feuer im Elternhaus oder durch Diebstahl verloren gingen. Sie hätten wahrscheinlich noch weitere Facetten des visionären Ausdrucks von Hasaan Ibn Ali offenlegen können.

    Die Doppel-CD "Retrospect In Retirement of Delay: The Solo Recordings" wurde aufwändig aufbereitet. In einem Papp-Schuber, der mit Detail-Infos zu den Einspielungen versehen ist, stecken die beiden CDs. Dazu gibt es ein 40-Seiten starkes Booklet mit Kommentaren, Entstehungs- und Lebensgeschichten, sowie seltenem Foto-Material und handschriftlichen Briefen. Die Tonqualität ist hinsichtlich des Umstands, dass sie von privaten Magnetband-Aufnahmen stammen, sehr gut. Es gibt nur wenige Aussetzer und kaum Verzerrungen. Ansonsten haben sie mehr Dynamik, als man eigentlich von solchen Amateur-Mitschnitten aus den 1960er Jahren erwarten darf. Die Toningenieure haben also ganze Arbeit geleistet.

    Die Stücke der Doppel-CD in einem Rutsch durchzuhören, fordert Durchhaltevermögen und Konzentration, denn sie sind intensiv, teilweise schwierig zu verdauen und erfordern den Mut, sich auf einen Künstler einzulassen, der seinen eigenen Kopf ohne Rücksicht auf Kompromisse durchsetzt. Das ist spannend, manchmal dissonant, aber immer geistreich unterhaltend, denn hier wird ein außergewöhnlich engagierter, virtuoser, visionärer Jazz-Musiker präsentiert.
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    First Noel First Noel (CD)
    14.11.2021
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    3 von 5

    Alle Jahre wieder! Wie untermalt man kultiviert und sinnvoll die besinnliche Weihnachts-Zeit?

    Jetzt ist sie wieder ganz nah, die mit den meisten Emotionen beladene oder sogar überladene Zeit des Jahres. Für manche befriedigt sie eine Sehnsucht, manche denken nur mit Grausen an sie. Genauso verhält es sich mit der Musik zum Fest der Feste: Manchen kann es gar nicht kitschig-gefühlsduselig genug sein, andere wenden sich mit Magenschmerzen ab, wenn sie an die nächste Christmas-Songs-Offensive denken.

    Es gibt tatsächlich nur wenige Festtags-Aufnahmen, die einen guten Ruf bei anspruchsvollen Musikliebhabern haben, wie "One More Drifter In The Snow" von Aimee Mann aus 2006 oder die "Christmas EP" von Low aus 1999. Die meisten Veröffentlichungen mit Weihnachtsmusik sollen offensichtlich nur das jährliche Versprechen nach Behaglichkeit und Gemütlichkeit bedienen, sind aber so oberflächlich, belanglos und aufgebraucht, dass sie ihr Pulver schnell verschossen haben oder sich sowieso nur als sinnentleerte Rohrkrepierer erweisen.

    Mit "First Noel" befindet sich der Trompeter Ibrahim Maalouf in guter Gesellschaft zu seinem Kollegen Till Brönner, der auch aus gutem Grund am 16. November 2021 sein "The Christmas Album" veröffentlichen wird, um den Markt der Sentimentalitäten zu erweitern und zu befriedigen. Bei diesen Gedanken setzt auch Ibrahim Maalouf an, dessen X-Mas-Werk am 5. November 2021 der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Genau rechtzeitig also, um noch auf den Auslagen der Plattenläden vor dem Weihnachtsgeschäft präsent zu sein. Maalouf hat eine Auswahl von Evergreens, durchzogen von in unseren Breiten weniger bekannten Stücken sowie drei neue, exklusive Kompositionen ausgewählt. Die Einspielungen wurden zusammen mit François Delporte (Gitarre), Frank Woeste (Klavier) und Sofi Jeannin (Chorleiterin) sowie 8 Sängerinnen und Sängern umgesetzt.

    Ibrahim Maalouf wurde 1980 in Beirut (Libanon) als Sohn einer Pianistin und eines Trompeters geboren. Beide Instrumente gehören auch zum Repertoire des Künstlers, der mit seinen Eltern als Kind vor dem Bürgerkrieg in einen Vorort von Paris floh. Talent und Ehrgeiz ließen ihn schon als Teenager zu einem renommierten Musiker heranwachsen, der nicht nur klassische Werke aufführte, sondern sich auch für arabische Folklore, Soundtracks, (Elektro)-Pop, französische Chansons, Soul und HipHop interessierte. Heute hat er schon eine glänzende Karriere hinter sich, mit Gastauftritten für z.B. Sting, Melody Gardot, Amadou & Mariam oder Juliette Gréco. Ganz zu schweigen von seinen eigenen Tonträgern, die ihn als Kenner von atmosphärisch dichten Sounds ausweisen, die sich nicht nur bei den erfolgreichen Filmmusik-Projekten für z.B. "Red Rose" (2014), "Yves Saint Laurent" (2014) und "Radiance" (2017) bewährt haben. Darüber hinaus betätigte sich der vielbeschäftigte Künstler auch noch als Trompetenlehrer.

    Ibrahim Maalouf ist ein Trompeter, der sich für "First Noel" ausschließlich im tonalen Bereich bewegt, also eher mit dem melodischen Chet Baker als mit dem frei aufspielenden Miles Davis zu vergleichen ist. Experimente sind hier jedenfalls nicht zu erwarten. Maalouf spielt sauber, fließend, trotzdem mit Abstufungen im Klangbild und mit viel Gefühl. Immer wieder erstaunlich, was aus diesem im Grunde genommen "starren" Instrument rauszuholen ist. Wenn Ibrahim seine melodisch fließenden Trompetenklänge verbreitet, dann legt sich Ruhe und Behaglichkeit über den Raum, ein Zustand, der gerne für die Feiertage angestrebt wird. Von daher wird das grundsätzliche Ziel einer Weihnachtsplatte erfüllt, denn wir haben es traditionell mit einer relativ festgelegten Erwartungshaltung zu tun, wenn es um die Beschallung der Weihnachtszeit geht.

    Zu den ausgewählten, allgemein bekannten Weihnachts-Liedern gehören "Have Yourself A Merry Little Christmas" und "Mon beau sapin" (= "O Tannenbaum"), die in getragenem Tempo dargeboten und mit Glöckchen, gedämpfter Piano-Begleitung, sphärischen Chor-Gesängen oder glasklaren, tropfenden E-Gitarren-Tönen ausgestattet werden, um für eine heimelige Stimmung zu sorgen. Das swingende "Let It Snow! Let It Snow! Let It Snow!" lässt die Schneeflocken in Gedanken munter durcheinander tanzen und "The First Noel" wurde als hymnische Ballade angelegt. Dann gibt es noch "Silent Night", wo engelsgleiche Sängerinnen durch ihre Stimmen einen Kokon von immateriell erscheinenden Schwingungen erzeugen und "Jingle Bells", das in seinen zwei Minuten von einem leichten, unkomplizierten Swing begleitet wird. "White Christmas" gehört eigentlich in das Great American Songbook, zumindest wurde das Lied von Irving Berlin geschrieben, bekam einen Oscar und führte in der Version von Bing Crosby zur weltweit meistverkauften Single. Ibrahim Maalouf verwaltet dieses Erbe und spielte eine respektvolle Variante ein.

    Zu den weniger gebräuchlichen Melodien gehören "Il est ne le divin enfant", bei dem ein inniges, romantisches Zwiegespräch zwischen Piano und Trompete mit "Engels-Chor"-Begleitung stattfindet. Beim sanftmütigen "O Holy Night" werden Gitarre, Piano und Trompete durch den Chor in himmlische Gefilde geführt und sind dabei nahezu gleichberechtigt unterwegs. Für "Petit papa noel" sondert die Trompete traurige, graue Töne ab und das Piano bestärkt diese Sentimentalität, so dass der Track eine gedrückte Stimmung hinterlässt.

    Ibrahim Malouf baut auch klassische, christlich geprägte Kirchenlieder in seinen Reigen ein: "Ave Maria" wurde 1852 von Charles Gounod auf Basis des Präludium Nr. 1 in C-Dur aus Johann Sebastian Bachs "Wohltemperiertem Klavier" komponiert und erhielt 1859 den Text des lateinischen Gebets "Ave Maria" zugewiesen. Das Lied wird seitdem traditionell bei Beerdigungen und Hochzeitsmessen verwendet, hat sich aber auch mehr und mehr für die Vertonung von christlichen Advents-Gottesdiensten durchgesetzt. Auch Ibrahim gestaltet diese Komposition feierlich und würdevoll. Das "Ave Maria" von Franz Schubert hat eine andere Melodie als die Gounod/Bach-Komposition, die aber eine ähnlich andächtig-demütige Kraft versprüht, was auch in der neuen Fassung zum Tragen kommt. Man spürt, dass es für den Trompeter eine besondere Herausforderung und ein Reiz ist, diesen klassischen Vorlagen gerecht zu werden. "Adeste fideles" wird häufig in der englischen Variante unter dem Namen "O Come All Ye Faithful" vertont. Der Ursprung des Songs stammt schon aus dem 18. Jahrhundert. Auch "First Noel" präsentiert sich als sakral-geistliches Kirchenlied. "Hark! The Herald Angels Sing" ist auch ein englisches Weihnachtslied, das sich allerdings bis zum Jahr 1739 zurückverfolgen lässt. Es bezieht sich auf die Ankündigung der Geburt von Jesus. Der libanesisch-französische Trompeter hat der Komposition seine ehrfürchtige Stimmung gelassen und die Laufzeit auf etwas über eine Minute beschränkt. "God Rest Ye Merry, Gentlemen" ist sogar noch älter und geht mindestens auf das 16. Jahrhundert zurück. Entsprechend atmet das Stück den Geist des Zeitalters der Renaissance, wobei es hier überwiegend im modernen Schliff und luftig erklingt.

    Es sind diese etwas abseitigen Kompositionen, die sich hervortun und für eine relativ abwechslungsreiche Auswahl sorgen. So wie das libanesische "Shubho lhaw qolo", das sich wie ein Sergio-Leone-Western-Soundtrack anhört, bei dem leichte arabische Elemente eingeflossen sind. Oder "Holly Jolly Christmas", ein flotter Jazz-Swing mit rhythmischer E-Gitarre und füllendem Piano. Auch "Santa Claus Is Coming To Town" bekommt ein Old-Time-Jazz-Klima verordnet. "We Wish You A Merry Christmas" ist in England so populär, dass es dort eigentlich als Folk-Song gilt. Dem wird durch ein Arrangement unter Einbeziehung einer akustischen Gitarre im Ansatz Rechnung getragen.

    Aber es gibt auch nicht ganz so alte Vorlagen: "Winter Wonderland" wurde vom US-amerikanischen Dirigenten, Pianisten und Komponisten Felix Bernard komponiert und vom US-amerikanischen Komponisten Richard B. Smith getextet. Die erste Aufnahme ist von Richard Himber and His Ritz-Carlton Orchestra und stammt aus dem Jahr 1934. Das Lied erfreut sich bis heute einer großen Beliebtheit und wurde von über 200 verschiedenen Musikern aufgenommen, unter anderem 1960 von Ella Fitzgerald, 1964 von Doris Day und 1987 von den Eurythmics. Ibrahim Maalouf macht daraus ein Stück, das von sakralen Tönen eingeleitet und dann von jazzig-brasilianischen Klängen aufgefangen wird. "Light A Candle In The Chapel" zelebriert ergreifend und bedächtig unter Verwendung eines esoterischen Überbaus eine Stimmung, bei der jegliche Anspannung abfällt. Im Original ist dies ein Song von Frank Sinatra, den er 1942 mit der Tommy Dorsey Band in New York als Big-Band-Schnulze im Stil von Glen Miller interpretierte.

    "I'll Be Home For Christmas" war 1943 ein Top-Ten-Hit für Bing Crosby und Elvis nahm den Track 1957 auf. Maalouf erlaubt sich eine dynamische, nach hinten raus relativ ausgelassene Jazz-Version. "It's Beginning To Look A Lot Like Christmas" kommt aus dem Jahr 1951 und erhielt damals durch Perry Como und Bing Crosby einen hohen Bekanntheitsgrad. Eine weitere populäre Version ist von Michael Bublé aus dem Jahr 2011. Die aktuelle Variante klingt wie ein Pop-Song, dem der Gesang fehlt. "What A Wonderful World", das 1967 von Louis Armstrong zelebriert wurde, ist kein klassisches Weihnachtslied, aber eine Generationen und Kulturen verbindende Hymne eines großen Entertainers und Trompeters. Ganz vorsichtig und bedächtig tritt Ibrahim mit Demut in diese großen Fußstapfen. Die jüngste Adaption auf "First Noel" dürfte "All I Want For Christmas Is You" von Mariah Carey sein, das 1994 ursprünglich als pompös aufgeblasener, schwungvoller Pop-Song dargeboten wurde. Ibrahim Maalouf nimmt das Tempo raus und macht daraus einen Late-Night-Jazz mit Weihnachts-Verzierung.

    Die drei neuen Kompositionen stammen aus der Feder von Ibrahim Maalouf und runden das festlich geschmückte Bild ab: "Noel For Nael" hat er für seinen in 2021 geborenen Sohn geschrieben. Der Track vermittelt die Ruhe und Behaglichkeit eines Schlafliedes. Die gleiche Stimmung verbreitet auch "Christmas 2009", während "The Last Christmas Eve" jede Menge Ergriffenheit transportiert, so dass anzunehmen ist, dass Ibrahim den Track zum Gedenken an seine verstorbene Großmutter geschrieben hat.

    "First Noel" ist dem Easy Listening-Jazz zuzurechnen, steht also für gepflegte Unterhaltung. Das Werk nervt nicht - wie viele andere X-Mas- Veröffentlichungen - mit penetrant aufgesetzter Fröhlichkeit oder schmalztriefender Gefühlsduselei, es traut sich aber auch nicht, aus der grundsätzlich besinnlich besetzten Stimmung auszuscheren, die am Weihnachtsfest traditionell so viele Räume füllt. Deshalb kann man das Album zwar gut im Hintergrund als Berieselung laufen lassen, wenn aber Weihnachts-Musik gesucht wird, die die Sinne nachhaltig anregt oder die auch außerhalb der Weihnachtszeit nicht unpassend wirkt, dann sollte vielleicht doch eher zu Aimee Mann oder Low gegriffen werden.

    Die aufgebaute Gefühlswelt von "First Noel" ist zweckgebunden auf das Weihnachtsfest zugeschnitten, was die Möglichkeiten von Ibrahim Maalouf einengt, er kann deshalb gar nicht richtig zeigen, was in ihm steckt. Dies wird unter anderem ganz prächtig auf dem Vorgänger "40 Melodies" demonstriert, bei dem sich Maalouf als fantasievoller, virtuos aufspielender, Genre sprengender Duett-Partner zeigt, der jeder Komposition ein individuelles Muster mitgibt.

    Ein Vergleich zwischen "40 Melodies" und "First Noel" macht deshalb Sinn, weil es die unterschiedliche Herangehensweise des Künstlers verdeutlicht. Der brillante Musiker dient auf “First Noel” der Vorgabe, eine festliche Atmosphäre zu erschaffen, auf die er sich fokussiert. Auf “40 Melodies” kann er seine Kreativität voll entfalten, weil keine "Erwartung" vorgegeben ist. Das führt zu einer hohen Flexibilität, für "First Noel" erschafft er hingegen Homogenität. Maalouf hält hier inne, konzentriert den Klang auf einen feierlichen, friedlichen Wohlfühlaspekt. Der Sound scheint stellenweise von jeglichem körperlichen Ballast befreit zu sein und erhält dadurch eine weich gezeichnete Unschuld. Das ist eine angemessene Form, Weihnachtslieder zu interpretieren und deshalb kann "First Noel" ein sinnvoller Begleiter für die Festtage sein, weil die Töne nicht übertrieben schmalzig und gradlinig präsentiert werden. Das Album war für Ibrahim Maalouf eine Herzensangelegenheit, denn 2021 wird das erste Weihnachten ohne seine geliebte Großmutter Odette sein.

    Fazit: Künstlerisch verkauft sich Maalouf unter Wert, weil ihn die Erwartungshaltung für ein extra für die Festtage zugeschnittenes Werk in seinen Möglichkeiten zu sehr einschränkt und das Ergebnis relativ berechenbar ist, so dass die Töne auch als Gebrauchsmusik Anwendung finden könnte. Das wäre wohl nicht unbedingt im Sinne des Künstlers und würde ihm auch nicht gerecht werden. Wenn man ihn jedoch mit anregend-spannender Unterhaltung erleben möchte, dann sollte ohne Bedenken zu z.B. "40 Melodies" gegriffen werden. Da stellt Ibrahim Maalouf noch eindrucksvoller unter Beweis, was für ein vielseitiger, ausdrucksstarker Musiker er ist.
    Meine Produktempfehlungen
    • 40 Melodies 40 Melodies (CD)
    Julius Meskerem Mees
    Julius (CD)
    13.11.2021
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Meeskerem Mees profitiert von der Macht ihrer Stimme und dem Zauber ihrer Persönlichkeit.

    Die Begriffe sensibel oder einfühlsam werden bei eher akustisch ausgerichteten Musikern und Musikerinnen inflationär benutzt, um eine eventuell vorliegende intensive Wirkung zu beschreiben. Ob ein Künstler wirklich in der Lage ist, die Barriere zwischen Ohr und Gefühlszentrum zu durchbrechen und somit einen Schwall an Gefühlsregungen auslösen kann, zeigt sich häufig dann, wenn er sparsam, fragil und auf sich selbst gestellt agiert und dennoch auf ganzer Linie überzeugt, ohne zu langweilen. Nick Drake konnte das, John Cale, Nick Cave und Neil Young haben eindrucksvoll bewiesen, dass sie über diese Gabe verfügen und nun schickt sich auch Meskerem Mees an, ganz heimlich still und leise das Herz von Menschen zu betören, die sich an luftig-leichten, intimen Songs erfreuen können.

    Die in Gent (Belgien) lebende 22jährige Frau vermag alleine aufgrund ihrer charmant-sympathischen Persönlichkeit, ihrer ehrlichen, sauberen Stimme und dem bestimmenden Klang ihrer gezupften akustischen Gitarre zu bewegen. Dann kommen noch die ausgezeichneten selbst komponierten Lieder mit sprachgewandter Lyrik dazu und zu guter Letzt fügt Febe Lazou noch vielsagende Cello-Töne ein, die den Songs genau die richtige Wendung, Erhöhung oder Betonung verpassen, um sie aufrecht und schillernd aussehen zu lassen. Das Erstlingswerk "Julius" klingt deshalb nicht nach einer suchenden Musikerin, sondern nach einer gestandenen Künstlerin klingt, die genau weiß, was sie will.

    Los geht es mit "Seasons Shift", das neben "Joe", "Astronaut" und "The Writer" schon vorab als Single veröffentlicht wurde. "Seasons Shift" erzählt die Geschichte einer Liebe, die sich allmählich zersetzt, weil der Partner unter ständigen Gefühlsschwankungen leidet. Meskerem schlüpft dabei in die gefestigte Rolle, weil sie schon über die gröbsten Verletzungen hinweg ist, aber trotzdem weint das Cello von Febe Lazou dicke Tränen, die zeigen, dass der Schmerz groß gewesen sein muss. Auch "Parking Lot" beschreibt eine festgefahrene, im wahrsten Sinne des Wortes toxische Beziehung ("Wir nehmen am Wochenende Drogen, weil das alles ist, was wir je gekannt haben"), die durch ein sensibles Gothik-Folk-Arrangement wirkungsvoll und transparent in Szene gesetzt wird.

    Bei "The Writer" geht es um einen Schriftsteller, der "über Einsamkeit und Ängste und andere Arten von Elend" schreiben kann, aber nicht über die Liebe, weil er sie für "ein grausames und bösartiges Spiel" hält. Es zeigt sich aber, dass er in Wirklichkeit arrogant und selbstverliebt ist, weshalb er nicht zu einer freundschaftlichen Beziehung fähig ist. Die Begleitung dazu klingt beinahe naiv und einfach wie bei einem Kinder- oder Volks-Lied, gleitet aber durch Meskerems gesangliches Gespür für wichtige, veredelnde Nuancen nie ins Banale ab. Das verwehte Cello am Ende des Stücks beseitigt letztlich alle Bedenken: Hier hat man es doch mit einem gelungenen, in sich stimmigen Lied zu tun.

    Meeresrauschen und Möwengeschrei leiten zusammen mit traurigem Cello-Gestreiche den Song "Blue And White" ein. Meskerem löst die sich aufbauende trübe Stimmung schlagartig durch positiv gestimmten, teils mehrstimmigen Gesang, sprudelndem Picking und einer lebhaften Melodie auf. Auch wenn Febe Lazoon dann nochmal graue Wolken produziert und ein Piano für Nachdenklichkeit sorgt, überwiegt schließlich der Optimismus. Der Text vermittelt, dass es manchmal ganz einfach sein kann, sich von trüben Gedanken abzulenken ("Spring auf einem Bein und jetzt spring auf beiden Beinen. Und sag mir, wie lustig, wie lustig du dich tief drinnen fühlst").

    Im Blues findet man häufig verschleierte sexuelle Anspielungen. So auch bei "I`m A King Bee", das Slim Harpo 1957 erstmals aufnahm ("Ja, ich kann Honig machen, Baby. Lass mich reinkommen"). Das Lied wurde dann später noch von den Rolling Stones (1964) und sogar von Pink Floyd (1965) aufgenommen. Auch im Live-Repertoire der Doors kann die Komposition gefunden werden.

    "Queen Bee" von Meskerem Mees ist da weniger anzüglich, spielt aber stattdessen mit der Assoziation einer Familiengründung. Auch der Rock & Roll bekommt bei dieser Folk-Nummer einen Verweis ab, deshalb kann das ganze Konstrukt durchaus als Referenz oder eventuell auch als Persiflage verstanden werden. "My Baby" ist ein Requiem für einen toten Menschen. Ist es wirklich ein Baby oder ein Freund, dem hier gehuldigt wird? Dem Thema angemessen läuft das Stück getragen, in sich versunken ab, wobei Meskerem Haltung bewahrt und gefasst durch die Geschichte führt.

    Bei "Man Of Manners" wird es sozialkritisch. Was macht es mit einem jungen Mann, wenn er beim Militär gedrillt wird? Man sagt ihm, er wird "ein Mann mit Manieren" werden. In Wirklichkeit verliert er seine Individualität und "verkauft seinen Willen". Wenn es das nur wäre, er gefährdet auch seine Gesundheit und sein Leben, wenn es schlecht läuft. Meskerem widmet sich dem Thema Krieg nicht so krass, wütend und anklagend wie Bob Dylan in "Masters Of War". Sie klingt im Gegensatz zu ihm eher versöhnlich, spricht aber trotzdem die Perversität der menschenverachtenden Manipulation und Verführung deutlich an.

    "Joe" beschreibt eine Alltagssituation: Boy meets Girl, dann die Phase der intensiven Verliebtheit, später sucht der Junge die Freiheit und das Mädchen bleibt enttäuscht, aber immer noch verliebt zurück. Traurig, aber nicht hoffnungslos berichtet die Protagonistin davon und lässt ihrer Gitarre den Raum, den sie braucht, um dabei die Geschichte gefühl- und verständnisvoll zu umgarnen.

    Was denkt ein Astronaut, wenn er ohne Halt durch den Weltraum schwebt? Bei "Astronaut" hat der Raumfahrer ein Foto dabei, das unterschiedliche Vertreter der Menschheit zeigt. Er nimmt war, dass er als "Weltraumsegler" geboren wurde und ihn trägt die tiefe Überzeugung, dass ihn der (Sonnen)-Wind nach Hause bringen wird. Das ist ein schönes Bild, welches unseren privilegierten, aber auch fragilen Zustand im Universum verdeutlicht. Darüber hinaus wird klar, was uns als Menschen besonders auszeichnet, nämlich unser Durchhaltewillen, wenn es mal nicht so läuft, wie es sollte. Der untermalende Barock-Pop ist weder überschäumend optimistisch, noch bedrückend-pessimistisch. Er lässt zunächst eine emotionale Einordnung offen. Aber nach 2 Minuten erfolgt der Wechsel hin zu kämpferischeren Tönen. Ein aus Multi-Track-Stimmen von Meskerem bestehender Chor bestätigt nochmal die "Weltraum-Geburt" und bestätigt die Abhängigkeit der Individuen von kosmischen Abläufen.

    In "A Little More About Me" geht es weniger um die Offenbarung von persönlichen Eigenarten als um Kommunikation. "Es gibt eine Vielzahl von Dingen, die ich dem Mann meiner Träume gerne sagen würde. Es gibt eine Vielzahl von Dingen, die ich dem Mädchen seiner Träume gerne sagen würde" und "Es gibt eine Vielzahl von Dingen, die ich dem Mann von nebenan gerne sagen würde", heißt es da nämlich. Es dreht sich also um das gegenseitige Verstehen und Kennenlernen, was Vorurteile abbauen und damit für mehr Toleranz sorgen kann. Im schunkelnden Walzer-ähnlichen Takt erzählt Meskerem ihre Moritat und begleitet sich selbst an einer akustischen Lagerfeuer-Gitarre. Cello und Klavier stimmen noch ein, schunkeln und schwelgen dann mit.

    Was bedeutet es, wenn man meint, einen Menschen "zu kennen"? Ist er dann ein bekanntes Gesicht, hat man viel mit ihm zu tun oder weiß man tatsächlich, was in ihm vorgeht? Auch Meskerem Mees stellt sich diese Frage in "Song For Lewis" und kommt unter anderem zu dem Schluss: "Alle meine Freunde denken, ich sei unvernünftig. Ich liebe sie, obwohl sie nicht wissen, was ich fühle". Das heißt, man gibt nie alles preis, was einen bewegt. Mit seinen Dämonen muss man oft alleine fertig werden. Meskerem und Febe Lazou bilden hier eine Einheit, wenn es darum geht, ein Gefühl des mit sich im reinen zu sein hervorzurufen.

    Wird in "Where I'm From" ein alternatives Paradies beschrieben? Zumindest taucht eine Umwelt auf, die frei von Vorurteilen und Not ist. Wünschen wir uns nicht alle solch einen Zustand ? Warum bemühen wir uns dann nicht, in diese Richtung zu denken und zu handeln? Es liegt an uns, an jedem Einzelnen, ob diese Vision Fiktion bleibt oder Wirklichkeit werden kann. Durch schrammelnde Akkorde schafft Meskerem eine gewisse Dringlichkeit für ihre Aussagen, bevor beklemmende Cello- und Querföten-Töne die Stimmung in Richtung Moll drücken. Nach einem gewollten Bruch werden alle Instrumente umgestimmt und lassen eine zuversichtliche Atmosphäre anklingen.

    Es ist eine essentielle Aussage über das Leben: Wir werden alleine geboren und sind auch auf unserem Weg in den Tod allein. "How To Be Alone" beschäftigt sich damit, was beim Sterben tröstend ist, kann das Unvermeidliche aber auch nicht schön reden. Spielende, ausgelassen fröhliche Kinder im Hintergrund des Liedes stehen für das, was schützenswert und immens wichtig für eine gesunde, blühende Gesellschaft ist. Meskerem Mees singt mit lieblich-betörender Stimme und gibt dem Track mit abgestufter Dynamik zum Abschluss des Albums noch einen Moment des Innehaltens mit.

    Einen Teil der Magie zwischen Hörer(-innen) und Musiker(-innen) macht es aus, wenn die dargebotene Kunst nicht in Frage gestellt und sie als wahrhaftig und nachvollziehbar oder erhellend wahrgenommen wird. Die Musik von Meskerem Mees ist einfühlsam, lyrisch, klar strukturiert und wesentlich reifer, als es ihr Alter vermuten lässt. Ihre Texte gehen dabei weit über die übliche Kalenderblatt-Psychologie hinaus. Sie behandeln persönliches genauso wie sozialkritisches, bleiben dabei aber nachvollziehbar und bedienen auch poetische Erwartungen. Die Künstlerin reiht sich scheinbar mühelos in die Garde der aktuellen Qualitäts-Folk-Künstlerinnen ein, die unter anderem von Laura Marling, Bedouine, Charlene Soraia, Sophie Zelmani, Ane Brun oder Joan Shelley besetzt wird.

    Aber es bleibt noch eine Frage unbeantwortet: Wer ist Julius? Ist das tatsächlich der Esel, der auf dem Cover-Foto abgebildet ist oder vielleicht doch ein Sinnbild für einen Ex-Freund? Wer es auch immer sei, er kann sich glücklich und geehrt schätzen, dass ihm dieses sehr gelungene Debut-Album gewidmet worden ist.
    Meine Produktempfehlungen
    • Song For Our Daughter Laura Marling
      Song For Our Daughter (CD)
    • Waysides Bedouine
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    • Where's My Tribe (Limited-Edition) Charlene Soraia
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    Illusions & Realities Illusions & Realities (CD)
    13.11.2021
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Das Levitation Orchestra verbindet spirituellen Jazz mit Soul-Gespür und Kunstverstand.

    In den 1970er Jahren gab es eine Fülle von unterschiedlichsten Jazz-Fusionen: Herbie Hancock, Chick Corea, Miles Davis, John McLaughlin, Oregon oder Weather Report waren einige der prominenten Vertreter, die dem Jazz ein neues Gesicht gaben und ihm durch Klassik-, Weltmusik-, Funk-, Rock-, Soul-Beigaben sowie frei improvisierten Passagen in der Tradition von Ornette Coleman, Charles Mingus oder Sun Ra einen offenen Charakter verschafften. In diesem Fahrwasser bewegt sich auch das Levitation Orchestra, das einen sehr weit gefassten Begriff der Stil-Mixe auslebt, wobei auch eine starke spirituelle Ausprägung zum Tragen kommt, wie sie beispielsweise Alice Coltrane (die Witwe von John Coltrane) in ihren Werken auslebte.

    Mit aktuell 14 Mitgliedern und 10 verschiedenen Instrumenten handelt es sich bei dem Musiker-Kollektiv aus London wahrlich um ein recht üppig ausgestattetes Orchester mit breit gefächerten Ausdrucksmöglichkeiten, wobei zwei Stimmen das Instrumentalgeflecht wohltuend auffächern. "Illusions & Realities" ist das zweite Werk der schlagkräftigen Gruppe, nach "Inexpressible Infinity" aus 2019. Das Album erscheint als LP am 29. Oktober 2021 und als CD am 12. November 2021.

    "Illusions & Realities" beginnt mit dem zweiteiligen Stück "Life Is Suffering / Send And Receive Love Only": Die von Natur aus wie ein Instrument aus einer anderen Welt klingende Harfe wird hier feingliedrig und kristallklar gezupft, so dass sie einen höchst filigranen Eindruck hinterlässt. Sie eröffnet für die weichen Geigen- und Flötentöne, die die Stimmung wie mit Seide überzogen ausfüllt, bevor ein satter Rhythmus für straffe Konturen sorgt. Die Sängerin und Multiinstrumentalistin Plumm aus Südlondon gibt dann mit ihrer markanten, herb-leidenden Stimme, die sowohl von Nina Simone wie auch von Janis Joplin beeinflusst ist, ein eindeutiges Statement ab: "Ich vertraue meiner Erfahrung, auch wenn sie seltsam ist." Sie stellt damit das Bauchgefühl als Ratgeber über den Verstand. Nach dem Gesangsbeitrag übernimmt eine verträumte Querflöte die Führung und bringt das Tempo allmählich zum Erliegen.

    "Listen To Her" bekommt seine eigentliche Inspiration aus der asiatischen und afrikanischen Folklore. Diese Inhaltsstoffe hinterlassen allerdings nur flüchtige Duftmarken, so dass noch Raum für weitere Abenteuer bleibt. Der wilde, verrückt-vertrackte Progressive-Rock von Van Der Graaf Generators "Pawn Hearts" aus 1971 findet ebenso seinen Anklang wie auch ein Bass-dominiertes Spiel in Erinnerung an Charles Mingus, das von den wütend-provozierenden Spoken Words der Londoner Sängerin Dilara Aydin Corbett begleitet wird. Danach spielen sich der musikalische Leiter Axel Kaner-Lidstrom an der Trompete und die Tenor-Saxophone die solistischen Bälle zu.

    "Spiral (Die, Die, Die)" beschreibt einen Thriller-Jazz der besonders aufwühlenden Art: Zunächst wird Angst und Fluchtverhalten ausgedrückt, dann folgt die eigentliche Verfolgung, worauf Verwirrung eintritt und ein paar Schockakkorde ausgesendet werden. Statt eines eindeutigen Endes bleibt der Ausgang der Story allerdings offen.

    Für "Delusion" wird medizinisch als fachliche Ansprache erläutert, welche Verletzungen Wahnvorstellungen hervorrufen können. Vorher gibt es noch einen von Plumm versöhnlich gesungenen Abschnitt in einem turbulenten Big-Band-Taumel, bei dem die Begriffe Verwirrung, Klarheit, Fantasie, Illusion und Realität nebeneinander gestellt und als mögliche Wahrnehmungsmöglichkeiten angesehen werden. Danach übernimmt ein überhebliches, teils unbeherrscht agierendes Saxophon den Ton und drängt die anderen Teilnehmer in die Statistenrolle. Das gilt, bis Plumm mit menschlicher Wärme die Strenge auflöst und die Musik kurzzeitig wieder ausgleichend gestimmt ist. Aber dann legt sich eine bedrohliche Dramatik auf das Geschehen, die von den Geigen in ein orientalisch anmutendes Intermezzo übergeleitet wird. Auch diese Stimmung ist nicht von Dauer, es folgt dann die schon angesprochene Lesungs-Sequenz, die mit arabischem Flair ausklingt.

    Die nächste mehrteilige Komposition heißt "Child" und ist in vier Abschnitte eingeteilt. "Part I" ist ein hingebungsvoller, von einer ruhigen E-Gitarre getragener Track, der Kontakt mit dem Weltraum aufnimmt und von geistlich geprägten Chorstimmen dorthin begleitet wird.

    Das instrumentale "Part II" fühlt sich nicht nur im psychedelisch groovenden sondern auch im weltmusikalisch geprägten Jazz wohl, was zu einem globalen Musikverständnis führt.

    "Part III" lässt dann wieder die in mystische Gefilde gleitende Harfe erklingen. Die leitende Geige ist hier sowohl romantisch wie auch alarmierend gestimmt, so dass der Track eine esoterisch angehauchte und eine aufregende Rolle übernimmt. Die Spoken Words verleihen dem Track zusätzlich eine beschwörende Komponente.

    "Part IV" steht wieder voll auf dem Boden der Tatsachen. Zunächst wird die aufgebaute Spannung aufgelöst. Friedlich-beschwingt geht es los, aber nach fünf von acht Minuten Laufzeit wendet sich das Blatt. Das bislang kooperative, beinahe handzahme Saxophon begehrt mehr und mehr auf, erkämpft sich Freiräume und stachelt die übrigen Mitspieler zu energischen Aktionen an.

    Elemente der dramatischen modernen Klassik vermitteln die über eine lange Zeit tonangebenden Streicher bei "Between Shadows". Das reicht von elegischer Trauer über schillernde Meditation bis hin zu prickelnd-improvisierter Tondichtung.

    "Many In Body, One In Mind" könnte das Motto des Ensembles sein, denn die Akteure legen es stets darauf an, eine spannende Gesamtleistung abzuliefern, wobei jeder Musiker eine Möglichkeit erhält, sich auszudrücken. Das gilt besonders für dieses Abschluss-Stück, das eine furiose Reise durch alle bisher durchlaufene Stile und Formen darstellt. Diese Zusammenfassung ist ein Aushängeschild für die Möglichkeiten, die in der Formation stecken. Durch ihre vielfältigen instrumentellen und stimmlichen Optionen ist ein Ende des Abenteuers noch lange nicht absehbar und lässt für die Zukunft noch einige Abstecher in unzugängliche Bereiche offen.

    Das Levitation Orchestra bringt Schwung und Bewegung in die teils verkrustete Jazz-Landschaft. Die Musik deckt Bedürfnisse nach Anregung, Harmonie, Überraschung und handwerklich ausgefeilter Technik ab und kann somit jedem empfohlen werden, der sich anspruchsvoll unterhalten lassen will. Die Inspirationen aus der Vergangenheit sorgen im Zusammenspiel mit Musikformen wie HipHop oder modernem R&B für ein Gefühl des Aufbruchs und der Suche nach einer individuellen Handschrift, die sich dem strengen Diktat einer eindeutigen Stilzuordnung entzieht. Das Levitation Orchestra ist auf dem besten Wege, dieses Ziel zu erreichen.
    Meine Produktempfehlungen
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    The Future Nathaniel Rateliff
    The Future (CD)
    07.11.2021
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Was wird die Zukunft bringen? Das fragt sich Nathaniel Rateliff mit sorgenvollem und auch hoffnungsvollem Blick. Musikalisch lässt er allerdings keine Fragen offen: Die Zukunft gehört ihm!

    "The Future" ist nach "Nathaniel Rateliff and The Night Sweats" (2015) und "Tearing At The Seams" (2018) das dritte Studio-Album des Sängers und Komponisten Nathaniel Rateliff, welches mit seiner Formation, dem Septett The Night Sweats eingespielt wurde.

    Rateliff ist in vielen Genres zuhause, greift Referenzen aus unterschiedlichsten Einflüssen ab und hält vielfältige Assoziationen bereit. Egal ob Soul, Rhythm & Blues, Country, Folk, Roots-Rock oder Pop, der Mann macht keine Kompromisse. Seine Interpretationen sind frei von billigem, amateurhaftem Kitsch. Das ist der pure, ursprüngliche heiße Stoff, der die Seele glühen und den Körper zucken lässt.

    Obwohl der eröffnende Track "The Future" jede Menge Country-Wehmut enthält, verbrüdert er sich alsbald mit den Segnungen des Southern-Soul und gerät so zu einer saft- und kraftvollen Ballade, die beweist, dass die Verbindung von "weißen" und "schwarzen" Musik-Stilen zu besonders emotionalen Erlebnissen führen kann. Gesanglich bindet das Stück Merkmale von zwei Giganten der Pop-Musik ein: Rateliff dehnt manche End-Silben quengelig-genervt wie Bob Dylan und schreit seinen Frust gequält-gurgelnd raus wie John Lennon. Assoziation: "Up On Crickle Creek" (The Band, 1968)

    Bei "Survivor" geht es krachend und energisch zur Sache. Ein mächtiger Funk-Rock-Takt sorgt für gewaltigen Druck, der gesanglich teils ausgleichend aufgefangen, teils aggressiv und aufgebracht verstärkt wird. Satte Bläsersätze vermitteln dem Song dann noch eine souveräne, lässige, tanzbare Eleganz. Assoziation: "Howlin` For You" (The Black Keys, 2010)

    "Face Down In The Moment" durchzieht eine sakrale Gospel-Stimmung, die von schwelgenden Chören, sanft unterstützenden Bläser-Fanfaren und rauschenden Hammond-Orgel-Tönen noch verstärkt wird. Assoziation: "Hallelujah" (Leonard Cohen, 1984)

    "Something Ain’t Right" entpuppt sich danach als gemütlicher Retro-Rhythm & Blues mit romantischem Pop-Herz. Assoziation: "The Blues" (Randy Newman, 1983)

    Ein beschwingter Jazz-Rhythmus treibt nach verhaltenem Beginn "Love Me Till I’m Gone" an. Bei dem Track lässt sich Nathaniel Rateliff jedoch nicht durch den Schwung aus der Ruhe bringen. Er zieht seine individuellen Kreise, wobei der Stil-durchkreuzende Sänger durch einige emotionale Höhen und Tiefen geht. Abwechselnd finden neben sachlichen Erläuterungen auch angespannte Erregungen und zornige Ausbrüche statt. Assoziation: "Saint Dominic`s Preview" (Van Morrison, 1972)

    Verspielt und cool geht es bei "Baby I Got Your Number" zu, wobei sich Nathaniel zwischendurch in einer speziellen Kreation des lautmalerischen Scat-Gesangs übt. Seine Mitstreiter erzeugen unterdessen einen entspannten, karibisch angehauchten Cocktail-Jazz. Assoziation: "You Don`t See Me" (Al Jarreau, 1975)

    Elegant, mit ansteckendem Smooth-Soul-Groove ausgestattet, umgarnt "What If I" die Gehörgänge. Das Stück erscheint gleichzeitig souverän, aufrichtig und sympathisch. Wie gemacht für das Kultur-Radio. Assoziation: "Nothing Ever Happens" (Del Amitri, 1989)

    Wie ein gebändigtes Funk-Monster gebärdet sich "I’m On Your Side". Es ist zwar domestiziert, wartet jedoch auf seine Chance, aus der Deckung zu kommen und die Herrschaft zu übernehmen. Das passiert aber nicht, die Bestie bleibt weitestgehend unter Kontrolle und verströmt seine animalische Kraft, die sich für mehr Solidarität und Toleranz einsetzt, nur unterschwellig. Assoziation: "25 Or 6 To 4" (Chicago Transit Authority, 1969)

    "So Put Out" wildert im Gebiet von pechschwarzem Rhythm & Blues und zackigem Funk, ist nicht unbedingt ungestüm, aber dennoch scharf wie Chili und bissig wie eine Cobra. Assoziation: "I Can Only Give You Everything" (Nick Waterhouse, 2012)

    Folk und Reggae treffen für "Oh, I" aufeinander und verbreiten eine trügerische Latin-Sound-Stimmung. Assoziation: "Do You Want My Job" (Little Village, 1992)

    Der Motown-Sound aus Detroit, der in den 1960er Jahren Formationen wie The Supremes, The Temptations oder die Four Tops hervorgebracht hat, bildet die Grundlage des stampfenden, mitreißenden "Love Don’t", einem Appell an die Liebe. Der Track hält seinen schweißtreibenden Takt über 5 Minuten hinweg aufrecht und The Night Sweats stacheln Nathaniel Rateliff immer wieder zu ungestümen Ausbrüchen an. Assoziation: "Uptight (Everything`s Alright)" (Stevie Wonder, 1965)

    Nathaniel Rateliff brauchte eine Pause vom unsteten Rock & Roll-Leben, den Zwängen des Musik-Business und den Schattenseiten des Erfolges. Deshalb nahm er 2020 das von Harry Nilsson inspirierte Solo-Album "And It`s Still Alright" auf, dass ihn als nachdenklichen Singer-Songwriter zeigt. Denn er musste nicht nur das Ende seiner Ehe, sondern auch den Tod seines Freundes Richard Swift verarbeiten. Nun hat sich Rateliff wieder in den Schoß seiner eingespielten, verlässlichen Stammformation fallen lassen, was ihm hörbar gut tut. Denn mit dieser Unterstützung kann er sich ungehemmt artikulieren, gefühlvoll sein, aber auch richtig aus sich raus gehen, wenn es nötig ist.

    Nathaniel Rateliff and The Night Sweats regen an. Sowohl die Frage nach der Einordnung der Songs in die Pop-Historie, wie auch die Aktivierung der Hypophyse, die für die Produktion von Glückshormonen zuständig ist. "The Future" mag auf den ersten Blick nur Retro-Sounds aktivieren, in Wirklichkeit werden aber zeitlose Songwriter-Tugenden präsentiert, die die Musik zu einem Ganzkörper-Erlebnis machen.

    Der Produzent Bradley Cook (Bon Iver, The War On Drugs, Hiss Golden Messenger) hat dafür gesorgt, dass Nathaniel bei seinen Kompositionen nicht nach Songs für Solo- oder Band-Alben unterscheidet, sondern einfach die stärksten als aktuelle Bestandsaufnahme für "The Future" auswählt. Das hat sich ausgezahlt, denn es gibt tatsächlich kein Füll-Material auf dem Werk. Nathaniel Rateliff and The Night Sweats gehört die Zukunft, auch wenn sie musikalisch aus der Vergangenheit schöpfen.
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    • Nathaniel Rateliff & The Night Sweats Nathaniel Rateliff
      Nathaniel Rateliff & The Night Sweats (CD)
    • Tearing At The Seams (Deluxe Edition) Tearing At The Seams (Deluxe Edition) (CD)
    What Then? David Keenan
    What Then? (CD)
    26.10.2021
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Der Ausnahmemusiker David Keenan präsentiert sein zweites Werk.

    Es gibt Neuigkeiten vom ungestümen, poetischen, gefühlsbeladenen irischen Singer-Songwriter David Keenan. Er begibt sich mit einem autobiographischen Hintergrund auf Spurensuche und beleuchtet unter anderem Situationen, die für ihn richtungsweisend waren. Mit "What Then?" legt David Keenan nach "A Beginner`s Guide To Bravery" aus 2020 sein zweites Album vor. Es klingt jedoch nicht nach einem Newcomer, der noch seinen Weg sucht, sondern nach einem schlüssigen Gesamtkonzept eines erfahrenen, etablierten und souveränen Musikers, das keinerlei Spuren von Unsicherheit aufweist.

    David Keenan betätigt sich bei "What Then Cried Jo Soap" als beseelter Prediger, der diesem Hypno-Blues, der über eine sensible Country-Seite verfügt, mit seinem beschwörenden, leidenschaftlichen Gesang exakt die Portion Exzentrik vermittelt, die den Song sowohl angriffslustig wie auch zugänglich erscheinen lässt. Der Rhythmus imitiert einen Chain-Gang-Arbeits-Takt und die Dynamikwechsel, die von beschwichtigend bis aufwühlend reichen, tragen zur Extravaganz bei - ein Markenzeichen des Iren. Zum Inhalt des Tracks sagt David: "In diesem Lied geht es um die Sehnsucht nach Sinn und Bedeutung im eigenen Leben. Das sind menschliche Kämpfe, die wir alle nachempfinden können - wir sind alle Jo Soap - verstärkt wie nie zuvor durch das große Trauma, das unser aller Leben seit Beginn der Pandemie auf unzählige Arten beeinflusst hat."

    "Bark" verfügt über eine Qualität, die sich mit den Ruhmestaten von Tim Buckley auf "Greetings From L. A." messen kann: Schwelgende Streichinstrumente agieren losgelöst vom sonstigen Geschehen, wobei teilweise ein gehetzter Eindruck, dann wieder eine ausgleichende, Ruhe anstrebende Stimmung hinterlassen wird. Das sorgt für Verwirrung und fordert die Hörerschaft heraus, sich auf einen ungewissen Ablauf einzulassen. "Beggar To Beggar" arrangiert sich mit deutlichen, unmittelbar wirkenden Zutaten: Das Grundgerüst besteht aus einer milden Folk-Pop-Melodie und gewinnenden, wohlgesonnenen Streicher-Arrangements, was zusammen mit Davids engagierter Soul-Stimme für eine unsentimentale, stolze Ballade sorgt.

    Von Sehnsüchten zerrissen fleht Keenan in dem wolkig-verschwommenen "Philomena": "Tell Me Your Story", obwohl er ansonsten lange als nüchterner Erzähler auftritt. Zum Ende hin steigert sich die Intensität nach und nach bis es zur Implosion kommt. Die oft aufgebracht zitierten "Peter O’Toole’s Drinking Stories" enthalten intime Aussagen, die wie eine wilde Beichte ungefiltert, ungeniert und unverschämt herausgeschleudert werden. Die Texte umranken unruhige Folk-Rock-Töne, die ständig unter Strom zu sein scheinen.

    Für "Hopeful Dystopia" baut der agile Musiker ein aufwändiges Art-Pop-Gebilde auf, das Dramatik, Erlösung, Harmonie und ungehemmte Lebensfreude skizziert. Entsprechend des Titels "The Grave Of Johnny Filth" ist hier eine melancholisch-erregte Lesung mit stichelnden Rhythmen und ergriffen kondolierenden Streichern zu erwarten. "The Boarding House" entführt in eine Broadway-Musical-Welt, die es so nie gegeben hat. Das Stück transportiert genau wie die Vorlagen aus "West Side Story" von Leonard Bernstein oder "Rhapsody In Blue" von George Gershwin starke Gefühlsregungen, allerdings in verschwommenen Polaroid-Farben.

    Die orchestral aufgewertete Folklore von "Me, Myself And Lunacy" mag oberflächlich romantisch angelegt sein, erhält durch seine raffinierte, feinnervig-sensible Aufmachung aber eine scharfsinnig-spannende Ausrichtung. "Sentimental Dole" beinhaltet das Feuer des Flamenco als dosiert eingesetzten Antrieb und die Unmittelbarkeit des Folk als Transportmittel für die Aussagen. Instinkt und Intellekt treffen so befruchtend aufeinander. Mit "Grogan’s Druid" legt David Keenan eine locker erscheinende Folk-Pop-Nummer nach, die ihre Kraft aus der Ruhe und Gelassenheit schöpft.

    David Keenan ist ein getriebener, von seinen Dämonen gejagter, äußerst ausdrucksstarker Musiker, der auf der Suche nach Harmonie und Liebe ist. Seine Bedürfnisse möchte er befriedigen, indem er sich mit seiner Vergangenheit auseinander setzt, sie verarbeitet und auf diese Weise Konflikte auflöst. Dieser Prozess setzt Energie und Kreativität frei, die er mit "What Then? " in bemerkenswert aufrüttelnde und intime Songs gießt.

    Man stelle sich den jungen, grimmigen, souligen Van Morrison in Kombination mit dem poetischen Rebellen Jim Morrison und dem hyper-sensiblen, nach neuen Ausdrucksformen suchenden Tim Buckley vor, dann entsteht ein ungefährer Eindruck von dem, was einen bei "What Then?" erwartet.

    Im dokumentarischen Konzertfilm "Alchemy & Prose" spricht Keenan davon, dass er seine künstlerische Freiheit dazu nutzt, die Welt zu erkunden und die erlangten Erfahrungen durch Songs an seine Fans zurückzugeben. Man hilft sich also gegenseitig dabei, emotional und intellektuell zu wachsen. Was für eine komfortable Win-Win-Situation!
    Meine Produktempfehlungen
    • A Beginner's Guide To Bravery David Keenan
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    A Estranha Beleza Da Vida Rodrigo Leão
    A Estranha Beleza Da Vida (CD)
    15.10.2021
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Die Betörung der Sinne erfolgt durch das Verständnis der seltsamen Schönheit des Lebens.

    Der portugiesische Musiker und Komponist Rodrigo Leão ist mit seinem neunzehnten Volle-Länge-Werk (wieder einmal) der seltsamen Schönheit des Lebens auf der Spur. Er lässt seine Kompositionen gerne wie einen Film ablaufen, mit Haupt- und Nebendarstellern, die phantasievolle Geschichten erzählen, welche unterschiedliche Gefühlsebenen offenbaren. Dabei entstehen dann wie selbstverständlich seltsame, schöne, ungewöhnliche und auch vertraute Tondichtungen, die speziell, aber auch eingängig sein können. "A Estranha Beleza da Vida" ist voll von solchen Gebilden, die durch ihren eigentümlichen Charme lange Schatten werfen, die nachhaltige Höreindrücke gewährleisten.

    Die russisch-stämmige, in Kanada lebende Singer-Songwriterin Michelle Gurevich, die auch schon unter dem Namen Chinawoman Musik gemacht hat, leiht ihre laszive Alt-Stimme - die stellenweise an Chrissie Hynde von den Pretenders erinnert - der Eröffnungsnummer "Friend Of A Friend". Die kurzen Akkorde der Geigen weisen Elemente der modernen Klassik auf und tragen zum Tanz-Rhythmus bei. Die Streich-Instrumente könnten sich aber genauso in einem Kaffeehaus-Orchester wohl fühlen. Wenn sie ihre schwelgenden Töne absondern, scheinen sie den Soundtrack für einen romantischen Film abzubilden, der von Pop-Leichtigkeit gespeist wird. Diese gegenläufigen Tendenzen tragen zur Eigenartigkeit dieses Songs bei, der sowohl agile wie auch versonnene Momente aufweist.

    Mit "A Sala" erschafft Rodrigo eine Klangebene, für die der Begriff Easy Listening wie geschaffen ist, so entspannend und zugänglich legen sich die Töne auf die Hörnerven. Auch "Sibila" hat die Ruhe weg: Tropfend, klopfend und klingelnd erinnern die Schwingungen an das rhythmisch bestimmte Schulwerk von Carl Orff, wobei hier ein indisches Harmonium die bedächtige Melodieführung übernimmt.

    Für "Who Can Resist" suhlt sich Kurt Wagner von Lambchop mit seinem knurrigen Bariton im nostalgischen Cabaret-Jazz. Dabei füllt er seine Rolle als erhabener Schnulzensänger voll aus. Zur Unterstützung breiten die Instrumente eine sentimentale Atmosphäre vor ihm aus. Bei "45 Segundos" ist der Name Programm, denn das todtraurige, von Streichinstrumenten aufgeführte Stück hat (fast) genau diese Länge.

    Die portugiesische Sängerin Débora Umbelino, die sich Surma nennt, verleiht dem geisterhaften Klanggebilde "O Ovo do Tempo" durch ihren sphärischen Gesang eine eindringlich-gespenstische Note. Die fragile und klangmalerische Begleitung übernehmen ausschließlich Synthesizer und ein akustischer Stand-Bass. Die spanische Sängerin Martirio kennt sich im Flamenco aus und gibt der dunklen Calexico-Style-Ballade "Voz de Sal" danach eine leidend-folkloristische Färbung mit.

    "Introdução nº 8" klingt wie die Einleitung zu einem Film mit tragisch geprägtem Inhalt, während "A Valsa da Petra" spritzig-perlend und schunkelnd doch eher eine genießerische, frankophile Lebensart in den Vordergrund rückt. Bei "O Maestro" hat der Tango deutliche Spuren hinterlassen, was den Track mondän und lustvoll erscheinen lässt, wogegen "Old Happiness" getragen und schwermütig nach ernster "Hochkultur" klingt und "Janeiro 2021" ausgleichend, hell und harmonisch aufgestellt ist.

    Das Licht des Polarsterns soll Orientierung geben und so sorgt auch "Estrela do Norte" für eine klare Ausrichtung auf ein ergriffen-besinnliches musikalisches Thema. Der Gitarrist, Komponist und Produzent Suso Sáiz war ein Pionier der New Age-Musik in Spanien und hat den Track "A Estranha Beleza da Vida" durch eine idyllisch-neblige Klanginstallation geprägt, die Alltagsgeräusche genauso wie Space-Sounds enthält. Schönheit liegt im Auge des Betrachters und muss nicht unbedingt nur positiv gestimmt sein.

    Kunst ist manchmal eine ernste, trockene Angelegenheit. Nicht so bei Rodrigo Leão, denn weil seine Kompositionen so vielfältig dargeboten werden, kommt keine Langeweile auf und weil er nicht provozieren möchte, klingen seine Werke so würdevoll. "A Estranha Beleza da Vida" feiert das Leben in all seinen Facetten und zelebriert eine akustische Weltreise. Die Platte überzeugt durch Einfühlungsvermögen und formvollendete Arrangements. Ein besonderer Triumpf der seltsamen Schönheit des Lebens!
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    A Liberdade Rodrigo Leão
    A Liberdade (CD)
    15.10.2021
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    5 von 5

    "A Liberdade" fügt die Rodrigo Leão-Werke "O Método" (2020), "Avis 2020" (2020) und "A Estranha Beleza da Vida" (2021) zu einem sinnvollen Gesamtpaket zusammen.

    Rodrigo Costa Leão Muñoz Miguez oder kurz Rodrigo Leão ist eine Künstlerinstitution in Portugal. Bevor er Mitte der 1980er Jahre Gründungsmitglied und Keyboarder der Weltmusik-Kapelle Madredeus wurde, spielte er schon ab 1982 Bass in der New Wave-Band Sétima Legião, die stark vom düsteren Klang von Joy Division beeinflusst war, sich aber auch traditioneller Folklore verschrieb, der sie einen modernen Pop-Anstrich verlieh. Das Gedankengut, dass die Aufhebung von Stilgrenzen einen Mehrwert bei der Gestaltung von Kompositionen hervorbringt, war also schon immer ein Grundpfeiler in der Musik von Rodrigo Leão. Wobei seine Zutaten ständig verfeinert und ergänzt wurden.

    Ab 1993 gab es dann auch Solo-Veröffentlichungen, die ihm weltweite Anerkennung und etliche Auszeichnungen einbrachten. Seine Kompositions-Mixtur beinhaltet sowohl Einflüsse aus der modernen Klassik wie auch vielfältige cineastische Züge, traditionelle portugiesische Fado-Sequenzen, Elektronik-Gefrickel und Minimal-Art-Einschübe sowie diverse Pop-Bausteine. Alles fein abgestimmt, geschmackvoll angerichtet und künstlerisch wertvoll aufbereitet.

    Rodrigo Leão nahm im Jahr 2017 "Life Is Long" gemeinsam mit dem aus Australien stammenden und in New York lebenden, introvertierten Singer-Songwriter Scott Matthew auf. Die dort vorgestellten Klänge bestanden zum großen Teil aus melancholischem Pop kammermusikalischer Prägung, mit überschäumendem Pathos beim Gesang und Feingefühl bei der instrumentellen Inszenierung. Das Werk ist ein weiteres Beispiel dafür, wie sensibel der Portugiese aus Lissabon Gastmusiker- und -stimmen in seine Klangvorstellungen aufnimmt. Sie werden stets so überzeugend integriert, als wären sie die einzige und optimale Wahl für den jeweiligen Track.

    Dieses Prinzip setzt sich auch bei "O Método" fort, dem dienstältesten Werk der "A Liberdade"-Trilogie, dessen Ideenfindung schon bei der 2017er-Tournee zu "Life Is Long" begann, dessen Ergebnis aber erst 2020 veröffentlicht wurde. Um neue Einflüsse aufzunehmen, wurde der italienische Komponist und Pianist Federico Albanese als Produzent engagiert, welcher minimalistisch-ätherische Arrangements bevorzugt.

    Rodrigo Leão vermittelt seinen Hörerinnen und Hörer mit "Ideia 1" die Befriedigung des tiefen Verlangens nach Ruhe und Geborgenheit. Die Klarinette wirbt für Vertrauen, das Piano übt sich in Gelassenheit und ein Synthesizer-Akkordeon führt uns mit wellenartigen Tönen gedanklich ans Meer.

    Bevor der kindliche Gesang von Rodrigos Tochter Sofia bei "A Bailarina" mit ausgedachten Worten einsetzt, hört man noch ein Summen, das nach einer gestopften Trompete klingt. Die "Tänzerin" tanzt bei dem Stück auf verschiedenen Hochzeiten: Was gedankenversunken beginnt, mündet in einem unschuldig wirkenden Kinderlied-Kontext, begleitet von einem Jugend-Chor, bevor das Lied langsam an pulsierendem Rhythmus gewinnt. Eine sehnsüchtige Geige versucht, die einsetzende stimulierende Wirkung abzuschwächen, aber der Track wird zu einem pochenden Electro-Pop mit sanfter Seele aufgebauscht.

    Der Produzent Federico Albanese beschäftigt sich viel mit Neo-Klassik und Ambient-Sounds. Er hat unter anderem dazu beigetragen, dass der Track "O Método" trotz des Einsatzes eines klassischen Streichquartetts einen unverkrampften Anstrich bekommen hat.

    "The Boy Inside" präsentiert den Sänger Casper Clausen von Efterklang. Wenn man so will, ist er ein Geistesverwandter von Rodrigo Leão, wenn es darum geht, eine Kunstform zu entwickeln, die Pop, Klassik und Avantgarde so miteinander vereint, dass die einzelnen Genres ihre Bedeutung verlieren und in einem neuen Verständnis von anspruchsvoll-ästhetischer Musik aufgehen. In diesem Fall werden die Töne aus Geheimnissen, Unbehagen und Ruhelosigkeit gespeist, wie es Rodrigo Leão ausdrückt.

    "Transporte" transportiert pure schwebende Ambient-Klänge, die sich ganz langsam dynamisch steigern. Sie enden jedoch, bevor sie aggressiv zu werden drohen. Ein ähnlicher Schwebezustand begleitet "Red Poem". Der Song findet aber letztlich eine rhythmische Auffrischung und der Gesang der ausdrucksstarken Sopranistin Ângela Silva verwandelt das Stück ohne Anstrengung in klangliches Gold.

    Das verwunschene Spaghetti-Western-Flair von "O Cigarro" wird von weichen, wolkigen Chor-Gesängen in Traumlandschaften entführt, bevor der russische Lead-Gesang der Geigerin Viviena Tupikova eine desillusionierte Strenge über die friedlichen Klänge legt. Der optimistische Grundton kann sich deshalb nie vollständig entfalten. Die bedrückende Stimmung von "O Convite" wird durch federnd-wabernde elektronische Loops aufgeweicht, so dass die traurige Gefühlslage ihren beherrschenden dunklen Einfluss ein wenig einbüßt.

    "Loutolim" ist der Name einer Kirche in Goa (Indien), dessen Chor Rodrigo inspiriert hat. Das Stück lässt eine gewisse "Twin-Peaks"-Seltsamkeit aufkommen. Genau wie in Teilen des von Angelo Badalamenti geschriebenen Soundtracks für die Mystery-Thriller-Serie von David Lynch aus den 1990er Jahren, entsteht auch hier eine geheimnisvoll-undurchsichtige Atmosphäre.

    Wogende Keyboard-, Chor- und Streicher-Passagen geben dem Stadtbild von "Dresden" einen lebendig-beweglichen Anstrich. Es herrscht in dieser Momentaufnahme allerdings kein buntes Treiben, sondern eine übersichtliche, ruhige Beschaulichkeit. "Lula Mistério" lässt musikalisch keinen Zweifel darüber aufkommen, dass sich hinter dem Titel ein unbehagliches Mysterium versteckt. Zu dramatisch laufen die Sequenzen ab, um an eine harmlose Situation denken zu können. Gefahr lauert an jeder Ecke, sie zeigt jedoch nicht ihre Gestalt und schlägt nicht zu.

    "Parte 1" erzeugt auf eine sich nach und nach steigernde Weise eine Spannung, die furchteinflößende Gegebenheiten vor dem geistigen Auge entstehen lässt. "O Método" ist sowohl eine milde Streicheleinheit wie auch eine attraktive Stimulation für die Sinne. Der Höreindruck ist wie barfuß laufen auf unterschiedlichen Untergründen: Man hat bestimmte Vorstellungen davon, wie sie sich anfühlen mögen, aber erst der Versuch macht klug. So ist es auch hier: Theoretisch gibt es eine Vorstellung davon, wie sich kammermusikalischer Weltmusik-Electronic-Pop wohl anhören mag, aber wie raffiniert-beseelt solch eine Verbindung umgesetzt werden kann, vermittelt nur der Selbst-Hör-Versuch.

    Die neun Stücke der "Avis 2020"-EP sind von den Klängen der Natur inspiriert worden und wurden bisher ausschließlich digital veröffentlicht. Die daheim von Rodrigo mit Synthesizer und Gitarre eingespielten Klänge finden jetzt endlich bei "A Liberdade" den richtigen Rahmen und eine zweckmäßige, nützliche Verwendung.

    "Transporte 20" klingt tatsächlich wie die Untermalung einer Natur-Dokumentation, wenn die Kamera über faszinierende Landschaften fliegt: Besonnen, fließend-schwebend, beobachtend und die Schönheit der Bilder einfangend.

    Dieser erhabene, in sich ruhende Aspekt zieht sich auch bei "A Primeira Ideia" fort. Ätherisch verwehte Stimmen und ein paar sehr langsame Keyboard-Tupfer reichen, um Töne in pure Schönheit und Anmut zu verwandeln.

    Vogelgezwitscher, Synthesizer-Zirpen und -flirren sowie wenige gezupfte fremdartige Töne, fertig ist das meditative Klang-Mosaik von "Terra de Barro". Die Noten perlen bei "O Jasmim" wie Regentropfen nieder, bevor eine akustische Gitarre und ein Klavier einen vitalen Klassik-Folk-Sound erzeugen.

    "O Piano de Maio" ist eine Piano-Solo-Nummer, bei der ein zügiges, fröhliches, plätscherndes Spiel von lähmender Tragik abgelöst wird. Die elektronische Spielerei "Gatos às Voltas" löst dann Erinnerungen an Glockenspiele aus.

    Für "Tempo de Espera" werden Outdoor-Aufnahmen von scheinbar rückwärts laufenden Tongebilden überlagert und Oboen-artige Schwingungen erzeugen als Kontrast echohafte Wohlfühl-Momente. "Os Sobreiros" scheint klirrende Kälte vertonen zu wollen und bei "Caminhos de Avis" baut das Piano erregte Abläufe auf, die anschließend romantisch verklärt werden.

    "Avis 2020" beinhaltet neun Miniaturen, die wie zufällig zusammengewürfelt erscheinen. Wie spontane Ideen, die gesammelt wurden, um eigentlich irgendwann als Einleitungen, Zwischentöne oder Abschlüsse für noch unfertige Alben zu dienen. Skizzen, die es wert sind, nicht verloren zu gehen, aber bei ihrer Entstehung noch keinen festen Zweck erfüllten.

    Bei "A Estranha Beleza da Vida" erfolgt die Betörung der Sinne durch das Verständnis der seltsamen Schönheit des Lebens. Der portugiesische Musiker und Komponist Rodrigo Leão ist mit seinem neunzehnten Volle-Länge-Werk (wieder einmal) der seltsamen Schönheit des Lebens auf der Spur. Er lässt seine Kompositionen gerne wie einen Film ablaufen, mit Haupt- und Nebendarstellern, die phantasievolle Geschichten erzählen, welche unterschiedliche Gefühlsebenen offenbaren. Dabei entstehen dann wie selbstverständlich seltsame, schöne, ungewöhnliche und auch vertraute Tondichtungen, die speziell, aber auch eingängig sein können. "A Estranha Beleza da Vida" ist voll von solchen Gebilden, die durch ihren eigentümlichen Charme lange Schatten werfen, die nachhaltige Höreindrücke gewährleisten.

    Die russisch-stämmige, in Kanada lebende Singer-Songwriterin Michelle Gurevich, die auch schon unter dem Namen Chinawoman Musik gemacht hat, leiht ihre laszive Alt-Stimme - die stellenweise an Chrissie Hynde von den Pretenders erinnert - der Eröffnungsnummer "Friend Of A Friend". Die kurzen Akkorde der Geigen weisen Elemente der modernen Klassik auf und tragen zum Tanz-Rhythmus bei. Die Streich-Instrumente könnten sich aber genauso in einem Kaffeehaus-Orchester wohl fühlen. Wenn sie ihre schwelgenden Töne absondern, scheinen sie den Soundtrack für einen romantischen Film abzubilden, der von Pop-Leichtigkeit gespeist wird. Diese gegenläufigen Tendenzen tragen zur Eigenartigkeit dieses Songs bei, der sowohl agile wie auch versonnene Momente aufweist.

    Mit "A Sala" erschafft Rodrigo eine Klangebene, für die der Begriff Easy Listening wie geschaffen ist, so entspannend und zugänglich legen sich die Töne auf die Hörnerven. Auch "Sibila" hat die Ruhe weg: Tropfend, klopfend und klingelnd erinnern die Schwingungen an das rhythmisch bestimmte Schulwerk von Carl Orff, wobei hier ein indisches Harmonium die bedächtige Melodieführung übernimmt.

    Für "Who Can Resist" suhlt sich Kurt Wagner von Lambchop mit seinem knurrigen Bariton im nostalgischen Cabaret-Jazz. Dabei füllt er seine Rolle als erhabener Schnulzensänger voll aus. Zur Unterstützung breiten die Instrumente eine sentimentale Atmosphäre vor ihm aus. Bei "45 Segundos" ist der Name Programm, denn das todtraurige, von Streichinstrumenten aufgeführte Stück hat (fast) genau diese Länge.

    Die portugiesische Sängerin Débora Umbelino, die sich Surma nennt, verleiht dem geisterhaften Klanggebilde "O Ovo do Tempo" durch ihren sphärischen Gesang eine eindringlich-gespenstische Note. Die fragile und klangmalerische Begleitung übernehmen ausschließlich Synthesizer und ein akustischer Stand-Bass. Die spanische Sängerin Martirio kennt sich im Flamenco aus und gibt der dunklen Calexico-Style-Ballade "Voz de Sal" danach eine leidend-folkloristische Färbung mit.

    "Introdução nº 8" klingt wie die Einleitung zu einem Film mit tragisch geprägtem Inhalt, während "A Valsa da Petra" spritzig-perlend und schunkelnd doch eher eine genießerische, frankophile Lebensart in den Vordergrund rückt. Bei "O Maestro" hat der Tango deutliche Spuren hinterlassen, was den Track mondän und lustvoll erscheinen lässt, wogegen "Old Happiness" getragen und schwermütig nach ernster "Hochkultur" klingt und "Janeiro 2021" ausgleichend, hell und harmonisch aufgestellt ist.

    Das Licht des Polarsterns soll Orientierung geben und so sorgt auch "Estrela do Norte" für eine klare Ausrichtung auf ein ergriffen-besinnliches musikalisches Thema. Der Gitarrist, Komponist und Produzent Suso Sáiz war ein Pionier der New Age-Musik in Spanien und hat den Track "A Estranha Beleza da Vida" durch eine idyllisch-neblige Klanginstallation geprägt, die Alltagsgeräusche genauso wie Space-Sounds enthält. Schönheit liegt im Auge des Betrachters und muss nicht unbedingt nur positiv gestimmt sein.

    Kunst ist manchmal eine ernste, trockene Angelegenheit. Nicht so bei Rodrigo Leão, denn weil seine Kompositionen so vielfältig dargeboten werden, kommt keine Langeweile auf und weil er nicht provozieren möchte, klingen seine Werke so würdevoll. "A Estranha Beleza da Vida" feiert das Leben in all seinen Facetten und zelebriert eine akustische Weltreise. Die Platte überzeugt durch Einfühlungsvermögen und formvollendete Arrangements. Ein besonderer Triumpf der seltsamen Schönheit des Lebens!
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    Superblue Superblue (CD)
    10.10.2021
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Kurt Elling hat keine Zeit für Stillstand.

    Kurt Elling - ein Künstler der Superlative. Er gewann die renommierte Kritiker-Wertung der "Downbeat"-Jazz-Fachzeitschrift für den besten männlichen Sänger des Jahres zwischen 2000 und 2021 ganze unglaubliche 17-mal. Und das bei solch starker Konkurrenz wie Gregory Porter oder Theo Bleckmann. Hinzu kommen alleine 10 Grammy-Nominierungen für das beste Jazz-Gesangs-Album und noch diverse weitere Auszeichnungen. Das zeigt seine Einzigartigkeit, seine Anerkennung, sein immenses Talent und seine beständige Qualität. Stilistisch ist er kaum zu fassen: Das Great American Songbook gehört genauso zu seinem Repertoire wie Prosa-Lesungen und freie Improvisationen. Auf Grund seines vier Oktaven umfassenden Baritons klingt alles, was er von sich gibt, unangestrengt und so, als wären seine Möglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpft. Seine Stimme reift wie guter Wein und wird von Jahr zu Jahr ausdrucksstärker.

    Größere Aufmerksamkeit erhielt der Künstler aus Chicago erstmals 1995 mit seinem Album "Close Your Eyes". Seitdem scheute er auch keine Abstecher in Jazz-fremde Gefilde und arbeitete grade für "SuperBlue" mit dem Fusion-Sound-Gitarristen und Produzenten Charlie Hunter sowie dem Keyboarder DJ Harrison und dem Schlagzeuger Corey Fonville von der Jazz-HipHop-Funk-Rap-Rock-Soul-Band Butcher Brown zusammen. Seine Kollegen konnte er jedoch für die Aufnahmen nicht persönlich treffen, über einen Online-Austausch brachten sie trotz der räumlichen Distanzierung jede Menge Energie, Dynamik und Druck in die aktuelle Musik ein, die aus Eigen- und Fremdkompositionen besteht.

    Der Album- und Song-Titel "SuperBlue" stammt ursprünglich vom Jazz-Trompeter Freddie Hubbard aus dem Jahr 1978. Elling hat einen Text dazu verfasst und greift den kraftvoll rollenden Jazz-Groove auf, lässt ihn langsamer laufen und nutzt die zähe Masse für eine ausgiebige Demonstration seiner gesanglichen Variationsfähigkeit.

    Mit dem knackigen, mondänen Funk-Jazz "Sassy" verfassten The Manhattan Transfer 1991 eine Hommage an die Jazz-Sängerin Sarah Vaughan. Die neue Version ist zickiger, angriffslustig und rhythmisch spritziger angelegt. Die Eleganz des Originals ist einer latenten Aggressivität gewichen.

    "Manic Panic Epiphanic" ist eine Ensemble-Leistung, die einen entspannten Ablauf in den Mittelpunkt des geschmeidigen Smooth-Soul stellt, der durch knackige Funk-Spritzer belebende Reize verordnet bekommt. Gesanglich gesellen sich Gospel-Anklänge ("He`s Got The Whole World In His Hands") zu Soft-Rock-Falsett-Stimmen, die mit Swing-Ansätzen in Konkurrenz stehen.

    Für "Where To Find It" bildete das Stück "Aung San Suu Kyi" von Wayne Shorter (ex-Weather Report) die Vorlage. Das Stück wurde nach der Politikerin aus Myanmar benannt wurde, die sich für eine gewaltlose Demokratisierung einsetzte. Kurt Elling baute das Gedicht "Animal Languages“ von Chase Twichell ein und phrasiert so souverän-selbstbewusst wie Frank Sinatra. Der neu entstandene Song gerät zu einer vollmundigen Komposition mit hypnotischen Takten, überraschenden Fills, manchen pfiffigen Wendungen und einem weichen, cremigen Flow.

    Wie selbstverständlich gleitet der unnachgiebig drängende Funk von "Can’t Make It With Your Brain" in ein selbstbewusstes Jazz-Chanson über und berücksichtigt auch noch provokativen Sprechgesang sowie wohlige West-Coast-Folk-Rock-Background-Stimmen.

    "The Seed" ist ein Song des R&B-Musikers Cody ChesnuTT, der sich durch seine Vielfältigkeit auszeichnet. Neben HipHop-Beats gibt es eine Funk-Rock-Gitarre, Folk- und Psychedelic-Soul-Zitate und eine feine Pop-Melodik zu hören. Abgrenzungen zwischen "schwarzer" und "weißer" Musik werden hier ad absurdum geführt. Die HipHop-Band The Roots nahm das Lied als "The Seed (2.0)" mit ChesnuTT als Sänger und Gitarrist in einer krachend-brodelnden Fassung neu auf. Nun gibt es auf "SuperBlue" eine frische Interpretation der Kurt Elling-Formation, die wesentlich aufgeräumter und ausgefeilter als die Vorlagen rüber kommt, auch wenn auf ein stacheliges Gitarren-Solo nicht verzichtet wurde.

    Mit "Dharma Bums" würdigt Kurt Elling den Schriftsteller Jack Kerouac zu seinem 100. Geburtstag. Neben Allen Ginsberg und William S. Burroughs war er einer der führenden Beat Generation-Autoren der 1950er Jahre. Sein Ruhm stützt sich hauptsächlich auf den Roman "On The Road", einer ekstatischen Reisebeschreibung voll von Sex, Drogen und Jazz. Als musikalisches Vehikel für ihre Hommage nutzen die Musiker überwiegend coolen Jazz-Pop, wie er auch auf "Aja" von Steely Dan zu hören ist.

    Aus dem von Tom Waits auf "Real Gone" (2004) zitierten "Circus" machen Elling & Co. einen schnellen Funk, wobei der Text auch hier gesprochen und nicht gesungen wird. Eine vertane Chance, denn mit einer Gesangslinie wäre aus dem Song noch viel mehr herauszuholen gewesen.

    Das verträumte, instrumentale "Lawns" von Carla Bley hatte Kurt Elling schon 2018 auf "The Questions" als "Endless Lawns" mit eigenem Text als ruhige, unbeugsame, neunminütige Ballade aufgenommen. Jetzt interpretiert er das Stück mit seinen neuen Mitstreitern nochmal in ähnlicher Form und Intensität.

    Das einminütige Outro "This Is How We Do" fasst dann nochmal die Haupt-Elemente von "SuperBlue" zusammen: Groove und Empathie.

    Kurt Elling hat mit seinen Mitstreitern eine schlagkräftige Truppe zusammen bekommen, die ihn auf allen Wegen und Abwegen souverän begleitet und sowohl für einen strammen Rhythmus wie auch für eine kreative, sensible Untermalung sorgt. Egal was Elling anpackt, man darf stets Qualität auf hohem Niveau von ihm erwarten. Er ist eben eine Klasse für sich. Seine überlegene Präsenz beweist er auch auf "SuperBlue", wo sich der Sänger agil, engagiert, cool und clever darstellt. Mittelmäßigkeit und Stillstand haben bei Kurt Elling sowieso keine Chance!
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    10.10.2021
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Die Kinfolk-Reihe von Nate Smith zeigt Lebenslinien und -stationen auf, die in erinnerungswürdige Töne gegossen werden.

    "Kinfolk: Postcards From Everywhere" war das zweite Album des Schlagzeugers, Produzenten und Songwriters Nate Smith. Es hat jetzt auch schon wieder vier Jahre auf dem Buckel. Mit "Kinfolk 2: See The Birds" erscheint jetzt der Nachfolger des Grammy-dekorierten Vorgängers. Kinfolk bedeutet Verwandtschaft. Smith lässt seine Verwandtschafts- und Entwicklungserfahrungen musikalisch Revue passieren und hat sie als Album-Trilogie angelegt.

    "Kinfolk" widmete sich der Kindheit, "Kinfolk 2" beleuchtet die Jugend. Als Teenager lebte Nate in Chesapeake, Virginia und die Erlebnisse aus dieser Phase stehen vor seinem geistigen Auge auf und lassen eingebrannte Erinnerungen an das städtische Treiben, markante Orientierungspunkte und die Hackordnung an der Highschool lebendig werden. Nate fühlte sich dort als Außenseiter, aber die Musik gab ihm Trost, Halt und Orientierung. Seine Helden waren unter anderem Prince und Michael Jackson. Außerdem entdeckte er damals HipHop und Neo-Soul für sich.

    "Kinfolk 2: See The Birds" transportiert neben diesen Einflüssen jede Menge Jazz-Variationen, hält sich dabei aber nicht an elitär geprägte Muster, sondern wildert auch bei Rock, Pop und Avantgarde. Nate Smith meint, dass die neuen Kompositionen den Enthusiasmus und die Inbrunst einer jugendlichen Garagenband verkörpern, sie scheren sich nicht um Regeln, sind furchtlos und streben nach Freude.

    "Altitude" sorgt für eine Einleitung, die sich wie ein Inhaltsverzeichnis oder ein Überblick über das zu erwartende Repertoire anhört. Durch das glasklar perlende Xylophon von Joel Ross und den lautmalerischen Scat-Gesang von Michael Mayo erhält diese Visitenkarte durch die Einbeziehung von Stilmitteln, die ansonsten weitgehend vom aktuellen Jazz-Radar verschwunden sind, eine spezielle, neugierig machende Färbung.

    Harte BreakBeats und ein angriffslustiger Rap von Kokayi lassen "Square Wheel" zunächst aufrührerisch klingen, bevor Michael Mayo mit seinem versöhnlichen Gesang die Wogen glättet. Gleichzeitig schaltet der Sound von eckigem HipHop auf manierlichen Smooth-Jazz um. Dieses Wechselspiel wiederholt sich noch mehrfach. Plötzlich übernimmt aber ein empört klingendes, zunehmend freier aufspielendes Saxophon den Ton, wobei die Rhythmus-Abteilung vertrackt, vehement und spritzig dagegen hält.

    Beim Zwischenspiel "Band Room Freestyle" führt der Rapper Kokayi wieder ein großes, energisches Wort und über einen Bass-betonten Takt wird ständig der gleiche alarmierende Tusch gespielt, der einem Weck-Laut gleich kommt. In "Street Lamp" fließen allerlei Klänge ein, die ins kollektive Jazz-Bewusstsein gelangt sind und sich dennoch wie spontane Eingebungen anhören. Die Schattierungen berücksichtigen unter anderem freundlich-zurückhaltende Momente, erzählend-improvisierte Gitarren-Passagen, ein torkelnd-unentschlossenes Piano-Solo von Jon Coward und vehemente rhythmische Arbeiten, die sich allerdings nicht aufdrängen.

    Bei "Don't Let Me Get Away" trägt Stokley Williams, der ehemalige Sänger und Schlagzeuger der Band Mint Condition, zur gesanglichen Geschlossenheit bei. Der Song groovt mild-elegant und verbreitet eine besänftigende Stimmung, die frei von Aggressionen ist. Für "Collision" steuert die Geigerin Regina Carter jauchzende und sehnsuchtsvolle Töne bei. Das Stück trägt kammermusikalische Modern-Jazz-Züge und erinnert deshalb an den transkulturellen Sound von Oregon, dem Jazz-World Music-Klassik-Ensemble um Ralph Towner.

    Mit sphärischen Hintergrundgeräuschen und einem brodelnd-zischenden Schlagzeug-Solo leitet das kurze "Meditation (Prelude)" zu "Rambo: The Vigilante" über, das mit Vernon Reid, dem ehemaligen Gitarristen von Living Colour, einen musikalischen Helden von Nate Smith präsentiert. Dem gehetzten Schlagzeug und dem missmutig grummelnden Bass stehen Synthesizer-Schwebeklänge entgegen. Das Saxophon von Jaleel Shaw führt ein isoliertes Eigenleben und Vernon Reid stört mit seiner E-Gitarre auch brachial einen möglichen melodischen Song-Aufbau, so dass der Track keine Ruhe finden kann.

    Amma Whatt, die American-Idol-Finalistin aus 2012 übernimmt für "I Burn For You" den sinnlichen Lead-Gesang. Jaleel Shaws Saxophon deckt tonal und atonal einige Ausdrucksmöglichkeiten ab und prägt dadurch das instrumentale Gesicht dieser spannenden Art-Pop-Landschaft. Das aus dem Opener "Altitude" bekannte und bewährte Team Joel Ross (Vibraphon) & Michael Mayo (Stimme) kommt auch beim Stück "See The Birds" zum Einsatz. Wiederum gibt es eine interessante Abwägung zwischen Eingängigkeit und Spieltrieb zu hören, wobei der Pegel eindeutig in Richtung Pop ausschlägt.

    Die Gästeliste wird für "Fly (For Mike)" um Brittany Howard, der wuchtig-voluminösen Stimme der Alabama Shakes, komplettiert. Hier haucht sie einen schmirgelnden Soul, der sich so eindringlich um die Noten rankt, als würde sie mit jedem Atemzug einen Teil ihrer Seele freilegen. Dieser Late-Night Jazz ist an Intensität kaum zu übertreffen und setzt einen Schlusspunkt, der Lust auf ein ganzes Album voll mit solchen Edel-Balladen macht.

    Das Album zeigt einen um Unabhängigkeit bemühten und nach Eigenständigkeit strebenden Musiker, der einige beachtliche Schöpfungen auf den Weg gebracht hat. "Kinfolk 2: See The Birds" ist ein Sammelsurium an Sounds und überfließenden Ideen, das jugendlichen Drang und schöpferische Freiheit sehr gut symbolisiert. Ein nahtloses Durchhören erfordert allerdings ein entsprechend breites musikalisches Interessen-Spektrum. Würde Nate Smith ein schlagkräftiges, hochkarätiges Song-orientiertes Werk mit Sinn für Melodie und Experiment zusammenstellen, was seine Ideen verdichtet, dann sollte er in Zukunft in einem Atemzug mit Jazz-Pop-Crossover-Größen wie Gregory Porter genannt werden.
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    24.09.2021
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Andy Warhols langer Schatten.

    Die 1960er und 1970er Jahre haben zahlreiche herausragende Alben und wegweisende Bands hervorgebracht. Dazu gehören natürlich die Beatles und Rolling Stones, aber auch The Doors, The Byrds, Buffalo Springfield, Van Der Graaf Generator, Little Feat, The Stooges, Steely Dan oder The Band. Nicht zu vergessen The Velvet Underground, die Hausband aus dem The Factory in New York, wo der Pop-Art-Künstler Andy Warhol seine Studios und Ateliers beherbergte.

    The Velvet Underground wurde 1964 gegründet und bestand zunächst aus Lou Reed (Gitarre, Gesang), John Cale (Bass, Bratsche, Keyboards, Gesang), Angus MacLise (Schlagzeug, Percussion) und Sterling Morrison (Gitarre). 1965 wurde MacLise gegen Maureen "Moe" Tucker ausgetauscht, die bis 1971 blieb. Außerdem kam auf Wunsch von Warhol noch die als Schauspielerin, Muse und Fotomodell tätige Nico aus dem Warhol-Dunstkreis dazu, die 1938 als Christa Päffgen in Köln zur Welt kam. Ein illustrer Haufen aus ernsthaften Künstlern und Amateuren, die in die Subkultur des "Big Apple" eintauchten und deren unterschiedliche Persönlichkeiten zur Einzigartigkeit der Gruppe beitrug.

    So absolvierte Cale ein Klavier- und Bratschen-Studium und arbeitete mit den Avantgardisten John Cage und LaMonte Young zusammen. Lou Reed hatte sich auch schon vor Gründung des Ensembles etabliert: Nach seinem Englisch-Studium arbeitete er nämlich als Songschreiber für Pickwick Records. Der literarisch interessierte Hobby-Musiker setzte sich nebenbei mit experimentellen Klängen auseinander und traf in diesem Zusammenhang zufällig auf Cale. Die Beiden beschlossen, ihre Erfahrungen und Ideen in ein gemeinsames Projekt münden zu lassen. Maureen Tucker brachte sich das Schlagzeug spielen selbst bei und kam nur durch Zufall zu den Velvets, weil sich der Gitarrist Sterling Morrison - ein Kollege von Reed bei Pickwick Records - nach dem Ausstieg von Drummer MacLise an die Schwester seines Kumpels Jim Tucker erinnerte.

    Der Bandname The Velvet Underground leitet sich übrigens von dem gleichnamigen Buch von Michael Leigh ab, das vom abseitigem Sexleben der amerikanischen Mittelschicht handelt. Aber nicht nur gesellschaftliche Belange, sondern auch die halbseidene New Yorker Underground-Szene und der Einfluss von Drogen prägten in hohem Maße viele Songs der visionären Musiker. Das Debut-Album "The Velvet Underground & Nico" wurde 1966 aufgenommen und kam 1967 im Frühling vor dem "Summer Of Love" in die Läden. Es erwies sich als der böse Gegenentwurf zur vorherrschenden Love & Peace-Hippie-Kultur. Statt bunter Träume drohten Horror-Trips.

    Das Cover der Platte wurde von Andy Warhol gestaltet: Die berühmte Banane, die sich abziehen ließ und unter der Schale rosa war. Das Werk erwies sich trotzdem zunächst als kommerzieller Flop, gilt aber heute zu Recht als eines der einflussreichsten Rock-Alben aller Zeiten, weil es viele Spielarten vorwegnahm. Dazu gehören unter anderem New Wave, Punk-, Glam- oder Noise-Rock.

    Den Opener "Sunday Morning" hatte Lou Reed eigentlich für Nico geschrieben. Er übernahm den Lead-Gesang dann aber doch kurzfristig selbst, für sie blieb nur noch etwas Hintergrund-Geträller über. Das Lied war dem Album als letzter Beitrag nachträglich zugewiesen worden, weil sich das ursprüngliche Veröffentlichungsdatum verschob und der Produzent Tom Wilson (Bob Dylan, Simon & Garfunkel, Frank Zappa) unbedingt noch einen Titel für eine erfolgsversprechende Single haben wollte. Alle anderen Songs wurden übrigens von der Band produziert, obwohl auf der Rückseite des Covers "Produced By Andy Warhol" steht. Das war nur ein Marketing-Trick, damit sich die Plattenfirma nicht zu sehr in den Entstehungsprozess einmischte.

    "Sunday Morning" ist ein Wolf im Schafspelz, denn musikalisch gibt sich das Lied lieblich und harmonisch, obwohl es inhaltlich von Paranoia handelt. Die Zeile "...es gibt immer jemanden, der Dich beobachtet" könnte eigentlich auch von George Orwells "1984" inspiriert sein und wirkt aus heutiger Sicht sogar prophetisch, denn in der Welt der Smartphones ist man nirgends mehr vor einer Verletzung der Privatsphäre sicher. Der Sound des Stückes wird vordergründig von einem Glocken-Piano bestimmt, das genauso klingt, wie es heißt. Das bedeutet, es erzeugt glockenhelle Töne, die John Cale einspielte und die einen kammermusikalisch-ernsthaften, wie auch unschuldig-frischen Effekt hervorrufen. Die mit Hall versehene Stimme von Reed bildet einen hintergründig beunruhigenden und rätselhaften Kontrast dazu. Generell geht es hier aber gesittet, harmonisch und eingängig zu. Die Interpretation von Michael Stipe (ex-R.E.M.) unterstreicht den ursprünglichen, am klassischen Kunstlied orientierten Ansatz mit einem verweht-romantischen Oboen-Intro und greift die wehmütige Stimmung des Originals solide auf.

    "I’m Waiting For The Man" erfährt eine trockene, minimalistische, schroffe, gehetzt-kaputte musikalische Umsetzung und enthält eine radikale Schilderung der Dealer/Konsument-Beziehung mit schmerzhaft-aggressiver Ausrichtung. Matt Berninger von The National bringt nicht die Dringlichkeit der Velvet Underground-Hymne in seine Sicht der Dinge ein, was hoffentlich damit zu tun hat, dass er bezüglich des Konsums von harten Drogen keine Erfahrung gesammelt hat. Seine Fähigkeit, scheinbar nicht zu vereinbarende Gegensätze in Gleichklang zu bringen, wendet er wieder einmal vorbildlich an. Er übersetzt kantige Songstrukturen dergestalt, dass sie emotional intensiv und trotzdem cool klingen.

    Nico intoniert das eindringliche Chanson "Femme Fatale" mit einer Stimme, die nicht durch Umfang, sondern durch ihren Charakter besticht. Ein Markenzeichen, dass auch Hildegard Knef, die größte Sängerin ohne Stimme - wie Ella Fitzgerald sie nannte - ausmachte. Nico offenbart sowohl die dunkle Seite der Seele, wie auch eine zurückhaltende sensible Weiblichkeit. Bei ihren Solo-Werken "The Marble Index" (1969) und "Desertshore" (1970) verbreitete sie nach ihrem Ausstieg bei The Velvet Underground eine unfasslich bittere, deprimierende, morbide Hoffnungslosigkeit, die im Pop ihresgleichen sucht. Sharon Van Etten macht in Begleitung von Angel Olsen als Gast-Sängerin aus der Vorlage eine betont langsame, bittersüße, von sanften Streichern durchzogene Late-Night-Jazz-Nummer, die den gesamten Schmerz der Welt auf sich zu vereinen scheint.

    Für "Venus In Furs", das von der Sado-Maso Novelle "Venus im Pelz" von Leopold von Sacher-Masoch von 1870 inspiriert ist, lässt John Cale seine Viola beängstigend und schrill heulen und jaulen. Maureen Tucker spielt stoisch die Bass-Drum und fügt etwas Tamburin-Geschepper hinzu. Das ungeschliffene Kratzen der trockenen E-Gitarre wirkt in diesem Mix wie ein ungebetener Gast, der sich frech und besserwisserisch einmischen will. Lou Reed möchte souverän, gar überlegen klingen, gleitet jedoch manchmal gesanglich in Gefilde ab, die Unsicherheit verraten. Andrew Bird & Lucius verwandeln den Track in einen mystischen Gothic-Folk, bei dem Birds Geige den psychedelisch-weltmusikalischen Rahmen spannt und die New Yorker Indie-Pop-Band Lucius für den verwunschen-betörenden Sound zuständig ist.

    Mit der Wahl von "Run Run Run" fühlen sich Kurt Vile & The Violators hörbar wohl. Der Ursprung von Reed, Cale & Co. verkörpert hingegen einen bösen Mersey-Beat mit stacheligem Rhythm & Blues-Herz, der nach Gewalt und Ärger riecht. Kurt Vile ist mit seinem psychedelischem Garagen-Rock gar nicht so weit weg von der originalen, gehetzten Power-Pop-Stimmung. Er zündet mit seinem schwungvollen, ungebremsten Glam-Rock-Boogie den Nachbrenner und versprüht dadurch jede Menge Spielfreude in Gedenken an T. Rex um Marc Bolan.

    Beim monoton klingelnden Piano-Sound der Folk-Rock-Ballade "All Tomorrow’s Parties" bringt John Cale seine Minimal-Art-Erfahrungen ein. Die Psychedelic-Rock-Gitarre hört sich an, als wäre sie aus "Eight Miles High" von den Byrds ausgeliehen worden. Tucker schlägt einen Takt, wie von einer Sträflings-Galeere und Nico singt selbstbewusst gegen die Erwartungshaltung an, Frauen-Stimmen müssten lieblich, wohlklingend und voluminös sein. Die verfremdeten Gesänge, die bei der Hörspiel-artigen Umsetzung von St. Vincent & Thomas Bartlett auftauchen, lassen zweifellos an Laurie Anderson denken. Vielleicht soll dieser Track auch eine Hommage an die Witwe von Lou Reed darstellen.

    "Heroin" ist eine in Noten gegossene Beschreibung des Drogen-Konsums, angesiedelt zwischen Faszination und Abscheu. Der Song wankt zwischen leise und laut sowie harmonisch und chaotisch, trägt versöhnliche und ekstatische Züge. Dieses Verzerrungs-Monster befindet sich bei Thurston Moore (Sonic Youth) und Bobby Gillespie (Primal Scream) in bewährten Noise-Rock-Händen. Bei ähnlichem Song-Aufbau setzen sie auch heftige Feedback-Töne ein, klingen dabei aber nicht so radikal, wie The Velvet Underground.

    2018 brachte die New Yorker Künstlerin Mikaela Mullaney Straus, die sich King Princess nennt, eine Version von "Femme Fatale" raus. Auf dieser Zusammenstellung ist sie mit "There She Goes Again" vertreten, das sie als flotten Power-Pop ausdrückt und dabei recht nah am Original bleibt. Der Song wurde bei seiner Erstveröffentlichung als lässig schwingender, das Tempo-variierender Pop-Song gestaltet. Er kam ohne schräge Zutaten oder krachende Wendungen aus. Die einnehmende Oberfläche kaschiert das ernste Thema des Liedes, denn es geht inhaltlich um Prostitution. The Velvet Underground bedienten sich beim markanten Haupt-Gitarrenriff übrigens ungeniert bei Marvin Gayes "Hitch Hike" aus 1962.

    Bei den Aufnahmen zu "I’ll Be Your Mirror" verlangte die Band von Nico, sie möge doch zart und introvertiert singen. Nico gab aber bei jeder neuen Aufnahme immer wieder aggressive Töne von sich. Der daraufhin aufkeimende Streit führte zum Nervenzusammenbruch der Sängerin und als Ultimatum wurde ihr noch eine letzte Chance gegeben, die Vorgaben einzulösen. Sie nutzte diese dann für eine perfekte Kulisse. Hätte das nicht geklappt, wäre der Song vielleicht nicht auf dem Album gelandet, zumindest nicht mit Nicos Gesang. So hören wir ein beinahe konventionelles Liebeslied mit einer Stimme, die teils ausdruckslos, teils flehend eine frostige, eigensinnige Ausstrahlung verbreitet. Die Faszination der Reduzierung treibt fragile Blüten. Courtney Barnett begleitet sich bei ihrer Aufbereitung zur akustischen Gitarre und benutzt als Taktgeber helle Schellen. Fun Fact: The Velvet Underground verwenden ein Gitarren-Riff, das an "You Really Got Me" von The Kinks aus 1964 erinnert. Barnett benutzt es auch und bringt somit den Rock & Roll ans Lagerfeuer.

    "The Black Angel’s Death Song" besteht aus Cales quietschender Bratsche, einem summenden Bass, einer stumpf schrammelnden E-Gitarre und Reeds Sprechgesang. Ab und zu bläst Cale dann noch ins Mikrophon. So bizarr und gleichförmig, wie sich die Beschreibung anhört, ist das Stück auch - also nichts für schwache Nerven. Die irische Post-Punk-Band Fontaines D.C. ersetzen die Viola durch E-Gitarren-Feedback und baut beharrliche Schlagzeug-Rhythmen ein, versuchen aber auch, eine kompromisslos provozierende Stimmung zu erzeugen. Das Stück gab einen Vorgeschmack darauf, was von The Velvet Underground an Reizüberflutung und Schräglage auf dem Folgealbum "White Light/White Heat" von 1968 noch zu erwarten ist.

    Das derbe, nervenaufreibende "European Son" wird häufig übergangen, da es sehr anstrengend anzuhören ist. Dieses wüste, kakophonische Underground-Hillbilly-Stück hat Lou Reed seinem Mentor, dem Schriftsteller Delmore Schwartz, gewidmet und weil der keine Texte in Rockmusik mochte, gibt es nach einer von sieben Minuten keinen Gesang mehr. Das Stück zeigt auf, woher Iggy Pop für seine Stooges manche Anregungen erhalten hat. Dabei brauchte er damals etwa ein halbes Jahr, um von "The Velvet Underground & Nico" vollends überzeugt, ja sogar besessen zu sein. Das zeigt, dass es sich nicht um leichtgängigen Stoff handelt, sondern um Musik, die man sich zum Teil schwer erarbeiten muss. Grade deswegen ist Iggy Pop genau der Richtige, um zu demonstrieren, warum "European Son" für ihn und seine musikalische Entwicklung immens wichtig war. Als Partner hat er den gleichgesinnten Sänger und Gitarristen Matt Sweeney (der unter anderem auch mit Bonnie "Prince" Billy musizierte) an seiner Seite, der diese rasante Höllenfahrt, die von einem unnachgiebig schnellem Bass, spitzen Schreien und Feedback-Salven durchzogen ist, unterstützt.

    Die Interpretationen der Velvet-Underground-Klassiker sind stilistisch offen, teils wagemutig, teils ehrfürchtig. Das heißt, manche orientieren sich stark am Original, andere wiederum deuten die Ursprungsfassung neu. Beides ist angemessen und sagt zunächst nichts über die Originalität oder Qualität aus. Eine Inspiration kann schließlich zur würdevollen Nachahmung oder zu abgeleiteten, wegführenden Ideen führen. Wobei ein reines Nachspielen, das so dicht wie möglich am Original sein will, keinerlei künstlerischem Anspruch genügt. Solch eine Reproduktion findet hier allerdings nicht statt, schließlich sind die versammelten Musiker allesamt für ihre Kreativität bekannt, sie haben eben nur unterschiedliche Herangehensweisen und Wahrnehmungen. Was diese Zusammenstellung uneinheitlich, aber auch spannend macht.

    Gut, nicht alle Versionen sind leicht verdaulich, aber das ist auch nicht der Anspruch, den man an "The Velvet Underground & Nico" haben konnte und an "I`ll Be Your Mirror" haben sollte. Es handelt sich schließlich um eine Hommage einiger Künstlerinnen- und Künstler, denen das Album sehr viel bedeutet, ihnen die Ohren als Erweckungserlebnis geöffnet oder sie dazu gebracht hat, selbst Musiker (-in) zu werden. In diesem Sinne ist "I'll Be Your Mirror: A Tribute To The Velvet Underground & Nico" als eine Bestandsaufnahme und Widmung an den unerschrockenen Pioniergeist von The Velvet Underground zu sehen und aufgrund seiner Bandbreite auch repräsentativ und gelungen.
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    17.09.2021
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Der Hippie-Traum ist längst vorbei, aber die Macht der psychedelischen Töne wird durch den Mild High Club am Leben gehalten.

    Der Mild High Club ist im Kern der Multiinstrumentalist Alexander Brettin, der sein Domizil passenderweise von Chicago nach Los Angeles verlegte, denn das dortige Lebensgefühl spiegelt seine musikalischen Inhalte besser wider. So einfach ist das und doch so komplex, denn Brettin legt von Fall zu Fall im Detail fest, welche Wendungen er für seine Kompositionen nutzt und welche Gastmusiker benötigt werden, um bei der Erschaffung der eigentümlichen Musik besondere Akzente zu setzen.

    Für das dritte reine Mild High Club-Werk gilt das gleiche, was auch schon für "Timeline" (2015) und "Skiptracing" (2016) galt: Die Musik orientiert sich hauptsächlich am Psychedelic- und Harmony-Pop sowie dem Soft-Rock und Easy-Listening-Sound der 1960er und 1970er Jahre. Dazu fallen als Referenz Namen wie The Beach Boys, The Association, Harpers Bizarre, Burt Bacharach oder Sergio Mendes ein.

    Aber es gibt noch wesentlich mehr Anhaltspunkte zu bestaunen: So hört sich "Dionysian State" wie ein vergessener Pop-Jazz-Outtake von Steely Dans "Aja" an, der allerdings in diesem Fall klingt, als sei er betrunken eingespielt worden. Das kurze Zwischenspiel "Trash Heap" hat gleich mehrere Gesichter: Ein schläfriger Fake-Bossa Nova, swingende Piano-Jazz-Figuren und elektronische Gimmicks lassen eingangs einen verdrehten, aber sommerlichen Song erwarten. Der Track bricht jedoch nach etwas über einer Minute plötzlich ab. So verschwenderisch geht Alexander Brettin mit seinen Ideen um!

    "Taste Tomorrow" vermittelt den Eindruck, als wäre das Lied dem Kochtopf einer Voodoo-Hexenküche entsprungen. Träge Smooth-Soul-Takte machen den Anfang. Dann stoßen flatternde Keyboard-Schwärme hinzu und es setzt ein von Fieber oder Drogen beeinflusster, hallend-langgezogener Gesang ein, der dem Stück bei seinem bizarren Verlauf eine seltsame Konstante verleiht. Es folgen holprige Passagen, hastende Klavierläufe, sonderbar entrückte Chorstimmen und ein immer langsamer werdender Abschluss, der von absichtlichen Tonstörungen geplagt wird.

    Für "A New High" wird die gute alte Bossa Nova reaktiviert, jene brasilianische Musikrichtung, die sowohl Melancholie wie auch gediegene Lebensfreude ausdrücken kann. Schützenhilfe gibt es dabei von der brasilianischen Sängerin Samira Winteron, die ihre jugendlich-laszive Stimmlage genüsslich über den Track verteilt. Aber natürlich produziert der Mild High Club keine klassische, traditionelle Auslegung des Brazil-Sounds. Hier zirpt, brummt und klimpert es, dass es eine Freude ist, aber schräge Einfälle wie plötzliche Bläser-Sätze, wallende Chor-Stimmen und vergnügte Piano/Synthesizer-Duelle sorgen für unerwartete Ablenkungen von der sommerlichen Entspannung.

    Im schwelgenden Latin-Disco-Funk-Rhythmus geht es mit "It’s Over Again" relativ konventionell weiter. Gewagte Loops eröffnen im Anschluss "I Don’t Mind The Wait", das danach in einen erneuten Bossa Nova-Reigen einsteigt und für eine gelassene Heiterkeit oder einen erfrischenden Müßiggang sorgt. Diese Gegensätze sind durchaus Teil des Konzeptes, weil sie Kontroversen ausdrücken und somit für eine innere Spannung zuständig sind.

    Cool-Jazz mit Bestandteilen von Funk und Elektronik speisen den Inhalt von "Dawn Patrol", eine weitere kurzen Episode, die ein schnelles Ende findet. An leiernden Sounds hat Alexander Brettin wohl seinen Spaß, denn auch "Waving" fällt durch Töne auf, die sich anhören, als stammten sie von einem kaputten Kassetten-Rekorder. Mal laufen sie etwas zu schnell, dann wieder etwas zu langsam. Der Song beginnt als "Field-Recording" mit Umweltgeräuschen und ruckelt sich danach taumelnd zu einem bedächtigen Electro-Soul-Pop zurecht.

    "Me Myself And Dollar Hell" beruft sich wieder auf eine Pop-Jazz-Eleganz, wie sie von Steely Dan perfektioniert und von Mayer Hawthorne wiederbelebt wurde. Das Stück ist cool, clever und infektiös, wenn es um den Ohrwurm-Faktor geht. Am Ende gibt es mit "Holding On To Me" nochmal eine kuriose Soundspielerei: Den rauschend-wehenden Klangflächen werden Effekte verpasst, die sie defekt erscheinen lassen, worauf der Smooth-Soul-Gesang versucht, diese kritische Situation zu retten. Aber schon bald ist die Gelegenheit verpasst, denn der etwas über eine Minute lange Soundschnipsel ist vorbei. Zwischendurch gibt es übrigens noch zwei unterschiedliche Instrumental-Titel zu hören, die aus der experimentellen "Smile"-Phase der Beach Boys ("Kluges I") oder von einer Funk-Jazz-Band wie The Crusaders stammen könnten ("Kluges II").

    Bei aller gelegentlichen Schrulligkeit ist "Going Going Gone" keine Sammlung von ausgeflipptem Freak-Pop, sondern ein Bekenntnis zum Recht auf sonderbare Arrangements mit Hang zur verzückten Träumerei. Die berauschende Wirkung einer solchen Vorgehensweise kannte schon der Pink Floyd-Gründer Syd Barrett, als er im Jahr 1967 für Songs wie "Arnold Layne" und "See Emily Play" betörende Melodien mit seltsamen psychedelischen Tönen versah und dadurch Pop mit einer langen Haltbarkeit erschuf. Mild High Club führen diese Tradition gewissermaßen als Erben dieses Sounds fort und bringen einige merkwürdige, jedoch mild gestimmte Songs zustande, die aufhorchen lassen.
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    Local Valley José González
    Local Valley (CD)
    17.09.2021
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Multikulti und eine sensitive Vorstellungskraft führen bei "Local Valley" zu einer musikalischen Erfolgsgeschichte.

    José González wurde 1978 in Schwedens Metropole Göteborg als Sohn argentinischer Einwanderer geboren. Sein Vater motivierte und unterstützte ihn bei der frühkindlichen Musikerziehung und so stammten seine ersten Übungs-Lieder auf der akustischen Gitarre von den Beatles und aus dem reichhaltigen Bossa Nova-Song-Zyklus. Über Erfahrungen mit Punk und Metal kam er als Jugendlicher auch zum Jazz und Folk, was seine eigenen Songs bis heute stark prägt. Anmutige Raffinesse und einfühlsame Sinneswahrnehmungen sind Hauptzutaten der grazilen Gebilde, die auf den bisherigen drei Solo-Alben verteilt sind.

    2015 erschien das bisher letzte Album des feinsinnigen Musikers mit dem Titel "Vestiges & Clawes". Davor gab es "Veneer" (2003) sowie "In Our Nature" (2007) und dann natürlich "Fields" (2010) und "Junip" (2013) von seiner Band Junip. Trotz der sechsjährigen Veröffentlichungspause war José González eigentlich nie so ganz weg. Immer wieder hört man seine Songs als Untermalung in Filmen und Fernsehspielen. Mindestens "Line Of Fire" von Junip dient gerne als Bereicherung von privaten Song-Zusammenstellungen (früher nannte man sowas übrigens "Mixtape"). Und genau dieses großartige Lied befindet sich jetzt als Remake auf dem aktuellen, vierten Werk von José González, das "Local Valley" heißt und am 17. September 2021 erscheint.

    Auf "Junip" erwies sich "Line Of Fire" als ein epischer, sensibler Electro-Folk mit einem optimistisch-aufbauenden Groove. Aktuell ist der Song mit 3 Minuten nur noch halb so lang und wird mit trauriger Stimme in schleppendem Tempo zur akustischen Gitarre vorgetragen. Dadurch wird ihm seine ursprüngliche hypnotische Wirkung genommen. Er gewinnt jedoch an Intimität und Tiefgang. Das sind Tugenden, die häufig auf "Local Valley" zu finden sind.

    José hat einen charmanten, sensibel-intelligenten Charakter, wodurch er auch bei sparsam und fragil instrumentierten Liedern überzeugen kann. So wie mit "El Invento", einem freundlich gestimmten Lied, bei dem die akustische Gitarre Freund, Stütze und Trost zugleich ist. González singt so sanft, verführerisch und erhaben, dass es zwecklos ist, sich gegen die Verlockung der anziehenden Töne zu wehren. Naturgeräusche begleiten den gemächlichen, ausgeruhten Folk-Song "Visions" auf seinem unspektakulär erscheinenden Weg. Dabei entstehen Erinnerungen an "Blackbird" von den Beatles.

    Auch das ruhige, empfindsame Abschluss-Stück "Honey Honey" scheint in freier Natur aufgenommen worden zu sein. Durch das etwas tiefere Timbre als gewöhnlich lässt es an den großen Folk-Barden Fred Neil denken, dem wir unter anderem den Song "Dolphins" zu verdanken haben, den Tim Buckley mit einer grandiosen Cover-Version geadelt hat. Aber das ist eine andere Geschichte. "The Void" verhält sich undurchsichtig-rätselhaft. Den Song umgibt eine dunkle Aura, die mitunter spirituelle Züge annimmt. Das gilt im Prinzip auch für "Horizons", wobei hier zusätzlich noch beim Gitarre-Spiel der Geist von Leonard Cohen beschworen wird.

    Mit "Head On" kommt ein belebender Takt ins Spiel, der das Lied mit Energie speist. Der souverän-kontrollierte Gesang tariert das Temperament so aus, dass der Track unter der Oberfläche leicht vor sich hin kocht. "Valle Local" klingt nach ethnischer, ursprünglicher Folklore aus Afrika oder Vorderasien, die sehr stumpf, gleichförmig und pochend interpretiert wird. Auch "Lilla G" gehört in diese Kategorie, hier ist es besonders der Gesang, der afrikanische Wurzeln vorweist.

    José González definiert "Lasso ln" als romantische Western-Ballade, auch wenn eine Drum-Machine unveränderliche, trockene Schläge vorgibt, wie sie in den 1980er Jahren angesagt waren. Gegensätze ziehen sich bekanntlich an! "Swing" erreicht eine ähnlich exotische Wirkung durch die Verbindung von monotonen elektronischen Trommeln in Verbindung mit Gitarren-Linien, die vom Afro-Beat von Fela Kuti beeinflusst sind. "Tjomme" ist ein tanzbares Stück mit ansteckendem Weltmusik-Groove, das auch seine Verbindung zu Afrika offenbart, aber seine Fühler zusätzlich bis nach Brasilien ausstreckt. Zurück in Schweden: Man spürt quasi die Einsamkeit des langen Winters, die "En Stund Pa Jorden" (= Ein Moment auf der Erde) - eine Cover-Version der iranisch-schwedischen Künstlerin Laleh - einhüllt. Aber der warmherzige Gesang vertreibt jegliche Ungemütlichkeit und so kommt dieses Lied feierlich (hat jemand weihnachtlich gesagt?) und ernsthaft rüber.

    Drei Sprachen (englisch, schwedisch, spanisch) und mehrere Darstellungsebenen werden den Songs von "Local Valley" zugeordnet. Der Blick geht hinaus in die Welt und die Klänge erscheinen als global ausgerichtete Hymnen, deren Entstehung im Prinzip unabhängig von Land und Leuten ist. Musik ist eben eine universelle Sprache, die unterschiedliche Schwingungen miteinander verbindet und Menschen vereint. José González schaut in die Herzen und öffnet sich den Kulturen. Seine Schöpfungen berühren tief, weil sie frei von Zorn und Hass sind. Songs mit meditativer Wirkung existieren neben rhythmischen Gebilden und schaffen eine Eintracht zwischen introvertiertem und extrovertiertem Dasein. Dem einen oder anderen Song täte eventuell eine Straffung gut, aber was ist das schon für ein geringer Makel, gemessen im Vergleich zu der enormen Harmonie und Lebenskraft, die die Musik aussendet.

    Der Titel "Local Valley" hat eine Doppelbedeutung: Er steht als Sinnbild für unsere Erde, die es als wichtigste Aufgabe der Menschheit zu erhalten gilt. Daneben verbirgt sich ein Hinweis darauf, dass sich Völker oft gegeneinander abgrenzen, weil sie die Perspektive des jeweils anderen nicht akzeptieren. González wirbt für Vernunft und Verständnis. Dahinter verbirgt sich ein humanistischer Ansatz ohne politische Richtung, der in Verbindung mit der Nutzung menschlicher Intelligenz geeignet wäre, unsere weltweiten Probleme bewältigen zu können.
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    17.09.2021
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Das zweite Album von Falkevik zeichnet sich durch anspruchsvolle Eingängigkeit und nachvollziehbare Komplexität aus.

    Man stelle sich vor, es gäbe keine Genre-Schubladen, also zum Beispiel keine Einteilung in Kategorien wie Jazz oder Pop. Dann könnte Musik nur anhand ihrer Wirkung oder daran, welche Klang-Assoziationen Instrumente oder Stimmen hervorrufen, beschrieben werden. Die entstehenden Empfindungen könnten auch die Bezeichnungen von Duftnoten bekommen, wie blumig-süßlich oder prickelnd-herb. Aber Musik mit Worten zu beschreiben sei ja laut Frank Zappa genauso sinnvoll, wie zu Architektur zu tanzen. Dieser Ausspruch soll den Sinn oder Unsinn entlarven, der sich dahinter verbirgt, einen komplexen Zustand schriftlich zu erfassen. Natürlich wird ein durch Klänge erzeugtes Gefühl individuell unterschiedlich wahrgenommen, aber Sprache und Schrift sind so mächtig, dass es durch sie gelingen kann, gedankliche Vorstellungen eindrucksvoll und bildhaft darzustellen.

    Und was hat das jetzt alles mit "New Constellations", dem zweiten Album des Trios Falkevik aus Norwegen zu tun? Genauso viel, wie mit jeder anderen Veröffentlichung, die den Anspruch erheben darf, so objektiv und leidenschaftlich wie nur möglich beschrieben zu werden. Die Falkevik-Klänge sind aber zugegebenermaßen - wie jede komplex-vielfältige Musik - am Ende doch mehr als die Summe ihrer Teile oder das Ergebniss jeglicher Erklär-Versuche. Aber dennoch sollte es gelingen, die Töne durch einen Reigen von Assoziationen in ein rechtes Licht zu rücken, einfach weil es sich anspruchsvolle Musik verdient hat, dass man sich für sie tüchtig ins Zeug legt.

    Für Falkevik ergibt sich die Frage nach einer angemessenen Beurteilung auch deswegen, weil die Gruppe eine wirkungsvolle Form des musikalischen Ausdrucks gefunden hat, bei dem der Fusionsgedanke eine zentrale Stellung einnimmt. In Folge dessen würde sich eine Auseinandersetzung auf Basis einer Genre-Einteilung nur auf die Definition des Pop- oder Jazz-Einflusses beschränken müssen. Das würde zu Lasten der Würdigung des Verschmelzungs-Gedanken gehen. Deshalb nun also eine Rezension, die sich auf Gedankengänge stützt, die spontan beim Hören der Musik entstanden. Dabei floss noch die eine oder andere Referenz zu gleichgesinnten Künstlern ein.

    Falkevik besteht aktuell aus der Namensgeberin Julie Falkevik Tungevåg, die für die Kompositionen und die Bedienung der Tasteninstrumente zuständig ist. Neben ihrem unaufgeregten Gesang sorgt sie durch die Einspielung von elektronischen Effekten für einen möglichst abwechslungsreichen Sound. Ellen Brekken spielt sowohl einen elektrisch verstärkten wie auch einen akustischen Bass und Marius Trøan Hansen ersetzt Veslemøy Narvesen und Elisabeth Mørland Nesset am Schlagzeug und an den Percussion-Instrumenten. Vielleicht resultiert aus dem Wechsel an den Drums sogar der Titel "New Constellations".

    Auf Kurs bleiben, sich nicht von seiner Meinung, Einstellung oder Denkrichtung abbringen lassen, das steckt hinter dem Titel "Keep The Coordinates". Das ist heutzutage wichtiger denn je. Dazu gehört es auch, wachsam zu bleiben und Beeinflussungen gewissenhaft von allen Seiten zu prüfen, bevor man sich auf irgendwelche Parolen einlässt. Das Stück lässt ausgeglichenen Optimismus erkennen. Das Schlagzeug federt cool, der Bass ist ein kräftiger Begleiter und das Piano präsentiert sich als gutmütiger und selbstbewusster Wegweiser bei diesem vollmundig-melodischen Song. Julies Stimme ist ausgeruht-flüssig und verfügt über ein kontrolliert-laszives Timbre. Dem Titel entsprechend halten die Musiker (-innen) den beschriebenen musikalischen Kurs, obwohl es zwischendurch noch ein etwas aufgewühltes Piano-Solo gibt, das aber nicht außer Kontrolle gerät.

    "When We Let Go" verbreitet Alarmstimmung, denn es geht um die Beschwörung von Leitsätzen. Der Gesang ist manchmal in einem Frequenzbereich unterwegs, der an Sirenen erinnert. Das Klavier wogt in Erregung und der standhafte Bass versucht, die Stimmung grummelnd unter Kontrolle zu bringen. Daneben gibt es auch schwelgende Momente, nach denen der Track immer wieder Fahrt aufnimmt, was dem Stück einen maritimen Eindruck in Form von unterschiedlichem Seegang verschafft.

    Das ausgeruhte, beinahe meditative "Traveler" wird nur durch wortlosen Hintergrund-Gesang von Marius Trøan Hansen gestützt. Ansonsten handeln Piano, Bass und Schlagzeug gleichberechtigt und plätschern im positiven Sinne beruhigend dahin, wie ein Gebirgsbach, der noch ein Rinnsal ist. Zunächst fließen für das Stück "New Constellations" persönliche Erkenntnisse formelhaft auf Basis von tropfenden und rumpelnden Klängen ein. Danach wendet sich das Blatt. Das Stück bekommt aggressive, kraftvolle Züge verordnet, um dann in einen experimentell-rauschhaften Zustand zu verfallen. Danach beginnt dieser Ablauf wieder von vorn und das ganze Konstrukt wird von Textzeilen begleitet, die Anstrengungen, Bedrohungen und Zwänge aufzählen, welche das Leben schwer machen.

    Ein lebensbejahend-luftiger Takt trägt "Changeable" über die Zeit, wobei Falkevik auch hier Dynamikabstufungen einbauen, so dass es auch lyrische und improvisierte Passagen zu hören gibt, die dem Song abwechselnd eine glatte oder raue Oberfläche verschaffen. Veränderungen können Angst machen, "Changeable" rät poetisch dazu, die Angst wie eine schöne Verkleidung zu ertragen. Der Velvet Underground-Gründer John Cale ging in diesem Punkt sogar noch einen Schritt weiter, als er einst behauptete, dass die Angst der beste Freund des Menschen sei. Als Schutzmechanismus mag das stimmen, wenn sie jedoch die Gedanken lähmt, ist sie kein guter Ratgeber. Der Instrumental-Titel "In Public" hält sowohl klare, kühle Strukturen von romantischer Güte, wie auch gewagte Spielereien mit präpariertem Klavier bereit. Das wirkt insgesamt nicht so schlüssig und überzeugend wie die bisherigen Beiträge.

    Eine "Amputation" ist im wahrsten Sinne eine einschneidende Maßnahme mit katastrophalen Folgen für Leib und Seele. Hier geht es allerdings anscheinend um eine toxische Beziehung. Entsprechend wird das Stück auch von brutalen, unruhigen, beängstigenden und provozierenden Tönen begleitet. Das Tasteninstrument klirrt wie zerberstendes Glas und der Gesang scheint aus einem muffigen Keller zu kommen. Der Art-Punk von Peter Hammills "The Future Now" (1978) und "pH7" (1979) hört sich ähnlich klaustrophobisch an. Bei Hammill trägt der Geiger Graham Smith (ex-String Driven Thing) mit flirrend-nervösen Klängen zu der bedrückenden Spannung bei, hier ist es der norwegische Saiten-Spezialist Ola Kvernberg.

    Ola Kvernberg ist auch bei "Amplify Me" eine Stütze und Bereicherung des Klangspektrums. Nach etwa zwei Minuten, in denen die Band einen hypnotischen Sound aufbaut, trägt er durch seine orientalischen Töne dazu bei, das Stück in fremde Gefilde eintauchen zu lassen. Die Lyrik ist nicht eindeutig, lässt deshalb auch mehrere Schlüsse zu. Vielleicht geht es um das ständige Streben nach mehr Ansehen oder Ruhm, dessen Druck nicht zu bewältigen ist. Deshalb wird eine andere Person gesucht, deren Energie zur Kompensation abgesaugt wird. "Energy Vampires" nannte der schon zitierte Peter Hammill solche Leute beim gleichlautenden Song vom Album "The Future Now" aus 1978.

    "Walts" ist ein weiterer Instrumentaltitel, bei dem sich Tasten und Bass zu einem Dialog treffen, wobei sich die fragenden, nachdenklichen Töne immer mehr annähern und dann gar nicht mehr eindeutig voneinander zu unterscheiden sind. Wie schon beim Erstlingswerk, so wurde auch für "New Constellations" der letzte Track in schwedischer Sprache vertont. Unschuldig und rein, sowie ein wenig verloren und traurig klingt "Og så gikk eg med vill igjen", was soviel wie: "Und dann habe ich mich wieder verlaufen" heißt. Das Lied vermittelt eine innere Einkehr, die von kristallklaren, ausgeruhten Noten begleitet und mit viel Umsicht und Demut dargeboten wird.

    Was darf von "New Constellations" erwartet werden? Wem der Vorgänger "Louder Than I`m Used To" von 2018 schon gefallen hat, der wird auch das zweite Werk von Falkevik schätzen. Die Stärken der Musiker (- innen) wurden konserviert und teilweise sogar ausgebaut. So ist zumindest hinsichtlich der Melodik noch eine Schärfung gegenüber den bisherigen Aufnahmen zu vernehmen. Den Gesang von Julie Falkevik Tungevåg einfach nur als schön und sauber zu bezeichnen, greift zu kurz. Er ist Motor und Seele der Musik. Seinetwegen werden aus intelligenten Kompositionen besonders ausdrucksstarke Songs. Bei der Musik kommen sowohl Wohlklang-Enthusiasten wie auch Kunst-Versteher auf ihre Kosten, denn die Kompositionen bieten anspruchsvolle Eingängigkeit wie auch nachvollziehbare Komplexität. In dieser Hinsicht steht Falkevik schon jetzt auf einer Stufe mit Norah Jones, Jaimie Cullum oder Gregory Porter.
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    Parallel Timeline Slothrust
    Parallel Timeline (CD)
    10.09.2021
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Entgegengesetzt wirkende Kräfte, die aufeinander abgestimmt sind, bestimmen die Abläufe und Ereignisse auf "Parallel Timeline", dem fünften Album von Slothrust.

    Slothrust ist ein Trio aus Boston, Massachusetts, dessen Aushängeschild die Sängerin, Komponistin und Gitarristin Leah Wellbaum ist. Als Frontfrau dieser unkonventionell und Genre-übergreifend agierenden Rock-Band geht sie bewusst kompositorische Risiken ein und wird dabei beständig, rebellisch und phantasievoll von ihren Kollegen Kyle Bann (Bass) und Will Gorin (Schlagzeug) in Szene gesetzt. Obwohl Leah auch laut und aggressiv auftrumpfen kann, ist sie keine typische Rock-Röhre, sondern beweist ihre Anpassungsfähigkeit, indem sie zwischen Bissigkeit und Sanftmut vermittelt.

    Entsprechend mehrdeutig und emotional verästelt sind viele Songs ausgefallen: Man stelle sich eine Verschmelzung zwischen "Zombie" von den Cranberries mit Gitarren-Attacken aus "Ramada Inn" von Neil Young & Crazy Horse vor, die durch Laurie Andersons-Gesangs-Verfremdungen und zickige Funk-Splitter angereichert wird. Dann bekommt man eine Vorstellung davon, wie "Cranium" klingt. Hier finden sich einige Stilübungen wieder, die sich durch das gesamte neue Slothrust-Werk ziehen, das ab dem 10. September 2021 in den Plattenläden steht: Melodischer Gitarren-Rock, kräftig-zerrender Garagen-Rock, luftig-weitläufiger Folk-Rock, psychedelischer Art-Pop und gegen den Strich gebürsteter New Wave-Sound. Das alles wird durch die an jede Regung angepasste Stimme von Leah Wellbaum zusammen gehalten.

    Druckvoll und herausfordernd stürzt sich "Once More For The Ocean" ins grenzenlos optimistische Geschehen, welches von einer hohen Geschwindigkeit zu Höchstleistungen angestachelt wird. Bei all seinem sprühenden Schwung bleibt der Song dennoch charmant und differenziert. Das zum Ende eingeflochtene Gitarren-Solo gebärdet sich selbstsicher und triumphierend, was der tatkräftigen Unterstützung der stämmigen Rhythmusgruppe zu verdanken ist.

    Mit "Courtesy" binden Slothrust eine grundsätzlich unsentimentale Ballade ein, die im Verlauf ihre derbe Seite offenbart und somit entkrampfende Dynamiksprünge bereit hält. Auch "The Next Curse" beginnt verhalten, dreht dann aber zu einem förmlich vor Energie berstenden Stück auf, das auch aus der Feder von Kurt Cobain von Nirvana stammen könnte.

    "Strange Astrology" ist ein durchgängig ruhiger Track, der seine ausgleichende Wirkung über die gesamte Laufzeit von vier Minuten verteilt. Das gilt im Prinzip auch für "King Arthur’s Seat", wo sich die reife Pop-Seite der Band zeigt. Der Song lockt mit einem dezenten Barock-Klangbild, das dem verträumt-wehmütigen Anschein einen würdigen Anstrich verpasst.

    Gleichbleibende Stimmungen innerhalb eines Songs sind die Ausnahme bei den ansonsten eher mehrdimensional aufgebauten "Parallel Timeline"-Stücken, die oft laute und leise Strömungen neben- und übereinander präsentieren. So wie bei "Waiting": Während das Piano für Ergriffenheit und der Gesang für Pathos, Wohlklang und Drama sorgt, tobt sich die E-Gitarre mit dröhnend-vibrierenden Tönen ordentlich aus und die Rhythmus-Fraktion bringt zusätzlich Leben in die Bude.

    Der wolkig-ätherische Folk von "A Giant Swallow" kann nach einiger Zeit durch ein nach vorne gemischtes, unnachgiebig marschierendes Schlagzeug auf den Boden der Tatsachen zurück geholt werden. Bei der Classic-Rock-Ballade "White Rabbits" entlädt sich die Intensität nach romantischem Beginn in einem gleißenden Gitarren-Solo. Mit dem harmonischen, mehrstimmigen Folk-Rock "Parallel Timeline" verabschiedet sich das Trio dann ausgleichend-versöhnlich.

    Rock-Musik, die visionär, forschend sowie neugierig ist und dabei Zartes und Hartes berücksichtigt, ist nicht an der Tagesordnung. Slothrust stürzen sich mit "Parallel Timeline" in das Experiment, eine für sie neue Form der Wahrnehmung zu ergründen, wobei sie als kreative Musiker neugierig versuchen, Rock-Musik anders zu definieren, ohne die sattsam bekannten Poser-Klischees zu bemühen. Ihr Grunge-Rock ist erwachsen geworden, hat aber nicht seine Zähne verloren, stellt sich nur vielseitiger auf, was der Vielfalt zugute kommt. Hinzu kommt, dass Leah Wellbaum mit dem Album einen philosophischen Ansatz verfolgt: Da wir im Grunde genommen immer auf uns selbst gestellt sind, ist es sinnvoll, seine eigene Spiritualität zu ergründen, um sich in der Gegenwart mit allen Gegebenheiten arrangieren zu können.

    Die Beobachtung, dass konträre Gegebenheiten wie Liebe oder Hass, Leben oder Tod unser Dasein durchziehen und bestimmen, scheint die Basis der Motivation für die Entstehung von "Parallel Timeline" gewesen zu sein. Bei den Liedern bekommen wir es mit Gegensätzen wie Wut und Zärtlichkeit oder Melodie und Improvisation zu tun. Oft laufen diese Dinge in einem Song ab, um zu symbolisieren, dass das Leben kein einfacher, ebener Weg ist, sondern ständig von unvorhersehbaren Ereignissen beeinflusst wird. Slothrust demonstrieren mit "Parallel Timeline" eine musikalische Weiterentwicklung, die eine unerschrockene Öffnung zu Gunsten von neuen Erfahrungen bedeutet. Das ist auf jeden Fall ein sicherer Weg, um Stillstand zu vermeiden. Der erste Schritt der Diversifizierung ist jedenfalls gelungen, die Metamorphose sollte aber noch nicht abgeschlossen werden, denn hier ist der Weg das Ziel.

    Leah Wellbaum hat bei aller Ernsthaftigkeit bezüglich ihrer sachlichen Weltanschauung noch einen tröstenden Aspekt parat, denn sie ist überzeugt, dass sich hinter den Einschränkungen, die wir aufgrund unserer angepassten, aber nicht optimalen Sinne erfahren, noch eine erfreuliche Verbindung zum Universum verbirgt. Möge sie recht behalten!
    Meine Produktempfehlungen
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    You Don't Feel Like Home Jack In Water
    You Don't Feel Like Home (LP)
    27.08.2021
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    4 von 5
    Pressqualität:
    4 von 5

    Vergangenheitsbewältigung für gefestigte Gemüter: Jack In Water führt geläutert durch ein Tal der Tränen.

    "You Don't Feel Like Home" hat einen therapeutischen Ansatz: Der britische Musiker Will Clapsen verkörpert als Jack In Water auf seinem ersten Album - das am 27. August 2021 erscheint - einen sensiblen, nachdenklichen Singer-Songwriter, der sowohl positive wie auch negative Eindrücke aus seiner Kindheit und Jugend verarbeitet. Mit einem gewissen Abstand konnte er seine Erlebnisse und Gedanken jetzt richtig einordnen und die unangenehmen Erfahrungen akzeptieren. Aus dieser Inspiration heraus erschuf er intim-ergriffene Töne, wobei die Songs um Themen wie Familie, Freundschaft und Liebe kreisen, aber auch Probleme behandeln, die aus sexuellem Missbrauch, Alkoholismus und dem allgegenwärtigen Tod resultieren. Das pralle Leben mit all seinen Haupt- und Nebenschauplätzen, seinen Freuden und den tragischen Momenten spiegelt sich wider und wird poetisch in rätselhafte Gleichnisse gehüllt. Die Noten erklingen dazu liebenswert und anmutig, wobei jedoch Grauschleier und dunkle Schatten auf sie fallen.

    Der Titel-Song ist das Protokoll einer Entwurzelung oder einer Trennung oder eines nahenden Todes. Alles ist möglich. Wenn das Gefühl der Geborgenheit fehlt, dann kann Eiseskälte die Seele befallen. Um dieses Gefühl der Isolation zu vermitteln, wurden die Noten würdevoll angeordnet und dazu erhabene Schwebeklänge sowie pastorale Chorstimmen inszeniert, die eine getragene Stimmung erzeugen. Der swingend-groovende Rhythmus ist dabei der Rettungsanker, der für Bodenhaftung sorgt. Der sanft leidende Lead-Gesang justiert das Lied nebenbei als gefühlvoll-sakrale Ballade.

    "Beast Behind Your Eyes" manövriert sich durch dunkle Situationen, wobei die Zustände zunehmend aussichtsloser wirken. Will Clapsen ist bestrebt, Empathie zu zeigen, ohne in Schwermut zu verfallen, was jedoch nicht immer gelingt. Dennoch ist seine gelassene, langsam erzählende Stimme der Dreh- und Angelpunkt für Zuversicht, weil sie als Lotse in schwerem Fahrwasser fungiert. "Just Smile" lässt dann durch Accessoires wie scharfe Blechblas-Töne nebst druckvollem Gesang in Kombination mit einem strammen Rhythmus eine gewisse kämpferische Aggression erkennen, die nicht in gewalttätige Rebellion umschlägt, aber für Auflehnung gegen eine sich androhende Apathie sorgt.

    "For You" wird dagegen von einer harmonisch-gütigen Grundstimmung umweht, die die Welt wie durch eine rosarote Brille erscheinen lässt. Es zeigt sich sogar auf elegante Weise die Sonne, die verschämt hinter den Wolken hervorkommt und jeden Trübsinn verdrängt. Eine Liebesbekundung verpackt Jack In Water für "Unconditional Love" in ein Folk-Tronic-Format, das musikalisch zwischen den Kings Of Convenience und Beck angesiedelt ist. "Ich bin ein Kind, das zu groß wurde. Alles fühlt sich auf einmal anders an" ist eine der poetischen Be- und Umschreibung aus "If I Cared", die die Entwicklung und Veränderung vom Kind zum Erwachsenen anspricht. Der sprudelnde Electro-Pop findet einen separaten Weg heraus aus der Depression und steht für Aufbruch und Hoffnung.

    "Anxious Smothers" gebärdet sich höchst sentimental und reizt die Grenze zur Schnulze voll aus. Will Clapsen jauchzt zeitweise niedergeschlagen, agiert ansonsten entweder nachdenklich oder aufgewühlt. Bei "Monster" geht es um Vergebung und um die Feststellung: "Wir sind aus Freude und Dunkelheit gemacht, geboren in Harmonie. Es gibt keine Ungeheuer". Trotz des Mut machenden Textes ist die Musik tieftraurig und erschütternd. Sie verbreitet aufgrund ihres lethargischen Tempos sowie der Moll-lastigen Streicher und des Klagegesanges niedergeschlagene Grabesstimmung.

    Es gibt Erkenntnisse, die können den Schlaf rauben. Mehr noch, sie bringen einen eventuell an den Rand der Verzweiflung: "Jede Person die man liebt, ist dazu verdammt zu sterben, zu Staub zu verfallen, verloren zu sein." Das ist so ein quälender Gedanke, der sich in "Everyone Will Be Lost" materialisiert. Diese dramatische Einordnung wird entsprechend opulent, düster und bedrohlich vertont. Etwas fraglich ist, um was es wirklich in dem elegischen "Step Down" geht. Handelt es in der Schilderung vielleicht um einen Schutzengel, der nicht mehr gebraucht wird? Auf jeden Fall ist von einem "eingebildeten Helden" die Rede, was wiederum an den Film "Mein Freund Harvey" mit James Stewart aus dem Jahr 1950 erinnert.

    Die Lyrik der Songs für "You Don't Feel Like Home" ist verschlungen und von Schuld und Tragik durchzogen. Sie spricht oft unangenehme Situationen an, trägt teilweise sogar makabre Züge. Es werden auch Themen angesprochen, die von existenzieller Bedeutung sind. Sie erscheinen zunächst bedrückend und offenbaren die verletzliche und geschundene Seele des Autors. Die teilweise enorme Schwermut der Musik löst sich aber mit jedem weiteren Hören zu Gunsten von Mitgefühl, Trost und verlockender Erwartung auf, die auch in den Klängen steckt. Wenn das Tal der Tränen durchschritten ist und das Nachdenken zu einer klaren Wahrnehmung geführt hat, winken als Belohnung bessere Aussichten. Will Clapsen betätigt sich als wissender Missionar auf diesem Weg und beschenkt uns nebenbei mit der bitter-süßen Schönheit der Tristesse.
    Live Susanna & David Wallumrod
    Live (CD)
    27.08.2021
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Der exklusive Reiz der diskreten Inspiration.

    Ein Reiz ist eine äußere oder innere Einwirkung auf den Organismus. Er kann demnach sowohl den Körper wie auch den Geist stimulieren. Ein exklusiver Reiz in Form einer diskreten Inspiration ist häufig auch der Ausgangspunkt für die Idee, eine Fremdkomposition speziell zu interpretieren. Wertschätzung und ein sensibles Einfühlungsvermögen sind weitere wichtige Voraussetzungen dafür.

    Die Sängerin und Komponistin Susanna Karolina Wallumrød hat bereits Musikgeschichte geschrieben, zumindest wenn es darum geht, anspruchsvolle Pop-Musik individuell zu definieren. Nicht nur als Susanna & The Magical Orchestra oder unter der Bezeichnung Susanna & The Brotherhood Of Lady ist ihr ein origineller Art-Pop auf sehr hohem Niveau gelungen. Aber auch das Nachspüren von anderen Song-Quellen ist ihr nicht fremd. So spielte sie zum Beispiel mit der Schweizer Harfenistin Giovanna Pessi 2011 "If Grief Could Wait" mit Songs von Henry Purcell, Leonard Cohen und Nick Drake ein. Diese Musik nahm sogar das ehrwürdige, feinsinnige ECM-Label unter seine Fittiche. Und mit "Baudelaire & Piano" erschien 2020 ein Solo-Werk zu Ehren des französischen Dichters Charles Baudelaire, das intensiv und pur nur mit Gesang, Pfeifen und Piano die angenehme Seite der Nachdenklichkeit einfängt.

    Kurz vor der Pandemie absolvierte die Norwegerin dann zusammen mit ihrem Cousin David - der diverse Keyboard-Sounds und gesangliche Hintergrund-Verstärkung beisteuerte - in Oslo (September 2019) und Asker (Januar 2020) eine Reihe von Cocktail-Bar-Konzerten, die auch durch Cover-Versionen gespeist wurden, welche die beiden schon zum großen Teil bereits vor 20 Jahren gespielt, aber nie aufgenommen haben. Von diesen "Live"-Aufnahmen werden jetzt acht Lieder offiziell veröffentlicht und sie zeigen eine große Verbundenheit mit den ausgewählten Kompositionen und ihren Erfindern. Susanna & David Wallumrød haben eine klare Vorstellung davon, wie aus ihrer Sicht mit verehrten Vorlagen umgegangen werden sollte: Ihre Interpretationen drücken sowohl eine kreative Herangehensweise wie auch Respekt gegenüber des Ursprungs aus.

    Den Song "Chelsea Hotel #2" veröffentlichte Leonard Cohen 1974 auf seinem Album "New Skin For The Old Ceremony". Er handelt von seiner kurzen, heftigen Affäre mit Janis Joplin in dem New Yorker Künstlerhotel. Cohen schildert darin die Beziehung etwas wehmütig, aber dennoch mit schonungsloser Offenheit mit abgeklärtem Abstand. David Wallumrød legt einen dunklen, dezent wehenden Keyboard-Klangteppich über den Song, den Susanna mit ihrer klaren, sanft fließenden Stimme durchdringt, ohne die Melancholie abzuschütteln. Sie gleitet förmlich auf den Moll-lastigen Noten dahin und wärmt sich an den traurigen, aber tröstenden Schwingungen.

    Auch "This Flight Tonight" von Joni Mitchell entstand aus einer tragischen Liebesbeziehung. Ihre Liebe zu Graham Nash war zerbrochen und die Affäre mit James Taylor gestaltete sich wegen seiner Heroinsucht zunehmend komplizierter. In dieser Phase nahm Joni 1971 das bitter-süße "Blue" auf, welches "This Flight Tonight" als Zustandsbericht ihres Verhältnisses zu James Taylor enthält. Der mild groovende Country-Folk wird dort durch mehrere verschachtelte Akustik-Gitarren-Spuren dynamisch aufgewertet und erhält wegen der eigentümlichen, hohen Stimme von Joni einen unverwechselbaren Charakter. "Live" präsentiert das Lied als glitzernd-sphärisches Electronic-Folk-Stück mit teils lautmalerischem Gesang, der durch den Hall wie aus einer fremden Welt zu uns zu kommen scheint.

    Eine zentrale Position nehmen drei Tom Waits-Kompositionen auf "Live" ein, welche alle von dessen "Swordfishtrombones" aus 1983 stammen. Die manchmal surreal wirkende Musik berichtet gerne von Außenseitern und transportiert den sperrigen Charme von Brecht/Weill-Liedern oder übernimmt primitive, ruppig-dreckige Blues-Fetzen und verwendet Klangfarben aus exotischen Ländern zur kuriosen Dekoration.

    "Underground" ist der Opener des 15 Tracks starken Werks und zeigt Waits als aggressiven Shouter mit gurgelnder Stimme. Seine Mitstreiter schaffen dazu einen schräg rumpelnden Hintergrund, auf den Don van Vliet alias Captain Beefheart stolz gewesen wäre. Die "Live"-Version von "Underground" hat einen anderen Blickwinkel: Der Song erscheint als nervöser Thriller-Jazz mit extravagant-aggressiven sowie provokativen E-Piano-Figuren, die klangliche Splitterbomben werfen. Susanna kommt gegen diesen störrischen Krach kaum an, trägt ihren Text dennoch unbeeindruckt und stoisch vor.

    "Gin Soaked Boy" fällt im Original als sumpfiger, brodelnder und böser Blues mit fieser, effektiv-dominanter E-Gitarre auf. Der kompromisslos provokante Ausdruck erinnert an die Blues-Legende Howlin` Wolf. Das norwegische Duo verzichtet auf Dreck und Bösartigkeit, setzt stattdessen auf einen straffen Schwung und manifestiert einen groovender Jazz-Rock, der mit einem schmierigen Synthesizer-Bass-Solo protzt.

    "Johnsburg, Illinois" ist ein Liebeslied, das Tom Waits für seine Frau geschrieben hat. Die Künstlerin Kathleen Brennan ist nämlich in Johnsburg, Illinois aufgewachsen. Der Track entpuppt sich beim Verfasser als bluesige Jazz-Ballade, die von einem sentimentalen Bar-Piano getragen wird. Im Gegensatz zum knurrigen Gesang von Waits schwingt sich Susanna hinauf in schwindelnde Höhen, in denen sie das Lied engelsgleich und verträumt als Space-Pop umdeutet.

    Es ist überliefert, dass nicht das romantisch gefärbte Original von "Wrecking Ball", das Neil Young 1989 auf "Freedom" untergebracht hat, sondern die dunkel glühende Variante von Emmylou Harris, die Daniel Lanois 1995 auf ihrem "Wrecking Ball"-Album produktionstechnisch in ein schwül-vernebeltes Ambient-Country-Gewand gesteckt hat, größeren Eindruck bei den Wallumrøds hinterlassen hat. Jetzt beweisen sie, dass "Wrecking Ball" immer noch als berührender Song funktioniert, selbst wenn die Geschwindigkeit weiter reduziert wird. Stehen bei anderen Songs dieser Gattung häufig gescheiterte Beziehungen im Mittelpunkt, so geht es hier jedoch um den Anfang einer Liebe. Um das Werben, Kennenlernen und Komplimente verteilen. Mit dem "Wrecking Ball" ist nämlich in diesem Fall nicht eine Abrissbirne, sondern eine Tanzveranstaltung gemeint.

    Es gibt sowas wie definitiv ausgeprägte Songs, also optimal gelungene Notenzusammenstellungen, die von niemandem übertroffen werden können. Das gilt auch für das christlich geprägte, markig-liebliche Endzeit-Lied "All My Tears" von Julie Miller, das erstmalig 1993 auf "Orphans And Angels" zu Gehör kam und in der ultimativen Fassung auf der "Broken Things"-Platte von 1999 zu finden ist. Zusammen mit ihrem Ehemann Buddy - der hier eine beeindruckend intensive E-Gitarre spielt und eine markant-leidenschaftliche Duett-Stimme beiträgt - entstand ein Song, der zum definitiven Country-Rock-Klassiker taugt. Das wird auch Susanna & David klar gewesen sein, denn sie haben gar nicht erst versucht, in ähnlicher Weise zu brillieren. Ihre Interpretation lehnt sich am introvertierten Jazz mancher ECM-Records-Einspielungen an und beginnt mit einem fast vier Minuten langen Keyboard-Part, der weltmusikalische, schwebende Flöten-Tönen absondert, bevor Susannas inniger Gesang einsetzt und das Stück in Wehmut baden lässt. Hier schließt sich hinsichtlich der Auswahl der Fremdkompositionen einmal mehr ein Kreis, denn "All My Tears" ist auch Bestandteil des "Wrecking Ball"-Albums von Emmylou Harris. Ihr Beitrag war ein hymnisch-sehnsuchtsvoller Track, der seine Energie aus pulsierend-pumpenden Bass-Tönen bezog.

    Die Lieder der Beatles sind fast alle Evergreens geworden und haben damit den Status von allgemeingültiger Pop-Folklore erworben. Dazu gehört hinsichtlich der Qualität auch das barocke Trennungs-Lied "For No One" (von "Revolver" aus 1966), das Paul McCartney schrieb und mit desillusioniertem Gesang ausstattete. In den Händen von Susanna & David wird daraus ein zerbrechlicher Pop-Song, dessen Instrumentierung an ein Spinett erinnert, wodurch auch hier ein gewisser Klassik-Bezug hergestellt wird. Fun Fact: "For No One" hat auch von Emmylou Harris im Jahr 1975 auf "Pieces Of The Sky" hinreißend sentimental gecovert. Die "Live"- Zusammenstellung erweist sich also in jedem Punkt als runde Sache.

    Erst nach dem letzten Song (also "Johnsburg, Illinois") ertönt Applaus. Allerdings nicht so euphorisch, wie es aufgrund der großartigen Musik angebracht wäre. Wegen der Ausblendung des Beifalls und weil sich das Publikum auch sonst so ruhig verhält, dass man es während der Konzerte nicht wahrnimmt, fügt "Live" das Beste aus zwei Welten zusammen: Die Spontanität und Spannung eines Auftritts mit den von Fremdgeräuschen ungestörten, konzentrierten Studio-Arbeiten.

    Die Auswahl der Kompositionen ist erlesen und ihre Deutung lässt ein einfallsreiches Engagement und stilistische Cleverness bei den Arrangements erkennen. Der saubere, klare Gesang von Susanna sollte selbst Menschen mit "Elfen-Phobie" gefallen, weil stets eine sinnliche Komponente mitschwingt. Und die wallende Keyboard-Begleitung ist nicht nur etwas für Ambient-Fans, weil neben Klangmalereien auch melodisch anspruchsvolle Abläufe generiert werden. Die Reize, die von den Ideen der Idole ausgehen, haben zu einer Schärfung der individuellen Stärken von Susanna & David Wallumrød geführt. Der Vergleich mit bisherigen Premium-Cover-Versionen verdeutlicht, dass es den norwegischen Musikern gelungen ist, weitere bisher unbekannte Ansichten und Nuancen der Originale hervortreten zu lassen. "Live" ist dadurch ein vorbildliches Tribut-Album geworden.
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    Garland Garland (CD)
    20.08.2021
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    5 von 5

    Natürlichkeit und Einfühlungskraft zeichnen auch die neuesten Schöpfungen von Songs Of Boda aus.

    "Garland" ist das vierte Album des schwedischen Musikers Daniel "Boda" Skoglund, dem es als Songs Of Boda immer wieder gelingt, ergreifend-schöne Klänge ins Leben zu rufen. Mit "Iago" legte er 2018 sein bisheriges Opus Magnum vor. Danach kam mit "Meanwhiling" im Jahr 2019 ein Solo-Werk heraus, bei dem bis auf eine Ausnahme nur eine akustische Gitarre zu hören ist. "Garland" wird jetzt zeigen, ob der höchst talentierte Singer-Songwriter mit seinen neuen Tracks, die am 20. August 2021 erscheinen, Anschluss an die Elite der Troubadoure halten kann.

    Sein Freund, der Musiker Emil Carlsson Rinstad, hat folgende Meinung zum Status von "Boda" und zum neuen Werk: „Songs of Boda ist ein echter Freund. Die Art, die sich traut, dich in deiner dunkelsten Stunde zu treffen und trotzdem gute Laune und positive Energie mitbringt. Der dir das Gefühl gibt, dass alles in Ordnung ist. Die Art, die nach dem anstrengenden Meeting mit dem Chef bei dir bleibt und dir Kraft gibt. Er wird sich mit dir ins Auto setzen, die Stereoanlage auf Anschlag drehen und mit dir in den Sonnenuntergang fahren. Ohne irgendwelche Erwartungen, ohne jeglichen Stress. Songs of Boda ist der Versuch zu leben und das Leben zu genießen. Wir werden sowieso nicht alle Probleme lösen können, von daher kann man genauso gut versuchen, sich dem Leben mit all seinen Facetten anzunehmen und es für sich und seine Mitmenschen so angenehm wie möglich zu gestalten, zu lernen und weiterzumachen. Dass Daniel Boda Skoglund sich auch in seiner Musik um die großen Themen des Lebens kümmert, spiegelt sich deutlich in seinen Texten wider. Mit einem Hintergrund als Musiker bei Daniel Norgren und Rambling Nicholas Heron, hat Boda als Künstler begonnen, seine Flügel mehr und mehr auszubreiten.

    Mit einem wachsenden Publikum und bereits drei veröffentlichten Alben ("Loophole", 2015, "Iago", 2018 & "Meanwhiling", 2019), zeigt ihn „Garland“ in einem noch größeren Glanz als zuvor. Garland ist sehr „Americana“ und doch offensichtlich schwedisch. Vintage-Gitarren und flatterige Synthies treffen auf abgehangene Beats und diese Millionen-Dollar-Harmonien. Einfache Akkorde mit klug geschnitzten Arrangements. Song of Boda kennt sein Genre und weiß alles über Hiss Golden Messenger, A.A. Bondy und Moondog und wagt es trotzdem, in seinem Songwriting so direkt zu sein wie Paul Simon und McCartney. Virtuos ohne es zu erzwingen, leicht schräg und eigen, wenn es sich ergibt. Genießt es!“

    Ok, das ist die wohlwollende Meinung eines Insiders und innig Verbundenen, dem eventuell die kritische Distanz fehlt. Was ist aber, wenn "Garland" unvoreingenommen betrachtet wird? Hält das Werk dann auch den hohen Erwartungen stand? Gleich beim Opener geht es los, das Gedankenkarussell. Der Abgleich zwischen Wunschvorstellung und Realität muss zunächst durchgeführt werden, um "Straightspitting" richtig einordnen zu können. "Iago" war überwiegend introvertiert veranlagt, der Opener von "Garland" zapft im Gegensatz dazu optimistische Pop-Laune an, die mit einem cool swingenden, abgeklärten Ablauf für ein gelassenes Southern-Rock-Feeling sorgt. Der "Ramblin` Man" der Allman Brothers Band trifft auf Tom Pettys "I Won`t Back Down". Kompetent und souverän wird dabei Anspruch und der Duft von Freiheit und Abenteuer zusammen geführt.

    Mit "Let The Song Be Slow" befindet sich Daniel auf einem Gebiet, das als Americana bezeichnet werden kann. Gelassene Töne werden uneitel und mit Geduld so angeordnet, dass eine ländliche, unverkrampfte Stimmung erzeugt wird. Authentizität zählt bei der Umsetzung mehr als effekthaschender Egoismus, denn die Erzeugung von innig-intimen Klängen steht im Fokus der handelnden Personen. Das Stück ist über 5 Minuten lang, was gar nicht auffällt, so unaufdringlich einschmeichelnd bahnt er sich seinen Wohlfühl-Weg auf sanften Country-und Folk-Rock-Pfoten durch ein harmonisches Noten-Wunderland.

    Auch "Footsteps On The Driveway" bedient sich zunächst am atmosphärisch weitläufigem und sehnsuchtsvollem Roots-Rock, aber schnell wird klar, dass hier doch ein anderer Weg eingeschlagen wird. Der Song scheint ein dunkles Geheimnis zu hüten und als nach etwa drei Minuten ein wilderndes Saxophon einsetzt, ist es bald vorbei mit der verschleiernden, gemütlichen Beschaulichkeit. Sperrig kreischende Töne zerreißen die milde, laue Einigkeit zunächst, aber das Lied findet zurück zur ruhigen Melancholie und das Saxophon trägt dann etwas gemäßigtere Töne bei, die aber tendenziell weiter unterschwellig aggressiv bleiben.

    Die unauffällig wirkende, aber dennoch weite Räume öffnende Folk-Ballade "Endless River" setzt auf das Aktivieren der Sentimentalität in uns. Durchlässige und tickende Keyboard-Schwaden sowie eine sauber und bestärkend gepickte Akustik-Gitarre tragen das ausgeglichene und bescheidene Lied über die Zeit. "Boda" singt dazu vertrauenserweckend, tröstend und verständnisvoll.

    "I`ll Never Let Go Of Your Hand" zeigt Gegensätze auf: Der erste Teil des Stückes schreitet forsch voran und wurde entschlossen als Power-Pop gestaltet. Dann erfolgt nach etwa zweieinhalb Minuten ein Bruch. Danach fällt der Track in eine betrübte Stimmung, aus der er sich langsam wieder erholt und am Schluss steht dann doch noch eine kraftvolle Zuversicht im Mittelpunkt des Geschehens.

    Ein Alltagserlebnis bildet den Hintergrund zum Text von "Pocket Call": Daniel ist es nämlich irgendwie gelungen, sich selbst anzurufen, als er zwei Handys bei sich trug. Er fragte sich daraufhin, was er sich wohl mitteilen wollte. Dieses Erlebnis war der Zündfunke zur Entstehung des Songs. Skoglund erzeugt mit seinen versierten Partnern einen elastischen Groove, der Eleganz und Bodenständigkeit erkennen lässt. Auch hier ertönt glänzender, erdiger Southern-Rock. Der Track wird von einem dezenten Southern-Soul-Feeling durchzogen, was ihn gelenkig macht. Zudem wird ihm durch ein variables Gitarren-Solo Robustheit verliehen.

    Der texanisch-kalifornische Calexico-Sound-Mix hat anscheinend die Stimmung von "The Beginning Of The End" beeinflusst. Der Song setzt auf aufmunternde und polyrhythmische Takte, so dass er sich durchaus auch für den Tanzboden eignet. "Little Star" gab es schon auf "Meanwhiling" als instrumentale Akustik-Gitarren-Version im introvertierten Stil von Ry Cooders "Paris, Texas". Der Titel spielt sich auf der dunklen Seite des Ausdrucks-Spektrums ab und hätte dadurch auch gut zu "Iago" gepasst.

    "Garland" kann als Übergangs-Album auf der Suche nach ausdrucksstarken, den Horizont erweiternden Klang-Bausteinen angesehen werden. Mit dem Ziel, sich im Meer der Singer-Songwriter abzugrenzen und zunehmende Eigenständigkeit zu erlangen. Das neue Werk ist vielseitig, ohne dass der Wiedererkennungswert dabei verloren geht. Auf "Iago" ragten besonders die geheimnisvollen, verschachtelten Songs heraus, die an David Crosby denken ließen. Davon gibt es aktuell nicht so viele. Daniel "Boda" Skoglund weitet sein Spektrum angemessen aus, wobei die Erwartungshaltung an hochkarätige Songs trotzdem erfüllt wird. Die Arbeit des Musikers bleibt also weiterhin spannend und anregend.

    Die aktuellen Lieder offenbaren das Anliegen des schwedischen Künstlers, seine Möglichkeiten weiter auszudehnen und stilistisch nach allen Seiten offen zu sein. Wie an einer Girlande reiht der einfallsreiche Musiker seine unterschiedlich motivierten Stücke auf und erzeugt Schwingungen, die eine in Summe sehr gehaltvolle, abwechslungsreiche Kompositions-Sammlung bilden. Songs Of Boda bleibt also weiterhin Mitglied im Club der herausragenden Singer-Songwriter.
    Meine Produktempfehlungen
    • The Thread That Keeps Us Calexico
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    When Light Returns When Light Returns (CD)
    30.07.2021
    Klang:
    5 von 5
    Musik:
    4 von 5

    Pur, gefühlvoll und virtuos wird von Martin Tingvall die Rückkehr des Lichts beschworen.

    "When Light Returns" ist eine reine Piano-Solo-Platte. Martin Tingvall kann auch unter diesen Bedingungen eine dreiviertel Stunde mit Stücken füllen, die vom introvertierten Jazz und von der romantischen Klassik beeinflusst sind, ohne zu langweilen. Das können nur wenige Künstler, Keith Jarrett zum Beispiel, der leider aus Alters- und Krankheitsgründen keine Musik mehr machen kann. Aber es gibt ja Martin Tingvall, der Mann der vielen Kontakte und unterschiedlichen Projekte und Perspektiven, der Stille effektvoll mit wirksamen Emotionen füllen kann.

    Tingvall wurde 1974 in Schweden geboren. Er ist ein studierter Musiker mit Abschluss, wobei die Fächer Jazzklavier, Komposition und Improvisation Schwerpunkte seiner Ausbildung darstellten. Nach seinem Diplom-Abschluss zog er 1999 nach Hamburg, wo er mit Musikern wie Udo Lindenberg, Gunther Gabriel, Orange Blue oder Inga Rumpf zusammenarbeitete. Seit 2003 gibt es das Tingvall Trio, dem neben Martin noch Omar Rodriguez Calvo am Bass und der Schlagzeuger Jürgen Spiegel angehören. Unter anderem sorgten die Werke "Cirklar" (2017) und zuletzt "Dance" (2020) auch außerhalb der Jazz-Szene für Aufmerksamkeit. Neben den Trio-Werken gab es auch immer wieder Solo-Platten, wie zum Beispiel 2015 das Album "Distance" und 2019 "The Rocket".

    In seiner Karriere räumte der virtuose Künstler allerlei Preise, wie den Deutschen Musikautorenpreis der GEMA in der Kategorie "Jazz/Crossover" im Jahr 2019 ab. Auch im Rahmen von Film- und Fernsehmusik ist er tätig. So hat er zum Beispiel für die Tatorte "Zorn", "Grenzgänger" und "Durchgedreht" sowie unter anderem für die Fernsehfilme "Für eine Nacht... und immer?", "Die Sache mit der Wahrheit" und "Die Toten von Marnow" die Musik komponiert.

    Für Martin Tingvall scheint es keine musikalischen Schranken zu geben. So erschuf er gemeinsam mit Daniel Karasek, dem Intendanten des Kieler Staatstheaters sowie der Dramaturgin Kerstin Daiber und Regy Clasen, der für die Songtexte zuständig war, aus William Shakespears Verwechslungskomödie "Was ihr wollt" ein Musical. Selbst mit Rolf Zuckowski, der durch seine Kinder- und Weihnachtslieder bekannt wurde, hat er 2017 für das Weihnachtsalbum "Wär uns der Himmel immer so nah" im Studio gestanden. Die Bandbreite des Handelns von Martin Tingvall ist enorm! Nun gibt es also wieder ein Piano-Solo-Werk. Ohne doppelten Boden sowie (fast) ohne zusätzliche Instrumente und Effekte findet die neue Aufführung statt. Ein Mann und sein Instrument im Dialog, gelenkt durch messerscharf geschulten Intellekt und sensibel-individuellen Ausdruck.

    Das titelgebende "When Light Returns" schlägt einen Bogen vom weihevoll-getragenen, verheißungsvollen, balladesken, idyllisch-empfindsamen Spiel zu einem perlend-beschwingten, Horizonte öffnenden, achtsam-optimistischen Ablauf. "Hide And Seek" gelangt von einer romantischen Spielerei zu einem Blues-gefärbten Track, zu dem Martin (nicht nur hier) kaum wahrnehmbaren Singsang beiträgt. Vielleicht eine Referenz an Keith Jarrett? Das Album wurde offensichtlich mit einem empfindlichen Equipment aufgenommen, das jede Schwingung erfasst, denn auch beim heiteren "Little Star" ist ein leichtes Rumpeln, Dröhnen oder Donnern zu vernehmen, das anscheinend von Tingvall nebenbei erzeugt wird und dem eingängigen, melodischen Stück eine natürlich-offene Umgebung verschafft, abseits der Isolierung durch das Tonstudio.

    Der Frühling ist die Zeit des Erwachens, des Neubeginns und der erfreulichen Aussichten. "Spring" befreit sich jedoch nur langsam aus einem Kokon aus Eis, Schnee und Frost und taut auch nicht gänzlich auf. Der Track verbleibt sinnbildlich in einem unklaren Zustand zwischen Traum und Erwachen. Und noch eine Metapher: Der Leuchtturm wird an exponierter Stelle aufgestellt, um herauszuragen, damit sein Licht deutlich erkannt wird und er seine Warnaufgabe zuverlässig erledigen kann. Entsprechend wach und frisch quellen die Töne für "At The Lighthouse" aus dem Piano. Nicht unbedingt aggressiv-übermütig, aber schon bestimmend-selbstbewusst.

    Was mögen die "Yellow Fields" sein, die Martin zu diesem konzentriert-versunkenen, malerisch-herzerwärmenden Stück inspiriert haben? Vielleicht die im Mai leuchtend gelb blühenden Rapsfelder, die nicht nur durch ihre Farbe, sondern auch durch ihren intensiven, ölig-süßlichen Geruch betören. Ein Menuett ist ein französischer Gesellschaftstanz aus der Barockzeit, der aus heutiger Sicht ziemlich gestelzt, ungelenk und affektiert aussieht. Martin Tingvalls "Menuett" klingt deshalb auch nach alter Musik - ist also in der Klassik zuhause - kann aber durch harmonische Überleitungen einen generellen, elitär überdrehten Eindruck abwehren.

    Wenn ein Track schon "Clear Sky" heißt, dann sollten auch klare, helle Töne im Vordergrund stehen. Das ist auch hier weitgehend so. Feingeistig werden die leuchtenden, klirrenden Töne von tragfähigen Klängen im mittleren und unteren Frequenzbereich unterlegt, so dass eine mehrschichtige Kaskade entsteht. Das Thema Tanz als Gedankenrhythmus oder als koordinierter Bewegungsablauf ist für Martin Tingvall schon immer eine große Anregung gewesen. So vermittelt auch der Titel "Dancing Trees" eine gewisse körperliche Beschwingtheit, die sich aber im ästhetisch galanten Ausdruck niederschlägt und nicht in sinnlich-erotischen Zuckungen.

    Bei den etwas rustikalen Momenten von "Fireflies" fallen sofort russische Komponisten wie Rachmaninoff, Strawinski oder Schostakowitsch ein, die neben melancholischen Passagen auch gerne derbe Lebensfreude ausdrückten. Langsam, verträumt und hinreißend melodisch wie ein Adult-Pop-Song kommt dann "Country Road" daher. Hier wäre Gesang angebracht und wertsteigernd gewesen, um das gesamte Potential der Komposition heben zu können.

    "Old Friend" beherbergt eine Taktfolge, von der man glaubt, sie schon mal gehört zu haben, so populär-allgemeingültig klingt sie. Aufgrund seiner Erfahrung mit dem Erfinden von Soundtracks und Werbejingles weiß Tingvall genau, mit welchen Klängen die Wirkung von Bildern abgebildet, verstärkt oder abgeschwächt und daneben ein Kopfkino erzeugt werden kann. Hat er bei "Old Friend" vielleicht tatsächlich Erlebnisse mit einem alten Freund im Kopf gehabt, als er das Stück ersann? Möglich wäre es, so intim und freudig wie es klingt.

    Das abschließende "Flying Carpets" treibt seine intime, eindringliche Schönheit auf die Spitze. Durch das Einbeziehen von Glockenspiel-artigen Tönen wird die Zerbrechlichkeit erhöht und der Flügel arbeitet verbindend und kraftvoll dagegen an, damit das Gebilde nicht auseinander fällt. Aber auch ein leises, sensibles Element bekommt ganz alleine für sich seinen Platz eingeräumt und die hellen Klang-Tropfen entschwinden am Ende in die Stratosphäre.

    Martin Tingvall kann sich sowohl in Schnulzen verlieren wie sich auch für Thelonious Monk, Bill Evans und McCoy Tyner begeistern. Sentimentalität und Ernsthaftigkeit haben auch Einzug in die Kompositionen von "When Light Returns" gefunden, denen bestimmte Gedankenspiele zugrunde liegen. Gibt es bei Instrumental-Stücken keine Erklärung vom Künstler, wie es zu den Namen gekommen ist, kann nur gemutmaßt werden, was dahinter steckt. Aber das Licht ist als Sinnbild für Hoffnung, Neuanfang und Sieg gegen dunkle Mächte Bestandteil und Antrieb für die Musik von Martin Tingvall. Auch wenn Traurigkeit über den Noten liegt, führt sie nicht zur Lähmung des Ausdrucks, sondern bildet nur die Talsohle ab, aus der es zu entkommen gilt. Denn die Hoffnung stirbt zuletzt und im Spiel von Martin Tingvall ist Hoffnung ständig präsent.
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    Bullseye Charli Adams
    Bullseye (LP)
    25.07.2021
    Klang:
    4 von 5
    Musik:
    3 von 5
    Pressqualität:
    4 von 5

    Zu wertvoll, um im Electronic-Pop zu versauern.

    Die Musikerin Charli Adams aus Alabama betreibt mit ihrem Debüt-Album "Bullseye" Vergangenheitsbewältigung. Sie rechnet mit ihrer Kindheit und Jugend in einem streng konservativen Elternhaus ab, das ihr keine Möglichkeit zur Entfaltung ließ. Erst nach ihrem Umzug nach Nashville konnte sie sich als Musikerin frei entwickeln. In ihrer neuen Heimat traf sie unter anderem auf Justin Vernon (Bon Iver), der sie förderte und ermutigte, ihr eigenes Ding durchzuziehen. Beim Dart spielen verlieh Justin ihr den Spitznamen "Bullseye", der nun die ab 16. Juli 2021 vorliegende Platte ziert, welche von Dan Grech (Lana Del Rey) und Brian Kierulf (Lady Gaga) produziert und von Patrick Dillett (St. Vincent) gemischt wurde. Das ist eine hochkarätige Unterstützung, die zeigt, dass erfahrene, namhafte Künstler an das Talent von Charli Adams glauben.

    Glaube, Liebe und Hoffnung sind Grundlagen des spirituellen Lebens. Was aber, wenn diese Gefühlslagen durch einen Song vermittelt werden? Handelt es sich bei der Ideen-Verwirklichung dann auch um Einflussnahme einer höheren Macht oder können solch ergreifende Schwingungen alleine aus den kreativen Möglichkeiten eines geistig wachen Menschen heraus entstehen? "Emo Lullaby :’(" besitzt diese unsichtbaren Kräfte, die in der Lage sind, starke Emotionen auszulösen. Der Track hat eine herausfordernde Instrumentierung, die psychedelische Wirkungen erzeugt. Der Gesang von Charli Adams ist mitfühlend, ohne durch ein Jammertal zu schreiten und die erzeugte Stimmung ist so idyllisch, dass beim Hören die Außenwelt ausgeblendet wird.

    "In "Cheer Captain" geht es darum, die eigene Meinung zu schätzen und sich zu weigern, sein authentisches Selbst für andere zu verändern. Ich bin noch am Lernen, aber ich dachte, das wäre ein guter Anfang", berichtet Adams über den Inhalt ihrer dritten Single. Musikalisch handelt es sich hier um einen rohen Folk-Song mit melodischem Pop-Kern, wobei die dröhnend-verzerrten elektrischen Gitarren wie ein grollendes Hintergrundgeräusch eingesetzt werden.

    Das wehmütig-sehnsüchtige "Didn’t Make It" wäre ohne stramm-monotone Rhythmus-Begleitung vermutlich nur eine sentimentale Ballade. So wird ein spannender Gegensatz zwischen Sensibilität und Tatkraft erzeugt, wie man ihn ähnlich bei einigen Songs der New Waver The Psychedelic Furs ("The Ghost In You" aus 1984, "Love My Way" aus 1982) erlebt hat.

    Die liebliche Folk-Ballade "Headspace" wird durch den Duett-Gesang des Country-Pop-Songwriters Ruston Kelly verstärkt. Adams Stimme bewegt sich dabei nahe in einem weinerlichen Segment, während Kelly mit seinen nüchtern-unauffälligen Tönen für einen Ausgleich sorgt. Dennoch kann das Lied seinen süßen und klebrigen Schnulzen-Eindruck nicht abstreifen.

    "Get High w/ My Friends" biedert sich durch einen stumpfen Takt und wummernde Bässe am Dance-Pop an, was der sensiblen Künstlerin gar nicht gut steht. "JOKE’S ON YOU (I Don’t Want To)" hat bei einer ähnlichen Ausrichtung wesentlich mehr Ausstrahlung, weil hier rhythmisch nicht ganz so heftig geklotzt wird. Na gut, ein weniger an effekthaschender Elektronik wäre auch hier mehr gewesen. Will heißen: Etwas mehr an feinfühliger Zurückhaltung hätte dem Track wahrscheinlich seine anfängliche, sinnlich-geheimnisvolle Aura bewahrt.

    Für "Maybe Could Have Loved" hat Charli Adams das Electronic-Pop-Duo Nightly aus Nashville als Begleitung engagiert. Die ruhige Nummer wird mit allerlei Synthesizer-Schwirren durchzogen, was sich allerdings nicht nachteilig auswirkt, sondern für einen eigentümlichen, seltsam-reizvollen Sound sorgt. Mit "Bother With Me" findet Charli anfangs zu einer ursprünglichen Folk-Untermalung zurück. Hier kann die Musikerin ihr ganzes Einfühlungsvermögen zur Geltung bringen und überzeugt durch eine gefühlsbeladene Stimme voll und ganz. Nach einer Minute wird das Stück nach und nach üppiger instrumentiert, entwickelt sich zu einer Rock-Pop-Ballade und verliert seine unschuldige Intimität.

    "Remember Cloverland" knüpft an das romantisch-verspielte, aber auch aufmunternde "Didn’t Make It" an und versteht es, durch eine charmant-geduldige Ausstrahlung zu überzeugen. Novo Amor ist ein walisischer, melancholisch-sanfter Folk-Sänger mit hoher Stimme, der "Seventeen Again" seinen Stempel aufdrückt. Das Lied hat einen harmonischen Charakter, läuft bedächtig und beruhigend ab, wirkt beiläufig angehört unspektakulär, gehört aber aufgrund seiner überlegenen Intensität zu den Höhepunkten des Albums. Das Stück "Bullseye" lehnt sich emotional an den Vorgänger an, wurde nur rhythmischer und druckvoller arrangiert, so dass es unter defensivem Grunge-Rock einzuordnen ist.

    Das Album lässt einige Fragen offen: Warum lässt sich Charli Adams manchmal in seichtes Fahrwasser drängen und spielt überzuckerte, relativ belanglose Lieder ein, wo sie doch so viel mehr kann? Warum haben Kenner wie Justin Vernon nicht mehr Einfluss ausgeübt, um gegen diesen Mainstream-Kitsch anzusteuern? Grade hat doch sogar Taylor Swift bewiesen, dass sich Kommerz und Anspruch nicht widersprechen müssen. Ihr engagiertes, sensibles Songwriting hat durch die Zusammenarbeit mit Musikern aus dem The National-Umfeld für großartige Alben ("Folklore" und "Evermore", beide aus 2020) gesorgt, die sich auch gut verkauft haben. Denn nicht nur "Emo Lullaby :’(" und "Seventeen Again" beweisen, dass Charli zu einer ähnlich konzentriert-empfindsamen Leistung fähig ist.

    "Bullseye" ist in einigen Bereichen eine vergebene Chance, wenn es darum geht, raffinierte Country-, Folk- oder Pop-Kunst zu demonstrieren. Nichtsdestotrotz: Charli Adams besitzt genau die richtige Ausstrahlung, um gediegen verschlungenen Country-Folk-Pop-Hymnen die passende Stimme und Stimmung zu verleihen, sie muss das nur konsequenter durchsetzen!
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