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    2. Alle Rezensionen von SisterDew bei jpc.de

    SisterDew

    Aktiv seit: 19. Februar 2016
    "Hilfreich"-Bewertungen: 317
    47 Rezensionen
    Peaky Blinders - Gangs of Birmingham Season 1 & 2 Peaky Blinders - Gangs of Birmingham Season 1 & 2 (DVD)
    16.10.2016

    Boardwalk Misery

    Wer nicht genau weiß, was mit dem Begriff "Overacting" gemeint ist, erhält mit "Peaky Blinders" ganz ausgezeichnetes Anschauungsmaterial in sechs Teilen. Willkommen in der Welt des Schmierentheaters, in der Gesten den Stummfilm huldigen und Mimik jede Natürlichkeit vermissen läßt. Affektiert wird zum Angriff geblasen. Finger zittern übertrieben, rauchen oder machen gleich beides gleichzeitig. Kaum ein Schauspieler findet in dieser Serie das richtige Maß, jede Handbewegung besitzt drei Nuancen zu viel Pathos und der böse Blick dauert immer drei Sekunden zu lang.

    Als gravierendste Schwäche der Serie empfand ich den Gangsterboss Thomas Shelby, der (meiner Meinung nach) mit Cillian Murphy bestenfalls drittklassig besetzt ist. „He’s a god, he’s a man, he’s ghost, he’s a guru“, singt Nick Cave im Titelsong, doch tatsächlich ist Cillian Murphy nur ein recht blasser Blender mit wasserblauen Augen. Nichts nehme ich ihm ab: weder seine Führungsanspruch noch das Kriegstrauma. Was, bitte schön, macht dieses Babyface zum gefürchteten Strategen? Sein minimalistisches Minenspiel ging mir persönlich jedenfalls schon nach zehn Minuten auf den Wecker und wesentlich mehr hat dieser Charakter in der ganzen Staffel nicht zu bieten. Wäre Thomas Shelby mein Vorgesetzter, ich könnte ihn nicht ernst nehmen. Und wollte er mich mit seinem fischigen Blick einschüchtern, müsste ich vermutlich losprusten und ihm den albernen Haarschnitt verwuscheln. Ihm fehlt einfach zu jeder Zeit diese lässige Autorität, die Ian McShane (Deadwood) oder Steve Buscemi (Boardwalk Empire) so mühelos (allein durch ihre Präsenz) auszustrahlen vermögen.

    Aber nicht nur Murphys beschränkte Schauspielkunst beschädigt die Rolle des Anführers, sondern auch die recht schlichten, vorhersehbaren Geschichten, die ohne jeder Raffinesse erzählt werden. Die Dialoge sind gestelzt und bieten kaum Tiefgang, dafür jedoch mitunter unfreiwillige Komik. Unglaubwürdig schaffen die Drehbuchschreiber blödsinnigste Tatsache, die offenbar weder einer Erklärung bedürfen noch konsequent erscheinen. Ich weiß, ich weiß: Logik wird Dramaturgie geopfert. Also geschenkt, - auch wenn man irrwitzige Entscheidungen und Wendungen eleganter verkaufen könnte! Aber mir fallen auf Anhieb mindestens ein Duzend Situationen ein, die einfach nur zum Fremdschämen einladen: das öffentliche Verbrennen von Porträts (und Shelbys Pressestatement dazu), der Deal mit Inspektor Campbell, der Besuch bei Billy Kimber, die Errettung des Barmädchens in letzter Sekunde, die Vermählung des Bruders, Vater und Sohn im Boxring, der Heiratsantrag auf dem Friedhof, Tante Pollys Gebet und natürlich der jämmerliche Showdown in seiner vollendeten Erbärmlichkeit... Au weia! Wer sich all dieser Einfältigkeit erinnert und immer noch ernsthaft "Peaky Blinders" im gleichen Atemzug mit "Boardwalk Empire" nennt (wie es einige Rezensenten tun), ist eigentlich nur zu bedauern. Während die BBC doch lediglich auf recht bescheidenen Niveau und ohne Anspruch auf historische Glaubwürdigkeit (Churchill würde sich wahrscheinlich im Grabe umdrehen) unterhalten will, besitzt HBOs Dramaserie eine fesselnde Komplexität und Tiefe mit authentischen Hintergrund und hervorragenden Darstellern. Insofern ist der Vergleich unredlich, schließlich trifft Preußen Münster auch niemals Real Madrid auf Augenhöhe.

    Bildgewaltig kommen vor allem die ersten beiden Episoden daher und liefern zuweilen eine ästhetische Perspektive. Die Kameraarbeit hebt sich deutlich vom Gesamteindruck der Serie ab. Funken sprühen, Flammen stoben aus Gebäuden, Zigaretten glimmen unnatürlich auf und roter Staub wirbelt durch graue Tristesse. Immer wieder begegnet man Einstellungen, die wie Gemälde arrangiert sind. Das sieht anfangs gut aus, doch auch dieser positive Aspekt verliert sich irgendwann in einem inflationären und überzeichneten Zuviel und nimmt einen deplazierten, comichaften Charakter an. Gleichermaßen beeindrucken möglicherweise auf den ersten Blick Kulissen und Ausstattung, allerdings - ganz im Zeichen des Overacting - wirkt auch das Filmset schon bald zu sehr gewollt. Es ist so, als würde man in die neue Wohnung eines Kollegen eingeladen, der unverhofft zu Geld gekommen ist und sich die Bude von Tine Wittler einrichten lassen hat. Nach kurzer Begeisterung nimmt der Eindruck einer unpersönliche Seelenlosigkeit überhand, in der nichts echt erscheint. Und so fühlte ich mich auch bei "Peaky Blinders" unwohl. Zwar legten die Produzenten durchaus Wert auf Details, aber der imitierte Shabby-Chic ist einfach zu offensichtlich.

    Mißglückt finde ich zudem auch die künstlerischen Bemühungen der Serie. Dass Popkultur sich durchaus einnehmend mit klassischen Motiven verschmelzen lassen, hat beispielsweise Baz Luhrmann gleich mehrmals bewiesen und funktioniert aktuell auch überraschend gut im Psycho-Prequel "Bates Motel", und auch wenn sich Nick Caves düstere Balladen noch stimmig in die fiktive Wild-West-Atmosphäre eines Birmingham der 20er Jahre einfügen, wird für mich spätestens dann die Grenze der plumpen Zuschauermanipulation überschritten, wenn man es nötig hat, Slow-Motion-Effekte mit harten Gitarrenriffs zu kombinieren, um Dynamik zu simulieren.

    Fazit: Überflüssiges Popvideo in Hochglanzoptik mit Überlänge, theatralischen Gebärden und geringer Substanz.
    True Detective Staffel 1 True Detective Staffel 1 (DVD)
    16.10.2016
    Bild:
    5 von 5
    Ton:
    5 von 5

    Watch genius and genius watch you back

    Trotz ernstzunehmender Konkurrenz zeichnet sich Home Box Office (HBO) immer noch mit Abstand als innovativste und mutigste Serienschmiede aus. Vor allem in der Kategorie "Drama" ist der Sender das Maß aller Dinge. Die lange Liste phantastischer TV-Produktionen wird bestenfalls von der der gewonnenen Emmy Awards übertroffen.

    Stellt sich die Frage, ob nicht inzwischen jede Geschichte längst erzählt ist? Bekommen wir nicht fortlaufend neue Variationen alter Konstellationen geboten? Bedienen sich Autoren nicht seit Jahrtausenden aus einem zeitlosen Bausatzkasten und entwerfen Dramen nach bewährtem Muster in abgewandelten Kulissen und modern Stil- und Hilfsmitteln? Bilden nicht seit jeher - mal mehr oder weniger geistreich arrangierte - Montagen aus Superbia, Avaritia, Luxuria, Ira, Gula, Invidia und Acedia die Essenz für Tragödie und auch Komödie?

    Wenn das Rad also nicht mehr neu erfunden werden kann, was unterscheidet dann einen außergewöhnlichen Spielfilm von einem durchschnittlichen, was hebt eine Serie vom riesigen Angebot entscheidend ab?
    Die Antwort lautet: eine Komposition aus dichter Atmosphäre, authentischer Charakterzeichnung, überzeugenden Schauspielern, glaubwürdigen Dialogen, Leidenschaft, Tempowechseln und einer raffinierten Erzählstruktur, die den Zuschauer fesselt und anrühren. All das trifft auf diese erste Staffel von "True Detectives" so bedingungslos zu, als sei es eine Selbstverständlichkeit. Wie von Kritikern und anderen Rezensenten schon hinlänglich gelobt, wird die Serie von den beiden Hauptdarstellern getragen, die beide wahrlich beeindruckend agieren. Vor allem Matthew McConaughey hat momentan einen fabelhaften Lauf, schon in "Mud" und "Dallas Buyers Club" lieferte er ein überragendes Schauspiel ab, übertrifft sich jedoch in der Rolle des zwielichtigen Detective Rustin Cohle noch einmal selbst. Aber auch Woody Harrelson als Cohles Partner Martin Hart spielt umwerfend. Was die Serie auszeichnet und so besonders macht, ist nicht unbedingt die wendungsreiche Story (mit einem vielleicht etwas zu dick aufgetragenen Showdown), sondern das ambivalente Verhältnis der beiden Protagonisten zueinander, die grundverschiedenen Charakter, die eigentlich auf Konfrontationskurs angelegt sind. Es ist diese spannungsgeladene Ungewissheit, wie sehr die beiden Polizisten selbst in den Fall verstrickt sind, mit der die cleveren Drehbuchschreiber eine unfaßbare Eigendynamik entfachen. Geschickt wird die Mordermittlung aus verschiedenen Perspektiven mit Rückblenden und Gegenwart zusammengepuzzelt. Auch das Tempo, in dem sich die komplexe Dramatik langsam hochschraubt, hat mir sehr gefallen. Keine hektischen Schnitte, keine rasanten Kamerafahrten - statt dessen bekommen wir bemerkenswerte Einstellungen und Bilder von Louisiana geboten, die manchmal wie Kunstwerke wirken. Auf hohem Niveau zeichnet die Serie ein soziopathisches Bild von Cohle und vollbringt das seltene Kunststück, dass man diesem Exzentriker gleichermaßen mit Argwohn als auch Sympathie begegnet.

    Meine absolute Lieblingsszene ist der Cliffhanger am Ende der dritten Episode, die man ruhig beschrieben kann, ohne großartig zu spoilern. Dieses perfekte Arrangement aus Monolog, Schauspielkunst, Schnitt, Ge­räusch­ku­lis­se und Kameraeinstellungen hat mich restlos begeistert und veranschaulicht möglicherweise meine Euphorie.
    Während Cohle mit bedächtigen Handbewegungen aus Bierdosen Männchen bastelt, werden immer wieder Fotos von den Mordopfern eingeblendet, an die sich der Polizist mit ruhiger Stimme erinnert:

    "In der letzten Nanosekunde haben sie erkannt, was sie gewesen sind, dass unser Ich nie etwas anderes gewesen ist, als ein brüchiges Konstrukt aus Anmaßung und blindem Willensdrang und dass man einfach loslassen kann." (...) "Sie haben eingesehen, dass das ganze Leben, all die Liebe, all der Haß, all die Erinnerung, all der Schmerz im Grunde alles nur eins war,... - es war alles ein einziger Traum. Ein Traum, den man in einem verschlossenen Raum erlebt hat. Der Traum, dass man so etwas wie ein Mensch war." Und hier zeigt er uns sein Blechbüchsenmännchen, um anschließend desillusioniert fortzufahren: "Und wie in so vielen Träumen, taucht am Ende ein Monster auf..."

    Ja, und dann bekommen wir es zu sehen, das Monster!
    Und dieser Augenblick ist so viel größer als alle Saw-Filme zusammen.
    A Tribute To Nils Koppruch & FINK A Tribute To Nils Koppruch & FINK (CD)
    16.10.2016

    In einem Haus voller Lerchen, bist du der schwarze Papagei

    Dieses Gedächtniskompilation löste bei mir zweierlei aus: Wehmut und Begeisterung.
    Wehmut, die mich immer dann ergreift, wenn ich daran erinnert werde, dass der Vogelmann ("wir reisen hier nur durch und nehmen nichts mit") viel zu früh weitergezogen ist. Niemals zuvor hat mich der Tod eines Musikers so berührt, wie der von Nils Koppruch.
    Begeisterung für Nils' einzigartige Stimme, Leidenschaft, seinem cleveren Songwriting und Arrangements, die nun im Kontrast zu etlichen Interpretationen seiner Lieder noch einmal so richtig aufflammt.

    Die 28 Titel dieses Tribute-Doppelalbums unterstreichen, was der "musikexpress" unlängst resümierte, nämlich, dass "kein deutscher Songschreiber so sträflich ignoriert wurde, wie Nils Koppruch".
    Sicher hat Franz Dobler recht, wenn er in seinem Vorwort zum Album vermutet, dass es Nils Koppruch "wahrscheinlich am meisten gefallen hätte, dass die Bands und Künstler aus unterschiedlichsten Ecken die Stücke spielten, wie es ihnen gefällt, zu ihnen passt oder es ihnen möglich ist." Und doch: je öfter ich die Tribute-Songs höre, desto mehr wird mir Nils Koppruchs überragende musikalische Kompetenz bewußt. Obwohl ich die hier versammelten Künstler schätze und von vielen auch das eine oder andere Album besitze, bin ich der Meinung, dass kaum eine Coverversion ans Original heranreicht... und was könnte man Schöneres vom Fink'schen Gesamtwerk und Koppruchs Solo-Aktivitäten behaupten?

    Gelungen fand ich Torpus & The Art Directors poppige Nummer von "Wenn du mich suchst" und das atmosphärische "Vielleicht" von Bernadette La Hengst. Aber auch Nicolai von Schweder-Schreiner & Dinesh Ketelsen, Oliver Stangl, Niels Frevert oder Wiglaf Droste fangen die Stimmung der Songs elegant ein ohne sie nur zu kopieren. Seelenverwandt ist es Gisbert von Knyphausen wohl unmöglich, einen Koppruch-Song zu verhunzen, sowohl der Opener (mit der Kid-Kopphausen-Band) als auch seine "Durchreise" sind große Klasse. Und so komfortabel wie "Die höchste Eisenbahn" (Moritz Krämer & Francesco Wilking) den "Mann ohne Schmerzen" befördert, würde sie in meiner persönlichen Favoritenliste ganz weit nach vorne rumpeln, wenn sie dort nicht schon seit ihrem phantastischen Debüt "Schau in den Lauf, Hase" längst wäre...

    Ein paar Musiker und Bands verlieren allerdings die Lieder, in dem sie ihnen lediglich ihren Stempel aufdrücken. Kettcar beispielsweise machen mit "Caruso", was sie mit jedem Song machen. Vergleicht man das Ergebnis mit der so liebevoll arrangierten Vorlage, bleibt leider nicht mehr viel übrig (als der typische, alles erstickende Kettcar-Sound). Und wenn man Knarf Rellöms pumpenden "Messerkampf" erlebt, begreift man erst, was für ein begnadeter Interpret seiner eigenen Texte Nils Koppruch war. Bei Pascal Fuhlbrügges Version von "Zieh dein Hemd aus, Moses!" vermisse ich den ursprünglichen Groove. Der seltsame, näselnde Gesang und die elektronischen Beats verpassen dem eigentlich so mitreißenden Song einen widersprüchlichen, entseelten Atari-2600-Charme.

    Für mich ist "Tribute to Nils Koppruch & Fink" also ein durchwachsenes Album mit vielen mittelmäßigen, einigen wunderschönen und wenigen mißlungenen Erinnerungen an Nils' Ideenreichtum und Virtuosität. Insgesamt überwiegt jedoch der positive Eindruck.

    "Ich hab das Loch in der Welt gesehen.
    Ich hab reingeschaut.
    Jetzt weiß ich, wo sie den Tag andrehen
    und wer die Stunden zerkaut.
    Ich hab das Loch in der Welt gesehen."

    Möglicherweise lernt ja der eine oder andere auf diesem Weg Nils Koppruch erst posthum kennen und lieben.
    Noah Darren Aronofsky
    Noah (DVD)
    16.10.2016

    Grundgütiger!

    Dass so hervorragende Schauspieler wie Russell Crowe oder Anthony Hopkins regelmäßig in minderwertigen Hollywood-Klamauk anzutreffen sind, ist gleichermaßen beklagenswert als auch unverständlich..
    Dieser Film ist für den Zuschauer wirklich eine alttestamentarische Prüfung mit Überlänge. Die völlig verquaste Geschichte bedient sich schamlos aus allen möglichen Quellen. Neben der Bibel finden wir Elemente aus Märchen ("Hans und die Bohnenranke"), Mythologie ("Asklepios") und Fantasy ("Die unendliche Geschichte"). Wundersame Samenkapseln und Heilungen, steinerne Ungeheuer, Erbsünde, göttliche Visionen und die drohende Opferung von Säuglingen bilden die dramaturgischen Eckpfeilers dieses Streifens, der sich allerdings vollends auf die visuellen Special-Effects der Neuzeit verläßt.

    Die vielgelobte Bilderkraft des Films habe ich jedoch als eher störend (und zuweilen erbärmlich) empfunden. Gerade in der ersten Stunde tapsen die Darsteller recht unbeholfen in ihrer Green-Box herum, die man trotz des nachträglichen technischen Aufwands ohne Probleme rekonstruieren kann. Insofern wäre eine fesselnder Plot ungemein hilfreich gewesen, denn nur wer sich langweilt, stößt sich an derartigen Schwächen.

    Einzig interessant an dem Film ist der Gedanke, dass sich die Menschheit nicht wehrlos vom Planeten fortspülen lassen wird/will und versucht, Noahs Arche zu entern. Wie dieses Unterfangen allerdings letztendlich scheitert, fügt sich stimmig in das schwache Gesamtkonzept.

    Da der Film keinerlei Wert auf Bibeltreue legt (was meines Erachtens auch völlig in Ordnung ist), bot eine Sintflut doch genügend interessanten Stoff für eine zeitgemäße Verfilmung. Beispielsweise hätte man die Story einfach in die Gegenwart verlegen können. In Anbetracht des menschlichen Größenwahns und Versagens (Klimawandel, industrielle Massentierhaltung, Verlust von Biodiversität, Genmanipulation usw.) wäre ein Schöpfer doch heute sicherlich mehr den je geneigt, einen anständigen Rohrputz durchzuführen, den nur eine anständige Arche übersteht, die meinetwegen in der Hightech-Werft eines Nachkommen Noahs geschmiedet würde. In solch einem Szenario hätte sich auch die unvermeidlichen SFX-Spezialisten glaubwürdig austoben können. Feuerwaffen und Steinmonster mit Leuchtaugen (mind.) 2369 v.Chr. wirken hingegen ziemlich albern.
    A Long Way Down Pascal Chaumeil
    A Long Way Down (DVD)
    16.10.2016

    Immer wenn etwas nicht mehr schlimmer werden kann, wird es noch schlimmer...

    Wo steht eigentlich geschrieben, dass jedes Nick-Hornby-Buch auch verfilmt werden muss?
    Es gibt Regeln, die allgemein gültig zu sein scheinen. Zum Beispiel, dass Literaturverfilmungen stets enttäuschen oder dass minus mal minus plus ergibt. Und dann gibt es immer wieder die berühmte Regelbestätigung durch die Ausnahme. Die Verfilmung von "A Long Way Down" ist dafür ein schöner Musterfall. Der Roman war ja schon eine konstruierte Einfältigkeit, die jedem Hornby-Fan einfach nur traurig machte. Nicht wegen der Thematik des Buches, sondern weil der einst so clevere Autor den Intellekt seiner Leserschaft mit einer dümmlichen Farce beleidigte.
    Insofern sollte man bei einer Verfilmung einer eher dürftigen Vorlage also nach bestimmten Gesetzen und deren widersprechenden Sachverhalte ein durchaus erfreuliches Ergebnis erhoffen dürfen. Doch leider versagte auch hier die Alchemie auf ganzer Linie. Wieder gelang es nicht, aus Wertlosem etwas Kostbares zu schaffen.
    Aber ehrlich gesagt, hätte diese Transmutation auch nur gelingen können, wenn jemand den Roman mit Kneifzange und Lötkolben bearbeitet hätte. Die Geschichte ist einfach von Anfang bis Ende unglaublich schlicht ersonnen. Das Aufeinandertreffen, die Beweggründe, das Verhalten und die Kameradschaft der Suizidkandidaten überschreitet die Grenze zum unerträglichen Kitsch mit einer Fettnäpfchengarantie, die ihresgleichen sucht. Status und Charakter der Protagonisten sind so konträr und mitunter widersprüchlich angelegt, dass sich ein gemeinsame Verbundenheit praktisch ausschließt. Gekrönt wird dieses Trauerspiel von derart unnatürlichen Dialogen, die nicht einmal Britanniens elitärste Schauerspielerkunst hätte retten können, - womit ich allerdings nicht unbedingt behaupten möchte, dass diese auch bei der Verfilmung von "A Long Way Down" versammelt war.

    Was hat der Film nun bewiesen?
    Literaturverfilmungen fallen in der Regel enttäuschend aus.
    Minus plus minus ergibt Schlimmes.
    Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen.
    Honig im Kopf (Blu-ray) Til Schweiger
    Honig im Kopf (Blu-ray) (BR)
    16.10.2016

    Quark im TV

    Mein Name ist Dr. Lankester Merrin, ich bin Neurologe an der Filmakademie Berlin und habe den traurigen Auftrag, diesen bedauerlichen Unfall von einem Spielfilm zu durchleuchten.

    Auf geht's, - schauen wir uns 'Honig im Kopf' doch mal etwas genauer an!
    Die gute Nachricht vorweg: nach einer ausgiebigen Analyse des Streifens kann ich Entwarnung geben: Dieter Hallervordens kognitiver Zustand hat sich seit Mitte der 70er nicht signifikant verändert. Der Mann ist bereits seit geraumer Zeit palim-palim. Hier kann also aufgeatmet werden.

    Und doch finde ich eine ganze Reihe Anhaltspunkte, die auf eine hochgradige neurodegenerative Erkrankung des Film schließen lassen. So versucht "Honig im Kopf" die wahnwitzige Kapriole das medienwirksame Thema "Alzheimer" durch das Schweiger'sche Komödien-Schema zu zwängen. Dass die abgedroschene Film-Ästethik offensichtlich immer noch einem Millionenpublikum gefällt oder besser gesagt, dass der sich stets wiederholende Aufbau der Filme ein Millionenpublikum offensichtlich nicht langweilt, gibt mir ein psychoanalytisches Rätsel auf, das ich momentan nur mit "gesellschaftlicher Verblödung" oder sogar "Übertragung" beantworten kann.
    Die Anamneseerhebung hat jedenfalls ergeben, dass "Honig im Kopf" mindestens vier ältere Geschwister besitzt, die ebenfalls unter gravierenden neurologischen Ausfällen leiden. Trotz der eindeutigen X-chromosomalen Vererbung führte der Vater die Reproduktion mit unbeirrbarer Konsequenz fort und folgt dabei erbarmungslos einem strikten Muster, von dem er seit dem ersten Nachkommen ("Keinohrhasen") nicht abweicht.

    Folgende erschreckende Symptomatik, die der Vater zynisch als sein "Erfolgsrezept" bezeichnet, konnte ich bei alle Abkömmlingen diagnostizieren.
    Mein Befund wird übrigens auch durch die Leichenschau von "Kokowäah 2" meines geschätzter Kollegen Dr. Albert Rosenfield gestützt.

    Zunächst fällt auf den ersten Blick eine prominente endokrine Orbitopathie auf, die sich besonders durch das aparte Setting der jeweiligen Klamotte auszeichnet. Zielgruppenorientiert wird hier eine Art IKEA-Wohnwelt in Sinne der Schöner-Wohnen-Redaktion bevorzugt. Für die Außenaufnahmen forschte man landesweit nach idyllischen Regionen, die dann in schnell geschnittenen Panaoramaeinstellungen und einer beeindruckenden Hochglanzoptik eingefangen und mit hippen Pop-Balladen unterlegt werden.

    Des Weiteren beeindruckt eine ausgeprägte Koprolalie, der zwanghafte Neigung, beim Sprechen Ausdrücke und Bilder der Verdauungsvorgänge zu verwenden. Sowohl in "Honig im Kopf" als auch in den älteren Geschwistern finden sich stets psychopathische Sequenzen mit Peinlichkeiten, die sich im Umfeld einer Toilette abspielen. Gerne wird aber auch auf den gemeinen Furz als Humorstilmittel zurückgegriffen. Die sprachliche Kompetenz bewegt sich zwischen unorthodoxen oder schlecht betonten Satzbau ("Was heißt 'Ich liebe dich' ... Opa?.. auf italienisch."), altklugem Kindergefasel und niveaulosen Dialogen mit äußerst schlichtem Aussagewert. Auch sind große Teile aller Filme mit Schlüpfrigkeiten und Schenkelklopfern der dämlichsten Sorte kontaminiert.

    Die Elektroenzephalografie zeigt ein hohes Potential an aufdringlichen Tränendrüsenappellen. Die Reflexe sind träge, wobei eine positive Babinski-Reaktion imponiert, was auf einen infantilen Entwicklungszustand hindeutet.

    Ganz im Sinne der krankhaften Gefallsucht werden neben plumper Gefühlsduselei auch immer trendige Models, übermäßige Schleichwerbung und Cameoauftritte, in denen Prominente sich selbst spielen, eingesetzt. Doch "Koketterie ist falsche Grazie", wie schon das "Damen Conversations Lexikon" urteilte. "Sie ist für die Seele, was die Schminke für das Gesicht, eine Lüge; beide ziehen nur ein blödes Auge an. Koketterie ist ein Polyp des Herzens; zerschnitten, scheinbar vernichtet tausendmal, wächst er wieder an, bis er es zerstört. Koketterie ist ein kleiner Selbstmord. Das Gift der Heuchelei wirkt rückwärts; seine unausweichliche Folge ist Selbstvernichtung. In kleineren Dosen - wirkt es wie Opium; es regt auf, erhitzt, entflammt, begeistert zum Kampfe gegen alles Feindliche, aber - ihm folgen Erschlaffung, Leere des Gemüts, Ekel.' Diese poetische Einschätzung läßt sich auf das Schweiger'sche Gesamtwerk übertragen. Als dramaturgische Attraktion verläßt sich jeder Film ausnahmslos auf gestörte Beziehungskonstellationen, was die Einfallslosigkeit der Drehbuchautoren unterstreicht. Doch der destruktivste gemeinsame Nenner aller Geschwister ist Emma Schweiger, ein völlig talentfreies Element, dem in "Honig im Kopf" jedoch viel Gelegenheit gegeben wurde, sein beschränktes Mienenspiel aufzuführen.

    Psychologisch mag es problematisch sein, an der armseligen Schauspielkunst von Kindern zu kritteln, insofern sollte man sich wohl eher mit den Erziehungsberechtigten auseinandersetzen, die zum wiederholten Male die Unzulänglichkeit ihres Schutzbefohlenen zur Schau stellen. Die dürftige Begabung des Mädchen läßt sich an der Tatsache ablesen, dass keine einzige Einstellung mit dem Kind länger als sechs Sekunden dauert. Das ist offensichtlich der maximale Zeitraum, in der sich Emma Schweiger die Regieanweisungen halbwegs merken kann. In diesen Intervallen wurde der Film zusammengeschnippelt. Aus neuropsychologischer Sicht stellt sich nun die Frage, ob diese beklagenswerte Gedächtnis- und Konzentrationsleistung auf ein Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsyndrom zurückzuführen ist oder Emma Schweiger einfach keinen Bock hatte, mehr als zwei kurze Sprechsätze auf einmal auswendig zu lernen. Aber zum Sprechen war sie primär eh nicht bestellt, vielmehr sollte sie ihr naives Gebärdenspiel darbieten. Und so grient und schmollt, weint, rollt tadelnd mit den Augen, und lacht sie stets kess hergerichtet in ungefähr eintausend kurzen Szenen und suggeriert dem Zuschauer mit der Brechstange, was er gerade empfinden soll. Wie ein visueller Untertitel für Begriffsstutzige wird der kitschige Plot des Films mit den Gefühlsausbrüchen der Pubertierenden permanent begleitet.
    Nachsichtige Gemüter mögen diese Darbietung bestenfalls niedlich finden, wer hingegen diese berechnende Zuschauermanipulation durchschaut, wird von der (gelegentlich auch schamlosen) Verwertung kindlicher Reize angewidert sein.

    Perfiderweise wurde "Honig im Kopf" erstmals den bekannten Anomalien eine unheilbare Krankheit als tragische Komponente vorsätzlich hinzugefügt.

    Was ist gegen eine familienunterhaltende Thematisierung von Morbus Alzheimer einzuwenden? "Honig im Kopf" wird doch mitunter dafür gelobt, dass diese verbreitete Krankheit ins Bewußtsein der Bevölkerung gerückt wird. Und die Idee, (neurologische) Krankheiten in Spielfilmen zu behandeln, ist ja auch keine wirklich neue. Wird der Kinogänger beispielsweise mit dem Begriff "Autismus" konfrontiert, so denkt er vermutlich an einen etwas schrulligen Dustin Hoffman, der seinem Bruder mit Empathie und einer beeindruckenden Fähigkeit aus der Patsche hilft. Nur leider können die allermeisten Autisten nicht auf einen Blick die Anzahl der zu Boden regnenden Streichhölzer beziffern, sondern fallen oft genug nur durch Aggressionen und Automutilation auf. Doch auch wenn "Rainman" ähnlich märchenhaft angelegt ist wie "Honig im Kopf", geht dieses Drama wesentlich aufrichtiger mit der Erkrankung um und nutzt sie nicht kalkuliert für billige Lacher und theatralische Gesten aus.

    Mehr Tiefgang versprechen auch Spielfilme wie "Still Alice", "Vergiß mein nicht!" oder "Mein Vater", die mit hervorragenden Schauspielern bereits packend und sensibel vom Alltag mit demenzerkrankten Menschen erzählen. Wer indessen "Honig im Kopf" gesehen hat, wird sich bei der Alzheimer-Krankheit möglicherweise nur an den tapsigen Opi mit dem Stofftier im Arm erinnern und diejenigen verdammen, die ihre betroffenen Angehörigen (doch) in eine entsprechende Betreuungseinrichtung einquartieren (die zudem in den allermeisten Fällen nicht mal annähernd so exquisit ausgestattet sein wird, wie die im Film dargestellte Luxusunterbringung ohne Pflegenotstand), denn das Verhalten von Demenzkranken verschreckt früher oder später nicht nur Kinder. Insofern wage ich die Unterstellung, dass Til Schweiger das Betroffenheitsthema "Alzheimer" nur als Vehikel für oberflächliche Witze unterhalb der Gürtellinie mißbraucht.

    Wie nach allen Erfolgen, wird der gewiefte Geschäftsmann sicherlich auch dieses Mal wieder krampfhaft darüber nachgrübeln, wie er seine Tragikomödie nachhaltig finanziell ausschlachten kann und bastelt vermutlich schon unter dem Arbeitstitel "Cola im Darm" an einer Fortsetzung mit Morbus Crohn, die ihm ganz bestimmt reichlich Stoff für verschmutzte Unterwäsche und Toilettenschüsseln, Fäkalien und Flatulenz bietet. Glücklicherweise fällt dieses Krankheitsbild dann nicht in mein Fachgebiet, so dass ich davon ausgehen kann, dass dieser braune Spaß dann nicht auf meiner Behandlungsliege landen wird.
    Jonathan Strange & Mr. Norrell (Blu-ray) Toby Haynes
    Jonathan Strange & Mr. Norrell (Blu-ray) (BR)
    16.10.2016

    Sehen Sie auch genau zu?

    "Jeder Zaubertrick besteht aus drei Akten.
    Im ersten Teil wird das Thema vorgestellt: der Magier zeigt Ihnen etwas ganz Gewöhnliches: ein Kartenspiel, einen Vogel oder eine Person. Er zeigt Ihnen dieses Objekt. Vielleicht bittet er Sie auch darum, es zu inspizieren, damit Sie sehen können, dass es wirklich echt ist, ja, unverfälscht und normal. Doch wahrscheinlich ist es das natürlich nicht.

    In der zweiten Phase geschieht der Effekt: der Magier nimmt das gewöhnliche Objekt und lässt damit etwas Außergewöhnliches geschehen. Nun suchen Sie nach den Geheimnissen, aber Sie werden es nicht finden, denn natürlich ist es so, dass Sie nicht wirklich hinsehen; Sie wollen es eigentlich gar nicht wissen. Sie wollen sich täuschen lassen.

    Aber noch applaudieren Sie nicht, denn etwas verschwinden zu lassen, ist nicht genug - man muss es auch zurückbringen. Aus diesem Grund hat jeder Zaubertrick einen dritten Akt, den schwierigsten Teil, das Finale.
    Man nennt ihn Prestigio."

    Das ist sowohl der Prolog als auch das Geheimnis des gleichnamigen Spielfilms ("The Prestige") von Christopher Nolan, in dem zwei Zauberkünstler in einem unerbittlichen Konkurrenzkampf miteinander stehen. Wer diesen herausragenden Film kennt und von "Jonathan Strange & Mr. Norrell" eine ähnliche Dramatik erhofft, wird bitter enttäuscht sein, denn statt eines Prestigios warten auf den Zuschauer nur sieben Stunden märchenhafte Langweile mit müden Special-Effect statt Magie und einer äußerst dünnen Geschichte ohne packenden Zauber.

    Die Serie ist gefällig in Szene gesetzt, aber das Setting wirkt auf den zweiten Blick doch ein wenig sperrholzartig und gewollt. Wie bei den meisten BBC-Produktionen sind die beiden Protagonisten relativ interessant entwickelt. Der kauzige, verkopfte Mr. Norrell und der impulsive, weltoffene Jonathan Strange erinnern womöglich ein bisschen an Kehlmanns Gauß und Humboldt, ohne selbstredend auch nur ansatzweise das schöpferische Potenzial von "Die Vermessung der Welt" zu erreichen. Der Plot zieht sich quälend träge durch die Episoden, ohne dass Eigendynamik oder Spannung das Publikum mitreißt. Von einem "furiosen Duell" und einer erbitterten Rivalität der beiden Kontrahenten ist im Klappentext der DVD/Blu-ray die Rede, tatsächlich erleben wir aber nur ein sprunghaftes Fantasy-Abenteuerchen, in dem sich zwei drittklassige "Harry Potter" in die Welt der "Märchenbraut" verirrt haben. Als dramaturgischer Höhepunkt grüßt Goethes "Zauberlehrling", aber die heraufbeschworenen Geister entführen den Zuschauer viel zu oft in ein obskures Schattenreich, deren (unfreiwillige) Bewohner stets einem ermüdenden Ringelpiez mit Anfassen frönen.

    Die Handlungsstränge sind wirr verwebt und man vermisst eine stringente Linie, streckenweise behindert die Story sich selbst und tritt auf der Stelle. Statt sich ein wenig schlüssiger der Karriere des Jonathan Strange zu widmen, sehen wir den Schürzenjäger mit zwei Zaubersprüchen hantieren und wenige Szenen später ist das vermeintliche Naturtalent schon zu Mr. Norrells ebenbürtigen Kompagnon avanciert. Das überrascht schon deshalb, weil die Autorin Mr. Norrell als eine Art "Gralshüter der wahren Zauberkunst" aufbaut, die er geradezu akademisch kultiviert. In der Serie ist Magie jedoch lediglich Hexenwerk. Der passende Spruch aus dem richtigen Buch, vielleicht noch ein angestrengtes Körperzucken, und Abrakadabra, die Fresken erwachen zum Leben. Hex, hex, und eine enorme Geisterflotte schippet vor Frankreichs Küste.
    Da wir uns ja die verschachtelte, aber dennoch plausible Erzählstruktur von "The Prestige" bereits abgeschminkt haben, müssen wir hier Magie einfach als natürliche Elementarkraft hinnehmen. Was jemanden jedoch befähigt, diese auch zu praktizieren, bleibt ebenso vage, wie die Fehde der beiden ehemaligen Freunde. Der Konflikt ist vielleicht noch nachvollziehbar, doch die Konsequenz nicht annähernd so dramatisch, wie es die Produktbeschreibung verspricht. Letztendlich geht es in "Jonathan Strange & Mr. Norrell" doch nur (wieder) um die gewaltige Kraft der Liebe. Vieles hätten sich und uns die beiden Zauberer ersparen können, hätten sie folgenden Spruch in einen Spiegel gemurmelt: "Katzenauge, Eulenschrei, - was verschwunden, komm herbei!". Denn niemand interessiert sich für die Frau, die verschwindet, - entscheidend ist das Prestigio.
    New World Order X (Blu-ray) New World Order X (Blu-ray) (BR)
    16.10.2016
    Bild:
    1 von 5
    Extras:
    1 von 5
    Ton:
    1 von 5

    Hilfe, gebt mir Torpase!

    Wenn man von Filmen noch nie was gehört hat, dann hat das in der Regel seinen Grund. Und obwohl ich in jüngster Zeit schon so manches Mal (zum Beispiel mit "Miss Meadows" oder "Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach") heftig auf die Nase gefallen bin, schaue ich bisweilen trotzdem gerne Low-Budget-Produktionen, denn hin und wieder (ganz selten!) erwischt man dann doch einen Streifen, der einen restlos begeistern.

    Das krasse Gegenteil von Begeisterung erwartet jedoch den aufgeschlossenen Cineasten bei "New World Order X". Dieses stümperhaft dahingerotzte Machwerk müsste eigentlich ein "New Rating System" für Amazon-Rezensionen einläuten, das auch negative Sterne zuläßt. Wenn ich nämlich jetzt meine bisherigen 1-Stern-Bewertungen ansehe und mit diesem wertlosen Stumpfsinn vergleiche, stellt sich eine gewisse Reue ein, denn neben "New World Order X" erscheinen selbst Til-Schweiger-Komödien wie grandiose Meisterwerke.

    Während eine ganze Reihe Avantgarde- oder Experimentalfilme ihre beschränkten (finanziellen) Mittel durch außergewöhnliche Geschichten oder Schauspielerleistungen egalisieren, enttäuscht "New World Order X" auf wirklich jeder Ebene: Drehbuch, Casting, Dialoge, Regie, Kameraeinstellungen, Schnitt, Lichttechnik, Synchronisation, Geräuschkulisse... alles ist eine einzige Katastrophe. Eine Schüler-Film-AG könnte nicht unangenehmer versagen. Es grenzt meines Erachtens an Unverschämtheit, solch einen dilettantischen Mumpitz zu veröffentlichen. Die Story ist unausgegoren und sprunghaft, die erzählerische Dichte ein Witz. Und wenn manche Undergroundproduktionen wenigstens aufgrund ihrer unfreiwilligen Komik zum Geheimtip avancierten, so kann man "New World Order X" nur völlige Humorlosigkeit attestieren. Es ist davon auszugehen, dass diejenigen, die diese primitive Science-Fiction nicht vorzeitig abschalten (konnten), entweder vor dem TV-Gerät verendet sind oder von Sadisten zum Gucken gezwungen wurden. Sagen Sie also später nicht, man hätte Sie nicht gewarnt!
    Residue Season 1 (Blu-ray) Residue Season 1 (Blu-ray) (BR)
    16.10.2016

    Resteverwertung

    Die britische Serie "Utopia" war für mich die Entdeckung des letzten Jahres. Regisseur Alex Garcia Lopez hat mich mit seinem visuellen Duktus regelrecht vom Hocker gerissen, so dass Meßlatte und Enttäuschungspotential für "Residue" recht hoch lagen. Leider muss ist nun feststellen, dass in meinen Augen - selbst bei nachsichtiger Betrachtung - diese Produktion keine positive Gesamtbewertung verdient.

    Die Geschichte ist sehr düster und kalt angelegt, was ich jedoch nicht als Nachteil werte. Ästhetisch ist die bedrückende Atmosphäre durchaus gelungen eingefangen: synthetisches Licht dominiert, die Protagonisten sind allesamt emotional beschädigt und deren Darsteller spielen ihre Rollen entsprechend zurückhaltend.

    Die Schwäche von "Residue" ist die unausgegorene Geschichte mit einem ganz erbärmlichen Finale. Verschiedene Handlungsstränge haben sich lediglich verheddert oder baumeln lose am Plot herunter. Es gibt keinen roten Faden, der wirklich Spannung aufbaut und der ahnen läßt, wohin die Story eigentlich führen soll. Es gibt großartige Serien, die begeistern, weil sie Episode für Episode ein Gesamtbild zusammenpuzzeln, doch diese Science-Fiction verliert sich in recht abgedroschener Mystery, Humorlosigkeit und einfach zu vielen konspirativen und sozialen Nebenschauplätzen, als dass dafür zwei Stunden auch nur annähernd reichen würden.
    Womit wir zu meinem Hauptkritikpunkt kommen: ich weigere mich nämlich diese Produktion als "Serie" oder "Mehrteiler" zu bezeichnen. "Residue" wirkt auf mich bestenfalls wie ein gescheiterter Pilot mit Überlänge. Pilotfilme werden momentan massenhaft gedreht, etliche fallen aus unterschiedlichen Gesichtspunkten durch und werden dann aus gutem Grund keinem größeren Publikum vorgestellt. Und so ist diese Veröffentlichung eigentlich eine ausgesprochene Unverschämtheit, denn der Käufer erhält nur Stückwerk aufgetischt, so als würde ein Buch nach nur dreißig Seiten abrupt abbrechen. Die Schlußszene hinterläßt einen ratlosen Zuschauer mit zahlreichen offenen Fragen. Möglicherweise hatten die Drehbuchautoren ja ein raffiniertes Gesamtkonzept mit schlüssigen Antworten, doch da man sich entschieden hat, dieses Fragment nicht fortzusetzen, bleibt nur eine gewisse Empörung.

    "Residue" bedeutet "Abfallprodukt" und genau das wird hier mit Hinweis auf prominente Mitwirkende und hochkarätige Serien versilbert. Und da sage noch mal jemand, Alchemie funktioniere nicht..
    Jordskott Staffel 1 (Blu-ray) Jordskott Staffel 1 (Blu-ray) (BR)
    16.10.2016

    Der Wahnwitz aus dem Wald

    Diese Serie ist quasi eine Metapher dafür, was passiert, wenn man es allen recht machen will und sich jedem anbiedert. "Jordskott" ist ein ganz und gar erbärmlicher Kessel Buntes, in dem auf schwacher Flamme ein ungenießbarer Sud aus Familiendramen, Krimi, Verschwörungstheorie und Korruption schmurgelt. Hoffnungslos überfordert versuchte hier ein offensichtlich größenwahnsinniges Autoren-Team den Inhalt von mindestens sechs ausgewachsenen Staffeln in nur zehn Folgen zu pressen. Um das zu ermöglichen, mußte mal wieder Mystery bemüht werden, das probate Stilmittel für minderbegabte Drehbuchschreiber. Mystery ist nämlich nichts zu blöd, Mystery darf einfach alles und bietet Einfaltspinseln genügend Spielraum für jede noch so abstruse Idee. Doch selbst der Rahmen, in dem sich nun diese übernatürlichen Phänomene ereignen, ist äußerst schlicht ersonnen und überschreitet die Grenze zur Peinlichkeit in einer geradezu unerträglichen Regelmäßigkeit. Neben übersinnlichen Elementen spielen die irrwitzigsten Zufälle die Hauptrollen in dieser mißratenen Serien. Und so schaut man sich vielleicht zunächst noch gnädig gestimmt die ersten paar Folgen an, als sähe man kleinen Jungs beim Playmobil-Spielen zu, die aber in ihrer Phantasiewelt immer mehr überschnappen und weiß bald, das wird nichts mehr. Spätestens wenn das eine Playmobilmännchen den Drachen aufgefressen hat und dann mit Superkräften gesegnet, die übermächtige Ritterarmee mit bloßen Händen niedermetzelt, wird einem klar, der Junge muss schleunigst ins Bett... So ähnlich fühlt man sich, wenn man tatsächlich bis zum Serienfinale durchgehalten hat.

    Um der ganzen Armseligkeit die Krone aufzusetzen, haben sich die Autoren nicht gescheut, eine Art schwedisches "Twin Peaks" heraufzubeschwören. Doch wie das so mit Plagiaten ist, wirken sie meist schon von Weitem billig und wäre ich David Lynch, ich würde eine juristische Klage in Betracht ziehen, denn was hier versucht wurde, ist keine Hommage, sondern unästhetische Stümperei.
    "Jordskott" bietet nichts, was man nicht schon anderswo wesentlich besser gesehen hätte. "Die Eulen sind nicht, was sie scheinen", prophezeite der Riese in "Twin Peaks" und meinte damit Serien wie "Jordskott".
    Legend (Blu-ray) Brian Helgeland
    Legend (Blu-ray) (BR)
    16.10.2016

    Das doppelte Tomchen

    Tom-Hardy-Fans müssen jetzt ganz tapfer sein, denn wer bisher noch nicht wußte, dass dieser Darsteller wohl einer der überschätztesten Schauspieler der Gegenwart ist, dem werden wohl mit "Legend" endgültig die Augen geöffnet. Ich persönlich fand ihn zwar in "The Drop" und "No Turning Back" ganz gefällig, aber wenn man sein Gesamtwerk betrachtet, fällt doch langsam auf, dass er - ähnlich wie beispielsweise Sylveser Stallone - nur eine beschränktes Talent besitzt und oft genug ein schreckliches Overacting pflegt: breitbeinig schreitend, affektiert rauchend, zu berechenbar unberechenbar agierend.

    Dass die meisten Rezensenten Hardys Leistung hier bisweilen überragend beurteilen, scheint mir ein klassischer Fall von "Des Kaisers neue Kleider" zu sein. Die Idee, ausgerechnet ihn für die Besetzung der Kray-Zwillinge in einer Doppelrolle einzusetzen, ist in meinen Augen jedenfalls fatal, da ich ihm weder die Soziopathie (Ron) noch die Cleverness (Reggie) abnehme. Vergleicht man optisch die realen Brüder mit ihren Film-Pendanten, so darf man den Maskenbildner durchaus eine Lob aussprechen, doch leider ist Hardy zu verkrampft bemüht, den beiden Figuren bloß keine Ähnlichkeit angedeihen zu lassen, dass diese schmierentheatralische Fassade schon nach wenigen Minuten anfängt zu bröckeln und zum Vorschein kommt... Tom Hardy, - und man fragt sich bald eigentlich nur noch, wie es filmtechnisch möglich ist, dass der selbe Schauspieler zeitgleich einmal mit und einmal ohne Brille auf der Leinwand zu sehen ist. Wie Kollege Cillian Murphy in der BBC-Serie "Peaky Blinders" übertreibt nämlich auch Tom Hardy mit jeder kleinen Geste und nimmt so seinen Charaktern die notwendige Authentizität.

    Und so macht es einfach keinen Spaß, diesen Streifen anzusehen, - der bestenfalls mit der Fußnote, dass Angelo Bruno im Namen von Meyer Lansky Kontakt mit den Krays aufnahm, einen interessanten Aspekt besitzt - vorausgesetzt sie stimmt überhaupt. Abgesehen von einer überzeugenden Emily Browning hat "Legend" im übrigen auch sonst nichts zu bieten, was man nicht in anderen Gangsterfilmen schon x-mal (besser) gesehen hat.
    Stadtrandlichter Clueso
    Stadtrandlichter (CD)
    09.10.2016
    Klang:
    3 von 5
    Musik:
    2 von 5

    Uh boy!

    Wenn man "Stadtrandlichter" gehört hat, wirft der Pressetext zu dieser Platte so manche Frage auf. Zum Beispiel ob musikalische Unabhängigkeit zwingend ein Segen ist. Klar: künstlerische Freiheit, das eigene Label und "sein eigener Chef sein", hört sich klasse an. Machen, was Spaß macht und das Hobby zum Beruf. Freidrehen, bis einem schwindelig wird. Sich geben, worauf man Bock hat. Keine Rücksicht, ohne Umweg, geradeaus. Geile Sache, keine Frage.
    Im Literaturbetrieb ist es allerdings aus gutem Grund verpönnt, seine eigenen Bücher selbst zu verlegen. Denn wenn man sich nur mit Sympathisanten und Freunden umgibt, fehlt schnell das konstruktive Korrektiv und genau diesen selbstverliebten Makel hört man Cluesos Stadtrandlichtern an. Schon der Vorgänger ließ Dynamik vermissen und auch das aktuelle Album schwächelt in dieser Beziehung.
    "Rumpelig" und "druckvoll" sollen die neuen Tracks laut Produktinformation sein. Die meisten Titel sind tatsächlich gefällig arrangiert, aber der Gesamteindruck verliert sich in einer temperamentlosen Langeweile, die weder drückt noch auffallend rumpelt. Textlich dreht sich Clueso eh seit "So sehr dabei" im Kreis, seine gesangliche Bandbreite bleibt beschränkt.
    Über Geschmack läßt sich bekanntlich (nicht) streiten, ich für meinen Teil hätte mir jedoch statt künstlicher Beats mehr authentische Energie gewünscht. Viele "Stadtrandlicher" leuchten mit mindestens zehntausend Kelvin, kaltweiße Soundspielereien färben die Songs synthetisch. Ich vermisse die "charmante Unvollkommenheit" der ersten Alben, denn wenn Monotonie Ausdruck von "Reife" und "unheimlicher emotionaler Tiefe" sein soll, dann lob ich mir das ehrliche, aber abwechslungsreiche Chaos.

    "Vollkommenheit" ist übrigens gar nicht erwünscht. Charisma, Einzigartigkeit, Innovation, Mut und Leidenschaft sind erstrebenswert und Attribute, die in den Pop-Himmel führen. Diejenigen, die dort schon angekommen sind, zeichnen selten Makellosigkeit aus.
    Jonathan Strange & Mr. Norrell Toby Haynes
    Jonathan Strange & Mr. Norrell (DVD)
    09.10.2016

    Sehen Sie auch genau zu?

    "Jeder Zaubertrick besteht aus drei Akten.
    Im ersten Teil wird das Thema vorgestellt: der Magier zeigt Ihnen etwas ganz Gewöhnliches: ein Kartenspiel, einen Vogel oder eine Person. Er zeigt Ihnen dieses Objekt. Vielleicht bittet er Sie auch darum, es zu inspizieren, damit Sie sehen können, dass es wirklich echt ist, ja, unverfälscht und normal. Doch wahrscheinlich ist es das natürlich nicht.

    In der zweiten Phase geschieht der Effekt: der Magier nimmt das gewöhnliche Objekt und lässt damit etwas Außergewöhnliches geschehen. Nun suchen Sie nach den Geheimnissen, aber Sie werden es nicht finden, denn natürlich ist es so, dass Sie nicht wirklich hinsehen; Sie wollen es eigentlich gar nicht wissen. Sie wollen sich täuschen lassen.

    Aber noch applaudieren Sie nicht, denn etwas verschwinden zu lassen, ist nicht genug - man muss es auch zurückbringen. Aus diesem Grund hat jeder Zaubertrick einen dritten Akt, den schwierigsten Teil, das Finale.
    Man nennt ihn Prestigio."

    Das ist sowohl der Prolog als auch das Geheimnis des gleichnamigen Spielfilms ("The Prestige") von Christopher Nolan, in dem zwei Zauberkünstler in einem unerbittlichen Konkurrenzkampf miteinander stehen. Wer diesen herausragenden Film kennt und von "Jonathan Strange & Mr. Norrell" eine ähnliche Dramatik erhofft, wird bitter enttäuscht sein, denn statt eines Prestigios warten auf den Zuschauer nur sieben Stunden märchenhafte Langweile mit müden Special-Effect statt Magie und einer äußerst dünnen Geschichte ohne packenden Zauber.

    Die Serie ist gefällig in Szene gesetzt, aber das Setting wirkt auf den zweiten Blick doch ein wenig sperrholzartig und gewollt. Wie bei den meisten BBC-Produktionen sind die beiden Protagonisten relativ interessant entwickelt. Der kauzige, verkopfte Mr. Norrell und der impulsive, weltoffene Jonathan Strange erinnern womöglich ein bisschen an Kehlmanns Gauß und Humboldt, ohne selbstredend auch nur ansatzweise das schöpferische Potenzial von "Die Vermessung der Welt" zu erreichen. Der Plot zieht sich quälend träge durch die Episoden, ohne dass Eigendynamik oder Spannung das Publikum mitreißt. Von einem "furiosen Duell" und einer erbitterten Rivalität der beiden Kontrahenten ist im Klappentext der DVD/Blu-ray die Rede, tatsächlich erleben wir aber nur ein sprunghaftes Fantasy-Abenteuerchen, in dem sich zwei drittklassige "Harry Potter" in die Welt der "Märchenbraut" verirrt haben. Als dramaturgischer Höhepunkt grüßt Goethes "Zauberlehrling", aber die heraufbeschworenen Geister entführen den Zuschauer viel zu oft in ein obskures Schattenreich, deren (unfreiwillige) Bewohner stets einem ermüdenden Ringelpiez mit Anfassen frönen.

    Die Handlungsstränge sind wirr verwebt und man vermisst eine stringente Linie, streckenweise behindert die Story sich selbst und tritt auf der Stelle. Statt sich ein wenig schlüssiger der Karriere des Jonathan Strange zu widmen, sehen wir den Schürzenjäger mit zwei Zaubersprüchen hantieren und wenige Szenen später ist das vermeintliche Naturtalent schon zu Mr. Norrells ebenbürtigen Kompagnon avanciert. Das überrascht schon deshalb, weil die Autorin Mr. Norrell als eine Art "Gralshüter der wahren Zauberkunst" aufbaut, die er geradezu akademisch kultiviert. In der Serie ist Magie jedoch lediglich Hexenwerk. Der passende Spruch aus dem richtigen Buch, vielleicht noch ein angestrengtes Körperzucken, und Abrakadabra, die Fresken erwachen zum Leben. Hex, hex, und eine enorme Geisterflotte schippet vor Frankreichs Küste.
    Da wir uns ja die verschachtelte, aber dennoch plausible Erzählstruktur von "The Prestige" bereits abgeschminkt haben, müssen wir hier Magie einfach als natürliche Elementarkraft hinnehmen. Was jemanden jedoch befähigt, diese auch zu praktizieren, bleibt ebenso vage, wie die Fehde der beiden ehemaligen Freunde. Der Konflikt ist vielleicht noch nachvollziehbar, doch die Konsequenz nicht annähernd so dramatisch, wie es die Produktbeschreibung verspricht. Letztendlich geht es in "Jonathan Strange & Mr. Norrell" doch nur (wieder) um die gewaltige Kraft der Liebe. Vieles hätten sich und uns die beiden Zauberer ersparen können, hätten sie folgenden Spruch in einen Spiegel gemurmelt: "Katzenauge, Eulenschrei, - was verschwunden, komm herbei!". Denn niemand interessiert sich für die Frau, die verschwindet, - entscheidend ist das Prestigio.
    New World Order X New World Order X (DVD)
    09.10.2016
    Bild:
    1 von 5
    Extras:
    1 von 5
    Ton:
    1 von 5

    Hilfe, gebt mir Torpase!

    Wenn man von Filmen noch nie was gehört hat, dann hat das in der Regel seinen Grund. Und obwohl ich in jüngster Zeit schon so manches Mal (zum Beispiel mit "Miss Meadows" oder "Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach") heftig auf die Nase gefallen bin, schaue ich bisweilen trotzdem gerne Low-Budget-Produktionen, denn hin und wieder (ganz selten!) erwischt man dann doch einen Streifen, der einen restlos begeistern.

    Das krasse Gegenteil von Begeisterung erwartet jedoch den aufgeschlossenen Cineasten bei "New World Order X". Dieses stümperhaft dahingerotzte Machwerk müsste eigentlich ein "New Rating System" für Amazon-Rezensionen einläuten, das auch negative Sterne zuläßt. Wenn ich nämlich jetzt meine bisherigen 1-Stern-Bewertungen ansehe und mit diesem wertlosen Stumpfsinn vergleiche, stellt sich eine gewisse Reue ein, denn neben "New World Order X" erscheinen selbst Til-Schweiger-Komödien wie grandiose Meisterwerke.

    Während eine ganze Reihe Avantgarde- oder Experimentalfilme ihre beschränkten (finanziellen) Mittel durch außergewöhnliche Geschichten oder Schauspielerleistungen egalisieren, enttäuscht "New World Order X" auf wirklich jeder Ebene: Drehbuch, Casting, Dialoge, Regie, Kameraeinstellungen, Schnitt, Lichttechnik, Synchronisation, Geräuschkulisse... alles ist eine einzige Katastrophe. Eine Schüler-Film-AG könnte nicht unangenehmer versagen. Es grenzt meines Erachtens an Unverschämtheit, solch einen dilettantischen Mumpitz zu veröffentlichen. Die Story ist unausgegoren und sprunghaft, die erzählerische Dichte ein Witz. Und wenn manche Undergroundproduktionen wenigstens aufgrund ihrer unfreiwilligen Komik zum Geheimtip avancierten, so kann man "New World Order X" nur völlige Humorlosigkeit attestieren. Es ist davon auszugehen, dass diejenigen, die diese primitive Science-Fiction nicht vorzeitig abschalten (konnten), entweder vor dem TV-Gerät verendet sind oder von Sadisten zum Gucken gezwungen wurden. Sagen Sie also später nicht, man hätte Sie nicht gewarnt!
    Ausgerechnet Alaska (Komplette Serie) Ausgerechnet Alaska (Komplette Serie) (DVD)
    09.10.2016
    Bild:
    5 von 5
    Extras:
    5 von 5
    Ton:
    5 von 5

    Cicely is a State of Mind

    "Charme, Sophistication und Leichtigkeit bilden seit jeher die Eckpunkte einer viel zu seltenen, etwas anderen Form der Subversion - wie eben in AUSGERECHNET ALASKA. Also los, erinnern wir uns! An den unter die Hinterwäldler geratenen Dr. Fleischman, der immer nur zurück nach Hause wollte und selbst von dem Mädchen mit dem phänomenalen Lächeln nicht so recht zu überzeugen war..." (Sky Nonhoff)

    Viel treffender und schöner kann man wohl gar nicht den wesentlichen Aufhänger der Ausnahmeserie "Ausgerechnet Alaska" auf den Punkt bringen. Aber auch wenn der jüdische Großstadtneurotiker Joel Fleischman gezwungen wird, das Stipendium für sein Medizinstudiums in Cicely (einem provinziellen 840-Seelen Nest mitten in der Wildnis von Alaska) abzuarbeiten und an der fremden Kultur, den frugalen Lebensverhältnisse und an der familiären Dorfgemeinschaft zu verzweifeln droht, wäre es ungerecht, die Serie nur auf den "New-Yorker mit Heimweh" zu reduzieren, - denn "Ausgerechnet Alaska" lebt von all den fabelhaften Protagonisten, die erstaunlicherweise gerade dadurch authentisch und liebenswert wirken, weil sie fast alle mit unausstehlichen Eigenarten aufwarten.
    Allerdings geht es um so viel mehr, als nur um eine Hand voll außergewöhnlicher Menschen, die in einem idealistischen Mikrokosmos drollige Abenteuer erleben.
    Es geht darum, daß offensichtlich auch ein intelligentes, anspruchsvolles Format jenseits von so abgehalfterten Comedy-Fossilen wie "Al Bundy" massentauglich sein kann, solange es nur in einem unterhaltsamen Rahmen steckt. Das ehrgeizige Projekt der beiden Produzenten Joshua Brand und John Falsey ist geglückt, - und zwar ganz ohne Lachkonserven und abgedroschenen Stereotypen. In Amerika wurde "Northern Exposure" in den Printmedien als "The Coolest Show Ever" gefeiert, während "Ausgerechnet Alaska" hierzulande leider quotentechnisch sowohl RTL als auch VOX enttäuschte, - was allerdings nicht zuletzt an den unattraktiven Sendeterminen lag. Doch an der Qualität der Serie gibt es unter Kritikern keinen Zweifel. Sechs Staffeln, einhundertzehn Folgen, hat "Ausgerechnet Alaska" auf allerhöchsten Niveau neue Standards gesetzt, die so viele Serien beeinflußt haben. Mehr oder weniger offen ahmen vergleichsweise gute Sendereihen wie "Picket Fences" über der (wie ich persönlich finde) allgemein überschätzten "Ally McBeal" bis hin zu den eher dümmlichen "Men in Trees" die Ausnahmeserie "Ausgerechnet Alaska" nach. Überall lassen sich Anleihen entdecken, wenn man sich tatsächlich die Mühe machen und sich durch die oft drittklassigen Plagiate quälen würde.

    Doch obwohl "Ausgerechnet Alaska" so viele Alaska-spezifische Probleme wie Alkoholismus, Selbstmord oder Depressionen weitestgehend ausklammert, ist Cicely mit seinen komplexen Charakteren kein Utopia.
    Da wäre natürlich Joel Fleischman, der New York dermaßen verinnerlicht hat, daß er mit seinen schizoiden Großstadtallüren die geduldigen Cicelianer bestenfalls konsterniert. Da ist die impulsive Maggie O'Connell, die den weiblichen Part einer diffizilen Beziehung zwischen den beiden "gegenseitig, begehrenden Unvereinbaren" (Maggie & Joel) bildet. Da ist die schrullige Ruth-Anne Miller, die einerseits erstaunlich liberal auftritt und dann doch so ekelhaft kompromißlos und dogmatisch sein kann, daß man vor Wut in den Teppich beißt. Oder die stoische Sprechstundenhilfe Marilyn Whirlwind, der man am liebsten persönlich in den Hintern treten möchte, wenn sie wieder mal nur einsilbig und phlegmatisch auf einen dieser herrlichen, cholerischen Anfälle des Doktor Fleischman reagiert. Da ist der gutmütige Holling Vincoeur, der aus einer rücksichtslosen Akristokratenfamilie abstammt und doch das Herz der naiven "Miss Northwest-Passage" Shelly Tambo erobern konnte, weil er sich von der Bosheit seiner Ahnen distanziert. Da ist das schwule Paar, Ron und Erick, die erfreulichweise keines der üblichen tuntigen Klischees erfüllen, die gerade in amerikanischen Komödien und Serien so gerne bemüht werden. Diszipliniert, geschäftig und durchaus zynisch führen sie ihre kleine Frühstückspension am Rande der Stadt. Großartig sind auch Adam und Eve: der psychopathische Meisterkoch, Gourmet und Obskurant, der hinter jeder Ecke eine Intrige vermutet (und man als Zuschauer jedesmal im Unklaren gelassen wird, ob er nun paranoid ist oder genial) und seine hochgradig hypochondrische Gattin, die Joel in einer Folge bei sich zu Hause niederschlägt und in Ketten legt, weil sie unbedingt einen Arzt in ihrer Nähe haben will. Nicht zu vergessen natürlich der reaktionäre, homophobe Ex-Astronaut Maurice Minnifield, der immer wieder mit seinem beachtlichen Vermögen Cicelys Aufschwung einzuläuten versucht und dabei auf eine gepfefferte Rendite spekuliert. Doch nichts ist ihm so verhaßt wie Mitleid oder Almosen. Als ihm in einer Lebenskrise seine Sozialversicherung eine Auszahlung ankündigt, teufelt er: "Ihr steckt mir Nadeln in die Puppe!" und wehrt sich gegen den gesellschaftlichen Voodoo auf seine ganz persönliche, trotzige Art und Weise. Aber im Gegensatz zu seinem Logen-Bruder Lester Haynes hat Maurice kein Herz aus Stein. Während der verkorkste Patriot Minnifield - trotz seines privilegierten Reichtums - menschlichen Anstand bewahrt hat, ist sein indianischer Rivale Haynes völlig entwurzelt, - der Kapitalist hat keinerlei Bezug mehr zu seiner Kultur und geht über Leichen.
    Und gerade diese raffinierten Analogien machen den Unterschied zu anderen Serien, denn "Ausgerechnet Alaska" atmet geradezu Symbolik, Metaphern und Mythen. Unterschwellig und amüsant bringt sie dem Zuschauer Psychologie, Philosophie und Literatur näher, - ohne den moralinsaurem Beigeschmack einer "Bill-Cosby-Show"! Oder wie ein schlauer Kopf in dem Zuschauerforum des Kulturkanals ARTE einmal über "Ausgerechnet Alaska" schrieb: "Welche Serie befaßt sich denn sonst mit Literatur von Dostojewski bis Thoreau, von Heidegger bis Tolstoi? Welche Serie setzt sich ernsthaft, wenn auch oft mit leiser Ironie, mit den Texten Joseph Campbells, mit der Frage, was Kunst ist, mit Katholizismus, Judentum und Agnostik (...)" Und auf dieser Erkenntnis will ich jetzt erst einmal weiterreiten, bis der Klepper zusammenbricht:

    Ed Chigliak beispielsweise symbolisiert den Schmelztiegel Cicely. Der indianische Waise verkörpert zu gleichen Teilen weiße als auch indianische Kultur. Einerseits zum Heiler berufen, andererseits dem Kino verfallen, versucht er, sich in seiner Welt zurecht zu finden. Diese innere Zerrissenheit zwischen Schamane und Drehbuchautor, zwischen Stammes-Mythologie und den Hollywood-Geschichten macht ihn gleichzeitig liebenswert und bedauernswürdig, denn er stolpert orientierungslos durch die Serie, besessen und gepeinigt von seinem Dämon: "Geringe Selbstachtung".
    Auch der O'Connell-Fluch ist solch ein phantastisches Paradoxon. Die Liebe der emanzipierten Buschpilotin Maggie O'Connell rafft früher oder später alle ihre Liebhaber auf irrsinnigste Weise dahin. Das ist emotionale Algebra... und weder der Superallergiker Mike Monroe noch Joel Fleischman sind in der Lage, Maggies Liebe dauerhaft zu erwidern resp. die Gleichung ausgewogen zu gestalten. Sie flüchten, bevor sie sterben (müssen)!
    Oder der Schamane Leonard, der in einer Episode versucht, das "kollektive Unterbewußte der Weißen" anhand deren Mythen und Legenden zu lokalisieren und dabei erkennen muß, daß die Geschichten, die er sich erzählen läßt, keinerlei Sinn ergeben und Chris weiß auch warum: "Die Massenproduktion hat den Kapitalismus eingeleitet, aber daß hat das Individuum geschwächt, das daraufhin Gott getötet hat und wir - als Gesellschaft - haben das Vakuum mit Angst und Paranoia gefüllt".
    Wie kritisch und humorvoll die Serie sich selbst analysiert, zeigt ein Beispiel: Über fünf Staffeln haben die Drehbuchschreiber den intellektuellen Radio-DJ und Frauenschwarm Chris Stevens zum absoluten Publikumsliebling aufgebaut, nur um ihn dann in einer einzigen Folge von einer Bauchrednerpuppe, dem "hölzernen Amerikaner", zu demontieren. Die geistreichen Aphorismen (quer durch Literatur & Philosophie) und psychologischen Schlenker (Freud & Jung), mit denen Chris den Zuschauer begeistert hat, entpuppen sich plötzlich als viel zu anstrengend, als dass man diesen selbstverliebten, ambivalenter Schwätzer auch nur einen Tag ertragen wollte.
    Ein schönes Beispiel der berühmten "Welten, die aufeinander prallen", ist die Episode, in der Joel ein prähistorisches Mammut unter einer Schneedecke entdeckt. Doch noch bevor er diesen sagenhaften Fund wissenschaftlich erforschen kann, ist schon der einheimische Trapper Walt Kupfer mit Dynamit und Kettensäge zur Stelle und macht aus dem Urviech bedenkenlos Hackfleisch... So setzt jeder seine Prioritäten!
    Oder die Geschichte, in der Ruth-Anne mühselig versucht, italienisch zu lernen, damit sie Dantes "Göttliche Komödie" im Original lesen kann und dabei mißgünstig feststellt, dass die naive Shelly ihr unglaubliches Talent für Fremdsprachen gnadenlos vergeudet.
    So viele wunderbare Handlungen gäbe es zu erzählen, die in der Regel nie nur zu Unterhaltungszwecken ausgedacht wurden, sondern stets ein philosophisches Motiv besitzen: zum Beispiel vom Maggies katapultierten Klavier oder von Bob, "dem fliegenden Mann", oder von Rabbi Schulmans Besuchen in Cicely oder als Chris der Wintersonnenwende mit Goethes letzten Worten "Mehr Licht!" ein Schnippchen schlägt oder wie es dem leibhaftige Satan (in der jämmerlicher Gestalt eines schmierigen Badewannenvertreters ) beinahe gelingt, Shelly zu verführen oder...

    Aber all diese Geschichten gibt's ja nun endlich in dieser phantastischen DVD-Sammlung, deren Veröffentlichung mit der deutschsprachigen Tonspur fast wie eine kleines Wunder erscheint. Viele Jahre verhinderte nämlich ein Musikrechte-Problem die digitale Vermarktung der Serie und sorgte für lange Gesichter bei den Fans, mit denen der Seriengott angesichts der vielen verpatzten TV-Ausstrahlungen ja nicht gerade zimperlich umgesprungen war. Doch nun erbarmte sich Turbine Media und läßt mit dieser Sonder-Edition keinen Wunsch offen: alle 110 Folgen auf 28 DVDs in optimierter Bildqualität mit wahlweise deutscher und englischer Tonspur, - und zwar jeweils mit der Original-Musik, - zusätzlich haufenweise unveröffentlichte Szenen und andere Outtakes mit deutschen Untertiteln.. Ich bin begeistert!

    "Ausgerechnet Alaska" ist nicht nur eine der besten TV-Serien aller Zeiten, "Ausgerechnet Alaska" ist eine Lebensphilosophie! Oder um es noch einmal mit Sky Nonhoffs Worten zu sagen:

    "Romantik! Das dazugehörende Zögern! Hormoneller Swing! Pure Bewußtseinserweiterung"

    Wow, dem gibt es nichts hinzuzufügen!
    Ausgerechnet Alaska (Komplette Serie in Holzbox) Ausgerechnet Alaska (Komplette Serie in Holzbox) (DVD)
    09.10.2016
    Bild:
    5 von 5
    Extras:
    5 von 5
    Ton:
    5 von 5

    Cicely is a State of Mind

    "Charme, Sophistication und Leichtigkeit bilden seit jeher die Eckpunkte einer viel zu seltenen, etwas anderen Form der Subversion - wie eben in AUSGERECHNET ALASKA. Also los, erinnern wir uns! An den unter die Hinterwäldler geratenen Dr. Fleischman, der immer nur zurück nach Hause wollte und selbst von dem Mädchen mit dem phänomenalen Lächeln nicht so recht zu überzeugen war..." (Sky Nonhoff)

    Viel treffender und schöner kann man wohl gar nicht den wesentlichen Aufhänger der Ausnahmeserie "Ausgerechnet Alaska" auf den Punkt bringen. Aber auch wenn der jüdische Großstadtneurotiker Joel Fleischman gezwungen wird, das Stipendium für sein Medizinstudiums in Cicely (einem provinziellen 840-Seelen Nest mitten in der Wildnis von Alaska) abzuarbeiten und an der fremden Kultur, den frugalen Lebensverhältnisse und an der familiären Dorfgemeinschaft zu verzweifeln droht, wäre es ungerecht, die Serie nur auf den "New-Yorker mit Heimweh" zu reduzieren, - denn "Ausgerechnet Alaska" lebt von all den fabelhaften Protagonisten, die erstaunlicherweise gerade dadurch authentisch und liebenswert wirken, weil sie fast alle mit unausstehlichen Eigenarten aufwarten.
    Allerdings geht es um so viel mehr, als nur um eine Hand voll außergewöhnlicher Menschen, die in einem idealistischen Mikrokosmos drollige Abenteuer erleben.
    Es geht darum, daß offensichtlich auch ein intelligentes, anspruchsvolles Format jenseits von so abgehalfterten Comedy-Fossilen wie "Al Bundy" massentauglich sein kann, solange es nur in einem unterhaltsamen Rahmen steckt. Das ehrgeizige Projekt der beiden Produzenten Joshua Brand und John Falsey ist geglückt, - und zwar ganz ohne Lachkonserven und abgedroschenen Stereotypen. In Amerika wurde "Northern Exposure" in den Printmedien als "The Coolest Show Ever" gefeiert, während "Ausgerechnet Alaska" hierzulande leider quotentechnisch sowohl RTL als auch VOX enttäuschte, - was allerdings nicht zuletzt an den unattraktiven Sendeterminen lag. Doch an der Qualität der Serie gibt es unter Kritikern keinen Zweifel. Sechs Staffeln, einhundertzehn Folgen, hat "Ausgerechnet Alaska" auf allerhöchsten Niveau neue Standards gesetzt, die so viele Serien beeinflußt haben. Mehr oder weniger offen ahmen vergleichsweise gute Sendereihen wie "Picket Fences" über der (wie ich persönlich finde) allgemein überschätzten "Ally McBeal" bis hin zu den eher dümmlichen "Men in Trees" die Ausnahmeserie "Ausgerechnet Alaska" nach. Überall lassen sich Anleihen entdecken, wenn man sich tatsächlich die Mühe machen und sich durch die oft drittklassigen Plagiate quälen würde.

    Doch obwohl "Ausgerechnet Alaska" so viele Alaska-spezifische Probleme wie Alkoholismus, Selbstmord oder Depressionen weitestgehend ausklammert, ist Cicely mit seinen komplexen Charakteren kein Utopia.
    Da wäre natürlich Joel Fleischman, der New York dermaßen verinnerlicht hat, daß er mit seinen schizoiden Großstadtallüren die geduldigen Cicelianer bestenfalls konsterniert. Da ist die impulsive Maggie O'Connell, die den weiblichen Part einer diffizilen Beziehung zwischen den beiden "gegenseitig, begehrenden Unvereinbaren" (Maggie & Joel) bildet. Da ist die schrullige Ruth-Anne Miller, die einerseits erstaunlich liberal auftritt und dann doch so ekelhaft kompromißlos und dogmatisch sein kann, daß man vor Wut in den Teppich beißt. Oder die stoische Sprechstundenhilfe Marilyn Whirlwind, der man am liebsten persönlich in den Hintern treten möchte, wenn sie wieder mal nur einsilbig und phlegmatisch auf einen dieser herrlichen, cholerischen Anfälle des Doktor Fleischman reagiert. Da ist der gutmütige Holling Vincoeur, der aus einer rücksichtslosen Akristokratenfamilie abstammt und doch das Herz der naiven "Miss Northwest-Passage" Shelly Tambo erobern konnte, weil er sich von der Bosheit seiner Ahnen distanziert. Da ist das schwule Paar, Ron und Erick, die erfreulichweise keines der üblichen tuntigen Klischees erfüllen, die gerade in amerikanischen Komödien und Serien so gerne bemüht werden. Diszipliniert, geschäftig und durchaus zynisch führen sie ihre kleine Frühstückspension am Rande der Stadt. Großartig sind auch Adam und Eve: der psychopathische Meisterkoch, Gourmet und Obskurant, der hinter jeder Ecke eine Intrige vermutet (und man als Zuschauer jedesmal im Unklaren gelassen wird, ob er nun paranoid ist oder genial) und seine hochgradig hypochondrische Gattin, die Joel in einer Folge bei sich zu Hause niederschlägt und in Ketten legt, weil sie unbedingt einen Arzt in ihrer Nähe haben will. Nicht zu vergessen natürlich der reaktionäre, homophobe Ex-Astronaut Maurice Minnifield, der immer wieder mit seinem beachtlichen Vermögen Cicelys Aufschwung einzuläuten versucht und dabei auf eine gepfefferte Rendite spekuliert. Doch nichts ist ihm so verhaßt wie Mitleid oder Almosen. Als ihm in einer Lebenskrise seine Sozialversicherung eine Auszahlung ankündigt, teufelt er: "Ihr steckt mir Nadeln in die Puppe!" und wehrt sich gegen den gesellschaftlichen Voodoo auf seine ganz persönliche, trotzige Art und Weise. Aber im Gegensatz zu seinem Logen-Bruder Lester Haynes hat Maurice kein Herz aus Stein. Während der verkorkste Patriot Minnifield - trotz seines privilegierten Reichtums - menschlichen Anstand bewahrt hat, ist sein indianischer Rivale Haynes völlig entwurzelt, - der Kapitalist hat keinerlei Bezug mehr zu seiner Kultur und geht über Leichen.
    Und gerade diese raffinierten Analogien machen den Unterschied zu anderen Serien, denn "Ausgerechnet Alaska" atmet geradezu Symbolik, Metaphern und Mythen. Unterschwellig und amüsant bringt sie dem Zuschauer Psychologie, Philosophie und Literatur näher, - ohne den moralinsaurem Beigeschmack einer "Bill-Cosby-Show"! Oder wie ein schlauer Kopf in dem Zuschauerforum des Kulturkanals ARTE einmal über "Ausgerechnet Alaska" schrieb: "Welche Serie befaßt sich denn sonst mit Literatur von Dostojewski bis Thoreau, von Heidegger bis Tolstoi? Welche Serie setzt sich ernsthaft, wenn auch oft mit leiser Ironie, mit den Texten Joseph Campbells, mit der Frage, was Kunst ist, mit Katholizismus, Judentum und Agnostik (...)" Und auf dieser Erkenntnis will ich jetzt erst einmal weiterreiten, bis der Klepper zusammenbricht:

    Ed Chigliak beispielsweise symbolisiert den Schmelztiegel Cicely. Der indianische Waise verkörpert zu gleichen Teilen weiße als auch indianische Kultur. Einerseits zum Heiler berufen, andererseits dem Kino verfallen, versucht er, sich in seiner Welt zurecht zu finden. Diese innere Zerrissenheit zwischen Schamane und Drehbuchautor, zwischen Stammes-Mythologie und den Hollywood-Geschichten macht ihn gleichzeitig liebenswert und bedauernswürdig, denn er stolpert orientierungslos durch die Serie, besessen und gepeinigt von seinem Dämon: "Geringe Selbstachtung".
    Auch der O'Connell-Fluch ist solch ein phantastisches Paradoxon. Die Liebe der emanzipierten Buschpilotin Maggie O'Connell rafft früher oder später alle ihre Liebhaber auf irrsinnigste Weise dahin. Das ist emotionale Algebra... und weder der Superallergiker Mike Monroe noch Joel Fleischman sind in der Lage, Maggies Liebe dauerhaft zu erwidern resp. die Gleichung ausgewogen zu gestalten. Sie flüchten, bevor sie sterben (müssen)!
    Oder der Schamane Leonard, der in einer Episode versucht, das "kollektive Unterbewußte der Weißen" anhand deren Mythen und Legenden zu lokalisieren und dabei erkennen muß, daß die Geschichten, die er sich erzählen läßt, keinerlei Sinn ergeben und Chris weiß auch warum: "Die Massenproduktion hat den Kapitalismus eingeleitet, aber daß hat das Individuum geschwächt, das daraufhin Gott getötet hat und wir - als Gesellschaft - haben das Vakuum mit Angst und Paranoia gefüllt".
    Wie kritisch und humorvoll die Serie sich selbst analysiert, zeigt ein Beispiel: Über fünf Staffeln haben die Drehbuchschreiber den intellektuellen Radio-DJ und Frauenschwarm Chris Stevens zum absoluten Publikumsliebling aufgebaut, nur um ihn dann in einer einzigen Folge von einer Bauchrednerpuppe, dem "hölzernen Amerikaner", zu demontieren. Die geistreichen Aphorismen (quer durch Literatur & Philosophie) und psychologischen Schlenker (Freud & Jung), mit denen Chris den Zuschauer begeistert hat, entpuppen sich plötzlich als viel zu anstrengend, als dass man diesen selbstverliebten, ambivalenter Schwätzer auch nur einen Tag ertragen wollte.
    Ein schönes Beispiel der berühmten "Welten, die aufeinander prallen", ist die Episode, in der Joel ein prähistorisches Mammut unter einer Schneedecke entdeckt. Doch noch bevor er diesen sagenhaften Fund wissenschaftlich erforschen kann, ist schon der einheimische Trapper Walt Kupfer mit Dynamit und Kettensäge zur Stelle und macht aus dem Urviech bedenkenlos Hackfleisch... So setzt jeder seine Prioritäten!
    Oder die Geschichte, in der Ruth-Anne mühselig versucht, italienisch zu lernen, damit sie Dantes "Göttliche Komödie" im Original lesen kann und dabei mißgünstig feststellt, dass die naive Shelly ihr unglaubliches Talent für Fremdsprachen gnadenlos vergeudet.
    So viele wunderbare Handlungen gäbe es zu erzählen, die in der Regel nie nur zu Unterhaltungszwecken ausgedacht wurden, sondern stets ein philosophisches Motiv besitzen: zum Beispiel vom Maggies katapultierten Klavier oder von Bob, "dem fliegenden Mann", oder von Rabbi Schulmans Besuchen in Cicely oder als Chris der Wintersonnenwende mit Goethes letzten Worten "Mehr Licht!" ein Schnippchen schlägt oder wie es dem leibhaftige Satan (in der jämmerlicher Gestalt eines schmierigen Badewannenvertreters ) beinahe gelingt, Shelly zu verführen oder...

    Aber all diese Geschichten gibt's ja nun endlich in dieser phantastischen DVD-Sammlung, deren Veröffentlichung mit der deutschsprachigen Tonspur fast wie eine kleines Wunder erscheint. Viele Jahre verhinderte nämlich ein Musikrechte-Problem die digitale Vermarktung der Serie und sorgte für lange Gesichter bei den Fans, mit denen der Seriengott angesichts der vielen verpatzten TV-Ausstrahlungen ja nicht gerade zimperlich umgesprungen war. Doch nun erbarmte sich Turbine Media und läßt mit der Jubiläumsausgabe keinen Wunsch offen: alle 110 Folgen auf 28 DVDs in optimierter Bildqualität mit wahlweise deutscher und englischer Tonspur, - und zwar jeweils mit der Original-Musik! Zusätzlich haufenweise unveröffentlichte Szenen und andere Outtakes mit deutschen Untertiteln und reichlich Gimmicks in einer exklusiven Holzkiste. Ich bin begeistert!

    "Ausgerechnet Alaska" ist nicht nur eine der besten TV-Serien aller Zeiten, "Ausgerechnet Alaska" ist eine Lebensphilosophie! Oder um es noch einmal mit Sky Nonhoffs Worten zu sagen:

    "Romantik! Das dazugehörende Zögern! Hormoneller Swing! Pure Bewußtseinserweiterung"

    Wow, dem gibt es nichts hinzuzufügen!
    Ein Kommentar
    Anonym
    21.11.2016

    Ausgerechnet Alaska

    Dem gibt es nichts hinzuzufügen! Endlich kann ich alle Folgen genießen!
    Legend Brian Helgeland
    Legend (DVD)
    09.10.2016

    Das doppelte Tomchen

    Tom-Hardy-Fans müssen jetzt ganz tapfer sein, denn wer bisher noch nicht wußte, dass dieser Darsteller wohl einer der überschätztesten Schauspieler der Gegenwart ist, dem werden wohl mit "Legend" endgültig die Augen geöffnet. Ich persönlich fand ihn zwar in "The Drop" und "No Turning Back" ganz gefällig, aber wenn man sein Gesamtwerk betrachtet, fällt doch langsam auf, dass er - ähnlich wie beispielsweise Sylveser Stallone - nur eine beschränktes Talent besitzt und oft genug ein schreckliches Overacting pflegt: breitbeinig schreitend, affektiert rauchend, zu berechenbar unberechenbar agierend.

    Dass die meisten Rezensenten Hardys Leistung hier bisweilen überragend beurteilen, scheint mir ein klassischer Fall von "Des Kaisers neue Kleider" zu sein. Die Idee, ausgerechnet ihn für die Besetzung der Kray-Zwillinge in einer Doppelrolle einzusetzen, ist in meinen Augen jedenfalls fatal, da ich ihm weder die Soziopathie (Ron) noch die Cleverness (Reggie) abnehme. Vergleicht man optisch die realen Brüder mit ihren Film-Pendanten, so darf man den Maskenbildner durchaus eine Lob aussprechen, doch leider ist Hardy zu verkrampft bemüht, den beiden Figuren bloß keine Ähnlichkeit angedeihen zu lassen, dass diese schmierentheatralische Fassade schon nach wenigen Minuten anfängt zu bröckeln und zum Vorschein kommt... Tom Hardy, - und man fragt sich bald eigentlich nur noch, wie es filmtechnisch möglich ist, dass der selbe Schauspieler zeitgleich einmal mit und einmal ohne Brille auf der Leinwand zu sehen ist. Wie Kollege Cillian Murphy in der BBC-Serie "Peaky Blinders" übertreibt nämlich auch Tom Hardy mit jeder kleinen Geste und nimmt so seinen Charaktern die notwendige Authentizität.

    Und so macht es einfach keinen Spaß, diesen Streifen anzusehen, - der bestenfalls mit der Fußnote, dass Angelo Bruno im Namen von Meyer Lansky Kontakt mit den Krays aufnahm, einen interessanten Aspekt besitzt - vorausgesetzt sie stimmt überhaupt. Abgesehen von einer überzeugenden Emily Browning hat "Legend" im übrigen auch sonst nichts zu bieten, was man nicht in anderen Gangsterfilmen schon x-mal (besser) gesehen hat.
    Residue Season 1 Residue Season 1 (DVD)
    09.10.2016

    Resteverwertung

    Die britische Serie "Utopia" war für mich die Entdeckung des letzten Jahres. Regisseur Alex Garcia Lopez hat mich mit seinem visuellen Duktus regelrecht vom Hocker gerissen, so dass Meßlatte und Enttäuschungspotential für "Residue" recht hoch lagen. Leider muss ist nun feststellen, dass in meinen Augen - selbst bei nachsichtiger Betrachtung - diese Produktion keine positive Gesamtbewertung verdient.

    Die Geschichte ist sehr düster und kalt angelegt, was ich jedoch nicht als Nachteil werte. Ästhetisch ist die bedrückende Atmosphäre durchaus gelungen eingefangen: synthetisches Licht dominiert, die Protagonisten sind allesamt emotional beschädigt und deren Darsteller spielen ihre Rollen entsprechend zurückhaltend.

    Die Schwäche von "Residue" ist die unausgegorene Geschichte mit einem ganz erbärmlichen Finale. Verschiedene Handlungsstränge haben sich lediglich verheddert oder baumeln lose am Plot herunter. Es gibt keinen roten Faden, der wirklich Spannung aufbaut und der ahnen läßt, wohin die Story eigentlich führen soll. Es gibt großartige Serien, die begeistern, weil sie Episode für Episode ein Gesamtbild zusammenpuzzeln, doch diese Science-Fiction verliert sich in recht abgedroschener Mystery, Humorlosigkeit und einfach zu vielen konspirativen und sozialen Nebenschauplätzen, als dass dafür zwei Stunden auch nur annähernd reichen würden.
    Womit wir zu meinem Hauptkritikpunkt kommen: ich weigere mich nämlich diese Produktion als "Serie" oder "Mehrteiler" zu bezeichnen. "Residue" wirkt auf mich bestenfalls wie ein gescheiterter Pilot mit Überlänge. Pilotfilme werden momentan massenhaft gedreht, etliche fallen aus unterschiedlichen Gesichtspunkten durch und werden dann aus gutem Grund keinem größeren Publikum vorgestellt. Und so ist diese Veröffentlichung eigentlich eine ausgesprochene Unverschämtheit, denn der Käufer erhält nur Stückwerk aufgetischt, so als würde ein Buch nach nur dreißig Seiten abrupt abbrechen. Die Schlußszene hinterläßt einen ratlosen Zuschauer mit zahlreichen offenen Fragen. Möglicherweise hatten die Drehbuchautoren ja ein raffiniertes Gesamtkonzept mit schlüssigen Antworten, doch da man sich entschieden hat, dieses Fragment nicht fortzusetzen, bleibt nur eine gewisse Empörung.

    "Residue" bedeutet "Abfallprodukt" und genau das wird hier mit Hinweis auf prominente Mitwirkende und hochkarätige Serien versilbert. Und da sage noch mal jemand, Alchemie funktioniere nicht...
    Wer bringt mich jetzt zu den Anderen Die Höchste Eisenbahn
    Wer bringt mich jetzt zu den Anderen (CD)
    09.10.2016
    Klang:
    2 von 5
    Musik:
    3 von 5

    Schau in den Lauf, Timmy!

    Nein, das ist nicht der große Wurf nach dem sensationellen Debüt. Lange hat sich "Die höchste Eisenbahn" Zeit gelassen und man fragt sich, was sie eigentlich so lange gemacht hat. Offensichtlich nachgedacht, bis sie wütend wurde. Aber diese Emotion spiegelt sich musikalisch nicht in einem einzigen Song des neuen Albums wider, alle 13 Tracks sind so farblos und eingängig arrangiert, dass man über die Kreativität von "Schau in den Lauf , Hase" nachträglich nur noch mehr staunen kann. Da mich damals das erste Album so begeistert hatte, konnte ich es jetzt kaum fassen, dass ich diese aktuelle Veröffentlichung so enttäuschend empfinde. Nichtsdestotrotz (oder gerade deswegen) habe ich sie inzwischen nahezu zwanzig Mal gehört, aber mir gelingt es nicht, auf dieser CD etwas zu entdecken, was mich richtig mitreißt. Die Songs dudeln mit viel Chorus und Streichern vor sich hin, die Texte sind wahrscheinlich großartig, aber man versteht immer nur Bruchstücke, weil sie dahergenuschelt sind, als hätte man sie durch die Durchsagelautsprecher der Deutschen Bahn abgemischt. Möglicherweise hat man sich einfach zu viel Zeit gelassen und dem Album jegliche Kanten und Ecken abgefeilt, die es spannend gemacht hätten. Oder es ist bei mir schlicht das passiert, was in der Regel immer passiert, wenn man sich viel zu lange auf etwas freut...
    Jordskott Staffel 1 Jordskott Staffel 1 (DVD)
    09.10.2016

    Der Wahnwitz aus dem Walde

    Diese Serie ist quasi eine Metapher dafür, was passiert, wenn man es allen recht machen will und sich jedem anbiedert. "Jordskott" ist ein ganz und gar erbärmlicher Kessel Buntes, in dem auf schwacher Flamme ein ungenießbarer Sud aus Familiendramen, Krimi, Verschwörungstheorie und Korruption schmurgelt. Hoffnungslos überfordert versuchte hier ein offensichtlich größenwahnsinniges Autoren-Team den Inhalt von mindestens sechs ausgewachsenen Staffeln in nur zehn Folgen zu pressen. Um das zu ermöglichen, mußte mal wieder Mystery bemüht werden, das probate Stilmittel für minderbegabte Drehbuchschreiber. Mystery ist nämlich nichts zu blöd, Mystery darf einfach alles und bietet Einfaltspinseln genügend Spielraum für jede noch so abstruse Idee. Doch selbst der Rahmen, in dem sich nun diese übernatürlichen Phänomene ereignen, ist äußerst schlicht ersonnen und überschreitet die Grenze zur Peinlichkeit in einer geradezu unerträglichen Regelmäßigkeit. Neben übersinnlichen Elementen spielen die irrwitzigsten Zufälle die Hauptrollen in dieser mißratenen Serien. Und so schaut man sich vielleicht zunächst noch gnädig gestimmt die ersten paar Folgen an, als sähe man kleinen Jungs beim Playmobil-Spielen zu, die aber in ihrer Phantasiewelt immer mehr überschnappen und weiß bald, das wird nichts mehr. Spätestens wenn das eine Playmobilmännchen den Drachen aufgefressen hat und dann mit Superkräften gesegnet, die übermächtige Ritterarmee mit bloßen Händen niedermetzelt, wird einem klar, der Junge muss schleunigst ins Bett... So ähnlich fühlt man sich, wenn man tatsächlich bis zum Serienfinale durchgehalten hat.

    Um der ganzen Armseligkeit die Krone aufzusetzen, haben sich die Autoren nicht gescheut, eine Art schwedisches "Twin Peaks" heraufzubeschwören. Doch wie das so mit Plagiaten ist, wirken sie meist schon von Weitem billig und wäre ich David Lynch, ich würde eine juristische Klage in Betracht ziehen, denn was hier versucht wurde, ist keine Hommage, sondern unästhetische Stümperei.
    "Jordskott" bietet nichts, was man nicht schon anderswo wesentlich besser gesehen hätte. "Die Eulen sind nicht, was sie scheinen", prophezeite der Riese in "Twin Peaks" und meinte damit Serien wie "Jordskott".
    True Detective Staffel 2 (Blu-ray) True Detective Staffel 2 (Blu-ray) (BR)
    09.10.2016

    Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst

    Wer eine Fortsetzung der hervorragenden ersten Staffel erwartet hat, hat den Begriff "Anthologieserie" noch nicht verstanden. Dass mit der zweiten Staffel also eine ganze neue (abgeschlossene) Kriminalgeschichte mit einem völlig veränderten Cast erzählt wird, kann also kein ernstzunehmender Kritikpunkt sein. Diese zweite Staffel unterscheidet sich gravierend von der preisgekrönten Mordermittlung in Louisiana und den gefeierten Matthew McConaughey und Woody Harrelson in den Hauptrollen. Sie ist noch düsterer, noch komplexer und bestraft leichtfertige Zerstreutheit des Zuschauers womöglich mit dem Verlust des roten Fadens, was vermutlich zu dem vergleichsweise verhaltenden Echo führte. Aber gerade weil diese Staffel keine Einwegunterhaltung sein will und man sie möglicherweise mehrmals sehen muss, um wirklich alle Details zu begreifen und die außergewöhnliche Komplexität der Story zu erfassen, lohnt sich doch der Kauf auf DVD oder BluRay.

    HBO hat erneut mit viel Mut und der üblichen ästhetischen Souveränität ein Meisterwerk geschmiedet. Showrunner Nic Pizzolatto fing die Stimmung des Plots perfekt ein und die sensationelle Rollenbesetzung zeigt keinerlei Schwächen. Es dauert einige Zeit, bis man sich mit den vielschichtigen und prekären Charaktern der Protagonisten vertraut gemacht hat, aber nach und nach fügt sich ein klares Gesamtbild zusammen. Unverhohlen blitzen immer wieder kleine Reminiszenzen an David Lynch auf, ohne jedoch den Zuschauer derart zu verstören, wie es der Regisseur und Künstler mit dem alptraumhaften Surrealismus seiner jüngeren Filme vermochte. Diese zweite Staffel überrascht und bewegt statt dessen mit vielen großartigen Wendungen, Szenen und Kamerafahrten, die man so selten zu sehen bekommt. Unvergeßlich wird für mich beispielsweise die häuserkampfähnliche Schießerei und die anschließende Reaktion der Überlebenden bleiben. Erstklassiges, glaubwürdiges und anspruchsvolles Entertainment für Erwachsene!
    Honig im Kopf Til Schweiger
    Honig im Kopf (DVD)
    19.02.2016
    Bild:
    4 von 5
    Extras:
    2 von 5
    Ton:
    3 von 5

    Quark im TV

    Mein Name ist Dr. Lankester Merrin, ich bin Neurologe an der Filmakademie Berlin und habe den traurigen Auftrag, diesen bedauerlichen Unfall von einem Spielfilm zu durchleuchten.

    Auf geht's, - schauen wir uns 'Honig im Kopf' doch mal etwas genauer an!
    Die gute Nachricht vorweg: nach einer ausgiebigen Analyse des Streifens kann ich Entwarnung geben: Dieter Hallervordens kognitiver Zustand hat sich seit Mitte der 70er nicht signifikant verändert. Der Mann ist bereits seit geraumer Zeit palim-palim. Hier kann also aufgeatmet werden.

    Und doch finde ich eine ganze Reihe Anhaltspunkte, die auf eine hochgradige neurodegenerative Erkrankung des Film schließen lassen. So versucht "Honig im Kopf" die wahnwitzige Kapriole das medienwirksame Thema "Alzheimer" durch das Schweiger'sche Komödien-Schema zu zwängen. Dass die abgedroschene Film-Ästethik offensichtlich immer noch einem Millionenpublikum gefällt oder besser gesagt, dass der sich stets wiederholende Aufbau der Filme ein Millionenpublikum offensichtlich nicht langweilt, gibt mir ein psychoanalytisches Rätsel auf, das ich momentan nur mit "gesellschaftlicher Verblödung" oder sogar "Übertragung" beantworten kann.
    Die Anamneseerhebung hat jedenfalls ergeben, dass "Honig im Kopf" mindestens vier ältere Geschwister besitzt, die ebenfalls unter gravierenden neurologischen Ausfällen leiden. Trotz der eindeutigen X-chromosomalen Vererbung führte der Vater die Reproduktion mit unbeirrbarer Konsequenz fort und folgt dabei erbarmungslos einem strikten Muster, von dem er seit dem ersten Nachkommen ("Keinohrhasen") nicht abweicht.

    Folgende erschreckende Symptomatik, die der Vater zynisch als sein "Erfolgsrezept" bezeichnet, konnte ich bei alle Abkömmlingen diagnostizieren.
    Mein Befund wird übrigens auch durch die Leichenschau von "Kokowäah 2" meines geschätzter Kollegen Dr. Albert Rosenfield gestützt.

    Zunächst fällt auf den ersten Blick eine prominente endokrine Orbitopathie auf, die sich besonders durch das aparte Setting der jeweiligen Klamotte auszeichnet. Zielgruppenorientiert wird hier eine Art IKEA-Wohnwelt in Sinne der Schöner-Wohnen-Redaktion bevorzugt. Für die Außenaufnahmen forschte man landesweit nach idyllischen Regionen, die dann in schnell geschnittenen Panaoramaeinstellungen und einer beeindruckenden Hochglanzoptik eingefangen und mit hippen Pop-Balladen unterlegt werden.

    Des Weiteren beeindruckt eine ausgeprägte Koprolalie, der zwanghafte Neigung, beim Sprechen Ausdrücke und Bilder der Verdauungsvorgänge zu verwenden. Sowohl in "Honig im Kopf" als auch in den älteren Geschwistern finden sich stets psychopathische Sequenzen mit Peinlichkeiten, die sich im Umfeld einer Toilette abspielen. Gerne wird aber auch auf den gemeinen Furz als Humorstilmittel zurückgegriffen. Die sprachliche Kompetenz bewegt sich zwischen unorthodoxen oder schlecht betonten Satzbau ("Was heißt 'Ich liebe dich' ... Opa?.. auf italienisch."), altklugem Kindergefasel und niveaulosen Dialogen mit äußerst schlichtem Aussagewert. Auch sind große Teile aller Filme mit Schlüpfrigkeiten und Schenkelklopfern der dämlichsten Sorte kontaminiert.

    Die Elektroenzephalografie zeigt ein hohes Potential an aufdringlichen Tränendrüsenappellen. Die Reflexe sind träge, wobei eine positive Babinski-Reaktion imponiert, was auf einen infantilen Entwicklungszustand hindeutet.

    Ganz im Sinne der krankhaften Gefallsucht werden neben plumper Gefühlsduselei auch immer trendige Models, übermäßige Schleichwerbung und Cameoauftritte, in denen Prominente sich selbst spielen, eingesetzt. Doch "Koketterie ist falsche Grazie", wie schon das "Damen Conversations Lexikon" urteilte. "Sie ist für die Seele, was die Schminke für das Gesicht, eine Lüge; beide ziehen nur ein blödes Auge an. Koketterie ist ein Polyp des Herzens; zerschnitten, scheinbar vernichtet tausendmal, wächst er wieder an, bis er es zerstört. Koketterie ist ein kleiner Selbstmord. Das Gift der Heuchelei wirkt rückwärts; seine unausweichliche Folge ist Selbstvernichtung. In kleineren Dosen - wirkt es wie Opium; es regt auf, erhitzt, entflammt, begeistert zum Kampfe gegen alles Feindliche, aber - ihm folgen Erschlaffung, Leere des Gemüts, Ekel.' Diese poetische Einschätzung läßt sich auf das Schweiger'sche Gesamtwerk übertragen. Als dramaturgische Attraktion verläßt sich jeder Film ausnahmslos auf gestörte Beziehungskonstellationen, was die Einfallslosigkeit der Drehbuchautoren unterstreicht. Doch der destruktivste gemeinsame Nenner aller Geschwister ist Emma Schweiger, ein völlig talentfreies Element, dem in "Honig im Kopf" jedoch viel Gelegenheit gegeben wurde, sein beschränktes Mienenspiel aufzuführen.

    Psychologisch mag es problematisch sein, an der armseligen Schauspielkunst von Kindern zu kritteln, insofern sollte man sich wohl eher mit den Erziehungsberechtigten auseinandersetzen, die zum wiederholten Male die Unzulänglichkeit ihres Schutzbefohlenen zur Schau stellen. Die dürftige Begabung des Mädchen läßt sich an der Tatsache ablesen, dass keine einzige Einstellung mit dem Kind länger als sechs Sekunden dauert. Das ist offensichtlich der maximale Zeitraum, in der sich Emma Schweiger die Regieanweisungen halbwegs merken kann. In diesen Intervallen wurde der Film zusammengeschnippelt. Aus neuropsychologischer Sicht stellt sich nun die Frage, ob diese beklagenswerte Gedächtnis- und Konzentrationsleistung auf ein Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsyndrom zurückzuführen ist oder Emma Schweiger einfach keinen Bock hatte, mehr als zwei kurze Sprechsätze auf einmal auswendig zu lernen. Aber zum Sprechen war sie primär eh nicht bestellt, vielmehr sollte sie ihr naives Gebärdenspiel darbieten. Und so grient und schmollt, weint, rollt tadelnd mit den Augen, und lacht sie stets kess hergerichtet in ungefähr eintausend kurzen Szenen und suggeriert dem Zuschauer mit der Brechstange, was er gerade empfinden soll. Wie ein visueller Untertitel für Begriffsstutzige wird der kitschige Plot des Films mit den Gefühlsausbrüchen der Pubertierenden permanent begleitet.
    Nachsichtige Gemüter mögen diese Darbietung bestenfalls niedlich finden, wer hingegen diese berechnende Zuschauermanipulation durchschaut, wird von der (gelegentlich auch schamlosen) Verwertung kindlicher Reize angewidert sein.

    Perfiderweise wurde "Honig im Kopf" erstmals den bekannten Anomalien eine unheilbare Krankheit als tragische Komponente vorsätzlich hinzugefügt.

    Was ist gegen eine familienunterhaltende Thematisierung von Morbus Alzheimer einzuwenden? "Honig im Kopf" wird doch mitunter dafür gelobt, dass diese verbreitete Krankheit ins Bewußtsein der Bevölkerung gerückt wird. Und die Idee, (neurologische) Krankheiten in Spielfilmen zu behandeln, ist ja auch keine wirklich neue. Wird der Kinogänger beispielsweise mit dem Begriff "Autismus" konfrontiert, so denkt er vermutlich an einen etwas schrulligen Dustin Hoffman, der seinem Bruder mit Empathie und einer beeindruckenden Fähigkeit aus der Patsche hilft. Nur leider können die allermeisten Autisten nicht auf einen Blick die Anzahl der zu Boden regnenden Streichhölzer beziffern, sondern fallen oft genug nur durch Aggressionen und Automutilation auf. Doch auch wenn "Rainman" ähnlich märchenhaft angelegt ist wie "Honig im Kopf", geht dieses Drama wesentlich aufrichtiger mit der Erkrankung um und nutzt sie nicht kalkuliert für billige Lacher und theatralische Gesten aus.

    Mehr Tiefgang versprechen auch Spielfilme wie "Still Alice", "Vergiß mein nicht!" oder "Mein Vater", die mit hervorragenden Schauspielern bereits packend und sensibel vom Alltag mit demenzerkrankten Menschen erzählen. Wer indessen "Honig im Kopf" gesehen hat, wird sich bei der Alzheimer-Krankheit möglicherweise nur an den tapsigen Opi mit dem Stofftier im Arm erinnern und diejenigen verdammen, die ihre betroffenen Angehörigen (doch) in eine entsprechende Betreuungseinrichtung einquartieren (die zudem in den allermeisten Fällen nicht mal annähernd so exquisit ausgestattet sein wird, wie die im Film dargestellte Luxusunterbringung ohne Pflegenotstand), denn das Verhalten von Demenzkranken verschreckt früher oder später nicht nur Kinder. Insofern wage ich die Unterstellung, dass Til Schweiger das Betroffenheitsthema "Alzheimer" nur als Vehikel für oberflächliche Witze unterhalb der Gürtellinie mißbraucht.

    Wie nach allen Erfolgen, wird der gewiefte Geschäftsmann sicherlich auch dieses Mal wieder krampfhaft darüber nachgrübeln, wie er seine Tragikomödie nachhaltig finanziell ausschlachten kann und bastelt vermutlich schon unter dem Arbeitstitel "Cola im Darm" an einer Fortsetzung mit Morbus Crohn, die ihm ganz bestimmt reichlich Stoff für verschmutzte Unterwäsche und Toilettenschüsseln, Fäkalien und Flatulenz bietet. Glücklicherweise fällt dieses Krankheitsbild dann nicht in mein Fachgebiet, so dass ich davon ausgehen kann, dass dieser braune Spaß dann nicht auf meiner Behandlungsliege landen wird.
    26 bis 47 von 47 Rezensionen
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