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    Alto Top 100 Rezensent

    Aktiv seit: 15. Februar 2013
    "Hilfreich"-Bewertungen: 6310
    103 Rezensionen
    Streichquartett Nr.15 Streichquartett Nr.15 (CD)
    21.02.2013
    Booklet:
    2 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    2 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    4 von 5

    Gegenentwurf

    Große Namen, Gidon Kremer, Kim Kashkashian, Yo-Yo Ma, alle drei waren und sind Weltklasse-Solisten ihrer Instrumente, auch Daniel Phillips ist ein versierter Kammermusiker, inzwischen in einem anderen Quartett, und unterrichtet.
    Diese mittlerweile fast auch schon historische Live-Aufnahme von 1985 aus New York, die klangtechnisch durchhörbar, ortbar und direkt, aber sehr trocken, fast stumpf, geriet, ist für mich auch so etwas wie ein musikalischer Lebensbegleiter. Die vier Musiker harmonieren für mich im letzten Schubert-Quartett fast ideal. Vielleicht ist Kremer manchmal ein wenig zu prominent, aber seine Stimme ist natürlich mit ihren typisch Schubertschen repetierten Begleitfiguren im Diskant, zumal im letzten Satz extrem undankbar. Überhaupt prägt der herbe, leidenschaftlich-rastlose, fast unruhige Charakter von Gidon Kremers Spiel die Aufnahme, was für mich ganz hervorragend zu diesem Werk passt.
    Jedenfalls habe ich nie eine atmosphärisch dichtere Einspielung dieses ganz unglaublichen Spätwerkes eines viel zu früh Verstorbenen gehört. Welche Intensität da bereits im Eingangsmotiv vermittelt wird, wie sich unter den Händen dieser Musiker auch im wunderbaren langsamen Satz die dramatische Entwicklung vollzieht, einfach großartig, spannend, ja, ergreifend, wobei für manchen Hörer die hier wie auch in den Ecksätzen sehr gemäßigten Tempi gewöhnungsbedürftig sein dürften. Dass alle Wiederholungen beachtet und so die Proportionen dieses Riesenwerkes erhalten werden, ohne dass die Spannung verloren ginge, ist sehr erfreulich.
    Vorweg gibt es Adagio und Fuge von W. A. Mozart, ebenfalls sehr intensiv, fast schon ruppig vorgetragen, eine passende Einstimmung für die Abgründe der Musik Schuberts.
    Für mich eine der singulären Kammermusikeinspielungen, unbedingt zu empfehlen, auch als vergeistigter Gegenansatz zu dramatisch-drängenden Versionen, wie sie das Alban-Berg-Quartett, das Takács-Quartett oder auch das Melos-Quartett bieten.
    Symphonien Nr.1-15 Symphonien Nr.1-15 (SACD)
    21.02.2013
    Booklet:
    4 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    5 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    5 von 5

    State of the Art

    Es ist schon bemerkenswert; allein im Raum Köln-Bonn entstanden in den vergangenen Jahren mit den Beiträgen Rudolf Barschais, Roman Kofmans und Dmitri Kitajenkos drei vollständige symphonische Schostakowitsch-Zyklen mit Westdeutschen Symphonie-Orchestern unter russischer (im Falle Kofmans ukrainischer) Leitung, außerdem hoch gelobte Einzelaufnahmen unter dem Dirigat des Petersburgers Semyon Bychkov.
    Auch Kitajenko stammt aus St. Petersburg und befindet sich seit 1990 im Westen. Sein Schostakowitsch-Projekt mit dem traditionsreichen Gürzenich-Orchester Köln wurde 2006 mit dem ECHO Klassik prämiert. Mich reizte die Box wegen guter Kritiken, der Aussicht auf eine anregende Mischung aus authentischem Dirigat und hervorragendem Klang und wegen äußerst positiver Eindrücke aus der noch sowjetischen Aufnahme des zweiten Cellokonzerts mit Natalia Gutman.
    Ich hatte von diesen Aufnahmen bereits beim ersten Hören den Eindruck eines im Gesamtpaket großen Wurfes. Dies bestätigt sich bei jeder weiteren Begegnung mit einer der Aufnahmen. Das Orchester spielt fast schon traumwandlerisch präzise, farbig und vor allem engagiert. Der Ensembleklang hat etwas Erdiges, Dunkles, ist voller Substanz. Das Gürzenich-Orchester hat einen eigenen charakteristischen Sound, und er passt hervorragend zu diesen Werken.
    Die Aufnahmetechnik erlaubt es einem - ganz besonders im Mehrkanal-Modus der SACD-Spur -, alles bestens durchhörbar und perfekt räumlich gestaffelt mitzubekommen. Die Dynamik wird voll ausgekostet, so manche Klimax geht einem bei hoher Abspiellautstärke durch Mark und Bein. Die Tiefbassreserven sind beeindruckend, ich möchte sagen konkurrenzlos. Der Gesamtklang ist dabei warm und voluminös. Manche Aufnahmen entstanden live, Publikumsgeräusche wurden aber sehr effektiv gefiltert.
    Wer wohl auf die Idee gekommen sein mag, die CDs in zugeklebten Papierhüllen unterzubringen? Ärgerlich und unnötig ist auch die Aufteilung der Leningrader Symphonie auf zwei CDs. Dafür ist das Begleitheft recht instruktiv, wenngleich ich Anmerkungen von Kitajenko persönlich lieber gelesen hätte als die üblichen Werkeinführungen.
    Man kann die Partituren unter den technischen Bedingungen dieser Aufnahmen quasi akustisch unter die Lupe nehmen, und es wirkt so, als sei das auch das Ziel Kitajenkos bei seiner Interpretation gewesen. Das ist eine im Vergleich zu der manchmal zugunsten der Dramatik vielleicht etwas zu holzschnittartigen - aber unheimlich spannenden - Auffassung Kirill Kondraschins fast diametral entgegengesetzte Sicht. Es ist auch eine Sicht, die sich ziemlich deutlich von der noch spontaneren und risikofreudigeren seiner alten Aufnahmen unterscheidet.
    Kitajenko setzt im Durchschnitt eher auf langsamere Tempi, die Entwicklungen bei ihm sind nicht forciert, kulminieren aber am Ende in der Regel nicht weniger eindrucksvoll, sondern kraftvoll und suggestiv. Beim wiederholten Hören fallen einem zudem immer mehr Details auf, Passagen, in denen Kitajenko unerwartet und darin dann doch wieder erfreulich spontan und unberechenbar das Tempo anzieht oder eine Stelle dynamisch besonders hervorhebt. Paradebeispiele für die ganz bemerkenswerte Intensität, die er oft erreicht, sind für mich der grandios aufgebaute Kopfsatz der Achten, der Kopfsatz und das Largo der Fünften oder die gewaltigen Steigerungen und gewalttätigen Passagen der Elften. Die Musik wird quasi aus ihren Einzelteilen vor dem Ohr des Zuhörers zusammengesetzt, entwickelt, besonders beeindruckend immer wieder in den dünner gesetzten, kammermusikalischen Holzbläserpassagen, und trotz dieser Detailliertheit ergibt sich bei Kitajenko am Ende doch immer das große Gesamtbild. Auch andere Einzelheiten haben mich beim Hören ganz außerordentlich beeindruckt, zum Beispiel das wunderbar lebendig und sprechend vorgetragene Violinsolo in der Ersten.
    Für mein persönliches Empfinden hätte Kitajenko in manchem Satz schnellere Metren wählen dürfen. Das berühmte Streicherfugato im Kopfsatz der Vierten etwa wirkt in Kitajenkos Aufnahme auf mich zwar beeindruckend, aber doch eine Spur zu langsam. Auch in der Vierzehnten kommt mir manches im Vergleich nicht nur zu Kondraschin wie im Übungstempo vor. Die Leistungen der Solisten und Chöre in den Symphonien mit Vokalteilen übrigens sind für meinen Geschmack außerordentlich überzeugend. Wunderbar präsent und ausdrucksstark ist etwa der Bass-Solist Arutjun Kotchinian, insbesondere in der beeindruckend dargestellten 13. Symphonie.
    Kitajenkos Gesamtaufnahme mag die existentialistische Qualität mancher historischer sowjetischer Deutungen von Mrawinski über Kondraschin bis zu den älteren Aufnahmen von Temirkanow zumindest nicht durchgehend erreichen. Jedoch wird sie angesichts ihrer herausragenden interpretatorischen und klanglichen Qualitäten für mich der Prüfstein beim Hören neuer Einspielungen sein.
    Meine Produktempfehlungen
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    Symphonien Nr.1-4 Symphonien Nr.1-4 (CD)
    21.02.2013
    Booklet:
    2 von 5
    Gesamteindruck:
    4 von 5
    Klang:
    4 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    2 von 5

    Auslegungssache

    Auf den drei CDs dieser Box finden sich die vier Symphonien Robert Schumanns in Einspielungen mit dem Chamber Orchestra of Europe unter Nikolaus Harnoncourt sowie das Klavierkonzert mit Martha Argerich und das Violinkonzert mit Gidon Kremer als Solisten. Die Symphonien Nr. 1 und 2 sind live aufgenommen, alle Einspielungen entstanden Anfang der 1990er Jahre in Graz. Klangtechnisch erwarten einen Wärme, gute Transparenz und eine natürliche Räumlichkeit, bei den Live-Aufnahmen hört man kaum Nebengeräusche.
    Harnoncourts Ansatz ist wie stets von einer ausgeprägten Gesanglichkeit. Mit hörbarer Liebe modelliert er die musikalischen Strukturen heraus. Seine Tempi und vor allem die Temporelationen und -entwicklungen wirken außerordentlich organisch und stimmig. Das verleiht z. B. der Stretta im Finale der Frühlingssymphonie eine selten gehörte Selbstverständlichkeit und Spannung ohne Forciertheit. Die langsamen Sätze nimmt Harnoncourt eher zügig, was mir vor allem in der zweiten Symphonie auffällt, was aber die Dramatik und die emotionale Dichte nicht beeinträchtigt.
    Natürlich hört man auch in diesen Aufnahmen wie oft bei Harnoncourt das eine oder andere Detail anders als sonst, empfindet diese oder jene hervorgehobene Nebenstimme, manchen Akzent zunächst als ungewöhnlich, aber doch angemessen und als mögliche Alternative. Überhaupt stehen kräftige Bläserakzente in diesen Aufnahmen häufig im Gegensatz zur legato-lastigen Behandlung der Streicher. Das Orchester spielt dabei unvergleichlich wach, kultiviert und durchhörbar.
    In den ersten beiden Symphonien erreicht Harnoncourt für mein Gefühl durch die spannende Mischung aus Gesanglichkeit, Elementen der historisch informierten Spielweise und lebendiger Agogik ein nicht nur eigenständiges, sondern auch sehr überzeugendes Interpretationsergebnis, das eine eigene Position zwischen den geradezu erbarmungslos entschlackten Versionen Gardiners oder auch Dausgaards und den emotional aufgeladenen Deutungen etwa eines Leonard Bernstein behaupten kann.
    Für mein Gefühl geht Harnoncourts Konzept bei der dritten Symphonie dagegen nicht auf. Durch die hier extreme Abrundung aller Kanten im Streichersatz bei noch stärkerer Akzentuierung der Blechbläser entsteht für mich der Eindruck des Gewollten, des gehobenen Zeigefingers. Das Hörergebnis ist hier für mich nicht mehr organisch, trotz der vorherrschenden Weichheit uneinheitlich, fast anstrengend. Die Auslegung der Vierten geht in die gleiche Richtung, ist aber glücklicher Weise nicht ganz so extrem. Ich persönlich bevorzuge die zweite Fassung, die hier verwendete "originale" Fassung von 1841 ist aber natürlich auch hörenswert.
    Auch bei den Solokonzerten bleibt für mich ein zwiespältiger Eindruck. Das Aufeinandertreffen von Martha Argerich und Harnoncourt finde ich sehr spannend. Hier die absichtsvolle, durchdachte, gestalterisch differenzierte Haltung des Dirigenten, dort die hörbar nur mit Mühe kontrollierte Expressivität der Pianistin. Das Ergebnis ist für mich eine der besten Wiedergaben des Klavierkonzerts, die ich kenne: Spiel an der vordersten Stuhlkante, spürbare Energie, außerordentliche Binnendynamik und beglückend flexible Tempo-Agogik im Solo, noch dazu höchste Präzision im Zusammenspiel. Große Klasse.
    Das Violinkonzert wirkt in seiner Gestaltung auf mich erneut gewollt, noch viel ausgeprägter als bei der "Rheinischen". Das liegt maßgeblich am historisch wohl korrekten Tempo. In den Ecksätzen wählen Harnoncourt und Gidon Kremer so langsame Metren wie wohl niemand sonst, natürlich nicht wegen mangelnder solistischer Kompetenz, sondern wegen der überlieferten Vorgaben. Mich überkommen allein deshalb bei dieser Interpretation Unruhe und Ungeduld. Im Rahmen der schleppenden Tempi wird zudem alles geradezu akribisch herausgearbeitet, was für mein Empfinden so manchem Detail unangemessen viel Bedeutung verleiht. Diese Auslegung ist eine Extremversion, in ihrer Konsequenz interessant, aber zumindest für mich nicht überzeugend.
    Empfehlenswert oder nicht? In jedem Fall, wenn man sich auf Harnoncourts individuellen Stil einlassen will, über weite Strecken aber auch für alle anderen Freunde von Schumanns Symphonik.
    Violinkonzert op.82 Violinkonzert op.82 (SACD)
    21.02.2013
    Booklet:
    3 von 5
    Gesamteindruck:
    4 von 5
    Klang:
    5 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    1 von 5

    Unnötig, aber brillant

    Wahrscheinlich wären selbst die eingefleischten Liebhaber russischer Romantik auch ohne Vadim Gluzmans Version des Tschaikowsky-Violinkonzerts zufrieden gewesen mit Oistrach, Repin, Milstein, Heifetz, Vengerow, Mutter, Zimmermann, Fischer, wem auch immer. Und auch die kompilierten, etwas weniger häufig eingespielten Werke, das einsätzige Konzert von Alexander Glasunow und dessen Orchesterfassung von Tschaikowskys ursprünglich für Violine und Klavier gesetztem "Souvenir d'un lieu cher", können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Repertoirewert dieser Platte gegen Null geht.
    Wären da nicht Gluzmans technische Brillanz und Spielfreude. Der Mann steht dermaßen über den technischen Problemen dieser Werke, dass man nur staunen kann. Es macht Spaß zu hören, wie es Gluzman selbst bei mörderischem, nicht einmal von Heifetz erreichtem Tempo im Finale des Tschaikowsky-Konzerts gelingt, mit dem Material zu spielen. Das ist Zirkusartistik, zugegeben, aber auf höchstem Niveau, risikofreudig und ohne Netz und doppelten Boden. Auch seine lyrischen Qualitäten zumal bei Glasunow oder in der Canzonetta überzeugen.
    Tonlich spielt Gluzman gleichfalls in der Oberliga der russischen Schule. Wärme, Präsenz, gesättigt-dunkle Farbgebung - das liegt nicht nur an der Stradivari. Freunde der Melodienseligkeit dieser Werke kommen hier voll auf ihre Kosten. Andrew Litton ist ein sehr aufmerksamer Begleiter. Er spornt das traditionsreiche, gut disponierte Philharmonische Orchester aus Bergen zu einem lebendigen, gleichberechtigten, farbigen Spiel an, geht hellwach auf Gluzman ein und drängt sich nie in den Vordergrund.
    Der BIS-typische klar-transparente, dynamische, voluminös-satte, natürliche 5.0-SACD-Klang tut ein Übriges, um auch Zweifler mit in Gluzmans romantisches Boot zu holen.
    Streichquartette Nr.13-15 Streichquartette Nr.13-15 (CD)
    21.02.2013
    Booklet:
    3 von 5
    Gesamteindruck:
    4 von 5
    Klang:
    5 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    2 von 5

    Kalkuliertes Risiko

    Ein Streichquartett der Spitzenklasse, erhaben über alle technischen Schwierigkeiten, gesegnet mit einem charaktervollen, homogenen Ensembleklang, setzt sich mit Ernst, Intellekt und auch Leidenschaft mit drei der größten Werke der Kammermusikliteratur auseinander und wird dabei von Technikern aufgenommen, die einem genussvolles Hören in größtmöglicher Transparenz bei einem seidig-warmen Klang, breiter Dynamik und sattem Fundament ermöglichen. Das rechtfertigt eine hohe Wertung.
    Muss sich auch ein Ensemble wie das Artemis-Quartett dennoch die Frage nach der Notwendigkeit gefallen lassen? Die Frage nach der Singularität seiner Sicht in Anbetracht des Katalogs, der so unendlich viele Alternativen bietet bei diesen Schlagern der Kammermusik, die sich tatsächlich auch kommerziell aus einem reinen Nischendasein befreien können?
    Wenn ich diese Einspielung auch nur gegen die Exponenten meiner persönlichen, unvollständigen, aber doch unsinnig großen Sammlung von Vergleichsaufnahmen stelle, dann hebt sich für mich allenfalls die Interpretation von D. 887 einen Hauch von der Konkurrenz ab. Der Zugriff der Berliner Extraklasse-Musiker ist hier besonders packend, von einer nervösen Spannung, aufgeladen, drängend. Das ist eine klare Alternative zur Kantabilität etwa des Cherubini-Quartetts oder zum transzendental langen Atem der All-Star-Formation um Gidon Kremer. Allerdings spielten auch das Alban-Berg-Quartett in einer Live-Aufnahme und das Tákacs-Quartett ähnlich rastlos, sind aber inzwischen weitgehend aus dem offiziellen Katalog getilgt.
    Im d-Moll-Quartett finden die Artemis-Spieler zu einem ähnlich expressiven und eindringlichen Stil, bringen alle Stimmen einprägsam und individuell zur Geltung, spielen auch angenehm freizügig mit den Tempi, zumal im Variationssatz, in dem sich die inzwischen abgelöste Primaria Natalia Prishepenko mit einem stegnahen Bogeneinsatz auch einmal über die ansonsten minutiös umgesetzten Vortragsangaben hinwegsetzt. Dennoch bleibt das Ausdrucksrisiko, das das Quartett eingeht, kalkuliert und auch geringer als jenes im G-Dur-Quartett.
    "Rosamunde" kommt bei mir weit weniger geheimnisvoll und doppeldeutig an als es dieses Werk hergibt. Wärme und Klangschönheit überwiegen über weite Strecken.
    Diese Doppel-CD ist allemal eine ausdrückliche Empfehlung wert. Besser im Sinne von präzise, intellektuell durchdrungen, ausdrucksvoll und klangschön wird man die Werke kaum zu hören bekommen. Spontaner und mit mehr Mut zum Risiko vielleicht. Fragt sich, von wem.
    Klarinettenquintett op.115 Klarinettenquintett op.115 (SACD)
    21.02.2013
    Booklet:
    3 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    5 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    5 von 5

    Souverän

    Da stehen sie im Halbdunkel, fünf coole, distanzierte Typen. Die Top-Manager des Jahres? Protagonisten aus Steven Soderberghs Ocean's Five? Nur die Instrumente verraten, dass es sich hier um Musiker handelt.
    Die Aufnahme macht einem dann ziemlich schnell klar, dass ein Weltklasse-Kammermusikensemble am Werk ist. Auch wenn man vom Hagen-Quartett noch nie etwas gehört hat - in der Szene unwahrscheinlich, schließlich spielen die vier schon seit über dreißig Jahren im Rampenlicht Streichquartett. Und sie spielen zum Glück ganz anders als es die durchgestylte Optik der Verpackung und der Fotos suggeriert.
    Die Ensemblekultur dieses Quartetts ist extrem. Es ist unbeschreiblich, wie aufmerksam und homogen diese Musiker aufeinander eingehen, einen gemeinsamen Ausdruck finden, die Musik mit einem konzertierten, höchst expressiven Gestaltungswillen erfüllen. Das sicher nicht nur von mir bislang unterschätzte Op. 27 von Edvard Grieg wird so zu einer Achterbahnfahrt der Emotionen, zu einem Kaleidoskop mal fahler, mal schillernder Farbschattierungen, ohne dass das Gefühl für die Form verloren ginge. Das Werk rührt an, wenn es dermaßen sinnlich und ausdrucksvoll dargeboten wird.
    Der suggestive, einnehmend volle, fast rauchige Klarinettenton Jörg Widmanns gliedert sich überaus organisch in den Streichquartettklang ein. Wie im Booklet angekündigt überziehen es die fünf hier nicht mit der Expressivität; trotzdem oder gerade deswegen packt einen das späte Werk von Johannes Brahms und lässt einen nicht mehr los. Die dynamische Bandbreite ist auch hier beeindruckend, zumal die Substanz, die das Ensemble noch in zerbrechlichsten Pianopassagen zur Verfügung hat.
    Audiophil Veranlagte dürfte die SACD-Spur noch umso süchtiger machen, denn der Klang dieser Aufnahme aus dem Kammermusiksaal des Deutschlandfunks, insbesondere der 5.0-Mehrkanal-Abmischung, ist dermaßen klar aufgelöst, natürlich, warm und dynamisch, dass man schlicht und einfach gebannt und begeistert im Hörraum gefangen bleibt.
    Dies ist die zweite Aufnahme der Hagens für ihr neues Label Myrios. Mögen weitere folgen!
    Symphonie Nr.6 Symphonie Nr.6 (SACD)
    21.02.2013
    Booklet:
    3 von 5
    Gesamteindruck:
    4 von 5
    Klang:
    4 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    3 von 5

    Die Grenzen eines Konzepts

    Die Pathétique vollendete Peter Tschaikowsky in seinem Todesjahr 1893. Das Werk ist im Blech mit vier Hörnern, zwei Trompeten, drei Posaunen und Tuba sowie im Schlagwerk mit großer Trommel, Becken und Tamtam neben den Pauken nicht eben klein besetzt.
    Kann man ein solches Werk mit einem regulär 38-köpfigen Ensemble adäquat wiedergeben? Diese Frage ergibt sich für mich immer wieder, wenn ich diese neue Aufnahme der Reihe "Opening Doors" höre, denn der Streicherapparat klingt im Vergleich zu gewohnten Aufnahmen tatsächlich sehr reduziert. Natürlich hat das sehr positive Auswirkungen auf die Durchsichtigkeit, auf die Wahrnehmbarkeit von Strukturen. Aber diese Symphonie hat eben auch ein gewaltiges dynamisches Potential - ich denke an das brüsk einsetzende Fugato im ersten Satz, an die grandiose Klimax des dritten Satzes, an die emotionalen Ausbrüche des finalen Adagios.
    Die auch diesmal unglaublich wachen, virtuosen und engagierten Instrumentalisten aus Örebro spielen an der vordersten Stuhlkante, das hört man. Manchmal fehlt es aber schlicht an Masse. Die Orchester waren am Ende des 19. Jahrhunderts nach meinem Kenntnisstand im allgemeinen größer als noch zu Zeiten Schumanns, bei dessen Symphonien mir Dausgaards Ansatz sehr zusagt. Leider wird zur Ensemblegröße im ausführlichen, aber konservativ auf die Werkbesprechung fokussierten Booklet nicht Stellung genommen.
    Was erwartet einen ansonsten? Die Grundmetren sind schnell, tempo-agogisch ist Dausgaard flexibel, im Rahmen der Möglichkeiten der Ensemblegröße wird sehr dynamisch gespielt. Allerdings hat z. B. Mrawinski mit den Leningrader Philharmonikern bereits 1960 fast identische Tempi vorgelegt, bei deutlich mehr dynamischem Spielraum und einem ebenfalls höchst präzisen, transparenten und "entschlackten" Interpretationsansatz. Die klangliche Aufbereitung ist sehr gut. Die Akustik findet eine gute Mitte zwischen klarer, trockener Durchhörbarkeit und ausreichender Fülle, die Dynamik ist fabelhaft. Im Tiefbassbereich wäre mehr möglich, gerade auch an markanten tiefenlastigen Stellen in "Romeo und Julia".
    So ganz überzeugt mich diesmal das Konzept Dausgaards nicht. Wegen seiner Konsequenz und der hörbaren Beteiligung der Ausführenden finde ich die Aufnahme dennoch hörenswert, zumal sie sich zwar nicht von Mrawinskis, aber von den duchschnittlichen, pathosbehafteten Deutungen der Werke absetzt.
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    21.02.2013
    Booklet:
    4 von 5
    Gesamteindruck:
    4 von 5
    Klang:
    5 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    3 von 5

    Eine Möglichkeit

    Mendelssohn und "Originalklang", das ist schon lange eine fruchtbare Beziehung. Entsprechend wird man diese Aufnahme zweier "Schlager" des Komponisten, der "Italienischen" und der "Reformations"-Sinfonie, auch eher mit der Konkurrenz aus dem "historisch informierten" Lager und nicht mit Karajan, Abbado, Solti oder Munch vergleichen, sondern mit z. B. Norrington oder Gardiner. Was bringt nun die Interpretation von Emmanuel Krivine und der von ihm gegründeten Kammerphilharmonie, die inzwischen auch einen Beethoven-Zyklus vorgelegt hat?
    Tempomodulationen innerhalb der Sätze nimmt Krivine nicht so flexibel vor wie etwa Norrington mit dem Stuttgarter RSO. Ansonsten erwartet einen auch keine Sensation. Selbstverständlich werden alle Wiederholungen gespielt, die Tempi - auch in den Binnensätzen - sind erwartet flott, aber entspannt, wirken nie gehetzt, Artikulation und Phrasierung sind ausgefeilt, es werden historische Instrumente verwendet, angesichts einer übersichtlichen Streicherbesetzung (9/8/6/5/3) kommen v. a. die Holzbläser zu ihrem Recht.
    Ein großes Plus, das aber sehr vom persönlichen Geschmack abhängt, ist für mich der Klang des Ensembles, etwas ungeschliffen und rau, insbesondere in den Holzbläsern sehr individuell (wunderbar für mich, für manchen vielleicht aber auch gewöhnungsbedürftig die schnarrenden Fagotte zusammen mit den Kontrabässen im Finale der "Reformations"-Sinfonie!). Die Phrasierung könnte manchem Hörer zeitweise ein wenig zu roh, zu abgehackt sein, es ergibt sich nicht immer der typische Mendelssohn-Wohlklang, anders, aber überzeugend. Für mich jedenfalls stellt sich beim Hören der plastische Eindruck ein, dass hier mit Hingabe und an der vorderen Stuhlkante musiziert wird.
    Eine wirklich hervorragende Aufnahmetechnik, die alle Gruppen realistisch abbildet, sehr gute Transparenz mit warmem Raumklang verbindet, rundet das insgesamt für mich sehr angenehme Hörerlebnis ab. Die Aufmachung ist gleichfalls hochwertig. Diese Aufnahme ist damit aus meiner Sicht eine gute Alternative, wenn man "historisch informierten" Interpretationen gegenüber aufgeschlossen ist und sich mit dem doch recht individuellen Ensemble-Klang anfreunden kann.
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    Klavierquartette Nr.1-3 Klavierquartette Nr.1-3 (CD)
    21.02.2013
    Booklet:
    2 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    4 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    4 von 5

    Muss man haben

    Es gibt Kammermusikeinspielungen von "All-Star"-Formationen, die aufgrund der Dominanz eines oder mehrerer der Ausführenden nicht überzeugen. Und dann gibt es Geschenke wie diese Aufnahme hier. Vier erstrangige Solisten, die zusammen finden, ideal harmonieren, aufeinander hören, dabei jeder für sich extrem intensiv und ausdrucksstark musizieren.
    Natürlich beackern sie dankbares Terrain mit diesen Brahms-Quartetten mit ihren wunderbar gesanglichen langsamen Sätzen, ihren Zingharese-Anleihen in den so ungleichen Schwesterwerken Op. 25 und Op. 26, mit der ungeheuren Dramatik des c-moll-Quartetts, aber auch hier gilt es angesichts eines dichten Satzes, ausreichend auf Transparenz und Struktur zu achten, um die Musik nicht zum emotionalen Wirrwarr werden zu lassen.
    Ganz wichtig dabei die Balance, die bei Aufnahmen mit modernem Flügel wesentlich davon abhängt, dass die Frau/der Mann am Klavier Maß halten kann. Emmanuel Ax kann es, die Balance ist perfekt, die Streicher musizieren glutvoll, aber nicht lärmend expressiv, die Tempi wirken genau passend, auch mit ordentlich Feuer, wo angebracht, z. B. im Finale von op. 25.
    Die Aufnahmequalität ist dabei in ihrer hervorragenden Substanz, ihrem Volumen, ihrer guten Durchhörbarkeit und Natürlichkeit ein unaufdringlicher fünfter Mitspieler. Ich bin begeistert von dieser Einspielung und kann sie nur jedem Kammermusikfreund empfehlen, auch wenn er schon andere gute Aufnahmen besitzt, etwa die der Capucons, oder auch die hochexpressive Einspielung von op. 25 mit Argerich, Kremer, Bashmet und Maisky!
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    21.02.2013
    Booklet:
    1 von 5
    Gesamteindruck:
    4 von 5
    Klang:
    5 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    3 von 5

    Spannend

    Innere Dramen, Zerrissenheit, Verzweiflung, denen Brahms in c-moll und f-moll musikalisch Ausdruck verleiht. Die Aufmachung der CD hebt ganz auf diesen biografischen Aspekt ab. Als "Beleg" gibt es ein paar Zitate und den hilfreichen Hinweis des Produzenten, Brahms habe starken Liebeskummer wegen Clara Schumann gehabt. Mich spricht diese marktschreierische Gestaltung nicht so an, Geschmackssache.
    Sei's drum, natürlich glaubt man die Botschaft trotzdem gern, wenn man diese extreme Ausdrucksmusik hört, zumal wenn sie so fesselnd gespielt wird. Paolo Beschi, der Cellist der Aufnahme, war früher auch Gründer der Truppe Il Giardino Armonico, die uns ja bereits Vivaldi und Bach geradezu um die Ohren gehauen hat. Er und seine Mitstreiter spielen auf historischen Instrumenten, der Flügel ein Erard von 1842, wie ihn auch Brahms kannte, und - klar - "historisch informiert"; wenig Vibrato, viel Agogik, Transparenz, gesangliche Phrasierung.
    Der Flügel klingt ein wenig dumpf, gewöhnungsbedürftig, wenn man nur Einspielungen auf modernen Instrumenten kennt, aber mit seinem sehr speziellen, obertonreichen, in den Registern unausgeglichenem Timbre durchaus sehr charaktervoll. Schmalbrüstig, wird der eine oder andere Hörer klagen, wenn er die einleitenden Akkordschläge des c-moll-Quartetts mit jenen in Einspielungen etwa von Ax/Stern/Laredo/Ma oder jüngst den Capucon-Brüdern vergleicht. Das sind dann Stellen, an denen man sich ein anderes Klavier wünscht, ansonsten fällt es der Pianistin mit einem solchen Instrument natürlich ungleich leichter, die Balance zu halten, was diesen Stücken enorm gut tut.
    Dramatik und Emotion jedenfalls kommen ebenso gut herüber wie bei den genannten anderen Einspielungen, auch im f-moll-Quintett. Die Spieler halten stets die Spannung, die Tempi sind in den Ecksätzen rasch, aber nicht überzogen, in den langsamen Sätzen lassen sie sich genügend Zeit zum Singen. Für meinen Geschmack setzt sich Gaia Scienza zwar nicht deutlich von den Standardeinspielungen ab, kann aber in puncto Ausdruck gut mithalten und bietet eben klanglich eine schöne Alternative.
    Die Klangtechnik ist für mein Empfinden ausgezeichnet, sehr voluminös, transparent, ohne all zuviel Hall, aber nicht trocken. Alles in allem vielleicht nicht als einzige Version, aber in jedem Fall sehr zu empfehlen.
    Klavierquintett op.23 Klavierquintett op.23 (CD)
    21.02.2013
    Booklet:
    3 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    5 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    5 von 5

    Hören und Entdecken

    Hans Pfitzner, fast die gleiche Lebensspanne wie Richard Strauss, ungleich weniger bekannt, wenn dann als Opernkomponist und wegen seiner diskussionswürdigen musikpolemischen Äußerungen. Ein komplizierter Mensch obendrein.
    In seiner Musik ging er sehr eigene Wege, irgendwie zwischen Tradition und Moderne, schwer zu beschreiben, Einflüsse sicher von Schumann, Brahms, tonal, aber motivisch und harmonisch eigenwillig, teils fast widerborstig.
    Diese CD vereinigt zwei Kammermusikwerke, das traditionell besetzte Klavierquintett für Klavier und Streichquartett aus einer früheren und das Sextett für Klavier, Klarinette, Streichquartett und Kontrabass aus der späten Schaffensperiode.
    Das Klavierquintett ist im Kopfsatz expansiv, erinnert von der Stimmung an das Klaviertrio Op. 8, noch am ehesten würde man es wahrscheinlich mit Brahms vergleichen wollen. Wunderbar, wie Werner Genuit die trockenen Klavierakkorde in den Raum hinein akzentuiert, wie dynamisch und agogisch flexibel die Mitglieder des Consortium Classicum den Stimmungen nachspüren, Spannung aufbauen, ganz delikat auch im feinteiligen Intermezzo. Bemerkenswert, wie durchsichtig das alles beim Hörer ankommt. Aus einer Live-Erfahrung mit auch nicht unbekannten Interpreten weiß ich, wie völlig unverständlich und undurchsichtig dieses durchaus nicht schlank gesetzte Werk auch klingen kann.
    Im Sextett, das in seiner Melodik tatsächlich eher an Mendelssohn und Schumann erinnert, sich dann aber doch durch typische Akkordik und Stimmung klar als Werk aus Pfitzners Hand erweist, überzeugen dann zusätzlich Dieter Klöcker mit wunderbarem Klarinettenton und Jürgen Normann mit einer sehr sonoren, klaren Kontrabassstimme und schaffen es, zumindest mich für diese Musik einzunehmen, im gleichen Geiste musiziert, beseelt, temperamentvoll und transparent.
    Die Klangtechnik dieser Studioaufnahme unterstützt mit ihrem großen Volumen, ihrem soliden Bassfundament und ihrer guten Durchhörbarkeit bei sehr schöner Balance ideal die Absichten der Interpreten. Das Beiheft ist okay.
    Eine für mich sehr überzeugende Wiedergabe vernachlässigter Kammermusikperlen!
    Meine Produktempfehlungen
    • Klaviertrio op.8 Klaviertrio op.8 (CD)
    Dmitri Schostakowitsch Dmitri Schostakowitsch (CD)
    20.02.2013
    Booklet:
    1 von 5
    Gesamteindruck:
    4 von 5
    Klang:
    2 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    5 von 5

    Überraschungspaket

    Für Freunde der Musik des russischen Komponisten finden sich in dieser günstigen Box einige Preziosen, die den Kauf zu diesem Preis allemal rechtfertigen. Die Zusammenstellung der Aufnahmen ist merkwürdig. Historische Aufnahmen in prominenter Besetzung sind kompiliert mit neueren Einspielungen durch vergleichsweise unbekannte Künstler. Ein roter Faden ist nicht erkennbar, aber wen schert's, wenn man teilweise anders gar nicht erhältliche überaus hörenswerte Aufnahmen kennen lernen kann?

    CD 1 (45:20): Die Einspielung der Symphonie Nr. 5 aus New York mit dem New York Philharmonic unter Dimitri Mitropoulos von 1952 gilt als eine der maßgeblichen Aufnahmen dieses Werkes. Sie rechtfertigt es in ihrer Stringenz, ihrer Energie, ihrer Präsenz und ihrem großartigen Timing. Zumal im Finale überzeugt Mitropoulos mit einer geschickten Temposteigerung, die man selten so schlüssig umgesetzt hört. Die offenbar kaum nachbearbeitete Aufnahme in Mono klingt erstaunlich räumlich, hat eine sehr gute Basssubstanz und ein weites Frequenzspektrum. Selten hört man ein Zischeln, insgesamt kann man mit der Qualität gut leben. Allein diese sonst derzeit vergriffene und zu Phantasiepreisen gehandelte Aufnahme, der man eine sorgfältigere Bearbeitung und Neuauflage wünschen würde, rechtfertigt den Erwerb der Box.

    CD 2 (79:22): Leider gibt es in der Leningrader Symphonie mit den Berliner Philharmonikern unter dem jungen Sergiu Celibidache von 1946 - beeindruckend die politische Dimension einer solchen Aufführung - einige Aussetzer, halbe Takte sind durch die schlechte Aufnahme oder die unzureichende Nachbearbeitung verschluckt. Celibidache dirigierte das monumentale Werk recht vorwärtsdrängend und überzeugend, die Tonqualität lässt die enormen Steigerungen zumindest erahnen, jedoch ist die Dynamik schon ziemlich eingeschränkt und das Frequenzspektrum recht eng, Publikumsgeräusche halten sich in Grenzen.

    CD 3 (44:31): Neben einer ebenfalls straffen Neunten aus Berlin mit Celibidache aus dem Jahr 1947 mit einem deutlich besseren, präsenteren Klang findet sich hier das Klavierkonzert Nr. 1 mit dem Komponisten als Solisten. Es handelt sich um eine EMI-Lizenzaufnahme mit dem Orchester des Französischen Rundfunks unter André Cluytens von 1958, die es zusammen mit dem zweiten Konzert und anderen Werken mit dem Komponisten als Interpreten auch in der Great Recordings of the Century-Serie gibt. Es ist trotz des extrem überzeugenden Solo-Trompeters Ludovic Vaillant und der sehr guten monophonen Tonqualität mit einer schönen Räumlichkeit, wenig Rauschen und guter instrumentaler Abbildung vielleicht nicht die beste, aber eine sehr authentische, etwas distanziertere, trockenere Aufnahme des Werks.

    CD 4 (52:51): Bei dieser CD zieht man zum ersten Mal erstaunt die Augenbrauen hoch. Die Symphonie Nr. 10 in einer Einspielung von 1995 mit dem Royal Philharmonic unter Frank Shipway, es gibt sie in vielfachen anderen Auflagen, auch als SACD. Die Tonqualität ist sehr gut, breite Bühne, warmer, weicher, dennoch gut durchhörbarer Klang. Die Interpretation ist kein Meilenstein , nimmt aber bei einer sehr guten Orchesterleistung doch durch Klarheit, Dynamik und genügend Impetus für sich ein. Trotzdem kaum nachvollziehbar, warum gerade diese Zehnte in die Box Eingang fand.

    CD 5 (52:01): Hier erwartet einen dann wieder eine Jahrhunderteinspielung, die ausgesprochen intensive, in Solo-Violine wie Orchesterleistung und -führung geradezu überwältigend präsente und suggestive Deutung des ersten Violinkonzerts durch David Oistrach und Dimitri Mitropoulos aus New York von 1956, die es in einer sehr schön gestalteten Sony-Edition auch mit dem Ersten Cellokonzert mit Rostropowitsch und Ormandy kompiliert gibt. Ein sehr guter Monoklang mit guter Durchhörbarkeit und toller Dynamik zeichnet die Aufnahme aus. Kompiliert auf dieser CD Auszüge aus der Hornissen-Suite wieder mit Frank Shipway und dem RPO und zwei für Violine und Klavier transkribierte Präludien mit Jascha Heifetz und Emanuel Bay aus dem Jahr 1946, anekdotisch interessant, nicht mehr, nicht weniger. Die Zusammenstellung bereitet erneut Stirnrunzeln.

    CD 6 (31:22): Hier finden sich das Zweite Klavierkonzert, wieder mit Schostakowitsch als Solist und Cluytens als Dirigent sowie das 1956 von Schostakowitsch mit seinem Sohn Maxim eingespielte Concertino für zwei Klaviere, wieder lohnende Aufnahmen, sofern man nicht schon die entsprechende EMI-Scheibe hat. Als nicht nachvollziehbare Ergänzung die Festliche Ouvertüre in einer Einspielung mit dem Royal Philharmonic unter Sir Charles Mackerras.

    CD 7 (49:31): Diese CD lässt Sammlerherzen wieder höher schlagen mit ihrer für das Aufnahmejahr 1952 erstaunlich gut klingenden Monoaufnahme des Klavierquintetts Op. 57 mit dem Hollywood String Quartet und Victor Aller am Klavier. Eine sehr frische, intensive, präzise und ziemlich virtuose Deutung des Werks, die mich persönlich sogar mehr anspricht als die mit Swjatoslaw Richter und dem Borodin-Quartett. Die Instrumente sind dabei gut zu orten, die Aufnahme ist dynamisch, hat ein solides Bassfundament, ein echter Gewinn. Daneben drei Präludien aus Op. 87 mit Emil Gilels in ebenfalls klanglich guten Aufnahmen von 1954/1955, deren Interpretation man schön mit Schostakowitschs eigener vergleichen kann, die sich auf der nächsten CD befindet.

    CD 8 (44:32): Eine Auswahl von Klavierstücken, alle von Schostakowitsch selbst gespielt, authentisch, klarer und trockener als das moderne Interpreten tun, fünf Präludien aus Op. 87 und drei Fantastische Tänze Op. 5, aufgenommen 1958 in guter Mono-Qualität, zwei Präludien aus Op. 34 und die Kinderstücke Op. 69, Aufnahmen in ziemlich grausiger Qualität aus dem Jahr 1946, in Op. 69 sagt Schostakowitsch selbst mit unerwartet hoher, fast jugendlicher Stimme die Titelnamen an.

    CD 9 (64:00): Hier findet sich noch einmal eine besondere Rarität mit dem Klaviertrio e-moll in einer Aufnahme von 1945 mit Schostakowitsch am Klavier und Dimitri Ziganow und Sergej Schirinski mit Violine bzw. Violoncello. Auch dieses Werk, aus dem Interpreten wie etwa Argerich/Kremer/Maisky ein Maximum an Dramatik und Ausdruck herausholen, spielt der Komponist eher trocken und gar nicht aufgeladen. Das Scherzo hört man dabei nie schneller und kaum je gelassener, eine erstaunliche, erhellende Aufnahme in akzeptabler Mono-Qualität. Kompiliert hier als akustischer Schock die voluminöse, sehr gut durchhörbare quasi Breitwandaufnahme von 1995 des zweiten Streichquartetts mit dem wenig bekannten Zapolski-Quartett.

    CD 10 (52:20): Noch einmal das Zapolski-Quartett, diesmal mit dem bekanntesten Quartett Schostakowitschs, Nr. 8 Op. 110, gleichfalls intensiv und überzeugend interpretiert, und das gleichfalls skandinavische Cailin-Quartett mit dem Streichquartett Nr. 3, Aufnahmen von 1995 bzw. 1998.

    Die bei dieser Zusammenstellung offensichtliche editorische Anspruchslosigkeit dokumentiert sich auch in fehlenden Zusatzinformationen zu Interpreten und Aufnahmeumständen, die insbesondere bei den historischen Aufnahmen sehr interessant wären, ein Booklet liegt nicht bei. Die CDs stecken in Einzelkartönchen, die Papp-Box ist stabil. Wenn man v. a. die starken Einspielungen mit Mitropoulos und die Klavierkonzerte mit Schostakowitsch als Interpret noch nicht besitzt, bekommt man hier trotzdem enorm viel gute Musik geboten, dann sollte man sich die Box nicht entgehen lassen!
    Streichquartette Nr.1-6 Streichquartette Nr.1-6 (CD)
    20.02.2013
    Booklet:
    3 von 5
    Gesamteindruck:
    4 von 5
    Klang:
    4 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    4 von 5

    Gesangsexperten

    Inzwischen gibt es einige Gesamtaufnahmen der Streichquartette Mendelssohn-Bartholdys. Die zupackende, die virtuosen Elemente dieser Werke betonende Einspielung des Melos-Quartetts ist leider vergriffen und wird zu Liebhaberpreisen gehandelt. Die Aufnahmen des Cherubini-Quartetts von Anfang der 1990er Jahre sind hingegen derzeit äußerst günstig zu haben und dabei sogar mit einem Beiheft mit den wichtigsten Angaben zu den Werken ausgestattet. Aufnahmetechnisch sind sie in jedem Fall Klassen besser, man wird von einem warmen, weichen, transparenten Klangbild mit weiter Dynamik, guter Auflösung und Ortbarkeit der Instrumente verwöhnt, während die Melos-Aufnahmen ja ziemlich scharf und eng gerieten.
    Dem klangtechnischen Charakter entspricht auch der Zugang der Cherubinis. Es sind vor allem die vielen wunderbaren gesanglichen Passagen, die hier aufblühen dürfen, was nicht zuletzt an einer hervorragenden Balance der Einzelstimmen liegt, zumal der leicht melancholische, dunkle, volle Violoncelloton von Manuel Fischer-Dieskau und der kernig-substanzreiche Bratschenklang Hariolf Schlichtigs kommen voll zu ihrem Recht. Primarius Christoph Poppen überzeugt mit einer brillanten, dabei unaufdringlichen und uneitlen Führung, die auch Harald Schoneweg mit der zweiten Violinstimme eine Chance lässt. Manchmal wünscht man sich dennoch ein wenig mehr an extrovertierter Risikofreudigkeit, wie sie ein Wilhelm Melcher im Melos-Quartett besaß.
    Bei aller Betonung der Kantabilität der Werke werden biedermeierliche Klippen immer umschifft, die Facetten dieser zu selten hochrangig eingespielten Musik vom Lied ohne Worte über dahinhuschende Sommernachtstraum-Scherzi bis hin zum Drama des schmerzlich-expressiven Op. 80 kommen zur Geltung. Gerade in diesem so gar nicht typisch Mendelssohnschen zerrissen-unversöhnlichen f-moll-Quartett hätte ich mir, die Interpretation des Melos-Quartetts im Ohr, aber trotzdem noch mehr an Attacke, an dramatischer Zuspitzung vorstellen können.
    Ein erfreuliches Detail ist, dass alle Wiederholungen gespielt werden, das nachträglich zusammengestellte Op. 81 und das frühe Es-dur-Quartett ohne Opus fehlen in dieser Sammlung. Aus meiner Sicht eine unbedingt empfehlenswerte Aufnahme, die für mich nicht ganz die überraschende Klasse der Schubert-Einspielungen dieses Ensembles erreicht, aber doch einen günstigen und befriedigenden Einblick in das kammermusikalische Potential Mendelssohns erlaubt.
    Janine Jansen - Violinkonzerte von Mendelssohn & Bruch Janine Jansen - Violinkonzerte von Mendelssohn & Bruch (CD)
    20.02.2013
    Booklet:
    3 von 5
    Gesamteindruck:
    4 von 5
    Klang:
    5 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    2 von 5

    Doppelbegabung

    Das e-moll-Konzert von Mendelssohn-Bartholdy und das g-moll-Konzert von Max Bruch zu kombinieren macht Sinn. Entsprechend häufig gibt es diese beiden Paradebeispiele romantischer Musik auch gemeinsam auf einem Tonträger, ob nun mit A.-S. Mutter, N. Kennedy, J. Bell, S. Accardo, M. Vengerow, G. Shaham, I. Perlman oder Y. Menuhin oder, oder, oder. Und entsprechend schwierig ist es, sich von der Konkurrenz abzusetzen, die Konzerte gehören zum engsten Kernrepertoire jedes Geigers.
    Janine Jansen überzeugt bei diesen Aufnahmen mit einem charakteristischen Ton, geprägt von einer ziemlich einnehmenden Mischung aus Wärme und Klarheit, sie spielt sehr flexibel, ihr Vibrato ist unaufdringlich. Phrasierung, Artikulation, alles wunderbar, der Gestaltungswille wird allenthalben deutlich, da wird nichts nebenbei gespielt.
    In Riccardo Chailly mit dem Gewandhausorchester hat sie ebenbürtige Begleiter, die äußerst lebendig, bis in die Nebenstimmen sehr differenziert und mit einem wachen Ohr für die Solistin, dabei gewohnt klangschön mit dem typisch erdig-gediegenen Gewandhauston wieder einmal beredt Zeugnis von ihrer Klasse ablegen.
    Die Tempi nehmen Jansen und Chailly zügig, aber keineswegs ungewöhnlich rasant, dieses Attribut wäre eher bei Jascha Heifetz oder in einem aktuellen Vergleich auch bei Hilary Hahn gerechtfertigt, aber lebhaft ist das Ergebnis allemal. Im Mendelssohn-Konzert fehlt mir persönlich trotzdem das letzte Quäntchen Risikobereitschaft auch in Bezug auf die Tempi, während ich das Bruch-Konzert kaum je klangschöner und differenzierter gehört habe, zugegeben ohne den kompletten Überblick über die Tonträger-Rezeption dieses Werks.
    Eine außerordentlich erfreuliche und unerwartet schön gespielte Zugabe ist die F-Dur-Romanze von Max Bruch für Viola und Orchester. Doppelbegabungen der Spitzenklasse, die Violine und Viola gleichermaßen überzeugend und tonschön spielen können, sind gar nicht so dicht gesät. Janine Jansen scheint eine zu sein, ihr Bratschenton ist umwerfend warm, sonor, dicht und dennoch nicht dick. Auch diesem Stück lassen die Leipziger unter Chailly viel Aufmerksamkeit und Gestaltungsliebe zukommen.
    Klangtechnisch scheint weiterhin Verlass auf die DECCA zu sein. Breites Panorama, sattes Fundament, weite Dynamik, beste Transparenz. Klasse! Die Packung mit Faltkarton und eingelegtem Booklet, für Fans von Frau Jansen auch reichlich bebildert, ist ansprechend gestaltet.
    Keineswegs konkurrenzlos, aber durchaus eine Überlegung wert.
    String Sextets String Sextets (CD)
    20.02.2013
    Booklet:
    3 von 5
    Gesamteindruck:
    4 von 5
    Klang:
    4 von 5
    Künstlerische Qualität:
    4 von 5
    Repertoirewert:
    4 von 5

    Dream Team

    Isaac Stern nahm am Ende seiner Karriere in den 1990er Jahren zum Glück u. a. viel Kammermusik von Johannes Brahms auf. Die Violinsonaten, die Klavierquartette, das G-Dur-Streichquintett und eben die beiden Streichsextette.
    Die hohe Qualität dieser Aufnahmen ist maßgeblich in der Traumbesetzung begründet. Man stelle sich beispielsweise bei den Sextetten den Luxus vor, einen Michael Tree, Bratschist des Guarneri-Quartetts, für die zweite Violastimme zur Verfügung zu haben, einen prominenten Solisten wie Cho-Liang Lin für die zweite Violine, ganz zu schweigen von Yo-Yo Ma! Jaime Laredo und Sharon Robinson spielten lange Jahre ohnehin in einer eigenen Klaviertrio-Formation mit Joseph Kalichstein zusammen Kammermusik auf höchstem Niveau.
    Nicht nur für eine All-Star-Formation harmonieren Stern and friends außerordentlich, da gibt es keine solistischen Eskapaden, keinen Ausreißer. Das alles klingt im Gesamtbild so einheitlich, dass es manchmal nur knapp dem Verdacht der perfekten Routiniertheit entgeht.
    Dann aber ist man rasch wieder hingerissen von der Gesanglichkeit in allen Stimmen, von herrlich ausgespielten Seitenthemen, zumal auch in den Mittelstimmen und den Celli, von den gelassenen, nie extrem gewählten Tempi, vom an symphonische Grenzen gelangenden voluminösen Ensembleklang, der jedoch nie zum Krach gerät. Allein schon die Stretta im Finalsatz von Op. 18 mit dem prominenten Solo der ersten Bratsche ist es wert, diese Aufnahmen zu kennen.
    Die Instrumente werden klangtechnisch natürlich und präsent abgebildet, Dynamik und Fundament sind vollauf befriedigend. Das Beiheft bietet neben Werkeinführungen auch Informationen zu den Ausführenden. Ein kleiner Nachteil ist die Gesamtspielzeit, die nicht weit über der einer Einzel-CD liegt. Als Dreingabe spielt Emanuel Ax die Klavierfassung des zweiten Satzes von Op. 18, für mich klanglich keine Alternative zur Streicherversion.
    Konkurrenz? Sicher, bei Op. 18 Stern selbst mit Pablo Casals und anderen Prominenten der 1950er, bei Op. 36 die sympathische Isabelle Faust mit ihrer All-Star-Besetzung, die legendären Live-Aufnahmen von Op. 18 und Op. 36 des Alban-Berg-Quartetts mit Mitgliedern des Amadeus-Quartetts, als "historisch informierte" Version eine hochklassige Einspielung mit L'Archibudelli. Ich möchte diese Aufnahme hier aber keinesfalls missen!
    Meine Produktempfehlungen
    • Pablo Casals Festival Prades - Der Gesang der Vögel Pablo Casals Festival Prades - Der Gesang der Vögel (CD)
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    Symphonie Nr.7 Symphonie Nr.7 (CD)
    20.02.2013
    Booklet:
    1 von 5
    Gesamteindruck:
    2 von 5
    Klang:
    2 von 5
    Künstlerische Qualität:
    3 von 5
    Repertoirewert:
    1 von 5

    Von der Stange

    Thomas Dausgaard hat am Pult des Schwedischen Kammerorchesters zuletzt durch die bei BIS aufgelegte interpretatorisch wie klanglich bemerkenswerte Serie "Opening Doors" mit sinfonischen Werken von Schumann, Schubert, Bruckner, Dvorak, Brahms und Tschaikowsky auf sich aufmerksam gemacht. Anfang des letzten Jahrzehnts begann das gleiche Gespann eine Gesamtaufnahme der Orchesterwerke Ludwig van Beethovens, quasi das Vorläuferprojekt der "Opening Doors", noch beim Label Simax.
    Interessanter als üblich sind die Kopplungen der Werke, hier der Siebten Sinfonie mit der Schauspielmusik zu Egmont, aus der man gewöhnlich nur die Ouvertüre zu hören bekommt.
    Der Interpretationsansatz ist wie erwartet. Dausgaard treibt sein Ensemble in den von Beethoven vorgeschriebenen Tempi durch die Partituren, es wird forciert akzentuiert, teils etwas kleingliedrig artikuliert, der Funke der Begeisterung springt dabei durchaus auf den Hörer über.
    Bezogen auf die Siebte ergeben sich dabei keine wirklich neuen Aspekte, wenn man die jüngeren Aufnahmen der letzten fünfundzwanzig Jahre von Norrington mit den London Classical Players bis zur Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter Paavo Järvi zum Vergleich heranzieht. Ich persönlich würde die Einspielung von Dausgaard in erster Linie mit der von Järvi vergleichen, wobei mir bei letzterer die ungeheuer flexible Dynamik und Details wie der quasi attacca genommene Übergang des ersten in den zweiten Satz und auch die famose Aufnahmequalität noch mehr zusagen.
    Hinzu kommt, dass der Nachteil der Performance dieser Sinfonie mit einem Kammerorchester sich aus meiner Sicht bei Dausgaard noch deutlicher als bei Järvi bemerkbar macht: die Streicher der Schweden müssen sehr oft merklich an der Grenze der machbaren Lautstärke spielen. Das klingt z. B. bei Osmo Vänskä mit seinem Minnesota Orchestra deutlich runder, dabei nicht weniger spannend. Auch den Vergleich zur immer wieder erstaunlich aktuellen Über-Aufnahme mit Kleiber und den Wiener Philharmonikern besteht Dausgaard in meinen Ohren bei allem hörbaren Elan nicht.
    Der Klang wirkt auf mich recht trocken und ein wenig eng, auch bezogen auf Tiefbassqualitäten und Präsenz für eine so neue Aufnahme vergleichsweise enttäuschend.
    Die Egmont-Musik ist mit der gleichen frischen Herangehensweise eingespielt, die bekannte Ouvertüre gerät dabei auch wieder extrem sportlich und sehr schlank, als Gegenbeispiel fällt mir Bernstein mit den Wiener Philharmonikern ein.
    Alles in allem wäre auch von den neuen Einspielungen der Siebten diejenige mit Dausgaard nicht meine erste Wahl, auch wenn sie ihre Meriten hat und die kompilierte Egmont-Musik eben selten zu hören ist.
    Das Beiheft ist in meiner Ausgabe übrigens ausschließlich einsprachig-englisch und enthält kurze Notizen zu den Werken und den Ausführenden, jedoch nicht den Text der Egmont-Musik.
    Klaviertrio op.8 Klaviertrio op.8 (CD)
    20.02.2013
    Booklet:
    4 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    3 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    5 von 5

    Hochrangige Arbeit an vernachlässigtem Material

    Hans Pfitzners Kammermusik steht nicht gerade im Mittelpunkt der Bemühungen der Musikindustrie. Vom Klaviertrio Op. 8 und von der Violinsonate Op. 27 gibt es vielleicht jeweils eine Handvoll Konkurrenzeinspielungen. Der Stil des vorwiegend wegen seiner Opern und hier v. a. wegen des "Palestrina" bekannten Richard-Strauss-Zeitgenossen, der schon zu Lebzeiten stark polarisierte und dem von seinen Gegnern nach dem Zweiten Weltkrieg nationalsozialistische Tendenzen vorgeworfen wurden, lässt sich noch am ehesten der Spätromantik zuordnen.
    Im Klaviertrio kann man sich auf große dynamische Kontraste, extreme Stimmungswechsel zwischen wildem Aufbegehren mit großer Geste und kleingliedrig-rezitativischen, dahin gewischten Passagen einstellen. Die Violinsonate erfreut mit weit gespannten Melodiebögen und teils extremen Sprünge in der Violinstimme.
    Durch den oft dichten Satz und insbesondere im Klavier streckenweise massive Klangballungen geht besonders im Klaviertrio leicht der Überblick verloren. Nicht so in dieser Aufnahme. Drei hochrangige und namhafte Solisten setzen sich hier für die wenig gespielten Werke ein, und das Ergebnis ist tatsächlich beeindruckend. Die drei spielen mitreißend energisch, hochdynamisch, flexibel im Tempo, vermeiden dabei so gut als möglich allzu dicke Soße und setzen nach meiner Auffassung die Werke damit bestmöglich ins Licht.
    Claudius Tanski spielt in der Aufnahme auf einem Blüthner-Flügel von 1925, der sehr gut zu den Stücken passt. Die Aufnahme wurde in einer Kirche realisiert. Sie ist entsprechend voluminös, aber bemerkenswert gut balanciert und noch gut durchhörbar. Halliger dürfte das Klangbild allerdings nicht sein. Es unterstützt eher die sinfonischen Aspekte zumal des Klaviertrios.
    Der Begleittext ist informativ, die Edition insgesamt den hohen Erwartungen an das Label MDG entsprechend. Aus meiner Sicht eine großartige Aufnahme, die nicht nur die Plattensammlung von Pfitzner-Anhängern ziert.
    Klaviertrios Nr.1 & 2 Klaviertrios Nr.1 & 2 (CD)
    20.02.2013
    Booklet:
    4 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    5 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    4 von 5

    Dynamische Dreisamkeit

    Mendelssohn-Bartholdys Klaviertrios sind Musterbeispiele romantischer Kammermusik und mit ihren heroisch-expansiven, teils hymnischen Ecksätzen, an Lieder ohne Worte erinnernden langsamen Sätzen und dahinhuschenden Scherzi wie aus dem Sommernachtstraum auch ganz unverkennbar Werke ihres Schöpfers. Zumal um die Melodiebögen in den choralartigen Passagen flüssig darzustellen, bedarf es tatsächlich der vom Komponisten verlangten hohen Tempi in den Finalsätzen, auch gerät der meist dichte Satz in den Stücken schnell zu 'dick'.
    Die drei Herren des Trio Jean Paul spielen das perfekt. Die Scherzi der beiden Trios beispielsweise werden in geradezu halsbrecherischem Tempo, dabei aber nie gehetzt und wunderbar luftig und leise realisiert, die Dynamik wird ungeheuer flexibel und klug gestaffelt, die langsamen Sätze werden in idealer fließender Ruhe umgesetzt. Maßgeblich der in diesen Werken am meisten geforderte Pianist Eckart Heiligers leistet binnendynamisch Außerordentliches, das weit über rein manuelle Souveränität hinaus geht. Hinzu kommt eine bemerkenswert geglückte Balance zwischen dem übermächtigen Klavier und den beiden Streichern, was auch durch die Aufnahmetechnik sehr angenehm unterstützt wird.
    Das Klangbild der Aufnahme ist überdies warm, voll, räumlich und sehr gut durchhörbar.
    Das Resultat ist eine hoch beglückende, spannende Aufnahme, die man nur wärmstens empfehlen kann.
    Divertimento KV 563 Divertimento KV 563 (SACD)
    20.02.2013
    Booklet:
    4 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    5 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    4 von 5

    Ziemlich ideales Mozartspiel

    Mozart komponierte sein Divertimento für Streichtrio im gleichen Jahr wie seine letzten Sinfonien. Das ist ausdrucksvolle, abgeklärte, melodisch sehr eingängige und einfallsreiche Musik, die sehr hohe Anforderungen an die Interpreten stellt, denen neben dem offenen Ohr für ihre Partner auch einiges an virtuosen Fähigkeiten abverlangt wird. Frank-Peter Zimmermann, ein ganz hervorragender Geiger, der stilsicher ein Spektrum vom Barock bis in die Moderne und von der Kammermusik bis zum Solokonzert abdeckt, und seine nicht weniger hochrangigen Trio-Partner Antoine Tamestit und Christian Poltéra spielen das Divertimento schlank, mit wohl dosiertem Vibrato, in aus meiner Sicht perfekt angemessenen Tempi und fein aufeinander abgestimmt. Da wirkt nichts forciert, überspannt oder manieriert. Passend voll, realistisch, natürlich-räumlich und gut durchhörbar ist auch der Klang der SACD, den hohen Erwartungen ans Format und an die Firma BIS entsprechend. Für mich trotz guter Konkurrenzaufnahmen beispielsweise mit Kremer/Kashkashian/Ma eine geradezu ideale Interpretation. Auch die Beethoven-Trios in dieser Formation sind sehr hörenswert!
    Meine Produktempfehlungen
    • Streichtrios Nr.3-5 (op.9 Nr.1-3 Streichtrios Nr.3-5 (op.9 Nr.1-3 (SACD)
    Symphonie Nr.4 Symphonie Nr.4 (CD)
    19.02.2013
    Booklet:
    4 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    2 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    4 von 5

    Deutsche Premiere

    Wir hören eine restaurierte Mono-Aufnahme des Rundfunks der DDR vom 24.02.1963 aus dem Großen Haus des Staatstheaters Dresden, die damals live übertragen wurde. Es handelte sich um die deutsche Erstaufführung dieses Monstrums von Symphonie. Kirill Kondraschin, hier Dirigent der Staatskapelle Dresden, nach den teils recht instruktiven Informationen im schön bebilderten Beiheft eines seiner Lieblingsorchester, hatte 1962 auch die Jahrzehnte verspätete Uraufführung der zunächst von Schostakowitsch zurückgezogenen Symphonie geleitet.

    Die Aufnahme klingt natürlich und durchaus präsent, hat trotz Monophonie eine gute Räumlichkeit und kein überwältigendes, aber doch befriedigendes Bassfundament und sehr viel Trennschärfe. Ich würde sogar sagen, dass sie gar nicht so viel weniger Volumen hat als die spätere Moskauer Studioaufnahme in Kondraschins legendärem Schostakowitsch-Zyklus, wobei diese insgesamt natürlich schon besser klingt. Die Aufnahme ist sehr rauscharm, offenkundig wurde zudem ohne Live-Publikum aufgezeichnet. Trotzdem gibt es inzwischen natürlich haufenweise besser klingende Einspielungen.

    Interpretatorisch haben wir es mit einer typischen Kondraschin-Sicht zu tun, die jener seiner Moskauer Aufnahme ähnelt. Auch die Staatskapelle Dresden, die diese dem Orchester damals wohl vergleichsweise wenig vertraute Musik höchst idiomatisch wiedergibt, treibt er an Grenzen. Schon der schrille Beginn erinnert ganz eindeutig an seine Moskauer Aufnahme. Forciert, klar, aufgeladen, so ist seine Auslegung auch hier. Die Grundtempi sind zügig, Akzente und Effekte wie etwa die Sirenen im ersten Satz werden scharf herausgearbeitet, das Presto im ersten Satz ist stürmisch. Tatsächlich ermöglicht es noch am ehesten ein so stringenter Zugang wie der Kondraschins, hier die Struktur zu verdeutlichen. Im Moderato con moto beeindrucken Motorik, rhythmische Präzision und Ironie. Auch die Vielfalt der Stimmungen und Farben des ausufernden, manchmal geradezu ideenflüchtigen Finalsatzes kommen ungefiltert herüber. Unglaublich suggestiv und beklemmend gerät insbesondere der düstere Abschnitt am Ende nach dem letzten Aufbäumen. Gerade solche Passagen wie diese gewaltige Klimax oder auch das Presto im Kopfsatz sind in der Moskauer Aufnahme dann aber doch noch eindringlicher, noch unerbittlicher, was nicht nur an der anderen, verschärfenden, Aufnahmetechnik liegt.

    Die spätere Moskauer Stereo-Aufnahme gibt es noch vereinzelt gebraucht, die klanglich bearbeitete Gesamtaufnahme der Melodiya lohnt sich aber ohnehin. Ansonsten hat Kondraschin mit seinen spezifischen Qualitäten einfach wenig Konkurrenz. Eine aus meiner Sicht empfehlenswerte Alternative ist die britische Erstaufführung unter Gennadi Roschdestwenski bei BBC Legends.
    Symphonien Nr.1-4 Symphonien Nr.1-4 (CD)
    18.02.2013
    Booklet:
    1 von 5
    Gesamteindruck:
    2 von 5
    Klang:
    3 von 5
    Künstlerische Qualität:
    2 von 5
    Repertoirewert:
    1 von 5

    Holzschnitt

    Das Zitat auf dem Cover aus dem Magazin Gramophone ("First rate playing ... a clear winner") belegt, dass Georg Soltis Auslegung der vier Symphonien Robert Schumanns und der kompilierten Werke "Ouvertüre, Scherzo und Finale" und Julius-Caesar-Ouvertüre ihre Liebhaber hat. Bei mir will sich auch nach mehrfachem Hören eine tiefere Zuneigung zu den Ende der 1960er entstandenen Aufnahmen nicht einstellen.
    Zu grob ist mir Soltis Dirigat, zu unorganisch wirken auf mich seine Steigerungen, zu forciert und aus dem Zusammenhang gerissen die Akzente. Die Wiener Philharmoniker klingen für mein Empfinden in dieser Aufnahme ungewöhnlich rau und uneinheitlich, fast möchte ich sagen schrill. Natürlich sind Soltis Tempi beachtlich, und die beneidenswerte Energie dieses Dirigenten überträgt sich ohne Zweifel auch auf mich, wenn ich diese eher einem Holzschnitt als einem Gemälde vergleichbaren Darstellungen höre. Schumann bietet aber sowohl in Bezug auf Gesanglichkeit wie auch hinsichtlich der Instrumentation und der Polyphonie mehr als Solti es offen legt; das wird beim Vergleich etwa mit Harnoncourt, mit Dausgaard oder mit Bernstein deutlich, so unterschiedlich deren Ansätze sind.
    Auch die Aufnahmetechnik finde ich gerade im Vergleich zu anderen DECCA-Produktionen aus der gleichen Zeit nicht überragend. Für mich ist das klangliche Ergebnis insgesamt zu angestrengt, zu wenig räumlich und auch nicht befriedigend transparent. Trotz meiner Sympathie für diesen Dirigenten und seine oft erfrischend direkte Herangehensweise an die Musik ist sein Schumann-Paket zumindest für mich nicht erste Wahl.
    Symphonie Nr.11 "1905" Symphonie Nr.11 "1905" (SACD)
    18.02.2013
    Booklet:
    3 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    5 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    4 von 5

    Der eigene Weg

    Die Aufnahme der Elften Symphonie von Dmitri Schostakowitsch mit seinem langjährigen Wegbegleiter Mstislaw Rostropowitsch am Pult des London Symphony Orchestra wurde in Konzerten am 21. und 22. März 2002 oder 2003 (die Angaben im Booklet und auf der Hülle sind widersprüchlich) in der Londoner Barbican Hall mitgeschnitten. Das Hauslabel des britischen Weltklasse-Orchesters wirbt mit audiophilem Anspruch und wird ihm in dieser Aufnahme für mein Empfinden auch gerecht. Beim Abhören der 4.1-Surround-Spur sieht man sich in etwa in die hintere Mitte des Parketts versetzt, die Aufnahme gibt die beträchtliche Tiefe und Breite des Raumes realistisch und warm wieder, die hinteren Kanäle werden nicht für Sound-Mätzchen, sondern für die natürliche Wiedergabe der Saal-Akustik genutzt, man wird mit einer hervorragenden Frequenzweite und einer enormen dynamischen Bandbreite erfreut. Die Stereo-CD-Spur fällt qualitativ für meine Begriffe kaum ab, entsprechend lohnt sich vor Anschaffung ein Blick auf die CD-Ausgabe. Publikumsgeräusche höre ich nicht, der Applaus wurde geschnitten. Beste technische Voraussetzungen also, die bei einem so gewaltigen symphonischen Werk wie diesem auch angebracht sind.

    Ich kenne den älteren, ursprünglich bei Erato aufgelegten Schostakowitsch-Zyklus Rostropowitschs nicht. Für das LSO-Label hat Rostropowitsch neben der Nr. 11 noch die Nr. 5 und die Nr. 8 aufgenommen. Die Fünfte überzeugt mich mit einem sehr klangsinnigen, nicht explosiven, aber dennoch kraftvollen Ansatz. Auch bei der Nr. 11 geht Rostropowitsch einen eigenen, für sich stimmigen Weg. Besonderes Augenmerk legt er auf die dynamische Abstufung und die Klangregie im Orchester. Die Bandbreite der Dynamik in dieser Aufnahme ist bemerkenswert, wobei vor allem das unheimlich präsente, aber dennoch extrem leise Pianissimo die große Qualität des Orchesters und das Gespür des Dirigenten belegt. Die lauten Passagen bereiten ja ohnehin kaum dynamische Probleme.

    Beispielhaft für den Ansatz Rostropowitschs ist der Kopfsatz, ein Adagio; extrem dünn gesetzt, über lange Strecken kaum motivische Entwicklung, äußerst wenig Material, meist in den unteren Registern. Rostropowitsch nimmt den Satz noch dazu extrem langsam, benötigt 20 Minuten, während Kondraschin hier mit gut zwölf Minuten auskommt. Ein solch langsames Tempo ist gewagt, Langatmigkeit die Gefahr. Rostropowitsch jedoch hält die Spannung.
    Auch die schnellen Sätze nimmt Rostropowitsch in eher gemäßigten Tempi, überzeugt jedoch mit einer ungeheuren dynamischen Breite, mit gewaltigen Steigerungen und mit drastischen Akzenten, beispielhaft etwa in den tiefen Streichern im zweiten Satz, durchaus aber auch bei den markerschütternden Einsätzen des Schlagwerks im Finale.
    Zudem hört man bei Rostropowitsch eine äußerst differenzierte Stimmenbehandlung, exemplarisch bei den Holzbläsern im beginnenden Getümmel der Coda des Finalsatzes. Bei Bernard Haitink etwa in seiner auch beeindruckenden Aufnahme mit dem Concertgebouw Orkest gehen die Holzbläser hier etwas unter.
    Insgesamt ergeben sich eine hohe atmosphärische Dichte, starke innere Spannung und nicht überexpressive, aber packende Dramaturgie.

    Es verwundert nicht, dass diese Aufnahme von angelsächsischen Kritikern als Platte des Jahres ausgezeichnet wurde!
    Meine Produktempfehlungen
    • Symphonie Nr.11 "1905" Symphonie Nr.11 "1905" (CD)
    Violinkonzert Nr.1 Violinkonzert Nr.1 (SACD)
    18.02.2013
    Booklet:
    2 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    3 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    4 von 5

    Quellenfrage

    Gleich vorweg. Trotz der Mäkeleien, die in meiner Besprechung folgen, hat diese Aufnahme dreier Schostakowitsch-Solokonzerte die Höchstwertung verdient, vereinigt sie doch maßstäbliche Deutungen großartiger Musik in guter Klangqualität auf einer randvollen SACD. Ich habe tatsächlich den Eindruck, dass die SACD-Spur (Stereo) im Vergleich zu den mir bekannten Originalen der Bernstein- und der Rostropowitsch-Aufnahme der CBS ein Mehr an Räumlichkeit, Wärme, Brillanz und Obertönen bringt. Im Netz wird von "digitalen Artefakten" berichtet, von schlampiger Aufbereitung. Dieser Eindruck entsteht für mich überhaupt nicht. Ob sich der Kauf für Hörer lohnt, die die Aufnahmen schon in anderen Abmischungen haben, sei dennoch dahingestellt, denn klangqualitative Quantensprünge sind - zumindest bei meinem Equipment - trotz aller DSD-Euphorie nicht zu hören.

    Das Material ist bekannt und hochkarätig. David Oistrach, Solist im Ersten Violinkonzert, Widmungsträger des Werkes, hatte einen unverwechselbaren, substanzreichen, gesättigten, suggestiven Ton. Es lag ihm fern, seine Fähigkeiten zur Schau zu stellen. Trotz makelloser Technik geriet bei ihm eine solistische Darbietung nie zur Bravour-Demonstration. Bei seinen Deutungen des Ersten Schostakowitsch-Konzerts werde ich immer wieder von seiner ungeheuren Vortrags-Intensität mitgenommen, in allen Sätzen, aber ganz besonders in der Passacaglia, dem Herzstück des Werkes. Jewgeni Mrawinski, ein weiterer Wegbegleiter Schostakowitschs, dirigiert hier die Leningrader Philharmoniker, so wie man ihn kennt; klar, intensiv, unsentimental, aber in geradezu überwältigender innerer Verbindung mit dem Werk und seinem Gehalt.
    Laut Angaben des Booklets entstand die Studioaufnahme am 18. November 1956 in Leningrad. Hier ergibt sich ein erster Zweifel. Die Aufnahme klingt nach spätem Mono, nach sehr gutem Mono mit einer hervorragenden Räumlichkeit und Präsenz und einem befriedigendem Bassfundament, aber nicht nach den auf dem Cover ausgewiesenen Stereo-Quellen. Das wäre 1956 in der damaligen Sowjetunion auch kaum möglich gewesen. Es handelt sich beim Hörvergleich nicht um die auch anders datierte Melodiya-Aufnahme, die in verschiedenen Editionen aufgelegt wird. In der sehr gut recherchierten Mrawinski-Diskographie des Japaners Kenzo Amou wird keine Aufnahme dieses Datums erwähnt. Im Begleitheft findet sich keine Angabe, ob es sich um eine bislang unbekannte Einspielung handelt.

    Das nächste Rätsel ergibt sich beim Vergleich der legendären amerikanischen Ersteinspielung (08.11.1959) des Ersten Violoncellokonzerts mit Mstislaw Rostropowitsch, dem Philadelphia Orchestra und Eugene Ormandy mit der entsprechenden Sony/CBS-Edition. Die Spielzeit des zweiten Satzes unterscheidet sich um fast eine Minute. Ein fernes Autohupen an der identischen Stelle in der Aufnahme bestätigt mir, dass es sich um die gleiche Einspielung handelt. Aber wie kommt dann die Zeitdifferenz zustande? Wurde die Geschwindigkeit des Satzes angehoben? Abgesehen davon handelt es sich bei dieser Aufnahme natürlich um eine der maßgeblichen des Werkes. Rostropowitsch war gleichfalls Widmungsträger und spielte das Werk vielfach ein. Auch Rostropowitschs Interpretation ist von einer enormen Spannung, Beseeltheit und idiomatischen Authentizität geprägt. Ormandys Dirigat ist in seiner Differenziertheit exzellent, wobei ich mir hier an mancher Stelle eine kontrastreichere, bissigere und risikofreudigere Auslegung wünschen würde.

    Das Zweite Klavierkonzert mit Leonard Bernstein als Solist und Dirigent der New Yorker Philharmoniker wurde am 10. November 1961 aufgenommen. Der klangliche Unterschied zur alten CBS-Edition erscheint mir noch deutlicher als der bei der Violoncellokonzert-Aufnahme. Die Leistung Bernsteins finde ich fabelhaft. Er gestaltet den Klavierpart frisch, stark, witzig und pianistisch makellos. Das Konzert selbst bietet weniger emotionale Tiefen als die beiden anderen kompilierten Werke, Humor und Sarkasmus stehen im Vordergrund.

    Diese SACD stand für kurze Zeit auf Platz drei der Klassik-Charts. Erstaunlich und erfreulich. Auch von mir eine klare Empfehlung (trotz mancher Ungereimtheiten), sofern man die Einspielungen nicht bereits in anderer Ausgabe besitzt.
    Symphonien Nr.1-15 Symphonien Nr.1-15 (CD)
    18.02.2013
    Booklet:
    3 von 5
    Gesamteindruck:
    3 von 5
    Klang:
    3 von 5
    Künstlerische Qualität:
    3 von 5
    Repertoirewert:
    2 von 5

    Unerfüllte Erwartungen

    Diese digitale Gesamteinspielung der Symphonien Dmitri Schostakowitschs mit seinem Sohn Maxim am Pult der Prager Symphoniker entstand in Live-Aufnahmen zwischen 1995 (Symphonie Nr. 13) und 2006 (Symphonien Nr. 3 und Nr. 11). Die Aufmachung ist mit einer soliden Pappbox, CDs in Papierhüllen und einem Beiheft, das Werkeinführungen in u. a. deutscher Sprache, die Vokaltexte aber leider nur auf Russisch (kyrillisch), Englisch und Tschechisch enthält, durchschnittlich. Schade finde ich, dass keine Anmerkungen Maxim Schostakowitschs zu seinem Ansatz beigefügt sind.

    Ich habe mir von dieser Box angesichts außerordentlich guter, nicht überexpressiver, aber mit Detailliebe und Klangsinn herausgearbeiteter Konzertaufnahmen Maxim Schostakowitschs mit Daniel Hope und Heinrich Schiff und in Anbetracht seiner für meine Begriffe sehr gelungenen Einspielungen mit dem LSO für Collins viel versprochen. Keinen interpretatorischen Extremismus wie bei Kondraschin, aber doch Intensität, vielleicht auch eine ganz besonders wahrnehmbare innere Beteiligung angesichts der familiären Bindung. Leider höre ich von beidem nichts oder kaum etwas.

    In keiner der Symphonien entwickelt Maxim Schostakowitsch für meine Begriffe einen wirklich individuellen Ansatz. Mag das angesichts der doch breiten Tonträger-Rezeption der Werke vielleicht auch viel verlangt sein, reißt mich sein Dirigat zudem auch nirgends richtig mit. Ansatzweise ansteckend engagiert wirken auf mich die Wiedergaben der Symphonien Nr. 5, Nr. 10, Nr. 11 bis 13 und Nr. 15, vor allem im atmosphärisch ziemlich dichten Largo der Fünften oder auch im Finale der Zehnten, in dem sich so etwas wie ein packender Drang nach vorn entwickelt. Die anderen Symphonien bleiben für mich vergleichsweise blass, zum Teil sogar spannungsarm. Ganz besonders schmerzlich kalt lässt mich in dieser Box etwa die gesamte Symphonie Nr. 6.

    Sicher liegt dieser ernüchternde Eindruck ganz wesentlich an meinen eigenen Hörvoraussetzungen, die zuletzt durch Kondraschins Ansatz maßgeblich geprägt wurden. Trotzdem kann ich auch mit weniger aufgeladenen Versionen viel anfangen, etwa mit Sanderlinigs Interpretationen oder auch mit dem Kitajenko-Zyklus. Diese Dirigenten setzen bei weniger äußerem Temperament durch eine tiefere Durchdringung oder durch detailliertes Aushören andere Akzente, aber sie setzen sie. Eben dies fehlt mir bei Maxim Schostakowitsch in diesem Symphonien-Paket.

    Klangtechnisch sind die Aufnahmen mir größtenteils (die Qualität schwankt ein wenig durch die Jahre) gleichfalls zu wenig profiliert, zu weich, zu wenig transparent. Das Orchester ist hörbar bemüht. Der vergleichsweise dünne Streicherklang und manche kleinen Unschärfen, zumal in den Holzbläsern, wären an sich für mein Hörvergnügen kein Problem. Aber es gibt orchestral eine ganze Reihe "besser" gespielter Aufnahmen.

    Mit dem Erwerb dieser Aufnahmen macht man natürlich nicht wirklich etwas falsch, Schostakowitschs Musik wirkt trotzdem, und wer sie nicht kennt, kann auch durch diese Box in ihren Sog geraten. Wenn man aber die Wahl hat, sollte man sich nach Alternativen umsehen. Maßstab für mich ist die wie gesagt extreme Auslegung Kondraschins. Roschdestwenskis sehr vitale und individualistische Aufnahmen sind nicht mehr im Gesamtpaket verfügbar.

    Nimmt man nur neuere Gesamtaufnahmen zum Vergleich, steht aber mit Gesamteinspielungen unter Haitink (sehr guter Klang, im Durchschnitt hohes interpretatorisches Niveau), Caetani (SACDs, auch auf CD guter Klang, spontan, aber nicht überexpressiv), Barschai (guter Klang, sehr günstig, durchwegs ansprechende, ernsthafte Interpretationen), Jansons (guter Klang, durchwegs hohes bis höchstes interpretatorisches Niveau mit teils mitreißend-inspirierten Wiedergaben, sehr günstig), Rostropowitsch und Kitajenko (SACDs, auch auf CD exzellenter Klang, sehr charakteristische Wiedergaben, sehr detailliert, außerordentliche dynamische Qualitäten) ausreichend Auswahl zur Verfügung.
    Meine Produktempfehlungen
    • Symphonien Nr.1-15 Symphonien Nr.1-15 (CD)
    • Symphonien Nr.1-15 Symphonien Nr.1-15 (SACD)
    • Symphonien Nr.1-15 Symphonien Nr.1-15 (CD)
    Symphonien Nr.1-15 Symphonien Nr.1-15 (CD)
    18.02.2013
    Booklet:
    3 von 5
    Gesamteindruck:
    5 von 5
    Klang:
    3 von 5
    Künstlerische Qualität:
    5 von 5
    Repertoirewert:
    5 von 5

    Unumgänglich

    Der symphonische Schostakowitsch-Zyklus mit Kirill Kondraschin am Pult des Philharmonischen Symphonieorchesters Moskau entstand zwischen 1965 (Symphonie Nr. 9) und 1975 (Symphonie Nr. 7). Es gab ihn bereits in anderen Aufbereitungen, deren Klangqualität ich leider nicht beurteilen kann. Informationen aus dem Netz zufolge ist dieses russische Melodiya-Remastering das bislang gelungenste. Das heißt leider nicht, dass der Klang auf dem Stand der westlichen Technik der damaligen Zeit ist. Wenn man so manche DECCA-Produktion aus den 1960ern und 1970ern im Ohr die Kondraschin-Aufnahmen mit ihrer auch nach der Bearbeitung bleibenden Tendenz zum Schrillen, zur Enge, mit ihren Tiefbass-Defiziten und ihrer (leichten) Neigung zum Übersteuern bei lauten Tutti-Passagen hört, hadert man schon mit den damaligen Technikern und ihrer Ausrüstung. Fokussierungen auf beispielsweise Holzbläser-Solisten kommen vor, fallen mir aber nach längerem Hören nicht negativ auf. Da es sich zum größten Teil um Studio-Aufnahmen handelt, gibt es auch kaum Publikumsgeräusche (außer "Oktober"). Und wenn man sich - das geht bei mir schnell - in die spezifische Klangwelt dieser Aufnahmen eingehört hat, wenn Kondraschin einen in die Komposition hineingezogen hat, dann wird die Akustik rasch zweitrangig.

    Zumindest für mich ist die suggestive Kraft Kondraschins einzigartig. Er gestaltet für mein Empfinden jede dieser Symphonien mit einem Höchstmaß an Intensität. Wesentlich hierfür ist wohl, dass er innerhalb der Vorgaben des Notentextes sein Orchester immer an die Grenze führt. In jeder Symphonie. In jedem Satz. Es kann unter diesen Umständen anstrengend werden, gerade die langen Werke durchzuhören, denn 50, 60 Minuten Dauerfeuer nehmen mit. Mir sagt dieser Stil ausgesprochen zu, zumal die Zuspitzungen auf mich nie übertrieben, sondern geradezu notwendig wirken. Ähnlich intensive Schostakowitsch-Hörerfahrungen kenne ich nur bei Jewgeni Mrawinski und bei Gennadi Roschdestwenski, allenfalls in Einzelfällen bei anderen Dirigenten.

    Seit der Großtat Bernard Haitinks in den 1970er und 1980er Jahren werden die Symphonien Schostakowitschs auch im Westen immer häufiger eingespielt. Besonders günstig und dabei sowohl gut klingend wie auch gespielt ist aus meiner Sicht die Gesamtaufnahme mit Mariss Jansons am Pult verschiedener Orchester. Exzellent aufgenommen, herausragend gespielt und in den meisten Fällen auch mit einem individuellen, auf ganz andere Weise packenden Zugang interpretiert sind die Einspielungen mit Dmitri Kitajenko und dem Gürzenich-Orchester. Trotz insofern nicht nur klanglich, sondern auch interpretatorisch starker Konkurrenz werden Kondraschins existentielle Deutungen bei mir einen Sonderstatus behalten.

    Kurz zu den einzelnen CDs, die übrigens innerhalb der für meinen Geschmack extrem schön gestalteten Box in Pappkartönchen mit überaus ansprechenden Titelbildern mit Grafiken russischer Künstler aus den 1920er Jahren stecken und jeweils die Werk- und Satzangaben mit Spielzeiten und die Aufnahme- und Aufbereitungsdaten enthalten, wobei man im Beiheft die Texte der vokalen Sätze leider vergeblich sucht.

    CD 1: Symphonien 1 - 3: Der Nr. 1 verleiht Kondraschin bereits eine Autorität und Reife, die weit über Darstellungen hinausgeht, die eher den virtuosen Jugendwerkcharakter des akademischen Erstlings hervorheben. Eine klanglich weit bessere, ebenfalls interessante Alternativsicht finde ich bei Kurt Sanderling.
    Die beiden experimentellen einsätzigen Symphonien Nr. 2 und 3, deren Schlusschöre mit dem kommunistischen Inhalt merkwürdig disparat zum avantgardistischen Charakter der übrigen Musik wirken, nimmt Kondraschin rasch, eindringlich und spürt den mitunter rasch wechselnden Stimmungen teils drastisch nach. Haitinks Aufnahme der beiden Chorsymphonien habe ich als extrem klangvoll und durchaus auch überzeugend, aber nicht ganz so intensiv in Erinnerung. Barschais Fassung in der Gesamtaufnahme bietet eine deutlich bessere, voluminösere Tonqualität und ist aus meiner Sicht eine durchaus lohnende Alternative, auch wenn Barschai alles weniger scharf zeichnet. Sehr lohnend ist bei diesen beiden Symphonien Järvis Einspielung mit dem Göteborger Symphonie-Orchester.

    CD 2: Symphonie Nr. 4. Kondraschin besorgte die Jahrzehnte verspätete Uraufführung des im Rahmen der Formalismuskrise von Schostakowitsch zunächst zurückgezogenen Werks. Diese später aufgezeichnete Studioeinspielung ist eines der - vielen - Ereignisse, die einen in der Box erwarten. Unerbittliche Klarheit und Schärfe vom ersten schrillen Akkord an, forcierte Tempi, zumal im ersten Satz, wildeste Entschlossenheit. Schön klingende neuere Aufnahmen des bei Schostakowitsch verdienstvollen Bernard Haitink, aber auch die Rudolf Barschais verblassen für mich neben dieser fokussierten, intensiven Sicht. Eine auch einigermaßen gut klingende Einspielung mit Roschdestwenski aus England (BBC Legends) wäre bislang meine einzige Alternative.
    Die Symphonische Dichtung Oktober Op. 131 klingt erst einmal parteipolitisch inspiriert und ist von der Avantgarde einer 14. oder 15. Symphonie oder der späten Kammermusik weit entfernt, nimmt aber mit ihrer anfänglich fast an Rachmaninow gemahnenden Düsterkeit doch für sich ein. Oktober ist live aufgenommen und leidet entsprechend ein wenig an Publikumsgeräuschen.

    CD 3: Symphonien Nr. 5 und 6: Selten habe ich eine derart eindringliche Fünfte gehört, im Kopfsatz eher rasch, aber dennoch mit genügend Raum für schmerzhafte Steigerungen, ein geradezu überwältigendes Largo mit einer berückenden Fülle an Klangfarben und dynamischen Qualitäten, die einen offenen Mundes verharren und staunen lassen, und ein Finale mit einer extremen Stretta zu Beginn und einem hohlen Abschlussjubel, der einem wirklich selten so im Hals stecken bleibt wie unter Kondraschins Regie. Hier gibt es eine ganze Menge hervorragender Konkurrenz. Ewgeni Mrawinski spielte das Werk kurz nach der Uraufführung zum ersten Mal und in der Folge immer wieder und immer maßstabsetzend ein. Genannt sei außerdem auch diesmal Kurt Sanderling, aus meiner Sicht bei dieser Symphonie durchaus auch Rudolf Barschai, deren Einspielungen noch dazu gut klingen, insbesondere aber Dimitri Mitropoulos in seiner New Yorker Aufnahme (günstig in der Membran-Schostakowitsch-Box). Ein guter Wassili Petrenko und selbst Leopold Stokowski (Stereoaufnahme von 1960 aus Philadelphia bei Pristine) fallen für mich im Vergleich jedoch beispielsweise deutlich ab, wenn man Kondraschins Extremsicht erlebt hat. Als überzeugende Deutung mit hervorragendem Klang bietet sich aus meiner Sicht auch die jüngere Aufnahme Juri Temirkanows mit den St. Petersburger Philharmonikern an, die mit einer gleichfalls hervorragend gespielten Sechsten kompiliert ist.
    Auch die Nr. 6 ist meines Erachtens insgesamt extrem gelungen. Allein das gefühlt doppelt so schnelle Tempo des einleitenden Largos im Vergleich zum gewohnten (und auch partiturtreuen) Metrum anderer Aufnahmen überzeugt mich nicht ganz, wenngleich Kondraschin auch hier mit irrsinniger Dynamik die großartigen Steigerungen des Satzes extrem aufschlussreich zur Wirkung bringt, ihnen lediglich - meine ich - etwas mehr Zeit hätte lassen können. Die beiden raschen Sätze, die dann folgen, kenne ich nicht in einmal in der meines Erachtens im Gesamtbild gelungensten Darstellung dieser Symphonie durch Jewgeni Mrawinski live 1972 so verschärft und klar in der Spiegelung von Bosheit, Wahnsinn und aufgesetzter Heiterkeit. Sie geraten unter Kondraschin zu Grimassen, zu Teufelstänzen. Beeindruckend. Neben der besagten Mrawinski-Aufnahme halte ich noch die Sanderling-Einspielung für im Gesamtbild besonders gelungen, dies bei ausgezeichneten Klangeigenschaften. Mit Haitinks Interpretation habe ich seinerzeit das Werk kennen und lieben gelernt. Klanglich phantastisch ist sie mir inzwischen zu wenig eindringlich. Boults wahrscheinlich einzige Schostakowitsch-Aufnahme in ausgezeichneter Aufnahmequalität von Ende der 1950er bietet ein wunderbares Largo, während die beiden anderen Sätze abfallen, Petrenko und Bernstein in seiner Wiener Aufnahme bieten für mich keine ernsthaften Alternativen.

    CD 4: Symphonie Nr. 7: Der durchgezogene Faden in diesem siebzigminütigen Riesenwerk ist es, der mich neben der - ich muss mich wiederholen - unnachgiebigen Eindringlichkeit der Darstellung am meisten beeindruckt. In der ungeheuerlichen Klimax des Kopfsatzes wünscht man sich natürlich die heutigen oder bessere damalige technisch-akustische Voraussetzungen, aber dennoch kann man sich dem nicht entziehen. Allein das berühmte gewollt platte Marschmotiv, das Bartok in seinem Orchesterkonzert karikierte, hat so viel Impetus, dass die Bedrohlichkeit hinter der simplen Fassade zwanglos offenbar wird. Jedoch wird dieses intensive Niveau erfreulicher Weise auch in den folgenden Sätzen gehalten einschließlich eines wunderbar flüssigen und doch raumgreifenden Klagegesangs im Adagio und einer grandiosen Steigerung im Finale. Neben dieser Leningrader Symphonie hat es bei mir selbst die historisch bedeutsame und gleichfalls ein Grenzerlebnis bietende amerikanische Rundfunk-Erstaufführung unter Arturo Toscanini schwer. Barschai mit dem WDR-Symphonieorchester und Mariss Jansons mit den Leningradern Philharmonikern, auch Haitink mit dem London Philharmonic sind meines Erachtens hier durchaus hörenswert und klanglich opulent. Eine klanglich fabelhafte und gestalterisch auf ihre Art gleichfalls höchst intensive, in den Tempi viel breitere Interpretation kann man in der späten Chicagoer Aufnahme Leonard Bernsteins für die DGG genießen. Neeme Järvi spielte das Werk mit dem Scottish National Orchestra hingegen überwältigend stürmisch ein.

    CD 5: Symphonie Nr. 8. Unglaubliche atmosphärische Dichte im einleitenden Adagio, beängstigende Steigerungen in der Klimax dieses Satzes, hysterische Fanfaren im zweiten Satz, ein wahrlich beeindruckendes Bratschenostinato und wuchtige, unerbittliche Hiebe im dritten, fahle, düstere Lakonie im Largo, doppelbödiger Friede im finalen Allegretto. Auch diese Einspielung hat für mich Ereignischarakter und hat das Zeug, einen als Hörer fassungslos staunend noch lange nach Verklingen der letzten Takte verharren zu lassen. Meine persönliche, gleichfalls mit höchster Energie und Intensität die Wechselbäder dieses Werkes auslotende Lieblingsinterpretation ist die späte Mrawinski-Aufnahme, die es inzwischen korrekt kalibriert z. B. bei Alto gibt. Auch Sanderling bietet hier wieder eine vielleicht etwas weniger explosive, aber durchaus starke Sicht mit exzellentem Klang. Wassili Petrenko finde ich in diesem Fall ebenfalls sehr hörenswert mit diesmal viel jugendlichem Drive, auch Barschai finde ich persönlich bei der Achten beachtlich, auch wenn weder er noch Petrenko aus meiner Sicht das geradezu existentialistische Niveau Kondraschins oder Mrawinskis erreichen.
    Zur auf dieser CD kompilierten Kantate "Die Sonne scheint auf unser Mutterland" Op. 90 habe ich interpretatorisch keine Meinung, das Stück selbst spricht mich spontan nicht an.

    CD 6: Symphonien Nr. 9 und Nr. 10: Kennen Sie eine wirklich befriedigende Aufnahme der Nr. 9, die aufbauend auf orchestraler Präzision und Virtuosität die bitterbösen Untiefen dieses Werks auslotet? Ich kannte bislang keine, weder die alte noch gar die neue Bernstein-Version noch Haitink, Petrenko oder Barschai. Hier nun ist sie. Kondraschin verdeutlicht auch hier, zieht Grimassen, marschiert derb und grell durch die Partitur. Unvergleichlich.
    Die Nr. 10 gibt es hingegen vielfach hervorragend eingespielt. Kondraschin liegt auch bei diesem Werk bei mir im vordersten Spitzenfeld, überzeugt von der düsteren Atmosphäre des Moderato mit einer phänomenalen Klimax über das Fegefeuer des Scherzos - manche Rezensenten stören hier die "kleinlich" ernst genommenen Schweller in den Streichern, ich finde sie zumal bei diesem halsbrecherischen Tempo nicht nur virtuos, sondern auch passend und die Atmosphäre verdichtend - bis zu den grellen Marschpassagen im dritten Satz und der hier durchaus erkennbar in Frage gestellten DSCH-Erlösungsfanfare. Das ist eine bei aller Kalkulation durch und durch überspringend emotionale Interpretation. Ich kann mich ihr nicht entziehen. Mehr oder weniger gleichwertig spannend und unerbittlich finde ich die ursprünglich bei Erato erschienene 1976er Aufnahme von Mrawinski, etwas westlich-distanzierter, aber auch hervorragend dicht interpretiert und auch exzellent aufgenommen die frühere Einspielung von Karajan und bei klanglich schweren Abstrichen Mitropoulos' New Yorker Aufnahme. Barschai und Petrenko, auch die jüngere Karajan-Fassung, erst recht Shipway und Rattle fallen für mich mehr oder minder ab. Sanderling bietet wieder einmal eine eigene, weniger rigorose, aber ernsthafte und überzeugende Sicht an.

    CD 7: Symphonie Nr. 11: Eine weitere Extremaufnahme, die dynamisch, expressiv und in den schnellen Passagen im Tempo Grenzen ausreizt, aber beispielsweise zu Beginn des ersten, bedrohlich-düsteren Adagio auch binnendynamisch eine ungeheure atmosphärische Spannung vermittelt, eines von vielen Musterbeispielen dafür, dass bei weitem nicht nur die lärmenden Momente von Kondraschin überaus geschickt umgesetzt werden. Die beeindruckenden Klangeffekte dieses in seiner vergleichsweise eingängigen Melodik etwas aus dem Rahmen des Symphonien-Kanons von Schostakowitsch fallenden monumentalen Werks schreien eigentlich nach einer anderen technischen Umsetzung. Diese bekommt man bei DePreist, der allerdings im Vergleich zu Kondraschin fast verhalten wirkt, oder auch bei Haitink, dessen Nr. 11 ich schon immer beachtlich fand, sicher nicht zuletzt wegen des famosen DECCA-Sounds, aber auch bei sehr eindringlicher, plakativer Umsetzung zumal des Sturmgeläuts. Barschais Aufnahme ist hier ebenfalls eine hörenswerteste neue Einspielung. Besonders gelungen ist die neue, langsame, aber unheimlich dichte Aufnahme von Rostropowitsch mit dem LSO, die insbesondere im Mehrkanalformat auch klanglich in allen Belangen überzeugt.

    CD 8: Symphonie Nr. 12: Mit dieser Symphonie habe (nicht nur) ich meine Probleme. Ich erkenne nichts Doppeldeutiges, außer, das gesamte Werk wäre als Karikatur angelegt. Auch Kondraschin kann mich hier bei aller Forciertheit keines Besseren belehren, was auch für die äußerlich auch beeindruckende Mrawinski-Einspielung gilt. Petrenko und Barschai bieten hier bei doch deutlich besserer Klangqualität ähnlichen Erkenntnisgewinn.
    Das symphonische Gedicht Op. 119, "Die Hinrichtung des Stepan Rasin", ein Stück für groß besetztes Orchester, Bass (Vitali Gromadski) und Chor nach Texten von Jewgeni Jewtuschenko, spricht mich spontan an, man erkennt sofort die Züge des Spätwerks des Komponisten. Die Interpretation wirkt auch hier zugespitzt, kontrastreich und sehr energisch.

    CD 9: Symphonie Nr. 13: Arthur Eisen, der 2008 verstorbene Bass-Solist dieser Aufnahme, hatte Charisma und fügte sich damit hervorragend in die auch hier von intensivem Ausdruckswillen geprägte Interpretation dieser Orchesterlieder auf Texte von Jewgeni Jewtuschenko ein. Zumal im ersten Satz, der Anklage des Massakers bei Babi Jar und seiner Verleugnung durch die Sowjetregierung, bauen der Dirigent der Uraufführung Kondraschin, sein Orchester, der Männerchor der Russischen Staatskapelle und Arthur Eisen eine ungeheure suggestive Spannung auf, die wieder einmal Sogwirkung hat und auch von Barschai und seinem Ensemble in seiner wieder spannenden Alternativsicht nicht erreicht wird. Äußerst spannende Alternativen bietet bei dieser Symphonie meines Erachtens Juri Temirkanow in einer alten sowjetischen Live-Aufnahme (in der Temirkanow-Box von Brilliant) und in seiner glänzend aufgenommenen Einspielung mit den St. Petersburger Philharmonikern für die RCA.

    CD 10: Symphonie Nr. 14: Meine bisherige "Referenz"-Aufnahme war die Einspielung Bernard Haitinks mit Júlia Várady und Dietrich Fischer-Dieskau, die auch die Besonderheit einer polyglotten Textverwendung bei diesen Orchesterliedern über den Tod aus der Feder internationaler Dichter bietet. Kondraschins Sicht löst diese Referenz nun bei mir ab. Die Orchesterführung überzeugt mich in ihrer Unerbittlichkeit, an den gegebenen Stellen mit ihrer Rasanz, mit ihrer Suggestivität mehr, und Jewgeni Nesterenko hat eine wahrlich ungeheure Ausstrahlung, die die dann im Vergleich doch distinguiertere Präsenz Fischer-Dieskaus zumindest bei dieser Musik in den Schatten stellt. Der Unterschied zwischen Júlia Várady und Jewgenia Tselowalnik fällt weniger stark aus, bei ungefähr gleicher Stärke der Sängerinnen besticht dann aber - nehmen wir als Beispiel den zweiten Satz "Malaguena" - die einfach noch viel eindringlichere, direktere, anspringende instrumentale Leistung und lässt meine alte Referenz fast etwas farblos erscheinen. Auch Rudolf Barschai, immerhin der Uraufführungsdirigent dieser Symphonie, kann für meinen Geschmack in seiner Kölner Aufnahme nicht an Kondraschin heranreichen.

    CD 11: Symphonie Nr. 15: Der Zugang zu diesem eigentümlichen, mit Zitaten gespickten biografischen Werk ist nicht leicht. Jedoch überwältigt mich auch hier Kirill Kondraschin, vor allem im zweiten Satz, diesem undurchschaubaren Adagio mit seiner schmerzverzerrten Steigerung so fern aller oberflächlichen Heiterkeit, die sich anfangs mit lichtem Schlagwerk und Rossini-Zitat anzudeuten scheint. Sanderling kommt bei mir ähnlich gut an. Auch Eugene Ormandys amerikanische Ersteinspielung von 1972 fesselt in ihrer Intensität, Differenziertheit und Klangregie bei auch außerordentlich guter klangtechnischer Umsetzung.
    Hier folgt dann noch die vielleicht lohnendste Dreingabe, eine Aufnahme des Zweiten Violinkonzerts mit den Protagonisten der Uraufführung des Werkes, David Oistrach und Kirill Kondraschin. Diese Aufnahme gibt es auch in vielen anderen Ausgaben, sie ist ein unangefochtener Klassiker und sollte in keiner Schostakowitsch-Sammlung fehlen.

    Sie sehen, Kondraschins Aufnahme hat mich gefangen genommen. Ich kann mir bei aller Subjektivität meiner Einschätzung - vor allem auch hinsichtlich meiner persönlichen Vergleichskandidaten - kaum vorstellen, dass ein symphonisches Schostakowitsch-Bild ohne diese Aufnahmen vollständig ist. Eine Box für die Ewigkeit, für die Insel oder wo man sonst so Schostakowitsch hört.
    Meine Produktempfehlungen
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