Loreley - die Frau und der Wahnsinn
Eine geniale Neueinspielung einer Bruch-Oper mit Stefan Blunier lädt zum Nachdenken ein
Die neueste Opern-Produktion von CPO mit Sängern wie Michaela Kaune und Thomas Mohr verlangt ein paar Vorkenntnisse, von denen man unbedingt wissen sollte, wenn man diese Oper überhaupt nutzen will.
Tatsächlich: wer glaubt, Max Bruch habe mit seiner "Loreley" op. 16, ein Jugendwerk, einfach ein "Bekenntniswerk" seiner eigenen Lebenseinstellung geschaffen, irrt sich. Er hat Äußerungen hinterlassen, die dieses Werk in ein besonderes Licht stellen (er hielt die Loreley für eine "krankhafte Wahnsinnige"). Leider wird dies niergendwo im CPO-Booklet erwähnt. Der Musikfreund sollte es aber wissen. Man findet diese Erklärungen Max Bruchs zu seiner Oper in Hans Pfitzners Buch "Meine Beziehungen zu Max Bruch" (Pfitzner zitiert dort seinen Briefwechsel mit Max Bruch) und es lohnt sich für den Musikfreund und den Wissenschaftler, das kennen zu lernen.
Seinerzeit hatte sich der Komponist Hans Pfitzner massiv für diverse Opern der deutschen Romantik eingesetzt und dafür gesorgt, dass vieles davon sich als Tradition verankert hatte. Berühmt ist sein mutiger Einsatz für Robert Schumann, den er durch mutige Reanimationskonzerte aus der damaligen Vergessenheit führte und zusammen mit dem ihm angefreundeten Gustav Mahler eine Schumann-Renaissance auslöste, die bis heute nicht mehr endete.
Die Loreley gehörte damals zu den Werken, die Pfitzner damals (als Einziger) auch ans Licht förderte, wobei Pfitzner dieses Werk allerdings relativ kritisch sah. Bekannt sind seine Worte über Bruchs Ansicht:
(Ein moderner Komponist widerspricht dem Altmeister Bruch)
"Wenn man liest, was Bruch über seine "gesunden" Griechinnen, wie Penelope, Nausikaa usw. (Andromache) schreibt, ...... Nein, da entscheide ich mich tausendmal eher für die deutsche "Loreley", dieses echte Geschöpf der deutschen Romantik."
Eigentlich will Pfitzner damit sagen: er entscheidet sich lieber für ein krankes Herz, das er retten will, als für einen stolzen Zynismus. Denn es geht in dieser Oper darum, dass eine Frau aus Trauer über einen Verrat ihr Menschentum fortwirft und sich der Magie ergibt. Sie opfert buchstäblich ihr Herz, wie Geibel es dichtet. Pfitzner befasste sich etliche Male mit eigenen Opern zu diesem Thema, im "Armen Heinrich" wird eine Jungfrau vor der Opferung ihres Herzens gerettet, in "Das Herz" gibt ein schuldiger Mann seiner geopferten Frau ihrr Herz zurück. Ähnliches findet man auch in einer Oper des mit Pfitzner befreundeten schweizer Komponistenn Walter Courvoisier wieder, "Lanzelot und Elaine" (die dem "Heinrich" und dem "Herz" sehr ähnelt). Pfitzner hielt also wohl die Loreley für einen wichtigen Markstein, allerdings widersprach er Max Bruch in mehreren Punkten vehemnt in seiner Auffassung über die Loreley-Figur, denn Bruch hielt die Loreley für eine ausgemachte Lügnerin und Dämonin, während Pfitzner ihr ein trauerndes verletztes Menschentum nachsagt und geradezu Mitleid für sie erregt. Ich lese mir oft und gerne Pfitzners Texte durch und nicht ohne Grund gehörte auch Albert Schweizer (der Armen-Doktor von Afrika) zu seinen Fans. Pfitzner sagte folgendes über die Loreley-Gestalt:
Loreley kann gerettet werden
(S. 88) "Ich will es hier ganz deutlich aussprechen: Ich bin ganz anderer Meinung und halte alles, was Bruch in dieser Richtung sagt, für falsch. ... (S.90) Wenn ich die Gestalt der Loreley gegenüber Bruch verteidige, so komme ich mir vor wie der Graf Dunois in Schillers "Jungfrau von Orleans", der die hohe Sendung der Jungfrau verteidigt gegenüber ihren eigenen Vater, der auf der Seite der Gegner ist ... (S.92) ...Lenore ist in ihrem Liebesgefühl tödlich gekrankt. sie hat ihr Herz ... sehr an einen einzigen Menschen gehängt Nun will sie es nicht mehr an einen einzigen Menschen hängen, sie hat den Glauben an die ganze Menschheit verloren. "Mein Herz versteine, wie dieser Felsen" singt sie in derselben Szene, in der sie ihr Herz auf ewig an den Rhein verschenkt. ... (Pfitzner sagt, dass sie ihr Herz nicht verloren hat, sie will nun nur nicht mehr leiden, um sich nicht zu verzehren und will fühllos gegen Betrüger werden S.93) ... Ist ein Mensch nun so geworden, so ist es ... geradezu wahrscheinlich..., dass er hie und da der alten Zeit gedenkt und in sein Menschentum zurückfällt, also entweder vor seiner eigenen Dämonie erschrickt ("weh, welch ein Dämon spricht aus mir") oder wehmütig seines alten Zustandes gedenkt, ja diesen wieder herbeisehnt. ... (S.94) Wo steht hier mit einem Wort, dass die Geister ihr zugleich das vollständige Vergessen ihres Menschen- und Mädchentums abfordern...? ...wenn Lenore ihre ganze Rache auskosten will, so kann sie es doch nur, wenn sie sich des ganzen Schmerzes, den sie erlitten und der ganzen Schmach, die ihr angetan, kurz ihres ganzen bisherigen Zustandes bewußt ist. Sie lügt also nicht, wenn sie ... sagt: "Meine schwarze Kunst, das ist mein Schmerz, mein Zauber ein gebrochenes Herz und einer, einer weiß warum:" (vielleicht auch nicht) ... (ihr wird natürlich im "Wirrwarr" immer noch ihr Menschsein bewußt, wenn z.B. der Pfalzgraf sie erinnert) "Weh, was weckst Du vergrabenen Laut, O könnt ich zurück, oh könnt ich zurück" ... (S.95-97:) ... Hier reut sie der furchtbare Pakt mit den Geistern - ... ja man könnte sich vorstellen, dass dieses Gefühl der Sehnsucht nach ihrem alten Menschentum so stark wäre, daß es erfüllt würde, wie es in unzähligen Märchen und Sagen der Fall ist, daß ein verlorener Zustand wiedererlangt wird, was durchaus nicht außer dem Bereich der menschlichen Möglichkeit liegt. ... "Ich hab mein Herz verloren ... Mein Herz ist schwer, Meine Brust ist leer, Ich kenne nicht Lächeln, Nicht Weinen mehr" - Was sie also verschenkt hat und wonach sie sich zurücksehnt, ... ist ihr Liebesgefühl. ... danach sehnt sie sich zurück. Sie ist also keine "Wahnsinnige", sondern eine durchaus glaubhafte Figur." Usw.!!!!!!
Pfitzner zitiert Max Bruch vor seinen Äußerungen. Bruch wie folgt:
Loreley hoffnungslos wahnsinnig
"Nachdem sie von den Geistern mit dämonischen Kräften ausgerüstet worden ist, wirkt sie auch nur mit dämonischen Kräften und durch diese - und das weiß sie auch ganz gut; sie lügt also, wenn sie in der Gerichtsscene sagt: "meine schwarze Kunst, das ist mein Schmerz, mein Zauber ist mein gebrochenes Herz" und man weiß nicht, ist das ehrlich gemeint oder raffinierte Berechnung?! Auf sie passen eigentlich nur die Worte des Hans Heiling "Ein unglückselig Doppelwesen, zu ew`gem Zwiespalt auserlesen". Es ist die alte Geschichte - sobald das Übersinnliche ins Spiel kommt, hört alle Vernunft und Logik auf; und man kann dem Publikum doch kaum zumuten, allen Irrgängen eines solchen "unglückseligen Doppelwesens" zu folgen! Das Lange und Breite von der Sache ist, daß wir es vom Finale des I. Aktes an eigentlich mit einer Wahnsinnigen zu thun haben, die in der II. Hälfte der Oper einige lichte Momente hat; und in einem der dieser lichten Momente erlebt sie den Rückfall in ihr Menschentum, der zwar musikalisch sehr schön wirkt, im Uebrigen aber immer (auch schon vor 50 Jahren) große Bedenken erregt hat. ... Hier haben wir es also im Ganzen mit krankhafter Romantik zu thun - und Sie werden es vielleicht nicht ganz unbegreiflich finden, daß ein Mensch wie ich, der seine Seele so oft in der gesunden Luft des classischen Alterums gebadet hat, für edle reine und gesunde Frauengestalten, wie Nausikaa, Penelope und Andromache jetzt mehr Sinn hat als für ein krankhaftes Fantasiegebilde wie diese Geibel`sche, völlig verzeichntete Loreley! - "
Ich merke an: Penelope erwartet Odysseus, Nausikaa rettet fürt Penelope Odysseus, den sie erschöpft am Strand vor Ithaka findet und rettet, Andromache opfert ihre Ehe mit ihrem verstorbenen Ehemann für die Rettung ihres Sohnes, indem sie ungewollt einen verhassten anderen heiratet. Frauen die verzichten und für die Ehe anderer leben. Loreley ist hier für Bruch auf einem Ehe-Abstellgleis.
Ein wahrer Orfeus
Ich habe oft erfolgreich versucht, den wahren Retter-Geist des Orfeus nachzuspüren. Ich finde, was Hans Pfitzner in seiner Sicht auf Bruchs Loreley-Figur äußerte, ist darin wegweisend und er hat es so auch in seinen eigenen Opern getan, Der arme Heinrich, Die Rose von Liebesgarten, das Christelflein, Palestrina und Das Herz, Das dunkle Reich. Viele seiner Freunde folgtem ihm darin und Jahrzehnte lang bemühte ich mich darauf hin zu weisen, dass er damit ohne Zweifel in der Tradition der klassischen Humanisten der Musik eines Gustav Mahler (mit dem er wohl heimlich befreundet gewesen sei dürfte), Beethoven, Viktor Ullmann, Pavel Haas, Schumann, Gluck, Anton Rubinstein, Weber usw. gestanden haben musste.
Der wahre Orfeus schreckt vor Widrigkeiten nicht zurück und rettet seine Euridice noch im tiefsten Wahnsinn, und man kann es wohl mit einem Zitat der Leonore und Rocco aus Beethovens Fidelio nehmen (Albert Schweizer gäbe mir sicher Recht), wenn sie zu dem "Staatsgefangenen hinabsteigen wollen:
Rocco
"Hab immer Mut;
Dann wirds Dir auch gelingen.
Das Herz wird hart
Duch Gegenwart
Bei fürchterlichen Dingen.
Leonore
Ich habe Mut!
Mit kalten Blut
Will ich hinab mich wagen.
Für hohen Lohn
Kann Liebe schon
Auch hohe Leiden tragen"
(Aufzug I, Nr. 5 Terzett)
(ein text von fm; 2018 - 31.002 Dank an O.T.)