"Seid umschlungen, ihr millionen Bräute" Unternehmen Zwangsheirat - eine interessante Rarität aus der Frühromantik
Lachner schrieb eine absolut verträgliche Musik der Frühromantik zu einem politisch schwierigen Thema
ANDERS ALS BEFÜRCHTET
Also alle Achtung -
Ein Werk, das angeblich eine Zwangsverheiratung beschönigen soll, den Täter euphemisch zum tragischen Helden macht und die Sache der weiblichen Versklavung irgendwie mit einer hörig trauernden Witwe besiegelt? Nein, das ist es nicht! Nach all den Gerüchten, die der Oper vorrausgingen, ist das Werk doch anders ausgefallen, als ich dachte. Jedenfalls ist der Stoff der Handlung nicht so anti-emanzipatorisch, wie man befürchten könnte.
HANDLUNG
Es geht darum, dass die adlige Catarina ihren geliebten Marco liebt und gegen ihren Willen mit einem anderen, einen jungen König verheiratet werden soll, der seinerseits so töricht ist, diese Macht über diese wehrlose junge Frau als seine "Chance" anzusehen; - und verliebterweise dies nun echt für sich ausnutzen will und diese zur Liebe überzeugen will, obohl er von ihrer Verlobung mit einem anderen Untertanen weiß. In der Geschichte bleibt Catarina jedoch ihrem Verlobten treu, und nur um ihn zu retten, spielt sie bei der Heirat mit. Nach einigem Eifersuchts-Leid verzeiht dieser ihr geheimes Opfer für ihn und verzichtet platonisch auf sie, um auch sie zu schützen, wobei dann aber (endlich?) der König stirbt und Catarina sein Erbe treuhänderisch anzutreten hat und wie in einem Witwen-Kloster ihm posthum dienen muß.
SEID UMSCHLUNGEN IHR MILLIONEN BRÄUTE - DENN ICH BIN DER KÖNIG
Gut, für Fans von Figaros Hochzeit wie mich ist das nicht ideal, und durchaus ist das Sujet der Oper gelegentlich "tückisch". Zunächst befürchtet man nämlich beim Durchlesen des Booklets, es ginge echt darum, einen adligen Ausbeuter rein zu waschen, aber das Ganze entwickelt sich dann so, dass dieser König sich zunächst in einer Rolle als naiv wohlwollender "Nutznießer" eines politischen Unrechts gefällt, um am Ende aber sein Unrecht zu erkennen und es Catarina gegenüber zu bereuen.
Durchaus stellt sich einem die Frage, ob es ganz geschickt ist, den Repräsentanten der Versklavung als gutmütiges Opfer hinzustellen, dessen Verhalten berechtigt erscheint, weil er durch Intrigen soweit gebracht worden wäre und weil es solch ein Liebes-Opfer verlangen dürfe, weil er der Retter des Verlobten der Catarina ist (und damit ihr Liebes-Schicksal in der Hand hat) - und nun verlangen könne, dass sie ihm im Prinzip wie millionen andere Bräute einfach jederzeit zur Verfügung stehen müsste.
Und ob es recht ist, dass Catarina ihn nachträglich als Witwe weiter zu dienen hat, obwohl das ganze System, das sie so weit brachte, total marode ist.
Ist denn das System der Zwangsverheiratung nicht Teil einer weltanschaulichen Gesamtpolitik und nicht nur die Tat eines Einzelnen? Solche Dinge geschehen nicht, weil ein gutmütiger Kerl so etwas evtl. verlangen konnte, weil er ein herrschender Retter ist und deswegen Ansprüche stellen dürfe ("Dein Leben gehört nun mir"), weil der Untertan nichts kann und der Fürst alles usw.. Sondern sie geschehen aus einem systematischen Kalkül organisierter Unterdrückung.
Besser wäre also ein Stoff gewesen, worin z.B. die Untertanen etwas mehr leisten, mit einem Marco, der seinerseits auch ein Retter ist und womit nun 1:1 zwei gleichwertige Kontrahenten sich gegenüberstehen und der mit dem besseren Ur-Recht dabei wenigstens moralisch gewinnt. Und eine Catarina, die ihrerseits mehr Adel besitzt, als ihre unterwürfige Rolle gestattet und erhlich gesagt absurd gemacht hätte usw.. Das hätte die Oper im Sinne der Aufklärung und der historischen Tatsachen noch interessanter gemacht. Waren Herrscher oft nur intelligente Popanze und Untertanen fleißge Leistungsbringer, die ausgebeutet wurden?
Hier liegt das Problem: wer einmal religiöse politische Systeme totaler durchtriebener Unterdrückung und Unterschlagung bishin zur Zwangsverheiratung und sexuellen Versklavung erlebt hat, geht an Sujets der "verklärenden Art" feudaler Herrschaft etwas kaltlächelnd vorrüber. Aber ich erkenne an: Man hat einen diplomatischeren Weg mit "Gnade" und "Entschuldigung" des Einzelnen beschritten. Akzepatabel!
DIE MUSIK
Lachner wählt hier nicht die Gesamtkritik an einem Totalunrecht, sondern sieht die Akteure als Opfer von Einzelnen. Das ist eigentlich legal! Man darf von einem Werk von 1839 nun nicht einen Fortschritt wie Parsifal erwarten, das konnte man vom Wagner der Feen und des Liebesverbot zu der Zeit auch nicht. Die Oper hat etliche reizvolle Szenen, hübsche Hochzeits-Chöre, ein zunächst gutmütiges Pärchen, einen zuversichtlichen Marco, der einmal als Gondoliere singt, nette instrumentale Stimmungen, und starke Szenen, wenn es um das Leid des Paares geht, vor allem Catarinas permanenter ungebrochener Widerstand gegen den liebesblinden selbstherrlichen König und Marcos Eifersuchtsleiden, Verzweiflung und Ergebung. Der überhöhende Gnadenchor für den reuigen König ganz am Ende ist ebenfalls sinnig. Lachner arbeitet mit hintersinnigen Anspielungenn und Zitaten und wendet zweifellos psychologosierende Motive zur Charakterisierung an. (Etwa in dem Moment, wenn der König zu Catarina sagt "sei mir umschlungen, Schönste der Bräute" S. 65 Scene 4 Akt 2, Track 1 CD 2: dort ahnt man einen Anklang an Beethovens Neunte Sinfonie "Seid umschlungen, Millionen")
Alles in allem sinnvoll, wenngleich nicht so düster dramatisch, wie etwa Webers Freischütz Jahre vorher (Dazu hätte der Stoff aber durchaus Anlass geben könen).
Die Interpretation ist solide und sicher, aber man setzt hier nun nicht das übermäßige Pathos ein, dass man durchaus theoretisch denkbar anwenden könnte, um ein Werk der Frühromantik aufzupeppen, wie es z.B. Matacic, Furtwängler, Kleiber und Keilberth mit dem Freischütz taten.
Man kann diese Oper evtl. in der Nähe von Marschner, Lortzing, Hoffmann, Weber, Ries(?) sehen und auch als eine Vorstufe (als Venedig-Zwangs-Ehe-Drama!) zu Schillings "Mona Lisa" sehen, ebenfalls seinerzeit von CPO in einer hübschen Einspielung veröffentlicht. Oder zu Zandonais "Francesca da Rimini". Vielleicht aber ist sie ein Vorgebiet zu Felix Draesekes interessanten Opern (Gudrun, Merlin).
Also eine nützliche Ergänzung zu CPO-Veröffentlichen der frühromantischen Opern.