Hans Pfitzner: Orchesterwerke Vol.1 auf CD
Orchesterwerke Vol.1
Herkömmliche CD, die mit allen CD-Playern und Computerlaufwerken, aber auch mit den meisten SACD- oder Multiplayern abspielbar ist.
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Violinkonzert op. 34; Duo f. Violine, Cello & Orchester op. 43; Scherzo f. Orchester (1887)
- Künstler:
- Saschko Gawriloff, Julius Berger, Bamberger Symphoniker, Werner Andreas Albert
- Label:
- CPO
- Aufnahmejahr ca.:
- 89/90
- UPC/EAN:
- 0761203907922
- Erscheinungstermin:
- 21.10.2006
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Mit der Person Hans Pfitzners liegt der
seltene musikhistorische Fall eines Komponisten
vor, der zu seinen Lebzeiten weniger
als Tonsetzer denn als polemisierender
Essayist einen Namen sich machte.
Und über Hans Pfitzner zu schreiben
heißt deswegen immer auch in die Gefahr
sich begeben, einem der vielen Vorurteile
über Hans Pfitzner aufzusitzen:
dass er beispielsweise ein Epigone sei,
dass er (der selbst gegen die 'musikalische
Impotenz, wetterte) ein ebenso
kraftloser Traditionalist wie ein kraftloser
Avantgardist sei, dass er sein politisches
Fähnchen nach dem jeweiligen Winde
gehängt habe, dass er sich gar von Alma
Mahler bespötteln lassen musste: "Irgendwo
ist er beschränkt". Nichts von alledem, und von alledem auch wieder ein
bisschen. Wahr ist, dass Hans Pfitzner sich
in keiner stilistischen Schublade ablegen
lässt. Wahr ist auch, dass man ihn nicht mit
einem griffigen ästhetischen Paradigma
einfangen kann. Und eben durch die Vergeblichkeit
eines wie auch immer gearteten
Kategorisierungs-Versuchs wird die
Versuchung genährt, Hans Pfitzner ad
personam zu diskutieren, sozusagen an
seiner Musik vorbei und unter Berufung
auf das, was er gesagt und geschrieben
hat.
Mit der vorliegenden Einspielung könnte
ein Stück Versachlichung voran getrieben
werden im Disput um Hans Pfitzner, den
konservativen Nonkonformisten; denn
mit dem SCHERZO von 1888 und mit
dem DUO op. 43 von 1937 überblicken
wir fast 50 Jahre Hans Pfitzner-Entwicklung,
wobei ernsthaft zu f ragen sein wird,
ob eine Entwicklung im Sinne des Begriffs
stattgefunden habe. 19 Jahre ist er
jung, als er - noch Student am Hoch'schen
Konservatorium in Frankfurt - das SCHERZO für
Orchester komponiert; der 68-jährige
ist Reichskultursenator, als er 13
Jahre nach dem VIOLINKONZERT
op. 34 das DUO für Violine und Violoncello
mit Orchester komponiert. Jahre des
Anbruchs? Jahre der Reife? Wir werden
sehen. Das SCHERZO für Orchester legt
Zeugnis ab davon, dass der Schüler von
James Kwast und lwan Knorr die kompositorischen
Handschriften seiner tonsetzenden
Vorfahren peinlich genau studiert
haben musste. Es handelt sich - im Tonsatz-
Jargon - gesprochen um eine "saubere
Arbeit"; es handelt sich um ein
durch und durch traditionelles Scherzo
im normativen Sinne dieses Genres, weit
traditioneller noch als etwa die individuellen
Anverwandlungen des Scherzo-
Typs bei Chopin. Das Thema des B-Teils
ist eine Bewegung, ist schierer Tanz-Gestus:
leichtfüßig dahineilende Fünfton-
Skalen auf- und abwärts, vom Streicherchor
unisono gespielt und vom
Bläserchor mit einem pendelnden Sekund-
Motiv beantwortet. Aus diesem lapidaren
motivischen Material ist der gesamte
A-Teil gebaut, wobei auffallend ist,
dass der Student Hans Pfitzner die Streicher-
und die Bläserregister fein säuberlich
getrennt aufmarschieren lässt; das
macht den gesamten Tonsatz transparent
und das orchestrale Klangbild abwechslungsreich,
Mischfarben werden
vermieden, ein groß besetztes Orchester
hat kammermusikalische Leichtgängigkeit.
8 Takte nach Buchstabe D intoniert
das Solo-Horn ein abwärtsgerichtetes
Quarten-Thema; wenn man so will: als
eine sangliche Qualität inmitten permanent
federnder Bewegung. Dieses Thema,
im A-Teil nur eine Episode, steht im
Trio ("Viel ruhiger") im Mittelpunkt, wohingegen
das aus dem A-Teil bekannte
pendelnde Sekundmotiv nun als bloße
Begleitfigur an den Rand rückt. Allgemein
gesagt: Scherzo und Trio verhalten sich
komplementär; dominiert im Scherzo die
flüssige Bewegung, so dominiert im Trio
die sangliche Linie, und zwar einfach dadurch,
dass diese beiden thematisch-motivischen
Qualitäten vertauscht werden.
So entsteht zwischen den beiden Formteilen
A und B eine enge innere Beziehung;
strukturell ist B die Variante von A.
Der jugendliche Hans Pfitzner weiß, wie
man's macht, wenn er andererseits
auch noch sehr konventionell verfährt,
beispielsweise im Harmonieplan (A=c-
Moll/ B=G-Dur) und beispielsweise mit
einer fugierten Schreibweise, die noch
stark nach scholastischer Gelehrsamkeit
riecht (14 Takte nach E). Nochmals:
eine "saubere Arbeit" und zugleich - wie
gesagt - eine perfekte Handschriften-Kopie,
in diesem Fall die Kopie der Handschrift
Mendelssohns, der in fast jedem
Takt um die Ecke schaut. Sommernachtstraum-
Spuk. Mendelssohn-Brillanz.
Scherzo-Leichtigkeit des frühen 19. Jahrhunderts.
Und wenn man die Ohren
spitzt, so hört man gar (T. 6 / 7 nach L) den
sommernächtlichen Esel schreien. Eine
Schülerarbeit? Eine Schülerarbeit. Allerdings
eine mit festem Guß und mit Gespür
für klangliche Delikatesse. Der spätere
Pfitzner steht in Umrissen schon da,
vor allem in der Selbstverständlichkeit, mit
der die unterschiedlichen Charaktere von
Scherzo und Trio aus ein und demselben
motivisch-thematischen Grundeinfall gebaut
werden. Die Kunst der variierenden
Ableitung: der Student Hans Pfitzner hat
davon bereits hier eine vage Vorstellung.
Er sollte sie später zu einem streitbaren
Konzept ausbauen. und zwar unter dem
Stichwort der "musikalischen Inspiration",
der "Musikals Einfall". Heftig legte
er sich zum Beispiel mit Paul Bekker an,
der die Ansicht vertrat, Beethovens Leistung
liege nicht so sehr in der Erfindung
von Themen, sondern in der Gestaltung
komplexer Formen. Pfitzner contra Bekker
oder: der Metaphysiker contra den
künstlerischen Rationalismus. Pfitzner,
ein glühender Anhänger Schopenhauers,
verwirft den kognitiven Schaffensprozeß;
für ihn gilt nur die rational nicht
fassbare Schaffens-Gnade:
Da aber erst, wo in der Unmeßbarkeit
dessen, was einen so entzückt, der Genuss
des Genießens sowohl, als der des
Produzierens besteht, da, wo der eigentliche
Verstand nicht kontrolliert, ja, wo
beim Entstehenlassen das Bewusstsein
nicht im Spiel ist: da erst fängt etwas an,
Kunst im höheren Sinne zu sein. Das
Charakteristische an genialen Kunstleistungen
ist, dass einem das fertig Vorliegende
ebenso selbstverständlich vorkommt,
als es unbegreiflich bleibt, wie es
entstehen konnte.
Bei Schopenhauer, in "Die Welt als Wille
und Vorstellung", hatte Pfitzner gelesen:
Die Erfindung der Melodie, die Aufdeckung
aller tiefsten Geheimnisse des
menschlichen Wollens und Empfindens
in ihr, ist das Werk des Genius, dessen
Wirken hier augenscheinlicher, als irgendwo,
fern von aller Reflexion und bewusster
Absichtlichkeit liegt und eine Inspiration
heißen könnte. Der Begriff ist
hier, wie überall in der Kunst, unfruchtbar:
der Komponist offenbart das innerste
Wesen der Welt und spricht die tiefste
Weisheit aus, in einer Sprache, die seine
Vernunft nicht versteht; wie eine magnetische
Somnambule Aufschlüsse gibt
über Dinge, von denen sie wachend keinen
Begriff hat.
Es fällt schwer, dies sowohl Hans Pfitzner
als auch Arthur Schopenhauer so recht
zu glauben. Das DUO für Violine und Orchester
op. 43 (1937) ist eher ein Exempel
für gediegene Gestaltung als eines
für genialische Erfindung. Stilistisch
trägt es alle Kennzeichen spätromantischer
Expression, angefangen von der
rhapsodischen bzw. kantablen Themen-
Gestik bis hin zu einer durch und durch
chromatischen Harmonik, welche freilich
stets in tonalen Grenzen bleibt. Es handelt
sich um ein dreisätziges kleines Konzertstück,
deren Sätze - von Generalpausen
unterbrochen - ineinanderfließen.
Für den ersten Satz entwirft Pfitzner ein
vorhaltbeiontes, vorwärtsdrängendes
dunkles Thema, dessen klagender Ton
den Anfang des Satzes bestimmt. Ein
zweites Thema (ab Ziffer 9) hat einen kurzen
Auftritt: eine pochende, sich aufwärts
schwingende Dreiklangsfigur. Sodann
ein drittes Thema: rhythmisch dem ersten
ähnlich, mit pendelndem singendem
Fluss. Pfitzner gelangt gegen Ende zwar
zu einer verkürzten Reprise, dennoch
entsteht keine dialogisch-diskursive
Form, sondern eher eine Folge von Episoden,
in denen sich jeweils neue thematische
Gedanken unter die bereits bekannten
mischen. So bilden sich weiche
Übergänge und stete Gedankenflüsse,
keinesfalls aber schroffe Gegensätze
oder dialektische Spannungen. Ähnlich
der musikalische Grundeinfall des langsamen
Satzes; auch hier begegnen wir
einem schlichten Liedmaterial, während
im dritten Satz, den man von fern für ein
flüssiges, ein bisschen nach Weihnachten
duftendes Siciliano halten könnte, sich
noch einmal der rhapsodische Duktus
des ersten Satzes behauptet. Prüft man
das thematische Material gründlicher, so
hat es weder die prosaische Unendlichkeit
der Wagner'schen Melodie, noch hat
es das rhythmische Raffinement Schumann'scher
Themenbildung. Es ist auf
einem handwerklich hohen Niveau gebildet,
zuweilen nach=gebildet. Der Eindruck
handwerklicher Solidität verstärkt
sich im Blick auf das Satzbild: Pfitzner
zeigt sich einerseits als ein Meister der
imitierenden Fortspinnung, andererseits
als Meister der überblendenden Übergänge.
Das atmet in der Tat wenig
Inspiration, eher die von Brahms übernommene
Verfahrensweise einer permanentem
Durchführung. Eine Vermutung,
die sich mehr und mehr dadurch
bestätigt, dass jegliches thematisch-motivisches
Material voneinander abgeleitet
ist, sei's durch motivische Vorbereitung,
sei's durch variierende Ableitung.
Und nicht einmal das Verhältnis von Sologeige
bzw. Solocello zum Orchester
wäre revolutionär zu nennen: das Orchester
bescheidet sich, bis auf wenige
Momente, in der Rolle eines Begleiters,
man sollte sagen: in der Rolle einer
klang- und stimmungsbildenden Kulisse,
vor der sich das imitierende Spiel
der Themen entwickelt; ein Spiel, das
mehr als einmal bestimmt ist vom
kontrapunktischen Verhältnis der Themen
zu- und untereinander. lnsofern
trägt dieses Konzertstück, aller romantischen
Rhetorik zum Trotz, die Attitüde
von Gelehrsamkeit, zuweilen von Akademismus
bar jenes jugendlichen
Schwunges, den das SCHERZO noch
beflügelt hatte. Der 68-jährige Hans Pfitzner
schreibt gekonnt, satztechnisch elegant,
harmonisch subtil; indessen hat
man durchaus die Gewissheit, dass hier -
im Gegensatz zu Pfitzners pathetischer
Inspirations-Rede - der "eigentliche Verstand"
in einem hohen Maße 'kontrolliert"
ist. Das mag wohl im Sinne einer
Altersreife sein, nicht aber im Sinne der
Schopenhauer'schen Somnambulen,
die von den Dingen 'wachend keinen
Begriff hat". Und so entsteht der Eindruck,
als habe Pfitzner, indem er ständig
die Kraft des Einfalls beschwor, mit eben
diesem Einfall seine Probleme dergestalt,
dass er auf der Ebene von Kunstfertigkeit
zu kompensieren versuchte, was
ihm auf der Ebene von unbewusster Genialität
im erhofften Maße nicht zu Gebote
stand. Denn wer von dieser unbewussten,
dem kontrollierenden Verstand entzogenen Genialität permanent, wie
Pfitzner, redet, der befindet sich in der
misslichen Situation, dass er diese Unschuld
bereits verloren hat, noch bevor
er sie besaß. Das DUO für Violine und
Klavier nebst kleinem Orchester ist ein
klingendes Dokument für diesen unversöhnlichen
Widerspruch in der Person
Pfitzners insofern, als gerade das Wohlgeformte,
das Glatte und das satztechnisch
Gelungene als das Ergebnis rationaler
Anstrengung Pfitzners Ideal besonders
gründlich verfehlt. Als ein solches
Dokument hat es dann seinen Rang eigener
Art.
lm KONZERT für Violine h-Moll mit Orchester
op. 34 tritt uns allerdings ein
gänzlich anderer Hans Pfitzner entgegen,
und der Rang dieses Konzerts geht
weit über den eines persönlichen Dokuments
hinaus. Das Werk ist einsätzig, ist
dennoch in verkappter Viersätzigkeit gestaltet.
In Stil, Formfügung, Soloinstrument-
und Orchesterbehandlung sowie
in der gesamten thematischen Dramaturgie
ist Pfitzner in der Tat eine inspirative
Glanzleistung gelungen, die wirklich genialische
Züge trägt und dieses Konzert
(zu Unrecht in den Schatten geraten) zu
einem der interessantesten seiner Gattung
macht. Pfitzner zeigt sich hier als ein
eminent konzentrierter und ökonomischer
Dramatiker. Das Konzert ist ein Solokonzert
im traditionellen Sinne und gibt
der Geige, was der Geige ist. Andererseits trägt es unverkennbar
die krisenhaften symphonischen Entwicklungszüge
in der Nachfolge von
Mahler und in der Nachbarschaft zu Prokofieff.
Die Einsätzigkeit hat Gründe, die
in der integralen thematischen Arbeit
Pfitzners liegen:
Der Kopfsatz exponiert ein pathetisch
punktiertes Thema, dessen unmittelbare
Fortspinnung den emotional bewegten
Gestus dieses ersten Gedankens herstellt;
das Orchester sekundiert mit tremolierender
Erregung. Mit dem zweiten Thema, statt h-Moll nun Des-
Dur, richtet Pfitzner im Sinne einer
klassischromantischen Exposition den
kontrastreichen Widerspruch ein: der
Themengestus ist sanglich, ruhig und mit
einer vokalen Weitschweifigkeit, die den
Tonraum nahezu extrem auskostet. Die
Ruhe indessen ist brüchig, denn das Orchester
erhebt mit rastloser Bewegung
Einspruch. Die Einmündung ins Thema 1
hat Methode: Pfitzner bereitet ein drittes
Thema vor, welches rhythmisch mit Thema
1 und melodisch mit Thema 2 verwandt
ist ;chromatisch
gleiten Sext- und Septimenakkordketten
abwärts in spröden
Bläserregistern. Ein Thema, welches
nach Tschaikowsky klingt und (man gestatte
die persönliche Anmutung) einen
sentimental-lasziven Ton, einen larmoyanten
Ton in der Manier Mahlers anschlägt.
Dieses "Mischthema" nun ist
Grundlage von nachfolgenden sieben
Variationen, in denen Pfitzner ein bewundernswertes
Verarbeitungs- und vor allem
Instrumentations-Raffinement herzeigt.
Var. l gibt den hohen sordinierten
Streichern das Thema, begleitet von dünnen
Bläserakzenten: zierlicher, rokokoähnlicher
Klang a la Prokofieff. Var. ll stellt
sich als virtuose Figuralvariation dar mit
komplexen Doppelgriff-Figuren für die
Solovioline. Var. lll, ebenfalls höchst transparent-sparsam instrumentiert, faltet
das Thema 2-stimmig auseinander
(die Solovioline übernimmt Melodieführung
und Begleitung); Harfe, Glockenspiel
und leichte Bläser-Akzente weben
ein delikates Klangnetz. Von Var. lV bis
Var. Vll schichtet sich das Thema 3 zu
großem Klangvolumen auf, indessen findet
in der Var. Vll bereits sein Abgesang
statt, soll heißen: die motivische Vorbereitung
des nachfolgenden langsamen
Satzes. Die Nahtstelle ist die Solokadenz,
welche Pfitzner nicht missbraucht
zur virtuosen Selbstdarstellung des Solisten,
sondern sie zur - wie Alban Berg es
genannt hätte - "Verwandlungsmusik"
gestaltet: aus der Kombination von 1.
und 3. Thema schält sich das 2. Thema
heraus, und mit eben diesem Thema bestreitet
Pfitzner dann die ldylle des langsamen
Satzes.
Er beginnt mit kammermusikalischer Dezenz,
weitet sich sukzessive zu einem
groß dimensionierten Spannungsbogen
und klingt in vollkommener Beruhigung
aus. Der rhythmische Duktus ist der des
stetigen Vorwärtsschreitens, der symphonische
Duktus ist der des gelösten,
intimen Dialogs. Selten ist Pfitzner ein
Satz von dieser ehrlichen Schönheit gelungen,
sozusagen das "Adagio-Schöne"
in expressiver Vollendung. Den dritten
Satz ein Scherzo zu nennen, wäre
übertrieben. Pfitzner betrachtet ihn ebenfalls
als eine Art Verwandlungsmusik, erinnert
deutlich an das Thema 1 (= Thema
3) und findet sehr rasch zum 4. Thema,
also zum Thema des Finalsatzes. Dieses Thema klingt
populär, es verleiht dem Satz den Charakter
einer launigen, zuweilen gestelzt-zopfig
klingenden Gavotte; ein Eindruck,
der sich verstärkt durch die Handhabung
des Orchesters, welches häufig nach
gezupfter Gitarre klingt. Der sprichwörtliche
Pfitzner'sche Humor blitzt mehr als
einmal durchs gut gelaunte Klangbild;
gelegentliche Dialoge der Solovioline mit
der Solotrompete klingen einfach komisch,
und auch eine hier auffällige
Mischtonalität, welche das Rondo-Thema
Sozusagen "schief" stellt, atmet
Freude am turbulenten Spiel. Gegen
Schluss taucht noch so etwas wie eine
Reprise auf , indessen hat man es hier nur
zu tun mit einem ,,Zeitraffer,,-Einfall, der
sämtliche Themen noch einmal kurz erinnert,
gewissermaßen als Rückschau
auf die bis hierher durchschrittene gedankliche
Wegstrecke.
Das Bestechende dieses Konzerts liegt
in der thematischen Einfallskraft, die sich
bei Licht besehen als thematische Wandlungs-
und Verwandlungsfähigkeit herausstellt.
Es liegt weiter im solistischen
Anspruch der Geige, die in guter Balance
einmal virtuos exponiert, zum anderen
dialogisch integriert wird. Auch liegt es in
Pfitzners ausgewogenem Gespür für
kammermusikalische Durchhörbarkeit
und vor allem in seinem hier vollendeten
instrumentatorischen Raffinement (immer
wieder ist dieses Konzert auch eines
für Holz- und Blechbläser). Sodann im
formalen Gestaltungsinstinkt, der den
neuen musikalischen Gedanken ebenso
subtil einführt, wie er den vergangenen
musikalischen Gedanken behutsam wieder
aufgreift. Häufig klingen Stellen nach
Mahler, Prokofieff oder Tschaikowsky
aber sie sind dennoch keine stilistischen
Anleihen, sondern haben ihre eigene
Herkunft in dieser Pfitzner-spezifischen
Schreibweise. So gekonnt brüchig-zerbrechlich
der Klang auch tönt, so weit
entfernt ist das gesamte Konzert von einer
stilistischen Brüchigkeit, die man
dem "Epigonen("und "Eklektiker" Hans
Pfitzner oft vorgeworfen hat. Hier, im Alter
von 55 Jahren, ist er auf der Höhe seiner
Kunst; hier ist er wohl auch seiner Prophetie
vom begnadeten Einfall am nächsten.
Und wenn Wolfgang Rihm vom,,stockenden
Schwung" der Musik Pfitzners
spricht, dann gilt dieser Befund beim Violinkonzert
nicht. lm Gegenteil: sie ist
überaus reich an spielerischer Eleganz,
melodischer Ausdruckskraft und orchestralem
Feinschliff. Es mag daran liegen,
dass Pfitzner, der seine stärksten Momente
als Liederkomponist hatte, im Violinkonzert
ein "singendes Instrument( exponieren
und begleiten wollte. Die solistische
Exposition der Geige meint stets eine
führende Rolle (und Pfitzner schenkt
ihr, in puncto technischer Anforderung,
rein gar nichts), aber stets ist auch die
Geige auf jenen feinen, behutsamen
Klang bezogen, den das Orchester produziert.
Daß das Violinkonzert op. 34
obendrein eine Fülle von ungeniert
"schönen Stellen" hat, sollte ihm vermutlich
im Konzertsaal einen nobleren Platz
sichern. Verglichen mit dem rauhbeinigen
Charme beispielsweise des Brahms-
Konzertes hat das Pfitzner-Opus eine
beinahe mediterrane Unbeschwertheit
und straft - wenn auch nur für dieses Mal
- das Clich6e vom düster brütenden Hans
Pfitzner Lügen. Außerdem weckt es eine
sympathische Erinnerung: an den 19-
jährigen Studenten, der mit dem SCHERZO
in c-Moll (s. o.) seine spirituelle Verwandtschaft
mit einem Felix Mendelssohn
kund tat. An den leichten, begabten
Hans Pfitzner also.
Rezensionen
H.K.Jungheinrich in "Frankfurter Rundschau" v.27.4.91:"Die ausgedehnte Schauspielmusik zu Ibsens "Fest auf Solhaug" und vor allem das Orchesterscherzo von 1888 stehen für die feu- ge Genialität und die frappierende frühe Meisterschaft des noch ganz jungen Pfitzner ein...Zu den besten Pfitznerwerken überhaupt gehört das Violinkonzert von 1924,das formal voll eigenwilliger Vertracktheiten steckt und an dramatischer Energie und lyrischer Beredt- heit seinesgleichen sucht.Den wenigen Kon- kurrenzaufnahmen ist die souveräne Darstellung durch Saschko Gawriloff mühelos überlegen. Atemberaubend der vielfache Wechsel zwischen nachtwandlerischen Kantilenen und heikler Passagenarbeit.Das Violinkonzert erscheint gleichsam als formvollendetes,individuiertes Tondrama wie als bestürzendes Dokument psy- chischer Zerrissenheit."-
Tracklisting
-
Details
-
Mitwirkende
Disk 1 von 1 (CD)
Konzert für Violine und Orchester h-moll op. 34
-
1 1. Lebhaft, energisch
-
2 2. Langsam, sehr getragen
-
3 3. Das Zeitmaß des Anfangs, etwas gemächlicher, freier
Duo für Violine, Violoncello und Orchester op. 43
-
4 1. Allegro moderato
-
5 2. Moderato
-
6 3. Rondo - Ganze Takte
-
7 Scherzo (für Orchester)