Philipp Maintz: Orchesterwerke Vol.1 auf CD
Orchesterwerke Vol.1
Herkömmliche CD, die mit allen CD-Playern und Computerlaufwerken, aber auch mit den meisten SACD- oder Multiplayern abspielbar ist.
(soweit verfügbar beim Lieferanten)
Hängende Gärten für Orchester; Triptico Vertical für Sopran & Orchester
- Künstler:
- Marisol Montalvo, Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Münchner Philharmoniker, Christoph Eschenbach
- Label:
- Neos
- Aufnahmejahr ca.:
- 2014/2017
- Artikelnummer:
- 8625362
- UPC/EAN:
- 4260063117121
- Erscheinungstermin:
- 10.8.2018
Fäden und Hängende Gärten
Bekanntlich gehören sowohl »Hedera helix« als auch die »Campsis tagliabuana«, die »Hydrangea petiolaris« und auch der »Euonymus fortunei« zur Gattung der Kletter- und Schlingpflanzen. Pflanzen, die keine stützenden Strukturen ausbilden und die – das verbindet sie miteinander – an verschiedensten Achsen entlang wachsen können, sich dabei winden und Fäden ziehen. Jene Pflanzen scheinen nur ein Ziel zu verfolgen: immer weiter, immer wilder. Sie schrauben sich mal links-, mal rechtsherum – und manchmal kehren sie sogar um und wachsen gewissermaßen zu sich zurück.
Dieser zunächst vielleicht merkwürdig anmutende Ausflug in die Botanik ist kein Zufall: »Es bilden sich richtige Schlingpflanzen…« schreibt Philipp Maintz bezüglich der formalen Disposition seines 2017 in der Berliner Philharmonie durch das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin unter der Leitung von Christoph Eschenbach, der auch der Widmungsträger des Werkes ist, uraufgeführten Orchesterwerkes hängende gärten und deutet somit ein vortreffliches Assoziationsfeld an, das einen sogleich fesselt und die Fantasie anregt.
Nicht nur die Tempi und formalen Dispositionen sind ineinander verschlungen und lassen den Hörer einen stets in unterschiedliche Richtungen wuchernden Formplan ahnen, auch das unmittelbare klangliche Ereignis hat durch seine zahlreichen, häufig winzig verästelten Linienführungen etwas von pflanzlichen Wucherungen. Allerdings wuchern, um im Bild zu bleiben, hier kein weitgehend einfarbiges Gestrüpp, sondern stets bunte, prachtvolle und wilde Gewächse – nicht von ungefähr spielt der Titel auf eines der sieben antiken Weltwunder an: die sagenumwobenen und von zahlreichen antiken Dichtern besungenen hängenden Gärten der legendären assyrischen Königin Semiramis. »Genau dieses Bild«, so der Komponist, »passte für mich am besten zum Gedanken dieses Orchesterstückes: einerseits als eine Anlage, in der man Pflanzen setzen, begärtnern, pflegen und wachsen sehen kann (ja, eigentlich ›Musik aus Musik‹ schreiben) – andererseits aber auch ein ›Sehnsuchtsgarten‹, in dem es schön blühen, aber auch wuchern soll.« Maintz hat in vorangegangen Werken häufig mit derlei formalen und motivischen Wucherungen sowie zarten Linien gearbeitet, die gelegentlich und nur für kurze Zeit in den polyphonen Geflechten aufscheinen, bevor sie sich schon wieder in eine andere musikalische Gestalt verwandelt haben.
In Hängende Gärten arbeitet Maintz ebenso versessen, ja fast besessen an Details: Paradigmatisch herausgegriffen sei die Harfenstimme der ersten beiden Takte. Maintz notiert hier sieben Töne, die sich bei näherer Betrachtung als jeweils unterschiedliche Färbung lediglich einer Tonhöhe (f1) in vier unterschiedlichen Varianten (als Oktavflageoletts oder als chromatische Verwechslung) entpuppen. Hinzu kommt, dass jede Tonhöhenvariante auch eine Entsprechung in der Gestaltung der Dynamik hat – und so auf kürzestem Raum die zarte Pflanze »f« von unterschiedlichsten Seiten gehegt und gepflegt wird. Doch aus manch zarter Linie kann auch eine gewaltige Kraft hervorgehen, wenn sich etwa aus einem fast beiläufigen Bassklarinettensolo einige Töne abspalten, sich ins Tutti des großbesetzten Orchesters verlagern und es zu unvorhersehbaren und stark rhythmisch geprägten, fast gefräßigen Passagen kommt. Jene hängenden Gärten sind ganz offenbar nicht nur zart und bunt, in ihnen lauert stets die Gefahr: Auch der giftige »Schmerzwurz« ist eine Schlingpflanze, und jener treibt selbst in den schönsten Gärten sein struppiges Unwesen.
Die drei der Sängerin Marisol Montalvo und dem Dirigenten Christoph Eschenbach gewidmeten Orchesterlieder des tríptico vertical basieren auf dem Quinto tríptico vertical des argentinischen Dichters Roberto Juarroz (1925–1995), dessen Werk in Europa gegenwärtig noch verhältnismäßig wenig rezipiert wird. Maintz berichtet, dass der Pianist und Liedspezialist Axel Bauni ihn auf Juarroz aufmerksam gemacht hatte: »Wenn Gedichte gleich bei der ersten Begegnung etwas in mir zum Klingen bringen, sind die Voraussetzungen ideal.«
Die fast rücksichtslose Hinwendung zur gleichermaßen lyrischen wie expressiven melodischen Linie erscheint in tríptico vertical noch deutlicher als in hängende gärten, da Maintz hier sich ganz und gar auf die Entfaltungsmöglichkeiten der Stimme Marisol Montalvos konzentriert, der das Werk im Wortsinne auf den Leib geschrieben wurde. Das Orchester, häufig äußerst sparsam und kammermusikalisch gehalten, reagiert – fast seismographisch – auf die feinsten inhaltlichen wie sprachlichen Schattierungen des Textes. Auch hier sei exemplarisch der Beginn herausgegriffen.
In Juarroz’ Text heißt es: »No tener más objetivos / que las manos abiertas – Keine weiteren Ziele haben / als die offenen Hände«. Die Stimme beginnt, zunächst in recht tiefer Lage, mit einer ebenso schlichten wie introvertierten melodischen Linie. Die Idee der »offenen Hände« hat sowohl ein klangliches als auch ein strukturelles Echo, denn ganz offen beginnt auch das Werk: Noch hat sich kein festes Tempo oder gar ein Metrum etabliert – die Passage ist beinahe improvisatorisch zu singen – »libero« heißt es in der Partitur. Und auch die Orchesterbegleitung muss erst aus der Offenheit des Nichts entstehen: Neben wenigen, kaum hörbaren Schlagzeugklängen spielen einige Streicher einen tonlosen, nur gehauchten Klang auf dem Steg – die Stimme hat gewissermaßen eine instrumentale Lunge um sich herum, die Luft gibt, aber zugleich auch Luft und Raum lässt und stets gemeinsam mit den Andeutungen des Textes atmet. Und während die Stimme sich immer weiter entfaltet, dauert es im Orchester einige Zeit, bis auch dort endlich klare Tonhöhen hervortreten. Im dritten Lied geht Maintz darüber hinaus und lässt der Stimme einen noch viel weiteren Raum, sich zunächst unbegleitet entfalten zu können. Das Nichts des Orchesters ist hier die zunächst leere Bühne für die Stimme: »Hilos que se desprenden de la ausencia, mínimas fluctuaciones del vacío – Fäden, die sich von der Abwesenheit lösen, kleinste Schwankungen der Leere…«
Fäden und kleinste Schwankungen: Mit solchen Metaphern ließen sich, auch das verdeutlicht die intime Verwandtschaft der beiden auf dieser CD versammelten Werke jenseits der Besetzung oder der großformatigen Anlage, ebenfalls die wilden Wucherungen in hängende gärten beschreiben. Und so wird offenkundig, dass Maintz in tríptico vertical nicht bloß einen Text im traditionellen Sinne vertont, sondern im Umgang mit ihm vielmehr auch Auskunft über grundlegende ästhetische Positionen gibt, die weit über das konkrete Werk hinausreichen: Maintz komponiert Fäden, die stets unter Hochspannung zu stehen scheinen. Dabei ist das Ohr fortwährend auf der Hut, denn wann die Fäden reißen – das bleibt ungewiss.
Gordon Kampe
Disk 1 von 1 (CD)
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1 Hängende Gärten (für großes Orchester) (2016/2017)
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2 Tríptico vertical (Musik nach Gedichten von Roberto Juarroz für Sopran und großes Orchester) (2012/2014)
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