3 von 5
gemi:re
Top 25 Rezensent
02. Dezember 2015
Gesamteindruck:
3,0 von 5
Künstlerische Qualität:
3,0 von 5
Repertoirewert:
3,0 von 5
Levit-Variationen
Die beinahe einhellige Begeisterung, auch seitens der Kultur-PR, über dieses Variationen-Album von Igor Levit vermag ich nunmehr auch nach längerem Hören nicht zu teilen.
Meine Klangvorstellungen der alten Musik Bachs und der klassischen Beethovens, Goldberg und Diabelli, sind doch andere als des Pianisten, der die Klangstile gleichermassen mit seiner klavierästhetisch geschmeidig-homogenen Elle zu ermessen scheint und dabei substantielle Kontraste nivelliert und die diversen Variationen und ihre Ausdrucksextreme mir zu moderat, zu gleichförmig makel- und konturlos darbietet, kurzum: zu schön, um musikalisch wahr zu sein.
Bachs polyphon komplexes Goldberg-Gewebe wie unter einem Klangfilter sfumato-modifiziert und auch Beethovens späte, z.T. witzig-bizarre Diabelli-V. wie unter dem Vorbehalt eines moderat-wohltemperierten Dauerlegatos, klingen für meine Begriffe nach zu viel gutem Feinsinn und zu wenig Sinn für Struktur und Profil dieser Werke.
Auch Rzewskis zeitgenössischen 1975er Revolutions-Variationen, die sich stilistisch drastisch unterscheiden durch die Nähe Nachwebernscher bis zu avancierter Pop-Musik, dynamisch noch ausdrucksstärker zum Exzesshaften, müssten, der Anspruchshaltung aktueller politischer Teilhaberschaft gemäß, kontrastreicher und vehementer artikuliert werden.
Levit bleibt auch hier, trotz seiner verlautbarten grossen Zuneigung zu dieser Musik, durch seine pianistisch trainierte Noblesse die gebotene extreme Entäusserung schuldig, es klingt wie die kultivierte Darstellung virtuos akklamierter Unkultur.
Sein Gestaltungsvermögen scheint insgesamt doch zu wenig differenziert und klanglich eindimensional, um über handwerkliche Perfektion hinaus auch noch substantiell ausdrucksvoll faszinieren zu können und zu bewirken, davon erstaunt oder sogar ergriffen zu sein.
Zunehmend überkam mich von Variation zu Variation die Anmutung, besonders Bach und Beethoven wären auch hier (nur) demonstrable Vehikel von selbstherrlicher pianistischer Potenz, ohne eine wie auch immer wenig erspürte, ignorierte oder eben nur beiläufig vermittelte und kaum vernehmbare, aber werkimmanente Bedeutungsebene, die zwischen den Noten als Überlieferung bzw Tradition von nicht verfassten musikalischen Gesetzen wirkt.
Unlesbar überlieferte, unsichtbare Klanggestalten.
Und so wirkt dieses Album auf mich wie ein über seine Kerben und Kanten von Musikgeschichten neu und veredelt aufpoliertes Klangmöbel.
Bereits beim Debütalbum mit Beethovens letzten Sonaten
empfand ich Levits musikalische Ausdrucksschwäche, seinen Mangel an distinktiver Artikulation, z.B. im Vergleich zum weniger perfekt, jedoch allemal ausdrucksstark und intensiver agierenden Schnabel der 1930er oder dem vergleichbar fabelhaft spielenden jungen Pollini, der in den 1970er Jahren mit eben diesen Sonaten pianistisch und musikalisch schon (s)ein noch heute gültiges Beethoven-Exempel setzte.
Derart prägnanten Gestaltungswillens und -vermögens scheint Levit derzeit doch noch unüberhörbar fern.
Als Pianoman brilliert er technisch superb nuancierend besonders flink im eher verhaltenen Leisen, jedoch habe ich mir schon mehr von sog. 'tönender Gestalt' dieser komplexen Musik vorgestellt.
Und weil Levit bereits schon als Twen sich nur mit solchen Marksteinen der Klavierliteratur promoviert und publiziert, werden ihn auch weniger beifällige Reaktionen auf sein erstrebtes (Werk)Niveau, zumal im Kontext andrer Pianisten und Interpreten heutiger Musikkultur, nicht deklassieren, als ein bemerkenswert guter Pianist und doch nicht ebenso gleichwertiger Musiker.