wichtige Wiederveröffentlichung !
The Westminster Legacy – Orchestral Recording Collection (40 CDs)
Endlich sind auch auf unkompliziertem Wege zu moderatem Preis viele der wunderbaren Schallplattenproduktionen des Labels Westminster (schon länger unter dem Dach von DG) auch bei uns zu beziehen. Diese eher kleine Schallplattenfirma produzierte unter ihrem Musikalischen Direktor Kurt List von 1949 bis 1965 eine Unzahl an Aufnahmen, viele davon bedeutend und die meisten in sehr gutem Klang (auch viele von den monauralen und Kammermusikaufnahmen). Die DG hat nun 40 CDs davon in einer Kollektion veröffentlicht, was wohl weit mehr als 60 der LPs entspricht.
Schöne wertige Aufmachung der Box, Orginalcover, Papierhüllen sind OK (nicht so stabil wie bei den Korea-Boxen), gut lesbare Rückseiten mit den wichtigen Angaben, Labelaufdruck (einer für alle) auf CDs. Durchweg ausgezeichnete Digitaltransfers (im direktvergleich sind die Doubletten in den Korea-Boxen einen Tick besser, das Band-Rauschen bei allen Überspielungen ist minimal), insgesamt ausgezeichnete Fertigung. Textheft mit allen wichtigen Angaben, Text auf Deutsch (11 Seiten) und Englisch, Komponisten / Werk Register mit zugehörigen CD-Nummern vorhanden.
Etwas besser als bei den Korea-Boxen: Am CD-Rücken gibt es in dieser Ausgabe gar keine Beschriftung, dafür aber auf der CD-Rückseite eine große Nummerierung. Das ist sehr hilfreich beim einordnen.
Die zwei großen „Westminster Legacy“-Boxen aus Korea (Orchester 65 CDs, Kammermusik 59 CDs) bieten einige Überschneidungen mit dieser Box, aber haben m.E. die bestmöglichen Transfers und zudem natürlich viele andere Einspielungen (siehe gesonderte Besprechungen).
Die FÜNF STERNE gelten hier den besonderen Aufnahmen, von denen es eine Fülle in dieser Box gibt. Natürlich gibt es - wie in jeder Zusammenstellung dieser Art - auch hier „Ausreißer“ bzw. Einspielungen, die nicht ganz die Höhe der anderen erreichen.
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Scherchens Beethoven-Zyklus – optimal ausgewählt!
Der Name Hermann Scherchen steht für viele Musikenthusiasten für besonders strenge Werktreue. Abgesehen davon, dass das wie viele diffusen Erwartungen eine Teilwahrheit ist, kann ein Dirigent natürlich nicht immer solche Ansprüche erfüllen. Im Fall Beethoven macht sich das „Scherchen-Bild“ durch seine Stereoeinspielung der Eroica von 1958 an den rasanten Tempi nach Beethoven eigenen Metronomisierungen fest.
Die Auswahl der 2ten,4ten und 8ten Sinfonie mit dem Royal Philh. Orch. und der 3ten Sinfonie mit dem Wiener Staatsopernorchester halte ich für ideal. Die 5te mit dem RPO ist nicht so inspiriert - schnell, aber eher stur. Die Mono-Aufnahmen aus Wien sind allesamt eher „hausbacken“ gegenüber der Stereo-Eroica. Einzig die Pastorale finde ich problematisch. Alles andere ist wirklich besonders …
(Anmerkung: Das von mir hier öfters verwendete Wort „konventionell“ ist eine Notlösung, denn im Grunde gab es auch in Deutschland nie eine breite konventionelle Art, Beethoven zu spielen – höchstens verschiedene Strömungen. Hören Sie sich die Fünfte oder Siebte mit Richard Strauss von 1928 (bei Naxos erhältlich) an…)
Die Aufnahmen mit dem Royal Philharmonic Orchestra
Das RPO kann wirklich die von Scherchen geforderten Tempi spielen und scheint es gern zu tun! Herausragend ist u.a., dass die Streicher trotz der rasanten Tempi (z.B. Kopfsatz der Achten) immer noch absolute Klarheit und Tonsubstanz(!) besitzen. Letzteres vermisse ich bei vielen neuen Aufnahmen, die auch den Anspruch an Tempi stellen (Zinman, liegt dort aber u.U. auch an der soften Tontechnik). So bleibt das „männlich zupackende“ (wie soll man es anders ausdrücken?) der Musik erhalten.
Die Aufnahme-Qualität der Mono-Einspielungen ist sehr gut bis ausgezeichnet: Gute Balance, heller Klang, sehr moderater Raumklang, dadurch sehr klar, nicht viel Tiefenstaffelung, nicht sehr luftig, aber dennoch durchsichtig.
In Kürze etwas zu den einzelnen Sinfonien:
Sinfonie Nr. 2 (Royal Philh. Orch.) (mono 1954)
Das frische Musizieren macht Freude, mit einem virtuosen (Streicher!) letzten Satz. Das RPO spielt sehr gut und engagiert für Scherchen. Hörenswert!
Sinfonie Nr. 4 (Royal Philh. Orch.) (mono 1954)
Eine ähnlich erfreuliche Aufnahme wie die zweite Sinfonie. Im langsamen Satz mit wunderbaren Soli und mit virtuosem Pfeffer im Finale.
Sinfonie Nr. 8 (Royal Philh. Orch.) (mono 1954)
Furios und zupackend in den Ecksätzen, hat aber für mich persönlich nicht ganz den nötigen Witz im zweiten und etwas zu wenig Charme im dritten Satz. Alles in allem aber sehr gut.
Die berühmte Stereo Erioca
Sinfonie Nr. 3 (Wiener Staatsopern Orch.) (stereo 1958)
Eine wichtige Aufnahme für das Beethoven-Verständnis im deutschsprachigen Raum der 50ziger und frühen 60ziger Jahre. Über diese Eroica habe ich zur Einzel-CD (Amazon) eine ausführliche Besprechung beschrieben.
Sinfonie Nr. 6 (Wiener Staatopern Orch.) (stereo 1958)
Beethoven schreibt vom „Ausdruck der Empfindung“, also davon, wie der Mensch (aus der Stadt, wo Beethoven ja lebte) das Land erlebt: Die Freude auf das Land
(schon in der Bewegung der Fahrt dorthin), dann die Natur als Kontemplation und Einkehr (Szene am Bach), die Ursprünglichkeit und Lebendigkeit der Bewohner (lustiges Zusammensein – vielleicht durch den fortwährenden Kontakt mit dem „Lebensnerv Natur“), etwas etwas, das den Menschen schicksalhaft bestimmt (Gewitter) und eine wahre Religiosität abseits der Kirche (dankbare Gefühle). Deshalb auch „weniger Malerei“, weil die Pastorale eben ein philosophisch-religiöses Werk ist. Das doppeldeutige Wort „pastoral“ stößt doch direkt darauf hin…
Scherchens Vorstellung von der Pastorale in der späteren Stereo-Aufnahme ist nicht meine …Vielleicht bin ich einfach zu langsam – sein extrem vorandrängender Kopfsatz (mit 72 liegt Scherchen deutlich über den von Beethoven angegebenen 66!) lässt mir keine Raum zum Nachspüren, die Szene am Bach liegt exakt bei Beethovens 50 (hat stellenweise etwas neues Rauschhaftes, aber insgesamt sehr unruhig und nicht „ausgespielt“ genug) und im letzten Satz kommen zumindest bei mir keine „dankbaren Gefühle“ auf (was durchaus an all dem davor liegenden mag). Das kenne ich aber durchaus von Furtwängler und besonders Reiner … allerdings beide mit deutlich(!) breiterem Tempo in den ersten beiden Sätzen … Als IDEE kann ich nur eines erkennen, was das Konzept Scherchens rechtfertigt: Der hektische Stadtmensch, der - auf dem Lande angekommen - Schritt für Schritt zur Ruhe kommt. Aber das ist für mich so nicht wirklich hörbar umgesetzt.
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Andere Aufnahmen mit Hermann Scherchen
Glière Sinfonie Nr. 3 „Mourometz“
Wer die Verstümmlungen dieses großartigen Werks durch Stokowski, Ormandy oder anderen nicht leiden mag (beide haben dennoch großartige Aufnahmen des „geschrumpften“ Werks gemacht), der hat auf Tonträger keine große Auswahl. Zwei Aufnahmen stehen m.E. da ganz oben an: in Stereo Faberman mit dem Royal Philh. Orch und die phantastisch gut klingende Mono-Aufnahme mit Scherchen und dem Wiener Staatsopern Orchester von 1952. Scherchen hat unbedingt an diese nachromantische Sinfonie geglaubt – und der Hörer tut es mit ihm. Es gibt keinen Leerlauf, keine toten Stellen – alles ist von Empfindung und Vision erfüllt und das Orchester wächst über sich selbst hinaus. Es gibt da Stellen, da glaubt man nicht das nicht unbedingt erstklassige Wiener Staatsopern Orchester. Die Aufnahme ist ein wahrer Hexenkessel – und das liegt an der ausgezeichneten Aufnahmetechnik.
Beethoven Wellingtons Sieg oder die Schacht bei Vittoria op. 91
Scherchen wieder mal als extremer Individualist: Die mitgeschnittene Probe macht bestürzend klar, wie ernst Scherchen dieses Gelegenheitswerk von Beethoven nimmt. Er lässt ihm genauso viel Aufmerksamkeit und Genauigkeit angedeihen, wie wenn es eine Sinfonie Beethovens wäre. Interessant ist auch, welche Bedeutung er den Stereo-Effekten beimisst…
Mozart Requiem (stereo 1958)
Eine breite und dennoch klanglich schlanke Interpretation, sehr gut aufgenommen – auch was den Chor anbetrifft.
Haydn Sinfonie Nr. 45 und Nr. 100
Ernst und auch witzig – in der Abschiedssinfonie quittieren die Musiker ihren Dienst auch verbal *g*
Bach h-moll Messe (stereo 1959)
Nach wie vor eine der interessantesten und überzeugendsten Einspielung dieses Riesenwerks - trotz der historisch informierten Interpretationen. Die Scherchen-Aufnahme nimmt da schon klanglich manches vorweg. Sehr gut aufgenommen!
Mahler Sinfonie Nr. 1
Eine sehr stimmige ausgewogene späte Mono-Aufnahme – damals absolut Referenz.
Mahler Sinfonie Nr. 2
Auch die Zweite ist überzeugend und eine hervorragende Stereo-Aufnahme. Gut ausgewogen im romantischen Gestus und dennoch mit großer Klarheit. Das Wiener Staatsopern Orchester „at his best“.
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MONTEUX
Beethoven 9te
Eine sehr gelungene Einspielung des „späten“ Monteux. Erstaunlich, welche Kraft, Klarheit und Klangrede (z.B. Ende 3ter Satz) da drin steckt. Sehr gute Stereo-Aufnahme, nicht verhallt, aber auch nicht strohtrocken wie die Bruckner Achte mit „Kna“.
Berlioz Romeo et Juliette (Gesamtaufnahme)
Auch wenn Toscanini und die beiden Munch-Aufnahmen meine Favoriten bleiben werden – diese Einspielung ist gut! Sie hat eine ähnliche Qualität wie Monteux Neunte Beethoven bei Westminster, nur etwas trockener im Klang. Das ist aber akzeptabel, auch weil das LSO klangschön und sauber spielt.
KNAPPERTSBUSCH
Bruckner Sinfonie Nr. 8
Eine der schwächeren Westminster-Platten. Das Bavaria Studio klingt - na scheußlich. Bruckner im Wohnzimmer. Wenns jetzt Norrington wäre… aber „Kna“ setzt auf Breite und Klangweihe – und da konterkariert die Studio-Akustik die Absichten des Dirigenten. Es gibt einen Livemitschnitt von ein paar Tagen zuvor aus dem Herkulessaal – der ist wunderbar: besseres Dirigat, gute den Münchnern entgegenkommende Akustik, gute mono-Aufnahme.
Ist wohl die beste Bruckner Achte die Knappertsbusch gemacht hat.
RODZINSKI
Tschaikowsky Sinfonie Nr. 4
Eine farbige Aufnahme mit (über)präsenten Holzbläsern (sind im mf und f prominenter als die Streicher!). Das freut Kenner des Stücks, die mal hören wollen, was das Holz an den Stellen spielt, an denen man es meist nicht so gut hört – und natürlich Holzbläser *g*. Die Interpretation ist konzentriert und von einer ungewöhnlichen sonst kaum gehörten Leichtigkeit.
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Die Fülle der Aufnahmen lässt nicht zu, dass ich hier alles besprechen kann: Viel Kammermusik u.a.
Jedenfalls ist die Box allemal ihr Geld wert und birgt einige Schätze!