Sternstunde und Anlass zum Nachdenken
Auch Karl Rankls Mahler Vierte ist einfach "nur" die Mahler Vierte ... aber das gilt genauso für alle anderen Dirigenten von Abbado bis Zender. Warum dann einen Konzertmitschnitt von 1954 mit einem heute völlig unbekannten Dirigenten und den Wiener Sinfonikern (nicht Philharmonikern) veröffentlichen und besprechen?
Das hat mehrere Gründe - und das war dann auch schon die Besprechung:
- Der nahe Wien geborene Karl Rankl war zu seinen Lebenzeiten durchaus hoch respektierter Musiker,auch im englischsprachigen Ausland. Er war Dirigent und Komponist, hat bei Schönberg und Webern studiert ud hat zu deser Zeit für (Schönbergs) "Verein für musikalische Privataufführungen" Wunderhornlieder von Mahler und Brucknedrs Siebte für Kammerorchester bearbeitet.
- KEINER der bekannten damaligen oder heutigen sogenannten "Mahler-Dirigenten" von Walter bis Harding hätte die Vierte lebendiger, freier, intelligenter oder stimmiger darbieten können. Punkt. Fantasie, "Mahlersound" (was für ein scheußliches Wort), Verständnis in Aufbau und Balance, jegliche Gefühlsäußerung, Temporelation, der große Bogen. Es ist alles in vollstem Umfang da. Nichts ist gewollt, immer spricht das Werk. Und dazu noch das Besondere einer gelungenen Aufführung ... Dazu mehr beim nächsten Punkt.
- Das Spiel der Wiener Sinfoniker: Die Anzahl der kleineren und manchmal auch deutlicheren Schnitzer, Verzagtheiten oder Unsicherheiten im Kopfsatz ist grade mal so an zwei Händen zu zählen. Ja! - endlich darf der Hörer wieder einmal erleben, dass solch ein Stück immer und überall für jeden Orchesterspieler ein Hochseilakt ist! Danke dafür nachträglich an die Spieler, die an gewissen Stellen nicht "perfekt" waren. Im zweiten Satz wird das Patzen deutlich weniger - mal da die Solo-Fidel, mal am Ende das Horn... Der dritte Satz gelingt den Sinfonikern stellenweise schier magisch ... z.B. ein verklingender Holzbläserakord im ersten Drittel ... der Streicherklang gegen Ende ...
- Der vierte Satz mit der Sopranistin Sena Jurinac. Wer nun sagt "naja - ganz schön ..", der höre sich mal andere Einspielungen oder Konzerte der damaligen oder heutigen Zeit speziell auf diese so heikle Sopranpartie hin an. Die scheinbar naive Natürlichkeit des Gesangs erfordert höchste Meisterschaft und auch das Verständnis der Solistin für die Sinfonie als Ganzes über den vorzutragenden Text hinaus. Diese Fülle an Hürden erklärt vielleicht die erstaunlich häufigen fehlinterpretierten, farblosen oder überdrehten Interpretationen ...
- Das Aufräumen mit dem Märchen, dass bis zur Stereozeit Mahler nur in der Hand von ganz wenigen Dirigenten im Konzertleben überlebt habe. Laut Textheft der 2014 erschienen CD-Ausgabe "The Music of Gustav Mahler - issued 78s, 1903-1940" waren es in dieser Zeit allein mindestens 22, die Mahler OFT aufgeführt haben - allein Furtwängler, der ja nicht gerade als DER Mahler-Dirigent gilt, in 42(!) Aufführungen. Es gab also immer Interesse an Mahler und auch Dirigenten, die sich für ihn eingesetzt haben. Karl Rankl scheint dazu gehört zu haben ...
- Der Mitschnitt klingt einfach hervorragend: farbig, störungsfrei, so gut wie rauschfrei, gut aufgenommen (ideale Balance, man hört definitv alles!). Ein guter Teil der Aufnahmen der letzten Jahre klingt nicht so schön ansprechend - und ganz besonders nicht so durchsichtig. Die Quelle ist eine private Quelle (wie bitte? hat dieser Mensch das Originalband von Rot-Weiss-Rot, dem Vorgänger des ORF, zuhause???). Ich habe schon sehr lange nicht mehr einen so gutklingenden Rundfunkmitschnitt aus den 50zigern gehört.
Also ist diese CD auch die würdige Ehrung eines wirklich großen Dirigenten - auf jedem Fall am Abend dieses 23. Januar 1954 im Goldenen Musikvereinssaal in Wien ...