4 von 5
gemi:re
Top 25 Rezensent
08. April 2017
Gesamteindruck:
4,0 von 5
Künstlerische Qualität:
4,0 von 5
Repertoirewert:
3,0 von 5
Levits Beethoven im Schatten grosser Interpreten
Wer sich in Interviews etwas arg gewitzt und so nett überheblich gibt und als grosses Debut seiner Pianistik die letzten Sonaten Beethovens vorlegt, zumal exklusiv bei Sony, der muss sich, nicht eben unbescheiden in der PR, auch allerersten Vergleichen stellen, ebenso von dilettantischen Klaviermusik-Kennern, auch wenn dies im einzelnen weniger fachlich korrekt und mehr nach persönlich passioniertem Gusto geschieht.
Ich erinnere noch den jungen Pogorelich in der ausverkauften Berliner Philharmonie, dessen Auftrittsgehabe mehr faszinierte als (sein) op.111 tönte.
Jede Zeit hat ihre (jungen) Pianisten, und der Mittzwanziger Levit ist heute einer von den Playern, die pianistisch makellos trainiert z.B. einem Schnabel, quasi Paradigma der 32er Beethovens, zwar pianistisch-manuell vergleichbar oder überlegen sind, weniger jedoch an Souveränität, distinktivem Ausdruck und überhaupt an Potential von (musikalischer) Kultur.
Und dies nicht nur altersbedingt, erfahrungshalber. Dabei kommt man weiter im Urteil über einen neuen 'Star' der Pianistenszene in hörend vergleichender Annäherung zu auch altersmässig adäquaten zeitlosen 'Zeitgenossen'.
Ein Pollini hat sich als nichtmal Zwanziger in Warschau unter einem Rubinstein promoviert und damals heute noch gültige Aufnahmen gemacht und erst nach langer Klausur dreissigjährig seine erste Beethoven-Gestaltung als grossen Wurf gewagt, eingespielt und (bis heute vergleichsweise) gewonnen. Stilistisch wie musikalisch konsistent, manuell souverän und intellektuell an Distinktion unübertroffen.
Und der junge Gulda spielte in den 50er Jahren seinen Beethoven schon so modern durchdacht wie kongenial souverän zwanglos, dass seine zweite Gesamtaufnahme Ende der 60er Jahre wie ein zwar technisch versierteres und auch klanglich, jedoch nicht künstlerisch, erheblich besseres Gesamtbild der Sonaten erscheint.
Ein immer noch wie einst modern-zeitgenössisches Beethoven-Bild beider damals jungen Pianisten.
Dagegen - von den künstlerisch Radikalen wie Schnabel und dem exzentrisch eigensinnigen Gould ganz abgesehen - erscheint Igor Levit doch eher wie ein moderat-moderner Zeitgeist, der allemal pianistisch perfekt Beethovens Architektur gewachsen ist, der in der Formulierung zwar untadelig, jedoch weniger fantasievoll und gestaltenreich zu spielen vermag als so versiert, inspiriert und scheinbar improvisatorisch wie ein Kempff, auch weniger insistierend und durchdacht wie Brendel oder künstlerisch und eben auch klanglich so subtil tiefschürfend wie ein Arrau.
Und wer, ganz a-jour-aktuell, die grosse As-Dur-Sonate (vor allem das Adagio-Arioso-Fuga) in der höchst differenziert ausgehörten und gespielten Darstellung von Piotr Anderszewski mit der von Levit vergleicht, der bemerkt doch wohl den hörbaren Unterschied von pianistisch perfekt-gekonnter zu einer auch musikalisch mehr ausdrucksstark-eigenständigen Gestaltung, die auch im Schatten anderer noch vernehmbar ist und eindrucksvoll bleibt.