5 von 5
HL
28. Dezember 2016
Gesamteindruck:
5,0 von 5
Künstlerische Qualität:
5,0 von 5
Repertoirewert:
5,0 von 5
Referenzeinspielung mit Referenzklang
Wer als Kenner sinfonischer Musik zum ersten Mal die 6. Sinfonie von Kurt Atterberg hört, fragt sich, warum dieses Werk hierzulande ignoriert wird. Ich gehe seit Ende der 1970er Jahre regelmäßig in die Bonner Sinfoniekonzerte, kann mich aber nicht daran erinnern, jemals etwas von Atterberg gehört zu haben. Stilistisch wird Atterberg der Spätromantik zugeordnet. In der 6. Sinfonie sind aber viele morderne Elemente spürbar: die bisweilen an Prokofieff erinnerne Rhythmik, die Freude an dezenten Dissonanzen und vor allem die sagenhafte Orchestrierung. Beim Hören meint man an vielen Stellen den Einfluss bekannter Komponisten zu spüren: sei es Korngold (im ersten Satz der 6. Sinfonie), Elgar (am Schluss des dritten Satzes) oder auch Dvorak (im dritten Satz). Aber es ist eben kein Potpourri verschiedener Einflüsse, sondern Atterberg, der Meister der sinfonischen Verarbeitung von schwedischer Folklore. Dieser kompositorische Ansatz sorgt für eine Vielzahl eingängiger Melodien und für eine rhythmisch-harmonische Abwechslung, die in der Spätromantik ihresgleichen sucht. Für mich ist dieses 1927/28 entstandene Werk eines der billantesten und spannendsten Orchesterwerke überhaupt. Interpretatorisch setzt Neeme Järvi mit den Göteborger Sinfonikern Maßstäbe. Die Tempi sind schneller als bei den Vergleichseinspielungen von Stig Westerberg mit dem Sveriges Radios Symfoniorkester und Ari Rasilainen mit der Radio-Philharmonie Hannover. Dadurch klingt das Werk virtuoser, packender und dramatischer. Komplexe Passagen wirken bei Järvi viel frischer, spielerischer und damit weniger aufgeladen als bei der Konkurrenz, die Göteborger Sinfoniker meistern die technischen Herausforderungen brilliant. Hut ab! Der zweite Satz der 6. Sinfonie wirkt vor allem bei Rasilainen etwas schleppend, während Järvi eine unter die Haut gehende Klangidylle hervorzaubert.
Ein weiterer Höhepunkt der CD ist die 1918 komponierte 4. Sinfonie. Das zwanzigminütige Werk beginnt zwar furios, ist aber weniger dramatisch als die 6. Sinfonie und auch nicht so bunt orchestriert. Gleichwohl ist auch die Vierte unterhaltsam und abwechslungsreich. Auch hier sorgt der Rückgriff auf schwedische Volksweisen für eine Vielzahl toller Melodien und Motive. Die beiden übrigen Werke verblassen neben den beiden Sinfonien. Sie zeigen die lyrische Seite des Komponisten. Da diese Produktion auch klangtechnisch Maßstäbe setzt, ist der üppige Preis gut investiert. Der Kauf dieser CD lohnt sich!