Zwei Seiten einer Medaille
Böhms Kunst der Orchesterleitung ist unbestritten (auch wenn die Musiker ihn teilweise gehasst haben) und sein Verständnis für Bruckner ist tief und umfassend. Er war der erste Dirigent, der schon in den 30igern die Haas-Fassungen der 4ten und 5ten auf Schallplatte eingespielt hat.
Seine Lesart der Achten ist durch und durch dramatisch, sinnlich, kraftvoll, vielseitig - keine Spur von der in späten Jahren im eigenen Betulichkeit oder trägen Tempi. Aber diese Achte ist auch ein wenig zu „sicher“, weniger suchend, sehnsüchtig, erschauernd oder visionär ...
Bruckner das Werk zwar im absoluten Rausch und Zuversicht in sein kompositorisches Können geschrieben, aber es ging ihm nur einmal um das dezidierte Zeigen seines Könnens: In der fünften Sinfonie - und auch dort ist es die Form und der Inhalt, welche sein Können ausmachen.
DIE ACHTE
Die Achte wird auch die „Apokalyptische“ genannt, was das Visionäre dieses Hauptwerks gut beschreibt. Das Textheft der CD backt da kleinere Brötchen und versucht halbherzig und inkonsequent – und damit letztlich auch unverständlich – nachzuweisen, dass Bruckners verbale oder schriftliche Äußerungen zu diesem Werk Bedeutung hätten. Aber wozu das Ganze?
Die Musik sagt ganz doch etwas anderes als „Deutscher Michel“ oder „Kaisertreffen“. Die Krone der Sinfonik (Hugo Wolf) ist nicht deskriptiv. Allein dias Wort von der „Totenuhr“ trifft etwas vom Kern …
Die schönste Bemerkung Bruckners zur Achten, die sein vielschichtiges Wesen und seinen ganz und gar hintergründigen Humor aufzeigt, hat der Autor des Textes dann doch nicht gewagt zu vermerken: nämlich, dass Bruckner das Hauptthema zum Adagio während einer Zugfahrt beim tiefen Blick in die Augen einer schönen jungen Frau gekommen sei …
KARL BÖHMS INTERPRETATION
Karl Böhms Achte ist in der Seelengestalt näher bei Bruckners weltlichem als seinem himmlischen Gott – nämlich bei Richard Wagner. Die Dramatik, die Steigerungen, das Kalkulierte, die Klangliche Verfeinerung, die ganz Sinnlichkeit sind im Grunde alles Dinge, die wunderschön und musikalisch überzeugend sind, aber nicht das Wesen, den Kern dieses existenziellen, schmerzlichen und zutiefst verunsichernden Werks trifft.
Der Kopfsatz mit seinen Sehnsüchtigen, Gebeten, Schocks und Todesahnungen, das zwanghafte Scherzo, in dem das Manische und das Depressive gleichzeitig fröhliche Urstände feiern mit seinem friedlichen Trio, das weltabgewandte Adagio das und wahrlich apokalyptische Finale mit seiner zutiefst schlüssigen Konzeption. Natürlich kann man da verkleinernd auch „reitende Kaiser“ sehen – das ist zumindest nicht mein Ding …
Der letzte Satz der Fünften und der Achten sind die genialsten Finalkonstruktionen Bruckners. Schade, dass wir nicht wissen, wie das Finale der Neunten letztlich fertiggestellt hätte.
Böhm „verkleinert“ nicht (wie das Textheft) diese großartige Sinfonie, aber er gibt doch sehr der Versuchung nach, das Wichtigste der Achten in den „physischen Qualitäten“ zu finden. Wem das jetzt etwas zu „sophisticated“ ist, der beschäftige sich mal etwas mit den Interpretationen von Knappertsbusch, Schuricht, Horenstein - oder Joseph Keilberth, dessen Biografie ich grade rezensiere …
REMASTERING
Die Wiener spielen wirklich wunderbar für Böhm. Allerdings leider diese Aufnahme ein wenig unter dem Remastering der DG. Ein wenig künstliches hat sich eingeschlichen, wohl durch das Original Image Bit Processing. Im f und ff (je lauter desto mehr) bekommt die Aufnahme durch Betonung bestimmter höherer Frequenzen etwas Scharfes, "Weißes" im Klang, besonders durch die Streicher. Es ist nicht gravierend, aber etwas unschön. Wie diese Aufnahme wirklich liebevoll remastert wohl klänge? Es gibt nun ja nun eine nonhybride (also nur auf SACD-Spieler abspielbare) japanische Überspielung, die meinem Erfahrungswert nach wohl eine „Neuentdeckung“ der Aufnahme bedeuten könnte!
FAZIT
Eine „schöne“ Bruckner Achte, nicht ganz optimal remastered., ein wichtiges Dokument von Böhms Kunst, eine Nachdenkens werte Alternative zu den „konventionellen“ Lesarten.