Mir fehlte Gefühl und der "Wow-Effekt"
Das Thema des Psychothrillers "Ich soll nicht lügen" von Sarah J. Naughton fand ich sehr ansprechend, weswegen ich mich sehr auf das Buch gefreut habe. Auch das Cover fand ich grundsätzlich sehr gelungen und die Frau darauf fordert mit ihrem Blick direkt auf, das Buch in die Hand zu nehmen. Jetzt wo es vor mir liegt, finde ich es allerdings viel zu grell, selbst wenn die Farbgebung damit womöglich auf die Buntglasfenster in der Kirche bezogen werden kann, die alles in blutrotes Licht tauchen...
Der Anfang der Geschichte wirkt verwirrend. Nach der Szene, in der Abe vom vierten Stock in die Tiefe stürzt und daraufhin im Koma liegt, erfährt man in Kursivschrift von einem kleinen Mädchen, das schlimme Erlebnisse hat, und einer Szene an Silvester, bei der man lange nicht versteht, was sie mit der Geschichte zu tun haben soll. Im Folgenden werden die Tage zwischen dem 8. November und März des Folgejahres hauptsächlich aus der Sicht von Mags, Abes Schwester, und Jody, Abes Verlobte, die im gleichen Gebäude bzw. Stockwerk wie er wohnt, geschildert. Auch von dem kleinen Mädchen und dessen qualvoller Geschichte erfährt man immer wieder etwas mehr. Alle Protagonisten hatten eine sehr schwere Kindheit. Nicht nur Jody, der Mags ihre Version des Sturzes nicht glauben mag, auch Mags und Abe, die seit Jahren keinen Kontakt mehr hatten, leider sehr unter ihrer Vergangenheit. Inwiefern, erfährt man ebenfalls erst sehr spät. Mags, die eine erfolgreiche Anwältin ist, will unbedingt aufklären, was es mit dem Sturz ihres Bruders tatsächlich auf sich hat, und streckt ihre Fühler in alle möglichen Richtungen aus. Sie versucht Kontakt zu den anderen Bewohnern der ehemaligen Kirche, die in Wohnungen für bedürftige Menschen umgebaut wurde und einen ganz besonderen Schauplatz bietet, herzustellen, allen voran Jody besser kennen zu lernen. Und stößt auf immer neue Erkenntnisse und Hinweise.
Mir hat gut gefallen, dass der Leser sehr lange auf die Folter gespannt wird, was die genauen Gründe für die schlimmen Kindheitserlebnisse der Personen anbelangt, dass überhaupt nicht vorhersehbar ist, was tatsächlich hinter Abes Sturz steckt und dass Mags am Ende etwas ganz besonderes unternimmt, um für ihren Bruder Rache auszuüben. Der Psychothriller ist sehr gut gestrickt und führt immer wieder auf neue Fährten, die dann doch ins Leere laufen. Der Schreibstil ist flüssig und angenehm und ich konnte mir diese Kirche mit ihren besonderen Bewohnern und die Gegend mit der Bande Jugendlicher sehr gut vorstellen. Die Personen sind soweit gut ausgearbeitet und sind ihrer Hintergründe wegen mit Sicherheit authentisch dargestellt. Trotzdem konnte ich leider gar keine Verbindung zu ihnen aufbauen, und bis auf die Szenen mit dem kleinen Mädchen hat es mir einfach an Gefühl und Sympathie gefehlt und der "Wow-Effekt", den man am Ende eines tollen Buches verspürt, blieb leider auch aus. Deswegen kann ich nur vier von fünf Sternen vergeben, aber trotzdem meine Leseempfehlung!