Vom Sehen und gesehen werden in romantisch düsterer Atmosphäre ....
The Knight and the Moth von Rachel Gillig
Huhu liebe Lesende. Sehen und gesehen werden? Nun. Klingt fast wie eine Anweisung für Stars, Sternchen und VIP’s und die Glamourwelt aus Schein und Sein, hinter der sich manchmal so Einiges verbirgt. Doch wer genau hinsieht wird erkennen, dass sich unter dieser Floskel so viel mehr versteckt und verbirgt. Eventuell auch die Aufforderung genau hinzusehen, mit offenen Augen durchs Leben zu gehen und hinter die Dinge zu schauen. Ebenso wie hinter die Fassaden von Menschen. Seien sie selbst gebaut, von anderen vorgegeben oder einfach so, wie die Welt uns sieht, und in welche Schublade sie uns steckt. Gesehen werden kann so viel mehr bedeuten, wenn jemand hinter unsere Schleier blickt. Zu sehen kann so viel mehr sein als nur oberflächliches Sehen. Es kann tiefer gehen, es kann Geheimnisse entlarven, es kann dazu führen, dass wir uns unwiderruflich zu Menschen hingezogen fühlen, wenn wir mehr beachten, als die Oberflächlichkeit, die uns gegeben wird. Und das hat tatsächlich mit dem Buch zu tun.
Das was uns die Geschichte zeigt, was wir darin sehen:
Sybil Delling ist zusammen mit 5 anderen Mädchen seit Jahren Weissagerin in der Kathedrale von Aisling. Kurz bevor der Dienst nach 10 Jahren für alle endet, wird das Haus der Götter für eine Weissagung vom Knabenkönig und seiner Ritterschaft aufgesucht. Unter ihnen Ritter Rodrick, genannt Rory. Der glaubt nicht an Weissagung und Visionen, und trotzdem sieht Sybil in einem Traum ein Omen für ihn und sein Schicksal voraus, das alles ändert, denn sie kann es nicht deuten. Doch das Omen bewahrheitet sich, und kurze Zeit später verschwinden die 5 anderen Mädchen, Sybils Schwestern. Um diese zu finden wendet sich Sybil an Rory. Denn auch wenn er mit den Gottheiten und Omen der Kathedrale nichts anfangen kann, so hat sie im Gefühl, dass er der Einzige ist, der ihr dabei helfen kann die Anderen zu finden. Und so nimmt das Schicksal um Omen und Visionen und Götter seinen Lauf, ebenso wie die Geschichte. Denn unter dem Schicksal der Wahrsagungen liegt oft die Wahrheit. Und die ist oftmals ganz anders, und versteckt sich hinter einem Schleier aus Dingen, die man oftmals erst sieht, wenn es zu spät ist. Wie genau alles weitergeht, solltet ihr unbedingt in der Geschichte nachlesen. Denn die ist so vielschichtig, dass Worte allein sie gar nicht so gut beschreiben können. Versuchen tu ich es trotzdem :)
Cover und Titel:
Das Cover des Buches ist wieder eines der wunderschönen Sorte. Passend zu Rachel Gillig. Schön düster und mythisch, so wie die Geschichte sich im Schreibstil spiegelt. Schätze, das hat sie als Autorin einfach drauf, und die Cover passen wirklich immer wundervoll zur Geschichte und andersrum.
Ich mag den Bezug des Titels auf die Geschichte, weil wir das mit der Motte schon am Anfang erklärt bekommen, es aber trotzdem noch ein wenig unter dem Tuch des Geheimnisses schwebt, und man noch nicht genau sehen kann, was es damit auf sich hat. Und genau dieses Tuch, das Geheimnisvolle, spiegelt sich im Cover wider als Szenerie der Weissagung. Traumhaft eben, im wahrsten Sinne des Wortes für einen Weissagungstraum, und eine Buchwelt namens Traum.
Fazit und Gedankenallerlei der Sicht auf die Dinge:
Rachel Gillig hat es einfach wieder getan. Und sie hat es wieder geschafft mit ihrer Sicht auf die Dinge meine Sicht auf ihre Geschichten mit Begeisterung zu entflammen. Wie eine Ballade aus alten Zeiten mit dem Sprachstil von heute kommt die Geschichte daher. Und doch erscheint alles märchenhaft mythisch, wie eine Erzählung, die beides in sich trägt. Vergangenheit und Gegenwart vereint. Beide Dinge gemeinsam, weil man durchaus zwei und mehrere Dinge in sich vereinen kann.
Da ist wieder dieses dunkel Atmosphärische, dieses Mythische, beinahe Folkloristische, das seine Finger nach uns ausstreckt, uns greift, und irgendwie während der Lektüre nicht mehr loslässt. Gefangen in einem Kokon aus einfach nur genialer Geschichte, einem World-Building das wirklich sehr besonders ist, Düsternis, Hoffnung, Hoffnung in der Düsternis, Dunkelheit aber auch Licht, von dem Motten ja angezogen werden. Erstmal bin ich ins Buch super reingekommen, weil es sich diesmal schon in der Leseprobe abgezeichnet hat, dass ich diese Geschichte und den Schreibstil sehr mögen werde. Ich durfte von Rachel Gillig schon die Shepherd-King Dilogie lesen, die mich restlos begeistert hat, und eines meiner Lesehighlights war. Und ja, auch hier glänzt die Autorin wieder mit diesem magischen Schreibstil, der einen sofort in den Bann zieht, und dessen Worte einen schwer wieder loslassen. Genau so kam es dann auch. Die Geschichte hat einen eingesogen und man war sofort nicht nur im Setting gefangen, sondern auch in der atmosphärischen Düsternis und Dunkelheit, die aber so wunderbar zur Geschichte selbst passt. Ich mag mittlerweile die gesamte Atmosphäre nicht einfach nur, sondern habe gelernt sie und den Schreibstil zu lieben. Da ist diese Dunkelheit die von Aisling, der Kathedrale, ausgestrahlt wird.
Dieses merkwürdige Gefühl, dass irgendwas nicht stimmt, dass sich mehr hinter allem verbirgt, hatte man von Anfang an beim Lesen. Klar ist, dass es darum geht, was richtig und was falsch ist, wie in vielen Geschichten, was hier aber wunderschön herausgearbeitet wurde, denn auch hier gibt es Masken, Schleier und den Hauch von morally grey, dem Guten, welches sich unter anfänglichen Zweifeln und bösen Blicken versteckt, und das Böse, das eventuell auch nicht sofort ersichtlich ist, weil man nicht richtig hinsieht und versteht. Aber darum muss man das Buch ja unbedingt lesen. Denn gibt es einen Cliffhanger? Unbedingtes Ja. Denn auch hier handelt es sich um eine Dilogie, und man fiebert Band 2 nur so entgegen. Und überhaupt, diese Welt kommt einem dann eh so vor, als ob man sich beim Lesen direkt darin befinden würde.
Das Buch geht in die Tiefe des Sehens. Wie oben erwähnt: Sehen und gesehen werden. Die Geschichte wird nicht oberflächlich abgehandelt. Genauso wenig wie die Charaktere im Buch. Sybil sieht schon immer, aber sieht plötzlich so viel mehr. Und Rory wird von ihr gesehen, genauso wie Sybil ebenfalls von Rory. Im Inneren, und so viel tiefer als beiderlei Äußeres der Welt von sich zeigt. Die Geschichte birgt auch zweierlei Wahrheit in sich, dass man sowohl das Eine und Andere durchaus zusammen sein und in sich haben kann. In einer Welt voller Kartierungen und Schubladen in die wir gesteckt werden, zeigt die Geschichte uns den Ausweg aus dieser heraus, und dass wir manchmal so viel mehr sind, als das, was die Welt in uns sieht, als was sie uns sieht und als was sie uns unbedingt sehen will, obwohl wir gar nicht so sind. Deswegen ist für mich das Sehen an sich, eine der wichtigsten Thematiken des Buches. Und das symbolisch für eine Seherin, die In Omen Dinge sieht und weissagt, und dafür ihr ganzes Leben eine Augenbinde trägt.
Die Geschichte zeigt, dass es kein Widerspruch in sich selbst ist, wenn man sowohl das Eine, als auch das andere ist. Und das gefällt mir ungemein gut und ist so wunderschön zu lesen und erleben. Ist es doch oftmals so, dass Menschen und als dies oder Jenes sehen, und Schattierungen unseres Seins gar nicht mitbekommen, und sich dann wundern, dass wir auch noch eine andere Seite in uns verbergen, die nur geborgen werden will. Dass wir uns der Welt zeigen wollen, damit andere sehen, wer man wirklich ist, wenn die Leute nur das sehen, was sie von einem erwarten, wenn sie unser Abbild anschauen. Der Schleier auf den Augen der Weissagerinnen von Aisling ist ein Symbol durch die ganze Geschichte. Um Augen zu haben, die sehen, ohne zu sehen, und zu sehen trotz Schleier. Um den Schleier vor den Augen wegzureißen und zu erkennen, symbolisch und real im wahrsten Sinne des Wortes. Der Blick auf die Welt hinter Schleiern. Aber auch der Blick in Augen und die Welt, die diese in sich bergen.
Die Weissagungen als Symbol für die Religion des Settings oder die Ritterlichkeit und das Gute in Form von Rory und den anderen Rittern finde ich grandios. Das System aus König, seiner loyalen Ritterschaft und Weissagungen, quasi Herrscher und Religion, mutet als Setting erst mal sehr mittelalterlich an. Und das meine ich gar nicht böse, weil ich es liebe. Es ist ähnlich wie bei One Dark Window, das in meinem Kopf eine mittelalterliche Welt voller Mythen entstanden ist, die in ihrer Sprache eben doch recht modern scheint. Denn ….. Was ich unheimlich mochte war die Dynamik zwischen Sybil und Rory, wenn sie miteinander reden und agieren. Auch diese kleinen Nuancen die immer wieder im Text erscheinen mag ich total, weil es Hinweise sind, dass mehr hinter Rory, aber auch Sybil steckt. Sie ist die einzige Wahrsagerin, die nicht verschwindet.
Finde, dass der Sidekick des Gargoyles unheimlich gut gelungen ist. Da ist Situationskomik den er an den Tag legt, weil er nicht weiß, wie er auf Menschen wirkt, weil er seine eigene Sicht von sich selbst hat. Er avanciert tatsächlich zu einer Figur, deren Szenen ich als meine Lieblingsstellen im Buch markieren würde, weil ich fast immer lache über das, was er sagt. Kein böses lachen, sondern ein nettes Mitlachen :). Wir müssen bitte über den Fledermaus Gargoyle reden, der im Buch vorkommt, und ebenfalls ein Bewohner Aislings, und später Sybils und Rorys Begleiter auf der Suche ist? ---> Totale Liebe. Er bringt in jede seiner Szenen etwas Lustiges, obwohl die Grundstimmung düster ist. Gerade seine Antworten sind es (und dass er ein wenig der tollpatschige Sidekick ist, der in sich aber viel mehr sieht und sich aufplustert auf liebe Art und Weise und dadurch total lustige Dinge von sich gibt), die wieder mehr in sich bergen, als man anfänglich denkt. Durchdrungen von Lustigkeit, aber auch einer tiefen Weisheit, die man erst auf den zweiten Blick bemerkt. Diese Atmosphäre der lustigen Unterhaltungen, Gespräche und der Konversation, bemerkt man übrigens auch bei Sybil und Rory. Anfangs dynamisch und gegnerisch neckend, mündet das Ganze später in ……. Etwas viel Schöneres und Großes mit einer gegenseitigen Bedeutung, die man irgendwie beim Lesen fühlt.
Und können wir ebenfalls bitte darüber reden und erwähnen wie toll dieser Vibe und die Chemie zwischen Rory und Sybil die ganze Zeit ist? Man spürt was zwischen den Beiden. Einfach sehr gut hinbekommen im Schreiben. Überhaupt Rory als Charakter: Ein Ritter der Ritterlichkeit. Vielleicht nicht auf die alte Art und Weise von Rittern und ihren Regeln. Er erscheint wie ein „moderner Ritter“, ist irgendwie total eine Green-Flag, und würde damit auch in unserer Zeit als „Ritter“ passen. Mit neuen Regeln und Werten. Vor allem den Werten. Er hält sich nicht an die festgestampften Regeln, und das ist auch gut so, weil er impulsiv, aber meist richtig handelt, und den richtigen Weg einschlägt, und das Richtige tut. Weil er sieht. Den Durchblick hat. Finde diese Symbolik auch hier wieder unheimlich toll umgesetzt, dass er als derjenige, der eigentlich kein Ritter sein sollte, weil er nicht adlig ist, dann der ritterlichste Kerl von allen ist, den man eben problemlos in unsere heutige Zeit einsetzen könnte. Vielleicht ist er aber auch erst so geworden durch Sybil? Anfangs grumpy, aber doch viel mehr dahinter? Kann gut sein, und sollte immer dazu anstiften, hinter Menschenfassaden zu schauen. Hinter die Augenbinden. Hinter die Geschichten. Hinter die Träume und Weissagungen. Symbolismus pur darüber was „dahinter“ liegt und die Wahrheit ist.
Die Augen hinter der Binde sind eine echt schöne Symbolik, die das ganze Buch widerspiegelt. Dieses „Was steckt dahinter?“, die Selbstaufgabe, das „Alle Weissagerinnen sind gleich, keine ist individuell“ und dann die Sicht von Rory, dass sie sich trotzdem alle unterscheiden, weil jeder Mensch ein Individuum ist. Auf alle Fälle war die Geschichte so wie in meiner Vorstellung, ohne dass ich es habe kommen sehen. Widersprüchlich? Nein. Wir haben ja gelernt, dass zweierlei möglich ist, und hinter Vielem mehr steckt :). Rachel Gillig hat es echt drauf, so zu schreiben, dass sich eine Menge Theorien im Kopf bilden, und so ist es nun auch wieder gewesen. Die Atmosphäre ist ähnlich der in One Dark Window, aber natürlich ist alles eine völlig neue und eigenständige Geschichte die einem erzählt wird. Trotzdem ist es, als ob man sich gerade beim Schreibstil fallen lassen kann, weil es einem vertraut vorkommt. Nicht zu vergleichen. Aber vertraut zum Fallenlassen in Geschichte und Schreibstil. Und vor allen Dingen für die Bewegungen in der eigenen Gedankenwelt.
Man gleitet direkt in dieses Düstere rein, was die ganze Atmosphäre des Buches ausmacht. Es gibt unaufgedeckte Unwahrheiten, die das ganze Leben da waren, und das in einem Ausmaß, das groß ist, weil es um Macht und Geld geht, ohne Rücksicht auf die Bevölkerung. Erschreckend, aber nichts Neues. Wer Macht und Geld hat will mehr Macht und Geld und die die nichts haben ………. Müssen drunter leiden. Puh. Zum Glück gibt es da einen Augenöffner, und das ist jetzt wirklich im Buch wahrhaftig verknüpft, mit den vor der Welt verschlossenen Augen, die eigentlich nur genauer hinsehen sollten, was hinter der realen Welt steht. Vielleicht auch eine Falschheit des Glaubens aufzudecken oder zu hinterfragen. Der Schreibstil selbst, den ich ja schon bei One Dark Window und Fortsetzung kennenlernen durfte, ist wieder so, dass man sofort in der Geschichte ist und in ihr hängenbleibt. Man wird sofort eingezogen in diese mystische und dunkle Stimmung, und will mal wieder einfach genau dort bleiben, und die reale Welt um sich herum vergessen. Was man dann auch irgendwie tut.
Selbstfindung. Was man ist. Identität. Ein Individuum und besonders sein. Das eigene Sein und die Existenz. Freiheit. Vorherbestimmung oder freier Wille seine Zukunft selbst zu gestalten. Machtwünsche. Geheimnisse. Entdeckungen. Emotionaler Missbrauch. Alles wird thematisiert. Aber genau für diese dunklen Geschichten und fast schon Folklore Märchen mag ich die Autorin. Und die Weissagungen? Was soll ich sagen? Solche Geschichten reißen mit, weil es Geheimnisse aufzudecken und zu entdecken gibt, und das damit wieder eines der Bücher ist, für das ich tausend Theorien gesponnen habe. Scheint dann vielleicht so eine Tradition zu werden bei Rachel Gilligs Büchern, die mich bis jetzt alle mitgerissen haben.
Heutiges Rezensionslied? Ich musste eines nehmen das Dunkelheit, Träume, Wahrheit und Sehen enthält:
„There ain't language for the things I've seen, yeah. And the truth is stranger than my own worst dreams. The truth is stranger than all my dreams. Oh, the darkness got a hold on me.“