Wunderbare Populärdarstellung der krummsten Zahl der Welt
Die mathematischen Episoden in dieser Monografie des Goldenen Schnittes Φ bestechen durch ihre glasklare Darstellung in didaktisch herausragender Transparenz. Das ist für ein Buch mit populärer Zielrichtung sicher das wichtigste Bewertungskriterium, und daran allein gemessen verdient es ohne jede Frage Höchstbewertung. Dem entspricht auch der optische Eindruck der vielen sauberen grafischen Darstellungen in Harmonie mit dem minimalistischen Gesamtlayout, das zu einem Gesamtbild höchster Ordentlichkeit führt. Irgendwie scheint aber das gar nicht so sehr in den heutigen Zeitgeist mit seiner oft überfrachteten und überbunten Darstellungsweise zu passen. Vielleicht spielen dabei auch Sparmotive des Verlags mit, was angesichts des äußerst günstigen Verkaufspreises nachvollziehbar ist, was aber gerade dann auch zu dem ästhetischen und absolut seriösen Ergebnis führt. Angesichts des ebenfalls schönen Drucks und guten Einbands möchte man sich dann vielleicht auch ein etwas besseres Papier wünschen, aber das kann man aus besagten Gründen nicht verlangen.
Darüber hinaus scheint das Buch auch sachlich fast ganz fehlerfrei zu sein, doch nicht absolut. So ist etwa im Fall des Eulerschen Polyedersatzes (F+V=E+2) der Sachverhalt zwar korrekt dargestellt, es ist stattdessen aber fälschlich die Rede von der Eulerschen Zahl. Vielleicht ist das nicht unbedingt dem Autor selbst anzulasten, sondern ist möglicherweise durch die Übersetzung ist Deutsche (vom Spanischen?) bedingt. Von den didaktischen Grafiken ist im Detail die Darstellung der Winkelhalbierung im Goldenen Dreieck etwas verunglückt.
Das alles bewirkt für sich allein aber noch keinen Punktabzug. Den größten Anteil an dem abgezogenen Punkt hat die Tatsache, dass der Aurtor über weite Strecken übliche Überinterpretationen von Φ kolportiert, wenn es um das "Schöne" geht. Erst sehr spät im Text rafft Corbalán sich auf zu fragen, ob möglicherweise "der Wunsch, in der Architektur des Parthenon den Goldenen Schnitt zu finden, größer war als ein bewusster Einsatz vonseiten der Erbauer", und einzuwerfen: "Wir können immer 666 Schritte, Stufen oder Meter zwischen zwei beliebigen Punkten finden, um einen Zusammenhang mit Satan oder dem Teufel herzustellen." Demgemäß lässt sich auch Φ überall finden, wenn man es nur hartnäckig genug darauf anlegt. Das Hinterfragen solcher Überdeutungen im Allgemeinen ist gerade in dieser heute immer mehr von transatlantischem Oberflächendenken beeinflussten Zeit wichtig. Stichworte wie "Fake-News" und Verschwörungstheorien unterstreichen das. In diesem Zusammenhang ist Φ nur ein unwichtiges und harmloses Beispiel, wohl eben aber ein formal symbolisches. Im Pentagramm oder dem Drudenfuß, der vielfach in der Tat auch Zeichen konspirativer Gruppen ist, ist Φ dagegen inhärent, und somit vielleicht die Schönheit an sich. Wenn wir allerdings Φ auf den Grund gehen, dann wird mit seiner Kettenbruchentwicklung vor allem seine ausgezeichnete Bedeutung als irrationalste, sprich krummste, Zahl der Welt klar. Corbalán überlässt diese Deutung den Lesern selbst, auch wenn er mit Beispielen zur Blattstellung bei Pflanzen schon in diese Richtung weist.