4 von 5
Anonym
26. April 2017
Zwar insgesamt nicht überragend, aber doch solide, gut und empfehlenswert!
Die Latte haben sich die Herren mit dem überraschend starken Vorgänger "Now What?!" selbst recht hoch gelegt. Mir gefällt auch "InFinite" alles in allem recht gut, wenn ich auch der Meinung bin, dass es insgesamt nicht ganz so stark wie "Now What?!" ist. Dafür sind aber zwei Songs enthalten, die für mich stärker als die besten Songs von "Now What?!" gelungen sind. Auf der anderen Seite gibt es auch einige Songs, die ich eher in die Rubrik "Füller" packen würde.
Im Einzelnen:
TIME FOR BEDLAM
Ein guter Song mit herausragendem Solopart. Der Gesang ist mir aber zu eintönig und hat zu wenig Melodie, was aber vermutlich aufgrund der düsteren Lyrics beabsichtigt ist. Anfang und Ende werden von Gillan pastoral gesprochenen... hm... meinen Geschmack trifft es nicht. Dennoch insgesamt ein gelungener Opener fürs Album.
HIP BOOTS
Groovt gut, kommt aber trotzdem nicht über Durchschnitt hinaus, weil der Song eher als Instrumentalstück taugt.
ALL I GOT IS YOU
Ein Song, der nach mehrmaligem Hören deutlich wächst. Geniales Drumming von Paice. Jazzig und mit viel Swing. Toller Gesang. Wohltuend, dass hier eine Stimme im Vordergrund steht und Gillan nicht - wie leider allzu häufig - mehrfach gedoppelt wurde. Seine Stimme ist auch in tieferen Lagen immer noch einzigartig und benötigt keine komischen Effekte und Mehrfachdopplungen. Weniger ist mehr, wie dieser Song eindrucksvoll beweist. Klasse!
ONE NIGHT IN VEGAS
Ebenfalls ein toller Song, der groovt und einfach nur Spaß macht. Honky Tonk meets Rock N' Roll. Mega cooler Gesang. Herrliches Gitarrensolo von Morse.
GET ME OUTTA HERE
Auch ein kreativer Tausendsassa wie Roger Glover hat mal eine schlechte Idee;-) Man nehme die Drums vom Song "Body Line" vom vorherigen Album "Now What?!" und spiele sie einfach nur deutlich langsamer ab. Das, was wie ein Unfall im Studio klingt, ist also durchaus beabsichtigt. Sorry, klingt einfach nur total verzerrt und richtig übel. In der Strophe hat es der bekennende Bob Marley-Fan Roger dann geschafft, Deep Purple zum Reggae zu bringen. Mutig zwar, aber nicht mein Geschmack. Ein cooler Refrain alleine rettet den Song dann leider auch nicht mehr. Durchschnittliche Solodarbietungen runden diesen wenig gelungenen Song dann im negativen Sinne ab.
THE SURPRISING
Schlichtweg genial! Mein Lieblingssong von diesem Album. Ein kleines musikalisches Kunstwerk mit einem Gillan, dessen Gesang mich mitten ins Herz trifft und mit einem wunderbaren Soloteil, der mir einen Schauer nach dem anderen über den Rücken jagt. Ganz großes Kino!
JOHNNY'S BAND
Ein kleiner, einfacher Song, der mir sehr gut gefällt. Klasse Refrain, der voll ins Ohr geht. Den angeblich so lustigen Querverweis an "Louie Louie" beim Orgelsolo finde ich zwar ebenso albern wie unpassend, aber das anschließende schöne Gitarrensolo entschädigt dafür.
ON THE TOP OF THE WORLD
Aus meiner Sicht der zweite Schwachpunkt des Albums. Ein ziemlich gewöhnliches Riff, eine belanglose Strophe, ein "geht so" Refrain und dann wird der Song auch noch mitten drin unterbrochen, damit Gillan über die Venus im Himmel rezitieren kann. Au Backe, das nenne ich mal voll daneben.
BIRDS OF PREY
Nach "The Surprising" noch so ein Hammersong! Klasse Riff, ganz starker Gesang. Einzig das Solo von Don Airey ist ziemlich schräg und gefällt mir überhaupt nicht. Aber am Schluss entschädigt Steve Morse mit einem Wahnsinnssolo und beweist, dass es nur weniger Töne bedarf, um für ein unglaubliches Feeling zu sorgen. Das Solo könnte ewig weitergehen und wird leider viel zu früh ausgeblendet. Ich hoffe auf eine extended version auf der vermutlich später noch veröffentlichten Gold-oder-was-weiß-ich-für-Edition.
ROADHOUSE BLUES
"Birds of Prey" wäre der perfekte stimmungsvolle Abschluss für dieses Album gewesen. Stattdessen covern Deep Purple den "Roadhouse Blues" und verkacken damit den Albumabschluss auf ganzer Linie. Dieser Song passt so überhaupt gar nicht zum Rest des Albums und mal ehrlich: Wer braucht eine weitere Version von diesem Doors-Klassiker? Ist in etwa so interessant wie die 2.425.600. Coverversion von "Smoke On The Water". Als Outtake wäre es ja noch ok gewesen, aber nicht als Album-Abschluss. Ganz schlechte Entscheidung.
Die beiden überragenden Songs "The Surprising" und "Birds of Prey" hieven das Album noch auf gute 4 Sterne. Schon alleine diese beiden Songs machen den Kauf des Albums lohnenwert.
Zu den Musikern: Gillan ist zumindest im Studio immer noch über jeden Zweifel erhaben und hat - auch in den inzwischen tieferen Stimmlagen - immer noch ein Feeling und Timbre, dass auch heutzutage noch seinesgleichen sucht.
Glover und Paice spielen und grooven wie gewohnt wunderbar zusammen. Toller Sound, wie überhaupt das ganze Album einen tollen Sound hat (außer die Drums auf "Get Me Outta Here").
Ich habe zwar nicht mit der Stoppuhr die Zeit genommen, aber Don Airey hat gefühlt mehr Solopassagen als Steve Morse. Dennoch packt mich das Solospiel des Gitarristen eindeutig mehr als das des Tastenmannes. Airey spielt mir auf diesem Album teilweise sehr sperrig. Steve spielt hingegen sehr songdienlich und mit vielen tollen Melodien. Sicher auch ein Verdienst des Produzenten Bob Ezrin, der Steve - zu dessen Leidwesen, wie die Making Of-DVD sehr deutlicht zeigt - ständig dazu ermahnt hat, weniger Noten zu spielen. Was des Gitarristen Leid (sorry Steve!), ist des Hörers Freud;-)
Apropos Bob Ezrin: Die DVD macht deutlich, WIE groß sein Einfluss auf die Kompositionen ist. Es gab Zeiten, da haben Gillan & Co. Produzenten von außerhalb der Band gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Heutzutage ist Bob Ezrin für sie so etwas wie der Messias. Nun ja, sie haben halt ihre Meinung geändert und vielleicht ist das mittlerweile auch notwendig, um zu einem ansprechenden Ergebnis zu kommen.
Abschließend noch ein paar Worte zum Artwork: Das Cover mit dem Schiff und dem ineinander geschwungenen "dp" gefällt mir sehr gut. Auch der Titel "InFinite" passt. Aber musste man diese Rocklegenden wirklich in diese albernen Polar-Kostüme stecken? Also ich weiß nicht... Kommt bestimmt auch in den Redaktionen gut an, wenn man die Sommerkonzerte mit Fotos der purpurnen Polar-Expedition ankündigt;-) Ob man das wirklich bis zum Ende durchdacht hat?
Noch schlechter finde ich allerdings die Idee, in Anlehnung an das Jahrhundertcover von "Deep Purple in Rock" die aktuellen Köpfe der Purple-Musiker ins ewige Eis zu hauen. Aus meiner Sicht ein Sakrileg. Aber vielleicht bin ich da auch zu empfindlich.