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schriibli
Top 100 Rezensent
17. Februar 2017
JOHNNY WINTER HÄTTE BESSERES VERDIENT
Eines ist klar wie Butter: Wer sowohl mit Johnny Winter als Musiker als auch mit seiner Musik nichts anfangen kann, dessen Kritik läuft ohnehin schnurstracks ins Leere. Für mich in meinen Anfangstagen als Gitarrist war Johnny hingegen mit eine der größten Einflüsse auf mein Spiel. Es versteht sich von daher, dass ich einen anderen Blickwinkel auf ihn und sein musikalisches Vermächtnis habe. Nichtsdestotrotz hinterlässt “True To The Blues“ bei mir leider einen zwiespältigen Eindruck.
Bereits an anderer Stelle wurde die Frage gestellt, wem bzw. welcher Käuferschaft diese noch kurz vor Johnnys unerwartetem Tod veröffentlichte Box wohl zugedacht sein mag. Diese Frage würde ich gerne an Paul Nelson als Kurator dieser Werkschau stellen, da sich mir eine Antwort darauf ebenso wenig erschließt. Für Fans? Die dürften zumeist alle seine Platten schon in ihren Regalen stehen haben, und 2 bis dato unveröffentlichte Aufnahmen sind eindeutig zu wenig, um sich 4 CDs im Prinzip “nochmal“ zu kaufen. Damit wäre für Eingeweihte der musikalische Aspekt dieser Veröffentlichung bereits abgehandelt.
Ich (als Fan) hab' mir das Teil (entgegen aller Vernunft) dennoch einverleibt. Warum? Zum Einen haben mich die 2 Raritäten tatsächlich gereizt, zumal es Aufnahmen von “Johnny Winter And“ sind, der seinerzeit recht merkwürdig anmutenden, jedoch mindestens ebenso effektiven Kombination von Johnny und den ehemaligen McCoys um Rick Derringer. Somit sind vom Auftritt der Band beim Atlanta International Pop Festival 1970 nun 3 Tracks auf CD in Umlauf. (Und wo bleibt der Rest davon?!) Ansonsten wurde im Großen und Ganzen schon auf die Essenz (1968-2011) aus dem OEuvre Johnny Winters geachtet. Allein eine ganze CD widmet sich erfreulicherweise Johnnys (aufgrund seiner Drogen-Probleme) kurzzeitiger Bluesrock-Formation “And“. Andererseits blieb beispielsweise “The Winter Of '88“ , eines seiner misslungensten Alben, zum Glück komplett außen vor.
Der zweite Grund meines Kaufs lag in der Hoffnung auf eine hoffentlich opulente Aufmachung mit tollem und seltenem Bildmaterial und sachkundigen Linernotes über Johnnys gesamte Karriere. Und genau hier wird der Fan ein weiteres Mal enttäuscht. Das Erscheinungsbild des “Böxchens“ ist sehr bescheiden - um nicht zu sagen: ausgesprochen billig. Der größte Teil der Fotos ist monochrom, manches Bild würde ich sogar als überflüssig bezeichnen. Das Essay von Brad Tolinski, dem Chefredakteur des Magazins “Guitar World“, bleibt inhaltlich recht rudimentär, und mit der Chronologie nimmt es der Herr Tolinski auch nicht allzu genau. Als Begleittext für eine derartige Veröffentlichung ist so etwas schlicht minderwertig. Dafür hat man alleine 10 Seiten für mehr oder minder kompetente Zitate von ebenso mehr oder minder kompetenten Musikerkollegen verbraten. Auch oder gerade Einsteiger in die Causa “Winter“ wären stattdessen mit einer etwas ausführlicheren und weniger fehlerhaften Abhandlung über Johnnys Leben und Karriere weitaus sinnvoller und besser bedient gewesen.
Nun könnte man argumentieren, dass der Preis für diese “Johnny Winter Story“ ja nun wirklich nicht exorbitant hoch ist. Nein, ist er beileibe nicht! Und sollte dieses Projekt in erster Linie für Einsteiger gedacht sein, so könnte man das Preis/Leistungsverhältnis als “o.k.“ bezeichnen. Aber sind wir mal ehrlich: Einsteiger greifen in der Regel zu noch günstigeren “Best-Ofs“ . . . ! Hätte man sich jedoch bei Columbia/Sony an Aufmachung und Inhalt anderer vergleichbarer Veröffentlichungen (und von denen gibt es bereits seit Mitte der 80er Jahre genügend mit Vorbild-Charakter) orientiert - ich bin mir sicher, viele Anhänger Johnnys hätten - wie ich - für einen wirklich lohnenswerten Karriereüberblick mit mehr Outtakes aus den Aufnahme-Sessions von Jahrzehnten (!) gerne einige Taler mehr investiert.
So bleibt “True To The Blues - The Johnny Winter Story“ bedauerlicherweise durchwachsen. Mehr war es den Machern offenbar nicht wert. Soll ich die Box empfehlen? Eingeschränkt . . . und auf eigene Gefahr, denn Johnny Winter hätte meiner Meinung nach etwas Besseres verdient. R.I.P., Johnny!