Rock ohne Altersfreigabe
Noch langsamer als wie sich zum Teil die Songs auf „Everything Is Alive“ winden, dreht sich wohl nur die Erde einmal täglich um ihre Achse. Doch so schlicht ihre Tagträumereien immer noch gestrickt sein mögen, bleiben Slowdive auch über 30 Jahre nach ihrer Gründung ihre eigene Marke. Eine Einschätzung, die man nicht unbedingt über all ihre Weggefährten treffen kann, mit denen sie einst den „Shoegaze“ in die Welt hinaus posaunten. Viele gibt es gar nicht mehr, Andere sind längst in der Egalität verschwunden. Kevin Shields brauchte geschlagene 22 Jahre um mit My Bloody Valentine den Nachfolger zu „Loveless“, bis heute für die Älteren so etwas wie die ewige, nie erreichte Messlatte für dröhnenden, schwelgerischen Gitarrenrock und auch für die coolen Indie-Kids von heute längst eine Referenz, um auch wenigstens ja mitreden zu können, fertig zu stellen. Als Slowdive vor sechs Jahren ihr erstes Album seit ebenfalls so langer Zeit veröffentlichten, hätte man das ihnen als Fan übel nehmen können, wenn jenes nicht so gut gewesen wäre. Oder genau deswegen. Ein Werk, dass man getrost als Instant-Klassiker bezeichnen darf, das all ihre Stärken in einer bis dahin nie dagewesenen Kompaktheit bündelte und das, wenn auch spät, der Karriere des Quintetts einen enormen Schub verpasste. Erst der Erfolg dieser Platte ermöglichte es Neil Halstead, Rachel Goswell, Simon Scott, Nick Chaplin und Christian Savill von ihrer Kunst gut leben zu können. Auf neue Musik der Briten musste man dennoch geduldig warten, was sich gleich auf mehrere Umstände zurückführen lässt. Neben der Pandemie waren es auch Todesfälle in den Familien der Mitglieder, die die Arbeit an neuem Material ausbremsten. Somit erhält man auch gleich eine Erklärung für den Titel: „Everything Is Alive“ beschreibt das Licht am Ende des Tunnels einer schwierigen Zeit. In seinen besten Momenten mutet das fünfte Album der Gruppe wie ein Best-Of ihres bisherigen Schaffens an, wenn man mal vom außergalaktischen Nicht-Rock von „Pygmalion“ absieht. Wobei der Vorgänger „Slowdive“ stilistisch der am stärksten wahrnehmbare Fixpunkt auf dem Neuling der Engländer ist. Es gibt aber auch dezente Modifizierungen im bandtypischen Sound. Zumindest „Shanty“ als auch „Andalucia Plays“ und „Chained To A Cloud“ werden von minimalistischer Elektronik umspielt. Das schleppende, rein instrumentale „Prayer Remembered“ bäumt sich fast fünf Minuten lang zu beeindruckender Größe auf, klingt schon beinahe wie ein Relikt aus den frühen Tagen der Band und gehört zu den sicheren Highlights von „Everything Is Alive“. Harmlos dagegen sind die zwei eher lauen Dreampopper „Kisses“ und „Alife“. Die Frage danach, ob die Musik dieser Gruppe gut oder weniger gut gealtert ist, stellt sich allein schon deswegen nicht, weil diese kleine, feine Nische der großen, weiten Welt der sieben Saiten, die Slowdive maßgeblich mitgeprägt haben, längst wieder modern- und von zeitloser Schönheit ist. Mit ihrem quasi zweiten Comeback schreibt die Band ihre Geschichte weiter.