Moderne Sklaverei
Eine verlässliche Adresse für experimentelle und progressive Formen des Rocks ist und bleibt Matador Records. Der neueste Hit des amerikanischen Labels heißt Mdou Moctar. Hinter diesem Namen verbirgt sich ein nigerianischer Gitarrist, der die westliche Musikwelt mit seinem neuen Album das Fürchten lernen will. Und das könnte ihm durchaus gelingen. „Funeral For Justice“ ist bereits der zweite Release des Hauses. Hier wird das alte Rock`N`Roll-Feuer seiner Ahnen wieder angezündet- und dennoch selbstbewusst über den Genre-Tellerrand hinausgeblickt. Was aber über Allem schwebt ist Moctars kritische Auseinandersetzung mit dem Zustand seiner Heimat.
Wann hat man so etwas zuletzt in einem Musikvideo gesehen? Männer in verschleierter Tuareg-Kleidung spielen Gitarre, Bass und Schlagzeug. Im Clip zu „Funeral For Justice“, ein Song ihres gleichnamigen Albums, treten die vier Mitglieder in einem leeren Klub auf und performen in etwas steifen Bewegungen vor der Kamera. Das sieht, zugegebenermaßen, schon etwas komisch aus. Das soll aber nicht über das ernste Anliegen der Band hinwegtäuschen. Moctars Worte (gesungen wird größtenteils in Tamascheq, der Sprache der Tuareg) richten sich hier direkt an seine nigerianischen Brüder und Schwestern. Das energetische Stück, welches sich zwischen Classicrock und Indie windet, klingt mit seinem eindringlich klagenden Text wie eine Hymne des Widerstands und wie ein Rundumschlag gegen die sozialen und kulturellen Missstände in Nigeria und auf dem gesamten, schwarzen Kontinent.
Es wäre zu einfach „Funeral For Justice“ als eine Retrorock-Platte abzustempeln, die sich wie selbstverständlich an den Großen der Musikgeschichte bedient. Moctars Gitarrenspiel wurde zwar an anderer Stelle schon mit dem von Eddie Van Halen oder Jimi Hendrix verglichen, eher wirkt das Album wie ein erfrischender Hybrid aus Blues und verschiedenster, traditioneller Stile Afrikas. Komplettiert wird die Band von Bassist Mikey Coltun, der sich hier auch als Produzent erweist, Gitarrist Ahmoudou Madassane und Drummer Souleymane Ibrahim. Es ist besonders diese furios und eigenwillig aufspielende Band, die beim Hören des Albums als erstes begeistert. Stotternde Gitarrenfeedbacks läuten das rasende „Sousoume Tamacheq“ ein, welches virtuos einen Bogen von Hardcorepunk zu Dessertrock schlägt. „Imajighen“ (so bezeichnet sich das Volk der Berber in seiner eigenen Sprache) und „Takoba“ wiegen sich langsam und hypnotisch im Takt. „Imouhar“ kreuzt dagegen Southern Rock frech, aber virtuos mit tanzbaren Rhythmen.
Auch wenn der geneigte Hörer wahrscheinlich nicht der Sprache Mdou Moctars mächtig ist und kein Wort verstehen wird („Tchinta“ und „Oh France“ werden immerhin in Französisch vorgetragen), sind die Songs von „Funeral For Justice“ ungemein verspielt, melodiös und sprechen gerade dank ihres überirdischen Gitarristen zuallererst ein Rock-Publikum an. Und mit Moctars Texten sollte man sich, trotz der Sprachbarriere, unbedingt auseinandersetzen, die es auch in englischer Sprache zu lesen gibt. In der Übersetzung des schon fast versöhnlich ertönenden „Modern Slaves“ heißt es: „All of our resources have been looted. Youth in pursuit of resources, weeping in dismay, in the ocean's depths, they perish, while you watch“. Ein Aufschrei, so laut, dass er über die europäischen Außengrenzen hinaus bis in die hiesigen Clubs schallt. „Funeral For Justice“ gibt den Unterdrückten eine neue Stimme. Sich dazu bewegen darf man natürlich trotzdem.